Selma Lagerlöf - Gesammelte Werke

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Seinen Bruder hatten sie mitgenommen, damit dieser ihnen in der finstern Nacht das Fahrwasser zeige, und der Bruder war gar nicht so sehr ungern mitgegangen. Er war zwar lange nicht so betrunken wie die anderen, aber für den Heimgekehrten hegte er ungefähr dieselben Gefühle wie die Kameraden. Man zog ihn auf mit dem Bruder, gab ihm um seinetwillen häßliche Reden, und er fragte sich, welches Recht dieser Bruder habe, herzukommen und seinen Geschwistern Widerwärtigkeiten zu bereiten. Er hielt sich hinter dem breiten Rücken der anderen verborgen und grinste im voraus beim Gedanken an das, was jetzt kommen werde.

»Joel, Jung-Joel!« rief ihn seine Mutter an. »Was haben sie mit Sven im Sinn?«

Und ohne Zaudern gab Jung-Joel Antwort, so gewöhnt war er nun einmal, die Fragen, die diese Stimme an ihn stellte, zu beantworten.

»Sie wollen ihm eine Schlange zu essen geben.«

Die Unfähigkeit, sich zu rühren, unter deren Bann Sven Elversson stand, wurde immer größer, deutlich sah er den kommenden Auftritt vor sich. Die Gesellen würden ihm befehlen zu essen, und er würde sich weigern. Sie würden ihn schlagen und mit Füßen treten, und er würde immer wieder nein sagen. Jetzt gab es keine Macht mehr, die ihn zwingen konnte, etwas Widriges zu essen, und dann würden sie ihn zu Tode quälen.

Aber er hatte noch einige Augenblicke vor sich; der Augenblick, wo er mit ihnen hinausgehen sollte, war noch nicht gekommen.

Der eine, der am Morgen die Schlange gefunden hatte, zog das lange glänzende Tier aus der Tasche. Er taumelte auf einem Bein und hielt zugleich Mutter Thala die Schlange unter die Nase.

»Die wird ihm schmecken!« sagte er.

»Seid ihr denn Unmenschen, alle miteinander!« rief die Mutter. »Und ihr meint, ich werde meinen Sohn Sven, der soviel besser ist als ihr alle, mit euch gehen lassen?«

Nun brach die Schar in lautes Gelächter aus.

»Er braucht nicht weiter mit uns zu gehen, als bis zum Boot hinunter,« sagte der mit der Schlange in der Hand. »Dort wollen wir sie ihm braten.«

Die Ohnmacht, die Sven Elversson gefangen hielt, fing an zu weichen. »Jetzt ist es bald Zeit,« sagte er zu sich. »Heut abend geht alles zu Ende. Das ist nichts, um darüber zu trauern.«

Die Mutter warf einen Blick auf ihn und sah ihn mit dem kummervollen, verzeihenden Lächeln auf den Lippen dasitzen. Von Zorn oder Lust zum Widerstand war nichts in seinen Zügen zu bemerken, nur Demut und stiller, unterwürfiger Kummer.

»Aber du wirst doch wirklich nicht daran denken, mit ihnen zu gehen!« rief sie ihm zu. »Weißt du, wer der mit der Schlange dort ist? Es ist Olaus von der Fårö, er ist mitschuldig an einem Kindesmord. Er hat seine Braut verlassen, als sie ihn gerade am nötigsten gehabt hätte.«

Die Gesellen krümmten sich vor Lachen.

»Nur keine Angst für das Söhnchen, Mutter Thala!« sagte Olaus von der Fårö. »Er darf salzen und pfeffern, soviel er will. Und er wird nicht schlechter als vorher, wenn er eine Schlange ißt.«

»Und der da!« rief die Mutter und deutete auf den längsten und häßlichsten von den Gesellen. »Der da ist Corfitzson von Fiskebäck. Er hat in seinem Leben viel Böses getan, und unter anderem hat er, nur um die Versicherungssumme einzustreichen, auch Feuer an einen mit Vieh gefüllten Stall gelegt.«

»Eil dich, mein Junge! Setz' die Mütze auf und komm!« sagte Corfitzson und legte Sven Elversson die Hand auf die Schulter.

