Unter falscher Flagge

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Millicent wölbte ihren Rücken durch und krallte ihre Finger noch fester in den langen Flor des Teppichs. Ihr Kopf schlug hin und her, als sich der Taifun näherte. Sie versuchte ihn abzuhalten, in der Furcht, dass er sie jetzt viel zu schnell erreichen würde.

Plötzlich keuchte Chester schwer. Auch er spürte seinen unvermeidlichen Orgasmus. Sein Griff an ihren Hüften verstärkte sich. Die Dringlichkeit seiner Stöße erreichte seinen Höhepunkt. Er stieß ein letztes Mal vor und spritzte sein angestautes Sperma in ihren heißen Anus. Er stöhnte und keuchte, als er sie dort flutete.

Millicent spürte es in sich, feucht und warm, und erlaubte es sich nun auch, sich dem Sturm zu ergeben, der sich in ihr aufgebaut hatte. Und schon fegte er wild über sie hinweg, verwirbelte ihre Sinne und beendeten nun auch den letzten Gedanken, dessen sie noch fähig gewesen war. Sie warf ihren Kopf zurück. All ihre Muskeln spannten sich an und ihre Beine schoben sich unwillkürlich nach hinten. Sie erstarrte – gefangen in den Krallen des kaum erträglichen Orgasmus, der durch ihren Körper tobte. Ein weißes Rauschen ihres Vergnügens bemächtigte sich ihres Geistes und ließ sie glauben, ihr ganzer Körper würde in Flammen stehen. Es brauchte Minuten, ehe das Gefühl nachließ, ihren Körper wieder freigab und sie auf den Teppich fallen ließ – immer noch die Erektion Chesters in ihrem Hintertürchen spürend.

Erst jetzt zog er sich aus ihr zurück und fiel selbst nach vorne, wo er sich neben sie auf den Boden legte.

Millicent blieb, wo sie war. Sie fürchtete sich davor, ihren zitternden Beinen zu vertrauen, dass sie noch in der Lage waren ihr Gewicht zu tragen. Sie starrte ihn an, als er mit einem seligen Lächeln im Gesicht direkt in einen leichten Schlaf fiel. Das Biest in ihm, dass seine Leidenschaft befeuert hat, scheint vorläufig befriedigt sein, lächelte sie in sich hinein. Sie zitterte noch immer und wimmerte vor Erschöpfung, aber sie war glücklich und schon jetzt gespannt darauf, was ihr dieser Tag mit ihm noch bringen würde.

***


Kapitel 3

Niemand achtete auf den kleinen untersetzten Mann, mit dem aggressiv wirkenden Schotten-Gesicht, der selbst mit seinen dicksohligen Schuhen nur knapp einsfünfundsechzig erreichte, und im ›Heathrow Airport‹ in London gerade einen Blick auf einige der riesigen Uhren warf, die exakt drei am Nachmittag anzeigte.

»Achtung! Das ist der letzte Aufruf für den Flug sieben-zwei-vier, ›British Airways‹ nach Dallas. Alle Passagiere werden gebeten sich unverzüglich in den Terminal drei, Gate zweiundvierzig Alpha, zu begeben!« Blechern und unpersönlich hallte die Lautsprecherdurchsage über die Köpfe der vor den Abfertigungsschaltern wartenden Menschen hinweg, ehe er noch einmal wiederholt wurde.

Glenn Cussler stand auf, nahm seinen Koffer und ging in Richtung auf die Flugsteige zu, so als hätte der Aufruf ihm gegolten.

Innerhalb weniger Sekunden war er im Gewühl der Menschenmassen verschwunden. Er stellte sich auf eine Rolltreppe und ließ sich ins Erdgeschoss hinuntertragen. Er war keine Spur nervös, fühlte sich nicht viel anders als die tausend Menschen um ihn herum, die in den wohlverdienten Urlaub flogen. Er gab sich heiter und gelöst. Für das Unternehmen ist es gut, wenn viel Betrieb auf dem Flughafen herrscht, dachte er still bei sich. Je größer das Durcheinander ist, umso schwieriger wird es später für die Polizei sein, die Vorgänge zu rekonstruieren, geschweige denn detaillierte Personenbeschreibungen zu erhalten.

