Der Ring des Generals

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Aus der Reihe: Löwensköld-Trilogie #1
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Der Ring des Generals
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Selma Lagerlöf

Der Ring des Generals

Inhaltsverzeichnis

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Impressum

1

Wohl weiß ich, daß es früher einmal Leute genug gab, die nicht wußten, was das Gruseln heißen will. Ich habe von einer ganzen Menge Menschen gehört, die es liebten, über hauchdünnes Eis zu wandern, und die sich kein größeres Vergnügen denken konnten, als mit tollen Pferden zu kutschieren. Ja, es gab auch den einen oder den anderen, der nicht davor zurückscheute, mit dem Fahnenjunker Ahlegard Karten zu spielen, obgleich man wußte, er machte solche Kunststücke mit den Karten, daß er immer gewinnen mußte. Ich kenne auch einige unerschrockene Gesellen, die sich nicht fürchteten eine Reise an einem Freitag anzutreten, oder sich an einen Mittagstisch zu setzen, der für dreizehn Personen gedeckt war. Aber ich möchte gerne wissen, ob einer von all jenen den Mut gehabt hätte, sich den schrecklichen Ring an den Finger zu stecken, der dem alten General Löwensköld auf Hedeby gehört hatte.

Es war dies derselbe General, der den Löwenskölds Namen, Haus und Hof und den Adel verschafft hatte; und solange einer von ihnen in Hedeby wohnte, hing sein Bildnis in dem großen Salon im oberen Stockwerk mitten zwischen den Fenstern. Es war ein großes Gemälde, das vom Boden bis zur Decke reichte; und auf den ersten Blick glaubte man, es sei Karl XII. selbst, in höchsteigener Person, der da stand, im blauen Rock, großen Sämischlederhandschuhen und ungeheueren Stulpenstiefeln, fest auf den schachbrettgemusterten Boden aufgesetzt; aber wenn man näher kam, sah man ja, daß es ein Mann von ganz anderem Schlage war.

Es war ein großes, grobes Bauerngesicht, das über den Rockkragen hervorblickte. Der Mann auf dem Bilde schien dazu geboren zu sein, all sein Lebtag hinter dem Pfluge einherzugehen. Aber bei all seiner Häßlichkeit sah er wie ein kluger, zuverlässiger und prächtiger Kerl aus. Wenn er zu unserer Zeit auf die Welt gekommen wäre, er wäre mindestens Schöffe und Gemeindevorsteher geworden, ja wer weiß, ob er nicht in den Reichsrat gekommen wäre. Aber da er in den Tagen des großen Heldenkönigs lebte, so zog er als armer Soldat in den Krieg, kehrte als der berühmte General Löwensköld heim und bekam von der Krone das Rittergut Hedeby im Kirchspiel Bro zum Lohn für seine Dienste.

Übrigens, je länger man das Porträt betrachtete, desto mehr versöhnte man sich mit seinem Aussehen. Man glaubte zu verstehen, daß die Männer, die unter König Karls Befehl gestanden waren und ihm eine Furche durch Polen und Rußland gepflügt hatten, so gewesen sein mußten. Nicht nur Abenteurer und Hofkavaliere hatten sich ihm angeschlossen, sondern gerade solche schlichte und ernste Männer wie er hier auf dem Bilde waren ihm zugetan gewesen und hatten gefunden, daß er ein König war, für den man leben und sterben konnte.

Wenn man das Konterfei des alten Generals betrachtete, pflegte immer einer der Löwenskölds bei der Hand zu sein, um zu bemerken, es sei durchaus kein Zeichen der Eitelkeit bei dem General, daß er den Handschuh an der linken Hand so weit abgestreift hatte, daß der große Siegelring, den er am Zeigefinger trug, auf dem Bilde zum Vorschein kam. Er hatte den Ring vom König empfangen – für ihn gab es nur einen König –, und der Ring war mit auf das Bild gekommen, um zu zeigen, daß Bengt Löwensköld ihm treu war. Er hatte ja vielen bitteren Tadel gegen seinen Herrscher hören müssen, man erkühnte sich zu behaupten, daß er durch Unverstand und Übermut das Reich an den Rand des Abgrunds gebracht hatte, aber der General hielt jedenfalls an ihm fest. Denn König Karl war ein Mann, wie die Welt nie seinesgleichen gesehen, und wer in seiner Nähe gelebt hatte, der hatte erfahren, daß es schönere und höhere Dinge gibt, für die man kämpfen kann, als Ehre und Erfolg in dieser Welt.