Aber Mutter Thala fuhr in schwindelnder Eile fort:

»Und der dort, das ist Bertil vom Strömsund. Wenn du wissen willst, was das schlimmste ist, was er getan hat, so war es wohl das, daß er seine Großmutter zu Tode gefüttert hat. Sie lebte keine zwei Monate mehr, nachdem sie ihm ihr Haus abgetreten hatte. Und der dort hinten in der Ecke ist Torsson von Iggenäs, der immer nur die Fische aus dem Garn der anderen gestohlen hat, und die beiden dort hinten, die am ärgsten betrunken sind, das sind Rasmussen und Hjelmfelt. Sie versaufen ihren ganzen Verdienst und lassen Frau und Kinder hungern.«

Sie hatte die Stimme beinahe zum Schreien erhoben und bebte vor Angst und Zorn. Die Männer waren einige Augenblicke so unter dem Bann ihrer Worte, daß sie schwiegen und zu lachen aufhörten.

»Und weißt du, wer das ist, der dort ganz hinter den anderen steht?« fuhr die Mutter mit noch gellenderer Stimme fort. »Das ist dein Bruder Jung-Joel Er hat weiter nichts getan, als daß er seine alten Eltern auf ihrer Schäreninsel hilflos verkommen lassen wollte. Was hab' ich ihn angefleht, zu uns herauszuziehen, aber er wollte nicht hören.

Und nun Sven, jetzt, wo du weißt, was das für Leute sind, wirst du doch nicht mit ihnen gehen wollen?«

Gerade als sie dies sagte, sah sie ihren Sven aufstehen, immer noch ebenso sanft und verzeihend wie vorher, nur vollkommen bereit, sich zu unterwerfen und zu leiden.

Von neuem brach die Schar in lautes Gelächter aus.

»So ist's recht, mein Junge, daß du gutwillig mitgehst!« rief Olaus, der augenscheinlich der Anführer war. »Du kannst dich doch auch sechs starken Männern allein nicht widersetzen.«

Aber Mutter Thala war nicht die Frau, die die Absicht hatte, ihren Sohn gehen zu lassen, ohne vorher allen Widerstand zu leisten, den sie zu leisten vermochte. Mit einem raschen Griff riß sie Olaus die Schlange aus der Hand, warf sie in den Nebenraum und stellte sich vor die Tür.

Im selben Augenblick ging die äußere Tür auf, und Joel stürzte herein.

»Was geht denn hier vor?« rief er. »Was macht ihr hier für einen Lärm? Und wohin wollt ihr mit Sven?«

Er sah, daß ein paar von den Gesellen auf Mutter Thala zugesprungen waren, um sie von der Tür wegzureißen, und daß ein paar andere Sven Elversson die Hände auf die Achsel gelegt hatten und ihn vor sich herstießen.

Ohne einen Augenblick zu zaudern, warf sich der alte Mann unter die Kämpfenden.

»Laßt los! Rührt Sven nicht an!« rief er.

Da fühlte Sven Elversson plötzlich, wie die Starrheit von ihm wich. »Jetzt ist es Zeit, jetzt kämpfe für Vater und Mutter und für dich selbst,« sagte eine Stimme in ihm.

»Jung-Joel!« rief er seinem Bruder zu, der sich hinter der Schar der berauschten Eindringlinge hielt. »Mach' die Tür zum Flur auf!«

Und als der Bruder, der gewohnt war, allen Befehlen, die in diesem Haus gegeben wurden, zu gehorchen, die Tür weit aufgemacht hatte, faßte Sven den Olaus um den Leib, hob ihn vom Boden auf und warf ihn hinaus. Corfitzson von Fiskebäck stürzte herzu, um Sven mit sich fortzureißen, fühlte sich aber gleich darauf von starken Armen umfaßt, aufgehoben und seinem Kameraden nach in den Flur hinausgeworfen.

Als dies geschehen war, sprang Jung-Joel vor und stellte sich neben seinen Bruder.

