Ideologie, Identität, Repräsentation

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Die Artikulation von Differenz und Einheit verlangt nach einem neuen Weg, das marxistische Schlüsselkonzept der Determinierung zu denken. Einige der klassischen Formulierungen zu Basis/Überbau, die die marxistische Ideologietheorie bestimmt haben, repräsentieren Vorstellungen, Determinierung als notwendige Beziehung zwischen einer Ebene der Gesellschaft und einer anderen zu denken. Mit oder ohne unmittelbare Identität werden politische, legale und ideologische Praxen über kürzer oder länger – so setzen diese Vorstellungen voraus – sich dem, was irrtümlich ›das Ökonomische‹ genannt wird, anpassen und in eine notwendige Beziehung zu ihm treten. In der gegenwärtigen Mode des Poststrukturalismus ist mit dem Rückzug von der »notwendigen Beziehung« die normale unaufhaltsame Rutschpartie zum anderen Extrem erfolgt; das heißt die Auslassung in das, was beinahe gleich tönt, aber substantiell komplett verschieden ist – die Behauptung, dass »notwendigerweise keinerlei Beziehung« besteht. Paul Hirst, einer der differenziertesten postmarxistischen Theoretiker, hat diesem schädlichen Verrutschen sein bedeutsames Gewicht und seine Autorität geliehen. »Notwendigerweise keinerlei Beziehung« drückt genau aus, was die Diskurstheorie braucht – dass nichts mit irgendetwas anderem verbunden ist. Selbst wenn die Analyse spezifischer Diskursformationen ständig das Überlappen oder das Gleiten eines Diskurses in den anderen belegt, scheint alles an der polemischen Versicherung des Prinzips zu hängen, dass es, notwendigerweise, keinerlei Beziehung gibt.

Ich akzeptiere diese einfache Umkehrung nicht. Ich glaube, wir haben entdeckt, dass es keine notwendige Beziehung gibt, was etwas anderes ist; diese Formulierung stellt eine dritte Position dar. Sie bedeutet, es gibt keine Garantie, dass die Ideologie einer Klasse einfach und ein für alle Mal durch die Position gegeben ist oder der Position entspricht, die diese Klasse in der kapitalistischen Produktionsweise einnimmt. Die Behauptung, dass es diese Garantie nicht gibt, die mit einer teleologischen Betrachtung bricht, bedeutet auch, dass es nicht notwendigerweise keine Beziehung gibt. Es gibt keine Garantie, dass Ideologie und Klasse niemals zusammen artikuliert werden können oder eine soziale Kraft bilden, die eine Zeit lang selbstbewusst ›einheitlich im Klassenkampf‹ agiert. Eine theoretische Position, die sich auf der Unabschließbarkeit von Praxen und Kämpfen gründet, muss als ein mögliches Resultat eine Artikulation zulassen, die eine Wirkung jenseits ihrer Ursprünge erlaubt. Konkreter ausgedrückt: Ein wirksamer Eingriff bestimmter sozialer Kräfte zum Beispiel während der Ereignisse in Russland 1917, verlangt von uns nicht zu sagen, dass die russische Revolution ein Resultat des ganzen russischen Proletariats war, das geschlossen hinter einer einzigen revolutionären Ideologie stand (was sicher nicht stimmt); auch nicht, dass der entscheidende Charakter des Bündnisses (der ganzen Artikulation) von Arbeitern, Bauern, Soldaten und Intellektuellen, die die soziale Basis des Eingriffs ausmachte, durch seinen zugeschriebenen Platz und seine Position in der russischen Sozialstruktur und den daraus entstandenen notwendigen Formen revolutionären Bewusstseins garantiert wurde. Nichtsdestotrotz fand sie 1917 statt – und, wie Lenin bemerkenswerterweise feststellte, »weil sich dank einer außerordentlich originellen historischen Situation völlig verschiedene Ströme, völlig ungleichartige Klasseninteressen, völlig entgegengesetzte politische und soziale Bestrebungen vereinigten und zwar bemerkenswert ›einmütig‹ vereinigten« (Althusser 1968, 64). Althusser erinnert uns in seinem Kommentar dieser Passage in Für Marx an folgende Tatsache:

