Die Hoffnung aus dem Jenseits

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Ich starre ihr verdattert hinterher und Daniels Grinsen wird bei meinem Blick breiter. „Das wird sich wohl niemals ändern“, raunt er leise und ich sehe ihn an. Was redet er da? Ich schüttele den Kopf und drehe Carolin demonstrativ den Rücken zu und gerate in das Blickfeld meiner Mutter und Frau Maddisheim, die mich anlächeln. Bestimmt war ich gerade noch bei den beiden Gesprächsthema Numero Eins, denn plötzlich wissen sie sich nichts mehr zu sagen und wenden sich der illustren Gesellschaft zu.

Mein Vater mahnt lautstark zum Aufbruch und ich kann kaum glauben, dass es fast drei Stunden her ist, als wir in den Bentley stiegen. Ich sehe mich nach Carolin um und finde sie bei ihren Mädels, die sich voller Verzückung über ihr Outfit auslassen. Carolin ist wirklich wunderschön und das erkenne ich in diesem Moment mit einem Anflug von Missbilligung. Dieses Kleid ist eigentlich nicht zulässig und hätte ich es vor der Hochzeit zu Gesicht bekommen, hätte sie es heute nicht an.

Erneut schwirrt mir im Kopf herum, dass ich sie auf keinen Fall aus den Augen lassen darf. Dass jemand sie mitnehmen könnte, um mit ihr in eine Kneipe einzukehren, macht mich ganz verrückt. Zumal mein Blick auf Marcel fällt, der seine Freundin heute fast zu vergessen scheint und nur Augen für Carolin hat.

„Sehr verehrte Gäste“, ruft in dem Augenblick mein Vater. „Wir feiern im Saal weiter und ich möchte alle bitten, sich jetzt auf den Weg zu machen. Es stehen mehrere Taxis zur Verfügung.“

Mein Vater hat wirklich an alles gedacht. Ich werfe ihm einen schnellen Blick zu. Aber er hat meine Mutter an der Hand und zieht sie mit sich mit. Ich gehe auf Carolin zu und die Blicke ihrer Mädels heften sich auf mich, was Carolin veranlasst, sich zu mir umzudrehen. Ihr Blick wird weich und ein Lächeln erscheint auf ihrem Gesicht.

„Schatz, wir müssen los“, raune ich ihr zu und nehme sie am Ellbogen.

„Ihr habt ja gehört.“ Carolin wendet sich an ihre Mädels. „Draußen stehen Taxis bereit. Greift euch eins und los geht’s.“ Sie klingt befreit und glücklich.

Ich warte deren Antworten nicht ab, sondern ziehe sie mit. Auf uns wartete der Bentley mit Timo.

Der steht wartend auf dem Rathausplatz und Schaulustige haben sich versammelt, um zu sehen, wer da geheiratet hat. Nun gesellen sich zu unseren Fotografen auch der eine oder andere von einer Zeitung und macht Bilder. Ich versuche das zu ignorieren.

Timo steht am Bentley und kommt uns einige Schritte entgegen, breit lächelnd.

„Herzlichen Glückwunsch. Es ist überstanden.“

„Danke Timo, ja, wir leben noch“, raune ich leise und nehme seine mir hingehaltene Hand. Er gratuliert auch Carolin und wendet sich dann wieder an mich. Mir fällt auf, dass er Carolin nicht ungebührlich viel Aufmerksamkeit schenkt, was mich gleich für ihn einnimmt. Er öffnet uns die Autotüren und Ellen kommt mit geröteten Wangen angerauscht, um Carolin ins Auto zu helfen, als wenn ich das nicht selbst könnte. Aber sie drängt mich weg und nuschelt: „Das ist mein Job.“ Ich glaube, sie hat eine Flasche Sekt allein getrunken.

Daniel steht hinter mir, als ich mich umdrehe und auf meine Seite gehen will. Auch er wirkt seltsam entrückt. Dabei soll er noch ein wachsames Auge auf Carolin halten. Wenn er das vermasselt, ist er die längste Zeit mein Freund gewesen.

Wir fahren kurze Zeit später durch die Stadt zu unserem Festsaal, von einem langen Autokorso verfolgt. Ich seufze und habe endlich Zeit, mich meiner Frau zu widmen.

