Hausmannskost statt Hummer am Reisrand

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Hausmannskost statt Hummer am Reisrand
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Ich war in meinem Beruf viel unterwegs. Ich erinnere mich dadurch an zahlreiche Orte, die ich besucht habe, und an die Geschichten, die ich dort mit unterschiedlichsten Menschen erlebt habe. Im letzten Jahr gedieh dann, leider unfreiwillig, die Idee zu diesem Buch: ich wurde arbeitslos. Plötzlich waren meine Frau und ich mit einer Situation konfrontiert, die doch eigentlich immer nur anderen passierte. Jetzt hieß die große Show auf einmal nicht mehr „Wünsch Dir was“, sondern: „So isset.“

Ich möchte mit dem Leser zwei Dinge teilen, denn meine plötzliche Arbeitslosigkeit hat mich einen gedanklichen Summenstrich ziehen lassen. Diese Zwischenbilanz, die Erfahrung, die ich reichlich mit meinen Mitmenschen gemacht habe, verarbeite ich im Kapitel „Typen gibt’s“. In dieser Zeit ist aber auch guter Rat teuer, denn billigen bekommt man zahlreich. Die Axiome der Arbeitslosigkeit sollen helfen, auf diese Situationen vorbereitet zu sein, indem ich meine eigenen Erfahrungen und die von Menschen, mit denen ich über das Thema gesprochen habe, schildere.

Wer sollte das Buch lesen? Nun, ich denke, es gibt verschiedene Zielgruppen, deshalb habe ich auch kein klar umrissenes Beuteschema. Ich hoffe, ich kann mit meinen Axiomen Menschen, die in der gleichen Situation sind wie ich, ein wenig meine Erfahrung näherbringen und somit den täglichen Umgang mit ihrer Arbeitslosigkeit erleichtern. Vielleicht interessiert sich der ein oder andere, der aktuell nicht in dieser Situation steckt, aber auch für das Gefühlskarussell, für das man eine Jahreskarte gelöst hat. Außerdem hoffe ich, mit meiner bewusst gewählten lockeren Schreibweise den Umgang mit dem Stoff zu erleichtern. Das hat auch den Vorteil, dass das Lesen Spaß macht, denn bierernste Themen gibt es genug auf der Welt. Ob als Bettlektüre, auf dem Klo oder im Flugzeug: Viel Vergnügen!

Thimo Beil wurde in einer kleinen deutschen Stadt nahe der niederländischen Grenze geboren. Aufgewachsen ist er als Sohn eines Versicherungskaufmanns und einer Schneiderin. Nach der Realschule trat er seine Ausbildung bei einer großen Privatbank an und wechselte später zu einem weltweit agierenden DAX-Konzern.

Die Liebe zu seinem Fußballverein hat ihn auf all seinen Wegen begleitet. Egal, ob er in Frankfurt, Bonn oder New York lebte. Ein Sitz im Stadion blieb stets für ihn reserviert. Heute lebt er mit seiner Frau und seinem Hund im Süden der Republik, in München.

Impressum

Hausmannskost statt Hummer am Reisrand

Thimo Beil

published by: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

Copyright: © 2011 Thimo Beil (ThB)

ISBN 978-3-8442-1993-7

Lektorat: Tom Seidel - www.die-korrigierer.de

1.Erst mal vorweg 6

2.Was bisher geschah 15

3.Typen gibt‘s 34

4.Die 10 Axiome der Arbeitslosigkeit 123

5.Schlusswort 210

Erst mal vorweg

Ich – 36 Jahre alt, männlich, glücklich verheiratet – bin ein recht einfach denkender Mensch. Ich würde nicht sagen: ein einfacher Mensch (weder intellektuell noch im Umgang), aber ich habe meine klaren Prinzipien, meine Vorlieben und zu den meisten Sachen eine klare Meinung. So liebe ich es auch, am Wochenende mal lange zu schlafen. Vor allem wenn am Abend zuvor mal wieder der Wein eher in Strömen geflossen ist. Ein ausgedehntes Frühstück, gerne mal so gegen elf, Kaffee, ruhige Musik, oder auch keine. Danach das iPad geschnappt und je nach Jahreszeit in den Loungesessel auf der Terrasse oder auf das Sofa gefläzt. Nachmittags mit der Zwergrauhhaardackeldame durch den Wald wetzen und dann wieder essen und fläzen. Ein schönes Wochenende eben. Ich treffe gerne Freunde, bin aber auf der anderen Seite auch immer wieder für einen gemütlichen und ruhigen Abend am Kamin oder im Garten zu haben, je nach Jahreszeit. Zu einem gemütlichen Tag gehört für mich ein guter Wein oder auch gerne mal ein leckerer Whiskey.

