Sich und andere stärken

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Sich und andere stärken
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Inhaltsverzeichnis

Impressum 3

Vorwort 4

Einleitung 5

Teil A - theoretische Hintergründe 9

Resilienz 10

Was ist Resilienz? 11

Exkurs zur Salutogenese 16

Risiko- und Schutzfaktoren 19

Personelle Resilienzfaktoren 60

Resilienz über die Lebensspanne 64

Resilienzförderung 69

Bestehende Resilienzförderprogramme 70

EFFEKT 75

Resilienzförderung in der Schule 94

Resilienzförderprogramm für Schulklassen 104

Tägliche Glücksinputs 109

Stärken und Schwächen 110

Ressourcen 113

Emotionen/Gefühle 121

Bedürfnisse 131

Kommunikation 135

Teil B - Lerneinheiten zur Resilienzförderung 152

Grundlagen zur Gestaltung des Settings 154

Aufbau der Einheiten 156

Überblick zum Konzept 157

Einheit 1: Stärken 161

Skizzierter Lektionsverlauf 163

Einheit 2: Stärken 172

Einheit 3: Schwächen 178

Einheit 4: Ressourcen 185

Einheit 5: Reflexion zu Stärken – Schwächen – Ressourcen 196

Einheit 6: Emotionen 204

Einheit 7: Emotionen 213

Einheit 8: Emotionen als Ressourcen 223

Einheit 9: Unterdrücken von Emotionen 232

Einheit 10: Reflexion zu Emotionen 239

Einheit 11: Bedürfnisse 246

Einheit 12: Bedürfnisse und Pseudobedürfnisse 254

Einheit 13: Wertfrei beobachten 261

Gruppenauftrag zu Einheit 13 266

Einheit 14: Um etwas bitten 270

Einheit 15: Ja und Nein sagen 279

Einheit 16: Reflexion 286

Teil C - Weiterbildung für Mütter und Väter 296

Inhalte der Elternkurse 300

Erster Abend: Resilienz und Ressourcen 302

Zweiter Abend: Emotionen und Kommunikation 310

Ideen für Erweiterungsmöglichkeiten und vertiefende Gedanken 318

Ergänzende Anregungen 321

Teil D - Glücksinputs 328

Glück 329

Glücksforschung 330

Neurobiologie des Glücks 334

Tägliche Glücks-Inputs zum Nachdenken und Entspannen 339

Verschiedene Ideen zu Glücksinputs 342

Literaturverzeichnis 353

Bilderverzeichnis 363

Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie­.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fern­sehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und ­auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

© 2022 novum publishing

ISBN Printausgabe: 978-3-99107-676-6

ISBN e-book: 978-3-99107-677-3

Lektorat: Bianca Brenner

Umschlagfoto: Artday94, Olga Litvinova | Dreamstime.com

Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh

Innenabbildungen: siehe Bilderverzeichnis

www.novumverlag.com

Vorwort

Liebe Leserin und lieber Leser,

an diesem Buch schrieb ich schrieb ich über Jahre hinweg. Mehrmals überarbeitete ich es und fügte Änderungen und Ergänzungen ein. Dank der ermutigenden Unterstützung meiner Familie führte ich dieses Vorhaben zu Ende. Die Inhalte entwickeln sich auch nach der Drucklegung weiter. Auch Sie als Leserin oder Leser dieses Buches möchte ich ermutigen, diese weiterzuentwickeln.

Mit den Inhalten, die Sie hier finden, möchte ich mein Wissen und meine Erkenntnisse weitergeben. Diese mögen zur Inspiration dienen, um den eigenen Weg zu finden sowie Menschen zu unterstützen, sich selbst und die eigenen Bedürfnisse klarer wahrzunehmen und diese auch kommunizieren zu können. Das Förderprogramm soll diesen Prozess unterstützen. Es kann allein oder in Gruppen durchgeführt werden. Lehrpersonen haben die Möglichkeit, das Förderprogramm an die Klasse angepasst so zu übernehmen, wie es vorgeschlagen ist.

Durch das Arbeiten mit den Inhalten vertieft sich Ihr Wissen rund um Resilienz und Sie erfahren, wie Sie in alltäglichen Begegnungen, welche für Sie herausfordernd sind, in der Empathie bleiben können. Somit erleben Sie und Ihr Körpersystem weniger Stress. Zudem sind verschiedene Möglichkeiten aufgeführt, welche Sie selbst ausprobieren können, um sich den Alltag zu verschönern.