„Wie geht es Ihnen, Frau Zeiss-Clarkson?“, frage ich sie leise und sie sieht mich nur an. Es dauert, bis sie wohl ihr Befinden ausgelotet hat und genauso leise antwortet: „Erleichtert! Und glücklich! Es war so wunderschön! Ich werde das mein Leben lang nicht vergessen. Und dieser Raum! Das war alles unglaublich!“

„Ja, mein Vater hat sich da wirklich selbst übertroffen, und das Ganze hat zu Dingen verleitete, von denen man vorher nicht im Traum dachte, dass man die bringen würde.“

„Ja, unser Ringaufstecken wird mir ewig in Erinnerung bleiben, wie unsere Darkroomnacht. Es ist eines meiner Lebenshighlights.“

„Unserer Lebenshighlights. Und ich will noch viele folgen lassen.“

Sie schluckt schwer und nickt nur. Ich kann bei ihrem Blick nur ihr Gesicht in meine Hände nehmen und sie küssen.

Timo beginnt hinter dem Steuer ein Lied zu singen, dass von unendlicher Liebe auf ewig handelt und wir sehen ihn verdattert an. Er hat eine unglaubliche Stimme und grinst in den Rückspiegel. Mit der letzten Strophe lenkt er den Bentley auf den Parkplatz vor dem Saal, wo uns der riesige Kranz mit den vielen weißroten Blumen entgegenleuchtet.

„Das war wunderschön“, sagt Carolin ergriffen. „Danke, Timo!“

„Bitte, für euch zwei nur das Beste. Ein Leben lang.“

Er zwinkert uns zu und Carolin und ich sehen uns an. Ob er sich bei der Trauung unter die Gäste gemischt hatte?

Er steigt aus, um uns die Türen zu öffnen und wir schreiten zum zweiten Teil unserer Hochzeit, die mit einer Überraschung enden soll.

Carolin

Es ist alles wie ein Traum. Ein Traum, von dem ich anfangs dachte, ihn nicht zu überstehen. Aber jetzt ist das Schlimmste vorbei. Unsere Trauung ist überstanden. Nun folgt die Feier im Saal, die hoffentlich nicht mehr so nervenaufreibend ist.

In einer Ecke des Saals spielt eine Dreimann-Band, die wirklich gut ist und ein großes Repertoire an neusten Musikstücken spielen kann, wie Ellen mir gleich bei meinem verunsicherten Blick versichert hatte. Der Sänger der Band hatte uns etwas steif begrüßt und ein „What a wonderful Day“ angestimmt, was mich Schlimmstes erahnen ließ. Aber nur den Anfang des Liedes hatten sie in der alten Form belassen, der Rest kam ziemlich unklassisch rüber und hörte sich klasse an, wie auch alles weitere.

Es scheint somit alles für einen gelungenen Abend geebnet zu sein. Allerdings klebt Erik seitdem beständig an mir, als wäre ich ein Fliegenfänger und er die Fliege. Auf sein Verhalten kann ich mir keinen Reim machen. Ich hatte eigentlich immer gedacht, wenn er mich erst geheiratet hat, legt sich dieses zwanghafte Verhalten. Aber heute will ich mir darüber keine Gedanken machen und einfach nur alles bestmöglich überstehen. Ich hoffe darauf, dass das Essen uns eine kleine Verschnaufpause bietet und Erik und ich etwas Zeit zusammen haben. Bisher hatten wir keine Sekunde, ohne im Fokus zu stehen.

Es wird um uns herum unruhig und alles beginnt seine Sitzplätze auszuforschen.

Erik zieht mich am Ellbogen hinter Ellen her, die offensichtlich weiß, wo unser Platz ist.

Ich bin einfach nur froh, mich endlich hinsetzen und meine Füße ausruhen zu können, die nicht besonders glücklich über meine Schuhwahl sind.

Erik setzt sich neben mich und besieht sich argwöhnisch, wer in unserer Nähe Platz nimmt. Dabei schiebt er immer wieder nervös seine langen Locken über der Stirn an die Seite. Seine braunen Augen richten sich auf alles und jeden.

Ich drücke seine Hand, die erneut meine umschließt.

Sein Blick reißt sich von dem Trubel im Saal los und er sieht mich an. Ein Lächeln erscheint in seinen Mundwinkeln und seine schönen braunen Augen bekommen diesen weichen Ausdruck, der mir immer wieder zeigt, wie sehr er mich liebt. Seine Lippen legen sich kurz auf meine Wange, bevor sein Blick langsam wieder über das sich legende Chaos gleitet.