Die Grundidee zu einem Buch entstand schon vor Jahren. Ich war in meinem Beruf viel unterwegs. Es gibt keinen Kontinent, auf dem ich noch nicht war, mit Ausnahme der Antarktis. Es gibt keine wesentliche Hauptstadt, die ich ausgelassen habe. Ich habe es in sämtlichen Meilenprogrammen bis zum Goldstandard geschafft und eine Zeit lang war das für mich auch wichtig. Mein Beruf hat es mir ermöglicht, am Leben des Jetsets teilzunehmen und einige Jahre im Ausland zu leben. Ich habe mit den großen Tieren dieser Welt am Konferenztisch oder beim Mittagessen gesessen. Ich war eingeladen zu großen Bällen oder zum Dinner in Restaurants, deren Preise mein persönliches Kreditkartenlimit locker zum Bersten gebracht hätten. Das Beste daran war aber, dass ich so viele unterschiedliche Menschen verschiedener Herkunft, Kultur und Couleur getroffen habe. Der Aufhänger und rote Faden meines Buches sollte ehemals ein im wahrsten Sinne des Wortes stilles Örtchen sein. Der vorgesehene Titel „Die Toiletten dieser Welt“ macht wohl klar, was ich meine. Das Stehklo in Frankreich und das wasserspeiende Monstrum mit vorgewärmtem Sitz in Japan sind wohl Beispiele, die mancher kennt. Sicher ist die Erinnerung an solche Orte nicht immer angenehm. Sie kennen doch gewiss die schönen, goldbraunen, glatten, kleinen Fliesen, mit denen man früher Badezimmer gefliest hat. Es gab sie alternativ auch in Grün oder Orange. In meiner Erinnerung waren sie aber meist ockerfarben. Ein Traum in Hornhaut-Umbra. Wenn man die Türe zum Bad geöffnet hat, hätte man denken können, das Bernsteinzimmer wiedergefunden zu haben.

Aber dieses und ähnliche Bilder waren gut für die Erinnerungen. Ich erinnere mich dadurch an zahlreiche Orte, die ich besucht habe, und an die Geschichten, die ich dort mit unterschiedlichsten Menschen erlebt habe. Der Traum von diesem Buch zerplatzte allerdings, als meine Frau während unserer Zeit in New York freudestrahlend mit einem Buch mit dem gleichen Titel in unsere Wohnung platzte. Der Titel war zwar auf Englisch, aber es ging hierbei wirklich um Toiletten mit entsprechender Bebilderung. Ich habe meine Idee daraufhin verworfen.

Im letzten Jahr gedieh dann die Idee zu diesem Buch, das Sie gerade in der Hand halten. Leider nicht ganz freiwillig, denn was dieses Jahr für uns bereithielt, passt in keiner Weise auf die berühmte Kuhhaut. Auf die Ereignisse im Einzelnen möchte ich nicht eingehen, denn es waren keine erfreulichen. Die Palette reichte vom Beinaheabstieg meines Fußballvereins bis hin zum Tode sehr lieber Menschen. Ein durchweg gebrauchtes Jahr. Zum Knicken, Lochen und Abheften. Am besten zum Schreddern. Oder wie Kajo Neukirchen, ehemals Chef der Metallgesellschaft, einmal zu der Studie eines Analysten meinte: gelesen, gelacht, gelocht. Nur das uns wenig zum Lachen zumute war. Das große Finale aber hielt das Schicksal noch für das Jahresende zurück. Ich hatte mich nach reiflicher Überlegung entschlossen, den Beruf zu wechseln, und hatte einen fertig ausgehandelten und von beiden Seiten unterschriebenen Vertrag mit einer international agierenden Investmentbank in der Tasche. Wir zogen um und waren dabei sogar sehr glücklich, unser „altes Leben“ durch den Tapetenwechsel hinter uns zu lassen. Sicherlich ist so ein Jahr im Laufe eines Lebens nur ein Spuckefleck auf dem Bordstein der Weltgeschichte. Für uns allerdings war der Umzug in die nach zahlreicher Meinung schönste Stadt Deutschlands, München, auch ein symbolischer Akt, denn die Dichte an schlechten Nachrichten in diesem Jahr war, wie gesagt, extrem hoch. Und dann kam der große Bumms: der Laden wurde über Nacht zugemacht und zwei Wochen nach unserem großen Umzug stand ich ohne Job da. Gut, ein weiteres Opfer der Finanzkrise, kann man denken. Aber blöd war, dass ich ein gemachtes Nest bei Prosch&Co., meinem alten Arbeitgeber, verlassen hatte. Ich komme später nochmals, bei der Behandlung der Axiome, auf die Gefühle zurück, die einen dann durchzucken, und warum der Blick zurück und das Bereuen Fluch und Segen sein können. Aber plötzlich waren meine Frau und ich mit einer Situation konfrontiert, die doch eigentlich immer nur anderen passierte. Jetzt hieß die große Show auf einmal nicht mehr „Wünsch Dir was“, sondern „So isset.“

