Wie aus dem Ei gepellt ...

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Aus der Reihe: Wie aus dem Ei gepellt ... #3
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Wie aus dem Ei gepellt ...

Erzählungen, Märchen und Gedichte zur Osterzeit

Band 3

Sandy Penner (Hrsg.)


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Impressum:

Personen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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© 2021 – Papierfresserchens MTM-Verlag GbR

Mühlstr. 10, 88085 Langenargen

Alle Rechte vorbehalten. Taschenbuchauflage erschienen 2013.

Cover Schaf: waterlilly / Fotolia.com lizenziert

Herstellung: CAT creativ - cat-creativ.at

ISBN: 978-3-86196-199-4 - Taschenbuch

ISBN: 978-3-96074-422-1 - E-Book

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Inhalt

Eins, zwei, drei, Änni legt ein Ei!

Reingelegt

Das halbe Osterei

Die Rosenkönigin

Der Osterengel Gregor

Ostereier, Keks und Merle

Opa Theo und der Osterhase

Die Osterklage

Der kleine Hase Trick und die gestohlene Zeit

Das Osterlämmchen

Purzel und der Eier-Malwettbewerb

Henne Trudi rettet Ostern

Der Osterhase unterm Holderbusch

Hasenohren

Ein großer Sieg

Marathon-Moppel

Frohe Ostern, Agathe!

Meine Cousine, ihr Meerschwein und ich

Osterhasencasting

Chaotischer Herr Osterhase

Ein Osterspaziergang mit Großvater

Osterfrühstück

Kunterbunter Eiermix

Mein Osterhase

Wie Jonny die Osterhasen rettete

Aus der Traum vom Osterhasen?

Der Stadtstrand

Die Kür des Osterhasen

Skandal-Interview: Osterhase schmeißt Handtuch!

Hasenherz

Oh, du schöne Osterzeit

Schoko-Osterhasen im neuen Design

Reinecke und die Kücken

Das Osterhasenlied

Wüstenei

Als Weihnachten und Ostern auf einen Tag fielen

Ostern im Garten

Aufruhr im Hasendorf

Henne Henni und das Osterküken

Wie die Eier bunt wurden

Wo wohnt denn bloß der Osterhase?

Oh, Johnny!

Abenteuer schwer gemacht

*

Eins, zwei, drei, Änni legt ein Ei!

An einem sonnigen Frühlingsmorgen, nachdem Änni ihren ersten Hunger am frischen Gras der Weide gestillt hatte, wälzte sie sich gerade genüsslich, als sie eine Stimme vernahm: „Pferd müsste man sein! Dann könnte man sich in aller Ruhe dick und rund fressen und bräuchte keine Eier holen, bemalen und ausliefern.“

Änni richtete sich auf und schaute, wer dort sprach. „WER ist hier dick und rund?!“, fragte sie und legte drohend die Ohren an den Kopf.

Aber der braune Hase mit dem Korb auf dem Rücken lachte nur. „Nichts für ungut, ich wollte dich nicht beleidigen. Aber wenn man euch Pferden hier so zusieht, während man selbst mit Eiern beladen durch die Gegend hoppelt, kann man schon mal neidisch werden.“

Änni erhob sich mit einem Stöhnen, schüttelte sich und schnaubte beruhigt. Ihr seidiges schwarzes Fell glänzte im Sonnenschein. „Na ja, du musst nicht denken, dass wir nichts zu tun haben hier, Hase. Wir müssen fast jeden Tag Menschen auf unserem Rücken tragen, manche davon sind nicht nur schwer, sondern auch ziemlich anstrengend.“

Eine dunkle Fuchsstute drängte sie zur Seite und sagte: „DU musst dich ja nun wirklich nicht beschweren, Änni. Während du hier schon wieder frisst, muss ich immer noch Reitschüler durch die Gegend tragen!“

Änni schnappte pikiert: „Dafür bekommst du auch eine extragroße Portion Hafer und Heu, Braunie, also hab dich nicht so!“

„Verdient ist verdient“, murrte Braunie und schlug unwirsch mit dem Schweif.