»Wenn in dieser Situation eine gewaltige Anhäufung von ›Widersprüchen‹ ins Spiel, in das gleiche Spiel, gerät, von denen einige radikal heterogen sind, und die weder den gleichen Ursprung, noch die gleiche Bedeutung, noch das gleiche Anwendungsniveau und den gleichen Anwendungsort haben und trotzdem zu einer Einheit des Bruchs ›verschmelzen‹, dann ist es nicht mehr möglich, von der schlichten und einfachen Kraft des allgemeinen ›Widerspruchs‹ zu sprechen.« (Althusser 1968, 64)

Das Ziel einer theoriegeleiteten politischen Praxis besteht sicherlich darin, die Artikulation zwischen sozialen oder wirtschaftlichen Kräften und jenen Formen der Politik und Ideologie herbeizuführen, die sie in der Praxis dazu bringen, in progressiver Weise in die Geschichte einzugreifen – eine Artikulation, die genau deswegen durch die Praxis konstruiert werden muss, weil sie nicht dadurch garantiert wird, wie diese Kräfte in erster Linie bestimmt sind.

Das lässt das Modell viel unbestimmter, offener und kontingenter als die klassische Position. Es lässt vermuten, dass man die Ideologie einer Klasse (oder eines Teils der Klasse) nicht aus deren ursprünglicher Position innerhalb der sozioökonomischen Beziehungen ›ablesen‹ kann. Aber es weigert sich auch zu sagen, es sei unmöglich, Klassen oder Fraktionen einer Klasse oder andere soziale Bewegungen durch eine sich entwickelnde Praxis sozialer Kämpfe zu einer Artikulation mit jenen Formen der Politik und der Ideologie zu bringen, die ihnen erlauben, als kollektive soziale Agenten historisch wirksam zu werden. Die grundsätzliche theoretische Umkehrung, die durch das Theorem von der »nicht notwendigen Beziehung« erreicht wird, besteht darin, dass die Determinierung vom genetischen Ursprung der Klasse oder anderer sozialer Kräfte innerhalb einer Struktur zu den Wirkungen oder Resultaten einer Praxis verschoben wird. Ich möchte deshalb jene Position von Althusser bekräftigen, wo er meines Erachtens die doppelte Artikulation zwischen ›Struktur‹ und ›Praxis‹ beibehält, und weniger jene volle strukturelle Kausalität von Das Kapital lesen oder die einleitenden Kapitel von Nicos Poulantzas Politische Macht und gesellschaftliche Klassen von 1968. Mit ›doppelter Artikulation‹ meine ich, dass die Struktur – die gegebenen Existenzbedingungen, die Struktur der Determinierung in jeder Situation –, von einem anderen Gesichtspunkt aus, ebenfalls schlichtweg als das Resultat früherer Praxen verstanden werden kann. Wir können sagen, dass eine Struktur das ist, was frühere strukturierte Praxen als Resultat produziert haben. Diese stellen dann die ›gegebenen Bedingungen‹ dar, den notwendigen Ausgangspunkt für neue Praxen. Keinesfalls sollte ›Praxis‹ als offenkundig intentional behandelt werden: Wir machen die Geschichte, aber auf der Grundlage vorgegebener Bedingungen, die nicht von uns gemacht sind. Praxis ist die Art und Weise, wie eine Struktur aktiv reproduziert wird. Trotzdem brauchen wir beide Begriffe, falls wir die Falle vermeiden wollen, Geschichte als nichts anderes zu verstehen, als das Ergebnis einer selbstgenügsamen strukturalistischen Maschine. Die strukturalistische Dichotomie zwischen ›Struktur‹ und ›Praxis‹ – wie die damit verbundene Dichotomie zwischen ›Synchronie‹ und ›Diachronie‹ – ist analytisch sinnvoll, sollte aber nicht zu einer strikten, sich gegenseitig ausschließenden Unterscheidung fetischisiert werden.