Irgendwo falsch aufgetreten und durchs Raster gefallen. Eine gute Zeit, jetzt in Panik zu verfallen, dann steht man später nicht mit den anderen in der Schlange. Aber wie gesagt, zu den Lehren daraus komme ich noch. Jedenfalls ist in dieser Zeit die Idee zu diesem Buch entstanden.

Ich möchte mit dem Leser zwei Dinge teilen, denn meine im letzten Jahr plötzlich aufgekommene Arbeitslosigkeit hat mich eine Art gedanklichen Summenstrich ziehen lassen. Es begann zum einen ein neuer Lebensabschnitt, zum anderen kappte dieses Ereignis auch Bindungen und bisherige Gewohnheiten. Diese gedankliche Zwischenbilanz, die Erfahrung, die ich reichlich mit meinen Mitmenschen gemacht habe, verarbeite ich im Kapitel „Typen gibt’s“. Ich versuche auch in einigen Fällen Lösungsansätze zu liefern, wie man mit den unterschiedlichsten Charakteren umgehen kann. Das ist natürlich eine Meinung, nämlich meine, und nicht notwendigerweise die richtige. Aber vielleicht kann sie zumindest als Anhaltspunkt dienen. Man sagt ja, dass der erste Schritt zu wahrer Größe der sei, dem anderen das Anderssein zu verzeihen. Gut, gebongt. Aber wo wäre der Spaß im Leben, wenn man sich nicht zumindest mal ein bisschen über andere lustig machen darf und über sie lästern kann. Deshalb habe ich meine Beschreibungen mit ein wenig Humor und Sarkasmus gewürzt.

In dieser Zeit, wie ich sie erlebt habe, ist aber auch guter Rat teuer, denn billigen bekommt man zahlreich. Es ist keine einfache Zeit, selbst wenn man in der glücklichen Lage ist, nicht augenblicklich auch auf den finanziellen Ruin zuzusteuern. Man ist für viele seiner Kontakte von heute auf morgen nicht mehr interessant und das bekommt man auch deutlich zu spüren. Sicherlich, es gibt Tage, da verliert man, und dann gibt es Tage, da gewinnen die anderen. Sagte auch schon Otto Rehagel. Es gibt gute Tage und es gibt schlechte Tage, aber die Bandbreite der Stimmungsschwankungen ist mitunter schon extrem hoch. Auch Intraday, wie man an der Börse so schön sagt. Mit den Axiomen der Arbeitslosigkeit will ich helfen, auf diese Situationen vorbereitet zu sein, indem ich meine eigenen Erfahrungen und die von Menschen, mit denen ich über das Thema gesprochen habe, schildere. Jeder erlebt sie anders, ganz klar. Jeder hat andere Interessen und Möglichkeiten, auch klar. Aber im Grundsatz glaube ich, dass diese Gefühle auf jeden auf die eine oder andere Weise einstürzen. Ich will beschreiben, was mir geholfen hat, und Ideen geben, was Betroffenen helfen kann. Natürlich muss jeder für sich Entscheidungen treffen und wissen, was das Beste ist. Aber die Axiome der Arbeitslosigkeit helfen zumindest, sich mit der Situation auseinanderzusetzen und bald festzustellen: man ist nicht allein. Einige der Axiome sind sogar auf andere Krisengebiete oder sogar ganz einfach für das tägliche Leben anwendbar.

 

Sowohl meine Einschätzung über die verschiedenen Typen, die mir im Laufe des Lebens über den Weg gejoggt sind, als auch die Axiome werden, da bin ich mir ganz sicher, keiner ernsthaften wissenschaftlichen Prüfung standhalten. Sollen sie aber auch nicht. Denn eine Erfahrung, die ich im Leben gemacht habe, ist, dass Theorie eine nette Grundlage sein kann, aber die Praxis das A und O ist. Sehen Sie, ich habe in meinem Leben niemals eine Universität oder Hochschule von innen gesehen. O.K., das stimmt nicht ganz, wenn man die Tage der offenen Tür einrechnet. Und wenn mich jemand, was in meiner Position häufig vorkam, weil Menschen anscheinend glauben, jemand auf dem Posten muss studiert haben, fragte, welche akademische Laufbahn ich genommen habe, dann war meine Antwort immer: „Ich habe das Liebesleben der südsibirischen Schabrackentapire in den Spätwerken Kafkas erforscht.“ Die Blicke, die ich dann geerntet habe, sind mit Worten nur schwer zu beschreiben. Es wurde dann meistens so still, dass ich dachte, ich könnte meine eigene Zellteilung hören.

