Seewölfe - Piraten der Weltmeere 588

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 588
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Impressum

© 1976/2020 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-96688-002-2

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Sean Beaufort

Der Tag der Culverinen

Die Spanier schießen gut – aber der Stückmeister der Seewölfe ist besser

Gegen Mittag verschwand an Steuerbord das Land völlig hinter einem grauen Dunstschleier. Jorge Recalde, Capitán der „San Leon“, beobachtete die langen Wogen der Dünung, die Muster der Wellen und legte der Kopf in den Nacken. Er blinzelte in die Sonne und schrie zum Ausguck hinauf:

„Etwas zu sehen?“

Seit dem Morgengrauen stand ein Mann im rohrgeflochtenen Masttopp der Lateinersegel-Karavelle. Miguel, der Portugiese mit den schärfsten Augen, hielt Ausschau nach dem gesuchten Schiff. Der Kapitän hatte riskiert, dem Mann sein kostbares Linsenrohr mitzugeben. Glaubwürdig hatte er versichert, den Ausguck peitschen und anschließend kielholen zu lassen, wenn er es verlor oder an Deck zerschmetterte.

„Segel an der Kimm, Capitán!“ schrie der Ausguck nach einigen Atemzügen zurück. „Rahsegel!“

„Erkennst du die ‚Fidelidad‘?“

„Nein!“

Die Hauptpersonen des Romans:

Elvecio Leora, Ruiz Coillar, Jorge Recalde – die Kommandanten der spanischen Kriegskaravellen „Maria d’Oro“, „Los Monteros“ und „San Leon“ brennen darauf, die „Fidelidad“ und die Schebecke der Seewölfe zur Strecke zu bringen.

Al Conroy – der Stückmeister der Seewölfe muß sich etwas einfallen lassen, wenn sie alle heil nach England gelangen wollen.

Don Juan de Alcazar – als derzeitiger Kapitän der „Fidelidad“ hat er keine leichte Aufgabe, denn die Galeone ist arg zerrupft.

Philip Hasard Killigrew – der Seewolf hat etwas dagegen, immer nur davonzulaufen, das heißt, er muß sich dem überlegenen Gegner stellen.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

1.

Recalde fluchte leise. Seit Tagen kreuzten die Karavellen westlich der Küste und suchten weiträumig nach dem Schiff mit der wertvollen Ladung. Im Dunst erkannte er die drei Lateinersegel der „Maria d’Oro“, die auf anderem Kurs und in derselben Mission segelte.

„Abfallen“, ordnete er an. „Capitán Leora soll unser Signal sehen können.“

„Verstanden.“

Beide Karavellen waren in Portugal gebaut und von Spanien übernommen worden. Die besten und glaubensfestesten Männer der Besatzung waren an Bord geblieben. Gute Seeleute, sagte sich Recalde. Aber keine Spanier. Die „Fidelidad“ mit ihrer kostbaren Ladung wurde fieberhaft gesucht, und es war denkbar, daß die Engländer sie gekapert hatten. Oder war sie im Sturm gesunken? Es gab keine Nachricht.

Seine Gedanken wurden jäh unterbrochen, als der Mann aus dem Masttopp rief: „Capitán! Ich erkenne sie. Sie segelt Nordkurs. Es ist die Galeone!“

Recalde zuckte zusammen. Eine gute Nachricht. Nordkurs? Er federte ein störrisches, gleitendes Aufbäumen der Karavelle ab und winkte dem Bootsmann.

„Capitán?“

„Bereite das Signal ‚Aufschließen‘ vor. Ich will mit Leora sprechen.“

„Jawohl.“

Wieder meldete sich der Ausguck. Seine Stimme überschlug sich fast vor Überraschung.

„Kein Zweifel, Capitán. Es ist das vermißte Schiff. Es hat die Flagge gestrichen. In Schußweite segelt eine dreimastige Schebecke auf gleichem Kurs.“

„Nationalität festzustellen?“

„Es ist nichts zu erkennen.“

Recalde gab einige Befehle. Die Karavelle fiel stark ab, während sich die „Maria d’Oro“ mit achterlichem Wind schneller einem möglichen Treffpunkt entgegenbewegte. Recalde war sicher, daß die Männer auf der „Goldenen Maria“ ebenso scharf Ausschau nach dem überfälligen Schiff hielten und ihn, die „San Leon“, im Auge behielten.

