Der phantastische Rebell - Alexander Moritz Frey

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Der phantastische Rebell - Alexander Moritz Frey
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Stefan Ernsting

Der phantastische Rebell

Alexander Moritz Frey

oder

Mit Hitler an der Font

FUEGO

– Über dieses Buch –

Alexander Moritz Frey ist einer der großen Unbekannten der deutschen Literatur. Sein Antikriegs-Roman »Die Pflasterkästen« (1929) wurde in einem Atemzug mit »Im Westen nichts Neues« genannt und sein Roman »Solneman der Unsichtbare« (1914) gilt als einer der großen Klassiker der phantastischen Literatur. Seinen Namen sucht man in den einschlägigen Nachschlagwerken trotzdem meist vergeblich. Dabei findet sich eine Episode in seinem Leben, die ihn für Historiker und Literaturwissenschaftlerinnen eigentlich ganz besonders interessant macht.

Alexander Moritz Frey lag von 1915 bis 1918 als Sanitäter zusammen mit dem Meldegänger Adolf Hitler an der Westfront des Ersten Weltkriegs im Schützengraben. In seinen persönlichen Aufzeichnungen und fiktionalen Ausflügen zeichnet Frey fast nebenbei ein präzises Bild des Gefreiten Hitler, dessen Fronterlebnisse bisher kaum durch Material aus erster Hand belegt waren.

1933 konnte Frey den Schlägertruppen seines ehemaligen Kameraden Hitler um Haaresbreite entkommen. Seine Bücher hatte man verbrannt und wie auch seine berühmten Freunden Thomas Mann, Heinrich Mann, Franz Marc, Max Reinhardt, Hans Arp, Stefan Zweig oder Hermann Hesse war er fortan auf der Flucht vor den Nazis.

»Der phantastische Rebell« erzählt die exemplarische Geschichte eines mutigen Mann, dessen Werk bis heute auf eine längst fällige Neuentdeckung wartet und der mit seiner Biografie exemplarisch für die Massen von längst vergessenen Intellektuellen, Künstlern und Autoren steht, die vor den Nazis fliehen mussten.

– PRESSESTIMMEN –

»Eine aufschlussreiche Biographie, die nicht nur einen bedeutenden Schriftsteller ehrt, sondern auch über den Einfluss der Phantastik auf die Gesellschaft zur Zeit der Weimarer Republik Aufschluss gibt. Nicht zuletzt ist dies auch eine erhellende Lektüre über Hitlers Weg zur Macht.«

(ZDF-Aspekte, Mainz, 2006)

»Wie schön, dass an dieses Leben noch einmal erinnert wird, an dieses Leben und Schreiben, an diesen erstaunlichen Mann.«

(Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, Frankfurt, 2007)

»Stefan Ernstings biographische und zeitgeschichtliche Annäherung an den Phantastischen Rebellen ist gespickt mit aufschlussreichen Dokumenten, sie ist materialreich und weckt Neugierde auf Freys schwer zugängliches Werk.«

(Literaturen Nr. 2/2007)

»Stefan Ernsting glänzt als akribischer Sammler und Archiv-Stöberer.«

(Tages-Anzeiger, 2007)

Für meine Mutter


Alexander Moritz Frey – der phantastische Rebell

»Die Vision hat ihren Ursprung im Protest, sie weiß besser als die Zeitung ›wie es wirklich war‹ – besser im Sinne einer stärkeren Logik, eines bunteren Geschehens, einer drohenden Wahrhaftigkeit.«

(Alexander Moritz Frey, 1929)

