Warum bin ich hier?

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Das Buch

Visionssuche auf dem Traumberg

Ein junger Mensch, offen, lern- und wissbegierig besteigt einen hohen Berg, um Antworten auf die wichtigsten Daseinsfragen zu bekommen. Er erhält sie auch, aber anders als gedacht. Es erscheinen ihm mitten in der Nacht in Form von Traumvisionen die unterschiedlichsten Wesenheiten - die Seelenaspekte eines jeden Menschen - mit denen er in einen märchenhaften, aber philosophischen Dialog tritt. Die Gespräche regen zum Nachdenken an, sie sind so liebevoll und bildhaft, dass der Leser meint, mitten im Geschehen zu stehen.

Der Autor

Thomas Ach, Jahrgang 1955, ist Gründungsmitglied der Gesellschaft für angewandte Philosophie Baden-Baden, für die er Vorträge hält und seit vielen Jahren philosophische Gesprächsabende moderiert. Neben diesem Buch stammen aus seiner Feder „Der kleine Geist – eine Geschichte des Erwachens“ und „Der Freudentanz – Porträt einer Wandlung“.

Thomas Ach

Warum bin ich hier?

9 kleine Fragen an die 9 Geister des Lebens


Inhaltsverzeichnis

Umschlag

Das Buch / Der Autor

Titel

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Der fragende Träumer

Der Geist der Weisheit antwortet

Der Geist des Egos antwortet

Der Geist der Einsicht

Der Geist der Vergebung antwortet

Der Geist des Glücks antwortet

Der Geist der Moral arbeitet

Der Geist der Angst antwortet

Der Geist der Phantasie antwortet

Die beiden Alten

Die Begegnung mit dem Zauberer

Der Geist der Liebe antwortet

Das Mädchen und die Fee

... noch mehr Antworten vom Geist der Liebe

Abschiedstanz der Geister

Das Erwachen

Nachtrag

Impressum

Vorwort

Mit diesem Buch ist es wie mit allen auf dieser Erde geschaffenen Werken. Es ist ein Ausdruck der inneren und äußeren Wahrnehmungen eines Menschen ob Künstler, Manager, Architekt, Sachbearbeiter, Verkäufer oder nicht berufstätig – jeder Mensch drückt sein Selbst, das durch Erfahrungen immer wieder neu geformt wird und deshalb nie gänzlich vollendet ist, ständig in Worten, Gesten, Handlungen und Werken aus. Sein ihm angeborenes Naturell verhindert meist grenzüberschreitende Persönlichkeitsveränderungen, schließt sie jedoch nicht völlig aus. Aus diesen Gründen wird ein Mensch von etwas angesprochen, während sich ein anderer nicht sonderlich dafür interessiert, weil er sich davon nicht repräsentiert fühlt. Genau so ist es mit diesem Buch. Ich werde nur die Menschen ansprechen können, die über eine Antenne für seine Inhalte verfügen. Und doch betrifft der Inhalt dieses Buches alle Menschen, denn sie können sich darin in ihren gesamten Gefühlskomplexen widergespiegelt erblicken. Ich habe mit diesem Buch den Versuch unternommen, Gott den Menschen ein wenig näher zu bringen. Ich möchte die allmächtige Kraft von ihrer personifizierten Reduktion und Dogmatisierung befreit sehen, die fromme und gläubige Menschen betrieben haben, und einen weiteren Blickwinkel anbieten. Es geht mir allerdings nicht darum, die Gefühle anderer Menschen zu verletzen, es geht um ein umfassenderes Gottesverständnis.

Außerdem habe ich versucht, den Hintergrund menschlicher Existenzfragen näher zu beleuchten und dadurch den mitmenschlichen Aspekt in unseren Verhaltensweisen zu fördern.

Die Menschen, die sich dadurch angesprochen fühlen, sollen trotz der immer weiter fortschreitenden Technisierung unserer Umwelt an die Ursprünge des menschlichen Seins erinnert werden. Vielleicht erkennt sich der eine oder andere in dem Dargestellten wieder, vielleicht werden verdrängte Gedanken ins Bewusstsein transportiert. Der Leser könnte sich mit Erkenntnissen konfrontiert sehen, die ihn zu einem völlig neuen Denken anregen.