Die Signalflagge glitt zum Masttopp hoch. Der Ausguck verstaute das kostbare Gerät aus gläsernen Linsen und Messinghülsen und packte das farbige Tuch. Während er es mit ausgestrecktem Arm langsam schwenkte, gab der Stückmeister aus der kleinen Drehbasse im Heck einen Schuß ab. Der Donnerschlag hallte über die Wellen.

Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis der Schall die „Maria d’Oro“ erreichte. Das Signal bedeutete, daß sich beide Schiffe bis auf Rufentfernung nähern sollten. Der Ausguck starrte zur anderen Karavelle hinüber.

Kapitän Elvecio Leora ließ den Anruf mit dem „Verstanden“-Signal und einem bestätigenden Schuß aus dem kleinen Drehgeschütz beantworten. Sein Schiff legte sich schwer über, als es auf die „San Leon“ zusteuerte. Recalde nickte zufrieden, und tief in seinem Inneren spürte er Aufregung und Jagdfieber.

Es ging keineswegs mit rechten Dingen zu, denn es war für jeden Spanier undenkbar, daß ein Schiff auf dem Heimweg, dicht vor Land, einen anderen Kurs einschlug, womöglich deshalb, weil die Mannschaft desertiert war.

Daß ausgerechnet eine dreimastige Schebecke jene Galeone begleitete, konnte seine Aufregung nur noch steigern. Er wartete und wurde zunehmend ungeduldiger, bis sich endlich der scharfäugige Portugiese wieder meldete.

„Nordkurs segeln sie, Capitán! Strikt nach Nord. Aber sie sind jetzt dicht beieinander.“

„Wollen sie kämpfen? Siehst du irgendwelche Signale?“

Einige Atemzüge später tönte es aus dem Mastkorb zurück: „Nein! Sie tun so, als würden sie zusammengehören!“

„Gut!“ rief Jorge zurück. „Ich lasse dich dann ablösen! José übernimmt den Ausguck!“

Während sich die beiden verfolgten Schiffe langsam auf die Horizontlinie zu entfernen und der mittägliche Dunst dichter wurde, preschte die zweite Karavelle mit schäumender Bugwelle heran. Jorge Recalde war jetzt sicher, daß jenes lang vermißte spanische Silberschiff vorhatte, nach England zu segeln. Wie das hatte geschehen können, wußte er nicht. Aber er konnte sich so manches denken, und nichts davon freute ihn, den Spanier. Auch in diesem Punkt waren die Befehle klar.

Querab und achterlich lag Porto im Landnebel versteckt. Porto, das einmal Oporto geheißen hatte. Auch dort wartete der spanische Statthalter auf Nachrichten über die schwerbeladene „Fidelidad“. Jede Nachricht über das Schiff war wichtig. Weitaus wichtiger war jedoch, das Schiff zurückzuholen.

Jorge ließ sich einen Becher Wein bringen, bestimmte die Ablösung für den Ausguck und legte den Kurs fest, schließlich winkte er, fast am Ende seiner Geduld, zur Karavelle hinüber.

„Buenos Dias, ‚Maria d’Oro‘!“ schrie er, als beide Schiffe nebeneinander lagen und in den Wind drehten. Die großen Dreieckssegel schlugen und knatterten. Lose Tauenden peitschten durch die Luft.

„Dias, ‚San Leon‘!“ rief Elvecio Leora zurück. „Ihr habt die ‚Fidelidad‘ gesichtet?“

„Zusammen mit einer schnellen Schebecke. Das Ziel beider Schiffe ist zweifelsohne England. Du kennst die Befehle, Elvecio!“

Die Seeleute hingen an den Bordwänden und winkten von Schiff zu Schiff hinüber. Auch der Kapitän der „Maria d’Oro“ stand hinter dem Rudergänger auf dem Achterdeck und hielt beide Hände trichterförmig an die Lippen.

„Einer von uns muß nach Porto und Nachricht geben. Ich werde segeln und mit Verstärkung zurückkehren. Dann hetzen wir die Kerle!“

„Gut so. Bringt Wasser und Proviant mit. Er wird knapp, wenn es länger als drei, vier Tage dauert.“

„Verstanden. Ich bringe Verstärkung mit. Was denkst du über die ‚Fidelidad‘?“

Jorge sagte es ihm in ausdrucksvollen Worten und fügte ein paar saftige spanische Flüche hinzu. Die beiden Kapitäne sprachen ein gewähltes Spanisch, aber dieser Umstand hatte keinen Einfluß auf ihr Draufgängertum. Sie würden es mit ihren schnellen, beweglichen Schiffen den Meuterern oder wem auch immer zeigen. Die Entfernung bis England war groß, es würde unzählige Möglichkeiten geben, den Silberschatz wieder zurückzuholen und die Meuterer in Eisen zu legen.