Herzlichst wünsche ich Ihnen beim Lesen viel Freude und Inspiration!

Sandra Roth-Hauert

Einleitung

Die Bedeutsamkeit von Resilienz spielt für das Leben in unserer komplexen Welt, in der Menschen mit vielerlei Aufgaben, Anforderungen und Reizen konfrontiert sind, eine wichtige Rolle.

Durch meine vielfältigen Tätigkeiten hatte und habe ich die Möglichkeit, in verschiedene Erfahrungswelten Einblick zu erhalten.

So kann ich im schulischen Alltag beobachten, wie wichtig es ist, dass Menschen einander unterstützen, dass Menschen sich ermutigen und wertschätzend in Beziehung treten. Diese Beziehungsqualität wirkt unter dem Aspekt der Resilienz betrachtet als Ressource, die bei belasteten Lernenden als Schutzfaktor wirken kann.

Dasselbe gilt auch für Familien. Was können Mütter und Väter dazu beitragen, dass Ihre Töchter und Söhne Resilienz entwickeln können? Diese Frage ist eine sehr zentrale Frage, zumal die Familie der Ort ist, in dem die meisten Menschen sozialisiert werden. Familien sind durch unterschiedliche Situationen belastet. Es gibt wohl keine Familie, welche ohne herausfordernde Situationen lebt. Wie mit diesen Situationen umgegangen wird, hängt von vielerlei Aspekten ab. Letztendlich geht es jedoch darum herauszufinden, was es braucht, damit alle Familienmitglieder gesund und zufrieden leben können, ihr Potenzial entwickeln und das in die Welt bringen, was ihnen am Herzen liegt. Widerstände kommen von allein. Wie Menschen damit umgehen, hängt im Wesentlichen davon ab, welche Vorerfahrungen sie als junge Menschen innerhalb der Familie und innerhalb ihres Lebensumfeldes gemacht haben. Wie war das Klima in der Familie und in deren Umfeld? Was wirkte unterstützend? Was haben Menschen bei sich als Ressourcen entdeckt? Wie haben sie diese umgesetzt?

 

Daher gehen Menschen mit Belastungen in sehr unterschiedlicher Weise um. Auch in verschiedenen literarischen Werken kann das Thema Resilienz, das dort nicht mit diesem Begriff vorkommt, gefunden werden. Meine Liebe zur Lyrik und mein großes Interesse am Lesen von Biografien lassen mich seit Jahren darüber staunen, wie es Menschen schaffen, mit äußerst belastenden, teilweise lebensbedrohlichen Situationen einen Umgang zu finden und dennoch einfühlsam und mitfühlend zu bleiben.

Besonders deutlich wird dies in den Gedichten von Hilde Domin, die als Dichterin des Dennoch gilt (vgl. Scheidgen, 2009).

Unsere Kissen sind nass

von den Tränen

verstörter Träume.

Aber wieder steigt

aus unseren leeren

hilflosen Händen

die Taube auf.

Hilde Domin

Diese Hoffnungsschimmer, dieses Aufzeigen von Zuversicht hat möglicherweise die beiden Forscherinnen Emmy Werner und Ruth Smith interessiert. Sie begannen in den 50er-Jahren mit über vierzigjährigen Längsschnittstudie im Bereich der Resilienzforschung. Auf der hawaiianischen Insel Kauai begleiteten sie Menschen, die während ihres Lebens verschiedenen Widrigkeiten ausgesetzt waren.

Mit beeinflusst hat sie die Arbeit von Aaron Antonovsky, der sich dafür interessierte, wie es Menschen schaffen, gesund zu bleiben und berufliche Tätigkeiten erfolgreich anzugehen, auch wenn sie beispielsweise die Inhaftierung in einem Konzentrationslager überlebt hatten, während andere Menschen mit derselben Erfahrung nicht mehr Fuß fassen konnten. Er begründete die Theorie der Salutogenese.

