Lebensfarbenspiele

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Sally Winter

Lebensfarbenspiele

Liebe Leben Schicksal

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Lebensfarbenspiele

Impressum neobooks

Lebensfarbenspiele

Liebe Leben Schicksal

Die kühle Bergluft durchströmte seine Lungen bis in die feinsten Verästelungen.

Er genoss den Moment des Sonnenaufganges über den Wipfeln der schlanken, riesenhaften Tannen am Berghang. Sie warfen lange, fingergleiche Schatten auf die Wiesen und den feinen Schnee vor der Hütte. Die Sonne malte allmorgendlich ihre goldroten Farben auf die nackten Felswände des nahen, gegenüberliegenden Gebirgszuges.

Pete zog an der schweren, massiven Tür, die sich knarrend in das alte Schloss warf, als wäre es das letzte Mal. Die Feuchtigkeit der Nacht lag in der Luft und verflüchtigte sich allmählich in Form von leise aufsteigenden Dunstschleiern. Die Sonne schuf sich ihren Tag.

Es war einer jener winterlichen Tage im Vorgebirge, die zum Wandern einluden. Pete kannte die Gegend aus seiner Jugend. Großvater lebte einst hier und bewirtschaftete einen kleinen Hof mit Milchvieh. Die Hütte war alles, was geblieben war und die Erinnerung an manche, schönen Tage im Gebirge. Hier übernachteten sie oft, nachdem die Tiere auf die höher gelegenen Wiesen getrieben waren, um dort den Sommer über zu weiden. Nach Großvaters Tod verkaufte Mutter den Hof und die Stallungen mit samt Inventar und Vieh an die Genossenschaft im Dorf. Das einzige was Pete blieb, war diese Hütte auf der Hochalm und die Erinnerung. Es gab dieses Jahr nicht viel Schnee und er meinte sich zu erinnern, dass das früher noch anders gewesen war.

Alles hier schien ihm vertraut und doch so fremdartig. Vielleicht lag es an den gegensätzlichen Umständen in denen sein Leben in der letzten Zeit pendelte.

Der Weg schlängelte sich leicht über die sanften Hügelketten und führte

durch die tannenbesäumten Schluchten hinauf zu den mächtigen Felsgraten und

kleineren Bergwiesen, auf denen vereinzelt noch die verharschten Schneefelder zu sehen waren, die der aufgehenden Sonne bislang erfolgreich getrotzt hatten. Auch sie würden bald verschwunden sein. Der Weg wurde beschwerlicher. Abgehende Felsbrüche hatten im Tauwetter den Aufstieg durch die Schlucht unwegsam gemacht. Der Wildbach kämpfte sich seinen Weg durch die neuen Geröllmassen, die sich in seinem Bett breit gemacht hatten. Dabei hatte er sich einen Teil des Weges zu eigen gemacht, welcher an ihm entlang führte. Großvater hatte erzählt, dass dieser Weg schon im späten Mittelalter von Händlern zum Transport von Waren, insbesondere von Salz genutzt wurde. Pete stieg auf die größeren Felsbrocken und Baumstämme, um keine nassen Füße zu bekommen. Das kalte Schmelzwasser gurgelte zwischen den Steinen und Ästen der entwurzelten Bäume umher und stürzte weiter in Richtung Tal.

Je weiter er in die Schlucht hineinging, desto enger und kühler wurde es.

Die Sonnenstrahlen erreichten den felsigen, glitschigen Grund des Steiges nicht mehr, sondern legten sich wie eine Krone aus rotem Gold auf die zerklüfteten Felskanten zu beiden Seiten. Wasser trat als kleine Rinnsale aus den Felswänden und tropfte aus den mit Moos bewachsenen Felsüberhängen und machte den Weg schlüpfrig. Der Weg durch den Berg wurde steiler. Die Tritte wurden mühsamer.