Zwei Minuten später lenkte eine weitere Lautsprecherdurchsage die Aufmerksamkeit der Reisenden auf sich. »Der Fahrer der ›Scotland Worldwide Logistic‹ wird gebeten, sich unverzüglich im Büro des Cargo-Terminals zu melden.« Auch diese Nachricht wurde noch einmal wiederholt, doch jetzt hörte kaum noch jemand richtig zu.

Cussler lächelte zufrieden. Es geht also los, schmunzelte er in sich hinein. Das ist mein Signal. Der Startschuss für meinen Einsatz. Er wusste, dass die Durchsage fingiert war, denn es gab keine Spedition dieses Namens. Obwohl zur gleichen Zeit ein großer Lieferwagen, mit der Aufschrift ›Scotland Worldwide Logistic – Global Experience‹, über den Zubringer vor dem Flughafen fuhr und den Weg zum Frachthof einschlug, wo man in dessen Büro nichts von dessen Existenz wusste ...

... zumindest noch nicht!

*

Schon wenige Minuten darauf befand sich Cussler im Verwaltungstrakt des Flughafens. Dort betrat er eine der Toiletten und begab sich direkt in eine der Kabinen, aus der er nach exakt einer Minute und fünfzehn Sekunden wieder herauskam – im Arbeitsanzug der Cargo-Mitarbeiter und einem entsprechenden Schutzhelm. Er schaute sich kurz um. Außer ihm befand sich nur noch ein Mann im Waschraum, der aber gerade im Begriff war, hinauszugehen. Die Blicke der beiden Männer trafen sich für Sekundenbruchteile im Spiegel, dann fiel die Tür ins Schloss.

Glenn Cussler schob seinen Koffer in die Kabine zurück und riegelte von außen ab und ein roter Hinweis signalisierte, dass die Kabine besetzt war. Im Hinausgehen grinste er sich aufmunternd im Spiegel zu und warf einen prüfenden Blick auf seine Uhr. Seit der Durchsage waren genau sieben Minuten vergangen. Bis jetzt klappt ja alles wie am Schnürchen. Ein verstecktes Grinsen umspielte seine Mundwinkel. Es hat keine Verzögerung gegeben. Alles genau nach Zeitplan.

*

Als Cussler wieder auf den Gang hinaustrat, kam eine Gruppe aus fünf Piloten auf die Toilette zu. Es sind leider nur vier Kabinen frei. Hoffentlich müsst ihr nicht alle auf einmal, ging es ihm amüsiert durch den Kopf, ehe er in einen Seitengang einbog.

Gleichzeitig mit ihm betrat ein Mann in der Uniform der ›Rapid Flight‹-Fluggesellschaft den Gang. Es war ein schlanker junger Mann mit einem braungebrannten, hageren Gesicht, aus dem die unnatürlich blauen Augen fast wie Scheinwerfer strahlten. Der Mann schob eine Sackkarre mit einem großen Überseekoffer vor sich her. »Ganz schöner Betrieb heute«, bemerkte er freundlich.

Cussler nickte. »Zu Beginn der Ferienzeit ist hier immer die Hölle los.«

Es handelte sich um einen scheinbar belanglosen Wortwechsel, bei dem niemand darauf gekommen wäre, dass die beiden Männer gerade recht spezielle Informationen miteinander ausgetauscht hatten.

Glenn Cussler hatte keine Ahnung, wer dieser junge Bursche war. Er sah ihn zum ersten und wie er vermutete zugleich auch zum letzten Mal in seinem Leben. Auch die anderen Männer, die an diesem Unterfangen beteiligt waren, kannte er nicht. Alles was er wusste war, dass es sich um handverlesene, gute Leute aus ganz Europa handelte, die sich auf dem ›Heathrow Airport‹ in London trafen, um einen generalstabsmäßig geplanten Überfall auf eine aus Brüssel kommenden Stahlkassette mit geschliffenen und rohen Diamanten durchzuführen. Direkt im Anschluss würde jeder wieder dorthin zurückfliegen, woher er gekommen war. Es gab keinerlei Gemeinsamkeiten zwischen ihnen – außer den wenigen Minuten in ihrem Leben, da sie zusammen diesen Überfall begingen.