Es folgte noch einige Augenblicke lang ein wilder Tumult; aber dann war auch die alte Küche von allen Feinden gesäubert.

Jung-Joel schloß die Tür hinter ihnen zu. Dann trat er mit einer gewissen Feierlichkeit auf den Bruder zu und reichte ihm die Hand.

»Wie in aller Welt hast du das gemacht?« fragte er mit der aufrichtigsten Bewunderung. »Den Griff mußt du mir zeigen.«

Das Gesicht des älteren Bruders hatte von dem Kampf Farbe bekommen, und das duldende Lächeln war von seinen Lippen verschwunden.

»Verlaß dich darauf, jetzt kommen die anderen auch zu der Erkenntnis, daß mit dir nicht zu spaßen ist,« sagte Jung-Joel. »Aber wenn Du so ein Ringkämpfer bist, warum hast du denn dann bisher alle die Schimpfworte ertragen, ohne zu mucksen?«

Da verlor Sven Elversson ein einziges Mal die Selbstbeherrschung. Er warf sich auf einen Stuhl und verbarg das Gesicht in den Händen.

»Warum sollte ich mich wehren!« brach er in Verzweiflung los. »Wenn ich mich selbst doch mehr verachte, als du oder einer der anderen mich verachten können? Wenn ich größeren Ekel vor mir selbst empfinde, als ich euch je einflößen kann? Mehr Ekel, mehr Abscheu. Niemand von euch weiß so gut wie ich, was ich getan und wogegen ich gesündigt habe. Ich hasse mich selbst. Mir ekelt vor mir selbst. Was hilft es mir da, wenn ich ein paar Betrunkenen den Mund stopfe?«

Die Motorjacht Najade

Ein paar Tage nach Weihnachten kam Jung-Joel nach Hause. Er hatte von Olaus von der Fårö den Auftrag, anzufragen, ob sich Sven Elversson am Heringsfang auf der Motorjacht Najade, die seiner Bootsmannschaft gehöre, beteiligen wolle.

»Er sagt, er glaube nicht, daß du bei irgendeiner anderen Bootsmannschaft unterkommen werdest,« berichtete Jung-Joel. »Aber da du mein Bruder bist, muß ich dich warnen. Es sind keine netten Leute, die mit Olaus fahren.«

Die Mutter sagte sofort, davon könne gar keine Rede sein, daß sich Sven unter solches Pack mische; aber der Vater schien anderer Meinung zu sein.

»Es wäre doch gar nicht so uneben, wenn Sven den Fischfang lernte, wie er hier an der Küste betrieben wird,« sagte er. »Und Jung-Joel hat ganz recht, es ist nicht leicht für dich, bei einer anderen Bootsmannschaft unterzukommen.« »Aber das kann doch nicht deine wirkliche Meinung sein!« rief die Frau aus. »Wer weiß, was die für Absichten haben, daß sie Sven kommen lassen wollen! Sicherlich ist es nur wieder eine neue Gemeinheit, die sie sich ausgedacht haben.«

»Nun, ich will ja nichts anderes gesagt haben, als es sei schade, daß Sven nicht mit zum Fischen hinauskomme,« sagte Joel ausweichend.

Aber nun fielen Sven Elversson die Worte seines Vaters am Weihnachtsabend wieder ein, und der Verdacht, sein Vater möchte ihn wohl gerne von Hause weghaben, stieg in seinem Herzen auf.

»Grüße Olaus von mir und danke ihm für sein Anerbieten,« sagte er zu dem Bruder. »Ich freue mich, daß er mich mitnehmen will. Sobald ich kann, werde ich nach der Fårö kommen.«

 

»Dann kannst du jetzt gleich mit mir kommen und dir in unserem Laden die Ausrüstung kaufen,« sagte Jung-Joel. »Heute morgen ist ein Telegramm eingetroffen, der Hering stehe in dichten Massen droben bei Smiögen. Morgen wird überall aufgebrochen.«

Eine Weile herrschte große Geschäftigkeit; schon nach kurzem waren beide Brüder fort, und Joel und Thala saßen wieder allein beisammen.