„So wird es wohl sein!“ brüllte Elvecio zurück. „Ich bin derselben Meinung. Oder sind es die Wassergeusen gewesen, diese halsstarrigen Holländer? Wie immer es sei – sie scheinen schneller als wir!“

„Gleich schnell oder langsamer. Aber die Winde drehen häufig.“

„Treffpunkt?“

Jorge gab seinen Kurs bekannt, winkte und grüßte kurz. Die Karavellen drehten langsam, Wind fuhr in die Segel. Die „Maria d’Oro“ mußte versuchen, nach Luv zu gelangen und würde einige weite Schläge tun müssen, um schnell in die Mündung des Duero einlaufen zu können, des Flusses, an dessen Mündung die Stadt und der Hafen lagen.

Die „San Leon“ hatte achterlichen Wind und setzte binnen kurzer Zeit die Verfolgung fort. Jorge rief den Stückmeister und befahl, sämtliche Geschütze feuerbereit zu machen und mit verschiedenen Ladungen zu versehen. Es würde wohl sechsunddreißig Stunden dauern, bis Verstärkung aus Porto ihnen helfen konnte, Meuterer und Kaperer zu jagen.

 

Am frühen Nachmittag lösten sich Dunst und Nebel zögernd auf. Der Wind wurde kühler und wehte aus West oder Südwest. Wieder legte sich die „San Leon“ weit über, als sie nach Nordwest segelte, um nicht in gefährliche Nähe der felsigen Ufer zu geraten. La Coruña und das Kap lagen weit voraus. Jorge arbeitete mit Zirkel und Stift und trug seine Beobachtungen mit penibler Sorgfalt ein. Er wußte, wie leicht er in der Nacht die Verbindung zu den flüchtenden Schiffen verlieren konnte.

2.

„Wenn mir Jorge Recalde ausrichten läßt, daß er Hilfe braucht, muß ich dieses Ansinnen ernst nehmen“, sagte der Kommandant halblaut. Er war hinter seinem Schreibtisch aufgestanden und stemmte die Fäuste in die Seiten. „Capitán Manuel Redrojo, so stand es in den Verzeichnissen, brachte die ‚Fidelidad‘ aus Westindien hierher. Es ist undenkbar, daß er und seine Offiziere meutern und nach England segeln.“

„Ich kenne Redrojo nicht“, entgegnete Elvecio und trat an ein anderes Fenster. „Ich halte es auch für undenkbar. Wir sind, wenn die ‚Los Monteros‘ endlich fertig ist, drei gegen zwei – oder gegen die Schebecke. Ein Gegner, der spielend leicht zu besiegen sein wird, auch wenn er schneller, beweglicher und bewaffnet sein sollte.“

„Ich kann nicht mehr tun, als größere Eile zu befehlen!“ sagte der Hafenkommandant. „Du siehst selbst, daß die Männer rennen und hasten.“

„Einem Seemann geht es in solchen Augenblicken immer viel zu langsam.“

Im Hafen von Porto vereinigten sich alle Bewegungen um zwei Schiffe, die am Hauptkai lagen. Die „Maria d’Oro“ und die „Los Monteros“ wurden von einer kleinen Armada von Booten versorgt. Über die breiten Planken hasteten Träger und schleppten Ballen, Krüge, Fässer und Körbe voller Nahrungsmittel.

Die Seeleute schufteten an den Ladebäumen und verstauten unter Deck, was ihnen durch die Luken und über die Niedergänge gereicht wurde. Soldaten in Halbrüstungen und Eisenhelmen beobachteten mißtrauisch jede Bewegung der Portugiesen. Lange Taue hingen von den einwärts gekrümmten Bughölzern hinunter bis zu zwei großen Ruderbooten, deren Männer geduldig warteten.

