Stephan Wahl
Kleine Atempausen auf dem Weg hin zu Ostern
Zum Gedenken
an den Saarbrücker
worttreu-prophetischen Künstler
Ernst Alt, gestorben in der
Frühe des Ostermorgens 2013,
und für alle, die durch Wort,
Musik oder Farben verwundbar
und widerständig-österlich
vom Leben erzählen
Vorwort
Die Nacht …
Fastenzeit
KreuzAsche
Barmherzigkeit
… nicht nur Himmlisches
Fastenzeit
Download Gottes
Nicht selten
… nicht kleiner machen
Vater unser
Balken
… raus
Zehn Gebote
Zerrissen
Gebet
Verklärung
Ohne Angst
Zuflucht
Morgengebet
Harte Schale
Martha
Wider die Angst
Glauben
Ein Neujahrsfax
Demut
Das kleine Kreuz
Unmöglich möglich
Eifersucht
Gottes Chance
Vergebung
Ohne Himmel
Taufe
Segen zur Stärkung
Ebenbild
Gottvertrauen
Trotzdem
Segen
Verlieren können
… dann vielleicht
Widerständig
Straight Story
PalmAsche
… auf was es ankommt
Berührungen
Bitten
Gott unten
Psalm 91, meditiert
Abschied
Ostern
Fürchtet euch nicht
… seid, was ihr singt!
Mittendrin
Sieben Werke
Mission impossible
Thomas
Julia
Um Ostern gut zu feiern, braucht es einen langen Anlauf. Es macht Sinn, dass wir nicht in das Osterfest hineinstolpern, sondern in der langen vierzigtägigen Fastenzeit auf diese österlichen Stunden vorbereitet werden. Fasten heißt verzichten. Aber nicht nur. Heißt auch: nachdenken über sich und über sich hinaus. Was ist wichtig, was ist notwendig, welchen inneren Ballast schleppe ich mit mir herum? Was hat sich in mir verhärtet? Welches Dunkel in mir sehnt sich nach dem Licht?
Die Fastenzeit gibt die Chance, sich diesen Fragen zu stellen, gibt die Chance, sich neu auszubalancieren und Kurskorrekturen zu wagen. Die Besinnung der Tage bis Ostern und die Kraft der Osternacht können helfen, dass man uns Christen etwas mehr von unserer Hoffnung anmerkt, die uns immer wieder umfasst, dass wir spürbarer leben, was wir glauben. Sonst können wir unser noch so schönes Oster-Halleluja einpacken.
Die Texte dieses Bandes sollen dazu beitragen, kleine Atempausen auf dem Weg zu Ostern zu ermöglichen. Sie sind in sich stehende, kleine Textinseln, auf denen man verweilen oder die man auch schnell verlassen kann, weil eine andere Insel mehr dem Eigenen entspricht.
Jeder der Texte steht für sich. Ostern und der Weg dorthin lassen alle Themen zu. Wer einen logischen Aufbau, gar einen stringenten Exerzitienweg erwartet, wird enttäuscht. Es sind Gedankensplitter. Vielleicht führt das eine oder andere Wort ins Nachdenken, in die Meditation oder gar ins Gebet und hilft eigenes Dunkel aufzuhellen. „Die Nacht wird hell wie der Tag“, heißt es im Exsultet der Osternacht. Möge dies vielfältig erfahren werden.
Trier, im Advent 2013 | Stephan Wahl |
„ … die Nacht wird hell wie der Tag.“
Würde sie es doch nur,
meist bleibt sie dunkel,
nur der Vollmond vermag uns zu täuschen,
dann genießen wir es.
„ … die Nacht wird hell wie der Tag.“
So jubelt das Osterlob, das Exsultet,
in der Nacht der Nächte.
Wenn der Kantor gut singt,
sind wir bewegt.
„ … die Nacht wird hell wie der Tag.“
Tiefste Sehnsucht, oft erfleht,
manchmal befürchtet
und doch gern erwartet.