Einführung - Der phantastische Rebell

Alexander Moritz Frey ist einer der großen Unbekannten der deutschen Literatur. Sein Antikriegs-Roman »Die Pflasterkästen« (1929) wurde von der Presse der Weimarer Republik in einem Atemzug mit »Im Westen nichts Neues« genannt und sein Roman »Solneman der Unsichtbare« (1914) gilt als einer der großen Klassiker der frühen Phantastik. Frey verfasste eine große Zahl von Romanen, Novellen, Erzählungen, Gedichten und unzählige Rezensionen für diverse Tageszeitungen. Seine visionären Satiren und seine schonungslose Abrechnung mit dem »Maschinenkrieg« machten ihn nicht nur in München zu einem viel beachteten Mann. Alexander Moritz Frey war ein guter Freund von Thomas Mann, Heinrich Mann, Franz Marc, Max Reinhardt und Hans Arp. Er hatte engen Kontakt zu Stefan Zweig, Hermann Hesse und anderen Prominenten im Exil, aber seinen Namen sucht man in den einschlägigen Nachschlagwerken trotzdem meist vergeblich oder findet ihn höchstens aufgelistet als einen von vielen Exil-Autoren, die man bis heute noch nicht wieder in die Literaturgeschichte »re-integrieren« konnte. Es gibt kaum Fotos von Frey, seine Bücher sind fast unmöglich zu bekommen und heute ist ein Einblick in sein Schaffen nur noch in Literaturarchiven möglich. Dabei findet sich eine Episode in seinem Leben, die ihn für Historiker und Literaturwissenschaftlerinnen ganz besonders interessant macht.

Alexander Moritz Frey lag von 1915 bis 1918 als Sanitäter zusammen mit dem Meldegänger Adolf Hitler an der Westfront des Ersten Weltkriegs im Schützengraben. In seinen persönlichen Aufzeichnungen und fiktionalen Ausflügen liefert Frey eine nüchterne Beschreibung Hitlers, der damals bereits durch psychotisches Verhalten und opportunistische Hetzereien aufgefallen war. In verschiedenen Dokumenten zeichnet Frey ein präzises Bild des Gefreiten Hitler, dessen Fronterlebnisse bisher kaum durch Material aus erster Hand belegt waren. Frey hatte den späteren Führer mehrfach zu verarzten oder wegen Magenbeschwerden zu behandeln. Er kannte Hitler aus nächster Nähe und begegnete ihm auch nach 1919 immer wieder in München. Alexander Moritz Frey wäre ein Zeitzeuge von unschätzbarem Wert gewesen, geriet nach 1945 aber völlig in Vergessenheit.

Und noch ein anderer Mann, der Hitler ebenso lange kannte wie Frey, wurde von der Forschung bisher wenig beachtet: Feldwebel Max Amann, gemeinsamer Vorgesetzter des Sanitäters Frey und des Meldegängers Hitler. Die Bekanntschaft mit Hitler und Amann erwies sich nach dem Krieg als verhängnisvoll. Amann wurde später Geschäftsführer des »Völkischen Beobachters«, Verleger von »Mein Kampf« und Präsident der Reichspressekammer. Amann hatte Frey bereits 1920 damit gedroht, den ehemaligen Kameraden als Gegner zu verfolgen, wenn er sich gegen Hitler stellen würde.

Frey, der mit Thomas Mann zu den Gründern der Münchener Gruppe des »Schutzverbandes deutscher Schriftsteller« gehörte, kannte den »Führer« besser und länger als irgendein anderer Autor in Deutschland. Er konnte sein Wissen allerdings nie gegen Hitler verwenden. Zehn Tage nach Hitlers Sieg bei den Reichstagswahlen vom 5. März 1933 schickten die Nazis ihm einen Schlägertrupp der SA nach Hause. Frey wurde rechtzeitig gewarnt und ihm gelang im letzten Moment die Flucht nach Salzburg.

Alexander Moritz Frey war ein Meister der sozial-politischen Satire, die er vorzugsweise in phantastischem Gewand verpackte. In seinem Meisterwerk »Hölle und Himmel« setzte er sich 1945 auch auf fiktionalem Wege mit Hitler auseinander und analysierte die Motive der Nazis mit den Mitteln der Phantastik.

Die deutsche Phantastik, ein Vorläufer der Science Fiction, hatte großen Einfluss auf das gesellschaftliche Klima der Irrationalität, das sich später im Glauben an einen unfehlbaren und allgegenwärtigen Führer manifestierte. Der rasante Fortschritt der Technik hatte Anfang des 20. Jahrhunderts für immer neue Wellen revanchistischer Literatur mit utopischem Fundament gesorgt, die den irrationalen Machtphantasien der Nazis munter Vorschub leisteten.

