Kinderlandverschickung

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Kinderlandverschickung
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Ted Moré

„Kinderlandverschickung“.

Ein Haus-Aufsatz.

Erziehungs- und Lehrjahre eines Junka!

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Kinderlandverschickung

Ted Moré

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II. Teil
von „Es war einmal im Ruhrpott!“

Noch einmal für alle neuen Leser:

Das ist der Anfang und „Beginn“ einer weitgreifenden, langen und mit großem Anlauf ausholenden „Quasselei“ von einem Simulierer aufgeschrieben. Der hat wirklich nur Gedanken darauf verwendet Geschehnisse aus den unteren Schichten einer bestimmten Volks-Sorte festzuhalten.

Also berichtet der Simulierer von dem was er feststellt:

Damals, als die ersehnte Sauerlandlinie fertig war und man endlich von Dortmund ganz einfach mit dem Auto nach Frankfurt fahren konnte, hatte Dortmund schon die Traumstraße die als Zubringer zur Autobahn und Empfangsstraße für Sauerländer gedacht war die immer schon gerne mal in die, für sauerländische Begriffe, Weltstadt Dortmund einreisten. Zumindest war sie mal die Bierstadt mit Weltruhm. Das hat man der Stadt abgewöhnt!

Man hat Dortmund auch abgewöhnt die Industriestadt „Wasweißich“ zu sein.

Jedenfalls und trotzdem hat Dortmund ein Theater mit dem Mut „Das Treffen von Telgte“ von Günter Grass als Oper aufzuführen.

In Dortmund fand Öffentlichkeit statt, aber man sagt der DAB Turm wird nicht angenommen.

Und der Simulierer will sowas wie einen Roman zusammenbasteln. Einen Roman aus alltäglichen Gesprächen und untersten Lebens-Ansprüchen. Er möchte auch feststellen, dass es gefährlich ist für denjenigen der aus diesem Milieu ausbrechen möchte. Schon wenn er den Gedanken daran mal zum Ausdruck bringt macht er sich bereits verdächtig und die „Exekutive“ schreibt ihn auf ihr Merkblatt.

Davon wird berichtet.

Wenn von solchen Dingen erzählt werden soll, dann muss man in eine „Ecke“ gehen wo sich Hase und Fuchs „Gute Nacht“ sagen. Und das ist Süd. Mehr ist nicht nötig.

Das ist nämlich so: Durch Süd geht eine Hauptstraße von Stadthausen nach Herne und die heißt Bochumer Straße. Auf dieser Straße fährt die Straßenbahn. Vom Neumarkt aus sechs Kilometer bis rein nach Stadthausen, zwei Kilometer und ein paar gequetschte weiter rein nach Herne. Süd teilt die Bochumer Straße in „König-Ludwig“ und „Grulbad“. Die Einwohner beider Viertel gehen nach Süd, wenn sie Einkaufen gehen oder was zu „besorgen“ haben. Mehr nicht.

Stadthausen hat sich immer schon von diesem Stadtteil distanziert, denn da kommt man sich vor. Man hat zwar „Ruhrfestspiele“ aber sonst? – Die Rennbahn war Hillerheide, eine Ecke wo man nicht einmal wohnt.

Hochlarmark wartet darauf Wintersportgebiet zu werden. Die Strecken für Loipen, Abfahrten, Sprungchancen und Biathlon sind vorgesehen. Es fehlt nur der Investor, oder ein Politiker der sich traut Aufreißer zu sein. Mit dem Koks der unter den Bergen liegt könnte man gut und gerne eine Winter-Olympiade finanzieren, aber es fehlen die Luxusquartiere für die Funktionäre, die Freudenhäuser für die Langeweile nach Mitternacht, aber ehemalige Bullenkloster für Sportler sind reichlich vorhanden, nur weiß keiner mehr was damit gemeint ist. Kann man leicht erklären: gemeint sind die ehemaligen Berglehrlingsheime!

Doch in dieser Ecke soll ein Schicksal beginnen um die Geschichte aufrecht zu erhalten. Und da geht der Simulierer zurück auf neunzehnhundertachtundzwanzig und zeichnet auf was er weiß und wovon man redete.