Sie zeigt,
wer wir sind.
„Kehr um und glaub an das Evangelium.“
So heißt es,
wenn in den katholischen Kirchen
das Aschenkreuz ausgeteilt wird.
Es hält nicht lange,
das Kreuz auf der Stirn,
aber das Wort,
das gesagt wurde, bleibt.
„Bedenke, Mensch, dass du Staub bist
und zu Staub wieder zurückkehrst.“
Ein weiteres Wort.
Unbequem.
Kein leichter Satz.
Wer lässt sich daran schon gern erinnern?
Dass man wieder Staub wird.
Ist aber so.
„Bedenke, dass du Staub bist“,
heißt übersetzt:
„Leb jetzt, nimm die Zeit ernst,
die du hast,
verschieb nichts auf später.
Heute ist heute.
Carpe diem.
Jetzt kann es auf dich ankommen.“
Und: „Nimm dich wichtig,
aber nicht zu wichtig.
Es dreht sich nicht alles um dich.“
„Kehr um und glaub an das Evangelium.“
Ein kleines schwarzes Kreuz
auf der Stirn,
aus Asche.
Es erinnert mich an den,
der differenzieren konnte.
Für den es nicht die Menschen gab,
sondern ganz konkrete, einzelne.
Der auch dem letzten Chaoten
immer noch eine Chance gab.
An Jesus, den sie dafür aufs Kreuz
gelegt haben.
Die Fastenzeit leben heißt,
daran denken und deshalb verzichten.
Auf Überflüssiges:
dumme Sprüche, schnelle Antworten
ohne nachzudenken.
Nüchtern werden
im wahrsten Sinne des Wortes,
die Sinne schärfen.
Hellwach sein für das,
was um mich herum passiert.
Fasten heißt verzichten,
heißt leiser werden,
behutsamer mit sich
und anderen.
Unterscheiden,
sich nicht von Stimmungen leiten lassen,
nicht allem nachplappern,
das ist Originalton Jesu:
„Kehr um und glaub an das Evangelium.“
Das kleine Kreuz
vom Aschermittwoch
bleibt unsichtbar
auf meiner Stirn.
Über die Liebe predige
ich nicht allzu gern.
Das hat immer etwas Eigenartiges,
wenn sich katholische Pfarrer,
vollmundig und äußerst beredt,
und vor allem langatmig,
dieses Thema vornehmen.
Aber über eine
sehr praktische Übersetzung
dieses hohen Begriffs
spreche ich gern:
über die Barmherzigkeit.
Für mich ist es das
schönste und wichtigste
Attribut Gottes.
Gott ist barmherziger mit uns
als wir mit uns selbst.
Barmherzigkeit ist eine Hauptvokabel im Evangelium.
Sie setzt moralische Maßstäbe,
Eckpfeiler, Prinzipien nicht außer Kraft,
ist kein Freibrief für Beliebigkeit.
Aber zeigt deutlich,
dass nicht alle über einen Kamm zu scheren sind.
Gott begleitet uns auf unseren Wegen,
und das können manchmal auch Umwege sein.
Christ werden,
das dauert das ganze Leben.
Jede und jeder versucht es,
egal welcher gesellschaftlichen Gruppe
sie angehören,
welchen sozialen Status sie haben,
ob sie in Familie leben,
allein oder in anderer
verantwortungsbewusster Partnerschaft.
Egal in welcher Partei sie sich
zu ihrem Christsein bekennen.
Mit Recht fordern Christen aller Konfessionen
immer wieder deutlich den Schutz
von Ehe und Familie.
Ebenso aber möchte ich nicht auf die verzichten,
die dabei durch diese oft sehr eng
geknüpften Maschen fallen.
Menschen, die von außen besehen die Norm erfüllen,
sind für mich noch nicht per se
Garanten für moralische Glaubwürdigkeit.
