Buch lesen: «Das gefallene Imperium 8: Auf Leben und Tod», Seite 5

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Er schluckte schwer und winkte seinen XO näher. »Die Flotte soll zum Planeten vorstoßen«, befahl er. »Anschließend kann mit der Landung begonnen werden. Die Bomber sollen unseren Legionen Deckung aus der Luft geben.«

MacGregor nickte eifrig und trat einige Schritte zurück. Er wusste, sein kommandierender Offizier hätte jetzt gern ein paar Minuten für sich.

Garner bildete mit seinen Händen ein Dreieck und stützte sein Kinn darauf, während er seine Gedanken schweifen ließ. Sie hatten die Raumüberlegenheit im System erkämpft und die feindliche Flotte vernichtend geschlagen. Warum also fühlte sich das alles nicht so an wie ein tatsächlicher Sieg? Und noch etwas beschäftigte ihn, wurmte ihn regelrecht: Der Feind war ganz offenbar vorgewarnt worden. Warum standen also nur dreihundert Feindkreuzer im System. Die Nefraltiri hätten gut viermal so viele Schiffe schicken können. Garner machte ein Gesicht, als hätte er auf eine Zitrone gebissen. Warum hatte er nur insgeheim das Gefühl, er befände sich genau dort, wo die Nefraltiri ihn haben wollten?

7

Der Bodenangriff auf Samadir erfolgte in zwei Wellen. Die erste bestand aus herkömmlichen Truppentransportern, die ihre Module über vorher festgelegten Landzonen abwarfen und anschließend so schnell wie möglich wieder an Höhe gewannen, um die Atmosphäre hinter sich zu lassen.

Legion um Legion marschierte aus den abgeworfenen Containern, um zuerst die jeweilige LZ zu sichern und anschließend vorzurücken, um die weitere Umgebung zu säubern.

Die zweite Welle bestand in mehreren Großraumtruppentransportern. Kaum innerhalb der Atmosphäre, öffneten sie ihre Luken und entließen Hunderte von Gefechtstaxis ins Freie. Jedes der kleinen, bewaffneten Gefährte trug eine volle Zenturie ins Gefecht. Aufgabe dieser Einheiten war es, hinter den feindlichen Linien zu landen, den Gegner durch diese beeindruckende Zurschaustellung von Mobilität zu überraschen und weitere strategische sowie taktische Ziele im Handstreich zu nehmen. Teil der zweiten Welle war unter anderem die 7. Legion des 12. Korps.

Die Backbordseitenverkleidung öffnete sich ein kleines Stück und der Bordschütze begann augenblicklich damit, den Luftraum rund um das Vehikel mit panzerbrechenden Projektilen aus seinem doppelläufigen Schnellfeuernadelwerfer zu bestreichen.

Tian lugte dem Mann über die Schulter, wünschte sich aber sogleich, er hätte es nicht getan. Der Himmel über Samadir wimmelte nur so von Jackurykriegern. Es mussten Millionen sein. Die Gefechtstaxis nahmen Formation ein und die Geschosse ihrer Bordwaffen fetzten durch Chitinleiber wie ein heißes Messer durch Butter. Die Jackury fielen zu Zigtausenden vom Himmel, aber immer noch kamen neue nach.

Das Taxi unmittelbar zu ihrer Rechten wurde mit einem Mal von einem Dutzend Jackury belagert. Die Insektoiden stürzten sich regelrecht auf das Flugzeug, ohne auf die eigene Sicherheit auch nur einen einzigen Gedanken zu verschwenden.

Als Erstes erwischte es den Bordschützen. Ein Jackury rammte seinen Stachel durch dessen Panzerung und mit einem kräftigen Ruck riss der Insektoide den armen Kerl ins Freie. Tian versuchte, den Mann im Auge zu behalten, als er wild um sich strampelnd in die Tiefe stürzte. Es war wie ein Stich ins Herz. Einen solchen Tod mochte er nicht sterben: eingeschlossen in seiner Rüstung, der Oberfläche entgegenstürzend ohne Hoffnung auf Rettung.

Die Jackury auf dem Taxi nebenan kämpften sich bis zum Cockpit vor. Tian sah, wie sich das Cockpitfenster von innen rot färbte, als die Besatzung lebendigen Leibes zerrissen wurde. Bereits ein paar Sekunden später rollte sich das Flugzeug um die eigene Achse und trudelte der Oberfläche entgegen, während weitere Legionäre aus der Öffnung fielen.