*

Vor dem mehrstöckigen Gebäude des Cargocenters stand ein großer rothaariger Mann mit einem Klemmbrett in der Hand. Er hatte blassgraue Augen, ein breites vorspringendes Kinn und riesige Hände. Er sah aus wie ein Monteur, zumindest ließ seine Kleidung und die überdimensionale, bauchige Tasche darauf schließen. »Ich bin auf der Suche nach einem gewissen Harry Corbett von dem ›Airport Cargo Handling Management‹, Gang 4 im 2. Obergeschoss. Bei dem soll die Klimaanlage den Geist aufgegeben haben.«

Der Angestellte der ›Rapid Flight‹ zuckte die Achseln. »Keine Ahnung, wo der sein könnte. Am besten, Sie fragen mal da vorne im Hauptbüro nach.« Er deutete auf die entsprechende Tür.

»Danke. Das hatte ich auch gerade vor«, erwiderte der Rothaarige, schritt hinüber und klopfte an.

Das war Cusslers Stichwort. »Hier ist heute wohl Tag der offenen Türen, wie?«, grinste er und warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »Sie müssen einfach reingehen, sonst stehen Sie morgen noch hier rum!«

Seit der Durchsage waren genau neun Minuten vergangen, als die drei Männer unmittelbar hintereinander das Büro des Cargo-Terminals betraten. Gleich darauf sahen sie sich einer Schlange von acht Personen gegenüber, die sämtlich auf ihre Abfertigung warteten und stellten sich hinten an.

Sofort bückte sich der Monteur, öffnete seine Tasche und wurde von den beiden anderen geschickt vor neugierigen Blicken abgeschirmt. Der Rothaarige huschte zurück, öffnete noch einmal die Tür und hängte draußen ein auffälliges Schild an: ›Closed up to 4 p.m.‹

***


Kapitel 4

Zur gleichen Zeit rekelte sich auf der Terrasse eines Penthouses im Stadtteil ›Bromley‹, in der ›Shire Lane‹, auf Höhe ›High Elms Country Park‹, eine junge Frau nackt in der Sonne. Sie war eine berauschend schöne Frau, die mit einer Figur gesegnet war, die sie neben Penélope Cruz wie Twiggy hätte aussehen lassen. Aber sie verfügte nicht nur über körperliche Vorzüge, sondern war auch bei der Verteilung der geistigen Gaben nicht zu kurz gekommen.

Clairé Beauvais genoss einige ihrer wenigen freien Stunden. Sie wusste nicht, dass ihr Körper in diesem Moment von vier gierig blickenden Augenpaaren quadratmillimeterweise abgetastet wurde – denn wenn, wäre ihr die Lust am Sonnenbaden wahrscheinlich vergangen.

 

Nichts ahnend cremte sie sich ein. So gewissenhaft, wie sie eigentlich fast alles zu Ende führte, was sie begonnen hatte. Dabei nahm sie etliche verführerische Posen ein, die bei den sie beobachtenden Burschen nicht ohne Wirkung blieben. Zuerst salbte sie ihre schlanken Arme, denen man die Kraft nicht ansah, die in ihnen steckten. Dann kamen ihre wundervollen, festen Brüste mit den kleinen Knospen an die Reihe, ehe ihre Hand weiterglitt, um auch die schmale Taille und den leicht gewölbten Bauch einzureiben.

Als die Fünfundzwanzigjährige mit den französisch-russischen Wurzeln ihren rechten Fuß auf einen Stuhl stellte, um den Oberschenkel einzucremen, konnten die Voyeure auch ihre hübschen hinteren Rundungen bewundern, die sie auf eigenartige Weise hilflos in die Luft streckte. Doch für die vier Burschen sollte es noch weitaus erregender kommen.