Versuchen wir, die Frage ein wenig weiter zu treiben, nicht bezüglich der Notwendigkeit, sondern bezüglich der Möglichkeit von Artikulationen zwischen sozialen Gruppen, politischen Praxen und ideologischen Formationen, die als Resultat die historischen Brüche oder Verschiebungen schaffen könnten, die wir nicht länger in die Strukturen und Gesetze der kapitalistischen Produktionsweise eingeschrieben und durch sie garantiert finden. Damit möchte ich nicht leugnen, dass es Tendenzen gibt, die aus unserer Positionierung innerhalb der sozialen Strukturen entspringen. Wir sollten nicht von der Anerkennung der relativen Autonomie der Praxis (bezüglich ihrer Wirkungen) zur Fetischisierung der PRAXIS rutschen – ein Schritt, den viele poststrukturalistische Maoisten einen kurzen Moment lang machten, bevor sie Anhänger der Neuen Philosophie der modischen französischen Rechten wurden. Strukturen enthalten Tendenzen – Kräfte, Öffnungen und Schließungen, die beschränken, formen, kanalisieren und in diesem Sinne ›determinieren‹. Aber sie können nicht im engeren Sinne einer fixen, absoluten Garantie determinieren. Menschen sind nicht unveränderlich und unauslöschlich mit den Ideen versehen, die sie denken sollten; die Politiken, die sie haben sollten, sind nicht bereits in ihren sozialen Genen angelegt. Es geht nicht um die Entfaltung eines unvermeidlichen Gesetzes, sondern um die Verknüpfungen, die, obwohl sie hergestellt werden können, nicht zwangsläufig sind. Es gibt keine Garantie, dass die Klassen an den ihnen zugewiesenen Stellen erscheinen werden, mit Rückennummern versehen, wie es Poulantzas so anschaulich beschrieb. Durch die Entwicklung von Praxen, die Differenzen in einen kollektiven Willen artikulieren, oder durch die Schaffung von Diskursen, die eine Reihe verschiedener Konnotationen verdichten, können die zersplitterten Bedingungen der Praxis verschiedener sozialer Gruppen tatsächlich zusammengebracht werden, auf eine Weise, die diese sozialen Kräfte nicht nur als ›Klasse an sich‹ konstituieren, positioniert durch irgendwelche andere Beziehungen, die sie nicht kontrollieren können, sondern sie zudem befähigt, als historische Kraft zu wirken, als ›Klasse für sich‹, fähig, neue kollektive Projekte aufzubauen.

Dies scheinen mir die Fortschritte, die Althussers Werk ermöglicht hat. Ich betrachte diese Umkehrung grundlegender Konzepte als viel wertvoller denn andere Aspekte seines Werks, die zur Zeit des Erscheinens Althussers Anhänger so befeuerten: Zum Beispiel die Frage, ob implizite strukturalistische Spuren in Marxens Denken in einen ausgereiften Strukturalismus verwandelt werden könnten, und zwar durch die geschickte Anwendung der strukturalistischen Kombinatorik von Lévi-Strauss– das Thema von Das Kapital lesen4; oder der eindeutig idealistische Versuch, eine so genannte autonome ›theoretische Praxis‹ herauszuschälen; oder die katastrophale Vereinigung eines Historizismus mit dem ›Historischen‹, was bei seinen Epigonen zu einer Flut antihistorischer theoretischer Spekulationen führte; oder sogar das unglückliche Unterfangen, an die Stelle von Hegel Spinoza als Geist in die marxistische Maschine zu setzen. Der grundsätzliche Mangel in E. P. Thompsons Anti-Althusser-Polemik, Das Elend der Theorie von 1978, besteht nicht in der Aufzählung dieser und anderer grundsätzlicher Fehler von Althussers Projekt – was Thompson beileibe nicht als erster getan hat –, sondern in der Unfähigkeit, zur gleichen Zeit die wirklichen Fortschritte zu erkennen, die Althussers Werk trotz allem ermöglichte. Das führte zu einer undialektischen Einschätzung von Althusser und im Übrigen von Theoriearbeit insgesamt. Deshalb die Notwendigkeit, hier nochmals ganz einfach festzuhalten, was Althusser bei allen Schwächen erreichte, als Standard, hinter den wir nicht zurückfallen dürfen. Nach Widerspruch und Überdeterminierung kann die Debatte über soziale Formationen und Determinismus im Marxismus nicht mehr die gleiche sein wie zuvor. Bereits dies bedeutet eine ›gewaltige theoretische Revolution‹.