Als endlich alles sitzt, Getränke eingeschenkt wurden und alles auf die Vorspeise wartet, erhebt mein Vater sich, um eine Ansprache zu halten. Er sieht unglücklich aus und seine Stimme klingt etwas mürrisch.

„Liebe Gäste, meine liebe Tochter und … Erik. Das ist ein Tag, der von einem Vater gewünscht wie gefürchtet wird. In meinem Fall eher gefürchtet, weil Carolin meine einzige Tochter ist. Sie ist noch so sehr mein Kind, dass es mir schwerfällt, sie einem Ehemann in die Obhut zu geben, der mir nicht mal gönnte, sie zum Traualtar zu führen. Aber seit Erik in das Leben von Carolin trat, wurden meine Vaterrechte aus ihrem Register gestrichen. Ich hoffe, er ist auch weiterhin für sie da und erweist sich auch in Zukunft als ihr Traumprinz. Dann will ich darüber hinwegsehen, dass Erik immer wieder seinen Kopf durchsetzt.“

Ich sehe Mamas beunruhigten Blick und wie ihre Hand unter dem Tisch in Papas Richtung schnellt. Sie will ihn wahrscheinlich daran erinnern, dass er nett bleiben muss.

Mein Vater greift daraufhin nach seinem Glas und schluckt wohl alles, was er am liebsten noch loswerden möchte. Er murrt nur abschließend: „Auf das diese Ehe immer von Glück und Zufriedenheit für beide Seiten gekrönt sein wird.“

Einen Augenblick scheint niemand zu wissen, wie er reagieren soll. Viele Blicke richten sich auf uns und ich lächele Papa an, als hätte er nur liebe Worte für mich - und vor allem für meinen Ehemann - gefunden. Daraufhin werden Hochrufe laut und es wird gelacht und geklatscht, obwohl man merkt, dass sie nicht wissen, ob mein Vater wirklich so sauer ist, wie es sich anhörte und ob er mit seinen Ausführungen tatsächlich am Ende ist. Alle trinken schnell auf uns, um da auch ja nichts mehr nachkommen zu lassen. Das lässt mich erleichtert aufatmen.

Ich drücke Eriks Hand, der etwas verdattert wirkt. Mir ist klar, er hatte keine Sekunde daran gedacht, was er meinem Vater damit antat, als er ihm seinen Posten als Brautvater streitig machte. Das wird das sowieso nicht gerade freundschaftliche Verhältnis der beiden nicht verbessern. Das wird Erik bestimmt auch gerade klar.

Ich schenke ihm ein beruhigendes Lächeln. Er muss sich deswegen keine Sorgen machen.

In dem Moment erhebt sich Herr Zeiss-Clarkson und schlägt mit seinem Löffel an sein Glas, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Er bestätigt ohne Umschweife, dass Erik immer schon seinen eigenen Kopf hatte und er und seine Frau sich ihres Erziehungsfehlers bewusst sind. Aber er trägt es so vor, als wäre es ein gutmütiger Scherz, und wieder wird gelacht. Natürlich lachen Erik und ich auch. Wenn ich meinem Mann auch ansehe, dass er es hasst, wenn er den Mittelpunkt solcher Geständnisse bildet. Aber Herr Zeiss-Clarkson hat nicht vor, ihn lange im Mittelpunkt stehen zu lassen. „Zu unserem Glück, vielleicht nicht gerade zu deinem, Niclas …“, wendet er sich kurz an meinen Vater, was wieder mit Lachen quittiert wird, „hat Erik Carolin gefunden. Und seitdem ist seine Welt, wie auch die unsrige, eine bessere und schönere. Ich kann verstehen, dass Erik das schnellstmöglich für immer für sich verankert wissen will. Und wenn man Carolin anschaut … wer kann ihn da nicht verstehen. Ich bin froh, eine so unglaubliche Schwiegertochter bekommen zu haben, die bestimmt unser Leben auch weiterhin bereichern wird. Auf dich, liebe Carolin! Und auch auf dich, Erik! Auf das euer Leben von Glück und immerwährender Liebe bestimmt wird. Wie wichtig das ist, weiß ich aus eigener Erfahrung.“ Herr Zeiss-Clarkson beugt sich schnell zu seiner Frau hinunter und küsst sie.

 

Alles jubelt und Herr Zeiss-Clarkson hebt sein Glass und prostet uns zu.