Zu diesen Hintergründen wird im ersten Teil des Buches mehr zu lesen sein. Ebenso werden dort aktuelle Bestrebungen in der Resilienzforschung aufgezeigt, soweit sie mir bekannt sind. Zudem sind einige Resilienzförderprogramme, die teilweise zur Prävention erschaffen wurden und teilweise als Intervention gedacht sind, aufgeführt. Anschließend wird aufgezeigt, was Resilienzförderung in der Schule bedeuten könnte und wie das in Teil B vorgestellte Förderprogramm zustande kam. Die verschiedenen Elemente werden theoretisch begründet, damit die Zusammenhänge und der Aufbau verstanden werden können.

Wie bereits erwähnt wird im Teil B das Förderprogramm mitsamt den dazugehörenden Materialien und einem möglichen Lektionsverlauf vorgestellt. Die Einheiten ergänzte ich mit zusätzlichen Ideen zur Durchführung oder Vertiefung. Begonnen wird mit dem Stärken- und Schwächenansatz, welcher in vielen Resilienzförderprogrammen zu finden ist. Anschließend folgt eine Auseinandersetzung mit dem Thema Ressourcen. Gefühle werden als Ressourcen betrachtet und die Bedürfnisse, die dahinterstehen, gesucht. Zum Schluss gibt es eine Einführung in die Gewaltfreie Kommunikation nach Marshall Rosenberg. Dieses Förderprogramm wurde in sechs Schulklassen der Mittelstufe (10 bis 13 Jahre) durchgeführt. Parallel dazu fanden Elternkursabende zum Thema statt. Wenn Menschen, welche Heranwachsende begleiten, über ihre eigenen Stärken, Schwächen, Ressourcen, Gefühle und Bedürfnisse Bescheid wissen sowie selbst resilient sind und eine wertschätzende Kommunikation pflegen können, fällt es ihnen leichter, in Beziehung zu den jungen Menschen zu bleiben, auch wenn es schwierig wird, weil diese Widerstand leisten oder gegensätzliche Meinungen vertreten.

Die Weiterbildung für Mütter und Väter mit diesen Inhalten ist im Teil C dieses Buches vorgestellt. Dort werden die behandelten Themen und mögliche Umsetzungen aufgezeigt. Ergänzend sind weitere Fachbereiche eingeflochten, um Anregungen zu geben, damit sich die Lesenden mittels Literaturstudium in jene Felder vertiefen können, welche sie ansprechen. Wird in einer Schulklasse das Förderprogramm wie vorgeschlagen durchgeführt, so kann es hilfreich sein, wenn Sachkundige beigezogen werden, die Erfahrung und Wissen in den einzelnen Gebieten mitbringen.

Teil D stellt die Glücksinputs vor. Diese wurden während des Förderprogramms als tägliche kurze Impulse durchgeführt. Wie solche Glücksinputs aussehen könnten und weshalb überhaupt die Idee dazu entstand, ist in diesem letzten Teil des Buches nachzulesen. Theoretische Aspekte zur Glücksforschung sind in knapper Form erwähnt, da dies ein eigenes Themengebiet innerhalb der Positiven Psychologie darstellt. Wer sich vertiefen möchte, findet die gesamte von mir verwendete Literatur im Literaturverzeichnis.

Teil A - theoretische Hintergründe

In diesem Teil werden Begrifflichkeiten erklärt, Möglichkeiten der Resilienzforschung aufgezeigt und Förderprogramme zur Resilienzförderung vorgestellt. Außerdem wird Resilienz im schulischen Kontext und das von mir entwickelte Förderprogramm von der theoretischen Seite her erläutert.

Resilienz

Resilienz ist ein viel genannter Begriff. Er wird in unterschiedlichen Bereichen genutzt, und je länger dies der Fall ist, desto größerer Popularität erfreut er sich. Die Resilienzforschung begann bereits in den 1950er-Jahren und wurde laufend weiterentwickelt. Neue Aspekte und Erkenntnisse kamen hinzu. Insbesondere die Ergebnisse aus verschiedenen Längsschnittstudien waren wegweisend. Erwähnt seien an dieser Stelle die Studie von Emmy Werner und Ruth Smith, die Studie von Jack Block, die Arbeiten von Glen Elder, die Resilienzförderprogramme von Fröhlich-Gildhoff und Rönnau-Böse, die Interventionsprogramme von Günther Opp und Michael Fingerle, die Studien von Ann Masten sowie die Studien von Corina Wustmann Seiler. Diese Aufzählung enthält nur einige der für den deutschsprachigen Raum wegweisenden Resilienzforschenden. Die Zahl der Forschenden im Bereich der Resilienz, welche in ihrem Umfeld vieles bewirken konnten, ist groß und steigt stetig an.