Wer sollte das Buch lesen? Nun, ich denke, es gibt verschiedene Zielgruppen, deshalb habe ich auch kein klar umrissenes Beuteschema. Ich hoffe, ich kann mit meinen Axiomen Menschen, die in der gleichen Situation sind wie ich, ein wenig meine Erfahrung näherbringen und somit den täglichen Umgang mit ihrer Arbeitslosigkeit erleichtern. Vielleicht interessiert sich der ein oder andere, der aktuell nicht in dieser Situation steckt, aber auch für das Gefühlskarussell, für das man eine Jahreskarte gelöst hat. Die Typen, die ich beschreibe, kennt sicherlich jeder. Außerdem hoffe ich, mit meiner bewusst gewählten lockeren Schreibweise den Umgang mit dem Stoff zu erleichtern. Das hat auch den Vorteil, dass das Lesen Spaß macht, denn bierernste Themen gibt es genug auf der Welt. Ob als Bettlektüre, auf dem Klo oder im Flugzeug: Spaß muss sein!

Bevor ich loslege, denke ich, macht es Sinn, ein wenig mehr über mich zu erfahren. Das hilft dem Leser, meine Gedankengänge nachzuvollziehen und zu verstehen, warum ich das eine oder andere so sehe und sage.

Übrigens: Die Namen aller Personen sind frei erfunden. Die Handlungen mögen einigen bekannt vorkommen, zumindest in Teilen. Denn ich bin nach dem Motto vorgegangen: „Never let a few facts stand in the way of a good story.“ Ein wenig dichterische Freiheit habe ich mir übrigens also auch gegönnt. Man möge es mir verzeihen oder es lassen. Denn mittlerweile handele ich vermehrt nach dem Motto: „Lieber einen guten Freund verlieren als eine gute Pointe.“ Ich würde niemals ernsthaft auf Kosten eines guten Freundes einen groben Scherz machen. Es sei denn, ich weiß, er ist dabei, kann das abhaben und wird es mir bei Gelegenheit mit gleicher Münze heimzahlen. Aber ich habe im Laufe der Zeit aufgrund der gemachten Erfahrungen die Definition von „Freund“ auch erheblich verändert, um nicht zu sagen, enger gefasst.

Was bisher geschah

Eigentlich. Was für ein Wort. Ein selten doofes Wort. Ein Wort, das für mich in eine Reihe gehört mit dem Satz „Das haben wir schon immer so gemacht.“ Oder mit Neonröhren als Zimmerbeleuchtung. Da bekomme ich heute noch Ausschlag, wenn ich daran denke. Wir hatten solche im Wohnzimmer. Früher war das ja so. Es gab sie als gerade Röhre oder als Ring und das Licht war furchtbar. Instantpusteln. Kombiniert mit Gelsenkirchener Barock an Geschmacklosigkeit nicht mehr zu toppen. Höchstens noch durch die Badezimmereinrichtung, über die ich mich bereits ausgelassen habe. Oder von Frauen, die sich eine einzelne grüne oder lilafarbene Strähne ins ansonsten braun getönte Haar färben lassen, wohlgemerkt nicht zu Karneval. Es hat mich stets geschüttelt und es überkommt mich heute noch ein Schauer des Grauens, wenn ich einen Raum mit eingeschalteten Neonröhren betrete. Eigentlich kann das Wort ‚eigentlich‘ ja gar nichts dafür, es liegt eher daran, wie es die Menschen benutzen. Ich kann mich noch an die Einführung des Euro-Bargeldes erinnern. Jeder fing plötzlich an die neuen Euro-Münzen aus sämtlichen teilnehmenden Ländern zu sammeln. Und einige Wochen, bevor der Euro offizielles Barzahlungsmittel wurde, konnte man sich bei seiner Bank und in den Postämtern einen Beutel mit einer Grundausstattung an Münzen abholen. Ich sollte für meinen Vater zu unserem Postamt fahren, um dort ein Paket für ihn abzuholen. Ich sehe die Szene heute noch vor mir. Eine ältere Dame holte sich ihre Ration Euro von der damals noch hinter einem Schalter und durch dickes Glas geschützten Mitarbeiterin des Postamts ab. Sie wollte aber auch ein zweites Beutelchen haben, um es ihrer Enkelin schenken zu können. „Eigentlich nur eines pro Person“, sagte die Dame hinter dem Schalter. Und schob ihr das zweite zeitgleich über die Theke. Warum hält sie nicht einfach die Klappe und gibt es ihr oder bleibt dabei und sagt: „Nein, nur eines pro Person.“ Was hat das Wort „eigentlich“ da zu suchen? Was heißt das eigentlich? Ich habe gelernt, dass Menschen dieses Wort gerne verwenden, aber selten in seiner eigentlichen Bedeutung. Ein anderes Beispiel ist mir noch kürzlich widerfahren. Ich wollte ein Hotel im Spessart reservieren und frage, seitdem wir unseren kleinen Hund haben, da gerne im Vorhinein nach, ob der überhaupt erlaubt ist. In vielen Hotels ist das nicht der Fall, verständlich, wenn man sieht, wie achtlos manche Hundebesitzer mit der Hoteleinrichtung umgehen. Da möchte ich gar nicht wissen, wie es bei denen zu Hause aussieht. Ich habe also dem Hotel eine E-Mail geschrieben und gefragt, ob Hunde erlaubt sind. Die Antwort kam auch prompt. Man dankte mir für mein Interesse und würde sich freuen, uns im Hause als Gäste begrüßen zu dürfen. „Zu Ihrer Frage bezüglich Ihres Hundes: eigentlich sind bei uns seit dem 1.1.2012 Hunde strengstens verboten. Aber wenn es nur ein kleiner Hund ist, machen wir für eine Gebühr von 12 Euro pro Nacht gerne eine Ausnahme.“ Ist ja nett, aber was denn nun? Streng verboten oder nur manchmal und durch den Bakschisch doch erlaubt? Eigentlich eben.