Den eigentlichen Inhalt des Buches habe ich in eine märchenhafte Rahmenhandlung eingebettet, um zu vermitteln, dass es zwischen Wunsch, Gefühl, Fantasie und Realität keine klaren Grenzlinien gibt. Wie im äußeren Leben verschwimmen die Grenzen auch in der menschlichen Psyche häufig. Das eine fließt in das andere über und erfährt Veränderung. Die Geister in diesem Buch wiederholen so manche Botschaften ihrer Vorgänger mit ihren eigenen Worten und helfen dadurch dem Leser, eine Aussage unter verschiedenen Aspekten zu sehen und sie besser zu verstehen.

Die unterschiedlichen Erzählweisen sind beabsichtigt und sollen den unterschiedlichen Gefühlsebenen gerecht werden. Mit dem einfachen, manchmal kindlichen Erzählstil wende ich mich an das Kind im Menschen. Mit dem informativen, streckenweise intellektuellen, abstrakten Erzählstil sollen der Verstand und die in ihm wurzelnden Gefühle angesprochen werden. Die märchenhafte Umrandung der eigentlichen Handlung und die Geschichten in den Kapiteln vom Geist der Fantasie und vom Geist der Liebe wollen im wahrsten Sinne des Wortes märchenhafte Gefühle im Leser erzeugen, durch die bestimmte Botschaften emotional ansprechender werden und so besser ins Innere des Lesers transportiert werden können. Das Buch ist dennoch für Kinder ungeeignet, da es für die kindliche Psyche zu vielschichtig ist.

Ich möchte den Leser zum Nachdenken anregen, seine Sensibilität für andere Menschen erhöhen und sein Bewusstsein für sein eigentliches Ich schärfen. Die Keimzellen für eine positive Veränderung der Welt bilden sich zuerst im Bewusstsein der Menschen heraus. Die schönsten Bücher sind diejenigen, in denen der Leser die Größe und Vielfalt seines eigenen Wesens erkennen kann. Lassen Sie sich nun, lieber Leser, in die Welt eines kleinen Jungen entführen, der offen, neugierig und wissbegierig Antworten auf all seine vielen Fragen sucht und sie auch erhält – aber auf eine Art und Weise, wie er es sich niemals erträumt hatte. Antworten, die über die Grenzen unseres Daseins hinaus und bis an die Grenzen unserer menschlichen Sprache reichen. Vielleicht sind Sie auch neugierig?

Thomas Ach

Der fragende Träumer

Wie schön war die Zeit, die ich mit meinen Eltern und meinen zwei Geschwistern, Bruder und Schwester, in diesem idyllischen kleinen Dorf verbrachte, inmitten eines lang sich hinziehenden Tals, umgeben von markanten Bergen. Ich muss wohl immer etwas nachdenklicher gewesen sein als andere, denn oft ertappte mich meine Mutter, wie ich „weggetreten“ auf einer Wiese lag und auf den höchsten Berg starrte, der nördlich von unserem Dorf in den Himmel ragte. Eigentlich interessierte ich mich nicht sehr für das Dorfleben. Ich blieb oft für mich allein und dachte nach. Ich machte mir über alles Gedanken - über den Sinn des Lebens und warum alles so ist, wie es ist, was gut ist und was böse: Warum, warum, warum?

Ich habe einmal gelesen, dass ein Philosoph ein Mensch ist, der es nicht verlernt hat, sich immer wieder aufs Neue über das Leben zu wundern, und der sich nie so richtig an das Leben gewöhnt hat, da es ihm fortwährend neue Rätsel aufgibt. Ich beobachte die Menschen, wie sie sich in ihrem immer gleich anmutenden Alltag verlieren, sich an alles gewöhnen, was geschieht, und keine darüber hinaus gehenden Gedanken mehr entwickeln können. Ich finde dies ziemlich trostlos. Bin ich deswegen schon ein Philosoph? Wohl kaum, da Philosophen bekanntlich ja auch Antworten finden. Ich hingegen bin nur ein Suchender, der bis jetzt noch nichts Greifbares entdecken konnte.