Ganz so, wie Bengt Löwensköld den Königsring mit auf dem Konterfei haben wollte, so wollte er ihn auch mit ins Grab haben. Auch hierbei war keine Eitelkeit im Spiele. Es lag ihm nicht im Sinn, damit zu prahlen, daß er eines großen Königs Ring am Finger trug, wenn er vor den lieben Gott und die Erzengel hintrat, aber er hoffte vielleicht, daß, wenn er in den Saal kam, wo Karl XII. von all seinen Haudegen umgeben saß, der Ring als ein Wiedererkennungszeichen dienen würde, so daß er auch nach dem Tode in der Nähe des Mannes weilen durfte, dem er sein ganzes Leben lang gedient und gehuldigt hatte.

Als der Sarg des Generals in die gemauerte Grabkammer gestellt wurde, die er sich auf dem Broer Kirchhof hatte bereiten lassen, steckte der Königsring also noch am Zeigefinger der linken Hand. Viele unter den Anwesenden klagten darüber, daß ein solches Kleinod einem toten Manne ins Grab folgen sollte, denn der Ring des Generals war beinahe ebenso bekannt und berühmt wie er selbst. Man erzählte, es sei so viel Gold darin, daß es hingereicht hätte, Haus und Hof zu kaufen, und der rote Karneol, in den die Namenschiffre des Königs eingraviert war, sollte nicht weniger Wert haben. Man fand allgemein, daß es aller Ehren wert von den Söhnen war, sich dem Wunsche des Vaters nicht zu widersetzen und ihm das kostbare Stück zu lassen.

Wenn nun der Ring des Generals in Wirklichkeit so aussah, wie er auf dem Gemälde abgebildet war, so war er ein häßliches, plumpes Ding, das heutzutage wohl kaum ein Mensch an seinem Finger tragen möchte; aber das hindert nicht, daß er vor ein paar hundert Jahren ungeheuer wertgeschätzt wurde. Seht, man muß bedenken, alle Schmucksachen und Gefäße aus edlem Metall mit ganz wenigen Ausnahmen, hatten der Krone abgeliefert werden müssen, man hatte gegen Goertzens Taler und den Staatsbankrott zu kämpfen und für viele Menschen war Gold etwas, das sie vom Hörensagen kannten, aber das sie nie gesehen hatten. So kam es, daß die Leute den goldenen Ring nicht vergessen konnten, der zu niemandes Nutzen und Frommen unter einen Sargdeckel gelegt worden war. Man meinte beinahe, es sei unrecht, daß er da lag. Man hätte ihn ja in fremden Ländern um teures Geld verkaufen und so manchem Brot verschaffen können, der nichts anderes zu brechen und zu beißen hatte, als Häcksel und Rinde.

Wer obgleich es viele gab, die gewünscht hätten, daß die große Kostbarkeit in ihrem Besitz wäre, gab es keinen, der im Ernst daran dachte, sie sich anzueignen. Der Ring lag in einem zugeschraubten Sarg, in einem vermauerten Grabkeller, unter schweren Steinplatten, unerreichbar selbst für den kühnsten Dieb, und so, meinte man, müsse es verbleiben bis ans Ende aller Tage.

2

Im Jahre 1741 im Monat März war der Generalmajor Bengt Löwensköld im Herrn entschlafen, und im selben Jahre einige Monate später begab es sich, daß ein kleines Töchterchen des Rittmeisters Göran Löwensköld, des ältesten Sohnes des Generals, der jetzt in Hedeby wohnte, an der roten Ruhr starb. Es wurde an einem Sonntag gleich nach dem Gottesdienst begraben, und alle Kirchenbesucher folgten dem Leichenzug zu dem Löwensköldschen Grabe, wo die zwei gewaltigen Grabplatten schräg aufgestellt waren. Die Wölbung darunter war von einem Maurer aufgerissen worden, so daß man den Sarg des toten Kindleins neben den des Großvaters stellen konnte.

