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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie­.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fern­sehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und ­auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

© 2021 novum publishing

ISBN Printausgabe: 978-3-99107-523-3

ISBN e-book: 978-3-99107-524-0

Lektorat: Laura Oberdorfer

Umschlagabbildungen: Sara Brändle, Daria Grushina | Dreamstime.com

Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum Verlag

Innenabbildungen: Sara Brändle

www.novumverlag.com

Zitat
Einleitung

Anker!
Mein Dad hat immer gesagt: „Glaube niemals, dass du unwichtig bist. Hinter jedem Leben steckt ein Sinn. Das Leben vieler Menschen wäre leer, wenn du nicht da wärst.“
Nun sitze ich ganz allein in einem schwarzen Raum. Es ist gespenstisch und gefährlich. Wo ist denn da der Sinn geblieben? Ich weiß nicht, was ich hier mache und habe keine Ahnung, wie ich hierhergekommen bin. Niemand ist bei mir und niemand wird mich retten. Die dunklen, eisigen Wände und auch die schwere Decke scheinen immer näher zu kommen, bis sie mich alle zerquetschen werden. Ich beginne am ganzen Körper zu zittern.
Ich suche verzweifelt einen Weg, um zu entkommen. Doch ich habe keine Chance. Kraftlos versuche ich die beiden auf mich zukommenden Wände auseinander zu drücken. Schließlich gebe ich auf und mit mir stirbt meine ganze dunkle und kaputte Seele.
Schweißgebadet liege ich nun in meinem Bett, als der Wecker klingelt. Ich öffne meine Augen und schaue ins Dunkle. Die Tür öffnet sich und das Licht geht an.
„Elea, du musst aufstehen“, ruft meine Mum. Doch ich wende meinen Blick nicht von der Decke ab. Sie ist so weiß und farblos. Nur in der Mitte der Decke sind ein paar blaue Farbkleckse. Im Malen mit Farben war ich noch nie sehr begabt und das hat auch meine Decke zu spüren bekommen. Trotzdem wollte ich sie nicht übermalen. Sie gefallen mir irgendwie. Diese wenigen, blauen Farbkleckse sind jeden Morgen das Erste und jeden Abend das Letzte was ich sehe.
Da klingelt der Wecker ein zweites Mal und reißt mich aus meinen Gedanken. Jetzt heißt es also aufstehen. Es ist ein Donnerstagmorgen, in der letzten Woche vor den Sommerferien. Donnerstag, ja genau. Der schlimmste Tag der Woche. Aber so ist das Leben. Man kann nichts dagegen tun. Es macht mit einem, was es will.
Also stehe ich auf und mache mich fertig für die Schule. Ich ziehe mein neues T-Shirt an, welches ich mir gestern gekauft habe und betrachte mich damit im Spiegel. Es liegt eng an meinem Körper und die braunen Locken, die leicht auf meinen Schultern liegen, passen perfekt dazu. Meine Mum hat mir Frühstück gemacht und ich schlurfe die Treppe hinunter.