 

Ideologie

Wenden wir uns nun der spezifischen Frage der Ideologie zu. Althussers Kritik der Ideologie folgt in manchem der Linie seiner Kritik an grundsätzlichen Positionen in der marxistischen Tradition, wie ich sie oben dargestellt habe. Das heißt, er wendet sich auch in der Ideologietheorie gegen einen Klassenreduktionismus, gegen die Auffassung, dass die ideologische Position einer Klasse automatisch ihrer Position in der Produktion entspricht. Althusser kritisiert hier eine wichtige Einsicht, die man aus Marx/Engels Die deutsche Ideologie bezogen hat, dem Grundtext der klassischen Ideologietheorie des Marxismus: Dass herrschende Ideen immer mit der Position der herrschenden Klasse übereinstimmen; dass die herrschende Klasse als Ganzes ein eigenes Bewusstsein hat, das sich in einer bestimmten Ideologie festmachen lässt. Die Schwierigkeit dieser These besteht darin, dass wir nicht verstehen können, warum die verschiedenen herrschenden Klassen in bestimmten historischen Situationen dank unterschiedlicher Ideologien vorangeschritten sind, oder warum sie zu bestimmten Zeiten die eine Ideologie und zu andern Zeiten eine andere benützen. Wir können so auch nicht verstehen, warum es interne Kämpfe gibt, und zwar innerhalb aller wichtigen politischen Formationen, über die angemessenen ›Ideen‹, mit denen die Interessen der herrschenden Klasse gesichert werden können. Ebenso wenig, warum in vielen verschiedenen historischen Gesellschaften die beherrschten Klassen zu einem beträchtlichen Grad ›herrschende Ideen‹ benützt haben, um ihre Interessen zu definieren und zu verstehen. Wenn wir dies alles als die herrschende Ideologie bezeichnen, die sich problemlos reproduziert und die vorangeschritten ist, seit sich der freie Markt erstmals zeigte, dann forcieren wir nur unerwünschterweise die Ansicht, es bestehe eine empirische Identität zwischen Klasse und Ideologie, was konkrete historische Analysen widerlegen.

Das zweite Ziel von Althussers Kritik ist der Begriff des ›falschen Bewusstseins‹, der ihm gemäß voraussetzt, dass es pro Klasse nur eine einzige wahre Ideologie gibt, und dann das Nicht-Erscheinen dieser Ideologie damit erklärt, es existiere eine Trennwand zwischen den Subjekten und den realen Beziehungen, in denen sie stecken, eine Trennwand, die sie daran hindert, die Ideen zu erkennen, die sie haben sollten. Dieser Begriff des ›falschen Bewusstseins‹ gründet, wie Althusser richtig bemerkt, auf einer empiristischen Auffassung von Wissen. Sie setzt voraus, dass soziale Beziehungen wahrnehmenden, denkenden Subjekten ihr eigenes, eindeutiges Wissen vermitteln; dass eine einsichtige Beziehung zwischen den Situationen, in denen sich die Subjekte befinden, und der Art und Weise besteht, in der sich Subjekte dieser Situationen bewusst werden. Folglich muss wahres Wissen einer Art Maskierung unterzogen werden, deren Ursprung schwierig zu identifizieren ist, aber die die Menschen daran hindert, ›die Wirklichkeit zu erkennen‹. Gemäß dieser Auffassung befinden sich immer nur andere Menschen, nicht wir selbst, im falschen Bewusstsein, werden nur die Anderen von der herrschenden Ideologie verhext und sind die Gelackmeierten der Geschichte.

Althussers dritter Kritikpunkt entwickelt sich aus seiner Vorstellung von Theorie. Er beharrt darauf, dass Wissen als Resultat einer bestimmten Praxis entsteht. Wissen, und zwar sowohl ideologisches wie wissenschaftliches, ist das Produkt einer Praxis. Es ist nicht etwa die Widerspiegelung der Wirklichkeit in einem Diskurs, einer Sprache. Soziale Beziehungen müssen in ›Sprechen und Sprache repräsentiert werden‹, um eine Bedeutung zu bekommen. Bedeutung entsteht als Resultat einer ideologischen oder theoretischen Arbeit. Sie ist nicht einfach das Resultat einer empiristischen Erkenntnistheorie.

Deshalb will Althusser die Spezifik ideologischer Praxen und ihren Unterschied zu anderen sozialen Praxen denken. Er will auch die ›komplexe Einheit‹ denken, die die Ebene ideologischer Praxen mit anderen Instanzen einer sozialen Formation artikuliert. Deshalb begann er, indem er die traditionellen, vorgefundenen Konzepte der Ideologie kritisierte, einige Alternativen anzubieten. Schauen wir uns kurz an, was diese Alternativen laut Althusser sind.