Während die Menschen um das Grab versammelt waren und den Grabreden lauschten, mag es wohl möglich sein, daß der eine oder andere an den Königsring dachte und bedauerte, daß er in einem Grabe verborgen liegen sollte, zu niemandes Nutzen und Frommen. Es gab auch vielleicht den einen oder anderen, der seinem Nachbar zuflüsterte, jetzt wäre es nicht so unmöglich, zu dem Ring zu kommen, da das Grab wahrscheinlich nicht vor dem nächsten Tag zugemauert werden würde.

Unter den vielen, die da standen und diese Gedanken im Kopfe hin- und herwälzten, war auch ein Bauer aus dem Mellomhof in Olsby, der Bard Bardsson hieß. Er gehörte keineswegs zu denen, die sich des Ringes wegen hatten graue Haare wachsen lassen. Im Gegenteil. Wenn jemand von dem Ring gesprochen hatte, war seine Antwort gewesen, er hätte einen so guten Hof, daß er den General nicht zu beneiden brauchte, und wenn er gleich einen Scheffel Gold mit in den Sarg genommen hätte.

Wie er nun so auf dem Friedhof stand, kam es ihm wie so vielen anderen in den Sinn, wie merkwürdig es doch war, daß man das Grab geöffnet hatte. Aber er war nicht froh darüber. Er war unruhig. »Der Rittmeister muß es doch schon heute nachmittag wieder instand setzen lassen,« dachte er. »Es gibt viele, die es auf diesen Ring abgesehen haben.«

Dies war ja eine Sache, die ihn gar nichts anging, aber wie es nun kam, so lebte er sich immer mehr und mehr in den Gedanken ein, daß es gefährlich sein konnte, das Grab über Nacht offen zu lassen. Man war nun im August, die Nächte waren dunkel, und wenn das Grab nicht noch an diesem Tage geschlossen wurde, konnte sich ein Dieb hinunterschleichen und sich den Schatz aneignen.

 

Er wurde von einer so großen Angst gepackt, daß er schon erwog, ob er nicht auf den Rittmeister zugehen und ihn warnen sollte; aber er wußte ja ganz gut, daß die Leute ihn für einfältig hielten, und er wollte sich nicht zum Gespött machen. »Freilich hast du in dieser Sache ganz recht,« dachte er, »aber wenn du dich gar zu eifrig zeigst, wirst du nur ausgelacht. Der Rittmeister, der ein so kluger Mann ist, hat sicherlich schon dafür gesorgt, daß das Loch wieder zugemauert wird.«

Er war so in diese Gedanken versunken, daß er gar nicht merkte, daß der Beerdigungsakt zu Ende war, sondern er blieb an dem Grabe stehen und wäre noch lange dagestanden, wenn nicht die Frau gekommen wäre und ihn am Rockärmel gezupft hätte.

»Was hast du denn?« sagte sie. »Du stehst ja da und starrst immerzu auf einen einzigen Fleck wie die Katze vor dem Mauseloch.«

Der Bauer zuckte zusammen, schlug die Augen auf und fand, daß er und die Frau allein auf dem Friedhof waren.

»Es ist nichts,« sagte er. »Ich stand nur da und es ging mir durch den Kopf ...«

Er hätte der Frau gerne gesagt, was ihm durch den Kopf ging, aber er wußte ja, daß sie viel klüger war als er. Sie hätte nur gefunden, daß er sich überflüssige Sorgen machte. Sie hätte gesagt, ob das Grab verschlossen wurde oder nicht, das sei eine Sache, die den Rittmeister anging und keinen anderen.