„Guten Morgen“, sagt sie gut gelaunt, während sie in ihrem Pyjama vor dem Herd steht und sich ein Spiegelei zubereitet.
„Guten Morgen“, gebe ich müde zurück. Genüsslich esse ich mein Müsli und versuche dabei möglichst ernst zu wirken, damit meine Mum kein Gespräch mit mir beginnt. Als ich einen Blick auf die Uhr werfe, bemerke ich, dass ich schon sehr spät dran bin.
Deshalb mache ich mich schnell fertig und radle danach mit Höchsttempo in die Schule. Dort angekommen treffe ich Julia. Sie ist meine beste Freundin. Wir machen wirklich alles zusammen. Sie ist wie eine Schwester für mich. Schließlich habe ich ja keine und da ist sie der perfekte Ersatz. Gemeinsam begeben wir uns ins Schulhaus. In den Gängen herrscht Chaos. Schnell laufen wir die Treppen hoch bis ins Klassenzimmer. Heute sieht niemand aus meiner Klasse motiviert aus. Ich glaube, es liegt daran, dass wir alle Ferien verdient haben.
„Guten Tag alle zusammen“, begrüßt Frau Kramer uns.
„Dann beginnen wir jetzt mit dem Unterricht“, sagt sie. Und dann spricht sie und spricht und spricht … Ich mag keine Lehrer, die die halbe Unterrichtsstunde schon mit Erzählungen füllen, aber vor den Ferien ist es ein ganz guter Zeitvertreib. Danach gibt es nur noch eine kurze Arbeitszeit und dann wechseln wir auch schon das Klassenzimmer. So geht es weiter bis zur großen Pause. Julia und ich setzen uns auf eine Bank neben der Eingangstür.
„Hängt bei euch der Haussegen schief oder warum guckst du so?“, frage ich sie.
„Lena“, sagt sie nur. Lena ist Julias kleine Schwester, die es immer irgendwie hinkriegt, ihre große Schwester auf die Palme zu bringen.
„Was hat sie dieses Mal angestellt?“
Ich kann mir echt nicht vorstellen, was dieses kleine Biest nun schon wieder ausgefressen hat. Doch wie erwartet, hat Julia auch heute wieder eine neue Geschichte auf Lager und auch morgen wird es wieder so sein. „Was ist nur los mit dieser Welt, dass sie immer etwas gegen uns hat.“ Ich glaube, das ist auch Julias Gedanke, denn sie hört nicht mehr auf sich zu beklagen, bis sie schließlich von der Schulglocke unterbrochen wird.
Im Naturwissenschaftsunterricht nehme ich mein kleines Zeichnungsbuch hervor. Vor allem in diesem Fach zeichne ich, denn da ist es immer besonders langweilig. Heute haben wir Biologie. Unser Lehrer erzählt uns gerade etwas über den menschlichen Körper und dessen Wachstum. Doch das interessiert mich nicht. Gelangweilt nehme ich meine Stifte hervor und beginne ein Baby zu zeichnen. So falsch ist das schließlich gar nicht, denn es passt zum Thema.