Doch da ist noch was, denn der Simulierer ist ein Märchenerzähler und umgibt sich gerne mit märchenhaften Geschichten und Geschehnissen. Das macht auch verdächtig, aber, wenn man plattdeutsch als einen Teil des Dialekts dieser Landschaft dazu nimmt, dass aber in zwei verschiedenen Arten, nämlich münsterländisch und sauerländisch, dann kommt man auf den Kiepenkerl der in beiden Sprachgebieten zu Hause ist.

Geht man von da weg in die Landeshauptstadt Düsseldorf, eine stinkbürgerliche Stadt mit Sinn für Stuss und Staat, dann trifft man auf einen Hoppeditz von dem man nur zur Karnevalszeit erfährt. Der soll da wohl irgendwie und irgendwo im Planetarium, aber „Nix Genaues kann man nicht sagen!“. Der Simulierer aber erlaubt sich beide Gestalten ins Rennen zu bringen, und damit nicht genug, sie haben einen „Neuen“ in die Lehre genommen. Einen Bullemann.

Und nun genug mit der Vorrede!

Es geht los.

Der Simulierer berichtet.

Wenn etwa ein Autofahrer neunzehnhundertzweiundsiebzig die Sauerlandlinie der Autobahn verließ um nach Dortmund rein zu kurven empfing ihn in der Dämmerung eine festlich beleuchtete Traumstraße die in die City der Ruhrgebietsmetropole führt. Begleitet wurde damals die Einfahrt in die europäische Bierhauptstadt mit einem Geruch von verfaulten Eiern, denn „Kalla Höschs Werke verhütteten und verbreiteten den Gestank von Schwefelwasserstoffsuperoxyd und schlimmer.

Heute ist nix mehr mit Kalla Hösch. Der Tierpark liegt da von dicken Bäumen umgeben und ein See lädt ein zum Umrunden.

Der Gestank von den faulen Eiern verließ den Autofahrer erst nach der Brücke über den Ruhrschnellweg, der von Kennern auch Ruhrschleichweg genannt wird, und da, an der ersten Ampel, erwartet den Einreisenden eine Knippskiste damit die Erfolgsquote der Executive in die Höhe geschraubt wird, ohne großen Aufwand an Menschen.

Ein Lächeln huschte immer über die Züge der Autofahrer, wenn wer über die Blitzanlage einen Sack stülpte und dann galt freie Fahrt dem Tüchtigen.

Da stand damals ein „Hochhaus“ von einer Krankenversicherung, und da in Dortmund nicht mehr so viel teure Unterhaltung stattfindet, sprengte man das Hochhaus weg.

Junka der oft nach Dortmund kurvte hatte nichts gegen „Pollis“ zu denen allgemein Bullen gesagt wird, während die Amerikaner der zwanziger Jahre den Ausdruck „Plattfüßer“ gebrauchten. Junka fand die Namensgebungen, der Satire-Zeitschrift „Pardon“, „Polli“ für sich passend und bürgerte sie sich ein. „Pardon“, die Satirezeitschrift sprach auch beim Gummiknüppel vom Erfrischungsstäbchen, was sich dann wieder durchsetzte und vom „Pinkelfritzchen“ sprach man als vom Wasserwerfer. Man empfahl auch Schildchen zur Erkennung: „Ich bin der Polli Herbert und wer bist du?“

Man sollte sich jetzt beeilen nach Dortmund zu kommen bevor die Stadt nur noch aus Borussia besteht, zu dem Schalker Ost-Lüdenscheid sagen, wogegen die Schalker ein Nordherner-Verein sind.

Dortmund. Früher ein Eldorado an Brauereien, Kneipen, Gasthäusern, stolzen Häusern die der Gaststättenbezeichnung aus dem Wege gingen und sich Haus Weitkamp und ähnlich westfälisch nannten, und so Bürgerlichkeit und Qualität voraussetzten. Stehbierkneipen luden einmal kurz an die Theke zu gehen, zu gucken wer da ist, was zu hören oder einfach nur um zu gucken, oder um zu sehen wie der Wirt das Bier zapft, was schon fast einer Religion gleichkam.

Alles weg!