Damals jedenfalls war ein Wirrwarr von Gefühlen in mir, die mich auseinanderzureißen drohten. Da ich viele Fragen hatte und sich die Erwachsenen oft durch mich genervt fühlten, musste etwas geschehen. Doch was? Ich starrte auf den Berg, der sich stolz und würdevoll über das Tal erhob. Ganz oben verlor sich der dichte Wald und gab den Blick frei auf einen offenen, lichten Platz, von dem man sicherlich alles rundum überblicken konnte. Dort oben muss man dem Himmel und somit den großen Wahrheiten ganz schön nahe sein, dachte ich und schaute erwartungsvoll in die Höhe. Der Berg hatte mich schon immer angezogen, und ich wusste eigentlich nicht, warum. Ich war noch nie bis zu der kahlen Stelle auf dem Gipfel gekommen. Kein Weg führte direkt dorthin, und meine Geschwister lachten mich aus und meinten: „Da oben war noch kein Mensch. Es gibt dort bestimmt Berggeister.“ Eines wusste ich, und ich spürte es ganz deutlich, während mein Herz wild in mir pochte. Irgendwann werde ich ganz allein da oben sein und in das Tal mit all seinen Menschen hinabblicken. Dann werde ich alles von einer höheren Warte aus betrachten können. Vielleicht werde ich auf dem Berg die Antworten auf meine vielen Fragen bekommen.

 

An einem heißen Spätnachmittag im Sommer war es dann soweit. Ich lag auf der Wiese, meine Eltern und meine Geschwister waren weg und würden erst am späten Abend zurückkehren. Ich war also allein. Ich starrte auf den Berg, aber dieses Mal hatte ich das Gefühl, dass er mich auch anschaute. Ich wusste nun, dass ich nach oben musste. Der Zeitpunkt war gekommen. Jetzt, sofort! Ich stand wie elektrisiert auf und begann, das Tal zu durchschreiten.

Ich nahm die Menschen, denen ich begegnete, kaum noch wahr und ließ nach etwa fünfzehn Minuten das Dorf hinter mir.

Vor mir schlängelte sich ein schmaler Pfad durch eine Blumenwiese an einem Bach entlang. Zunächst ging es etwas bergab, bis ich nach einigen Minuten vor einem dichten, dunklen Wald stand, in den ein breiter, nun ansteigender Weg führte. Es war der Einstieg zum Berg, der sich jetzt in seiner ganzen vollendeten Pracht vor mir ausbreitete.

Zuerst ging es gemächlich bergauf. Der dichte Wald verschluckte einen großen Teil des Tageslichtes, und ich spürte eine angenehme Kühle auf meiner Haut. Nach einer Biegung wurde der Weg plötzlich enger und fester und führte jetzt steil nach oben.

Nichts konnte mich mehr an meinem Vorhaben hindern.

Immer dichter und üppiger schien der Wald zu werden, und ich war schon ziemlich außer Puste, als es weit vorn etwas heller wurde. Es musste eine Lichtung sein. Nach einigen Minuten erreichte ich die Stelle, und zu meinen Erstaunen stellte ich fest, dass nun der Weg zu Ende war. Er verlor sich in einem kleinen Wiesenstück, von dem man einen Blick in ein anderes Tal werfen konnte, aber auf dem Gipfel war ich noch lange nicht.

Oberhalb der Wiese wuchs dichter Wald den Berg empor.

Um an meine von unten fixierte Stelle zu kommen, musste ich jetzt durch den pfadlosen Wald steil nach oben steigen. Ein Dickicht von Zweigen verursachte eine ziemliche Missstimmung in mir. Aber ich kämpfte gegen meine negativen Gefühle an und zwängte mich durch das dichte, unübersichtliche Gestrüpp. Ich nahm es in Kauf, feine und auch größere Äste in meinem Gesicht zu spüren, gelegentlich abzurutschen und mit den Knien auf dem felsigen Boden aufzuschlagen. Nein, ich würde nicht nachgeben. Ich würde mich überwinden und weiter kämpfen, wenn auch inzwischen etwas orientierungslos.

Der Wald ließ gerade noch so viel Tageslicht durch, dass ich mir meinen Weg nach oben bahnen konnte. Wegen der vielen Hindernisse ging es nun aber nur noch langsam voran. Ich versuchte mir vorzustellen, in welcher Richtung die von mir anvisierte Stelle sein konnte, doch mein Vorhaben gestaltete sich schwierig.

Nach einiger Zeit war ich oben angelangt. Es ging nicht mehr höher, aber ich war eingekesselt von dichtem Wald, und von der lichten Stelle auf dem Gipfel fehlte noch immer jede Spur.