Ideologische Staatsapparate

Die eine, mit der jedermann vertraut ist, wird im Essay über Ideologie und ideologische Staatsapparate angeboten. Einige seiner Vorschläge in diesem Aufsatz haben die folgenden Debatten stark beeinflusst. Zuerst einmal versucht Althusser die Beziehung zwischen Ideologie und anderen sozialen Praxen im Rahmen der Reproduktion zu denken. Welche Funktion hat Ideologie? Die sozialen Beziehungen der Produktion zu reproduzieren. Die sozialen Beziehungen der Produktion sind notwendig für die materielle Existenz jeder sozialen Formation oder jeder Produktionsweise. Aber die Elemente oder die treibenden Kräfte einer Produktionsweise, insbesondere in Bezug auf den kritischen Faktor Arbeit, müssen ihrerseits ständig produziert und reproduziert werden. Althusser argumentiert, dass Arbeit in kapitalistischen Gesellschaften zunehmend nicht mehr innerhalb, sondern außerhalb der sozialen Beziehungen der Produktion reproduziert wird. Natürlich versteht er darunter nicht bloß die biologische oder technische Reproduktion, sondern auch die soziale und kulturelle. Diese wird im Bereich des Überbaus hergestellt: in Institutionen wie der Familie und der Kirche. Dazu braucht es kulturelle Institutionen wie Medien, Gewerkschaften, politische Parteien und andere, die nicht direkt mit der Produktion an sich verbunden sind, sondern die zentrale Funktion haben, Arbeit durch bestimmte Formen der Moral und Kultur zu ›kultivieren‹ – so wie es die moderne kapitalistische Produktionsweise braucht. Schulen, Universitäten, Ausbildungs- und Forschungsstätten reproduzieren die technische Fähigkeit der Arbeit, die eine entwickelte kapitalistische Produktion verlangt. Aber Althusser macht darauf aufmerksam, dass eine technisch fähige, politisch jedoch aufmüpfige Arbeitskraft für das Kapital gar keine Arbeitskraft darstellt. Deshalb besteht die wichtigere Aufgabe darin, jene Arbeitskraft zu kultivieren, die politisch sowie moralisch fähig und willig ist, sich der Disziplin, der Logik, der Kultur und den Zwängen der kapitalistischen Produktionsweise in jedem Stadium zu unterwerfen, den jene erreicht hat. Das heißt Arbeit, die dem herrschenden System auf ewig unterworfen werden kann. Folglich reproduziert Ideologie durch die verschiedenen ideologischen Apparate die sozialen Beziehungen der Produktion in einem weiteren Sinn. Das ist Althussers erste Beschreibung.

Reproduktion in diesem Sinn findet sich selbstverständlich als klassischer Begriff schon bei Marx. Althusser muss nicht weiter als bis zum dritten Band von Das Kapital gehen, um ihn zu entdecken; allerdings verwendet er eine ziemlich eingeschränkte Definition. Er bezieht sich nur auf die Reproduktion von Arbeitskraft, während Marx ein viel breiteres Konzept verwendet, das die Reproduktion der sozialen Beziehungen des Besitzes und der Ausbeutung und sogar der Produktionsweise selber einschließt. Das ist ziemlich typisch für Althusser – wenn er sich einen Begriff oder ein Konzept beim Marxismus holt, die weit reichende marxistische Implikationen haben, dann gibt er ihnen einen besonderen, eingeschränkten Dreh, der nur ihm eigen ist. Auf diese Art ›konkretisiert‹ er ständig Marxens strukturalistisches Begriffsset.