Dortmunds Delikatess-Laden im Zentrum? „Was soll das denn sein?“

Schmiere aufs Brot aus der Tube! „Sale!“ „Sale!“ Sale!“

Stofflager bei Karstadt? - Im Norden ist Kanaken-Markt. Stoffe kosten Meter ein Euro!

„Kanaken?“ aus dem Hawaiianischen ist zum Schimpfwort geworden seit es die Legionäre brauchten um von ihren Heldentaten in Dien-Bien-Fu zu berichten.

„Malinkrodthof? Kanze hingehn, aber nimm n paah Mann mit Kalaschnikow mit, sonst siehsse alt aus!“

Totengräber? Industriesterben?

Wer sagt denn Sowas? Das ist ein Uhrwerk. Da greift eins ins andere, so heißt das im Volksmund. Auf der Strecke bleiben die denen es genügt, dass sie in engen Wohnungen aufeinander hocken, denn was Anderes haben sie nicht gelernt. Hauptsache man hat einen „Job“, so heißt das salopp.

Das Familienleben hat einer Unordnung Platz gemacht die inzwischen schon wieder eine Ordnung ist, aber keiner hat einen Durchblick. Zu den Laumalochern, den Stippmalochern und den Klinkenputzern vergangener Zeit kommen jetzt die „Harz-Vierer“ dazu, und manch Einer ist gezwungen von Jugend auf dahingehend zu trainieren.

In gewissen Kreisen ist die Bildungsfeindlichkeit Pflicht und die Volksbolde und andere „Quatschmacher“ die man nicht bei ihren selbsterfundenen Namen nennen darf, sonst bilden die sich was darauf ein, verstärken Unwissen und lassen Ideen aus geistigem Dünnschiss auf die Menschheit los. Sie reden so geschwollen daher, dass ihnen die, die im Leerlauf gegen imaginäre Wände rennen Glauben schenken.

Das müssen sie auch und sagen: „Es bleibt Einem nichts Anderes übrig!“

A Street Car named disire!

Der Simulierer nimmt sich vor an Zeiten mit Masemattern, Kawenzmännern, Schockfreiern, Krakusen und „musikalischen Kaufleuten“ zu erinnern. Er berührt auch die braunen Uniformen und die Schnorranten die kurz vor Marktschluss loszogen „Schnäppchen“ zu machen und beschreibt die „Kafferienkes“, die Besucher die selbstverständlich eine Hauptrolle auf Kirmesplätzen spielen und die Szene ist auffallend, ausschließlich und fern einer falsch verstandenen Emanzipation. „Gehmilos-Fürsawashab ich keine Zeit!“, ist ein Spruch unter Vielen. Irgendwie schweben die Gedanken einer Frau von Stein als Vorbild oder Anhaltspunkt durch die Geographie, aber bestimmt nicht mit durch Lesen beschaffenen Durchblick. Nur so von Hörensagen.

Für den Arbeiter verwaltet die Frau das Geld und damit hat es sich. Die Dominanz der Gebärenden ist allgegenwärtig. Sparsam im Haushalt, jedenfalls offensichtlich, ansonsten charmant. Diplomatisch, bestimmend oder vierschrötig, resolut und schweigsam. Angeborenes ist Pflicht. Das meint Affenliebe zu den eignen Kindern und ansonsten das Rechthaberische einer Despotin.

 

„Unser Herrgott hat einen großen Tiergarten!“

Wenn Parteibonzen mit ihren breitabstehenden Breecheshosen die in Stiefeln mündeten vorbeikamen und besonders gerade gingen, dann zuckten Malocher Beine um in die verkniffenen Ärsche hinein zu treten. Bei Frauen sind Malocher zahm. Unsicher, aber scharf wie Nachbars Lumpi.

Das war und ist der Alltag. Ein Alltag mit Kadavergehorsam und Staatsunterwürfigkeit als erste Bürgerpflicht. Eine Unterwürfigkeit die vor jeder Uniform „Haltung“ annahm.