Tian lehnte sich leicht zurück. Der Bordcomputer seiner Rüstung informierte ihn, dass seine Atmung gefährlich zunahm. Die medizinischen Systeme injizierten ihm einen Cocktail aus einem Beruhigungsmittel sowie ein Medikament, um den Blutdruck zu senken. Tian registrierte, dass seine Atmung sich normalisierte.

Sein Blick glitt abermals ins Freie. Weitere Gefechtstaxis verloren zunächst an Höhe und stürzten schließlich ab. Tian fragte sich, wie hoch ihre Verluste wohl sein würden, bis sie ihr Ziel erreicht hatten. Aber für jeden Legionär verloren Hunderte, wenn nicht Tausende von Jackury ihr Leben.

Mammoth-II-Jagdbomber, eskortiert von Vindicator-Abfangjägern, zogen über ihre Formation hinweg. Mit einem Mal gingen die Bomber in Sturzflug über und warfen ihre Last über mehreren Pyramidenbauten ab. Die intelligenten Sprengkörper durchschlugen den äußeren Korpus der Jackurynester und drangen tief in den Boden ein, bevor sie detonierten und die Korridore der feindlichen Behausungen mit flüssigem Feuer fluteten.

Tian warf dem Piloten einen kurzen Blick zu. Als hätte dieser es bemerkt, drehte er sich um und hob den Daumen. Tian atmete tief durch. So weit, so gut. Der Angriff hatte mindestens ein Dutzend feindlicher Nester ausgeschaltet. Verglichen mit dem, was da draußen an Jackury herumflog, war das zwar nur ein Tropfen auf den heißen Stein, aber jedes bisschen half.

Mit einem Mal vernahm er die Stimme des Piloten in seinem Helm. »ETA bis zum Ziel: zwei Minuten. Macht euch fertig.«

Tian nahm nacheinander Blickkontakt mit seinen Truppkameraden auf. Jeder Einzelne signalisierte Einsatzbereitschaft. Mit einer wortlosen Geste, bedeutete er seinen Freunden, sie sollten sich gegenseitig noch ein letztes Mal die Ausrüstung überprüfen. Die Legionäre folgten der Anweisung mit der stoischen Gelassenheit geübter Profis.

Francine Hernandez übernahm diese Aufgabe bei Tians Ausrüstung und nach vollendeter Überprüfung erwiderte er den Gefallen.

»ETA eine Minute«, war die Stimme des Piloten erneut zu hören.

Das Ziel der 7. Legion war die Stadt Nisa. Vor der Invasion hatte es sich dabei um eine mittelgroße Stadt auf dem westlichen Teil des kleineren Hauptkontinents gehandelt. Aufgrund ihrer Lage war sie von hoher Bedeutung. Ihre Ruinen boten ausreichend Schutz. Damit eignete sie sich als Feldhauptquartier und als Ort, an dem eine große Anzahl Legionäre sich ausruhen und neue Kraft schöpfen konnte.

Die Stadt musste unter allen Umständen eingenommen werden. Damit würden sie in Zukunft vielen Kameraden das Leben retten.

Tian trat an die Luke, hielt sich dabei aber an der Deckenverstrebung fest und verriegelte seine Hand, damit er nicht versehentlich hinausfiel. Francine lugte ihm über die Schulter, als sie sich der Stadt näherten.

»Meine Güte, was für ein Dreckloch«, meinte sie. »Und dafür sollen wir kämpfen?«

Tian schüttelte leicht den Kopf. Die Stadt glich in der Tat einer Ruinenlandschaft, die dabei war, von einer Wüste verschluckt zu werden. Allerdings hatte er während der Einsatzeinweisung Bilder gesehen, die vor der Ankunft der Jackury und Hinrady aufgenommen worden waren.

»Das alles hier war mal ein einziger, grüner Planet«, hielt er ihr leise entgegen. »Er war wunderschön.«

Tian hörte Francine über Funk schnauben. »Unsere insektoiden Freunde haben ganze Arbeit geleistet.«

»Allerdings«, erwiderte er bedrückt. Samadir war jetzt bar jeden einheimischen Lebens. Hier existierten nur noch die beiden Sklavenrassen der Nefraltiri. Auf dem ganzen Planeten sah es genauso aus wie hier. Tian war nur froh, dass die Operation lediglich beinhaltete, den kleineren Kontinent zu besetzen. Allein diese Aufgabe war schon ein Höllenritt. Er bezweifelte, ob es ihnen gelungen wäre, auch den größeren Kontinent zu befreien.