Frey schrieb aber keinen jener hetzerischen Zukunftsromane, die in der Weimarer Republik den kulturellen Umschwung zum Irrationalen repräsentierten. Er benutzte die Phantastik lediglich als Vehikel für Satiren und Grotesken, die die deutsche Geschichte mit Spott und Hohn überschütteten. Vom Kaiserreich über die Kriegstreiberei von 1914, die Münchener Räterepublik, den Hitler-Putsch und die Inflation bis zum Aufstieg seines ehemaligen Kriegskameraden: Alexander Moritz Frey hat die Entwicklung begleitet und in seinen Werken kommentiert.

Während der Weimarer Republik viel beachtet, wurde er nach der Flucht aus Deutschland zum Schriftsteller »unter Ausschluss der Öffentlichkeit«. Er wurde nicht mehr gedruckt und lernte, »auf die meisten Mahlzeiten zu verzichten«. Nach dem Krieg hatte man ihn längst vergessen. Längst galt er »den Deutschen mit ihrem Reinwaschungsgefasel« als ein Nestbeschmutzer, den man besser ignorierte.

Frey hat sich nie versteckt oder geschwiegen. Auch im hohen Alter wetterte Alexander Moritz Frey öffentlich gegen jene 88 Schriftsteller, die Adolf Hitler bereits 1933 die Treue geschworen hatten und nach dem Krieg trotzdem problemlos wieder in den Literaturbetrieb integriert werden konnten. 1957 starb er völlig verarmt im Schweizer Exil. Sein Gesamtwerk wartet noch immer auf eine Wiederentdeckung, die schon viel zu lange verpasst wurde.

Stefan Ernsting,

Berlin-Kreuzberg, Juli 2014


Alexander Moritz Frey, ca. 1944 (Foto: Österreichische Exilbibliothek im Literaturhaus Wien)

I. Der Geist der Utopien

»Es werden sich nicht mehr allzu viele daran erinnern, denn es ist dreißig Jahre her: dass in den Münchener Schriftstellerkreisen, auch im damaligen Schutzverband, ein kleiner, zierlicher Herr sein stilles Wesen trieb. Er saß meistens am Rande und sprach nicht viel, ließ aber das auffallend klare, große Auge in dem kühlen, klugen Widdergesicht um so aufmerksamer schweifen. Die peinlich korrekt gekleidete Gestalt, das zurückgebügelte, damals sandblonde Haar deuteten auf einen Chirurgen, einen Juristen, gewiss nicht auf den Verfasser phantastisch-skurriler Erzählungen voll von Mystifikationen.« (Süddeutsche Zeitung, 28. Januar 1957)

 

August Alexander Moritz Frey wurde am 29. März 1881 in München geboren. Er besuchte eine evangelische Grundschule und durchlebte eine einsame Jugend. Die Eltern hatten sich erst spät zur Ehe entschlossen und waren bei seiner Geburt bereits verhältnismäßig alt. Frey wuchs als Einzelkind auf und begann schon früh zu rebellieren. Der Vater, Wilhelm Frey (1826-1911), war ein Schweizer Maler, der im Verlauf seines Lebens als Opernsänger reüssierte und in Mannheim lange Jahre den Tannhäuser sang. Von 1845 bis 1852 hatte er das Konservatorium in München besucht. Zwischen 1855 und 1870 wurde er quer durch Deutschland regelmäßig als Tenor gebucht bevor er sich wieder der Malerei widmete. In der Erzählung »Letzter Gang« beschrieb Frey später einen Maler, der alle Wesenszüge seines Vaters aufwies: »Er wunderte sich nicht über Einsamkeit, obwohl er eine Frau und einen Sohn besaß. Einen Sohn, der mit Anstand verbummelt war und kümmerlich lebte in irgendeiner großen Stadt - so weit weg, daß der Vater nur selten an ihn dachte - wie an etwas ganz Fernes, einst wohl Wichtiges, nun aber durch widrige Launen des Lebens belanglos Gewordenes.« (in »Mörder ohne die Tat«, S. 55 f.)