Doch da war Irgendwas dagegen. Es mag sein, dass es keine Personen waren. Es kann auch sein, dass es bei dem Einen oder dem Anderen zündete, dass er vier Jahre lang im dicksten Dreck für die Eigensinnigkeit und Verbohrtheit eines „Oberen“, eines Wohlgeborenen oder über den Dingen stehenden ein von Gott geschenktes Leben zur Verfügung stellte, aber ohne irgendwelche Sicherheiten oder in Aussicht gestellte reale Meriten. Das Leib und Leben der „Anderen“ hatte er zu beseitigen, das eigene Leben einzusetzen, Rauben und Morden sollte er auf Befehl, aber das galt doch nicht als Lehre, obgleich im Alltag? Ein bisschen was davon konnte man für den Alltag schon gebrauchen. Nur stellt sich die Frage wie? Und da lichtete sich ein dicker, schwarzer Dunst, ließ den einen oder anderen Sonnenstrahl durch wie einen blitzartigen, sekundenlangen Blitzstrahl der ins Gehirn traf und da ein Schlösschen öffnete. Ein Schlösschen in einem Türchen zu einem Räumchen mit einem Einfall. Und dieser Einfall stellte sich als wesentlicher heraus als jedes Gerede von einem Volksbolden der mit Fahnen, Plakaten und „wir wollen!“ durch die Gegend brüllte.

Und da sind zwei Gestalten die durch Wind und Wetter unterwegs sind, mit Hans und Kranz zusammentreffen hier was hören, da was vermuten und abwartend zuschauen und recht haben in ihrem Bedenken. Das ist der Kiepenkerl. Der muss gescheit einkaufen, seine Kundschaft im Kopf und im Blick haben und schließlich deren Bedürfnisse befriedigen. Im Grunde lebt sein Geschäft von Kleinigkeiten, von den Dingen die man bei großen Einkäufen vergisst, oder außer Acht lässt. Die großen Geschäfte nimmt er gerne mit, aber er verlässt sich nicht darauf. Er sagt: „Kleinvieh macht auch Mist!“ Er verkauft und gibt als Zugabe gute Ratschläge. Und wenn er einen Ratschlag braucht, dann weiß er immer an wen er sich wenden kann. Er hat allerdings im Augenblick, und soweit das der Simulierer übersehen kann, nur einen Ansprechpartner der wirklichen Zeit hat, Das ist Hoppediez. Eigentlich zuständig für die Jahreszeit zwischen dem elften im Elften und Aschermittwoch. Für den rheinischen Karneval, aber ausschließlich für Düsseldorf. Karnevalisten sind eben todernste Eigenbrötler.

Kiepenkärl und Hoppediez fanden sich zusammen als der große Krieg mit den vielen Verlusten an Menschen, Material infolge Dummheit oder Verbohrtheit von Großköpfigen verloren ging und eine Demokratie oder so ähnlich begann.

Krieg, so schrecklich er auch immer sein kann, kann für manchen Menschen eine Lehre sein. Nicht so, dass er im Nachhinein einen neuen Beruf ergreifen kann, aber mit der einen oder anderen Erfahrung kann er sich in Zukunft sein Leben etwas leichter oder sogar besser gestalten. Der eine lernt das Schmieden, der andere lernt das Reiten, der nächste kann plötzlich kochen, und einer lernt eine Fremdsprache, mancher auch Lesen und Schreiben, oder ein Automobil zu steuern, vielleicht auch ein Flugzeug. Das sind Dinge die im Durcheinander eines Krieges einem Menschen plötzlich geschehen können. Und da, gesucht und gefunden, sind zwei Supergeister von deren heimlicher Tätigkeit keiner weiß, aber die der Meinung sind: „Wir wollen mal sehen ob wir nicht irgendwelche Menschen finden die durch Schaden kluge geworden sind und das als eine ansteckende Krankheit weiterverbreiten können!“ Da sich die beiden nicht genug waren, das Ruhrgebiet noch nicht so alt war, suchten sie einen Typen der in ihre Pantoffel passte und nannten ihn Bullemann. Den setzten sie in die Gegend wo Kadavergehorsam und den Arsch zusammenkneifen zum Alltag gehören und sagten: „Geh mal kuckt ob du da wat ausrichten kannst!“ Und Bullemann ging und sondierte das Gelände.