Ich musste mich nun für eine Richtung entscheiden. Also weiter nach links, wieder durch Gestrüpp, an dichtem Baumwuchs vorbei. Mittlerweile war ich mit einigen Schrammen versehen und versuchte verbissen, mein Unbehagen nicht zur Kenntnis zu nehmen.

Endlich schien sich meine Tortur ihrem Ende zu nähern. Vor mir rechts wurde es heller. Ich steuerte dorthin und wurde nicht enttäuscht. Ich hatte es geschafft! Vor mir lag ein baumloser, teilweise felsiger und mit Gras bewachsener Platz. Das war die Stelle, die ich immer von unten gesehen hatte. Nun war ich da – oben auf dem Berg.

Ich betrat die Lichtung und hatte die schönste Aussicht, die man sich vorstellen kann. Die Häuser unten im Dorf wirkten wie Miniaturhäuser auf einer Spielwiese. Der Himmel war zum Greifen nahe, aber war ich damit auch den Wahrheiten näher, die ich suchte?

Ich fühlte Erleichterung darüber, den Aufstieg geschafft zu haben und das Tal in seiner vollständigen Länge von oben erblicken zu können. Dennoch war mir nicht ganz wohl in meiner Haut. Der Aufstieg hatte mehr Zeit in Anspruch genommen, als ich ursprünglich geplant hatte, und es fing schon an zu dämmern. Ich wollte mich hier oben noch ein wenig besinnen, aber wenn ich dann den Abmarsch ins Tal beginnen würde, wäre es bereits dunkel.

Was tun? Bei dem Gedanken, in der Dämmerung oder gar in der Dunkelheit den Wald zu durchqueren, erfasste mich ein Schauder. Mir blieb wohl nichts anderes übrig, als die Nacht auf dem Berg zu verbringen.

Ich dachte an meine Eltern, die sich sicher große Sorgen um mich machen würden. Die Dämmerung verstärkte sich, und vom Tal kam der Klang der Kirchturmglocke empor, die den Abend in unserem Dorf einläutete.

Dann war nur noch Stille.

Am Himmel leuchteten die ersten Sterne. Eine schwere Müdigkeit stieg in mir hoch, der ich mich ergeben musste. Neben einem kleinen Felsen dicht am Abgrund legte ich mich in eine mit Gras bewachsene Mulde. Hier verspürte ich eine behagliche Ruhe und genoss die angenehme Wärme des Abends und die abgeschiedene Schönheit dieses von der Sonne verwöhnten Fleckchens Erde. Kein Mensch würde mich hier oben stören. Ich war allein, dem Himmel mit seinen vielen Lichtern nahe, die sich vervielfachten, je dunkler die Nacht hereinbrach.

Ich schloss meine Augen und spürte noch einen leichten Luftzug – dann nichts mehr. Der Schlaf hatte mich eingeholt.

Der Geist der Weisheit antwortet

Etwas Unerklärliches passierte: Ich wusste, dass ich nicht wach war, denn ich hatte den Bezug zu meiner Umgebung verloren. Und doch registrierte ich etwas, das immer näher auf mich zukam.

Es war ein Licht - hell und leuchtend, aber nicht grell. Ich spürte seine angenehme Energie, als es ganz in meiner Nähe Halt machte.

Die Schwingung, die von ihm ausging, berührte mich so angenehm in meinem Innern, dass Worte das Ausmaß dieses Erlebnisses nicht beschreiben können. Das Licht stellte sich mir vor:

„Ich bin der Geist der Weisheit“. Das Licht sprach mit mir! Ich konnte es nicht fassen. So etwas gibt es doch nicht!

„Du hast mich gerufen“, fuhr es fort. „Du möchtest vieles wissen. Ich bin hier, um einen Teil deiner Fragen zu beantworten. Danach werden noch viele Geister kommen und mit dir in einen Dialog treten, um dir zu einem bewussteren, wahrhaftigeren Selbst zu verhelfen und dir viele Zusammenhänge deutlich zu machen. Ich bin der Vorbote. Wir alle kommen aus der Einheit - aus der schöpferischen Kraft, die ihr Menschen Gott nennt. Es ist die Einheit von allem, was ist, die in ihrer höchsten, vollendeten Form absolute Liebe ausdrückt. Alles andere ist eine von euch erschaffene Realität, die letztendlich keinen Bestand haben wird.“

Ich war fassungslos, aber da das Licht bzw. der Geist einen ruhigen und friedvollen Eindruck machte, traute ich mich, eine direkte Frage zu stellen.