Wilhelm Frey war in erster Ehe mit einer Schauspielerin verheiratet, der Schwester des Malers Hoguet, die 1878 verstorben war. Ein Jahr nach ihrem Tod heiratete er Sophie Block, die Wilhelm Block bereits seit zwanzig Jahren kannte. »Man ließ sich damals viel Zeit«, kommentierte Alexander Moritz Frey in seinen Erinnerungen. Sophie Block (1842-1918), Tochter eines Gutsherren aus Schwerin, stammte im Gegensatz zur evangelisch-künstlerisch geprägten Familie des Vaters aus einem straff geführten Militärhaushalt. In ihrer Dissertation über Alexander Moritz Frey von 1984 schrieb Katrin Hoffmann-Walbeck: »Den Vater beschreibt Frey als Optimisten, gutmütig, leichtlebig und etwas oberflächlich, mit einer starken Neigung zur Pedanterie, überaus geräuschempfindlich und zuweilen jähzornig. Das Porträt der Mutter fällt dagegen weit ungünstiger aus: ständig kränkelnd, ständig um irgend etwas besorgt, religiös bis zur Bigotterie, dabei herrschsüchtig, unzufrieden und in gesellschaftlichen Fragen betont konservativ, zeichnet er sie als engherzige und kleinliche Person, deren ›preußisch-pflichtbewußte Anschauungen ... ganz im Äußerlichen steckenblieben‹. Er muss sie später – weit über ihren Tod hinaus – regelrecht gehasst haben; das einzige, was er ihr zugute hält, ist, dass er ob ihrer Ungerechtigkeiten, ihrer Frömmelei und ihrem blassen Dünkel früh lernte, ›über Gott und die Welt‹ nachzudenken und an der Richtigkeit der konventionellen Anschauungen zu zweifeln.« (KHW, S. 77)

Frey wuchs bis zu seinem 14. Lebensjahr in München auf, wo er eine protestantische Grundschule und später das Luitpold-Gymnasium besuchte. 1895 zogen die Eltern nach Mannheim, wo der Vater Direktor der Großherzoglichen Gemäldegalerie wurde und wieder mit der Malerei begann. Die Familie wohnte in einer Dienstwohnung im Mannheimer Schloss. »Wir lebten in himmelhohen, trohnsesselweiten Zimmern«, schrieb Frey später an Thomas Mann (KHW, S. 78). Alexander Moritz Frey fühlte sich weiterhin allein mit den alternden Eltern, deren Ehe nicht besonders glücklich verlief. Er ging nur widerwillig zur Schule und flüchtete sich in die Welt der Bücher. In der Erzählung »Erster Schiffbruch«, die Frey 1930 seinem Verleger Gustav Kiepenheuer widmete, erinnerte er sich an seine Kindheit als Zehnjähriger und wie viel Trost ihm in seiner Einsamkeit schon damals die Fähigkeit, Lesen und Schreiben zu können, gespendet hatte. Durch seinen Vater entwickelte Frey eine stille Liebe zur Malerei, zeigte aber nie Ambitionen, sich einer anderen Kunst als der Schriftstellerei zu widmen.

Alexander Moritz Fey machte 1903 Abitur und wollte eigentlich Medizin studieren. Er wurde aber von den Eltern und einem Onkel zum Jura-Studium gedrängt. Dreieinhalb Jahre saß er seine Zeit an den Universitäten von Heidelberg, Freiburg und München ab, studierte nebenbei Philosophie, beschloss aber von Anfang an, keinen Abschluss zu machen. Am Ende rasselte er spektakulär durchs Staatsexamen, indem er einen Stapel unbeschriebener Blätter abgab.