Nun zu mir. Ich wurde in einer Stadt nahe der niederländischen Grenze geboren, vor rund 36 Jahren. Aufgewachsen bin ich als Sohn eines Versicherungskaufmanns (der als Maler anfing) und einer Schneiderin. Ich habe eine Schwester, die sieben Jahre älter ist. Ich hatte eine tolle Jugend. Klar, das sieht man immer erst hinterher ein, aber ich habe meinen Eltern vieles zu verdanken. Wir waren nicht reich, aber uns hat es, anders als vorherigen Generationen oder sogar anderen aus meinem Zeitalter, nie an etwas gemangelt. Wir hatten ein Haus mit Garten, ich hatte ein eigenes Zimmer (es war natürlich aus meiner Sicht viel zu klein, aber es war perfekt, weil meins). Ich hatte viele Freunde in der Nachbarschaft, mit den meisten bin ich zusammen fast 20 Jahre lang aufgewachsen. Wir haben gemeinsam die Schulbank gedrückt und nach der Schule gemeinsam „vor der Tür“ gespielt. Und wir hatten ein Auto. Das erste Auto, an das ich mich erinnern kann, war eine Ente. Das zweite ein VW Golf und dann machte sich der Wohlstand breit und wir bekamen einen Mercedes, einen 240 D. Der beschleunigte zwar von 0 auf 100 in weniger als drei Wochen, aber für damalige Verhältnisse war das ein echt tolles Ding. Würde ich gerne heute noch einmal fahren, einfach mal so, die alte Hämorrhoidenschaukel. In den Urlaub ging es, seitdem ich denken kann (manche behaupten, das sei noch nicht so lange her, aber hey!), mit dem Wohnwagen. Seit meinem dritten Lebensjahr kenne ich Urlaub nur in den rollenden vier Wänden. Es mag sein, dass hier ein paar der holländischen Gene über die Grenze geweht wurden, denn unser Haus stand nur etwa 500 Meter von der Grenze entfernt, die aber eigentlich keine wirkliche Grenze war. Ich bin damit aufgewachsen, dass wir immer schon über die Grenze spazieren oder fahren konnten, wann wir es wollten. Das war nach Holland der Fall, ebenso nach Belgien. Denn mein Wohnort lag im Dreiländereck. Die einzige Hürde war ein Zöllner an unserem kleinen Grenzübergang, den im Ort jeder nur „Klappergebiss“ nannte. Er war – oder sah zumindest so aus – schon etwas älteren Jahrgangs und der einzige Zöllner an dieser Grenze, der selbst die Autos, die erkennbar aus der Region kamen, anhielt und dumme Fragen stellte. Ich erinnere mich noch heute an die Dialoge meines Vaters mit ihm, der sich immer fürchterlich über den Grenzer aufregen konnte. „Haben Sie etwas zu verzollen?“ „Nein, habe ich nicht.“ Natürlich hatten wir den Kofferraum voll Kaffee, der „drüben“ billiger war. „Haben Sie in Holland getankt?“ „Nein, habe ich nicht.“ Natürlich war der Tank randvoll mit Diesel, der in Holland damals ungefähr die Hälfte kostete. „Was haben Sie dann drüben gemacht?“ „Ich habe Kunden besucht.“ Mein Vater war ja Versicherungsvertreter und er hatte tatsächlich viele Kunden jenseits der damals noch existierenden Grenze. Meistens Deutsche, die nach Holland gezogen waren, weil die Häuser dort günstiger waren und man dennoch nicht weit zur Arbeitsstelle in Deutschland fahren musste. „Und warum haben Sie Ihren Sohn dabei?“ Mein Vater, nie um eine Antwort verlegen, sagte nur: „Der sitzt da seit gestern, wir bekommen die Kindersicherung nicht mehr auf.“ Und dann gab er Gas. Den wahren Namen von Klappergebiss habe ich nie erfahren, aber wenn ich heute an sein Gesicht zurückdenke, dann habe ich das Bild von Erich Honecker im Kopf, so ähnlich hat auch er ausgesehen. Viele Jahre später erlebte ich selbst eine Situation, die mich doch sehr an diese erinnerte. Ich flog beruflich nach Florida und landete zunächst auf dem internationalen Flughafen in Miami. Da die Amerikaner ein Volk sind, das gerne auch einmal in hektische Panik ausbricht (versuchen Sie mal in einem Supermarkt in New York noch Wassergalonen zu erhaschen, wenn ein Blizzard angesagt ist, da erleben Sie Szenen, die stellen selbst den Kampf um die letzte Banane in der DDR noch in den Schatten), hatte man dort beachtliche Gerätschaften zum Auffinden von Essbarem im Gepäck der Einreisenden aufgestellt. Man hatte Angst vor dem Import der Maul- und Klauenseuche. Bitte, ich möchte mich darüber nicht lustig machen, aber wer einmal erlebt hat, wie man in den USA darauf reagiert, wenn einer nur einen kleinen Schnupfen hat und dreimal hintereinander niest, der weiß, wovon ich spreche. Ich hatte also schon die Zollkontrolle hinter mich gebracht und stratzte mit meinem gerade vom Gepäckband abgeholten Koffer Richtung Ausgang, da musste ich meine Habe inklusive Handgepäck nochmals in eine Röhre pressen, um sie auf frische Lebensmittel untersuchen zu lassen. Natürlich war ich mir meiner Sache sicher und tat wie befohlen. Plötzlich stoppte das Band und ich hörte den finster dreinblickenden Menschen hinter dem Monitor etwas von „Second Inspection“ brabbeln, also eine zweite Durchsuchung. Und dann folgte das ganze Programm. Koffer auf, Rucksack auf, alles durchwühlen. Zu meiner eigenen Überraschung tauchte aus meinem Rucksack eine Packung Schokoriegel mit Milchfüllung auf, Kinderschokolade eben. Und der Zöllner hatte so etwas natürlich noch nicht gesehen. Der Dialog spielte sich genauso ab. „Was ist das denn“? „Sieht aus wie Schokolade.“ „Und was ist das Weiße da?“ „Könnte eine Milchfüllung sein.“ „Finden Sie das witzig?“ „Nein, lecker, aber ich weiß nicht, wo die herkommt. Ich denke, meine Frau hat sie mir heimlich eingesteckt.“ „Das ändert nichts daran, dass Sie die nicht einführen dürfen.“ „Aber das ist doch nur Schokolade.“ „Und was noch?“ „Milch.“ „Und wo kommt die Milch her?“ „Aus einer Kuh.“ „Eben, und das kommt hier nicht rein.“ „Aber die sind lecker.“ „Echt?“ Die Szene endete damit, dass wir die Packung öffneten und den Inhalt zusammen verdrückten. Das ist also noch mal gut gegangen. Ob der Zöllner nun nach Feierabend aufgrund der Tatsache, dass er möglicherweise verseuchte Milch verputzt hatte, nicht mehr ins Land durfte, weiß ich leider nicht.