Terrassenförmig führte der Weg weiter hinauf, wie auf einer Treppe, die für Riesen gebaut war. Für die Mühsal der letzten schweißtreibenden Höhenmeter wurde der Wanderer immerhin königlich entlohnt. Mit einem brillanten Ausblick über das Tal und die umliegenden Bergketten und Tannenwälder. Diese Hochebene lag auf halbem Wege zum eigentlichen Ziel seiner Wanderung, den Steinriesen am Gipfelkreuz. Pete setzte sich auf das frische Gras und lehnte sich gegen einen umgestürzten, dürren Baumstumpf, den die Witterung von seiner Rinde befreit hatte und wie einen versteinerten Saurierknochen aussehen ließ.

Sein Blick schweifte über die Landschaft. Der stahlblaue Himmel erhob sich über das satte Grün der umliegenden Wälder und Hügel, die stellenweise vom seidigen Glanz des Schnees umschmiegt wurden. Der klare, kühle Wind des Vormittags trieb den milden Duft der Tannen durch die Luft.

Das Wetter konnte sich schnell ändern in den Bergen. Aber die Natur hatte ein Einsehen und legte ihre schönsten Farben auf. In der Ferne erkannte er die zackigen Enden der Steinriesen, welche sich wie steinzeitliche Speerspitzen

in den Himmel bohrten. Ein Felsgrad mit bizarrem Aussehen. Ein geschmiedetes

Gipfelkreuz krönte diesen hohen Punkt am Ende des Aufstieges. Ein Kreuz, ähnlich wie das auf Großvaters Grab im Tal an der Kapelle St. Katharina.

*

Ratternd donnerte der Vierzigtonner den provisorischen Weg zur Baustelle hinauf. Der feine, aufgewirbelte Staub trübte den Blick zum Meer, das einem öligen Stahlblech gleich, im Glanz der Mittagssonne schimmerte. Die leichte Meeresbrise kräuselte die Staubkörner zu kleinen Tornados, die um die vertrockneten Grashalme streunten. Der Rohbau der Ferienanlage war bis zum dritten Stockwerk fortgeschritten. Stahlmatten und Bewehrungseisen lagen bereit für den letzten Deckenguss. Ein paar Bauarbeiter bewegten sich mühsam auf den schmalen Graten der Betonstürze. Die Sonnenstrahlen prasselten unerbittlich auf das Rohbaugerippe. Das gigantische Baustellenschild verkündete in spanischer und deutscher Sprache das in Küstennähe entstehende Bauvorhaben. „Garten der Palmen", so illusionierte der Titel der Werbeprospekte und Werbetafeln den zukünftigen Zustand der Anlage.

Ein Paradies für sonnenhungrige Saisonurlauber, ein Domizil für jung gebliebene Rentner, welche den nasskalten Wintern ihrer Heimat entfliehen wollen, ein Investitionsobjekt bester Qualität, mit hoher Rendite.

Pete ordnete seine Unterlagen in der Reihenfolge seiner standardisierten

Argumentations- und Vorgehensweise, so wie vor jedem Verkaufsgespräch.

Die zukünftigen Besitzer, ein älteres Ehepaar aus Deutschland, sollten auf

ihr neues Zuhause positiv eingestimmt und zu weiteren Abschlagszahlungen animiert werden. Die erste Zahlung von fünfzigtausend Euro war bereits bei Unterzeichnung des Vorvertrages fällig geworden und schon verbaut. Die nächste Zahlung sollte nunmehr den Baufortschritt und dem angeschlagenen Bauträger einen weiteren Monat das Überleben sichern, was den zukünftigen Eigentümern natürlich sorgfältig verborgen gehalten wurde.

Längst waren nicht alle Wohnungen und Apartments verkauft worden.

Die Hälfte des Objektes stand noch zum Verkauf. Gearbeitet wurde meist nur in den Wintermonaten. In dieser Zeit reisten auch die meisten älteren und kurz entschlossenen Urlauber auf die Insel. Diese Zeit war auch Petes beste Gelegenheit neue, potenzielle Kunden zu gewinnen. Diejenigen, welche bereits gekauft und angezahlt hatten wurden gezielt eingeladen, um den Baufortschritt zu begutachten. In den übrigen Zeiten des Jahres wurde nur sporadisch oder gar nicht gearbeitet. So wie Geld zur Verfügung stand. Pete hatte sich damals breit schlagen lassen, nach seinem abgebrochenen Wirtschaftsstudium für diese Firma auf Provisionsbasis zu arbeiten. Fünfhundert Euro für jede Vertragsunterschrift waren ein gutes Argument gegen seine ständigen Geldsorgen.