„Die sind echt peinlich“, raunt Erik mir zu, nachdem wir zurückgeprostet haben, und ich muss lachen. Mich zu ihm beugend, flüstere ich: „Ich ahnte schon immer, dass deine romantische Ader von deinem Vater stammt.“

Erik sieht mich aufgebracht an und knurrt: „Welche romantische Ader?“ Aber an seinem Blick sehe ich, dass er weiß, was ich meine.

Wir wissen mittlerweile beide, dass selbst der Gangster in ihm diese Seite nicht unterdrücken konnte, und ich könnte ihm hundert Gelegenheiten aufzählen, bei denen er diese Ader nicht im Zaum halten konnte. Angefangen mit unserem ersten gemeinsamen Cappuccino trinken in dem Cafe am Bahnhof, bei dem er sich noch bemüht hatte, keine Gefühle zu zeigen, bis hin zu unserer Darkroonnight. Und danach war alles anders. Erik war anders. Er wollte seine Gefühle nicht mehr verstecken.

Ich muss an die vielen Male denken, an denen er mich mit seiner verworrenen Gefühlswelt konfrontiert hatte, und an unsere gemeinsame Ausfahrt, die eigentlich eine Strafe für mich sein sollte und mich in eine weitere der vielen Verwirrungen stieß, die er damals beständig in mir auslöste. Das dieses damalige Drunter und Drüber nun beim Standesamt geendet hat, hätte weder ich noch er geglaubt, wenn man uns das prophezeit hätte. Da bin ich mir sicher.

Gläser klirren aneinander und aus vielen Mündern wird uns alles Gute gewünscht. Wenn das nicht für ein Leben lang reicht …

Wenig später wird das Essen aufgetragen und ich fühle mich nach der Hühnersuppe ein wenig besser. Ich hatte den ganzen Tag nicht viel gegessen, weil ich einfach nichts hinuntergebracht hatte.

Danach gibt es Rinderrouladen mit Pfifferlingen in Rotweinsoße, Lendchen mit Champignonsahnesoße und Lachs im Blätterteigmantel. Zu allem werden verschiedene Beilagen gereicht.

Das Essen ist wirklich der Hit, auch wenn ich selbst nur den Lachs esse, während Erik die Rouladen und die Lendchen gleichzeitig auf seinen Teller lädt und mich probieren lässt.

Ellen, die neben mir sitzt, stöhnt immer wieder auf, weil sie schon satt ist und sich dennoch immer wieder einen Nachschlag nimmt.

Daniel und Erik unterhalten sich unterdes über irgendetwas, was sie noch erledigt hatten und das hoffentlich so gut funktioniert, wie sie hoffen. Das lässt mich aufhorchen. Ich weiß nicht, über was sie sprechen. Aber dass ich davon auch nichts wissen soll, sehe ich daran, dass die beiden ziemlich geheimnisvoll tun.

Mein Blick fällt auf meine Eltern, die sich mit den Zeiss-Clarkson gut verstehen. Nach dem Kranzbinden sogar besonders gut. Das hatte alle ein Stück weit zusammengeschweißt. Und nach Eriks Patzer heute ist das auch gut so. Seine Eltern müssen bei meinen die Wogen glätten. Dass ihnen das gelingt, sehe ich, als mein Vater laut auflacht und als er meinen Blick sieht, mir sogar zufrieden zuprostet.

Ich lasse meinen Blick über die Menge schweifen und finde es schön, dass alle so ausgelassen und zufrieden sind. Ellens Sitzplan ist wirklich gelungen. Wir haben zwei Tische mit den älteren Gästen, Geschäftsfreunden und Firmenmitarbeitern, bei denen auch unsere Eltern sitzen, und wir haben einen Tisch mit dem ganzen Jungvolk, an dem alle jungen Männer und Frauen versammelt sind und sich ziemlich ausgelassen geben. Nur Marcel scheint wenig Freude an dem Ganzen zu haben. Sein Blick gleitet immer wieder zu mir und ich kann ihn nicht ergründen.

Gleich nach der Trauung, als er mich in seine Arme geschlossen hatte, versicherte er mir, dass ich die schönste Braut sei, die es auf diesem Planeten je gab. Seine Stimme hatte dabei gezittert und bevor er mir noch mehr ins Ohr säuseln konnte, war Erik an meiner Seite aufgetaucht.

Zwischen den Gängen spielt unsere Band weitere Lieder und die Gäste nehmen das zum Anlass, zu uns zu kommen und sich noch einmal mit uns zu unterhalten. Vor allem die ältere Generation nutzt die Gelegenheit.