 

Unser erster Wohnwagen war einer der Marke „Knauss“. Eine winzige Flitzpiepe, aber er konnte von unserem Golf GLS (mit 75 PS) gezogen werden. Das Ding bot gerade einmal ausreichend Platz für uns vier. Die Katze, die später immer mit in Urlaub fuhr, hatten wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Es waren zwei Betten vorhanden – besser gesagt, man konnte die beiden Sitzgruppen in zwei solche verwandeln –, aber keine Heizung. Und dieser Umstand wurde uns einmal zum Verhängnis, als wir eines Morgens allesamt bibbernd in Mulartshütte (einem Kaff in der Eifel) aufwachten, weil es über Nacht plötzlich eiskalt geworden war und geschneit hatte. Der anschließend erworbene Elektroheizer brachte auch nicht die erwünschte Wirkung und sorgte nur dafür, dass die Sicherung für unseren Stellplatz ständig heraussprang. Und mit ihr die der anderen Camper auf dem Platz. Um die Geschichte abzukürzen: wir bekamen einen neuen Wohnwagen und noch einen neuen und so weiter. Die Gefährte inklusive Auto wuchsen mit fortschreitenden Einkünften meines Vaters. Und die neueren Modelle hatten neben einer Heizung sogar einen eigenen Waschraum mit eigener Toilette. Die Dinger hießen Porta Potti. Da passte gerade einmal ein Kinderhintern drauf, gespült wurde mit einer anfangs blauen Flüssigkeit mit dem Namen Aquakem, indem man mit der Hand pumpte. Die späteren Modelle hatten eine elektronische Spülung und das fortschreitende Umweltbewusstsein brachte solche Dinge wie Biokem hervor. Den Unterschied in der Zusammensetzung kann und will ich Ihnen nicht erklären, ich weiß nur noch, dass dieses Zeug grün war statt blau. Wir haben die verschiedensten Städte und Regionen besucht. Wenn wir nicht gereist sind, stand der Wohnwagen auf einem sogenannten Dauerstellplatz rund 30 Kilometer entfernt von unserem Wohnort, und da sind wir jeden Freitagnachmittag hin. Da war alles, was man sich als Kind wünschte: andere Kinder, viel Natur, ein Baggersee und viele nette Camper, die es gut mit einem meinten. Ich hatte in meinen ganz jungen Jahren mit einer Bronchitis zu kämpfen und so kam es, dass wir auf Rat unseres Hausarztes häufig an die Nordsee fuhren. An die deutsche Nordsee. Das ist aus Sicht eines Grenzländers nicht ganz so selbstverständlich, denn der Teil der Nordsee, der am nächsten lag, war die holländische Nordsee. Genauer gesagt die Insel Walcheren mit ihren wunderschönen Örtchen Westkappelle und Zoutelande. Um nur zwei zu nennen, in denen die Menschen aus meiner Region an jedem langen Wochenende einfallen, um sich an Friet Speciaal und Bitterballen gütlich zu halten.