Sie machten sich auf den Heimweg, und als Bard Bardsson dem Friedhof den Rücken gekehrt hatte, hätte er ja den Gedanken an das Grab los sein müssen, aber so ging es nicht. Die Frau sprach vom Begräbnis: vom Sarg und den Trägern, von der Prozession und den Grabreden, und er warf hie und da ein Wort ein, um nicht merken zu lassen, daß er nichts wußte und nichts gehört hatte, aber bald klang die Stimme der Frau wie aus weiter Ferne. Das Gehirn begann die früheren Gedanken zu mahlen. »Heute ist Sonntag,« dachte er, »und vielleicht will der Maurer die Wölbung an einem Ruhetag nicht zumauern. Aber in diesem Fall könnte ja der Rittmeister dem Totengräber einen Taler geben, damit er über Nacht bei dem Grabe wacht. Wenn er doch nur auf diesen Gedanken käme!«

Auf einmal begann er laut mit sich selbst zu sprechen. »Ich hätte doch zu dem Rittmeister hingehen sollen. Ich hätte mir nichts daraus machen sollen, wenn mich die Leute ausgelacht hätten.«

Er hatte ganz vergessen, daß die Frau neben ihm einherging, aber er kam wieder zu sich, als sie plötzlich stehen blieb und ihn anstarrte.

»Es ist nichts,« sagte er, »nur diese selbe Sache, die mir schon immer im Kopf herumgeht.«

Damit setzten sie ihre Wanderung fort und bald waren sie in ihren eigenen vier Wänden.

Er hoffte, daß die unruhigen Gedanken ihn hier verlassen würden, und das hätten sie wohl auch, wenn er zu einer Arbeit hätte greifen können. Aber nun war ja Sonntag. Als die Leute im Mellomhof ihr Mittagsbrot gegessen hatten, ging ein jeder seiner Wege. Er blieb allein in der Hütte sitzen, und gleich kam dieses Grübeln wieder über ihn.

Nach einer Weile stand er von der Bank auf und ging hinaus und striegelte das Pferd, in der Absicht, nach Hedeby zu reiten und mit dem Rittmeister zu sprechen. »Sonst wird der Ring am Ende noch diese Nacht gestohlen,« dachte er.

Es kam doch nicht dazu, daß er Ernst mit der Sache machte. Er war zu schüchtern. Er ging anstatt dessen in einen Nachbarhof, um mit dem Bauer dort von seiner Unruhe zu sprechen, aber er traf ihn nicht allein, und wieder war er zu schüchtern, zu sprechen. Er kam unverrichteter Dinge nach Hause zurück.

Sobald die Sonne untergegangen war, legte er sich zu Bett und nahm sich vor, bis zum Morgen zu schlafen. Aber er fand keinen Schlaf. Die Unruhe kehrte zurück. Er drehte und wälzte sich nur im Bett hin und her.

Die Frau konnte natürlich auch nicht schlafen, und nach einiger Zeit wollte sie wissen, warum er so unruhig war.

»Es ist nichts,« antwortete er in der gewohnten Weise. »Es ist nur so eine Sache, die mir im Kopf herumgeht.«

»Ja, das hast du heute schon mehrmals gesagt,« sagte die Frau, »aber nun, meine ich, solltest du mir doch sagen, was dich beunruhigt. Du hast doch nicht so gefährliche Dinge im Kopf, daß du sie mir nicht anvertrauen kannst.«

Als Bard die Frau so sprechen hörte, bildete er sich ein, er würde schlafen können, wenn er ihr gehorchte.

»Ich liege nur da und möchte gerne wissen, ob das Grab des Generals wieder zugemauert worden ist,« sagte er, »oder ob es die ganze Nacht offenstehen soll.«

Die Frau lachte. »Daran habe ich auch gedacht,« sagte sie, »und ich glaube, daran wird jeder Mensch, der heute in der Kirche war, gedacht haben. Aber von so etwas wirst du dich doch nicht um den Schlaf bringen lassen.«

Bard war froh, daß die Frau die Sache so leicht nahm. Er fühlte sich ruhiger und glaubte, jetzt würde er schlafen können.

Aber kaum hatte er sich wieder zurechtgelegt, als die Unruhe zurückkehrte. Von allen Seiten, aus allen Hütten sah er Schatten geschlichen kommen, alle zogen in derselben Absicht aus, alle lenkten ihre Schritte nach dem Friedhof mit dem offenen Grabe.