So komme ich mehrmals in den fragwürdigen Genuss, dass Erik und ich damit konfrontiert werden, wie sehr es den einen oder anderen freut, dass wir nun in die Geschäftswelt eingestiegen sind. Nicht immer klang es tatsächlich ernst gemeint. Wahrscheinlich behagt nicht jedem, dass der bisher ziemlich auf Abwegen wandelnde Sohn nun Mitspracherecht erwerben wird und dazu noch mit einer achtzehnjährigen Frau, die kaum aus den Windeln ist. So glaube ich zumindest in einigen Gesichtern lesen zu können und ihr nettes Nachfragen gilt wohl eher einem Ausloten der Gefahr.

Als der Nachtisch kommt und alles erneut platznimmt, bin ich froh dem entrinnen zu können. Erik sieht auch nicht gerade so aus, als wenn sein Einstieg in das Imperium der Zeiss-Clarkson sein Lieblingsthema ist. Aber noch etwas anderes scheint ihn zu beschäftigen. Mir fällt auf, dass er den Tisch mit meinen Freundinnen, seinen Freunden, Marcel und Julian immer wieder argwöhnisch in Augenschein nimmt.

Ich finde, die verstehen sich prima und Andrea hebt ihren Daumen, als unsere Blicke sich treffen, um mir verstehen zu geben, wie klasse sie alles findet.

Der Nachtisch besteht aus einer Schwarzwäldercreme, die göttlich schmeckt, einer Zitronencreme und dem obligatorischen Vanilleeis mit heißen Himbeeren.

Ich bin leider schon viel zu satt, um das alles genießen zu können. Ellen stöhnt neben mir auch immer wieder auf und beschwert sich darüber, viel zu viel gegessen zu haben. Aber dann lenkt sie sich damit ab, dass sie mir erklärt, wer all die Leute waren, die mich und Erik an unserem Platz aufgesucht hatten. Viele waren angeblich auch schon auf der Silberhochzeit der Zeiss-Clarkson gewesen, die nun schon fast ein Jahr her ist. Aber ich kann mich nur an die wenigsten erinnern. Nur Herr Thomas, der Juwelier, der mit Erik meinen Schmuck so wundervoll verschönerte, und von dem auch unsere Trauringe kommen, war mir im Gedächtnis geblieben, und natürlich unser Hausarzt Dr. Bremer, der mir in den letzten Monaten so oft geholfen hatte.

Ich schaue auf meinen Ring, in dessen Inneren das heutige Datum eingraviert wurde. Aber der Clou ist, dass unsere Eheringe auch ein Muster zieren, dass bei genauem Hinsehen Buchstaben integriert hat. „Erik“ wurde kunstvoll auf meinen Ring eingraviert, „Carolin“ steht auf Eriks. Mein Ring hat zusätzlich noch kleine Brillanten vor und nach Eriks Namen, während Eriks schlichter gehalten ist.

Ich hätte niemals gedacht, dass Erik überhaupt bereit sein wird einen Ring zu tragen. Und dazu noch einen mit einer Gravur. Aber es war seine Idee und er hatte das auch mit dem Juwelier in die Tat umgesetzt. Das Ergebnis hat mich echt umgehauen … und jetzt ziert er meinen Finger.

Immer wieder werfe ich einen Blick darauf, um mich zu vergewissern, dass er noch da ist. Aber er passt so unglaublich gut, dass ich ihn nicht spüre und er auch nicht herunterrutschen kann. Ich liebe ihn genauso, wie den Mann, der ihn mir heute an den Finger steckte.

Ich werfe Erik einen Blick zu, der wieder die Gruppe der jungen Männer ins Visier nimmt, die tuschelnd und lachend zu uns schauen, was sich seinen Blick verfinstern lässt.

Ich nehme seine Hand und auch Ellen sieht an mir vorbei zu ihrem Bruder. „Erik, sei doch nicht so mürrisch. Was ist denn wieder?“, zischt sie aufgebracht.

Erik sieht sie an und dann mich und lächelt zurückhaltend. „Nichts!“, antwortet er nur und Daniel lacht. „Ich passe auf, glaub mir.“

Was meint er damit?

„Und ich auch!“, ruft Ellen und grinst Daniel an, der für sie unerreichbar weit weg sitzt. Aber das scheint keinen der beiden zu stören, denn scheinbar haben sie eine Mission.

„Worauf passt ihr auf?“, frage ich, als die vielen Kellner ausschwärmen und die Glasschälchen, Teller und Nachttischschalen von den Tischen räumen.