Der Hase hatte keine Lust, sich in die Stutenbissigkeit einzumischen und verabschiedete sich hastig. „Macht das unter euch aus, Mädels, ich muss weiter!“

Die Pferde schauten ihm nach und Braunie meinte: „Irgendwie hat er aber recht, Osterhase möchte ich auch nicht sein. So viel Stress für einen einzigen Tag!“

Änni antwortete nicht. Nachdenklich zupfte sie an ein paar Grashalmen. Ostern. Das war einmal im Jahr. Aber geritten wurde immer. Vielleicht konnte sie ja umschulen? Auf Osterpferd?

Während der nächsten Tage sah sie den Osterhasen immer wieder hin- und herhoppeln zwischen dem Hühnerstall, wo er die Eier abholte, und dem Bau, in dem seine Familie die Eier bunt anmalte.

Als er wieder einmal direkt an ihrer Wiese vorbeihoppelte, sah sich Änni vorsichtig um. Ihre Kolleginnen fraßen an einem Streifen frischen Grases und beachteten sie nicht, daher schlich sie sich davon und rief dem Osterhasen leise zu: „Hey du! Huhu!“ Erstaunt hielt der Hase inne und sah Änni fragend an. „Komm doch mal ein Stück näher, damit ich nicht so schreien muss“, bat die Stute. Das Langohr tat ihr den Gefallen und setzte sich gleich vor ihre Hufe. „Kann ich nicht bei euch mitmachen?“, fragte sie.

„Hä? Wie meinst du das, Pferd?“

„Ich heiße Änni, Hase!“

„Und ich heiße Fred, Pferd!“

Änni schüttelte genervt die kurze Mähne. „Gut, Fred. Ich will auch bei Ostern mitmachen. Eier holen, einfärben und was ihr sonst noch so macht.“

„Hahahahaha!“, lachte Fred und schlug sich auf die Schenkel.

„Pssst! Bist du verrückt?“, zischte Änni und ließ vor lauter Aufregung einen dicken Haufen Pferdeäpfel fallen.

„Eier legen kannst du also schon“, bemerkte der Hase trocken, bevor er wieder in Gelächter ausbrach.

Die Stute blickte erstaunt hinter sich, sah aber nur die grünen Pferdeäpfel. Als sie wieder nach vorn schaute, war der Osterhase verschwunden. Änni schnaubte ärgerlich, weil er sie hereingelegt hatte, und gesellte sich dann wieder zu den anderen Pferden.

Am Ostersamstag hatte Änni ihr abendliches Heu schon längst aufgefressen und blickte sehnsüchtig zu ihrem Boxennachbarn, der noch genüsslich an den grünen Halmen knabberte, bis er ihren Blick bemerkte und hämisch sagte: „Na, schon wieder aufgefressen, Änni? Tja, Pech. Von mir gibt’s nix mehr. Musst du dir eben etwas mehr Zeit lassen demnächst.“

Peinlich berührt wandte sich Änni ab und ließ sich ins Stroh plumpsen. Morgen war Ostern. Toll. Und was hatte sie davon? Vielleicht kam ja ihre kleine Freundin Marie und brachte ihr ein Stück Zucker oder ein paar Möhren. Dafür durfte sie dann auch auf ihrem Rücken reiten. Änni dachte an die klebrigen Kinderfinger, die immer irgendwie verlockend dufteten, und fiel darüber in sanften Schlummer.

 

Mitten in der Nacht erwachte sie von einem Knabbergeräusch. Sie stellte die Ohren auf und lauschte.

„Änni, Änni du musst mir helfen!“, rief eine vertraute Stimme.

Die Stute schüttelte sich verwirrt und versuchte zu erkennen, wer da zu ihr sprach. Dummerweise war es stockdunkel und so sah sie Fred erst, als er direkt vor ihrer Nase saß.

„Huaa!“ Mit einem Satz war Änni auf den Beinen, stand in der hintersten Ecke ihrer Box und starrte zitternd und mit weit aufgerissenen Augen auf das Fellknäuel in der Boxenmitte.

Fred hielt sich das Bäuchlein und lachte sich kaputt. „So ein großes Pferd und so ein Angsthase!“, rief er.