Es vergingen ein paar Wochen, und von Sven war noch keine Nachricht nach der Grimö gelangt; da, eines Sonntags, kam Jung-Joel zu Besuch.

Thala wollte sofort wissen, was die Fårögesellen mit Sven angefangen, ob sie ihn vielleicht totgeschlagen hätten? »Ich habe nur gehört, daß die Leute sagen, früher sei auf der Najade einer gewesen, der mitschuldig sei an einem Kindsmord, und einer, der seine Großmutter zu Tode gefüttert habe, und ein Mordbrenner, und einer, der immer nur Fische aus anderer Leute Netzen gestohlen habe, und zwei, die sich durchaus zu Tode saufen wollten, und nun hätten sie auch noch einen unter sich, der Menschenfleisch gegessen habe, jetzt sei die Sammlung vollständig, und mehr Übeltäter auf einer Schute könne niemand verlangen. Aber von Sven selbst hab' ich nichts gehört, und auch nichts anderes erfahren, als daß zwischen ihm und seinen Kameraden alles gut gehe.«

»So red' doch keinen Unsinn!« sagte Thala. Sie sah böse aus, war aber jedenfalls froh, weil nichts Gefährliches geschehen war. »Und das sage ich dir, mein Junge, sobald du etwas von Sven hörst, kommst du sofort und gibst uns Bescheid! Das ist der größte Liebesdienst, den du Vater und mir erweisen kannst.«

Nach vierzehn Tagen kam Jung-Joel wieder auf die Schäre heraus.

»Jetzt muß ich Euch etwas sagen, Mutter,« erzählte er. »Niemand glaubt, daß die Bootsmannschaft auf der Najade es noch lange mit Sven aushalten wird. Die Leute behaupten, die schmutzigste und schlechteste und übelriechendste aller Fischerjachten in den Schären sehe allmählich reingefegt und aufgeputzt aus, der Motor streike nicht mehr, wenn man ihn gerade am nötigsten habe, der Segelfetzen, den sie zuweilen hissen, um die Schute weiterzutreiben, sei geflickt und habe ein paar große viereckige Stücke eingesetzt bekommen, der verschossene Wimpel sei durch einen neuen farbenprächtigen ersetzt worden, das Namenschild sei neu vergoldet und der Name ›Najade‹ ganz richtig daraufgemalt, es fehle kein Buchstabe daran, die Nahrung an Bord schmecke ganz merkwürdig ähnlich dem Essen, das man an Land bekomme, und es blitze und blinke von Schüsseln und Tellern in der Kombüse. Seht Ihr, Mutter, man behauptet, es hätte einen zwar nicht gewundert, daß die Leute auf der Najade einen, der Menschenfleisch ißt, an Bord dulden, daß sie sich aber reine Schüsseln und Teller gefallen lassen, darüber wundert man sich.«

»Geh weg, ich glaube, du willst mich nur zum Narren haben,« sagte die Mutter; aber der Sohn merkte doch, wie sehr sie durch seine Nachrichten erfreut war. »Und vergiß nur nicht,« fuhr sie fort, »es uns gleich wissen zu lassen, wenn du etwas von deinem Bruder Sven erfährst. Er ist ein Fremder hierzulande, und wir müssen aufpassen, wie es ihm geht, damit ihm nicht etwa ein Unglück zustößt.«

Aber wer auf der Grimö wohnt, muß sich in Geduld üben. Vierzehn Tage lang mußte Mutter Thala warten, bis Jung-Joel wieder mit Nachrichten von Sven Elversson herauskam.