„Kannst du mir nicht etwas genauer erklären, woher du kommst? Und bist du vielleicht sogar in der Lage, mir einen Beweis Gottes zu liefern?“

„Oh, junger Mann“, sprach der Geist, „du willst gleich hoch hinaus. Ich war schon immer da, und ich werde immer sein, weil ich nichts als reine Energie bin, die ewig währt. Und in diesem Augenblick hast du mich kraft deiner Gedanken zu dir gerufen. Du musst eines wissen: Alles ist Energie, und entsprechend ihrer Schwingungsfrequenz kann sie die unterschiedlichsten Formen annehmen, die auch materieller Art sein können. So etwas wie reine Materie gibt es nämlich nicht. Und was Gott anbelangt: Hast du noch nie festgestellt, dass der Mensch ein abgrundtiefes Bedürfnis nach etwas Größerem hat, nach dem Absoluten, dem Unvergänglichen, das keiner Zeit unterworfen ist? Nach der totalen Liebe? Dieses Bedürfnis ist bei allen Menschen so groß, dass Gott schon allein deshalb existieren muss. Kann es eine einfachere und deutlichere Erklärung geben?“

„Nein!“, meinte ich. „Ich glaube kaum. Viele Antworten liegen eben doch im Innern des Menschen verborgen, der sie wegen der vielen äußeren Reize aber oft nicht wahrnehmen kann.“

„Du bist gut“, frohlockte der Geist, und sein Licht tanzte um mich herum.

Ich fragte schnell: „Aber dann verstehe ich eines nicht. Warum fügen Menschen sich so viel Schreckliches zu?“

„Das hat etwas mit eurem Ego zu tun“, erklärte der Geist weiter. „Aber das wird dir später der Geist des Egos näher erläutern. Ich sage dir dazu nur so viel: Das, was ist, wird erst durch sein Gegenteil sichtbar, durch das Andere. Wenn das Andere fehlt, kann sich das, was ist, nirgendwo widerspiegeln. Es hat nur sich selbst und kann sich nicht erkennen. Wären beispielsweise alle Menschen geizig, dann könnten sie ihren Geiz nicht erkennen. Dies wird erst dadurch möglich, dass es auch verschwenderische Menschen gibt. Verstehst du? Ohne das Andere hätte das Eine nicht die Möglichkeit, sich einzuschätzen, weil es nichts außer sich selbst kennen und wahrnehmen würde.

Du hast im Leben immer die Wahl und verfügst über ausreichend Möglichkeiten. Wenn du so willst, stellt Gott die Summe aller Möglichkeiten dar. Wie Gott im Großen hast du im Kleinen schöpferische Kräfte, die durch deine Gedanken und deine Überzeugungen wirken. Gott lässt jede Bewusstwerdung und deren Ausagieren zu. Er schränkt die Möglichkeiten nicht ein, denn seine Energie ist in allem vorhanden und in allem wirksam. Aber keine Angst! Denke immer daran, dass die höchste Form Gottes die Energie der Liebe ist, was immer auf der Erde passiert. Dies ist die absolute Wahrheit, an der kein Weg vorbei führt.“

„Aber“, sagte ich ganz aufgeregt, „ich verstehe noch nicht ganz. Warum lässt er so viel Böses zu? Was macht das für einen Sinn?“

„Der Sinn“, sagte der Geist und rückte etwas näher an mich heran, „liegt in der Erfahrung dessen, was der Einzelne oder auch ein Kollektiv beschließt. Das kann gut oder schlecht sein, und das hängt auch davon ab, wie ihr die Dinge bewertet. Schlimm ist eine Entscheidung gegen die Liebe, gegen die Mitmenschlichkeit und gegen die Freiheit des Einzelnen, denn Liebe und Freiheit sind die höchsten schöpferischen Prinzipien. Das sogenannte Böse existiert nicht isoliert. Der Nährboden des Bösen ist immer das Ego: Selbstsucht, Mangel an Liebe, Intoleranz gegenüber dem Anderen. Die Ursache dafür ist das Nichtbewusstsein des Göttlichen. Eine kategorische Trennung von Gott und dem Bösen kann nicht vollzogen werden, denn Gott räumt ja dem menschlichen Ego die Möglichkeit ein, Böses zu tun. Da Gott die absolute Freiheit ist, ist in seinen Planungen auch das Böse enthalten. Es soll kein Mensch glauben, dass er irgend etwas tun kann, was Gott nicht bereits als Möglichkeit erschaffen hat. Alles ist durch Gott erst möglich, da außer Gott nichts existiert. In der Einheit Gottes sind alle dualistischen Widersprüche vollständig erfasst und aufgelöst, und deshalb können auch mehrere widersprüchliche Wahrheiten in einem Raum existieren. Das Böse ist immer der Ausdruck eines mangelnden Gottesbewusstseins.“