Änni, der das ziemlich unangenehm war, prustete ruckartig die angehaltene Luft aus und erwiderte ungehalten: „Pferde sind Fluchttiere! Hast du das etwa nicht gewusst? Wenn nachts plötzlich ein Wolf dasteht, hat man keine Zeit, mutig zu sein!“

„Wem sagst du das ...“, murmelte Fred, schließlich waren Wölfe auch seine Feinde.

„Aber jetzt komm mal wieder runter, ich brauche deine Hilfe. Die Waschbären haben uns alle bunt gefärbten Hühnereier gestohlen und auf die Schnelle können wir für die Kinder keine neuen bemalen. Du wolltest doch sowieso helfen bei den Ostervorbereitungen, könntest du uns nicht einen großen Haufen Eier legen? Am besten bunt gefärbt?“

Änni wollte den Osterhasen gerade fragen, ob er noch alle Tassen im Schrank hätte, als sie einen verdächtigen Druck auf den Darm spürte. Der Drang zu äpfeln war plötzlich so stark, dass sie sich auf nichts anderes konzentrieren konnte.

Im nächsten Moment hob sich ihr Schweif wie von selbst und „plopp, plopp, ploppediplopp, plopp“ fielen doch tatsächlich statt Pferdeäpfeln bunt gefärbte Eier ins Stroh. Während Änni erstaunt hinter sich glotzte, freute sich Fred und machte sich daran, die Eier in seinem Rückentragekorb zu verstauen.

„Danke, du hast uns sehr geholfen!“, rief er und hoppelte dann eiligst davon.

Änni ließ sich wieder ins Stroh plumpsen. Sie war ein Osterpferd! Erschöpft schlief sie wieder ein.

Als sie am Ostersonntag aufwachte, fiel ihr das nächtliche Erlebnis ein und sie sah sich suchend in der Box um. Nichts ließ darauf schließen, dass sie tatsächlich bunte Eier gelegt hatte. Aber Fred hatte sie ja auch alle mitgenommen. Oder etwa nicht?

Auf der Wiese, nach dem ersten Frühstück, überkam Änni wieder der Drang zu äpfeln. Gespannt schaute sie hinter sich, aber es fielen nur „plopp, plopp, plopp“ eine Menge Pferdeäpfel zu Boden. Sie seufzte: „Und ich bin doch nur ein stinknormales Pferd!“

Am Nachmittag kam tatsächlich ihre kleine Freundin Marie zur Weide gelaufen. Sie hielt ein Körbchen mit Zucker- und Schokoladeneiern in der linken Hand und schwenkte ein lindgrünes Hühnerei in ihrer rechten. „Änni, schau mal, was ich in deiner Box gefunden hab! Eins, zwei, drei, die Änni legt ein Ei! Hast du ein Ei gelegt, meine Änni?“, fragte die Kleine und schmiegte das Gesichtchen an die warme Pferdenase.

Änni nickte begeistert. Marie lachte ihr helles Kinderlachen und reichte ihr zur Belohnung ein Zuckerei aus weichen, klebrigen Händen. Änni lutschte darauf herum und seufzte zufrieden: Konnte es ein schöneres Osterfest geben?

Sue Hiegemann lebt naturverbunden mit Familie und Tieren als Wahl-Ossi im schönen Leipziger Neuseenland, das sie stets reich mit Inspirationen versorgt. So entstehen Geschichten und manchmal auch Gedichte für Groß und Klein, die sich in diversen Anthologien wiederfinden, sowie Artikel und Porträts für den Lokalteil der Leipziger Volkszeitung. Mehr Infos finden sich auf der Webseite slcalvi.de.

*

Reingelegt

Die Ruhe der Nacht lag über dem Bauernhof, alles schlief und nur hier und da war ein leises Rascheln, Grunzen oder Gackern zu vernehmen, wenn eines der Tiere gerade lebhaft träumte. Auf Zehenspitzen trippelte der Bauersohn zum Hühnerstall und öffnete vorsichtig die Tür. Sie durfte nicht zu laut knarren, denn er wollte die Hennen nicht wecken. Ein Grinsen huschte dem Jungen übers Gesicht, als er daran dachte, was er sich Lustiges ausgedacht hatte. Er schlich an den Hühnern vorbei, die aufgeplustert und dicht gedrängt auf den Stangen hockten und näherte sich langsam der Henne Henriette. Diese saß schlafend im Nest und brütete ihre Eier. Vorsichtig schob er ihr etwas unter den Bauch. Na, das würde ein Spaß werden, wenn sie morgen erwachte!