»Ihn selbst hab' ich auch jetzt nicht getroffen,« sagte er. »Aber ich habe behaupten hören, es könne mit ihm und den Leuten auf der Najade nicht mehr länger so weitergehen. Jetzt soll Olaus, der der Schiffer auf der Najade ist, anfangen darauf zu dringen, daß die Mannschaft zu rechter Zeit an Bord komme, und es sei ihm schon mehrere Male gelungen, mit seiner Jacht zugleich mit der übrigen Fischerflotte abzufahren und am Fischplatz anzukommen, sich einen günstigen Platz zu verschaffen und einen guten Fang zu tun. Und wenn das Netz ganz und unverworren und wohlgepflegt und nicht so verrottet ist, daß es bricht, wenn die Wate am vollsten ist, und wenn der, der die Sache zu leiten hat, nicht so betrunken ist, daß er den ganzen Fang ins Wasser fallen läßt, wenn er eben am Bootrand angelangt war, und wenn auf der Motorjacht Najade sogar Geld verdient wird, so glaubt niemand, daß Olaus von der Fårö und Corfitzson von Fiskebäck und Bertil von Strömsund und Torsion von Iggenäs und Rasmussen und Hjelmfeld das aushalten. Denn mit einem an Bord, der Menschenfleisch ißt, könne es ihnen immer noch wohl sein, aber mit einer reingefegten Schute zu fahren, ordentlichen Fischfang zu treiben und schön Geld zu verdienen, darein hätten sie sich ihr Leben lang nicht finden können.«

Mutter Thala schalt Joel, weil er kein ernstes Wort reden könne, aber jedenfalls war sie mit dieser Nachricht sehr zufrieden.

»Du wirst sehen, es geht alles gut,« sagte sie. »Ach der Joel, der Joel! Ich meine nicht dich, ich meine deinen Vater. Er ist der klügste Mensch, der in ganz Bohuslän zu finden ist. Er wußte, was er tat, als er Sven unter Menschen schickte.«

Ein paar Wochen später kam Jung-Joel wieder mit einem neuen Bericht.

»Sven selbst hab' ich nicht getroffen,« erzählte er. »Der Hering ist dieses Jahr weit droben im Norden, aber die Leute sagen, wenn sich Olaus von der Fårö habe überreden lassen, für das Geld, das er verdient hat, seine Wohnung neu herzurichten, und wenn Corfitzson von Fiskebäck sein Geld auf die Bank trage, sobald er es in die Hand bekomme, und wenn Bertil seiner Frau ein neues Kleid kaufe und Torsson sich ein neues Segelboot anschaffe, und wenn Rasmussen und Hjelmfeld sich dazu bequemen, ihren Frauen und Kindern etwas zum Leben zukommen zu lassen, so gehe es bei der Besatzung der Najade nicht mit rechten Dingen zu. Nicht darüber wundert man sich, daß sie einen, der Menschenfleisch ißt, unter sich dulden, aber daß sie es auf einer reinen Schute aushalten und geordnete Fischerei treiben und imstande sind, zu leben wie andere Leute, das hätte man niemals von ihnen geglaubt.«

»Es führt doch niemand so abscheuliche Reden wie du!« sagte Mutter Thala zu ihrem Sohne; aber sie war außerordentlich befriedigt und sagte, jetzt glaube sie, es werde noch alles gut für Sven enden, und die Leute würden noch soweit kommen, ihn zu dulden.

»Ach aber, was Sven gegen sich hat, sitzt alles so tief und eingefleischt bei den Menschen, daß man nicht erwarten darf, es werde ihm so leicht werden, darüber zu siegen,« sagte Joel. »Wir müssen froh sein, wenn wir es soweit bringen, daß es nicht Macht über ihn selbst bekommt.«

Ein paar Wochen darauf kamen beide Brüder nach Hause. Sie sahen niedergeschlagen aus, als sie das Haus auf Grimö betraten.

Weder Mutter Thala noch Joel stellten irgendeine Frage an Sven; aber die Mutter verstand es einzurichten, daß sie bald einmal mit Jung-Joel allein war.

»Was in aller Welt gibt's denn jetzt?« fragte sie.