„Was hat es dann mit der Hölle auf sich?“ fragte ich neugierig. „Gibt es sie?“

„Dies ist eine der schamlosesten und dümmsten Erfindungen der Menschen“, erwiderte der Geist. „Warum sollte Gott eine ewige Hölle zulassen, wenn er bei all den schlimmen Verbrechen, die sich die Menschen gegenseitig zufügen, nicht eingreift? Überlege doch! Ein Beobachter, der nicht hilft, macht sich mitschuldig, oder etwa nicht?“

„Ja, da hast du eigentlich recht“, bestätigte ich.

„Also würde Gott sich selbst verurteilen, was ziemlich unwahrscheinlich ist. Weißt du, die Hölle ist die schlimmste denkbare Konsequenz von Gedanken, Bewusstsein, Einstellungen und Handlungen. Da sich aber auf dem kosmischen Rad alles ständig verändert, ist auch die Erfahrung der ‚Hölle‘ nur vorübergehender Natur. Hölle ist ein vorübergehender Bewusstseinszustand und ändert sich zwangsläufig. Alles Veränderliche hat mit der letztendlichen Wahrheit nichts zu tun.“

„Was ist die letzte Wahrheit?“, fragte ich.

„Oh“, antwortete der Geist und mir schien fast, als würde er mich anlächeln. „Ich erwähnte es bereits, aber es ist wohl sehr schwer zu verstehen. Alles ist eins. Gott ist der Prozess, die Energie, aus der alles geworden ist und die in allem wirkt. Gott ist aber auch der Schöpfer des Prozesses, in dem er sich selbst erfährt. Gott ist reines Sein und in seiner höchsten Reinheit absolute Liebe, das stärkste Gefühl, das existiert.“

 

„Man kann sich das praktisch wirklich nur sehr schwer vorstellen“, entgegnete ich, „aber kannst du mir noch etwas über den Sinn des Lebens sagen?“

Der Geist erklärte: „Weißt du, das ganze Leben ist im höheren Sinne eine einzige Erfahrung Gottes. Gott ist keine personifizierte Erscheinung, er oder es erlebt sich in allem, was ist, und ist auch in der Lage, jede äußere Form anzunehmen. Du kannst dir sicherlich vorstellen, dass bei den Milliarden von Galaxien noch viele andere Schöpfungen entstanden sind. Gott möchte sich ausdrücken und sein Wissen in Erfahrung umsetzen, denn was nützt das reine Wissen, wenn es nicht erfahrbar wird? Aus wissendem Sein wird wissendes erfahrenes Sein. Das ist der Sinn! Das Leben drückt somit ein Ereignis von Möglichkeiten aus. Auf den Menschen bezogen bedeutet dies, dass individueller Lebenssinn entsteht, wenn ein Mensch eine Leidenschaft für eine bestimmte Sache entwickelt, ein Interesse entdeckt oder Hingabe erfährt. Dies gilt gleichermaßen für alle Menschen. Wie sich nun der Lebensinhalt eines Menschen artikuliert, ist natürlich auch individuell verschieden.“

Hier beendete der Geist seinen Vortrag und fragte mich, ob ich noch etwas wissen wollte. Er war offenbar ganz versessen darauf, auf all meine Fragen zu antworten.

„Ja – auf jeden Fall! Ich habe noch eine Frage!“

„Dann stelle sie doch“, forderte der Geist.