„Señor Commandante“, sagte Leora nach kurzem Nachdenken, „man sollte einen Kurier nach Madrid schicken.“

„Wegen eines Silberschiffes?“

Die Männer kannten sich seit Jahren, seit Cristobal de Lloros in den kleinen Gouverneurspalast von Porto, hoch über den Palmen des Hafens, eingezogen war. Sie gehörten zu den Hidalgos, einer großen Gruppe von jüngeren Männern, deren Besitz gering, deren Mut aber groß war und ihnen den Weg geebnet hatte.

Hidalgos fanden sich an der Spitze spanischer Truppen, in den Kapitänskammern und als kleine Machthaber in fernen Provinzen wieder, nachdem sie viele Jahre lang gekämpft und gelitten hatten. Jeder Hidalgo war stolz, kannte nur seine und Spaniens Sache.

Die Chance, einen Kapersegler zu erbeuten oder zu versenken, und zugleich das Silberschiff zurückzubringen, war für den Kommandanten und den Kapitän eine klare Herausforderung.

Vom schmalen, reichgeschnitzten Portal her ertönte ein hartes Klopfen.

„Ja! Nur herein!“ rief de Lloros gutgelaunt.

Der Diener ließ einen mittelgroßen Mann in hohen Stiefeln, gestreiften Hosen und silberverziertem Brustharnisch herein.

„Capitán Coillar, Ruiz Coillar“, stellte de Lloros vor. „Er wird dich begleiten. Er führt ein schnelles Schiff.“

Die Kapitäne begrüßten sich. Ein Diener brachte einen Krug und Pokale. Kühler portugiesischer Wein gluckerte aus dem beschlagenen Tonkrug. Die Männer griffen nach den Kelchen.

„Es wird nicht leicht werden“, sagte Leora nach einem kräftigen Schluck fest. „Recalde hat gesehen, daß die Schebecke ausgezeichnet gesegelt wird. Daß sie Geschütze an Bord hat, setzen wir voraus.“

„Ebenso“, meinte Coillar und zwirbelte seinen Bart, „daß sie damit umgehen können, denke ich. Nun, auch unsere Karavellen sind nicht schlecht.“

Sie hoben die Pokale und grinsten sich an.

„Mein Stückmeister ist bekannt für seine Breitseiten“, sagte Elvecio Leora und lachte siegesgewiß. „Wann laufen wir aus?“

„In weniger als einer halben Stunde“, gab der Kommandant zurück und ging wieder zum Fenster. „Die Schiffe warten auf ihre Kapitäne.“

„Wasser und Proviant für die ‚San Leon‘ sind auch verladen?“

„Auf beide Karavellen verteilt“, bestätigte de Lloros und leerte den Pokal. „Aus Gründen der Sicherheit, Señores.“

„Aus Gründen der Eile werden wir jetzt gehen“, sagte Leora und spürte den feinen Geschmack des kühlen Weines auf der Zunge. „Ich kann nur hoffen und versprechen. Hoffen, daß wir siegreich bleiben. Und versprechen, daß unsere Männer ihr Äußerstes geben werden.“

„Ich weiß es. Erstaunlich, Señores, wie ihr eure Wut bezähmt.“

„Sie wird uns helfen“, brummte Coillar und legte die Hand an den Degengriff, „draußen auf See. Das Silberschiff aber bringen wir zurück. Mit allen Mitteln werden wir segeln und kämpfen. Dabei wird uns der Zorn unterstützen. Das bedeutet, Commandante, daß wir ihn dringend brauchen.“

„Ich kann nur günstigen Wind und viel Glück wünschen.“

Der Kommandant verabschiedete die Kapitäne mit Handschlag und einem Gruß, der ebenso stolz wie herzlich ausfiel. Er beherrschte sich, weil es sinnlos war, im Hafen zu fluchen und zu toben, wenn sich die Probleme weit draußen auf dem Wasser zeigten.

Daß beide Kapitäne und auch Recalde auf der „San Leon“ ihr Äußerstes geben würden, stand für ihn fest. Bevor er seine Eintragungen machte, ging er hinaus auf die Terrasse, die von Blumen überwuchert war. Er stützte sich schwer auf das steinerne Geländer und sah zu, wie die Kapitäne an Bord gingen, hierhin und dorthin deuteten und Befehle ausriefen.