Was ist Resilienz?

Je nach Quelle wird die Herkunft des Begriffs Resilienz unterschiedlich angegeben. Einerseits wird er auf das lateinische Wort ‚resiliere‘ (= zurückspringen) zurückgeführt, und andererseits heißt es, er stamme vom englischen Wort ‚resilience‘ (= Spannkraft, Widerstandsfähigkeit, Elastizität). Des Weiteren ist zu lesen, der Begriff sei aus dem Bereich der Werkstoffphysik bekannt und bezeichne Materialien, welche widerstandsfähig und zugleich elastisch seien, das heißt nach einer Kräfteeinwirkung wieder in die ursprüngliche Form zurückkehren.

Resilienz wird unterschiedlich definiert und das Verständnis von ihr hat sich im Verlaufe der Jahre gewandelt. In den Anfängen der Resilienzforschung wurde damit Unverwundbarkeit in Verbindung gebracht. Darunter wurde verstanden, dass ein Mensch, der mit Resilienz geboren wurde, allen Widrigkeiten trotzen könne und gesund bleibe. Dieses Verständnis hat sich jedoch mit der Auseinandersetzung und der Erforschung im Rahmen von Längsschnittstudien gewandelt. Nach und nach wurde erfasst, dass Resilienz ein äußerst komplexes Phänomen ist. Jedoch gibt es Klarheit, wenn eine Formulierung festgelegt ist, damit die Lesenden wissen, wie ich den Begriff Resilienz verstehe. Im vorliegenden Werk sei Resilienz wie folgt definiert:

Mit Resilienz wird die Fähigkeit eines Menschen bezeichnet, Krisen und Belastungen im Lebenszyklus mittels persönlicher und sozialer Ressourcen zu meistern und sich dabei weiterzuentwickeln. Dieser Prozess ist dynamisch und multidimensional (vgl. Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse, 2014, S. 13; Garbe, 2015, S. 51; Welter-Enderlin, 2012, S. 13).

Mit dynamisch ist gemeint, dass Resilienz ein Prozess ist, und zwar ein sich in Bewegung befindender. Viele verschiedene Faktoren spielen mit, weshalb hier das Wort ‚multidimensional‘ verwendet wird.

Dennoch möchte ich einige weitere Definitionen erwähnen, welche in der Literatur zu finden sind. Die Forschenden sind bis heute auf der Suche nach einer genauen Begriffsdefinition. Diese zu finden ist deshalb schwierig, weil sich je nach Kontext und Schwerpunkt der Forschenden andere Nuancierungen ergeben. Jedoch spielt der Begriff der positiven Bewältigung mit hinein. Was Menschen darunter verstehen, ist kulturell geprägt, und deshalb fällt das Verständnis davon, was Resilienz ist, unterschiedlich aus. Raffael Kalisch (2017, S. 25) schreibt dazu: „Die großen Differenzen zwischen den einzelnen Definitionen sind natürlich ein Riesenproblem für die Wissenschaft. Wenn unterschiedliche Forscher ganz unterschiedliche Dinge mit demselben Begriff verbinden, wird es schwierig, sich zu unterhalten und auszutauschen.“

Als Kurzdefinition könnte der Buchtitel „Resilienz – Gedeihen trotz widriger Umstände“ (Welter-Enderlin & Hildenbrand, 2012) betrachtet werden. Die Autoren setzen sich mit den unterschiedlichen Begriffsdefinitionen auseinander. Dabei legen sie folgende Definition fest, welche sie am Kongress in Zürich zum Thema Resilienz im Februar 2005 verwendeten:

Unter Resilienz wird die Fähigkeit von Menschen verstanden, Krisen im Lebenszyklus unter Rückgriff auf persönliche und sozial vermittelte Ressourcen zu meistern und als Anlass für Entwicklung zu nutzen. Mit dem Konzept der Resilienz verwandt sind Konzepte wie Salutogenese, Coping und Autopoiese. Alle diese Konzepte fügen der Orientierung an Defiziten eine alternative Sichtweise bei.