In seinem, ca. 1939 entstandenen, »Curriculum Vitae« fasst der Autor sein Leben bis zur Flucht nach Basel knapp zusammen: »In München am 29. März 1881 geboren, stehe ich da als eine Mischung von süddeutschem und norddeutschem Wesen, von Rundschädel und Langschädel. Die Vorfahren meines Vaters, aus der Schweiz über den Rhein gewandert, waren im Badischen Steuerbeamte, Offiziere, evangelische Pfarrer; die meiner Mutter lebten droben im Mecklenburgischen, nahe der Küste: als Offiziere, Geistliche, Apotheker und Gutsbesitzer. Mein Vater schlug aus der Art: er wurde Maler, dann ging er zur Bühne als Opernsänger, dann malte er wieder. Schließlich starb er 84jährig als Galeriedirektor in Mannheim; dort hatte er fünfzig Jahre vorher den Raoul in den Hugenotten und denn Tannhäuser gesungen. – Bei einem Gastspiel an der kleinen Hofoper in Schwerin hatte er meine Mutter – 18jährige Tochter eines Gutsherren – kennen und lieben gelernt. Zwanzig Jahre später heirateten sie – man ließ sich damals viel Zeit – und riefen mich ins Leben. Ich blieb der Einzige dieser Ehe, ein Spätgeborener; meine Eltern waren zusammen 100 Jahre alt, als ich auf die Welt kam.

Die doppelte Belastung mit evangelischen Geistlichen und preußischen Offizieren ist vielleicht daran schuld, dass ich beiden von Jugend auf aus dem Weg ging, so gut ich nur konnte. Die einen hatten mir zuviel Salbung und die anderen zuviel Schneid. Noch widerborstiger als in die Schule ging ich in die Kirche, und die einzige Karzer- und Kerkerstrafe, die mir jene Jahre eingebracht haben, musste ich absitzen, weil ich eines Sonntagabends die Andacht geschwänzt und die blöde Lüge erfunden hatte, die Kirche sei ›geschlossen‹ gewesen. Wer sich so unbegabt herauszureden versucht, wird zu recht eingesperrt.

Die Schule war schlimm – wie sie eben schlimm war in jenen Jahren in Deutschland. Mit Lernkram überbürdet, waren wir Gymnasiasten die reinsten Packesel, angetrieben von den Stockschlägen der Lehrer, die darauf sahen, dass das ›Klassenziel‹ und schließlich das Endziel, die Matura, erreicht wurde, koste es, was es wolle. Mancher blieb am Wege – Wedekind hat es geschildert -, und die durch das Tor der Freiheit kamen, was taten sie? Sie warfen vor allem mal den Kram ab, der sie neun Jahre hindurch gedrückt hatte, er war zum kleinsten Teil inneres Gut, warfen ihn ab, und so war eigentlich die ganze Not umsonst gewesen.

Bei mir ging der Druck weiter; unter dem Druck der Familie, besonders unter dem Einfluß eines juristisch hoch geklommenen Onkels, begann ich Jura zu studieren, obgleich mich die Sache ankotzte vom ersten Tag an. Ich wäre gern Mediziner geworden, man ließ mich nicht: das Studium sei überfüllt. So half ich denn die juristischen Hörsäle der Universitäten Heidelberg und Freiburg zu füllen, die nicht weniger überfüllt waren als die medizinischen Lehrräume, und beschäftigte mich, auf die Bänke gebeugt, damit, knappe lyrische Gedichte, mithilfe eines kleinen, gut schneidenden Taschenmessers, in Holz zu verewigen. Nach dreieinhalb Jahren fiel ich durchs Staatsexamen, ich war mit dem Entschluß hineingegangen, durchzufallen, der Entschluß fiel mir nicht schwer, ich konnte so gut wie nichts, ich gab mit großem Genuß weiße Blätter ab.

Nachdem ich so meiner Familie die von ihr herausgeforderte Antwort erteilt hatte, ging ich ›heim‹ nach München. Man wollte mich noch zur Ablegung irgend eines Doktorexamens bewegen, aber ich widerstand. Ich begann inbrünstiger zu schreiben – zaghaft hatte ich es schon als Primaner getan – und veröffentlichte meine ersten Arbeiten in deutschen Zeitungen und Zeitschriften.« (CV, S. 14-16)