„Kiiickerikiiie!“, krähte der Hahn aus vollen Kräften, sobald die ersten Sonnenstrahlen den Bauernhof in Morgenlicht tauchten. Die Hennen öffneten verschlafen ihre Augen, schüttelten ihre Federn und begannen nach und nach von den Stangen zu hopsen. Auch Henriette erwachte und kuschelte sich noch einmal an ihre Eier. „So, meine Kleinen, ich muss euch jetzt kurz alleine lassen, ich bin hungrig“, sprach sie und sprang vom Nest. Doch was war das? Entsetzt blickte Henriette auf ihre Eier. Sie waren alle da – glaubte Henriette, denn sie konnte nicht besonders gut zählen – doch eines war knallbunt! „Ich habe ein buntes Ei gelegt!“

Aufgebracht flatterte Henriette durch den Stall, sodass die Federn flogen und dann hinaus auf den Hof, damit es alle hören konnten. „Ich habe ein buntes Ei gelegt!“ In Windeseile verbreitete sich die Nachricht. Die Kühe, die eigentlich noch ein wenig Nachtruhe in ihrem Stall halten wollten, rissen ungläubig die Augen auf. Ein buntes Ei? Wo gab es denn so etwas! Die Schweine grunzten aufgeregt und beschlossen, sich die Sensation einmal genauer zu betrachten. Der Wachhund ärgerte sich darüber, dass Henriettes Geschrei ihn aus dem Schlaf riss. Doch dackelte er pflichtbewusst hinüber zum Hühnerstall, um nach dem Rechten zu sehen. Nur die Katze, die gerade von ihrer Mäusejagd kam, tat gelangweilt. Sie wusste, dass sie nicht in den Hühnerstall durfte, und zog sich auf ihre Lieblingsfensterbank des Bauernhauses zurück.

Mittlerweile waren immer mehr Tiere des Hofes im Hühnerstall versammelt und drängten sich um Henriettes Nest. Jene, die keinen Platz mehr fanden, warteten ungeduldig in einer Reihe vor dem Stall.

„Das Ei ist wunderschön, Henriette! Wie hast du das nur gemacht?“, riefen die Schweine und Kühe.

„Wahrlich unglaublich“, musste der Hund zugeben.

„Dass ich das mal erleben darf“, meinte auch der Hahn anerkennend. Nur die anderen Hennen blieben weitgehend stumm. Während sie auf das leuchtend bunte Ei in Henriettes Nest blickten, murmelte die eine schließlich: „Das kann nicht mit rechten Dingen zugehen.“ Und eine andere sprach leise: „Wer weiß, was sie da ausbrütet“. Die übrigen Hennen nickten ihr zustimmend zu.

Henriette hingegen ignorierte die eifersüchtigen Blicke der anderen Hennen. Die meiste Zeit über hütete sie liebevoll ihre Eier, ließ es sich aber nicht nehmen, erhobenen Hauptes und mit stolz geschwellter Brust über den Hof zu schreiten. Sollten die anderen Hühner doch denken, was sie wollten! Sie war etwas Besonderes! Noch nie hatte ein Huhn ein farbiges Ei gelegt. Und Henriette genoss die bewundernden Blicke der Kühe, der Schweine, des Hahns und des Hundes.

„Aufgeplusterte Glucke“, gackerte die Oberhenne, die mit ihren zwei Freundinnen auf dem Hof zusammenstand.