Das können sie sein.
Müssen sie aber nicht.
Gauner gibt es unter Familienvätern
genauso wie bei Alleinerziehenden.
Großartige Persönlichkeiten bei Schwulen
genauso wie bei Menschen, die bewusst allein leben.
Und genauso umgekehrt.
Jesu Jüngerwelt war schon damals bunter,
als wir es heute wahrhaben wollen.
„Liebe, und dann tue, was du willst“ –
der Satz stammt nicht von der Berliner Loveparade,
sondern vom Kirchenvater Augustinus.
Lieben kann schon mal damit anfangen,
wenn man Respekt vor anderen Lebensweisen hat,
ohne sie selbst zu leben.
Wenn man die Sehnsucht von Menschen achtet,
so lieben zu dürfen, wie sie sind.
Und wenn man barmherzig mit Scheitern umgeht.
„Selig sind nicht die Auf- und Abgeklärten,
denn ihr erhabenes Licht genügt,
die Reifen, denen nichts zu tun bleibt,
als vom Baum zu fallen.
Sondern selig die Umgetriebenen,
die Aufgescheuchten,
die täglich neu vor meinen Rätseln stehen
und sie nicht lösen können.“
Der diese Worte Gott in den Mund legt,
hatte etwas von Gott und den Menschen kapiert.
Hans Urs von Balthasar hieß er.
Mir gefällt das,
und mich beruhigt diese Seligpreisung.
Dann habe ich auch eine Chance.
Denn bei mir ist noch lange nicht alles klar,
was den Glauben angeht.
Da kann ich noch so viel Theologie studiert haben.
Gott bleibt ein Geheimnis,
dem ich mich nähern kann,
aber mit dem ich nie fertig werde.
Rätsel gibt es genug.
Niemand, erst recht nicht Gott,
verlangt von mir,
dass ich im Glauben alles auf die Reihe kriege.
Zu viele große und kleine Katastrophen
gibt es immer wieder und dann die Frage:
Wo ist Gott? Gibt es ihn wirklich?
Und wo geht diese Lebensreise
mit mir irgendwann hin?
Aber dieses Fragen gehört dazu.
Ein Glaube, bei dem man keine Fragen mehr stellt,
keinen Zweifel mehr kennt,
ist kein Glaube, sondern felsenfestes Wissen.
Wem das geschenkt ist, alle Achtung.
Da kann ich nur bei allem Respekt neidisch werden.
Ich habe dieses Wissen nicht.
Und ich bin sicher nicht der Einzige.
Die ganze Bibel ist voll mit Gestalten,
die im Auf und Ab ihres Lebens
auch ihre Probleme mit dem
geheimnisvollen Gott haben.
Das gehört zu einer lebendigen Beziehung.
Ich bin sicher, Gott weiß darum.
Ebenso, dass ihm die Suchenden
und mit ihm Kämpfenden
nicht die Unliebsten sind.
Die Gesellschaft, die Jesus um sich scharte,
war ein entsprechend bunter Haufen Menschen
mit allem Drum und Dran,
mit ganz gewöhnlichen Alltagen,
mit schwachen und starken Momenten.
Das kann ich mir auch
bei meiner eigenen Suche
nach der Wahrheit, die wir Gott nennen,
immer wieder sagen:
Gott kennt mich besser
als ich mich selbst; und:
Er hält mich aus.
So wie vor rund 900 Jahren
die heilige Hildegard von Bingen
an einen ängstlich-frommen Kirchenmann schrieb:
„Fürchte dich nicht,
Gott sucht nicht immerzu Himmlisches in dir.“
Irgendwann wird Gott selbst die Rätsel der Welt
und meine eigenen enthüllen.
In dem Zustand,
den wir mit schwachen Worten
Himmel nennen.
Von dem wir so wenig wissen,
von dem wir so viel erhoffen.
Bis dahin ist aber noch Zeit.
Meine Zeit.