Er richtete sich ein wie ein Kostgänger, erzählte von sich nicht viel, aber er suchte und fand den einen oder anderen Zeitgenossen und daraus formte er eine Clique die sich nicht so leicht die Wurst vom Brot klauen ließen. Das ging nicht immer glatt, aber was geht schon ohne Stolpersteine auf dieser Welt?

Albert-Leo-Schlageter-Platz.

Und es klickert so etwas Wasser, in einem Rinnsal, dem „Kürtelbecken“ von der Ruhrstraße entgegen, Wasser mit einem Ursprung aus klitzekleiner Quelle und überflüssigem Grund- und Regenwasser, das einigen Fröschen Grundlage gibt sich darinnen zu vermehren. Warum? Damit Kinder mit einem dicken Stecken Jagd auf sie machen können. Sie erzählen sich auch davon, dass man Frösche, mit einem Strohhalm in den Hintern stecken, aufblasen kann. Hat zwar keiner gemacht, aber man redete den Nachbarsjungen oder auch Besuchskind wie einen Blödmann an und wartete darauf das der auf die Scheißhausparole reinfiel.

1 Die halbseitig bebaute Ruhrstraße hatte viele Kinder, so dass auf jede zwei Zimmerwohnung im Durchschnitt gut und gerne drei Kinder kamen deren Spielplatz die Straße war und blieb, denn für „de Blagen“ hatte ein Verwaltungsbeamter kein Verständnis oder Geld, womit man sich immer verständlich ausdrückte. Wenn man ihn, Junka, fragte Antwort wo er denn wohne, antwortete er stets: „Inne Düppelstraße!“ Wahrscheinlich war da mal was geplant, aber der Tag ist lang und lange Bänke stehen in allen Ämtern herum und darauf muss ja was geschoben werden.

2 Damals bestand diese Düppelstraße aus einem Haus mittendrin, und da fand auch Leben statt. Leben mit Kindern, mit Krach um Jauche und andere stinkenden Alltäglichkeiten. Man achtete sehr auf sein Stück Land und bestellte es rechtzeitig und mehr oder weniger sorgfältig. Das Ergebnis waren die Pfründen des kleinen Mannes der damit seinen Lebensstandard aufbesserte.

Als damals Wadeck Donna Clara heiratete und arbeitslos war, boten seine Eltern an bei Ihnen zu wohnen, denn die Zeche wies ihnen vor vielen Jahren vier Zimmer Wohnraum in diesem Haus zu. Als Wadeck heiratete war nur noch ein Sohn von ehemaligen fünf Kindern im Haus, und wenn sich das jungverheiratete Paar begnügte, dann konnte man es in einem Zimmer wohnen lassen. Das Zugeständnis taten sie, die alten Leute und Großeltern. Sie hatten nur noch einen Sohn mit Namen Paul im Haus und für den blieb eine schräge Kammer als Schlafstube, denn er hatte auch keine Arbeit und saß bei seinen Eltern mit am Tisch.

Junka wohnte hier bereits fünf Jahre als seine Großmutter starb, sein Onkel Paul Arbeit bekam, kurz darauf, achtzehnjährig heiratete und nun als Bergmann Anspruch auf Wohnung machte. Das ergab Krach mit seinem Bruder Wadeck, das ist Junkas Vater. Es artete aus bis zur Beschwerde bei der Zechenwohnungsverwaltung die den Umstand, dass ein Nicht-Bergmann in ihren heiligen, miserablen Wohnräumen sein Leben fristete bestimmt nicht duldete, zudem Wadeck bei ihnen auf einem besonderen Index stand, da er damals in der Franzosenzeit einem Steiger in die Fresse schlug, was man Meuterei unter Tage nannte. Das ist unverzeihlich.

Und jetzt? Wadeck hatte Arbeit. Zunächst an der Autobahn und dann wurden wieder Wohnhäuser und andere Bauten in die Stadt gestellt. Wadeck arbeitete am Bau und wurde als Maurer beschäftigt. Den Beruf hatte er sehr gerne. Vor allen Dingen liebte er die Regelmäßigkeit des täglichen Arbeitens.