Nun war er schon den zweiten Winter dabei. Der Verkauf lief. Das der deutsche

Bauträger, der ein kleines Büro in der Inselhauptstadt betrieb, ohne eine örtliche Baugenehmigung abzuwarten mit dem Bau der Anlage begonnen hatte, machte ihm keine Kopfschmerzen. Hier dauerten die Genehmigungsverfahren teilweise mehrere Jahre und schließlich wurden die verantwortlichen Beamten und der zuständige Bürgermeister durch freundschaftliche Zuwendungen in Form von Einladungen auf das Landgut des Bauträgers bei Laune gehalten.

Und schließlich brachte der Zuzug von solventen Rentnern und die Investitionen

der Spekulanten, die jene Ferienwohnungen vermieten würden, eine Menge Steuergelder in die Stadtkasse und unterentwickelte Region.

Pete ging mit breitem Lächeln und ausgestreckter Hand auf das Ehepaar aus Norddeutschland zu. Kennen gelernt hatte er sie damals in einem Hotelrestaurant auf der Nachbarinsel. Als sie den Aushang im Hoteleingang studierten, in dem ein Werbeplakat der Anlage hing, hatte er sie angesprochen.

„Wie sie sehen geht es mit unserem Objekt zügig voran". „Es sind fast alle Apartments verkauft. In dieser Woche denken wir die restlichen acht Wohneinheiten zu verkaufen. „Prima, das geht ja wie geschmiert" erwiderte der Norddeutsche mit einem Lächeln. „Zweifelsohne", erwiderte Pete. Das Gespräch entwickelte sich im Verlauf der Besichtigung wie gewohnt erfolgreich. Er schüttelte beiden zum Abschied die Hand. „Sie werden sehen, sie haben sich für ihre Zukunft hier im Garten der Palmen richtig entschieden. Ihre Wünsche in Bezug auf Sanitäranlage und Fußbodenbeläge werden wir wie besprochen berücksichtigen. Damit wir die Materialien ordern können, wird die vereinbarte Abschlagssumme von ihrem Konto nächsten Monat abgerufen. Über den weiteren Baufortschritt werden wir sie auf dem laufenden halten. Eine Einladung zum Richtfest und zur Eröffnungsfeier im nächsten Winter erhalten sie dann rechtzeitig mit der Post." Das war sein Standardsatz am Ende der Besichtigung. Das bereits die ersten Käufer vom vorletzten Jahr, aufs nächste Jahr vertröstet werden mussten, trübte sein Gewissen nicht im geringsten. „Fünfhundert Euro, sind fünfhundert Euro," dachte er.

 

Mit einem leichten Lächeln im Gesicht fuhr Pete die Staubige Schotterstraße zurück in Richtung Stadt, wo er für ein paar Monate ein kleines Apartment von einem Freund gemietet hatte, der hier im Immobiliengeschäft tätig war. Von ihm war auch der Tipp, für ihn Apartments an Urlauber zu verkaufen.

Die Straße schlängelte sich durch die sanft zum Meer abfallenden, öden, mit braunschwarzem Lavagestein bedeckten Hänge. Dies war kein Ort, um für immer zu bleiben. Die Brandung schlug mit lautem Getöse gegen die schroffen Felsen, die sich trotzig gegen sie auflehnten. Die Gischt peitschte bei jedem anrollen der Wellen über die seit Jahrtausende erkaltete Lava, die sich wie ein Panzer über die Küste gelegt hatte. Das Erreichen der Stadt war wie der Einzug in den Garten Eden. Die Stadt war wie immer mit Autos und Bussen voll gestopft. Zwischen den bunten Hemden und Kleidern der Touristen stachen die schwarz gekleideten Marktfrauen, wie Zahnlücken hervor. In ihrer traditionellen Bekleidung hinterließen sie den Eindruck, als gehörten sie nicht zur Ausstattung. Am Rande der Straße boten Sie den Touristen einheimische, handgefertigte Produkte an. Von Tonkrügen, über Knüpfteppiche bis hin zu feinen Lederwaren und importierter Billigbekleidung, war alles zu bekommen.