Die Gefechtstaxis verloren schnell an Höhe. Sie begaben sich auf ein Niveau knapp drei Meter über dem Boden. Die Legionäre sprangen nacheinander ins Freie. Tian spürte den Zug der Schwerkraft, als er über den Rand der Luke spazierte. Diesen Teil einer Luftlandeoperation hasste er am meisten. Der freie Fall schien immer ewig anzudauern, obwohl es sich nur um knapp eine Sekunde handelte.

Tian traf auf dem Boden auf. Er ging leicht in die Hocke, um die Wucht des Aufpralls abzufedern. Rings um ihn kamen die Legionäre der Siebten auf und formierten sich.

Der Master Sergeant ließ die Sensoren seiner Rüstung einen 360-Grad-Scan durchführen. Francine blieb dicht bei ihm. »Ich orte nichts«, gab sie durch.

»Ich auch nicht«, informierte er sie. »Das gefällt mir nicht.«

»Stellung halten!«, brüllte Rinaldis Stimme plötzlich durch seinen Helm. »Das Empfangskomitee wird nicht lange auf sich warten lassen.«

Die Landezone der 7. Legion lag in einem Areal, das früher einmal der Stadtpark gewesen war. Ein Ort aus Grün und Blau, der von der örtlichen Bevölkerung zur Erholung und Entspannung aufgesucht worden war. Nun zeugten nur noch einzelne verdrehte, vertrocknete Gerippe toter Bäume von der Vielfalt an Leben, das hier geherrscht haben musste.

Die Kohorten der 7. Legion nahmen Kampfstellung ein und sicherten das Gebiet hoch professionell ab. Das völlige Fehlen von Feindaktivität machte aber nicht nur Tian stutzig.

»Sarge?«, meldete sich Rinaldi über Funk. »Ihr Trupp klärt die nähere Umgebung auf. Falls Sie den Feind ausmachen, greifen Sie nicht an. Erkunden Sie lediglich seine Stärke und kehren Sie anschließend zurück.«

»Verstanden«, erwiderte Tian ohne erkennbare Gefühlsregung. Tatsächlich knirschte er aber mit den Zähnen. Er schaltete auf die allgemeine Truppfrequenz. »Blutiger Dolch? Ausrücken zur Feindaufklärung.«

8

Bernadette betrat die Brücke genau in dem Moment, in dem das Schwarmschiff im Samadir-System materialisierte. Und es war der Augenblick, in dem sie realisierte, dass etwas nicht stimmte.

Die Unruhe, die Ad’""bana auf einer tiefen, kaum wahrnehmbaren Bewusstseinsebene verströmte, ließ Bernadette für eine Sekunde aus dem Tritt geraten. Ihre Konzentration war kurz gestört, normalisierte sich aber sogleich wieder.

Ad’""banas Hologramm stand stocksteif mit hinter dem Rücken verschränkten Händen an der Stirnseite der Brücke unweit des Kontrollstuhls. Sie rührte sich keinen Millimeter. Genauso gut hätte sie eine Statue sein können.

Sie war allerdings alles andere als untätig. Ad’""bana kontrollierte jeden Aspekt der Schiffssysteme und hatte noch mehr als genug Kapazitäten übrig, um sich über etwas große Sorgen zu machen.

Etwas huschte kurz durch Bernadettes Geist. Ihr schwindelte und sie stoppte, um nicht versehentlich zu stolpern. Auch dieser Augenblick ging vorüber. Doch nun hörte sie etwas. Es schienen Worte zu sein. Jedoch war sie nicht in der Lage, auch nur eines davon zu verstehen. Es war, als betrete man einen Raum voller Menschen. Das Hintergrundmurmeln war jederzeit vorhanden, plätscherte aber einfach dahin, ohne dass man konkret Gesprächsfetzen heraushören konnte. Bernadette wusste sofort, worum es sich handelte. Sie setzte sich wieder in Bewegung und trat neben ihre Freundin, ihre Kameradin, ihre Seelenverwandte.