Donna Clara beschaffte sich die eine und die andere Putzstelle, teilte sich dabei ihre Zeit so ein, dass sie immer noch Gelegenheit hatte auf dem Wochenmarkt als Verkäuferin für Obst und Gemüse zu arbeiten, und um auch sonntags noch Lose auf der Kirmes zu verkaufen. Sie arbeitete unregelmäßig und wenn man so will: Nebenbei und ohne irgendeine Steuerkarte.

Nun, in ihrer Freizeit ging sie auf Wohnungssuche und erzählte von ihren Misserfolgen. Es gab Wohnungen in Kellern, über einem Pferdestall, auf dem Hof einer Speditionsfirma mit Tag- und Nachtbetrieb. Wohnungen mit allem Komfort und miese Hucken.

Der Krach mit „Onkel Paul“. So nannte ihn Junka, erhöhte sich gefährlich, doch da kam Donna Clara mit einem annehmbaren Vorschlag daher. Es war aber eine bescheidene Preisfrage, wie sie das nannte. Es kam ihr was zu Hilfe: Opa Wadeck mochte nicht mit seinem jüngsten Sohn Paul zusammenwohnen, weil der und seine junge Frau überhaupt nicht wirtschaften konnten und irgendwie kein solides Leben führten. Als nun Donna Clara damit herausrückte, dass die angebotene Wohnung drei Zimmer habe, ein Zimmer eine Treppe höher, und sie mit der Wohnungsinhabe mit zwei Zimmern auskommen würde, sah die Sache schon anders aus. Die Zweizimmerwohnung sei abgeschlossen mit einem Korridor, einer Toilette und fließend Wasser in der Wohnküche, da war man sich schnell einig und schon am nächsten Tag ging sie mit Wadeck in das Büro der Baufirma und sie machten den Mietvertrag.

Junka der alles mitbekam, war sehr gespannt auf die neue Umgebung. Er stellte sich das als das große Wunder vor, denn abgeschlossene Wohnung und elektrisches Licht, abgesehen davon, dass er es sehr nah bis zur Schule bekam. Irgendwie gelang Donna Clara mit dieser Wohnung ein Glückstreffer. Gemessen an dem was sie bisher als Wohnräume behauste, ging es nun mindestens eine Stufe höher. Es war ganz in ihrem Sinne, denn auch sie wollte etwas „Besseres“ sein.

Wieso, warum und weshalb? Wenn man schon mit „Vorliebe“ heiraten musste, ein gewisses Elend einem auf den Hacken blieb, dann musste man doch mal das Gefühl haben das es etwas aufwärtsgeht.

Wadeck fuhr mit dem Fahrrad, mit seinem alten Fahrrad zur Arbeit und zog zur Fahrt nur eine Jacke über Arbeitshemd und Arbeitshose an. So aber wollte er nicht in die neue Wohnung gehen, da waren allerhand Arbeiten zu tun, und deshalb zog er sich an der Baustelle in der Bau-Bude um und kam „ordentlich“ angezogen mit einem Hut auf dem Kopf an der neuen Wohnung an. Donna Clara beschaffte tagsüber die Farben und Tapeten. Utensilien die man braucht eine Wohnung zu einem Nest nach eigenem Geschmack zu gestalten.

Das, dieses „Das mit den Möbeln“ war eine andere Sache und da nunmehr Platz vorhanden war die Wohnküche mit zwei Schränken zu bestücken ließen sie den zweiten Schrank, den größeren, anliefern. Das Sofa bekam einen neuen Überzug, aber zu einem Schlafzimmer mit dem ordentlichen Zubehör Waschkommode, Kleiderschrank, zwei Betten mit Nachtkonsolen hatten sie es noch nicht geschafft. Das musste noch warten. Ein „Mantelstock“ ersetzte den Kleiderschrank, aber die Betten füllten Strohsäcke die einmal im Jahr frisches Stroh bekamen. Sie schafften die Strohsäcke zur Nacht, im Dunklen und auf Schleichwegen ins neue Schlafgemach. Eigentlich erfuhr Junka nichts davon, denn das geschah in seiner Schlafenszeit.