Als Clairé eben diese Rundungen und anschließend den makellosen, bereits bronzefarbenen Rücken mit Sonnenöl bestrich, zeichneten sich die steil aufragenden Hügel ihrer Brüste wie Symbole sinnlicher Weiblichkeit vor dem lichtblauen Hintergrund des Himmels ab. Sie nahm den Fuß vom Stuhl und streifte sich ein T-Shirt über.

Das war der Zeitpunkt an dem es die Kerle nicht mehr auf ihrem Lauerposten aushielten, sie sich gegenseitig Mut machten und aus ihrem Versteck herauskrochen.

Clairé hatte sich inzwischen auf einer Liege ausgestreckt, das Gesicht der Sonne zugewandt und ihre Augen geschlossen. Sie bemerkte die ungebetenen Besucher erst, als sie die Sonne verdunkelten. Sie schlug die Augen auf und sah sich den vier halbwüchsigen Burschen gegenüber, deren Augenlider verdächtig flatterten und wusste sofort, dass daran nicht nur das grelle Licht schuld war.

»Die kenne ich«, erklärte ein langaufgeschossener pickliger Kerl, der offensichtlich Sprecher und Anführer der Gang war. »Als ich die zum ersten Mal gesehen habe, ging's mir durch und durch. Damals hatte sie eine tief ausgeschnittene Bluse an, die eine wahre Pracht verdeckte. Und dann erst ihr Mini. Da konnte man die Beine bis zu den Schenkeln bestaunen. Wenn ich mich richtig erinnere, trug sie angestrapste Nylons dazu ... Ich wusste gleich, so eine wie die gibt's nicht alle Tage.« Er leckte sich über die Lippen. »Und wie ihr seht, habe ich recht gehabt.«

Langsam richtete sich Clairé auf – ganz ohne Angst. Allerdings stellte sie sich die Fragen, wie es diesen Kerlen gelungen war in ihre Penthouse-Wohnung zu kommen. Vor allem aber ärgerte sie sich darüber, dass sie sich von den vier Burschen so einfach hatte überrumpeln lassen. Denn selbstverständlich war ihr der Ernst der Situation klar, und dass alles darauf hindeutete, dass sie einiges mit ihr vorhatten. Und damit nicht genug. Sie wusste, dass Kerle in diesem Alter im Allgemeinen noch einen höllischen Respekt vor einem Gefängnis hatten, aber schon alt genug waren, um zu wissen, dass eine tote Zeugin dem ›Metropolitan Police Service‹ keine Personenbeschreibungen mehr liefern konnten. »Was wollt ihr hier? Und wie seid ihr hereingekommen?«

Der Sprecher grinste spöttisch. »Wir haben gehört, dass du Hure deine Liebhaber wechselst, wie unsereins nicht mal seine Unterwäsche.« Er spuckte selbstbewusst neben sich auf den Boden. »Nun, da haben wir gedacht, schauen wir doch mal ganz unverbindlich herein, ob sich vielleicht was machen lässt. Im Gegensatz zu deinen üblichen Mackern sind wir nämlich noch jung, knackig und unverbraucht!«

»Üblicherweise klingelt man und wird hereingebeten, ehe man eine Wohnung betritt«, erwiderte Clairé, die Beleidigung schluckend und schüttelte ihre blauschwarzen Locken. »Warum habt ihr die nicht benutzt?«

»Wir wollten dich halt schonen.« Der Bursche lachte widerwärtig. Es war ein schleimiges Lachen, unangenehm und abstoßend. »Immerhin steht dir noch einiges bevor, ... und da wirst du noch all deine Kondition brauchen!«

Ohne Vorankündigung schnellte Clairé hoch und verpasste dem aufdringlichen Kerl einen knallharten Schlag mit der Faust – haargenau auf den Solarplexus, in die Tiefe des Oberbauchs zwischen Magen und Hauptschlagader.

Der Bursche mit dem Pickelgesicht flog drei Schritt zurück, landete auf dem Boden und stierte sie von dort aus wutentbrannt an, indessen seine Kumpels zu überrascht waren, um in irgendeiner Weise zu reagieren. Aber es dauerte nur Sekunden, ehe er sich wieder gefangen hatte. Wie ein geölter Blitz wirbelte er hoch und stürmte auf sie zu.