Uns aber hat es zur deutschen Nordsee gezogen. Wir sind, glaube ich, hintereinander sieben Jahre an die gleiche Stelle gefahren. Ein Kaff mit Namen Nordholz, mit einem Campingplatz in einem dazugehörigen noch kleineren Kaff genannt Spieka-Neufeld. Der Campingplatz lag vor dem Deich, er war also gewissermaßen ungeschützt den Launen der Nordsee ausgeliefert. Für uns Kinder war es ein Traum. Man traf sich jedes Jahr wieder, es kamen immer wieder neue Camper dazu. Ich hatte mich recht schnell in ein blondes Mädchen namens Birgit verknallt, ich meine, ich war nicht mal fünf und sie war ein paar Jahre älter, aber wir hatten eine gewisse Sympathie füreinander. Dabei kenne ich nicht mal ihren Nachnamen. Für mich war sie immer die Birgit aus Höxter. Sie war jedes Jahr dort, die Familie hatte einen Dauerstellplatz. Für uns Kinder war dieser Platz das Paradies. Als Platzwart, Kassierer, Putzkolonne fungierte ein älterer Herr mit seiner Frau, die beiden hießen Schade. Im Grunde war der Platz einfach nur eine Wiese. Man stand mit seinem Wohnwagen direkt an der Fahrrinne, durch welche die Krabbenkutter hereinfuhren und den Fang 300 m weiter landeinwärts von Bord luden. Ein herrliches Spektakel. Man bekam als Kind von den Fischern eine Handvoll Krabben für 50 Pfennig. Und wir Kinder hatten schnell raus, wie wir an dieses Geld herankommen konnten, ohne unsere Eltern anzupumpen. Es war ein ständiges Kommen und Gehen auf dem Platz und hilfreiche Hände – auch wenn es Kinderhände waren – wurden immer gebraucht. So kurz wir noch waren, hatten wir aber durchaus schon Erfahrung im Aufbauen von Zelten, dem Aufbocken von Wohnwagen auf die Stützen, damit sie nicht wackeln. Wir holten auch Frischwasser und was sonst noch so anfiel und wir erledigen konnten. Dabei fiel immer die eine oder andere Mark ab. Frisch zu Geld gekommen warteten wir auf die Kutter versuchten möglichst noch vor diesen am Anlageplatz zu sein. Die Schiffe waren durchnummeriert, sie trugen die Namen Spieka 1, Spieka 2 und so weiter. Jeder von uns hatte sein Lieblingsschiff. Meins war blau, den Namen – bzw. die Nummer – weiß ich leider nicht mehr. Aber es war ein großer Spaß, wir durften in die Krabbenkisten greifen und uns eine Handvoll rausholen. Die Krabben waren bereits gekocht, das wurde auf dem Schiff erledigt, aber ungepult, wie man dort sagt. Also haben wir uns die Viecher gegriffen und in unsere Öljacken gesteckt. Damit sind wir dann zum Platz zurückgetrottet und haben erst mal weitergespielt und irgendwann die Krabben gepult und verdrückt. Der Effekt war natürlich, dass die Jacken unendlich nach Fisch stanken – das ging nie wieder raus und hat nicht gerade für große Erheiterung im heimischen Wohnwagen geführt. Ich kann Ihnen versichern, da war der Imperator (auch genannt Mama) schwer am Sicken. Häufig kamen wir auch von oben bis unten mit Schlamm verdreckt wieder. Warum? Weil wir uns entweder bei Ebbe in irgendeinem Priel gesuhlt oder mal wieder in der leeren Fahrrinne nach Krebsen gesucht