Opa Wadeck band immer zwei Gartenwerkzeuge sorgfältig zu einem Paket zusammen und transportierte sie in die neuen Kellerräume, denn zu der Wohnung gehörten zwei Kellerräume, den einen um ihn für Holz und Kohlen zur Lagerung zu nutzen und den anderen um Gartengeräte, Eingemachtes und Kartoffeln zu lagern. Es wanderte auch das eine oder andere Haushaltsteil „im Keller“.

Opa Wadeck erkundigte sofort ob er auch einen Hasenstall, zu dem man Karnickelstall sagte, bauen dürfte. Das gestattete der Hauswirt.

Es war nicht mehr weit bis Ostern und deshalb wurde es Zeit den Garten zu bearbeiten. Das tat Opa Wadeck mit Bravour. Der Nachbar stellte ihm zusätzlich sein Gartenstück zur Verfügung und das nahm er gerne an.

Dann glänzte die Wohnung mit neuen Tapeten und frisch gestrichenen Türen und Fenstern. Der Tag des Umzugs in die neue Wohnung näherte sich mit aller Wucht, und eines Morgens stand das Fuhrwerk vor dem Haus in der Düppelstraße und Junka sagte dem Pferd „Guten Morgen“ und versuchte Streicheleinheiten anzubringen, was selbstverständlich mit einer Warnung verbunden gehörte. Junka vermutete, dass bestimmt einmal ein Pferd ein Kind gefressen oder in die Luft gefeuert hatte. Man konnte nie wissen, aber eigentlich haben Pferde weiche Nüstern und sind Leckereien gegenüber nicht abgeneigt. Sie fühlen sich sehr weich an.

Es kamen die Umzugs-Hilfen und man trug Dinge vor die Tür und Möller verpackte sie in dem Wagen. Der Wäschekorb, gefüllt mit Porzellan wobei jedes Teil einzeln in Zeitungspapier gehüllt keinen Schaden erleiden konnte. Zahlreiche Dinge in organisierten Kartons und Möbelteile mit alten Decken und anderen Tüchern vor Schrammen geschützt. Ja, und dann war die alte Wohnung „Besensauber“, denn man wollte sich nichts nachsagen lassen.

 

Opa Wadeck nahm Junka an die Hand und marschierte mit ihm Richtung neue Wohnung, denn die Sitzbank auf dem Umzugskarren war besetzt. Donna Clara startete früher, denn sie besorgte noch frische Brötchen, etwas Wurst und was zu trinken. In diesem Fall selbstverständlich Bier. Hell für die Herren und Dunkel für die Damen.

Junkas neuer Wohnsitz für die nächsten dreißig Jahre lautete demnach als Adresse Alber-Leo-Schlageter-Platz. Ein Name nach einem Kollaborateur der französischen Besatzungszeit der in Düsseldorf auf der Golzheimer Heide von den Franzosen erschossen wurde. Das Albert-Leo sparten die meisten Adressaten aus und nannten den Standort einfach nur Schlageter-Platz. Auch in der Straßenbahn rief der Schaffner stets nur: „Schlageter-Platz!“ Junka beschloss vom Start weg den vollen Namen zu benutzen. Es lag ihm der Verdacht nahe, dass er damit sehr einsam dastand.

Das treppauf und treppab mit den Umzugsteilen musste Junka aus dem Weg gehen, denn für ihn gab es nur hie und da was zu tun so mit: „Bring das mal schnell nach Oben!“ Leichte Sachen die ein Fünfjähriger leicht transportieren konnte. Junka kannte Umzüge nur von der Ruhrstraße her und da ging man „Gucken“. Hier aber tat man das nicht. Hier wohnten, im Gegensatz zur Ruhrstraße Untere Beamte, Handwerker, Lehrer, Polizeibeamte, ein Architekt, ein Schneidermeister, ein Homöopath, ein Arzt, ein Organist und auch ein Steiger. Im Gegenteil zur Ruhrstraße mit einem einzigen eleganten Haus und einem Zahnarzt, wohnten da nur Bergleute, aber nicht ein Steiger.