Jung-Joel sah ergrimmt und zornig aus und sagte: »Es hilft alles nichts, ob auch Olaus und Corfitzson und die ganze andere Najademannschaft sich bessern und ihre Jacht sauber halten und ihre Fischerei ordentlich treiben, und acht auf ihr Geld geben, wenn sie ihr Haus nicht betreten können, ohne daß ihnen eine weinende Frau entgegenkommt. Was sollen sie anfangen, wenn ihre Weiber ihnen sagen, sie sollten lieber bleiben, wie sie gewesen seien, als mit einem, der Menschenfleisch gegessen habe, Gemeinschaft halten. Wenn sie sagen, sie empfänden solchen Ekel vor Sven, daß er sich auch auf die übertrage, die alle Tage in seiner Gesellschaft seien. Wenn sie sich weder aus einem neu hergerichteten Haus, noch aus einem Segelboot, noch aus Kleidern, Essen, Hausgerät, Glück, Ehre und Fortkommen etwas machen und das alles opfern wollen, um von ihrem Ekel loszukommen! Da es so stand, mußten die Männer Sven ja bitten, sich von der Najade fernzuhalten und lieber daheim auf der Grimö zu bleiben, wo ihm niemand begegnet und niemand Anstoß an ihm nimmt.«

Das Schulhaus

In diesem selben Frühjahr, kurz nachdem der Sohn vom Heringsfang heimgekehrt war, erhielt der alte Joel eine Anfrage vom Pfarrer in Applum, ob er geneigt sei, einen Schulhausbau zu übernehmen.

Joel hatte früher schon einige Bauten in der Gemeinde übernommen und so billig ausgeführt, daß für ihn selbst kaum ein Verdienst übriggeblieben war. Das war wohl der Grund, warum er auch jetzt wieder aufgefordert wurde, obgleich ihn viele wohl schon für zu alt dafür gehalten hätten.

Als Mutter Thala Elversson von dem Anerbieten hörte, erklärte sie sofort, eine so bedeutende Arbeit dürfe Joel nicht mehr übernehmen, und ihr Mann widersprach ihr nicht geradezu. Aber er sprach davon, wie peinlich es für die ganze Gemeinde werden könnte, wenn ein fremder Unternehmer hereinkäme. Er sagte auch, wie gerne er mit dabei gewesen wäre, den Schulkindern ein neues Haus zu bauen, die sich bis jetzt mit dem alten, finstern und zugigen Bootshaus, das seither als Schulhaus benutzt worden war, hatten begnügen müssen.

»Du hättest nur die Pläne sehen sollen!« sagte er zu Thala. »Alles, was die Leute jetzt ausdenken, um es nett und bequem zu machen, ist dabei verwendet. Von so vielem wußte man in unserer Jugend noch gar nichts.«

»Du bist ja ganz Feuer und Flamme für den Bau,« sagte die Frau. »Wenn man der Sache auf den Grund geht, so hast du am Ende schon ja gesagt.«

Der Alte sah ganz verlegen aus.

»Ich hätte es nicht getan, wenn ich jetzt nicht einen erwachsenen Sohn im Hause hätte,« sagte er.

»Aber du hättest ihn wenigstens vorher fragen sollen,« meinte Mutter Elversson, und sie konnte sich nicht genug verwundern über Joels Unternehmungslust. Der Sohn hatte in den letzten Tagen so niedergedrückt ausgesehen, es schien ihr unmöglich, ihn zu irgendeiner Arbeit zu bewegen.

»Ich glaube, Sven würde es sicher nicht bereuen, wenn er sich überwinden könnte, bei dem Bau zu helfen,« sagte Joel. »Für jemand, der einmal auf seinem eigenen Hofe sitzen soll, ist es nur ein Vorteil, wenn er etwas von der Zimmermannsarbeit und vom Grundlegen versteht. Wenn mir Sven aber nicht helfen will, dann sage ich selbstverständlich ab.«

»Das kannst du sofort tun,« meinte die Frau.

Mutter Thala wunderte sich sehr darüber, daß Joel meinte, er könne seinen Sohn veranlassen, sich an einem Bau innerhalb des Kirchdorfes zu beteiligen. Sie meinte, dort sei der Widerwillen gegen Sven stärker als sonst irgendwo.