hatten. In einigen Jahren gab es regelrechte Quallenplagen und die Biester konnten eine stattliche Größe annehmen. Während das beim Schwimmen in der Fahrrinne recht lästig war und die Quallen noch in der besseren Position waren, rächten wir uns bei Ebbe fürchterlich. Chinaböller! Einer pro Qualle – wie gesagt, die waren groß – und es flogen im wahrsten Sinne des Wortes die Fetzen. Danach war immer eine ausgiebige Dusche angesagt. Aber so gerne ich das heute über mich ergehen lasse, so sehr habe ich damals das Wasser aus einer Leitung von oben gehasst. Ich habe geschrien wie am Spieß und der ganze Campingplatz wusste sofort: da wird Thimo wieder gequält. Dazu kam noch, dass die Toiletten und Duschen in einem Container untergebracht waren. Ich erinnere mich noch an eine rotgraue Außenfarbe, der Innenraum war giftgrün, eine Farbe, die ich später noch mal im Aachener Klinikum wiedersah. Manchmal kam das Wasser aber nicht nur von oben, sondern auch in Form einer Sturmflut oder Springflut von unten, indem die Nordsee sich auf dem Land breit machte, auf dem die Wohnwagen und Zelte standen. Zur Erinnerung: wir waren vor dem Deich, da war also nichts zwischen uns und der See. Im Grunde war das eine Riesengeschichte für Erwachsene und Kinder. Es war ja niemand wirklich in Lebensgefahr, aber man wollte natürlich vermeiden, dass das Wasser den Wohnwagen und/oder das Zelt umschließt. So wurde bei entsprechender Warnung Nachtwache gehalten. Das Ganze kam einmal pro Urlaub vor. Die Erwachsenen nutzten das nasskalte Wetter, das so eine Sturmflut mit sich brachte, als Vorwand, sich von innen zu wärmen. Ich habe mir als Kind nicht merken können, welche Art Wärmemittel eingesetzt wurden. Wenn es dann allerdings so weit war, dass das Salzwasser an die Wagen klopfte, mussten diese natürlich entsprechend weggeschoben werden, denn der gesamte Platz war recht schnell überflutet. Es war also einiges zu tun. Jetzt muss man sich die Szene wie folgt vorstellen: betrunkene Erwachsene schieben singend Wohnwagen durch die Gegend und johlende Kinder ringsherum feuerten sie dabei an. Es ist nie etwas Ernstes passiert, aber eigentlich grenzt es an ein Wunder, dass nicht einer der Wagen plötzlich in der Fahrrinne gelandet ist statt auf dem Trockenen. Die beste Szene allerdings hatten wir in einem Jahr, in dem das Wasser ungefähr einen halben Meter hoch stand. Alle Wohnwagen waren bereits weggeräumt, plötzlich entdeckte noch jemand ein Zelt in den Fluten, das fest im Boden verankert war. Wir näherten uns also alle diesem Zelt und bemerkten, dass noch jemand im Zelt war. Alle riefen quer durcheinander „Nicht den Reißverschluss öffnen, wir ziehen Euch weg, nicht aufmachen.“ Das hielt den Berliner Besitzer des Zeltes nicht davon ab, doch den Reißverschluss zu öffnen und nachzusehen, was denn da draußen vor sich geht. Ich glaube die Töpfe, Luftmatratzen, Schuhe, T-Shirts wurden nie wieder gesehen. Alle nahmen es mit Humor und als Anlass, sich noch mal aufzuwärmen. Auch der Berliner.