Zu Junka gesellte sich ein drei Jahre jüngerer Junge und sie hatten Muße sich zu beriechen. Der erste Anlauf mit „Wie heißt du!“ war bald erledigt. Der Nachbarsjunge besaß einen Roller und fragte offen heraus: „Willze ma fahrn?“ Junka wollte, und fühlte sich königlich.

Vorbeigehende Leute nahmen wahrscheinlich wahr, zeigten aber sonst kein Interesse an den neuen Mietern die hier einzogen. Junka stellte fest: Hier war man für sich.

Dann kam ein besonderer Mann der die Lampen anschloss. Das ist für Junka neu, und er bekam auch gleich von Donna Clara Verhaltensmaßregeln sparsam mi dem Licht zu sein, denn das kostet Geld. Im Laufe des Tages brachte ein Mann das frisch bezogene Sofa mit einem Handkarren an.

Junka schlief in Zukunft mit Opa in dem Zimmer eine Treppe höher. Das Zimmer heizte Opa manchmal mit einem eigenen Zimmerofen. Kohle von der Zeche, das Deputat, bekam er nicht mehr. Junka musste sich nur vorsehen, wenn er im Schlafanzug die Treppe hinauf- und herabstieg. Man durfte doch nicht im Schlafanzug von Leuten gesehen werden. Dabei trug Junka gute und passende Schlafanzüge die regelmäßig gewechselt wurden.

Junka bekam auch gleich die Anweisung am Haus zu bleiben und nicht wegzulaufen, denn die Nähe der Bochumer Straße konnte für einen kleinen Jungen sehr gefährlich sein, weil da Autos fuhren und obendrein die Straßenbahn.

So stand Junka mit Achim vor der Tür und ab und zu grüßte Achim wen und erklärte Junka wer das ist. Junka fragte nach anderen Kindern und das war ja wohl Gesprächsstoff. So erfuhr er das im Nachbarhaus ein Schulkind wohne. In dem anderen Wohnhaus ein Junge im Alter von Achim und dessen Vater sei in der katholischen Kirche Organist und gebe wohl Musikstunden. Er Achim gehe mit Peter, so hieß der Nachbarsjunge, er ginge mit dem in den Kindergarten. Schräg gegenüber wohne dann noch ein Menne mit einer Schwester namens Ingrid. Und da unten wohne Fuhrmann Strauß. Er kenne nur Trudi Melart die etwas schielt.

Ja, und dann war ja auch bald der Tag mit dem Umzug zu Ende und Junka kam zum ersten Mal in der neuen Wohnung ins Bett. Es dauerte eine Zeit bis er einschlief, aber dann schlief er richtig und höchstwahrscheinlich auch einer neuen Zukunft entgegen.

Am nächsten Tag war sicherheitshalber Freitag und Markttag vor der Tür. Da gab es ja allerhand zu sehen, denn schon um sechs Uhr strömten die ersten Händler herbei und bauten ihre Marktstände auf. Süd hatte und hat immer einen großen Markt, denn Markt ist so eine Sache die eingebürgert sein muss, und wenn es denn mal läuft dann muss der Händler aufpassen, dass er am Ball bleibt, denn die Kunden können existenzgefährdend sein. Ob das an seinem Ponem, seinem Gesichtsausdruck, auf seine Redensarten oder gar auf seine Waren hinausläuft, das steht in den Sternen. Und eigentlich gibt es da so ein geheimes Wissen das angeboren ist, und dass man kaum erlernen kann. Zum Markthandel gehört auch der tägliche Einkauf auf dem Großmarkt und da beginnt schon der gesamte Handel. Da wird gehandelt, geschmust, weggegangen, zurückgekommen: „Was hast du mich für einen Kurs abgefragt?“ Da heißt es auch derb: „Sag Bloß für den Gammel willst du noch Geld haben?“

Und wenn die Geschäfte gut gehen, auch wenn gerade ein Lohnzahltag dazu kommt, dann ist Friede, Freude, Eierkuchen! Dann geht man sogar zu einem Bier in eine der beiden Kneipen am Markt, und manchmal bleibt man auch schon mal hängen. Manche Leute sagen, wenn der und der einen Schlag gemacht hat, dann lässt der seine Kumpels nicht im Stich. Das sind dann die schönsten Feiertage.