Das führt zu einem Problem. Ideologie scheint in Althussers Essay hauptsächlich die der herrschenden Klasse zu sein. Falls es eine Ideologie der beherrschten Klassen gibt, dann scheint sie sich vollkommen den Funktionen und Interessen der herrschenden Klasse innerhalb der kapitalistischen Produktionsweise angepasst zu haben. An dieser Stelle kann man dem Althusserschen Strukturalismus vorwerfen, was auch schon getan worden ist, ein schleichender marxistischer Funktionalismus zu sein. Ideologie scheint die von ihr verlangte Funktion zu übernehmen (das heißt die Vorherrschaft der herrschenden Ideologie zu reproduzieren), diese Funktion wirkungsvoll auszuüben und zwar immer weiter, ohne auf viel Widerstand zu stoßen – welcher sich dagegen bei Marx immer findet, wenn die Reproduktion diskutiert wird, und genau jenes Moment ist, das seine Analyse in Das Kapital von jedem Funktionalismus unterscheidet. Wenn man sich mit dem widersprüchlichen Feld der Ideologie beschäftigt, damit, wie die Ideologie der beherrschten Klassen produziert und reproduziert wird, mit den Ideologien des Widerstands, der Ausschließung, der Abweichung und anderen, dann finden sich in Althussers Essay keinerlei Antworten. Noch findet sich eine Antwort auf das Problem, wie eine Ideologie, die laut Althusser so wirkungsvoll in die soziale Formation eingefügt ist, je ihr Gegenteil oder ihre Widersprüche produziert. Aber eine Auffassung der Reproduktion, die ausschließlich funktional ans Kapital angepasst ist und keinerlei gegenläufige Tendenzen aufweist, auf keinerlei Widersprüche stößt, kann kein Ort von Klassenkämpfen sein und ist Marxens Konzeption der Reproduktion vollkommen fremd.

Der zweite einflussreiche Vorschlag in Ideologie und ideologische Staatsapparate ist das Beharren darauf, dass Ideologie eine Praxis sei. Das heißt, sie erscheint in Praxen, die innerhalb der Rituale von bestimmten Apparaten oder sozialen Institutionen und Organisationen angesiedelt sind. Althusser unterscheidet dabei zwischen repressiven Staatsapparaten wie der Polizei und der Armee, sowie ideologischen Staatsapparaten wie Kirchen, Gewerkschaften und Medien, die nicht direkt durch den Staat organisiert werden. Die Betonung auf ›Praxen und Ritualen‹ ist äußerst willkommen, vor allem wenn dies nicht zu eng oder polemisch interpretiert wird. Ideologien sind die Rahmen des Denkens und der Vorstellungen über die Welt – der ›Ideen‹, mit denen die Menschen sich vorstellen, wie die soziale Welt funktioniert, welches ihr Platz darin ist und was sie tun sollten. Aber für eine materialistische oder nichtidealistische Theorie stellt sich die Frage, wie man mit Ideen – die geistige Ereignisse sind und deshalb, wie Marx sagt, nur »in Gedanken, im Kopf« stattfinden (wo sonst?) – auf eine nichtidealistische, nicht vulgärmaterialistische Art umgehen soll. Althussers Betonung ist hilfreich, weil sie uns aus einem philosophischen Dilemma hilft und weil sie meines Erachtens die zusätzliche Tugend hat, richtig zu sein. Er legt das Schwergewicht auf den Ort, wo Ideen erscheinen, wo geistige Ereignisse als soziale Phänomene wahrgenommen oder verwirklicht werden. Dies geschieht natürlich grundsätzlich in der Sprache (hier verstanden als bedeutungsstiftende Praxen, die Zeichen benützen; im semiotischen Bereich, dem Bereich von Bedeutung und Repräsentation). Ebenso bedeutsam geschieht es in den Ritualen und Praxen sozialer Handlungen und sozialen Verhaltens, in die sich Ideologien einschreiben. Sprache und Verhalten sind sozusagen die Mittel zur materiellen Festschreibung von Ideologien, die Modalitäten ihres Funktionierens. Diese Rituale und Praxen geschehen immer an sozialen Orten, die mit sozialen Apparaten verbunden sind. Deshalb müssen wir Sprache und Verhalten analysieren und dekonstruieren, um die Muster des ideologischen Denkens zu entziffern, die ihnen eingeschrieben sind.

 