(Welter-Enderlin & Hildenbrand, 2012, S. 13)

Ebenso wird der Begriff Resilienz von Corina Wustmann Seiler diskutiert. Sie betrachtet ihn in Bezug auf die Kindheit. „Resilienz meint eine psychische Widerstandsfähigkeit von Kindern gegenüber biologischen, psychologischen und psychosozialen Entwicklungsrisiken“ (Wustmann Seiler, 2015, S. 18). In ihrem Buch über Entwicklungstraumatisierungen wird Resilienz wie folgt definiert: „Resilienz ist die Stärke, auf Belastungen bewältigend zu reagieren und dabei stabil zu bleiben“ (Garbe, 2015, S. 51). Differenziert zeigt Elke Garbe auf, was Traumatisierung bedeutet. Diese Thematik wird unter den Risikofaktoren aufgegriffen. Die beiden Autoren Rönnau-Böse und Fröhlich-Gildhoff erwähnen unterschiedliche Begriffsdefinitionen und diskutieren diese. Als Konklusion streichen sie heraus, dass Resilienz ein dynamischer Anpassungs- und Entwicklungsprozess, eine variable Größe, sowie situationsspezifisch und multidimensional ist (vgl. Rönnau-Böse & Fröhlich-Gildhoff, 2015, S. 16). Die amerikanische Professorin Ann S. Masten schlägt nachfolgende Definition vor: „Das Vermögen eines dynamischen Systems, sich erfolgreich an Störungen anzupassen, die seine Funktion, Lebensfähigkeit oder Entwicklung bedrohen“ (Masten, 2016, S. 27).

Eine solche Definition kann auf unterschiedliche Bereiche angewendet werden, denn schließlich wird Resilienz mittlerweile in unterschiedlichen Kontexten verwendet: Physik, Psychologie, Pädagogik, Therapie, Wirtschaft, Management, Ökosysteme, Versicherungen, um nur einige zu nennen.

Wustmann Seiler erläutert, dass Resilienz eines spezifischen Lebensbereiches nicht auf andere übertragen werden könne. Es gibt Kinder, welche chronischen elterlichen Konflikten ausgesetzt sind und im Bereich sozialer Kontakte nicht resilient sind. Hingegen ist bei ihnen Resilienz in Bezug auf schulische Leistungsfähigkeit zu beobachten. Dies ist auch hinsichtlich anderer Risikofaktoren zu beobachten. Aus diesem Grund wird heutzutage von einer situations- und lebensbereichspezifischen Resilienz gesprochen. Mittlerweile gibt es AutorInnen, welche Bezeichnungen wie „emotional resilience“, „academic/educational resilience“, social resilience“ oder „behavioral resilience“ verwenden, damit sie präzisieren können, wovon sie sprechen (vgl. Wustmann Seiler, 2015, S. 32).

Resilienz bedeutet nach heutigem Forschungsstand keine stabile Immunität und absolute Unverwundbarkeit gegenüber negativen Lebensereignissen und psychischen Störungen, sondern ist ein Konstrukt, das über Zeit und Situationen hinweg variieren kann (Rutter, 2000; Waller, 2001). Resilientes Verhalten kann sich in der Entwicklung des Kindes sehr verändern (Scheithauer, Niebank & Petermann, 2000). So können sich neue Vulnerabilitäten und Ressourcen im Laufe der kindlichen Entwicklung und während akuter Stressepisoden herausbilden. Kinder können insofern zu einem Zeitpunkt ihres Lebens resilient sein, zu einem späteren jedoch, oder unter anderen Umständen, wesentlich verletzlicher erscheinen. Im kindlichen Entwicklungsverlauf gibt es Phasen erhöhter Vulnerabilität. Hinzu kommt, dass Studien die kumulativen Effekte im Leben einzelner Menschen aufzeigen, welche Widrigkeiten und Risiken ausgesetzt waren (vgl. Masten, 2016, S. 99).