Erst im letzten Augenblick federte Clairé zur Seite, worauf der Kerl voll gegen die Brüstung der Terrasse rannte. Nur mit viel Glück fiel er nicht über sie hinweg und hinunter in den Abgrund. Er japste nach Luft.

Blitzschnell packte Clairé ihn am Kragen und schleuderte ihn seinen Gefährten entgegen.

Jetzt piepste er in hellem Sopran, bevor er endgültig zusammenbrach.

Einem der verbliebenen drei, ein langhaariger Typ, kam anscheinend plötzlich zum Bewusstsein, dass ihnen ihr zuvor anvisiertes Objekt der Begierde einen Strich durch ihr lustvolles Vergnügen machen wollte und ging als nächster zum Angriff über. Allerdings musste er sehr schnell die Erfahrung machen, dass Clairés Kenntnisse in Judo und Taekwondo auf dem absolut neuesten Stand waren. Im Bruchteil von Sekunden vollführte er einen höchst unfreiwilligen Kopfstand, der ihm bisher aus eigenem Entschluss noch nie gelungen war.

Die beiden anderen blieben aber nun ebenfalls nicht untätig. Sie nutzten ihre Chance und überfielen sie von hinten. Der eine hängte sich an ihre Arme, der andere an die Beine, worauf sie eingekeilt war.

Für Clairé stellte sich jetzt eine entscheidende Frage: Würden die beiden Ohnmächtigen schneller munter, als ihre Kumpels der Versuchung widerstanden, ihren weiblichen Körper in den Armen zu halten, ohne entsprechenden Gebrauch davon machen zu können. Sie wusste, dass ihre Chance gleichzeitig gegen alle vier anzukämpfen ausgesprochen schlecht stand. Allerdings waren ihre Erfolgsaussichten gegen zwei der Milchgesichter zumindest nicht ganz so schlecht.

Der Bursche, der die Füße hielt, war momentan in der für ihn denkbar schlechtesten Position. Er sah ihre sich unter dem T-Shirt wölbenden Brüste über sich, die leichte Wölbung des Bauches und die schwungvollen Oberschenkel. Das war mehr, als er ertragen konnte, schließlich war er auch ein Mann. Er sank auf die Knie und drückte seinen Kopf an ihren Oberschenkel.

Gnadenlos knallte Clairé ihm ihr rechtes Kinn gegen die Schläfe, sodass sein Kopf ruckartig zur Seite flog. Dann traf sie ihn auch bereits mit dem Spann ihres Fuß unmittelbar an der Halsschlagader, worauf er zu würgen begann und heftig nach Luft schnappte. Der käsigen Farbe seines eh schon blassen Gesichts ließ sie darauf schließen, dass es ihm recht dreckig ging.

Nun wurde auch der Letzte aktiv. Er wollte seinen Kumpel rächen und holte mit der linken Faust aus, die ihr Ziel aber nie erreichte.

Clairé fing sie in der Luft ab und drehte den Spieß um, worauf der junge Bursche einen angehockten Salto rückwärts vollführte, den er nicht stand, weil sie ihm die Füße unter der Taille wegtrat.

Inzwischen war der Gruppenführer wieder munter geworden und starrte sie an, als sei sie eines der Sieben Weltwunder.

Ohne zu zögern gab Clairé ihm einen weiteren Handkantenschlag auf die Nase, was diese knacken und bluten ließ und seine Aufmerksamkeit merklich von den begehrenswerten Vorzügen ihres makellosen Körpers ablenkte.

Er heulte vor Wut und Schmerz laut auf und hätte ihr am liebsten alles heimgezahlt. Doch dafür hätte er sie erst einmal in seine Finger bekommen und in den Bereich ihrer trainierten Arme zurückkehren müssen. Aber dazu konnte er sich nicht entschließen. Stattdessen bevorzugte er den sofortigen Rückzug und lief in einer Geschwindigkeit wie sie seinerzeit Dr. Richard Kimble an den Tag gelegt hatte.