„Wie entstehen schöpferische Kräfte? Kannst du dies noch deutlicher erklären?“

„Aber sicher! Durch deine Gedanken. Die Gedanken eines Menschen versuchen sich in der äußeren Realität zu manifestieren. Realität spiegelt das Denken wider. Die kraftvolle Energie der Gedanken wird vom Glauben an eine bestimmte Sache gespeist. So entsteht die Welt. Bilden Wunsch, Gefühl, Wille und Glaube eine Einheit, dann entsteht ein schöpferischer Akt, der seinen Ursprung in den Gedanken bzw. im Bewusstsein hat. Darum übe stets Gedankendisziplin. Mit deinen Gedanken ziehst du alles an, das Gute und das Schlechte - also auch das, was du eigentlich nicht erfahren möchtest. Es kommt hierbei auf die Dauer und auf die Intensität deiner Gedanken an. So wie du denkst, fühlst du dich auch, und so erschaffst du dich ständig neu. Wichtig ist nicht, was du im Außen erfährst, sondern wie du darüber denkst, wie du es in deinem Innern verarbeitest. Auf diese Art transportierst du dein eigenes Ich sozusagen nach außen."

„Kannst du mir den Unterschied zwischen Sein und Denken noch etwas genauer erläutern?“

„Sehr gerne, aber es wird sicherlich etwas schwierig“, meinte der Geist, und das wunderschöne Licht rückte wieder ein Stückchen näher an mich heran. „Sein ist - Denken tut. Sein ist die erste Ursache und verursacht alles. So wie du bist, so fühlst du dich und so denkst du auch über dich. Andererseits bist du so, wie du über dich denkst. Wie du siehst, entsteht hier ein Kreislauf. Dieser hat seinen Ursprung im Sein, aus dem das Denken hervorgeht. Alles was jemals war, ist und sein wird, existiert im ewigen Moment des Jetzt. Mit deinem Denken verursachst du eine Erfahrung vom Sein, das du zu sein glaubst, ohne dass jedoch deine wirkliche Identität – die reine Energie, das reine Sein - davon berührt wird. Du erschaffst mit deinen Gedanken kein neues Sein, sondern holst dir lediglich etwas von dem, was ist und was immer schon existiert hat. Gedanken sind somit auch Illusionen, die dem, was ist, subjektive Bewertungen und Bedeutungen geben. Das wahre Sein wird durch das Denken nicht beeinflusst, denn das würde eine Veränderung Gottes bedeuten. Gott ist unbewegt und bewegt dennoch alles. Gott ist der unbewegte Beweger.

Obwohl du das Sein als Ursache von allem ansehen kannst, ist es kein Prozess, durch den etwas geschieht. Es ist eher ein Gewahrseins-Zustand oder ein Bewusstseinszustand, der unmittelbar dann eintritt, wenn du eine Wahl triffst. Das Denken als schöpferischer Akt hingegen ist ein zeitlicher Prozess, durch den dem Sein die Möglichkeit der Erfahrbarkeit eingeräumt wird. Näheres wird dir der Geist der Phantasie erklären, der sich dir noch vorstellen wird, denn das Denken beherbergt ein ungeheures Potential an Phantasie. Doch eins nach dem andern. Nur noch so viel: Denken benötigt Zeit. Wenn du dir in Gedanken ein Wunschbild von dir machst, kann das auch zu dem Gedanken führen, dass du diesem Bild noch gar nicht entsprichst. Verneinungen im Denken können dich in deinem Wachstum hemmen. Sie können Zweifel an der Realisierbarkeit deiner Ziele nähren und damit deren Realisierbarkeit erst verhindern. Sei darum vorsichtig. Denken erschafft häufig Probleme, da das Sein sofort eintritt. Hast du schon einmal ohne ersichtliche Ursache Dankbarkeit empfunden? Warst du schon einmal grundlos glücklich - einfach so?“

„Ja - mit Sicherheit!“

„Siehst du! So ist es mit dem Sein. Es ist sofort zur Stelle - ohne Nachdenken! Es wäre also besser, wenn du dich in Zukunft bewusst für einen bestimmten Seinszustand entscheidest, da du auf diesem Wege viel Zeit sparst. Hast du dies verstanden?“

„Ich glaube schon“, entgegnete ich nachdenklich. „Es wird allerdings sehr schwer umsetzbar sein, da es ein vollständiges Umdenken erfordert.“

„Psst! Unterlasse dein Denken! Sei einfach!“

„Mmh. Kannst du mir noch etwas über den Sinn der Religionen sagen?“

„Oh, das ist ein weites Feld. Zunächst musst du wissen, dass das Wort ‚re-ligio‘ lateinischen Ursprungs ist und Rückverbindung bedeutet. Gemeint ist natürlich die Wiedervereinigung mit Gott. Dies haben alle Religionen gemeinsam. Sie haben die Absicht, den Menschen Gott näher zu bringen. Sie legen ihm Verhaltensweisen bzw. Einstellungen ans Herz, mit denen er besser werden und sich als würdig erweisen kann, in Gottes Reich aufgenommen zu werden. Wie ich allerdings schon erwähnte, wird Gott von vielen frommen Menschen personifiziert und damit auf ein allzu menschliches Maß reduziert.