Die Taue zwischen den Schleppjollen und den Karavellen strafften sich. Die Männer legten sich schwer in die Riemen. Planken ratterten an Land, Kommandos hallten von den Mauern der schmalbrüstigen, weißgekalkten Häuser wider. Nacheinander schwangen die Schiffe ihre Hecks herum. Langsam lösten sie sich von den wuchtigen Pollern. Der Wind begann die Segel zu füllen, aber die Leinwand hing schwer durch.

Einige hundert Ellen weit mußten die Karavellen ins Fahrwasser geschleppt werden.

„Leinen los. Wir schaffen es jetzt!“

„Nach Backbord. In die Strömung!“

Schwerfällig drifteten die Schiffe in weitem Abstand hintereinander aus dem Hafenbecken hinaus und ins freie Fahrwasser. Einige Fischerboote wichen hastig aus. Noch war der Wind nicht umgesprungen. Er wehte von See her, und die Mannschaften hatten zu tun, um die Kommandos der Offiziere zu befolgen. Schließlich brachten die Rudergänger die Karavellen in den Bereich eines kräftigen Windes, der die Segel füllte und ein einwandfreies Manövrieren ermöglichte.

Die ersten Sterne schienen zu flackern und verschwanden vom Himmel. Im Osten zeigte sich ein dünner, grauer Streifen. Der Südwestwind pfiff und heulte. Die Takelage gab summende Geräusche von sich, die im Rauschen der Bugwelle untergingen. Hart und prall spannten sich die Segel.

Das Licht der Laternen, die beide Schiffe gesetzt hatten, verblaßte langsam. Von Anbruch der Abenddämmerung an hatten die Karavellen unerwartet guten und kräftigen Wind gehabt und waren die lange Märznacht hindurch hart, aber sehr schnell gesegelt.

Ruiz Coillar richtete das Spektiv auf die beiden winzigen Lichtpunkte und den grauen Schatten, der an Steuerbord durch die Wellen glitt. Gischt, Bugwelle und Kielwasser bildeten hellere Streifen in einer verwaschenen Umwelt. Die Luft schnitt eiskalt in die Haut, die Kälte kroch durch die Falten der schweren Jacke und ließ den Kragen gegen den Hals flattern.

„Ich sehe keine Schwierigkeiten“, sagte er und wandte sich an seinen Ersten Offizier. „Ich gestatte mir, auf Freiwache zu gehen. Du übernimmst. Für drei Stunden.“

Er gähnte und gab Manuel, als wäre es eine geweihte Flagge, sein fast unersetzliches Linsenrohr. Auf dem Achterdeck waren sie deckungslos der Kälte ausgesetzt. Die Wassertropfen vom Bug und den Backbordplanken zischten waagerecht durch die Luft und verwandelten sich auf der Haut zu spitzen Geschossen.

„Raumer Wind“, sagte Manuel mit halb erfrorenen Lippen. „Ich denke, er wird uns noch ein paar Stunden vorwärtsbringen. Wir haben zweifellos aufgeholt.“

Ruiz nickte und schüttelte sich.

„Wenn du eins der drei Schiffe recht voraus siehst, möchte ich geweckt werden. Und lasse den Rudergänger ablösen, sonst erfriert er noch.“

„Verstanden. Wir sollten zuerst auf Jorges ‚San Leon‘ aufschließen.“

„Es sollte mich nicht wundern“, sagte Ruiz Coillar, schlug seinem Ersten kurz auf die Schulter und polterte den Niedergang hinunter. Er warf einen letzten Blick auf die dick vermummten Gestalten der Seeleute, suchte den Horizont unterhalb der Segelkanten ab und zuckte mit der Schulter. Grimmig wünschte er sich, daß der starke Wind nur den spanischen Verfolgern, nicht aber den anderen Schiffen helfen würde. Daß es ein frommer Wunsch war, wußte er selbst.

Capitán Coillar warf sich, ohne die Jacke abzulegen, in die Koje, wickelte sich in eine Decke und überließ sich den einschläfernden Bewegungen der Karavelle.

Als er geweckt wurde, befand sich die „Los Monteros“ weitab vom Land. Der Wind hatte in der Morgendämmerung aufgefrischt und war umgesprungen. Jetzt wehte er von Südost und zwang die Verfolger, weit vom Land auf Nordwestkurs zu segeln. Erst später konnten sie wieder mit einem weiten Schlag dort weitersuchen, wo sich nach ihren Schätzungen die „San Leon“ und die verdammte, rätselhafte „Fidelidad“ befanden – und diese Schebecke, die der Teufel holen sollte.