Stolz betrachte ich mein Werk. Das habe ich wirklich toll hingekriegt. Dieses langweilige Gequatsche meines Lehrers bringt mich immer wieder dazu, meine künstlerische Ader aufleben zu lassen. So vergeht Bio wie im Fluge und schon bald fahre ich mit meinem Fahrrad nach Hause.
Botschaft!

Aufbruch!
Die Sonnenstrahlen, welche am Morgen mein Gesicht kitzeln, wecken mich auf. Langsam öffne ich meine Augen. Doch schon bald realisiere ich, dass der gestrige Tag kein Traum war. Italien ich komme.
„Italien!“, kreische ich plötzlich. Meine Mum hat gesagt, dass sie meinen leiblichen Vater im Urlaub in Italien kennengelernt hat. Doch die Aufregung, die ich verspürt habe, verlässt mich schnell wieder. Ich weiß nur seinen Namen und den Ort, an dem er vor 16 Jahren gearbeitet hat. Dazu ist Italien auch noch riesig und wahrscheinlich werde ich Kilometer weit von diesem Ort entfernt sein. Es ist hoffnungslos.
Ich nehme mir vor, den restlichen Tag nicht mehr darüber nachzudenken, springe auf und renne nach unten in die Küche. Leise decke ich den Tisch und bereite das Frühstück vor. Schließlich muss ich mich ja irgendwie bei meiner Mum bedanken, da sie mir diese Reise erlaubt.
Als sie die Küche betritt, strahlt ihr Gesicht. Ich mag es sehr, wenn meine Mum so glücklich ist wie heute. Es gab schon viel schlimmere Zeiten. Kurz nachdem Dad gestorben ist, war sie sehr oft traurig. Doch zum Glück geht es ihr jetzt wieder viel besser.
„Heute werde ich mich mit Julia treffen“, sage ich zu ihr. Die Vorstellung mit Julia für ein paar Wochen in ein Ferienlager zu fahren, ist fast zu schön, um wahr zu sein. Es werden viele andere Jugendliche in unserem Alter dabei sein, aus allen Ecken Deutschlands.
„Ja klar, das geht in Ordnung“, sagt meine Mum und schnappt sich einen Pancake. Sie nimmt sich noch die Tube mit Honig und gibt ein wenig davon auf ihren Pancake.
„Mmhhh … Die sind ja lecker geworden“, lobt sie mich, „bei deiner Tollpatschigkeit hätte ich das nicht gedacht.“ Ich schenke ihr ein sarkastisches Lächeln.
„Was riecht denn hier so gut?“, fragt Leon, der gerade verschlafen die Treppe hinunter watschelt.
„Meine Pancakes“, antworte ich stolz.
„Ach so. Na, dann gehe ich wohl lieber wieder.“ Für diesen Satz erntet mein kleiner Bruder einen Klaps auf den Kopf. Schlussendlich wird er nämlich wieder derjenige sein, der am meisten davon isst. Das kann ich jetzt schon bestätigen.
Gleich nach dem Frühstück rufe ich den Veranstalter des Ferienlagers an und teile ihm mit, dass ich und Julia selbstverständlich dabei sind. Er versichert mir, dass er mir so schnell wie möglich die weiteren Informationen zukommen lässt. Ich bin wirklich total aufgedreht und schaffe es kaum, mich wieder zu beruhigen.
Das liegt aber zum Teil auch daran, dass ich den Brief viel zu spät gefunden habe. Obwohl es noch eine Weile hin ist bis zum Ferienlager, beginne ich heute schon einmal mit packen. Es ist zwar nicht gerade meine Lieblingsbeschäftigung, aber für heute geht’s. Ich suche mir meine Liste raus, welche ich als Kind immer zum Packen gebraucht habe und lese sie durch. Mit jeder neuen Zeile bemerke ich, wie lange ich schon nicht mehr in den Ferien war.
Es stehen die unnötigsten Dinge darauf, welche niemand in meinem Alter je brauchen würde. Also nehme ich ein Blatt und einen Stift und schreibe mir eine neue Liste.
Danach schreibe ich mir noch auf ein Notizblatt, wann ich morgen früh was erledigen muss, damit ich ja nichts vergesse.
Das mache ich immer so, wenn ich irgendetwas Wichtiges vorhabe. Ich weiß, viele Leute halten das für überflüssig, aber so bin ich halt. Ich muss immer die Kontrolle über alles haben. Es ist sehr wichtig für jemanden wie mich, bei dem sonst in kürzester Zeit ein riesiges Chaos ausbrechen würde. Ich gehe meine Packliste durch und verstaue alles, was ich brauche, in meinem Koffer.