„Ach, lass Henriette doch ihren Spaß“, erwiderte die andere. „Sie wird schon sehen, was da aus ihrem Ei schlüpft.“

Und während die Hühner weiter ihrer Lieblingsbeschäftigung nachgingen und auf dem Hof nach Körnern pickten, kam die Katze ihres Weges. Sie hatte schon seit einiger Zeit amüsiert die Lage beobachtet. „Meine Lieben, wollt ihr wissen, was es mit Henriettes Ei auf sich hat?“, fragte sie. Die Hennen blickten sie etwas argwöhnisch, aber neugierig an. „Kommt, ich zeige euch etwas“, forderte die Katze sie auf und sprang davon. Die Hennen hüpften aufgeregt hinterher und folgten ihr in Richtung Bauernhaus bis zu ihrer Lieblingsfensterbank. „Dann werft einmal einen Blick durch das Fenster“, sprach die Katze.

Gespannt flatterten die drei Hühner zur Scheibe und schauten in das Wohnzimmer. Dort saß der Bauernjunge am Tisch und war eifrig damit beschäftigt, etwas mit bunten Farben zu bepinseln. „Kannst du was sehen?“, gackerte das eine Huhn. „Was macht er da?“

„Lass mich mal schauen“, drängelt die Oberhenne und kniff die Augen etwas zusammen, um besser erkennen zu können, was der Junge tat. „Das gibt’s doch nicht“, flüsterte sie schließlich, „er bemalt Eier!“

„Eier? Welche Eier denn?“, meinte die dritte Henne aufgebracht.

„Nun, ich mag es euch erklären“, sprach die Katze. „Jedes Jahr in der Osterzeit ist es Brauch bei den Menschen, Hühnereier zu bemalen. Manchmal verstecken sie sie auch, damit die Kinder ihren Spaß daran haben, sie wieder zu suchen.“

„Seltsame Ideen haben die Menschen“, murmelte die eine Henne. „Und du meinst, der Bauernsohn hat einfach eines der bemalten Eier in Henriettes Nest gelegt?“

„So wird es wohl sein“, antwortete die Katze.

Die Hühner grinsten sich an. Dann war Henriette ja gar nichts Besonderes! Ein stinknormales Ei hatte sie in ihrem Nest! „Na, da wird sie aber enttäuscht sein, wenn sie feststellt, dass da auch ein stinknormales Küken herausschlüpft!“, gackerte die Oberhenne schadenfroh.

So vergingen die Tage und alle Tiere des Hofes warteten gespannt darauf, dass das Küken aus Henriettes buntem Ei endlich schlüpfte. Alle anderen Eier hatte sie bereits ausgebrütet. Henriette sonnte sich weiter unter der Aufmerksamkeit der anderen und auch ihre Erwartungshaltung stieg von Tag zu Tag. Besonders ungeduldig waren aber die anderen Hennen. Sie grinsten sich immer wieder an und freuten sich schon darauf, Henriettes enttäuschtes Gesicht zu sehen.

Schließlich, in einer Nacht, geschah es. Alles schlief im Hühnerstall, da spürte Henriette plötzlich, dass das Ei unter ihr zu wackeln begann. Henriettes Herz begann heftig zu pochen, als sie beobachtete, wie die Schale knackend einen leichten Riss bekam, der sich langsam über das ganze Ei ausbreitete. Kurz darauf schaute ein kleines, gelbes Köpfchen heraus. Henriette war entsetzt! Ein kleines gelbes Küken. Gelb! Alle Küken waren gelb! Was sollte sie jetzt nur tun? Alle würden sie auslachen! Henriette beschloss, das piepsende Küken erst einmal mit nach draußen zu nehmen, damit die anderen Hennen nicht wach wurden. Sie überlegte fieberhaft. Vielleicht könnte sie einfach behaupten, jemand hätte ihr Ei gestohlen? Da schlich wieder einmal die Katze heran, die bereits auf diesen Moment gewartet hatte. „Henriette, ich habe eine Idee, wie ich dir helfen kann“, lockte sie. Sie freute sich darauf, sich mit den Tieren des Hofes einen Spaß zu erlauben, insbesondere mit den eifersüchtigen Hennen. Henriette blickte die Katze überrascht an, folgte ihr aber dann.

Es dämmerte und der Hahn begrüßte krähend den neuen Tag. Es war Ostersonntag. Die Hennen erwachten in ihrem Stall und stellten sofort aufgeregt fest, dass Henriettes Nest leer war.