Der Sohn war bei dieser Unterredung anwesend, hatte aber bis jetzt geschwiegen. Er verstand jedoch sehr gut, was der Vater mit seinem Vorschlag für Absichten hatte; sein einziges Dichten und Trachten schien zu sein, ihn unter Menschen zu bringen. Der Mißerfolg mit der Najade hatte ihn nur zu der Bemerkung veranlaßt, Sven habe viel größeren Erfolg gehabt, als er erwartet hätte, und er hatte den Sohn mit den besten Worten, die er zu sagen wußte, gelobt. Sven jedoch hätte sich auch jetzt, wie früher schon, am liebsten ruhig zu Hause gehalten; aber es kam ihm vor, als ob der Vater das nicht zulassen werde, ehe er sich nicht noch einmal überzeugt hatte, wie unmöglich es den Menschen war, den Ekel zu vergessen, den er ihnen einflößte.

»Ich meine, Vater sollte nicht absagen,« sagte er jetzt. »Ich will versuchen ihm zu helfen, so gut ich kann.«

Joel war sehr erfreut über diese Antwort, und schon am nächsten Tag nahm er den Sohn mit zu einem Rundgang bei den Handwerksleuten, Zimmerleuten, Steinhauern und Maurern.

Fast wider seinen Willen fühlte sich Sven Elversson bald von der Bauarbeit hingenommen, und der Vater überließ ihm die ganze Leitung. Er überließ es ihm völlig, die Arbeit zu überwachen, und überließ ihm auch, zu bestimmen, auf welche Weise der Bau ausgeführt werden sollte. Die Grimö liegt ziemlich weit draußen im Meer, und Sven Elversson wollte nicht gerne mit dem Hin- und Herfahren zu viel Zeit verlieren, darum blieb er im Kirchdorf, solange die Arbeit währte. Auch Joel schien bald der ewigen Segelfahrten nach Applum müde zu werden. Er blieb wochenlang auf der Insel und ließ seinen Sohn mit dem Bau schalten und walten, so gut er konnte.

Wenn er je einmal ins Kirchdorf fuhr, kam er stets hochbefriedigt wieder zurück. Nach jeder neuen Fahrt erkundigte sich seine Frau ängstlich, ob denn in Applum kein Mißfallen darüber laut werde, daß sein Sohn den Bau leite, aber er hatte ihr nur gute Nachrichten zu bringen.

»Heute hab' ich Israel Jönsson getroffen, der, wie du weißt, der Vorsteher des Gemeinderats ist,« sagte Joel. »Ich hab' ihn gefragt, was er über den Schulbau denke, und da sagte er: ›Ich will es nicht leugnen, Joel, daß wir hier in Applum unsere Bedenken darüber gehabt haben, weil Ihr Euerm Sohn die Leitung des Baus überlassen habt. Aber jetzt werden sich meiner Ansicht nach der Schulrat und der Gemeinderat und alle Behörden in der Gemeinde wohl hüten, Sven von seiner Arbeit zu vertreiben. Denn wenn wir Verwaltungsbeamte sehen, daß er einen Granitsockel macht statt eines gewöhnlichen Steinsockels, wie es auf den Plänen vorgesehen war, oder wenn wir finden, daß ihm Planken für die Wände, wie es sich der Architekt gedacht hatte, nicht gut genug sind und er dafür Balken nimmt, so steckt wohl jeder seinen Widerwillen in die Tasche und läßt den Verstand walten.‹«

 

Nun ging der Mutter eine Ahnung auf. Ja, Joel hatte den Bau einzig und allein darum übernommen, um dem Sohn Gelegenheit zu geben, sich auszuzeichnen und sich Freunde zu erwerben. Die Absicht war gut, das mußte sie zugeben, aber sie war noch mißtrauischer als früher und konnte nicht glauben, daß es so weitergehen werde.

Als Joel das nächstemal vom Arbeitsplatz zurückkam, war es ihre erste Frage, ob Sven immer noch aushalte und ob ihn die Leute den Widerwillen, den er ihnen einflößte, nicht merken ließen.