Pete bog in eine kleine Seitenstraße. Das Getümmel ebbte ab.

Kinder spielten ihre Hüpfspiele, die sie mit Kreide auf den Gehweg gemalt hatten. Ein paar Häuserecken weiter, und Pete parkte seinen Wagen vor einer mit weißer Farbe getünchten steinernen Umfriedung. Dahinter lag ein kleines Haus im Bungalowstil, welches mit dem zum Leben notwendigsten ausgestattet war.

Am plätschernden Geräusch des Wassers aus der Nasszelle vernahm er, dass Kati bereits aufgestanden war. Sie arbeitete bei einem Reiseveranstalter als

Animateurin bis in die Abendstunden in einer Klubanlage nahe der Stadt. Anschließend kellnerte sie in einem kleinen Restaurant im Zentrum.

Sie hatten sich vor Kurzem auf einer Semesterabschlussparty in Hamburg kennen gelernt. Sie studierte Kunst. In den Semesterpausen jobbte sie, um nicht finanziell von ihren vermögenden Eltern abhängig zu sein, auf der Insel. Der Job hier war ein Glücksfall.

Pete bereitete derweil ein schnelles, spätes Frühstück vor. Kaffee, Orangensaft, einige frisch geröstete Toast, Honig und Eier.

Kati kam in die angrenzende Wohnküche und rubbelte sich die Haare trocken.

Sie hatte sich ein langes buntes Badetuch über die Brust verknotet und begrüßte Pete mit einem Lächeln. „Na, wie war´s, fragte sie. Hattest du Erfolg?"

„Es lief wie geschmiert," antwortete Pete mit zufriedenem Lächeln.

„Nun lass uns erst einmal etwas essen. Du musst um halb eins im Klub sein. Ich habe noch etwas Zeit und kann dich anschließend dorthin fahren," sagte Pete. „Super, erwiderte Kati kurz und verschwand im Nebenraum. Ich ziehe mich nur schnell an." Aus den Augenwinkeln konnte er sehen, wie Kati ihr

Sweatshirt mit dem aufgedruckten roten Klublogo über ihren Kopf zog.

Das gleißende Licht der Mittagssonne durchströmte die kleinen Schlitze in den Blendladen der Fenster und umschmiegten alles mit einem hellen Schleier.

Die kleinsten Löcher wurden zu hellen Spots und machten alles zu einer Bühne.

Seit acht Tagen wohnten sie nun zusammen. Kaum, dass sie sich ein paar Wochen kannten, fassten sie den Entschluss gemeinsam auf die Insel zu ziehen.

Sie mochten sich, aber dass es so richtig gefunkt hatte, konnte keiner von beiden behaupten. Es war eher eine freundschaftliche Beziehung entstanden. Jeder lag in seinem Schlafsack, aß von seinem Teller, trank aus seinem Glas, ging mehr oder weniger unbeobachtet seiner Tätigkeit nach, eine Zweckgemeinschaft. So dachten beide.

Nicht, dass sie gegenseitig unattraktiv aufeinander gewirkt hätte. Aber es war eben nur Freundschaft.

Kati war eher die kühle Blonde aus dem Norden, obwohl sie das von sich nie behauptet hätte. Sie hielt sich eher für einen Vernunftmenschen, der, bevor er eine Entscheidung trifft, jede nur erdenkliche Situation auslotet, mögliche Konsequenzen vorhersieht und so zu einer Entscheidung gelangt. Das hatte sie bisher immer so gehalten und damit ihr Leben gut im Griff. Über ihr Aussehen machte sie sich keine Gedanken. Ich bin wie ich bin, sagte sie sich.

Kein Model, aber auch kein Trampel. Jeder der mich kennen lernen will, muss mich annehmen, wie ich nun mal bin. Schließlich male ich, was ich sehe, und ich sehe, wie es ist. Das sollen die anderen gefälligst auch so halten, jedenfalls was sie anginge. Sie machte sich einfach keine Gedanken über ihr Aussehen. Jedenfalls nicht so, wie einige Mädels auf der Uni. Die hatten teilweise nichts anderes zu tun als sich über ihre Nasen und Oberweiten zu unterhalten.

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