Von der Galion turnte Philip Hasard Killigrew langsam nach achtern. Er rief seinen Mannen aufmunternde Bemerkungen zu und sagte sich, daß jeder an Bord tüchtig durchgefroren war. Zwar wärmten mittlerweile die Sonnenstrahlen, aber der Wind schnitt eiskalt in die Gesichter.

„Wartet noch eine Stunde!“ rief er, als er auf der Höhe des Hauptmastes angelangt war. Er schob das Spektiv in den breiten Gürtel und klammerte sich an einem Tau fest. „Dann hat der Kutscher seine heiße Suppe fertig.“

„Laß lieber eine Ration Schnaps austeilen, Sir!“ rief der Profos. „Das muntert uns auf.“

„Würde euch so passen“, gab Hasard zurück. „Schon am frühen Morgen besoffen segeln!“

„Ist ja schon fast Mittag“, meinte Old Donegal.

„Vielleicht denkt einer von euch an unsere Kameraden auf der Prise. Und an die Verfolger.“

„Ich sehe keine Verfolger“, sagte der Profos grimmig.

Der Seewolf lachte. „Aber ich werde sie wahrscheinlich gleich sehen. Voraus habe ich sie nirgendwo entdeckt. Aber sicher hinter uns.“

„Früher oder später werden wir die Dons wohl sichten!“ rief Al Conroy.

„Früher!“ meinte der Seewolf und balancierte auf den Planken des schrägliegenden Decks nach achtern. „Wir haben nicht jeden Tag soviel Glück wie beim Entern der ‚Fidelidad‘, die übrigens brav und tapfer auf gleicher Höhe dahinstampft.“

Weit im Westen bauten sich wieder Gewitterwolken auf. Sie schienen direkt über den Inseln der Azorengruppe aufzusteigen. Seit Mitternacht war der Himmel klar und wolkenlos. Der gestrige Dunst hatte sich vollständig aufgelöst.

Der Seewolf war unruhig, weil er fürchten mußte, daß der gute Wind nicht anhalten würde. Diese Wolken waren ein erstes Zeichen dafür. Hasard turnte hinüber nach Steuerbord, um die Stufen des Niederganges zu erreichen. Er schwang sich auf das Achterdeck und nickte Dan O’Flynn zu, der am Ruder stand.

„Ich bin sicher, daß wir in einigen Stunden Schwierigkeiten bekommen“, meinte er und kletterte hinauf aufs achtere Grätingsdeck.

„Der Wind?“

„Vielleicht ein schweres Gewitter. Auf jeden Fall starke Winde oder ein Sturm. Und dann die Spanier, die bestimmt nicht aufgeben werden. Es ist durchaus möglich, daß die Mannschaft der ‚Fidelidad‘ mittlerweile das Land erreicht hat.“

„Zerbrich dir nicht den Kopf, Sir.“ Dan versuchte, trotz der Kälte und der gemeinsamen Befürchtungen gutgelaunt zu wirken. „Wenn wir die Spanier sehen, ist es Zeit genug, sich zu ärgern.“

„Darüber denke ich ein wenig anders.“

Hasard kannte die Unruhe seiner Mannschaft. Schließlich lag England praktisch direkt voraus. Ein paar Tage mit gutem Wind brachten sie nach Plymouth oder an die Küste Cornwalls. Aber zwischen diesem Ziel und heute lagen noch viele Seemeilen. Die Strecke von La Coruña bis Brest, bekannt wegen der launischen Stürme und der schiffevernichtenden Wellen, jagte jedem erfahrenen Seemann schon beim Gedanken daran Schauder über den Rücken. Im Heck sicherte sich Hasard an den Wanten des Besanmastes und holte das Spektiv aus dem Gürtel.

 

Er suchte die dreieckigen Segel der spanischen Karavelle, deren Laternen sie in der Nacht mehrmals gesichtet hatten.

An Steuerbord zeichnete sich Land ab. Über der Kimm entdeckte Hasard einige auffällige Rauchsäulen. Es mußten große Feuer sein, die dort brannten. Aber der Rauch wurde nicht, wie es dem Wind auf dem Meer entsprach, nach Osten oder wenigstens in östliche Richtung getrieben, sondern stieg fast senkrecht in die Höhe.