„Henriette, lass uns schauen!“ „Wo ist dein Küken? Wir wollen es sehen!“, gackerten sie durcheinander und rannten nach draußen. Auch die Kühe, Schweine und der Hund kamen, wach geworden von dem Geschrei, zusammen. Mitten auf dem Hof stand die stolze Henriette und vor ihr das Küken, das alle so sehnsüchtig erwartet hatten. Ein Raunen ging durch die Tiermenge und den Hennen fielen fast die Augen aus dem Kopf: Henriettes Küken war ... knallbunt!

Henriette strahlte und noch jemand grinste aus der Entfernung, auf ihrer Lieblingsfensterbank sitzend, in sich hinein. Und wenn der Bauernjunge erst wach werden würde, so würde er heute eine ganz besondere Osterüberraschung erleben.

Martina Vogel, 1977 geboren, lebt in Flörsheim am Main und ist Grundschullehrerin. Neben dem Wandern, Reiten, Joggen und Yoga liebt sie vor allem Bücher und das Lesen. Bereits als Kind hat sie früh viele eigene Geschichten geschrieben und nach einer langen schreibfreien Zeit ist „Reingelegt“ ihre erste Kurzgeschichte für Kinder.

*

Das halbe Osterei

Jamie seufzte. In einer Stunde sollte er zu seiner Familie fahren. Es war mal wieder Zeit für das alljährliche Ostertreffen. Verzweifelt fuhr er sich durch die Haare. Er war wirklich vollkommen verplant. All die Aufsätze, die er noch schreiben musste, die Bücher, die es noch zu lesen galt.

 

Gähnend lief er in die Küche. Dafür war er extra früher aufgestanden. Jamie drückte ein paar Knöpfe, um sich einen Kaffee einzulassen. Schwarz. Die Maschine brummte. Als er sich seinen Kaffe nahm, schaute Jamie sich kopfschüttelnd um. Während die Küche an sich relativ sauber war, glich die Spüle einem Schlachtfeld. Schmutzige Töpfe und Teller türmten sich neben dem Waschbecken. Doch das würde auch noch eine Weile so bleiben, denn heute hatte Jamie genug um die Ohren.

Mit dem dampfenden Kaffee in der Hand ging er zurück zu seinem Schreibtisch und stutzte. Mitten auf seinem Arbeitsheft, umrandet von seiner eng geschwungenen Schrift, lag ein Osterei. Zumindest das, was von ihm übrig war. Es war ein halbes Schokoladenei. Die Aluverpackung war unliebsam heruntergerissen worden und schloss sich jetzt nur noch um die Hälfte des Eis. Der Rest war offensichtlich abgebissen worden.

Irritiert stellte Jamie seinen Kaffee auf den Tisch. Wo kam dieses Ei her? Wer hatte es dort auf seinem Schreibtisch platziert? Denn bevor er in die Küche gegangen war, hatte sich dort noch nichts befunden, dessen war Jamie sich sicher. Er schluckte. Das alles war irgendwie unheimlich. Schnell nahm er das halbe Ei, schmiss es in den Müll und kehrte die übrigen Brösel von seinem Heft. Doch bevor Jamie sich wieder setzte, suchte er seine Wohnung ab. Er blickte unter die Tische und in all seine Schränke, aber es war niemand zu sehen.

Unsicher widmete er sich wieder seinem Aufsatz. Er konnte sich die Sache mit dem Ei einfach nicht erklären. Plötzlich hörte Jamie ein dumpfes Klopfen. Mit einem Mal war er hellwach. Er sprang auf und schaute sich um. Wie vorhin war niemand zu sehen, doch diesmal würde Jamie nicht so leicht aufgeben. Er schlich leise umher und wartete auf ein nächstes verräterisches Geräusch. Kaum war er in seinem Schlafzimmer angekommen, hörte er ein leises Kichern. Dann gingen plötzlich die Lichter aus, nur um einige Sekunden später wieder flackernd anzugehen.