 

In Bezug auf den Beginn der Resilienzforschung wird häufig die Kauai-Längsschnittstudie von Emmy Werner und Ruth Smith erwähnt, mit der die beiden Forscherinnen in den 50er-Jahren auf Kauai, einer hawaiianischen Insel, begonnen haben. „Ausgangspunkt der Resilienzforschung war die Kauai-Studie von Emmy Werner und Ruth Smith. Sie beobachteten knapp 700 Kinder über einen Zeitraum von 40 Jahren hinsichtlich ihrer seelischen Selbstheilungskräfte“ (Karres, 2016, S. 57). In der gleichen Zeitperiode fand ein Paradigmenwechsel im Gesundheitsbereich statt. Mit dem Begriff der Salutogenese, der von Aaron Antonovsky geprägt wurde, wechselte die Sichtweise auf Gesundheitsfragen. Es ging darum, zu erforschen, was Menschen gesund hält. „Neben der Kauai-Studie geht die Resilienzforschung auf den Gedanken der Salutogenese zurück, der Ende der Siebzigerjahre aufkam und im Konzept des Soziologen Aaron Antonovsky (1923 in den USA geboren) seinen Niederschlag fand“ (Karres, 2016, S. 58). Bisher wurde mit der Pathologie der Fokus auf Krankheiten, ihre Entstehung, ihren Entwicklungsverlauf und die Diagnostik gelegt. Antonovsky (1997) erwähnt Bewältigungsstrategien und prägt den Begriff Kohärenzgefühl. Mit Kohärenzgefühl ist das Empfinden von Stimmigkeit gemeint. Damit erklärt er sich, wie es Menschen beispielsweise gelingen konnte, jahrelange Schwierigkeiten auszuhalten und sich dennoch im Leben zurechtzufinden. Das Kohärenzgefühl wird von drei Faktoren bestimmt: Sinnhaftigkeit, Handhabbarkeit und Bedeutsamkeit.

Exkurs zur Salutogenese

Aaron Antonovsky gilt als Begründer der Salutogenese. Er wuchs in den USA auf und stand während des Zweiten Weltkrieges auf der Seite der Alliierten. Für seinen Einsatz als Soldat musste er sein Studium in Geschichte und Wirtschaft an der Yale-Universität unterbrechen. Später studierte er an der Abteilung für Soziologie an der Yale-Universität, wo er einen M.A. (1952) und einen PhD (1955) erwarb. Im Jahr 1956 wurde er Leiter der Forschungsabteilung des Anti-Diskriminierungsausschusses des Staates New York. Danach arbeitete er als Professor für Soziologie an der Universität Teheran. Zusammen mit seiner Frau Helen (Entwicklungspsychologin) emigrierte er 1960 nach Israel. Neben seiner Tätigkeit als Medizinsoziologe für angewandte Sozialforschung widmete er sich der Stressforschung. Unter der Kohorte befanden sich auch jüdische Frauen, welche in nationalsozialistischen Konzentrationslager inhaftiert waren. Er selbst schreibt:

Im Jahre 1970 geschah etwas, das zu einer absoluten Kehrtwendung in meiner Arbeit als Medizinsoziologe führte. (…) Den absolut unvorstellbaren Horror des Lagers durchgestanden zu haben, anschließend jahrelang eine deplatzierte Person gewesen zu sein und sich dann ein neues Leben in einem Land neu aufgebaut zu haben, das drei Kriege erlebte … und dennoch in einem angemessenen Gesundheitszustand zu sein! Dies war für mich die dramatische Erfahrung, die mich bewusst auf den Weg brachte, das zu formulieren, was ich später als das salutogenetische Modell bezeichnet habe und das 1979 in Health, Stress an Coping veröffentlicht wurde. (Antonovsky, 1997, S. 15)

Anfang des 20. Jahrhunderts wurde der Fokus auf die Erforschung der Entstehung und Entwicklung von Krankheiten gelegt (Pathogenese). Die Einführung des Begriffs Salutogenese durch Antonovsky führte zu einem Paradigmenwechsel. Daraufhin bildeten sich teilweise Gegenpositionen: einige vertraten vehement die pathogenetische Sichtweise und andere die salutogenetische. Eine weitere Gruppe von Personen erkannte, dass es sinnvoll wäre, beide Ansätze in Verbindung zueinander zu sehen, weil beide Sichtweisen ihre Berechtigung, ihre Vor- und Nachteile haben. Antonovsky äußert sich selbst wie folgt dazu:

Nachdem ich somit einen eindeutigen Standpunkt bezogen habe, möchte ich klarstellen, dass ich auf keinen Fall die völlige Aufgabe der pathogenetischen Orientierung propagiere: Es ist beispielsweise wichtig, die Arbeit an der Theorie, Prävention und Therapie von Krebs fortzusetzen, pathogene Konsequenzen von Stressoren zu berücksichtigen und nach Wunderwaffen Ausschau zu halten. Ich plädiere vielmehr dafür, die beiden Orientierungen als komplementär zu betrachten und dafür, dass die intellektuellen und materiellen Ressourcen ausgeglichener verteilt werden, als dies gegenwärtig der Fall ist.