„Ein anderes Zeichen“, murmelte der Seewolf, „das nichts Gutes bringt.“

Sorgfältig beobachtete er abwechselnd mit dem linken und dem rechten Auge den Horizont. Er sah eine ununterbrochene Folge von langgezogenen atlantischen Wellen, die von dem Seegang gefurcht waren. Graugrün war das Wasser, schneeweiß schienen im grellen Sonnenlicht die Schaumkronen zu sein. Immer wieder glaubte er, zwischen all den dreieckigen Formen die Lateinersegel der Karavelle – oder waren es mittlerweile mehrere Verfolger geworden? – zu erkennen. Aber stets erwies sich der Eindruck als Täuschung.

„Das kann ich nicht glauben.“

Einige Stunden lang hatte er das spanische Schiff sehen können. Der Kapitän war ein ebenbürtiger Seemann, sein Schiff allerdings weniger schnell als die Schebecke. Bestimmt hatte der Spanier die Schebecke nicht aus den Augen verloren, und auch nicht die langsamere Galeone, auf der ein knappes Dutzend seiner Arwenacks segelte.

„Ich hab’s gewußt!“ rief er plötzlich.

Die Segel einer Karavelle!

Sie erschien aus dem westlichen Quadranten und hatte höchstwahrscheinlich nach einem Schlag nach West wieder den Kurs eingeschlagen, der sie eindeutig als Verfolger auswies. Und schräg dahinter entdeckte der Seewolf ein zweites Schiff.

Es war, seine Ahnungen hatten sich bestätigt, ebenfalls eine Karavelle. Er nickte und war halb zufrieden, halb beunruhigt. Er beging nicht den Fehler, anzunehmen, daß er ausgerechnet vor ihren eigenen Küsten den Spaniern davonsegeln konnte. Schon gar nicht mit der wertvollen Beute, um die er sich ebenso zu kümmern hatte wie um das eigene Schiff.

„Nur zwei Schiffe? Ich wette, daß es noch mehr sind.“

Ein Windstoß brachte ihm den Geruch in die Nase, der über Deck strömte. Dem Kutscher war es gelungen, über dem gesicherten Feuer seinen Kessel nicht umkippen zu lassen. Also gab es aus den schwindenden Vorräten bald eine heiße, fette Suppe, deren Pfeffer ihnen allen einheizen würde. Hasard hing in dem Tauwerk und suchte die See ab, aber er zählte nicht mehr als diese beiden Karavellen.

Er turnte zurück und blieb beim Rudergänger stehen.

„Hast du sie gesehen?“ erkundigte sich Dan O’Flynn aufmerksam. Er hatte seine Hände mit breiten Stoffstreifen umwickelt und stemmte sich gegen die geschwungene Pinne.

„Ich bin sicher, daß wir von mehreren Schiffen verfolgt werden. Zwei Karavellen habe ich entdecken können. Eine davon verfolgt uns seit langem. Und wo zwei sind, gibt’s auch drei oder vier. Ich lasse dich ablösen, nachdem wir unsere Suppe gegessen haben.“

„Aye, aye, Sir“, antwortete Dan ruhig. „Ich werde einen Blick durch dein Spektiv werfen. Dann wissen wir, wie viele Olivenfresser den Seewolf jagen.“

„Ein Vergleich“, sagte Hasard, „den ich gar nicht gern höre.“

Bei dem Seegang, der die Schiffe schlingern ließ, war es unmöglich, in Ruhe zu essen. Nacheinander verschwanden die Männer in der Kombüse, um sich ihre Schüssel abzuholen und zu versuchen, die kochendheiße Suppe zu löffeln, ohne daß sie sich etwas davon über die Schenkel schütteten. Die knurrenden Mägen beruhigten sich. Die Stimmung wurde besser, selbst als Hasard berichtete, wie er die Lage sah.

„Bis zum Abend kann sich alles geändert haben. Meinst du, daß sie uns einholen können?“ fragte Ben Brighton und schielte zu Al Conroy, der seit Stunden ein verkniffenes, abweisendes Gesicht zur Schau trug.

„Das ist durchaus möglich“, mußte Hasard zugeben. „Selbst bei den Dons soll’s gute Schiffe und ebensolche Kapitäne geben, habe ich mir sagen lassen.“

„Nicht von mir“, brummte Ferris Tucker und hielt dem Kutscher seinen Napf hin.