Auf einmal klopft es an der Tür und meine Mum tritt in den Raum. Ich weiß genau, dass sie nur wissen will, ob ich auch sicher alles dabeihabe, aber ich hasse es.
Dann bringt sie wieder einmal meinen sorgfältig erarbeiteten Plan durcheinander. Genau so trifft es auch ein. Sie schaut alle meine Sachen durch, bis ich keine Ahnung mehr habe, wo ich gerade war.
Dann will sie mir noch tausende von Dingen einpacken, welche ich sowieso nie brauchen werde. Am Ende zwingt sie mich wahrscheinlich noch, eine Winterjacke einzupacken. Als sie endlich wieder aus meinem Zimmer verschwindet, schaue ich noch einmal alles von Anfang an durch, um sicher zu gehen, dass meine Mum auch ja keinen von meinen Plänen durcheinandergebracht hat. Schlussendlich ist dann endlich alles wie es sein sollte und ich mache mich auf den Weg zu Julia. Ich habe das Gefühl, ich fliege mit meinem Fahrrad, so schnell düse ich durch die Gegend. Bei Julia angekommen, begrüße ich sie mit einer herzlichen Umarmung. Auch Julia ist total am hyperventilieren.
Es geht zwar erst nächsten Sonntag los, aber wir beide können es kaum erwarten. Zusammen lesen wir die Mail, welche ich heute Morgen vom Veranstalter bekommen habe und gehen unsere weiteren Vorbereitungen durch.
„Julia!“ Meine Stimme klingt unsicher und ich weiß nicht genau, womit ich anfangen soll. Verwundert blickt sie mich an.
„Ich habe recherchiert und das Café, in dem mein leiblicher Vater gearbeitet hat, liegt ein paar Kilometer entfernt von unserem Ferienlager. Mit dem Bus braucht man nur zwei Stunden bis dorthin.“
„Und das nennst du ein paar Kilometer?“ Vorwurfsvoll und mit hochgezogenen Augenbrauen starrt sie mich an.
„Ich habe ein wenig in Mums Sachen herumgeschnüffelt. Ich habe mir zwar geschworen, dass ich das nie tun werde, aber in diesem Moment konnte ich nicht anders. Von dort weiß ich, dass er Francesco Moretti heißt und wo er gearbeitet hat. Kannst du dich nicht einfach darauf einlassen? Wenn wir in Italien sind, können wir einen kleinen Ausflug dorthin machen.“ Mit bettelndem Blick sehe ich sie an.
„Bitte …“
„Das besprechen wir später noch“, antwortet sie. Langsam beginnt Julia zu sprechen wie meine Mum. Natürlich hat sie Recht, denn jetzt müssen wir uns zuerst noch um viel wichtigere Dinge kümmern. Wir wollen ja nicht, dass noch etwas schiefläuft. Zugegeben, es fällt mir jedoch schwer zu glauben, dass diese Dinge wichtiger sind als meinen leiblichen Vater zu finden. Keinen Vater zu haben, ist nicht das Einzige, was für mich schiefgelaufen ist. Es wäre schön, nur dieses eine Mal Glück zu haben. Ich habe sogar das Gefühl, dass wir gar nicht so eine richtige Familie sind.
„Chaostruppe“, nennt Julia uns immer. Auch heute hat sie wieder etwas an uns auszusetzen.
„Hey, es ist schon zwölf Uhr. Du musst jetzt schnell nach Hause.“
„Wieso?“, frage ich verdattert.
„Sag mir jetzt nicht, du hast euern traditionellen Fa­-milientag vergessen.“ Mit vorwurfsvollem Blick schaut sie mich an.
„Ach nein, ich doch nicht“, sage ich sarkastisch. Doch sie hat Recht. Ich muss jetzt wirklich schnell nach Hause. Der einzige Tag, an dem wir so richtig eine Familie sein können, ist der vierte Samstag im Monat und das ist heute. Da unternehmen wir immer etwas zu dritt oder wir bleiben zu Hause, spielen Spiele und schauen uns alte Erinnerungsfotos an. Heute wird es wohl ein Spieletag, wenn ich so nach draußen sehe.
Als allererstes spielen wir immer Monopoly. Das ist eine Tradition bei uns. Ich liebe dieses Spiel, weil ich dabei oft gewinne. So vergeht der Nachmittag. Am Abend holt Mama unsere alten Fotoalben aus dem Schrank und wir schauen sie gemeinsam an. Mein Lieblingsfoto von mir ist eines, auf dem ich ungefähr drei Jahre alt bin. In meinen Fingern halte ich ein tropfendes Eis. Dann geht es noch weiter, mit ganz vielen süßen Kinderbildern von mir und manchmal auch von Leon. Wir waren wirklich niedlich als Kinder. Das kann niemand bestreiten.