Alexander Moritz Frey in jungen Jahren

Leuchtendes München

Alexander Moritz Frey verweigerte eine bürgerliche Karriere. Er hatte längst beschlossen, Schriftsteller zu werden. Der musisch orientierte Vater schien allerdings kein Verständnis für den Berufswunsch seines Sohnes zu haben. Immer wieder geriet er mit seinem Vater aneinander, der nach dem vermasselten Staatsexamen endgültig mit ihm brach. »Störungen seines geistig-seelischen Gleichgewichts konnte er rücksichtslos abstellen«, schrieb Alexander Moritz Frey später in sein Notizbuch (KHW, S. 101). Er bereiste für einige Wochen Italien und Österreich bevor er nach München zurückkehrte um Schriftsteller zu werden. Zuletzt hatte er sich im Mai 1904 an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg eingeschrieben, wo er am 15. Februar 1905 exmatrikuliert wurde. Bis 1908 bewohnte er, meist als Untermieter, sieben verschiedene Zimmer in München bis er eine Wohnung in der Maximilianstraße 15 gegenüber den Kammerspielen bezog, die er bis 1933 bewohnte.

Frey konzentrierte sich fortan voll und ganz aufs Schreiben. Seinen Arbeitstag begann er in der Dämmerung der frühesten Frühe und Unterbrechungen waren ihm ebenso verhasst wie Straßenlärm und »ewig schnüffelnde« Hunde. Er nahm seine Arbeit sehr ernst und unterbrach sie nur für einen täglichen Spaziergang um seine Gedanken zu sammeln. Frey trug Maßanzüge und ließ sich jedes Jahr neue Visitenkarten und Briefpapier mit selbst entworfenem Namenszug drucken, lebte aber ansonsten ausgesprochen bescheiden und ohne nennenswerte Laster. Er rauchte nicht, trank kaum Kaffee oder Alkohol und machte sich nicht viel aus Fleisch.

Als Alexander Moritz Frey zaghaft seinen Platz in der Moderne suchte, war die Kunstwelt mitten im Umbruch und München spielte dabei eine wichtige Rolle. Wassily Kandinsky, Paul Klee, Alfred Kubin, Michael Georg Conrad oder Franz Marc wohnten an der Isar. Karl Valentin, Hugo Ball und der dichtende Freiheitskämpfer Oskar Panizza trieben ihr munteres Unwesen. Frey fühlte sich in den literarischen Zirkeln von München nicht unbedingt heimisch und nahm auch keinen großen Anteil am Treiben der »Bürgerbohème« (Kurt Tucholsky), die sich in Schwabinger Wirtshäusern die Köpfe heiß redete. Schon früh fand er trotzdem seinen Platz im Kreise der Künstler und Schriftsteller, die in München von sich reden machten.

Frey war eng mit dem Maler und Karikaturisten Otto Nückel befreundet, der seinen Sarkasmus teilte. Nückel, ein Pionier des Bleischnitts, war ebenfalls Studienabbrecher und ein Anhänger des Skurrilen. Er bestärkte Frey in dessen Arbeit und illustrierte später zwei seiner Bücher. Nückel vermittelte seinem Freund auch den Kontakt zur berühmten Satire-Zeitschrift »Simplicissimus«, für die er als Illustrator und Karikaturist arbeitete. Er schleppte Frey gelegentlich mit in die zugehörige »Künstlerkneipe Simplicissimus« in der Türkenstraße 57, wo sich alles betrank, was in München Rang und Namen hatte. Ursprünglich sollte die Kneipe »Kleine Dichtelei« heißen, aber Rudolf Wilke, der Verleger des berühmten Satireblattes, hatte der Wirtin Kathi Kobus zu fortgeschrittener Stunde nach der Eröffnung gestattet, den Namen im Tausch gegen ein paar Runden Sekt zu verwenden. Thomas Heine, Schöpfer der berühmten Simplicissimus-Bulldogge, malte der Wirtin noch zusätzlich ein eigenes Wappen - eine Bulldogge, die sich bemüht, eine Sektflasche zu öffnen. Thomas Mann, Ludwig Thoma oder Erich Mühsam tranken hier ebenso ihr Bier wie Politiker, Diplomaten oder internationale Stars wie Isadora Duncan. Auf der kleinen Bühne wurden regelmäßig Lieder und Gedichte vorgetragen. Im »Alten Simpl«, wie man in Künstlerkreisen sagte, verwandelte sich Hans Bötticher in Joachim Ringelnatz und selbst der große Caruso ließ es sich nicht nehmen, den Stammgästen vor Ort eine kleine Kostprobe seines Könnens zu geben. Otto Nückel hatte im »Alten Simpl« einen Stammtisch, dem u. a. auch der Maler Franz Marc angehörte. Franz Marc (1880-1916), Expressionist und einer der Mitbegründer des »Blauen Reiters«, wurde zu einem weiteren guten Freund für Frey. Wenn ihm die Wirtshausatmosphäre im »Simplicissimus« auch nicht wirklich behagte, ließ sich Frey trotzdem immer wieder von seinen Freunden überreden, das Arbeitszimmer zu verlassen und sie zu ihrem Stammtisch zu begleiten. Im »Alten Simpl« lernte Frey auch seinen langjährigen Freund Max Kolmsperger kennen, der später Vorsitzender des Bayerischen Journalistenverbandes werden sollte. Alexander Moritz Frey war ein stiller Gast im »Alten Simpl«, der nicht weiter auffiel. Ohne selbst einen großen Namen zu haben, verkehrte er dank Nückel trotzdem mit den großen Namen aus Kunst und Literatur. Der direkte Draht zum literarischen München war hergestellt und die neuen Kontakte wollten genutzt werden. Für einen einsamen jungen Mann, der sein Leben lang Schriftsteller werden wollte, konnte es zunächst nicht besser laufen.