Sie warf der Inkarnation des Schwarmschiffes einen Seitenblick zu. »Deine Schwestern?«

Ad’""bana nickte abgehackt. »Sie wissen, dass wir hier sind – dass ich hier bin.«

»Was haben sie vor?«, wollte Bernadette wissen. »Warum greifen sie nicht an.«

»Sie warten erst einmal ab«, erklärte das Schwarmschiff. »Sie werden erst angreifen, wenn sie sicher sind, dass das Ziel ihrer Begierde auch wirklich hier ist.«

»Was bedeutet das?«

Ad’""bana rümpfte ihre holografische Nase. »Das bedeutet, sie werden erst einmal ihre Lakaien vorschicken.«

Als hätten ihre Worte sie beschworen, hallte ein Alarm durch die Korridore des mächtigen Kriegsschiffes und auf einem der Bildschirme tauchten mehrere rote Symbole direkt über dem Planeten auf. Sie erschienen aus dem Nichts. Ad’""bana benötigte lediglich Sekundenbruchteile, um sie zu identifizieren. Ihre Stimme troff vor Verachtung, als sie ein einzelnes Wort aussprach: »Hinrady.«

Lieutenant Colonel Samuel Thurnball von der 3. Schattenlegion führte seine Leute durch das, was von der drittgrößten Stadt auf Samadir noch übrig war.

Dem Namen nach handelte es sich bei seiner Einheit noch um eine der gefürchteten Schattenlegionen. Doch seit der verheerenden Schlacht auf Risena bestand seine Einheit aus nicht einmal mehr achthundert Mann. Das war weniger als halb so stark wie eine Kohorte einer Schattenlegion. Bisher hatte man weder die Mittel noch die Zeit gehabt, seine Legion wieder auf volle Stärke zu bringen. Aus diesem Grund hatte sich General Delgado entschieden, Thurnballs Dritte als Stoßtrupp einzusetzen.

Samuel biss sich auf die Unterlippe. Es gefiel ihm nicht. Er befehligte eine Schattenlegion und das sollte sich auch in der personellen Stärke widerspiegeln. Auf der anderen Seite verstand er die Notwendigkeiten des Krieges. Es gab im Moment einfach nicht genug Mittel, um seine Einheit auf Vordermann zu bringen. Und wenn er die Wahl hatte zwischen den Möglichkeiten, mit einer unterbesetzten Legion in die Schlacht zu ziehen oder auf der Ersatzbank zu sitzen, bis alles vorbei war, nun, da zog er jederzeit Ersteres vor. Außerdem hatte er mit den Nefraltiri und deren Handlangern noch eine Rechnung offen.

Sam ging in die Hocke und bedeutete zwei nachfolgenden Feuertrupps, Flankenposition einzunehmen. Die Legionäre stürmten an seiner Position vorbei. Der zu seiner Rechten bezog Stellung in den Überresten eines Fast-Food-Restaurants, der zu seiner Linken in den Ruinen einer Drogerie.

Indem er seine Wangenmuskeln anspannte, öffnete er eine Funkverbindung. »Hier Schatten drei-sechs an Kobra fünf-sechs. Erbitte Lagebericht.«

In seinen Ohren knackte es und er befürchtete schon, seine Nachricht wäre nicht durchgekommen. Sam machte sich bereit, die Worte zu wiederholen, als plötzlich Alice Listens Stimme durch seinen Helm dröhnte.

»Hier Kobra fünf-sechs. Feindeinheiten in erheblicher Stärke weniger als einen halben Klick nördlich ihrer Position. Krabbler.«

Sam verzog die Miene. Der Begriff Krabbler hatte sich inzwischen als Bezeichnung für die Jackury etabliert. Die Hinrady nannte man einfach Flohteppich.

»Verstanden. Sonst noch was?«

Alice zögerte mit ihrer Antwort. Dann erwiderte sie jedoch: »Ich glaube, es befindet sich ein Nest innerhalb der Stadt. Ich sehe eine Menge Krabbler, die sich in konzentrischen Kreisen über einem bestimmten Punkt bewegen.«

Sam stutzte. Das war in der Tat typisch für Jackurykrieger, die ihren Stock bewachten. Dadurch ließ sich der entsprechende Standort relativ einfach lokalisieren und ausschalten. Sein Blick glitt nach oben. Der Himmel war im Moment frei. Keine feindlichen Jäger waren zu sehen. Und kaum Jackury. Sam erwog, Luftunterstützung anzufordern und das Nest auf die denkbar einfachste Art zu beseitigen, entschied sich jedoch dagegen.