Danach sehen wir uns ein Bild an von Mums und Dads Hochzeit. Es gibt nur noch dieses. Ich glaube, den Rest hat meine Mum versteckt, weil sie es nicht mehr ertragen konnte, diese Bilder zu sehen.

Abenteurerherz!
Ich erwache aus dem Schlaf und blicke um mich. Gegenüber von mir sitzt Julia, die immer noch tief und fest schläft. Heute Mittag hat Herr Schneider uns gesagt, dass wir noch etwas schlafen sollen, weil wir erst um 23 Uhr in Italien ankommen.
Danach hat uns Livia noch ein paar Stunden lang vollgelabert. Um 7 Uhr haben wir dann versucht zu schlafen.
Doch jetzt ist es 9 Uhr und ich bin schon wieder wach. In unserem Zugabteil ist es sehr ruhig und nur wenige sind noch oder schon wieder wach. Wir fahren noch zwei Stunden bis wir endlich ankommen.
Auch Livia sitzt schlafend neben mir und hat ihren Arm über meine Beine gelegt. Ich versuche ihn möglichst behutsam von mir zu nehmen, damit sie nicht erwacht. Dann stehe ich auf und gehe ein Weilchen durch den Zug, um mir die Zeit zu vertreiben. Als ich mich schließlich wieder zurück an meinen Platz begeben möchte, rempelt mich jemand von hinten an.
„Pass doch auf“, sagt eine Stimme und ich drehe mich um. Hinter mir steht ein Junge, der offenbar auch zu unserer Reisegruppe gehört.
Mit finsterem Blick schaut er mich an.
„Kennen wir uns?“, frage ich ihn. Ich bin komplett überrumpelt und realisiere gar nicht was ich da überhaupt sage. Der Junge ist groß und schaut mit seinen kristallklaren, blauen Augen auf mich herab. Er trägt ein schwarzes Shirt und eine genauso schwarze Jeans, was ihn irgendwie böse wirken lässt.
„Ne, wieso sollten wir“, antwortet er genervt, „lässt du mich jetzt endlich durch?“ Er drängt sich an mir vorbei und geht weiter. Ich glaube, den kenne ich doch nicht. So einen arroganten Typen möchte ich auch gar nicht kennen. Es gibt schon unfreundliche Menschen auf dieser Erde.
„Elea“, ruft eine Stimme und ich blicke um mich und entdecke Livia, die wohl aufgewacht ist.
„Schhh…“, flüstere ich, „die anderen schlafen doch noch.“
„Ist ja schon gut, ich halte jetzt meine Klappe“, sagt sie und geht wieder zurück. Wie lange das wohl anhält, frage ich mich und gehe ihr hinterher. So eine Plappertasche wie Livia habe ich zuvor noch nie kennengelernt. Mittlerweile ist auch Julia aufgewacht und sieht mich mit müdem Blick an.
„Na, gut geschlafen?“, frage ich sie.
„Geht so, bequem war es nicht gerade, aber was soll’s. Ich glaube nicht, dass wir die nächste Zeit so viel schlafen. Schließlich sind wir in einem Camp. “
Da muss ich ihr Recht geben, aber ich hoffe trotzdem, dass wir nicht völlig übermüdet aus Italien zurückkehren. Denn dann heißt es wieder: „Ab in die Schule». Doch daran will ich jetzt gar nicht denken. Nun ist erst einmal entspannen und genießen angesagt. Auch wenn ich mir vorstellen kann, dass dieses Lager mehr Abenteuer als Entspannung mit sich bringt. Es ist aber trotzdem viel besser als einfach nur nutzlos Zuhause herumzusitzen und zu warten, bis die Ferien vorbei sind. Denn mein Abenteuer fängt jetzt an. In diesem Augenblick kommen mir zwei Stunden so unglaublich lange vor. Als ich aus dem Fenster schaue, sehe ich, wie die Landschaft an uns vorüberzieht.
Die Sonne ist schon untergegangen und alles sieht jetzt viel dunkler und geheimnisvoller aus. Ich kenne viele Menschen, welche Angst haben im Dunkeln. Doch ich finde, dass die Dunkelheit etwas ganz Besonderes an sich hat. Ich glaube nicht an das Gute und an das Böse, weil in allem Bösen auch etwas Gutes steckt.