 


Poster der Simplicissimus-Bulldogge von Thomas Theodor Heine, eines der ersten modernen Plakate Deutschlands. Original von 1897

Alexander Moritz Frey veröffentlichte sein erstes Gedicht »Musik« im Januar 1907 in »Westermanns Monats-Heften«. Weitere Gedichte erschienen in Anthologien wie »Neue deutsche Gedichte« (Leipzig, 1908) und »Stimmungen« (Dresden, 1909), die von Hermann Beuttenmüller herausgegeben wurden. Frey hatte Beuttenmüller, der hauptberuflich Jurist war und nebenbei Gedichte schrieb, beim Studium in Freiburg kennengelernt. »In der Korrespondenz zwischen Frey und Beuttenmüller spiegeln sich die Probleme und Widerstände wieder, denen literarische Anfänger zu allen Zeiten ausgesetzt sind: Bezahlung und Belegexemplare bleiben aus, Manuskripte werden verschlampt, Termine nicht eingehalten etc.« (KHW, S. 80) Frey erhielt für seine ersten Veröffentlichungen überhaupt kein Geld von Beuttenmüller, der seine Autoren zudem nötigte, einen Teil der Auflage selbst abzunehmen.

Der zurückhaltende Frey war schon in jungen Jahren sehr belesen und erwies sich für Beuttenmüller als außerordentlich nützlich. Er benutzte Frey, der das entsprechende Gespür dafür zu haben schien, um weitere Autoren für seine Anthologien zu gewinnen. Erst 1928 lehnte sich Frey zaghaft gegen Beuttenmüllers Geschäftsgebaren auf und klagte am 8. Juni schriftlich ein ausstehendes Honorar ein, schließlich sei er »darauf angewiesen, vom Gewinn (s)einer Arbeiten zu leben.« (KHW, S. 105)

Frey publizierte weiterhin gelegentlich Gedichte, konzentrierte sich aber bald vor allem auf Kurzgeschichten und Erzählungen. Seine ersten Erzählungen erschienen bei Beuttenmüller im »Deutschen Novellenbuch« (Leipzig, 1910) und in »Heitere Geschichten« (4 Bände, Leipzig, 1910-1913). Im Oktober 1910 erschien seine Kurzgeschichte »Weltuntergang« in der Nr. 3 von »Licht und Schatten. Wochenschrift für Schwarzweisskunst und Dichtung«, einer illustrierten literarisch-künstlerischen Zeitschrift mit expressionistischem Einschlag, die von 1910 bis 1916 erschien und längst in Vergessenheit geraten ist. Neben den Brüdern Mann schrieben Hermann Hesse, Christian Morgenstern, Stefan Zweig oder Vicky Baum für die Zeitschrift, die Kunst und Literatur gleichermaßen Platz einräumte. Die Illustrationen stammten von Künstlern wie Alfred Kubin, Käthe Kollwitz, Carl Spitzweg, Max Liebermann und Lyonel Feininger. Einzelne Exemplare der Zeitschrift können allerdings nur noch bei einigen wenigen Sammlern bewundert werden. Die Literaturwissenschaft hat die »Licht & Schatten« bis heute nicht entdeckt und so ist nur sehr wenig über die Geschichte der Zeitschrift bekannt.