Er versuchte still zu liegen, damit die Frau schlafen konnte, aber der Kopf schmerzte, und der Körper schwitzte. Er mußte sich unaufhörlich hin und her drehen.

Die Frau verlor die Geduld, und sie warf halb im Scherz hin:

»Lieber Mann, ich glaube wirklich, es wäre gescheiter, wenn du zum Friedhof hinuntergingest und nachsehen würdest, wie es mit dem Grab steht, als daß du hier liegst und dich von einer Seite auf die andere wälzest, und kein Auge zutun kannst.«

Kaum hatte sie zu Ende gesprochen, als der Mann aus dem Bett sprang und sich anzuziehen begann. Er fand, daß die Frau ganz recht hatte. Es war von Olsby nicht weiter als eine halbe Stunde zur Broer Kirche. In einer Stunde konnte er wieder da sein, und dann würde er die ganze Nacht schlafen können.

Aber kaum war er zur Türe hinaus, als die Frau sich sagte, daß es für den Mann doch unheimlich war, mutterseelenallein auf den Friedhof zu gehen, und sie sprang auch hastig auf und zog die Kleider an.

Sie holte den Mann auf dem Hügel unter Olsby ein. Bard lachte, als er sie kommen hörte.

»Kommst du, um nachzusehen, ob ich nicht den Ring des Generals stehle?« sagte er.

»O, du meine Güte,« sagte die Frau. »Das weiß ich wohl, daß du an so etwas nicht denkst, ich bin nur gekommen, um dir beizustehen, wenn du einem Friedhofsgespenst begegnen solltest.«

Sie schritten rüstig aus. Die Nacht war eingebrochen, und alles war schwarze Dunkelheit bis auf einen kleinen schmalen Lichtstreif am westlichen Himmel, aber sie kannten ja den Weg. Sie sprachen miteinander und waren guter Dinge. Sie gingen ja nur zum Friedhof hinunter, um zu sehen, ob das Grab offen stand, damit Bard nicht schlaflos dazuliegen und über diese Sache nachzugrübeln brauchte.

»Mir scheint es ganz unglaublich, daß die drüben in Hedeby so tollkühn sein sollten, den Ring nicht wieder einzumauern,« sagte Bard.

»Ja, darüber werden wir bald Klarheit haben,« sagte die Frau. »Wenn mich nicht alles trügt, ist das die Friedhofsmauer, die wir da neben uns haben.«

Der Mann blieb stehen. Er wunderte sich, daß die Stimme der Frau so fröhlich klang. Es konnte doch nicht möglich sein, daß sie bei dieser Wanderung eine andere Absicht hatte als er.

»Bevor wir in den Friedhof hineingehen,« sagte Bard, »sollten wir doch übereinkommen, was wir tun wollen, falls das Grab offen steht.«

»Ob es nun verschlossen oder offen ist, ich wüßte nicht, daß wir etwas anderes zu tun haben, als heimzugehen und uns niederzulegen.«

»Nein, natürlich. Da hast du ganz recht,« sagte Bard und setzte sich wieder in Gang.

»Es ist nicht zu erwarten, daß das Friedhofstor um diese Zeit offen steht,« sagte er gleich darauf.

»Das wohl nicht,« sagte die Frau. »Wir müssen schon über die Mauer kraxeln, wenn wir bei dem General vorsprechen und sehen wollen, wie es ihm geht.«

Wieder war der Mann erstaunt. Er hörte ein leichtes Rascheln von niederfallenden Steinchen und sah gleich darauf, wie sich die Gestalt der Frau von dem lichten Streif im Westen abzeichnete. Sie war schon auf der Mauer oben, und das war ja kein Kunststück, da sie nicht mehr als ein paar Fuß hoch war; aber es war doch seltsam, daß sie sich so eifrig zeigte und vor ihm hinaufgestiegen war. »Sieh her! Nimm meine Hand, dann will ich dir hinaufhelfen,« sagte sie.

Gleich darauf hatten sie die Mauer hinter sich und gingen still und vorsichtig zwischen all den kleinen Grabhügelchen weiter.