Gemäß der christlichen Religion ist Gott ein liebender Gott, gleichzeitig aber auch ein Rachegott, der die Menschen in die Hölle schickt, wenn sie nicht an ihn glauben. Dadurch wird Gott zu einem neurotischen Diktator oder Monarchen, der den Glauben an ihn fordert und seine Untertanen bestraft, wenn sie dem nicht nachkommen. Wie absurd! Die wahre Gottheit ist die Einheit von allem, was ist, und steht jenseits jeder Dualität. Religionen sehen den Menschen oft als von Gott getrennt, doch das ist eine Illusion. Ein Mensch kann sich letztlich das Ausmaß Gottes nicht vorstellen, doch die Gottesreduktionen, die unter dem Deckmantel der Gerechtigkeit ins Leben gerufen werden, zeugen von einer sehr selektiven Wahrnehmung. Die Menschen unterschätzen, was wahre Macht bedeutet. Gott hat es nicht nötig, dass jemand an ihn glaubt. Der Glaube an Gott ist eine Frage des Erinnerns - Erinnerung an den Ursprung des eigentlichen Seins. Noch einmal: Gott ist in allem, was ist.

Jede äußere Erscheinung trägt das Wesen der wahren Wirklichkeit in sich. Es gibt letztendlich kein Ausweichen vor der Wahrheit. Gott ist unausweichlich. Das ist die wirkliche Macht. Eine Macht, die nichts zu fordern hat, die einfach nur wirkt und sich in allem erfährt, was ist.

Die Steigerung des Glaubens an Gott ist das sich Bewusstwerden Gottes. Du spürst dann eine Kraft in dir, die mit deinem Ego nichts zu tun hat. Wenn du nun versuchst, dieses Gefühl auf andere Menschen zu übertragen, wirst du dein Getrenntsein von Gott und den anderen Menschen als Illusion erkennen. Alles ist Eins. Damit ist auch die Frage des Bösen geklärt, das übrigens nicht vom Teufel stammt. Den gibt es nämlich nicht. Er ist eine Erfindung des Menschen und personifiziert das Böse, das aus dem Denken bzw. dem Bewusstsein kommt. Die Hölle, in der angeblich der Teufel herrscht, existiert nicht, sonst gäbe es einen Bereich, in dem Gott keinen Einfluss hat. Merkst du etwas? Auch hier liegt eine Gottesreduktion vor. Im übrigen: Kann es denn wirklich gerecht sein, für menschliche Verbrechen die ewige Hölle zu fordern? Allein der Glaube daran ist – banal ausgedrückt - schon böse. Du siehst, böses Denken und Tun entspringen einem falschen Bewusstsein, das nicht auf einem einheitlichen, auf Gott ausgerichteten Denken beruht. Aber Gut und Böse sind im Grunde genommen philosophische Polaritäten, die dem irdischen Zeitgeist unterworfen sind und in euren Gesellschaften nicht einmal eine gleichbleibende Definition erfahren. Dagegen sind Liebe und Mitmenschlichkeit Konstanten im Bedürfnis aller Menschen, in der psychischen Sensibilität. Das ist es, was zählt! Der Geist des Egos, der nach mir folgt, wird dir erläutern, was diese Grundbedürfnisse überdeckt.

Doch stellen wir uns zum Schluss folgende Frage: Was muss ein Mensch verinnerlichen, um weise zu sein? Wodurch zeichnet sich das Alltagsbewusstsein eines so genannten Weisen aus?

Der Weise denkt, fühlt und lebt stets im Bewusstsein des Ganzen. Er weiß, dass er nicht von dieser Welt ist, dass er aber mit ihr verbunden ist, und er handelt im kosmischen Bewusstsein, das die Welt mit einbezieht. Das individuelle Bewusstsein ist somit untrennbar mit dem Ganzen verknüpft und ist kraft der unendlichen schöpferischen Mannigfaltigkeit dennoch frei.

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