»Ich will gar nicht sagen, was ich selbst darüber denke, denn du würdest dich vielleicht nicht auf mein Urteil verlassen, aber du sollst Wort für Wort hören, was Gunnar Markusson, der ganz nahe bei dem Bau wohnt, gestern nachmittag zu mir gesagt hat, als wir auf dem Arbeitsplatz zusammentrafen:

›Zuerst, Joel, ja, zuerst hat es etwas Aufregung darüber im Dorf gegeben, weil Sven Elversson den Schulhausbau leitet,‹ sagte er zu mir. ›Aber jetzt werden die Steuerzahler in der Gemeinde ihren Gefühlen sicherlich etwas Zügel anlegen, wenn es sich um einen Wohltäter wie Sven handelt. Jetzt läßt er das Schulhaus sogar mit Spundbrettern verkleiden, obgleich nach der Abmachung ungehobelte Bretter genügen sollten. Und er will mit Ölfarbe streichen lassen, obwohl nur die gewöhnliche rote Farbe vorgeschrieben ist. Er läßt das Dach mit Ziegeln decken, obgleich der Architekt Dachpappe für gut genug hielt. Er legt Steinstufen vor den Eingang, obgleich nur solche aus Zement vorgeschrieben waren. Nur die beste Arbeit ist diesem Eurem Sohne gut genug, und dennoch soll er, wie man sagt, nicht mehr für das Haus verlangen, als wenn er sich an die Pläne und die Kostenberechnung gehalten hätte.‹«

Mutter Thala war mehr als erfreut darüber, weil sich ihr Sohn so gut anließ, und doch konnte sie die Empfindung nicht loswerden, daß der Ekel, der ihn verfolgte, ihn nicht so leicht freigeben werde.

Erst im September fuhr Joel wieder zu dem Bau hinüber. Er blieb mehrere Tage aus, und als er zurückkam, brachte er den Sohn mit; nun sei alles fertig, berichtete er. Das Haus war besichtigt, und die besichtigenden Herren hatten nicht Worte genug gefunden, ihrer Zufriedenheit Ausdruck zu verleihen.

Die Frau war mit ihnen einer Meinung, daß das alles schön und gut sei. Sie meinte, ihr Sohn sehe aus wie einer, der aus einem Gefängnis losgekommen ist, und verstand wohl, daß er glaubte, er habe sich jetzt wieder ein bißchen Ehre und Ansehen errungen.

Seine Freude wollte sie ihm nicht gerne stören; aber sobald sie mit Joel allein war, fragte sie ihn, ob wirklich in ganz Applum niemand Sven angedeutet habe, er sei für eine solche Arbeit nicht gut genug.

»Es kann ja niemand wissen, was sich im verborgenen rührt,« sagte Joel. »Aber ich will dir auf jeden Fall einmal erzählen, was der Schullehrer gestern zu mir gesagt hat, als ich nach der Einweihung mit ihm sprach.

›Auf die Dankbarkeit der Menschen kann man sich ja niemals verlassen,‹ sagte er. ›Aber wenn ich einer von den Vätern wäre, deren Kinder in diesem neuen Schulhaus ihren Unterricht erhalten sollen, so würde ich dem Baumeister gewiß keine saure Miene zeigen. Man ist ja außerordentlich erstaunt, wenn man sieht, wie gut er den Schulsaal eingerichtet, welch schöne Farben er gewählt, welch prächtige Bänke er angeschafft, welch helles Fensterglas er eingesetzt hat! Und wenn man sich alle die Vorrichtungen für Handfertigkeitsunterricht im Saal und in der Schulküche betrachtet, und die Turngeräte und die Wärmeleitung und noch so manches andere, worauf er verfallen ist, näher ansieht, so muß man sich sagen: ein wahrer Kinderfreund hat dies Haus gebaut. Ich glaube, es möchte mancher gerne wieder ein Kind sein, um in einer Schule lernen zu dürfen, die Sven Elversson gebaut hat.‹«

Als Mutter Thala das hörte, konnte sie nicht anders, sie mußte befriedigt sein, und sie freute sich, daß all ihre Sorge unnötig gewesen war.