Der füllte einen zweiten Schlag ein und schaute den Kapitän an. „Haben wir Grund zur Aufregung?“

„Das wird sich zeigen“, erklärte Carberry, stellte seine leergegessene Schüssel weg und stand auf. Er bückte sich, um nicht mit dem Schädel gegen die Stringer zu stoßen. „Ich sehe nach, ob es noch hell ist.“

„Noch haben wir keinen Grund dazu.“ Hasard beantwortete Tuckers Frage und nickte dem Kutscher anerkennend zu. „Ich könnte mir vorstellen, daß die Spanier mindestens drei Schiffe hinter uns herschicken. Vielleicht jagen sie auch ihre Kuriere nach Norden, nach La Coruña zum Beispiel. Dann können sie uns in die Zange nehmen.“

„Ruhe, du Kracheule!“ schimpfte der Kutscher und meinte Sir John, der mit seinen Flügeln schlug und unverständliche Schimpfwörter krächzte oder etwas, das stark danach klang.

„Ich bin bereit“, sagte Al Conroy überraschend. Seine braunen Augen hatte er zu schmalen Schlitzen zusammengekniffen. Er wirkte plötzlich im Halbdunkel unter Deck recht fremdartig. Jeder, der ihn verstand, war sicher, zu wissen, was der Stückmeister meinte.

„Soweit ist es wohl noch nicht“, entgegnete der Seewolf. Er ließ sich aus dem halbvollen Kessel, der an den dünnen Ketten schlingerte, noch eine Portion geben. Wieder einmal hatte der Kutscher bewiesen, daß er auch dann etwas Passables kochen konnte, wenn die Vorräte zur Neige gegangen waren. „Aber wir müssen wachsam bleiben.“

Ben Brighton machte sich fertig, um Dan O’Flynn abzulösen, Hasard gab ihm das Spektiv und sagte: „Dan soll sich genau umsehen. Vielleicht entdeckt er mit seinen scharfen Augen mehr als der halbblinde Kapitän.“

„Wird ausgerichtet, Sir“, brummte der Erste Offizier und hangelte sich an Deck.

Unter den Decksplanken war es trocken und warm. Der größere Teil der Crew hielt sich jetzt hier auf. Der Schimpanse hockte in einer Ecke und schien zu schlafen. Wind und Wetter draußen schienen ihm keineswegs zu behagen.

Ein paar Männer schaukelten in den Hängematten und schnarchten lauter als die Geräusche des Schiffsrumpfes, der sich mit knarrenden Verbänden durch die Wellen kämpfte. Der Seewolf schloß die Augen und lehnte sich zurück.

Seltsam, sagte er sich. Sie waren durch alle Meere gesegelt und nie wirklich unruhig geworden oder unsicher. Die Neugierde hatte stets über die schier endlosen Entfernungen der unbekannten Seegebiete gesiegt. Jetzt änderte sich die Einstellung seiner Arwenacks.

Sie kannten das Gewässer und wußten, daß ihre Heimat voraus lag. Sie konnten es kaum erwarten, an Land zu gehen, die Themse hinauf zusegeln mit der Flut, London wiederzusehen oder Plymouth. Ihre Geduld wurde von Stunde zu Stunde auf eine immer härtere Probe gestellt, und jedes noch so kleine Hindernis störte, regte auf und stimmte wütend.

Philip Hasard Killigrew sagte sich, daß es vermessen wäre, etwas anderes zu erwarten als weitere Zwischenfälle und gefährliche Abenteuer – sie waren noch lange nicht in England. Niederländer, Piraten, Franzosen und Spanier verunsicherten den Ost-Atlantik. Die Tüchtigkeit und das Glück der Mutigen waren keine Garantie für die Sicherheit der Arwenacks, und zwei oder mehrere Verfolgerschiffe konnten das Ende der langen Reise bedeuten.

Die Dons würden kein Erbarmen kennen. Mit den Seewölfen gab es einige Rechnungen zu begleichen.

Hasard holte tief Luft, winkte den Zwillingen und kletterte an Deck.

Während er zuschaute, wie Dan O’Flynn das Spektiv handhabte, sagte er zu Jung Hasard: „Al Conroy wird Hilfe brauchen. Wir sind kein Schiff, das sich leisten kann, mit Serien von Breitseiten zu kämpfen. Unser Stückmeister hat, so denke ich, eigene Ideen über unsere Gegenwehr.“

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