Entstanden war die »Licht und Schatten« aus dem Engagement des Druckereibesitzers Josef Molling aus Hannover, der sich von einer Konkurrenz zum »Simplicissimus« Profit versprach. Der Herausgeber Hanns von Gumppenberg (1886-1928), auch unter den Pseudonymen »Jodok« oder »Immanuel Tiefbohrer« bekannt, war ein notorischer Unruhestifter und in München bereits als Schriftsteller, Theaterkritiker und Satiriker aufgefallen. 1891 hatte er der frisch gegründeten »Gesellschaft für modernes Leben« in München eine Reihe Parodien prominenter Lyriker vorgetragen, die zehn Jahre später unter dem Titel »In allen Gangarten vorgeritten« auch als Buch erschienen. Er »entfesselte damit den verhaltenen Ingrimm der Reaktionären zu heftigem Protest«, wie von Gumppenberg in seinen »Lebenserinnerungen« schrieb. 1901 gründete von Gumppenberg, der gerade zwei Monate Festungshaft wegen »fahrlässiger Majestätsbeleidigung« absolviert hatte, im »Alten Simpl« das erste Münchener Kabarett, die legendären »Elf Scharfrichter«.

Josef Molling ließ seinen Herausgeber und Chefredakteur von Gumppenberg 1909 ein Preisausschreiben mit Hauptpreisen zwischen 1000 und 1500 Mark veranstalten, um »junge Talente« zu finden. Die Jury, der u. a. Thomas Mann angehörte, hatte aus über 1000 Zuschriften auszuwählen. Die Rechnung ging auf. Die »Licht und Schatten« konnte von Anfang an auf eine Reihe hervorragender Autoren zurückgreifen. Alexander Moritz Frey gehörte schon früh zur Stammbesatzung, wenn er auch keinen der Preise gewonnen hatte. Die »Licht und Schatten« hatte einen hervorragenden Ruf, erschien überregional und war wie gemacht für die Schreibe von Alexander Moritz Frey. Frey fand in der »Licht und Schatten« den ersten regelmäßigen Abnehmer für seine Kurzgeschichten und wurde auf Augenhöhe mit den größten Namen gedruckt, die der Literaturbetrieb im Kaiserreich zu bieten hatte. Für ihn war die Veröffentlichung in der »Licht und Schatten« eine Befreiung. Er war nicht länger auf den Münchener Kleinverleger Beuttenmüller angewiesen, der von ihm erwartete, die eigenen Werke im Bauchladen selbst zu verkaufen. Frey schrieb bereits am 17. Februar 1910, Monate vor Erscheinen der Startnummer von »Licht und Schatten«, euphorisch an Hermann Beuttenmüller, er würde demnächst regelmäßig für eine »neu erscheinende Zeitschrift« (KHW, S. 112) schreiben, deren Namen er nicht nennen könne.

Leben konnte Frey von seinen Veröffentlichungen noch nicht. Sein Lebensunterhalt schien zunächst durch einen Künstlerfonds gesichert worden zu sein, mit dem er sich für kurze Zeit über Wasser halten konnte. Nach dem Tod des Vaters im Jahre 1911 kam später eine kleine Erbschaft dazu, die es ihm ermöglichte, sich weiterhin auf seine literarische Arbeit zu konzentrieren. Frey schrieb in stiller Bescheidenheit und kam auch mit wenig Geld gut aus. Nebenbei rezensierte er Bücher für diverse Tageszeitungen und verdiente sich ein wenig Taschengeld dazu. Er erwies sich dabei als genauer Kenner der Literatur seiner Zeit und schrieb bis zu seinem Tod über 800 Rezensionen. Seine besondere Vorliebe galt der phantastischen Literatur klassischer Prägung.