Sollte ich die wichtigste Konsequenz der salutogenetischen Orientierung in einem Satz zusammenfassen, so würde ich sagen: Salutogenetisches Denken eröffnet nicht nur den Weg, sondern zwingt uns, unsere Energien für die Formulierung und Weiterentwicklung einer Theorie des Coping [= Bewältigungsstrategie, Anm. v. S. Roth] einzusetzen.

(Antonovsky, 1997, S. 30)

Im Austausch mit seiner Frau Helen über seine Arbeiten und die Suche nach einem passenden Begriff für das Phänomen, das es Menschen ermöglichte, dennoch gesund zu bleiben, schlug Helen den Begriff „Kohärenzgefühl“ vor (vgl. Antonovsky, 1997, S. 20). Üblicherweise verwendet Antonovsky in seinen Schriften die Abkürzung SOC. Diese Abkürzung leitet sich vom englischen Begriff sense of coherence ab. Das Konzept des SOC war im Wesentlichen kognitiv. Durch das Überprüfen der Protokolle stieß Antonovsky auf drei Themen, welche bei Personen mit hohem Kohärenzgefühl zu identifizieren waren. Diese nannte er Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und Bedeutsamkeit. Diese drei Begriffe definiert Antonovsky folgendermaßen:


VerstehbarkeitInterne und externe Stimuli werden als kognitiv sinnhaft, geordnet, konsistent, willkürlich und als klare Information wahrgenommen.
HandhabbarkeitGeeignete Ressourcen stehen zur Verfügung, um den Anforderungen zu begegnen, die durch interne und externe Stimuli ausgelöst werden.
BedeutsamkeitDas Leben wird emotional als sinnvoll und bedeutsam empfunden. Es ist lohnenswert,in die durchs Leben gestellten Anforderungen Energie zu investieren.

(vgl. Antonovsky, 1997, S. 34 ff)

Zwischen den drei Komponenten gibt es Wechselwirkungen. Sie beeinflussen sich gegenseitig. Hinzu kommt, dass sich das Kohärenzgefühl im Laufe einer Biografie weiterentwickelt. Je jünger ein Mensch ist, desto eingeschränkter kann beispielsweise eine Handhabbarkeit sein, weil Abhängigkeiten von seinem Umfeld ausgehen. Zudem verändert sich die Verstehbarkeit mit zunehmendem Alter. Die Lebenserfahrungen in den ersten Lebensjahren wirken sich auf das Kohärenzgefühl aus. Jedes Lebensalter bringt Entwicklungsanforderungen mit sich, welche zu bewältigen sind. Dieser Aspekt wird in der Resilienzforschung zur Lebensspanne aufgegriffen. Zudem spielt das Risiko- und Schutzfaktorenkonzept bei vielen Forschenden eine Rolle.

Risiko- und Schutzfaktoren

Die Risiko- und Schutzfaktoren werden je nach Autorenschaft leicht unterschiedlich definiert. Nach Fröhlich-Gildhoff und Rönnau-Böse (2014) kann zusammengefasst gesagt werden, dass Risikofaktoren Faktoren sind, welche die Entwicklung eines Menschen hemmen oder beeinträchtigen. Schutzfaktoren hingegen sind Faktoren, die stärkend auf Menschen wirken, welche einer belasteten Situation ausgesetzt sind. Schutzfaktoren können risikomildernd wirken. Zwischen den Risiko- und Schutzfaktoren bestehen Wechselwirkungen, die hochkomplex sind und sich von Individuum zu Individuum unterschiedlich gestalten.

Zu Beginn der Resilienzforschung wurde vorwiegend mit Risikofaktoren gearbeitet. So wurden in vielen Längsschnittstudien Menschen, die hohen Risiken ausgesetzt waren, auf ihre Entwicklung hin genauer betrachtet. Beeinflusst durch Antonovskys Arbeiten identifizierten die Forschenden Schutzfaktoren.