Einmal strauchelte Bard über ein Hügelchen und wäre fast gefallen. Es war ihm so, als hätte ihm jemand ein Bein gestellt. Er erschrak dermaßen, daß er zitterte, und er sagte ganz laut, damit all die Toten es hörten, wie gutgesinnt er war:

»Hier möchte ich nicht gehen, wenn ich in unrechter Absicht gekommen wäre.«

»Nein, nicht wahr!« sagte die Frau, »da hast du freilich recht. Aber weißt du, dort drüben haben wir schon das Grab.«

Er sah undeutlich die schräggestellten Grabplatten gegen den dunklen Nachthimmel.

Gleich darauf waren sie an dem Grabe angelangt, und sie fanden es offen. Das Grabgewölbe war nicht zugemauert.

»Das ist aber doch wirklich sehr fahrlässig,« sagte der Mann. »Das ist ja wie eigens gemacht, um all jene, die wissen, was für ein Schatz hier unten verborgen liegt, der schlimmsten Versuchung auszusetzen.«

»Sie verlassen sich wohl darauf, daß niemand einem Toten zu nahe treten will,« sagte die Frau.

»Es ist ja auch kein Spaß, sich in eine solche Grabkammer hinunterzuwagen,« sagte der Mann. »Hinunterzuspringen wäre ja nicht so schwer, aber dann bliebe man drunten sitzen wie der Fuchs in der Fuchsfalle.«

»Ich sah heute vormittag, daß sie eine kleine Leiter in das Grab gestellt hatten,« sagte die Frau, »aber die müssen sie doch wenigstens weggenommen haben.«

»Ich muß wahrhaftig nachsehen,« sagte der Mann und tastete zu dem offenen Grab hin. »Nein, denk dir nur!« rief er aus. »Das geht doch über alle Grenzen. Die Leiter steht noch da.«

»Das ist wohl sehr nachlässig, stimmte die Frau bei. Aber weißt du, ich finde, es macht nicht so sehr viel, daß die Leiter da steht. Denn er, der hier drunten in der Tiefe wohnt, kann das Seinige schon verteidigen.«

»Wenn ich das nur sicher wüßte,« sagte der Mann. »Vielleicht sollte ich doch wenigstens die Leiter wegstellen.«

»Ich glaube nicht, daß wir irgend etwas beim Grabe berühren sollen,« sagte die Frau. »Es ist am besten, wenn der Totengräber morgen das Grab genau so findet, wie er es verlassen hat.«

Sie standen da und starrten in das schwarze Loch hinunter, unentschlossen und ratlos. Sie hätten ja jetzt nach Hause gehen sollen, aber irgend etwas Geheimes, etwas, was keines von ihnen auszusprechen wagte, hielt sie zurück.

»Ja, freilich könnte ich die Leiter stehen lassen,« sagte Bard schließlich, »wenn ich nur sicher wüßte, daß der General die Macht hat, die Diebe fernzuhalten.«

»Du kannst ja ins Grab hinuntersteigen, dann wirst du schon sehen, welche Macht er hat,« sagte die Frau.

Es war, als hätte Bard nur auf diese Worte seiner Frau gewartet. Im Nu war er bei der Leiter und unten im Grabgewölbe.

Aber kaum stand er auf dem Steinboden der Grabkammer, als er ein Knacken der Leiter hörte und merkte, daß die Frau ihm nachkam.

»So so, du kommst mir auch hierher nach,« sagte er.

»Ich traue mich nicht, dich hier unten mit dem Toten allein zu lassen.«

»Ach, ich glaub' gar nicht, daß er so gefährlich ist,« sagte der Mann. »Ich spüre keine kalte Hand, die mir das Leben auspressen will.«

»Ja, sieh, er will uns wohl nichts zuleide tun,« sagte die Frau. »Er weiß ja, daß wir nicht daran denken, den Ring zu stehlen, aber eine andere Sache wäre es natürlich, wenn wir zum Spaß versuchen wollten, den Sargdeckel abzuschrauben.«

Sofort tappte der Mann zum Sarg des Generals hin und begann den Deckel abzutasten. Er fand eine Schraube, die ein kleines Kreuzchen an der Spitze hatte.