Die Piloten wurden an anderer Stelle dringender benötigt. Das schafften seine Leute auch in Eigenregie. Eine Stimme ganz hinten in seinem Verstand mischte sich ein und erinnerte ihn daran, dass dies nicht unbedingt eine kluge Vorgehensweise war und er von seinen persönlichen Gefühlen unter Umständen beeinflusst wurde.

Sam leckte sich über die Lippen. Da war vielleicht sogar was dran. Fast fünfzehntausend Mann der Dritten waren auf Risena elendig verreckt. Sie waren in Stücke gerissen, an Larven verfüttert oder in ihren Rüstungen zerquetscht worden. Nicht zuletzt auch Talbot, der frühere Kommandant der Legion – und Sams engster Freund.

Ja, seine persönlichen Gefühle hatten die Entscheidung womöglich beeinflusst. Aber er sah das ein bisschen anderes. Seine Erfahrungen auf Risena gaben ihm die Motivation, den Krieg in Talbots Namen weiterzuführen. In diesem Fall war das doch etwas Gutes. Oder nicht? Sam verbannte die unwillkommene Stimme in den hintersten Winkel seines Verstands, wo er sich nicht mit ihren moralischen Einlassungen auseinandersetzen musste.

»Position halten«, wies er Alice Listen mit tonloser Stimme über Funk an. »Lotsen Sie uns rein.«

Abermals zögerte der weibliche Captain. »Sie meinen sicherlich, ich soll die Luftunterstützung reinlotsen.«

»Hätte ich das gemeint, hätte ich das gesagt«, herrschte er sie lautstärker an als beabsichtigt. Er schwieg und zwang sich, bis drei zu zählen. Als er fertig war, fühlte er sich bereits gelassener. Beinahe sanft fügte er hinzu. »Führen Sie den Befehl aus.«

»Verstanden!«, erwiderte sie. Kaum eine Sekunde später wurde auf Sams HUD eine Karte des Zielgebiets eingeblendet und ein roter Punkt erschien an der Stelle, an dem Alice ihren Peilsender aktiviert hatte. Sam nickte zufrieden.

Der Colonel machte eine kurze Handbewegung und hinter ihm wurden die Ruinen lebendig, als Hunderte von Schattenlegionären aus ihrer Deckung rückten. Die Männer und Frauen folgten in lockerer Formation ihrem Anführer durch das Labyrinth aus Trümmern, die die geschleifte Stadt nun bildeten.

Die Stadt und ihre Umgebung glichen auf frappierende Art und Weise dem Gebiet auf Risena, in dem sie gekämpft hatten. Der Planet war nun eine öde Wüstenei und ohne Wurzeln der Flora, die die Erde stabilisierte, waren Sandstürme an der Tagesordnung. Und die Städte des Planeten waren dabei, von diesen nach und nach verschlungen zu werden.

Samuel führte seine Schattenlegionäre über die letzten zwei Dünen und befand sich unvermittelt in einem alten fünfstöckigen Gebäude am Rand von etwas, das mal der Sportplatz einer Universität gewesen war.

Die Feuer und Asche-Zenturie erwartete ihn bereits. Alice Listen nickte ihm kurz zu und machte ihrem vorgesetzten Offizier anschließend Platz. Wortlos deutete sie nach Norden.

Der Colonel aktivierte die Optik seiner Rüstung und vergrößerte die Ansicht so weit, dass er die Geschehnisse bequem beobachten konnte.

Inmitten des Sportplatzes erstreckte sich ein Loch von mindestens acht Metern Durchmesser im Boden. Ein beständiger Strom an Jackury ergoss sich daraus oder war dabei, wieder zurückzukehren. Rings um die Öffnung waren Arbeiter ohne Unterlass dabei, den Stock zu stabilisieren und seine Wände zu reparieren.

Sam ging zurück auf Normaloptik und warf Alice einen unschlüssigen Blick zu. »Das Nest ist anders als die, die wir auf Risena gesehen haben.«

Alice’ behelmter Kopf bewegte sich im steifen Nicken nach vorn. »Sie haben dieses Mal keine Pyramide angelegt, sondern den Stock direkt in den Boden versenkt. Wenn sie diese Methode verfeinern, wird es mit der Zeit schwieriger, ihre Nester aus der Luft auszuschalten.«

Sam schnaubte. »So denken die sich das. Aber da haben wir auch noch ein Wörtchen mitzureden.« Er streichelte vielsagend die Brandgranaten, die an seinem Gürtel hingen.