Wir verschließen nur viel zu oft die Augen davor. Manchmal kommt es mir vor, als würde die Nacht heller scheinen als der Tag. Denn die Nacht ist nicht böse. Wir Menschen wählen immer den Weg, welcher für uns einfacher ist.
Der Tag macht uns keine Angst, aber vor der Nacht verschließen wir die Augen. Doch wenn man die Nacht und das Dunkle genießt oder einfach nur den Sternenhimmel betrachtet, dann merkt man, dass die Nacht genauso schön ist. Sich einfach auf etwas einlassen und zu vertrauen ist schwierig, aber es macht das Leben schöner.
Gedankenverloren sitze ich nun in diesem Zug und denke über das Leben nach. Es ist schon 23 Uhr und ich bin total gespannt.
Als Livia sich wieder neben mich setzt und zu tratschen beginnt, scheint die Zeit viel schneller zu vergehen. Schon kurz darauf kommen wir am Bahnhof an. Ein Bus bringt uns bis zu unserer Unterkunft.
Vor uns steht ein großes Gebäude. „Wir sind da“, ruft Herr Schneider und geht auf das Haus zu.
„Ich vermute, ihr seid alle sehr müde. Auch wenn ihr am liebsten zuerst den Ort erkunden würdet, glaube ich, es wäre das Beste, wenn wir nur noch die Zimmereinteilung machen und dann schauen wir morgen weiter.“
Herr Schneider führt uns durch das Haus, bis in den ersten Stock. Dort sind die Zimmer für die Jungs. Ein Stock höher sind die Zimmer für uns Mädchen. Alle stürmen sofort los, um ein möglichst schönes Zimmer zu bekommen. Auch Julia, Livia und ich suchen uns ein Zimmer aus. Als wir endlich das passende gefunden haben, hole ich mein Gepäck nach drinnen.
Nachdem ich den Koffer nach oben getragen habe, schaue ich mir den Raum genauer an. Es ist etwas altmodisch, aber sehr schön eingerichtet.
Es hat ein riesiges Fenster, durch welches man direkt auf das Meer blickt. Ich wusste gar nicht, dass unser Ferienlager so nahe am Meer liegt. Es ist wirklich eine wunderschöne Aussicht. Das Wasser glitzert und der Mond spiegelt sich darin. Jetzt kommen auch Livia und Julia mit ihrem Gepäck in das Zimmer gestürmt.
„Wow!“, sagt Livia, „Da haben wir uns ja ein Zimmer mit einem tollen Panorama geschnappt.“
Damit hat sie wirklich Recht. Besser hätten wir es gar nicht treffen können. Von unseren Betten aus kann man direkt aufs Meer blicken. Im Raum steht ein Kajütenbett und ein einzelnes Bett. „Ich schlaf oben!“, ruft Livia und klettert die Leiter hinauf. Damit sind Julia und ich sofort einverstanden, weil wir beide sonst wahrscheinlich in der Nacht aus dem Bett fallen würden.
Wir diskutieren noch eine ganze Weile, wer von uns welches Bett kriegt, aber schlussendlich einigen wir uns darauf, dass ich im Kajütenbett schlafe und Julia das andere Bett nimmt.
Es ist schon fast Mitternacht und wir müssen uns langsam bettfertig machen. Doch zuerst müssen wir unsere Koffer auspacken.
Wenn wir sie einfach nur durchwühlen, dann werden wir morgen wahrscheinlich gar nichts mehr finden. Während dem Auspacken bemerke ich, dass es vielleicht doch nicht so eine schlechte Idee gewesen wäre, mit meiner Mum zu packen.
Da ich selbst natürlich nicht daran gedacht habe, dass mein Pyjama das Erste sein wird, was ich brauche.
Doch mein Kontrollwahn hat es natürlich nicht zugelassen, dass mir jemand beim Packen hilft. Wenn nicht alles nach meinem Plan läuft, dann drehe ich meistens völlig durch. Als dann auch ich meinen Pyjama, welcher übrigens ganz zuunterst lag, endlich gefunden habe, gehen wir schlafen.