»Alles hier ist förmlich für einen Dieb zurechtgelegt,« sagte er, indem er die Sargschrauben vorsichtig und dabei behend aufzudrehen begann.

»Spürst du nichts?« fragte die Frau. »Merkst du nicht, daß sich unter dem Sargdeckel etwas regt?«

»Hier ist es so still wie im Grab,« sagte der Mann.

»Er glaubt wohl nicht, daß wir ihm das nehmen wollen, woran er am meisten hängt,« sagte die Frau. »Eine andere Sache wäre es, wenn wir den Sargdeckel abheben würden.«

 

»Ja, aber dabei mußt du mir helfen,« sagte der Mann.

Sie hoben den Deckel in die Höhe, und nun gab es keine Möglichkeit mehr, der Sehnsucht nach dem Schatz Einhalt zu tun. Sie lösten den Ring von der welken Hand, legten den Deckel zurück, und schlichen sich ohne ein weiteres Wort aus dem Grab hinauf. Sie nahmen sich bei der Hand, als sie über den Friedhof gingen, und erst nachdem sie über die niedere Steinmauer geklettert waren und unten auf dem Wege standen, wagten sie etwas zu sprechen.

»Jetzt fange ich an zu glauben,« sagte die Frau, »daß er es so haben wollte. Er hat eingesehen, daß es nicht recht von einem toten Manne ist, ein solches Kleinod zu behalten, und darum hat er es uns gutwillig gegeben.«

Da lachte der Mann hell auf.

»Ja, das machst du gut, du,« sagte er. »Nein, das wirst du mir nicht weismachen, daß er ihn uns gutwillig gelassen hat. Aber er hatte eben nicht die Macht, uns zu hindern.«

»Weißt du,« sagte die Frau, »heute nacht bist du wirklich tapfer gewesen. Es gibt nicht viele, die sich in das Grab zum General hinuntergewagt hätten.«

»Ich habe nicht das Gefühl, als ob ich etwas Unrechtes getan hätte,« sagte der Mann. »Einem Lebenden habe ich nie auch nur einen Taler genommen, aber was sollte es schaden, einem Toten etwas zu nehmen, was er gar nicht braucht?«

Sie fühlten sich stolz und frohgemut, wie sie so einhergingen. Sie wunderten sich, daß niemand außer ihnen auf diesen Gedanken gekommen war. Bard sagte, er wolle nach Norwegen fahren und den Ring verkaufen, sobald sich nur eine Gelegenheit bot. Sie glaubten, sie würden so viel Geld dafür bekommen, daß sie sich nie mehr um diese Ware Sorgen zu machen brauchten.

»Aber,« sagte die Frau, und blieb plötzlich stehen, »was seh' ich denn da? Fängt es schon an zu tagen? Es sieht so hell im Osten aus.«

»Nein, das kann noch nicht die Sonne sein, die kommt,« sagte der Mann. »Das muß ein Feuer sein. Es sieht so aus, als wäre es in der Olsbyer Gegend. Wenn es nur nicht...«

Ein lauter Schrei der Frau unterbrach ihn.

»Bei uns brennt es!« schrie sie. »Der Mellomhof brennt. Der General hat ihn angezündet. – – –«

Am Montag morgen kam der Totengräber in großer Eile nach Hedeby gestürzt, das ja in der unmittelbaren Nähe der Kirche liegt, um zu vermelden, daß sowohl er wie der Maurer, der das Grab wieder zumauern wollte, bemerkt hatten, daß der Deckel auf dem Sarg des Generals schief lag und die Schilder und Sterne, die ihn schmückten, verschoben waren.

Eine Untersuchung wurde augenblicklich vorgenommen. Man bemerkte sofort, daß große Unordnung in der Grabkammer herrschte und die Schrauben des Sarges gelockert waren. Als man den Deckel abhob, sah man auf den ersten Blick, daß der Königsring nicht mehr an seinem Platze am linken Zeigefinger des Generals war.

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