Das Spiel wiederholte sich ein paar Mal, während Jamie wie versteinert im Schlafzimmer stand. Als das Licht zum letzten Mal wieder anging, hörte er Schritte und das Zuschlagen einer Tür. Hastig folgte Jamie dem Geräusch. Schließlich stand er vor seiner Waschküche und blickte sich panisch um. Womit sollte er sich verteidigen? In der Not schnappte er sich das Nächstbeste, was in seiner Reichweite lag. Bewaffnet mit einem bunten Regenschirm drückte er nun langsam die Türklinke herunter. Sein Atem ging immer schneller, und als er schließlich mit einem Ruck die Tür aufriss, hatte er keine Ahnung, was ihn erwartete. Doch womit er nicht gerechnet hatte, war ein völlig leerer Raum. Verblüfft schaute Jamie sich um. Er ließ den Schirm sinken und schnaufte.

Das Einzige, was zu sehen war, waren seine Waschmaschine und ein kleiner Haufen Dreckwäsche, unter dem sich aber kein erwachsener Mensch verstecken konnte. Jamie runzelte die Stirn. Was ging hier vor?

Als er gerade kehrt machen wollte, ertönte mit einem Mal die Türklingel. Erschrocken straffte er sich. Den Regenschirm bereit, ging er auf die Tür zu. Er zählte auf drei und riss die Tür auf. Seine Hände waren jedoch sofort wieder am Regenschirm.

„Jamie?“ Die Stimme seiner Schwester holte Jamie aus seiner Erstarrung. Lachend stand sie auf der Türschwelle.

„Maja! Was machst du denn hier?“, fragte Jamie erleichtert und ließ den Regenschirm sinken.

„Ich wollte nach David sehen. Ich habe ihn vor einer halben Stunde mit unserem Ersatzschlüssel zu dir geschickt. Du weißt schon, wegen des Familientreffens heute.“

„David?“, fragte Jamie verwirrt.

Maja nickte und runzelte dann besorgt die Stirn. „Ist er nicht aufgetaucht?“

Jamie überlegte, schaute sich um und hielt plötzlich inne. „Hatte er zufällig ein Schokoladenei dabei?“

„Ja, aber was hat das damit zu tun? Ist er nun da oder nicht?“

Ein Lächeln breitete sich auf Jamies Gesicht aus. „David! Deine Mutter ist da!“

Ein Rascheln ertönte und ein Junge kam aus der Waschküche gerannt. Er grinste und hatte eine Mütze mit zwei aufgenähten Hasenohren auf. „Hallo, Onkel Jamie!“

Lachend verdrehte Jamie die Augen. Jetzt wusste er, was es mit dem halben Osterei auf sich hatte.

„David, da bist du ja! Wo hast du dich denn rumgetrieben?“, lachte Maja, seine Mutter und Jamies große Schwester. David sagte nichts, sondern grinste nur frech von einem Ohr zum anderen. Fragend sah Maja Jamie an. Dieser erklärte fröhlich: „Sagen wir mal, David macht dem Osterhasen ganz schön Konkurrenz, wenn es ums Verstecken geht.“ Kopfschüttelnd schob Maja sowohl David als auch Jamie aus der Tür. „Auf geht’s! Sonst kommen wir noch zu spät zum Familientreffen!“

Hinter der Tür blieb Jamie jedoch stehen. „Ich sollte noch jede Menge Sachen erledigen ...“

Maja schob ihn zum Auto. „Das kann auch noch bis morgen warten. Heute ist Ostern, und da wird nicht gearbeitet.“ Jamie gab sich geschlagen und schnallte sich an. Auf dem Weg zu dem Haus ihrer Eltern fragte Maja plötzlich: „Was hatte es eigentlich mit dem Schirm auf sich, mit dem du mich begrüßt hast?“

David kicherte und Jamie antwortete gelassen: „Das ist eine lange Geschichte.“

Marisa Liehner wurde im Juli 1996 geboren und lebt in einem kleinen Dorf im Donautal. Derzeit besucht sie das Hohenzollern-Gymnasium in Sigmaringen. Zu ihren Hobbys gehören außer dem Schreiben noch das Zeichnen und Gitarre spielen.

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