Dieser wichtige Fortschritt in unserem Denken über Ideologie wird gelegentlich durch Theoretiker verunklärt, die behaupten, dass Ideologien überhaupt keine ›Ideen‹ seien, sondern Praxen, und dass nur so der materialistische Charakter der Ideologietheorie garantiert sei. Ich stimme damit nicht überein. Ich glaube, diese Vorstellung leidet an einer ›unangebrachten Konkretion‹. Der Materialismus des Marxismus kann sich nicht auf der Behauptung gründen, den geistigen Charakter, ja, die wirklichen Wirkungen geistiger Ereignisse (das heißt des Denkens) abzustreiten; das ist genau der Irrtum des von Marx in den Thesen über Feuerbach kritisierten einseitigen oder mechanischen Materialismus. Der Materialismus muss sich auf die materiellen Formen gründen, in dem das Denken erscheint, sowie auf dessen wirkliche, materielle Wirkungen. So habe ich es zumindest von Althussers viel zitierter Behauptung gelernt, dass Ideologie eine materielle Existenz hat, »weil sie in Praxen eingeschrieben ist«. Einiger Schaden ist durch Althussers allzu dramatische und verdichtete Formulierung am Ende seines Arguments angerichtet worden, die da lautet: »Verschwunden ist: der Ausdruck Ideen« (Althusser 1973, 155) Althusser hat viel erreicht, aber meines Erachtens hat er nicht tatsächlich die Existenz von Ideen und Denken zerstört, wie passend und beruhigend das auch immer wäre. Gezeigt hat er nur, dass Ideen eine materielle Existenz haben. Wie er selbst sagt, die »Ideen« eines menschlichen Subjekts sind »seine materiellen Handlungen«, »die sich einfügen in materielle Praktiken [Praxen], welche durch materielle Rituale geregelt werden. Diese Rituale werden ihrerseits bestimmt durch den materiellen ideologischen Apparat« (Althusser 1973, 154): Was etwas anderes ist.

Dennoch bleiben mit Althussers Begrifflichkeit ernsthafte Probleme bestehen. Der Essay über Ideologie und ideologische Staatsapparate nimmt wiederum unkritisch an, dass eine Identität zwischen den vielen ›autonomen‹ Teilen der Zivilgesellschaft und dem Staat besteht. Im Gegensatz dazu steht gerade die Artikulation dieses Verhältnisses im Zentrum von Gramscis Begriff der Hegemonie. Gramsci hat genau deshalb Schwierigkeiten, die Grenze zwischen Staat und Zivilgesellschaft genau zu ziehen, weil das weder eine einfache noch unbestrittene Sache ist. Eine schwer wiegende Frage in entwickelten liberalen Demokratien besteht gerade darin, wie Ideologie in den so genannten privaten Institutionen der Zivilgesellschaft reproduziert wird, im Theater der Zustimmung, augenscheinlich außerhalb des direkten Einflussbereichs des Staates. Wenn alles mehr oder weniger unter Aufsicht des Staates geschieht, dann wäre es einfach, einzusehen, warum nur die herrschende Ideologie reproduziert wird. Aber die wichtigere, wiewohl schwierigere Frage ist es, warum eine Gesellschaft den zivilen Institutionen mit ihren relativen Freiheiten erlaubt, im ideologischen Feld zu spielen, Tag für Tag, ohne Anleitung oder Zwang durch den Staat; und warum dieses ›freie Spiel‹ der Zivilgesellschaft, durch einen sehr komplizierten Prozess der Reproduktion, nichtsdestotrotz ständig die Ideologie als eine »Struktur mit Dominante« wiederherstellt. Das ist viel schwieriger zu erklären, und die Auffassung von »ideologischen Staatsapparaten« beantwortet die Frage vorzeitig. Wiederum ist es eine weitgehend ›funktionalistische‹ Lösung, die eine notwendig funktionale Beziehung zwischen den Erfordernissen der Produktionsweise und dem Funktionieren der Ideologie voraussetzt.

Schließlich ist es in demokratischen Gesellschaften keine Illusion der Freiheit, zu sagen, dass wir nicht angemessen erklären können, warum die Medien so einseitig berichten, als ob sie vom Staat genau instruiert würden, was sie drucken oder auf den Bildschirm bringen sollen. Warum tendiert eine so große Zahl von Journalisten, die sich nur auf ihre ›Freiheit‹ berufen, auf eigenes Risiko zu publizieren, dahin, ganz spontan und ohne Zwang immer wieder eine Weltauffassung zu reproduzieren, die sich innerhalb der selben ideologischen Kategorien bewegt? Warum verwenden sie immer wieder ein so eingeschränktes Repertoire innerhalb des ideologischen Feldes? Selbst Journalisten, die sich als Störenfriede verstehen, scheinen oft von einer Ideologie imprägniert zu sein, zu der sie sich nicht bewusst bekennen und die sie stattdessen ›schreibt‹.