Alice sah vielsagend auf. »Wir fackeln sie ab?!«

»Das hat schon auf Risena super funktioniert. Egal, wie sie ihre Nester auch anlegen, eines können sie nicht verhindern: den Abfallprozess ihrer Verdauung. Das Zeug ist verdammt leicht entflammbar.«

»Daran erinnere ich mich noch. Beinahe wären wir mit hochgegangen.«

»Diesmal wird es ein wenig anders laufen«, beruhigte er sie.

»Wollen wir’s hoffen«, gab sie schlicht zurück. Sie seufzte. »Also, wie lautet der Plan?«

Sam überlegte. Schließlich streckte er seine Gestalt. »Wir gehen das Nest von zwei Seiten an. Eine Truppe lenkt die Jackury ab. Die andere nähert sich im Verborgenen und wirft die Brandgranaten rein. Ein Dutzend sollten reichen, um eine Kettenreaktion auszulösen.«

Alice seufzte abermals. »Und wer wird wohl den Köder spielen dürfen?«, meinte sie in gespieltem Entsetzen.

Sam kicherte leise. »Na wer wohl? Sie eignen sich hervorragend als Ziel. Und geben Sie sich bitte Mühe, einladend zu wirken.«

Alice warf dem Nest und der wimmelnden Masse an Jackurykriegern einen zweifelnden Blick zu. »Darüber mache ich mir die wenigsten Sorgen.«

»Sondern?«, hakte Sam nach.

»Sondern, ob wir die wieder loswerden«, gab sie zurück. Ohne auf eine Antwort zu warten, zog sich Alice in den angrenzenden Korridor zurück, wobei ihr mehr als die Hälfte der Schattenlegionäre folgte.

Sam sah den Soldaten hinterher, bis diese verschwunden waren. Das war ebenfalls ein Nebeneffekt der Schlacht auf Risena. Das Offizierskorps der Dritten war extrem ausgedünnt. Alice Listen war Captain, übte aber momentan de facto die Befehlsgewalt sowie die Verantwortung eines Majors aus. Er nahm sich vor, dies bei nächster Gelegenheit zu formalisieren, indem er die Offizierin für eine Beförderung vorschlug.

Später. Sam stieß einen Schwall Luft aus und widmete seine Aufmerksamkeit dem Nest voraus. Nun musste er aber seine ganze Kraft in die Beseitigung dieser Gefahr stecken.

Sam wartete angespannt mit dem Rest seiner Truppe. Er dirigierte lediglich einzelne Trupps und Zenturien mittels kurzer, wortloser Datenübertragungen in angrenzende Gebäudeteile, um seine Feuerkraft im anstehenden Gefecht besser verteilen zu können.

Unbewusst streichelte er sein Nadelgewehr, während er aus dem Fensterrahmen starrte. Listen hätte längst in Position sein müssen. War vielleicht etwas schiefgegangen? Gut möglich, dass sie auf eine größere Truppe von Hinrady gestoßen waren. Von denen trieben sich eine Menge in der Stadt herum.

Sam bezwang mit eiserner Entschlossenheit die Ungeduld, die ihn zu übermannen drohte. Er tröstete sich mit der Gewissheit, dass ihm ein Schusswechsel dieser Größenordnung nicht entgangen wäre.

Er leckte sich über die Lippen. Mit einem Mal fegten zwei Raketen aus einem angrenzenden Gebäude und detonierten mitten unter dem Jackuryschwarm, der das Nest bewachte. Teile zerfetzter Insektoiden regneten herab. Die übrigen handelten jedoch – wie nicht anders zu erwarten – schnell und als funktionierende Einheit überaus tödlich.

Der komplette Schwarm wandte sich dem Angriff zu, als würde es sich um ein einzelnes Lebewesen handeln. Die Jackury griffen mit todesverachtender Inbrunst Listens Stellung an und wurden von einem Hagel an panzerbrechenden Projektilen empfangen. Erst starben Dutzende von ihnen, dann Hunderte. Dennoch ließen sie zu keiner Sekunde in ihrem Streben nach, die Bedrohung für das Nest zu eliminieren.