Gleich darauf folgten ihm auch seine Kumpane. Sie rannten hinter ihm her wie die Katzen hinter der Baldrianflasche.

*

Nach der Fluchtaktion der vier Draufgänger war Clairé die Lust am Sonnenbaden vergangen. Sie betrachtete das Türschloss und musste anerkennend feststellen, dass einer der Bursche sein Handwerk verstanden hatte – es war fein säuberlich mit einem Spezialwerkzeug geöffnet worden. Schau an, talentierter Einbrechernachwuchs, dachte sie still und wurde in ihren Gedanken unterbrochen, als sich unvermittelt die Tür des Lifts öffnete.

Ein alter Mann stand in der Kabine. Er keuchte und starrte sie mit aufgesperrtem Mund und aufgerissenen Augen an.

In der obersten Etage öffnete sich der Fahrstuhl unmittelbar vor ihrer auf dem Dach gelegenen Wohnung und war normalerweise nur durch ihre Haustür getrennt. Und erst in diesem Augenblick wurde ihr bewusst, dass sie sich nur mit einem dünnen T-Shirt notdürftig bekleidet hatte und dass er sich ohne Schwierigkeiten ausmalte, welche prachtvollen Formen sich darunter versteckten.

»Miss Beauvais?«, erkundigte er sich mit trockener Kehle.

Sie nickte.

»Ich bin Bote von der Boutique ›Monique‹ und soll Ihnen ein Kleid vorbeibringen«, fügte er hinzu, nachdem er sich wieder ein wenig gefasst hatte.

»Danke«, erwiderte sie kurz, nahm es entgegen und knallte ihm die Tür vor der Nase zu. Dann lief sie in den Salon, riss die Schleife auf und wollte das Kleid, das sie sich hatte anfertigen lassen, sofort anprobieren. Aber dazu kam es nicht, denn Leonard Edwards, den sie infolge seiner Leibesfülle heimlich ›Fatso‹ nannte, erinnerte sie per Smartphone daran, dass sie nicht nur auf der Welt war, um ihren sagenhaften Körper ins rechte Licht zu setzen, sondern auch um ihr Gehirn zu gebrauchen – und genau das wurde von ihm im Augenblick gewünscht.

Edwards war eines Tages auf die Idee verfallen, sie, das Luxus-Callgirl, für den Geheimdienst zu akquirieren, um so eine gute Plattform für wichtige Operationen und vor allem eine ausgezeichnete, gut florierende Informationsquelle aus dem Bett und darüber hinaus zu haben. Dennoch war sie nach wie vor eine freie Mitarbeiterin geblieben. Sie sah in ihm nicht ihren Chef, sondern nur einen weiteren Auftraggeber.

***


Kapitel 5

Niemand sah Millicent Morton die innere Hochspannung an, unter der sie stand. Ein unverbindliches Lächeln spielte um ihre Mundwinkel. Und die elegante Lässigkeit, mit der sie sich bewegte, verriet Selbstbewusstsein und innere Ausgeglichenheit. Die Schar junger Männer, die ihr unverhohlen den Hof machten, vervollständigten das Image, das ihre Umwelt ihr gegeben hatte.

Sie schien die Nachmittagsparty zu genießen. Nichts deutete darauf hin, dass ihre Gedanken in Wirklichkeit ganz woanders waren. Nämlich auf dem Flughafen London ›Heathrow‹, wo in diesen Sekunden ein Edelstein-Raub seinen planmäßigen Fortgang nahm, der wie der Eisenbahnraub vom 8. August 1963 in die britische Kriminalgeschichte eingehen würde. Denn schließlich war niemand anders als sie höchstpersönlich die Initiatorin des Plans.

Endlich war es ihr gelungen, ihre Bewunderer loszuwerden. An der Tür des Salons überzeugte sie sich noch einmal davon, dass ihr auch keiner der anderen Gäste folgte. Die sahen zwar alle aus, als wären sie gerade den Seiten von ›Vogue‹ oder ›Esquire‹ entstiegen, aber schließlich war es auch in den vornehmsten Kreisen nichts Ungewöhnliches, wenn ein junger Mann hinter einer attraktiven Frau herlief.