Wichtig zu beachten ist, dass sich im Laufe des Lebens Schutzfaktoren zu Risikofaktoren entwickeln können. Säuglinge sind beispielsweise darauf angewiesen, dass sie Menschen um sich haben, welche präsent sind, ihre Bedürfnisse wahrnehmen sowie zu deren Erfüllung beitragen. Sie brauchen fürsorgliche, einfühlsame, liebevolle Bezugspersonen. Einige Jahre später jedoch kann eine solche vollumfassende Fürsorglichkeit die Entwicklung von jungen Menschen ausbremsen, da diese ihr Autonomie-Gefühl leben wollen. Erfahren sie dann, dass sie dies nicht können und ihre Selbstbestimmung zu sehr eingeschränkt wird, können sie ihre Entwicklungsaufgaben nicht angemessen wahrnehmen.

Damit eine Vorstellung davon entstehen kann, was Risiko- und Schutzfaktoren sind, gibt die folgende Tabelle einen Überblick für das Alter von 7 bis 12 Jahren. Die Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.


RisikofaktorenSchutzfaktoren
Personenbezogen, primärGeschlecht (männlich im Schulkindalter/weiblich in der Adoleszenz)chronische Krankheitengenetische FaktorenKörperbehinderungenneuropsychologische Defizitevor- und nachgeburtliche Schwierigkeitenimpulsives Verhaltenhohe AblenkbarkeitHochsensibilitätHochbegabungGeschlecht (weiblich im Schulkindalter/männlich in der Adoleszenz)erstgeborenes Kindstabile Gesundheit
Personenbezogen, sekundärunsicherer Bindungsstilgeringe Fähigkeiten zur Selbstregulation von Anspannung und Entspannungsicherer BindungsstilResilienzfaktoren als RessourceStrategien im Umgang mit Stress
Aus dem UmfeldErziehungsstil (Gleichgültigkeit gegenüber dem Kind, körperliche oder psychische Strafen, mangelnde Feinfühligkeit gegenüber dem Kind)niedriger sozioökonomischer Status (z. B. chronische Armut, Arbeitslosigkeit)lang andauernde familiäre Disharmonieelterliche Trennung/ScheidungErkrankungen eines ElternteilsTod eines Elternteils, Geschwisterkindes oder engen FreundesAlkohol-/Drogenmissbrauch der ElternKriminalität der ElternWohngegend mit hohem Kriminalitätsanteilsoziale Isolation der FamilieGeschwister mit einer BehinderungMobbing durch Gleichaltrigeaußerfamiliäre Unterbringungmindestens eine stabile BezugspersonErziehungsstil (autoritativ, demokratisch)Zusammenhalt/Stabilität der Familieenge Geschwisterbindungenaltersangemessene Verpflichtungen des Kindes im Haushaltharmonische Paarbeziehung der Elternunterstützendes familiäres Netzwerkhoher sozioökonomischer Statuskompetente fürsorgliche Erwachsene in der NachbarschaftAngebote der Gemeinden (Beratungsstellen, Familienbildung, Nachbarschaftshilfe …)gute Arbeits- und BeschäftigungsmöglichkeitenFreundschaften zu GleichaltrigenVereine: aktive Teilnahme
SchuleGroße KlassenHohe Heterogenität in der KlasseAutismus-Spektrum-Störung/ADHSHochbegabung (minderleistend)Hochsensibilitätzu wenig personelle RessourcenSchulunlustLernbehinderungenBeschämungen/Bloßstellungennegative Fehlerkulturfehlende oder mangelhafte Zusammenarbeit Kind-Eltern-Lehrpersonenklares Schulkonzeptkonsistente Regelngutes Lehrer-Schüler-VerhältnisStärkung des Gefühls der Zugehörigkeitindividuelle Unterstützungklar kommunizierte Leistungserwartungenmachbare Aufgabenstellungenpositives KlassenklimaWertschätzungpositiver Umgang mit Fehlerngute und wertschätzende Zusammenarbeit Kind-Eltern-Lehrpersonen

Zusammenstellung aus verschiedenen Quellen: (Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse, Resilienz, 2014); (Werner & Smith, 1976); (Siaud-Facchin, 2012); (Frick, 2015)