Dieser Aspekt der Ideologie im liberalen Kapitalismus muss am dringlichsten erklärt werden. Deshalb nützt es nichts, wenn Leute sagen, »natürlich leben wir in einer freien Gesellschaft, die Medien sind frei«, darauf zu antworten, »nein, sie agieren nur unter Zwang des Staates«. Wenn sie es doch nur täten! Wir müssten dann nur die vier oder fünf Aufsichtsbeamten durch Leute von uns ersetzen. Tatsächlich aber kann die ideologische Reproduktion ebenso wenig durch die persönlichen Vorlieben von Individuen oder durch offenen Zwang (soziale Kontrolle) erklärt werden, wie die ökonomische Reproduktion durch direkte Gewalt erklärt werden kann. Beide Erklärungen – und sie sind analog – haben dort zu beginnen, wo Das Kapital beginnt: Indem man analysiert, wie die ›spontane Freiheit‹ der Kreisläufe wirklich wirkt. Das ist ein Problem, das die Begrifflichkeit der Ideologischen Staatsapparate voreilig beantwortet. Althusser weigert sich, zwischen Staat und Zivilgesellschaft zu unterscheiden – mit denselben Gründen, wie sie Poulantzas später fälschlicherweise anführte, dass die Unterscheidung nur ein Effekt der ›bürgerlichen Ideologie‹ sei. Seine Begrifflichkeit unterschätzt das, was Gramsci die immense Komplexität der Gesellschaft in modernen sozialen Formationen nennt – »die Schützengräben und Befestigungen der Zivilgesellschaft«. Althusser versucht nicht einmal ansatzweise zu erfassen, wie komplex die Prozesse sind, mit denen der Kapitalismus die Zivilgesellschaft organisieren muss, die sich nicht direkt unter seiner unmittelbaren Kontrolle befindet. Das sind wichtige Probleme im ideologischen und kulturellen Feld, doch das Konzept der ideologischen Staatsapparate ermutigt uns, ihnen auszuweichen.

Der dritte von Althussers Vorschlägen ist seine Versicherung, dass Ideologie nur mittels der Kategorie des ›Subjekts‹ existiert. Das ist eine lange und komplizierte Geschichte, die ich hier nur teilweise nacherzählen kann. Ich habe an anderer Stelle ausgeführt5, dass Das Kapital lesen in seiner Argumentation Lévi-Strauss und andern nichtmarxistischen Strukturalisten ähnelt. Wie Lévi-Strauss spricht auch Althusser von sozialen Beziehungen als einem Prozess ohne Subjekt. Und wenn Althusser darauf beharrt, dass Klassen nur »Träger und Unterstützer« von sozioökonomischen Beziehungen sind, dann gebraucht er, wie Lévi-Strauss, eine von de Saussure übernommene Konzeption der Sprache, die auf den Bereich der Praxis im Allgemeinen angewandt wird, um die klassische westliche Erkenntnistheorie mit ihrem herkömmlichen Agent/Subjekt zu ersetzen. Althussers Position gleicht hier der Auffassung, dass Sprache uns ›spricht‹, so wie der Mythos den Schöpfer des Mythos ›spricht‹. Das verabschiedet das Problem der subjektiven Identifikation und wie Individuen oder Gruppen zum Träger der Emanzipation werden. Doch wenn Althusser seine Ideologietheorie entwickelt, entfernt er sich von der Vorstellung, dass Ideologie einfach ein Prozess ohne Subjekt sei. Er scheint die Kritik zu berücksichtigen, dass dieser Bereich des Subjekts und der Subjektivität nicht einfach als leerer Raum gelassen werden kann. Die ›Dezentrierung des Subjekts‹, eines der Hauptanliegen des Strukturalismus, lässt das Problem der Subjektion und der Subjektivierung der Ideologie ungelöst. Es gibt immer noch Prozesse subjektivierender Effekte, die erklärt werden müssen. Wie finden konkrete Individuen innerhalb einer bestimmten Ideologie ihren Platz, wenn wir keinen Begriff des Subjekts oder der Subjektivität haben? Auf der anderen Seite müssen wir dieses Problem anders als die empiristische Tradition denken. Wir stehen am Beginn einer sehr langen Entwicklung, die mit dem Essay über Ideologie und ideologische Staatsapparate beginnt, mit Althussers Behauptung, dass jede Ideologie durch die Kategorie des Subjekts funktioniert und dass das Subjekt nur in der und für die Ideologie existiert.