Als die Tür zum Büro hinter ihr ins Schloss fiel, atmete Millicent kräftig durch und zündete sich eine Zigarette an. Sie rauchte hastig, mit tiefen, langen Zügen. Die Uhr über dem imitierten Kamin zeigte Viertel nach drei. Wenn alles nach Plan verläuft, muss das Unternehmen jetzt in seine entscheidende Phase treten, ging es ihr durch den Kopf.

Millicent spürte, wie sich eine innere Unruhe in ihr ausbreitete und von ihrem ganzen Körper Besitz ergriff. Die Zigarette in ihrer Hand begann zu zittern, ihre Zähne schlugen leicht aneinander, als wäre ihr kalt und ihr Magen meldete sich vibrierend.

Wieder glitt ihr Blick zu der Uhr hinüber. Eine Minute war vergangen. Noch eine Minute, dann muss sich der Fahrer der Transportfirma melden! Gedanken kamen und gingen, ohne dass sie die bewusst gesteuert hätte und ein nagender Zweifel kam in ihr auf. Hoffentlich wird der Ausweis des Fahrers anstandslos akzeptiert. Sie versuchte sich beruhigen, schließlich war er auf Originalpapier und mit echten Stempeln ausgestellt worden. Aber was passiert, falls einem der Kontrollposten einfällt, sich nach dieser neuen Spedition zu erkundigen? Ihr flaues Gefühl in der Magengegend verstärkte sich. Dabei ist der Truck mit seiner knalligen Aufschrift nicht einmal der größte Unsicherheitsfaktor in diesem Millionenspiel.

 

Das Smartphone meldete sich.

Millicent drückte ihre Zigarette aus. »Ja?!«, meldete sie sich. Sie wusste, dass ihre Stimme am anderen Ende der Leitung dunkler tönte. Sie nutzte ein kleines Gerät, dass ihre Stimme veränderte, sodass der Anrufer jederzeit schwören würde, mit einem Mann telefoniert zu haben. Selbst im Fall eines Falles würde gar nicht erst nach einer Frau gefahndet werden.

»Mir liegt die Meldung vor, dass Sie ein Päckchen aus Brüssel erwarten. Die Maschine ist soeben planmäßig in ›Heathrow‹ gelandet, und ich schätze, dass sie in etwa einer halben Stunde entladen sein wird«, ließ der Anrufer sie wissen. »Wenn Sie eine Zustellung des Päckchens durch einen Kurier wünschten, müssten Sie mir freundlicherweise ihre Adresse durchgeben. Ich werde mich dann entsprechend darum kümmern.«

»So eilig ist es nicht«, erwiderte sie und bemühte sich entspannt zu wirken. »Im Laufe des Nachmittags werde ich jemanden damit beauftragen, das Päckchen in ihrem Büro in Empfang zu nehmen.«

»Ganz wie Sie wünschen. Kein Problem«, kam es zurück. »Wenn Sie wieder einmal einen Job zu vergeben haben, würde ich mich freuen, wenn Sie an mich denken.«

Millicents Hand zitterte, als sie das Smartphone auf den Tisch vor sich legte. Sie wusste, dass es keinen Sinn hatte, sich länger etwas vorzumachen. Sie war übernervös und fast am Ende ihrer Kraft. Zum Glück muss ich vorerst nicht mehr aktiv werden, versuchte sie sich zu beruhigen. Jetzt kommt alles drauf an, dass die Burschen im Cargo-Terminal keinen Fehler machen! Sie fuhr sich mit einer Hand durchs Gesicht und strich ihre Haare zurück. Sie wusste, dass der Überfall an sich noch vergleichsweise einfach war. Sehr viel schwieriger würde es werden, die Herausgabe des Tresorschlüssels und der entsprechenden Kombination, sowie die Duplikatschlüssel für die Handschellen des Begleitpersonals zu erzwingen. Wenn das mit den Schlüsseln nicht klappt, wird der Coup mit Sicherheit misslingen ... und wer weiß, ob die Männer das überleben ...

***

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