Doch wie wir Livia inzwischen kennen, muss sie uns zuerst noch eine Geschichte erzählen. Aber ich glaube, an Livia werde ich mich bald gewöhnen. Denn auch wenn sie viel spricht, sie sagt in jeder Situation immer genau das Richtige, um mich zum Lachen zu bringen.
Ich finde es jetzt schon total toll, dass ich sie hier kennenlernen darf. Neue Freunde zu finden ist immer eine tolle Sache.
„Guten Morgen.“ Ich öffne meine Augen und blicke in das strahlende Gesicht von Livia. „Heute wird ein wundervoller Tag“, verkündet sie fröhlich.
Verschlafen reibe ich mir die Augen. „In einer Stunde gibt es Frühstück, also macht euch bereit für dieses Abenteuer!“
„Für das Abenteuer Frühstück?“, fragt Julia, die wie ich noch total müde ist.
„Ich weiß zwar auch nicht, was Frühstück mit einem Abenteuer zu tun hat, aber etwas zu essen schadet bestimmt nicht“, antworte ich und stehe auf. Nachdem ich mich ein paar Mal gestreckt, gewaschen und zum Schluss angezogen habe, bin ich nun startklar fürs Frühstück. Auch Julia hat sich nun aufgerappelt, doch die Müdigkeit steht ihr ins Gesicht geschrieben. Frühaufsteher sind wir beide nicht, aber Livia dafür umso mehr.
Die ist schon früh am Morgen die Freude in Person. Vielleicht kann sie uns ja die nächsten Wochen noch ein wenig damit anstecken. Nach dem Frühstück informiert uns Herr Schneider über den weiteren Tagesablauf. Heute wird erst mal ausgepackt und wir können uns etwas von der Reise erholen.
Doch kurz nach dem Frühstück gibt es zuerst einen Rundgang durchs Haus. Herr Schneider führt die Gruppe durch den Essbereich und die Küche, danach kommen wir in den Aufenthaltsraum. Es ist ein großer, gemütlich eingerichteter Raum. Darin steht ein Sofa und rundherum sind viele Sitzsäcke aufgestellt.
Es sieht wirklich sehr bequem aus und am liebsten würde ich mir jetzt gleich mein Buch holen und mich auf dieses wundervolle Sofa setzen. Das wäre jetzt die perfekte Atmosphäre, um ein wenig zu relaxen. Doch jetzt begeben wir uns alle einen Stock höher, wo die Zimmer der Jungs sind. Zum Schluss gehen wir noch in den dritten Stock, wo sich auch nochmals Mädchenzimmer befinden. Dann sind wir auch schon am Ende unserer Besichtigung angelangt. Das Haus ist nicht wirklich groß, aber total gemütlich.
Wir sind insgesamt nur fünfzig Jugendliche, deshalb reicht es völlig aus. Ich freue mich schon darauf, welch tolle Abenteuer wir in diesem Haus erleben werden und wie viele Erinnerungen wir mit nehmen. Doch jetzt gehen Livia, Julia und ich erstmal zurück in unser Zimmer. Wir beschließen, zuerst unsere Koffer auszuräumen. Wir sind alle nicht gerade Ausräumprofis oder besser gesagt Einräumprofis, deshalb brauchen wir ziemlich lange, bis endlich alle unsere Sachen richtig verstaut sind.
Ratlos stehen wir nun in unserem Zimmer. Was sollen wir jetzt tun? Für große Abenteuer haben wir jetzt noch nicht genügend Energie, aber nur herumsitzen, ist auch nicht das Wahre.
Ich sehe mich um und mein Blick fällt auf das offene Fenster. Draußen ist es warm und die Sonne spiegelt sich auf dem Wasser. „Gehen wir doch schwimmen“, schlage ich vor.
„Ja“, sagt Livia begeistert, „tolle Idee.“
Auch Julia stimmt freudig zu. Wir ziehen rasch unsere Badesachen an und gehen hinunter zum Strand. Der Sand ist heiß und meine Füße brennen, während ich hinunter zum Wasser renne.
Das Meer ist klar und wunderschön. Ich bin erleichtert, als meine Füße endlich das kalte Wasser erreichen. Dann bleibe ich stehen und mein Blick schweift der Küste entlang.


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