Sam biss die Zähne zusammen. Durch Pressen der Kaumuskeln aktivierte er einen Kanal. »Es geht los. Alle fertig machen!«

Die Luft wurde erfüllt vom Geräusch durchladender Waffen. Sam machte eine knappe Handbewegung und drei Sturmlegionäre rückten vor.

Anstatt ihrer schweren Nadelwerfer trug jeder dieser drei Sturmlegionäre einen Tank auf dem Rücken und hielt eine klobige Waffe in der Hand, die über einen Schlauch mit dem Tank verbunden war. Die Flammenwerfer waren in der Lage, einen großen Bereich abzudecken, und hatten sich bereits als äußerst effektiv im Kampf gegen die Insektoiden erwiesen.

Die drei Sturmlegionäre traten ins Freie. Sofort wurden die Jackury auf sie aufmerksam. In Scharen stürzten sie sich auf die Soldaten, nur um innerhalb von Sekundenbruchteilen abgefackelt zu werden.

»Vorwärts!«, schrie Sam und führte die restlichen Legionäre hinaus. Die Flammenwerfer schufen eine Todeszone, in der sich Sams Truppe festsetzen und weiter vorrücken konnte.

Die drei Sturmlegionäre beschrieben mit ihren Flammenwerfern einen beständigen Halbkreis. Jeder Jackury, der zu nahe kam, verbrannte unwillkürlich. Die meisten zerfielen zu Asche. Einige wenige stürzten als schwarz verkohlte, seltsam verrenkte Gerippe zu Boden.

Sam übernahm die Führung über seine Einheit. Die Legionäre rückten in Richtung des Nestzugangs vor, beständig feuernd und den Feind auf Abstand haltend. Der Angriff der Jackury hatte sich indessen verlagert, weg von Listens Stellung hin zur akuteren Bedrohung.

Mehreren Jackury gelang mit Müh und Not der Durchbruch. Bevor sie jedoch über die Legionäre herfallen konnten, wurden sie gnadenlos niedergemäht. Sams Gesicht unter dem Helm glich einer hasserfüllten Grimasse. Wäre er in der Lage gewesen, sie zu sehen, er wäre wohl vor sich selbst erschrocken. Er war gänzlich auf das Nest voraus fixiert. Lediglich zwanzig Meter fehlten noch, dann hätten sie es geschafft, und das ohne nennenswerte Verluste. Das HUD seiner Rüstung meldete bisher lediglich ein halbes Dutzend Tote sowie etwa doppelt so viel Verwundete bei Listen und noch kein einziges Opfer auf seiner Seite der Attacke.

Mit einer Hand befingerte der Colonel die Brandgranaten an seinem Gürtel. Nicht mehr weit, nur noch ein kleines Stück. Je näher die Legionäre vorrückten, desto verzweifelter versuchten die Jackury, sie davon abzuhalten. Die würden scheitern, da war er sich sicher.

Der Boden erzitterte plötzlich. Es geschah mit solcher Stärke, dass die Legionäre für einen Augenblick verdutzt innehielten. Sam befürchtete schon, es handele sich um ein Erdbeben, obwohl Samadir nicht für tektonische Aktivität bekannt war. Aber es war kein Erdbeben. Sam blickte auf. Es war etwas viel Schlimmeres.

Ein riesiger Schwarm Jackury brach aus dem Nest heraus und erhob sich beinahe majestätisch in die Höhe. Die Legionäre beobachteten den Vorgang fasziniert. Für eine Sekunde schwiegen die Waffen mit Ausnahme der Flammenwerfer, so geschockt waren die Soldaten von dem Schauspiel, das sich ihnen bot.

Der Schwarm erhob sich über die Köpfe der Legionäre und man hätte tatsächlich meinen können, es handele sich um ein einziges, intelligentes Wesen, dessen Instinkt auf Töten programmiert war. Der Schwarm verharrte kurz in der Luft – und ging dann zum Angriff über.

Die Jackury stürzten sich auf die Legionäre und entfachten damit einen regelrechten Sturm. Die Flammenwerfer fackelten Hunderte von ihnen ab. Allerdings kümmerten sich die Jackury nicht darum. Der Sturm erreichte die drei Sturmlegionäre.

Einer von ihnen wurden innerhalb von Sekundenbruchteilen in Stücke gerissen. Sein Tank explodierte, was zwar einer Menge Jackury ein jähes Ende bereitete, aber auch drei Feuertrupps.

Sam warf sich flach auf den Boden, sodass die Flammenwand über ihn hinwegrollte. Selbst im Schutz seiner Rüstung konnte er die Hitze noch fühlen. Er fürchtete schon, in seinem Panzeranzug lebendig gebraten zu werden.

Wer die Geistesgegenwart besaß, folgte dem Beispiel seines Anführers. Die meisten aus Sams Truppe lagen nun am Boden und bemühten sich nach Kräften, sich zu verteidigen. Einige wurden einfach in die Höhe gezogen und kurz darauf in die Öffnung geworfen, aus der der Schwarm hervorgekommen war. Hinein in das grauenvolle Schicksal, das allen Lebewesen in einem Jackurynest blühte, das nicht zu den Insektoiden gehörte.

Sam sah auf. Zwei der Sturmlegionäre mit den Flammenwerfern waren noch halbwegs auf den Beinen. Einer von ihnen drehte sich in Panik um die eigene Achse, um die Vielzahl an Gegnern abzuwehren. Die Insektoiden krabbelten über dessen Rüstung, rissen die Panzerung mit ihren Krallen in Fetzen, um an das weiche Fleisch darunter zu kommen. Sam hörte die Schreie des Mannes über Funk. Doch es gab nichts, was er dagegen tun konnte.

Von Listens Position aus ging ein Hagel aus Raketen und Gewehrfeuer auf die Insektoiden nieder, in der Hoffnung, die Flut etwas eindämmen zu können. Es half nur unwesentlich. Die Jackury steigerten sich in einen wahren Blutrausch hinein. Der zweite Flammenwerferlegionär fiel, als es die Jackury ins Innere der Rüstung schafften. Dessen Schreie endeten gnädigerweise. Sam hätte sie nicht viel länger ertragen können.

Sein Blick richtete sich auf den letzten Flammenwerferlegionär. Dieser war noch auf den Beinen und kämpfte den Kampf seines Lebens. An einigen Stellen hingen die Panzerplatten der Rüstung herab. Die Bewegungen des Mannes wurden langsamer, unkoordinierter. Der Sturmlegionär taumelte in Richtung der Nestöffnung.

Im Nachhinein wusste Sam nicht mehr, was ihn zu dieser Tat getrieben hatte. Er handelte rein instinktiv. Der Colonel sprang auf, rannte ungeachtet der marodierenden Jackury auf den Mann zu und rammte ihn mit voller Kraft.

Der Sturmlegionär verlor das Gleichgewicht. Er wedelte noch mit beiden Händen, aber es war zu spät. Praktisch wie in Zeitlupe kippte er seitlich über und stürzte in das Nest hinein.

Die Jackury kreischten vor Panik. Der Großteil des Schwarms folgte dem fallenden Legionär, um die drohende Gefahr von ihrem Nest abzuwenden. Sam drehte sich im selben Moment um und eilte zurück zu seinen Leuten.

»Rückzug!«, schrie er. »Zurück in die Gebäude!«

Die meisten Legionäre erkannten im selben Moment, worauf das alles hinauslief, die übrigen nur eine Sekunde später. Gemeinsam rannten sie weg von der sich anbahnenden Katastrophe.

Sam hätte es beinahe in die nächste Ruine geschafft, als sich hinter ihm der Boden in einer gewaltigen Detonation aufbäumte. Die Druckwelle erfasste ihn im Sprint, hob ihn hoch in die Luft und wirbelte den Legionär gegen die nächste Wand – und glatt hindurch.

Sam kam schwer auf dem Boden auf. Er keuchte. Ohne Rüstung hätte er das niemals überlebt. Ein Schauer aus Trümmern ging auf ihm nieder – und dann folgte Stille.

Wie lange er so dagelegen hatte, wusste er selbst nicht zu sagen. Vielleicht waren es Stunden gewesen, vielleicht auch nur Minuten.

Jedenfalls, nach einer Ewigkeit, wie ihm schien, räumte man die Trümmer über ihm weg. Sein HUD war noch einsatzfähig und er erkannte Alice Listens besorgtes Gesicht über seinem. »Colonel? Sind Sie in Ordnung?«

»Ich … ich denke … ja«, erwiderte Sam schwach.

Listens Mimik änderte sich von Besorgnis zu offener Anklage. Sie schüttelte leicht den Kopf. »Was haben Sie nur getan?«

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