„Ach nichts!“, winkt Ellen nur ab und lächelt dem jungen Mann zu, der fast seinen Stapel Glasschälchen fallen ließ, weil Ellen sich zuvor zu schwungvoll zurückgesetzt hatte und ihn traf, als er nach ihrem Schälchen griff.

Ich sehe Erik wieder an und er küsst mich auf die Wange und raunt in mein Ohr: „Noch zwei Stunden. Dann können wir endlich verschwinden.“

Ich nicke nur. Mir wird mulmig bei dem Gedanken, einfach alles hinter uns stehen und liegen zu lassen.

Die Gäste erheben sich und unsere Band fängt wieder zu spielen an.

Auch wir verlassen unsere Plätze und ich bin froh, ein wenig laufen zu können. Aber Erik nimmt meine Hand fest in seine und wir gehen zusammen an die Theke, an der sich die meisten der jungen Gäste versammeln. Nach dem schweren Wein und dem vielen Essen trinken die Männer lieber ein Bier und die Frauen bleiben beim Wein oder schwenken auf Sekt, Cocktails oder alkoholfreie Getränke um.

Daniel bringt Erik ein Bier und mir einen Wodka O-Saft. Er nickt Erik zu und der scheint zu wissen, was Daniel meint. Zu mir raunt er: „Trink nicht so viel! Ihr habt heute noch ein volles Programm.“

Ich nicke. Irgendwann in der Nacht geht unser Flieger, und wir müssen noch zum Flughafen fahren und einchecken. Wenn ich daran denke, rumort es wieder in meinem Inneren, wie vor unserer Trauung. Ich bin noch nie mit einem Flugzeug geflogen und ich weiß immer noch nicht, wann es wirklich losgeht und wohin wir fliegen.

Als die Tische abgeräumt sind, werden die mittigen zur Seite gestellt und geben Platz für die Tanzwilligen. Die Band fordert uns lautstark auf, den Tanz zu eröffnen.

Erik nimmt mich an die Hand und zieht mich galant auf die Tanzfläche, als der Hochzeitswalzer beginnt. Zu meinem Glück ist Erik so ein guter Tänzer, dass es mein stümperhaftes Tanzverhalten sogar elegant wirken lässt.

Die Tanzfläche füllt sich um uns herum und Erik zieht mich noch dichter in seine Arme. Ich fühle mich sofort an unseren Tanz auf der Silberhochzeit seiner Eltern erinnert.

Leise höre ich seine Stimme an meinem Ohr raunen: „Du bist so wunderschön! Ich wünsche mir, dass dies hier endlich vorbei ist und wir beide dem Ganzen entfliehen können. Es wird alles noch so unglaublich werden.“

Ich sehe zu ihm auf, als er sich wieder zu seiner ganzen Größe aufrichtet und mich mit leuchtenden Augen ansieht.

„Du machst mich wirklich neugierig“, antworte ich ihm und spüre in dem Moment, wie eine Hand sich auf meinen Arm legt und mein Vater vor mir steht. „Darf ich bitten?“

Erik lässt mich widerwillig los und wird von meiner Mutter eingefangen.

„Das ist wohl das letzte Mal, dass ich dich im Arm halten darf“, raunt mein Vater und klingt wehmütig.

Ich sehe in seine blauen Augen. „Ach Papa, so ein Quatsch. Du tust so, als würde ich für immer das Land verlassen.“

„Es fühlt sich auch so an“, murmelt er und sieht zu Erik, der mit meiner Mutter tanzt und sie anlächelt, während sie ihn zutextet. „Erik mag ja nett sein … und ich hoffe aufrichtig, er ist auch wirklich der Richtige für dich.“

„Papa!“, knurre ich. „Das steht außer Frage. Und Marcel war es nicht, glaub mir das.“

„Jaja!“, höre ich nur, während mein Vater mich dichter an sich zieht und wir über den Saal fliegen.

Herr Zeiss-Clarkson ist der nächste, der mich aus den Armen meines Vaters erlöst.

„Erik hat so ein Glück“, sagt er und grinst mich schelmisch an.

Ich sage dazu lieber nichts. Wenn ich jetzt bei jedem Tanz etwas kommentieren muss, dann prost Mahlzeit.

 

Ein neues Lied beginnt und Julian steht vor mir. „Carolin, ein Tanz mit deinem Bruder?“

Ich nicke etwas widerwillig und er zieht mich in seine Arme. Auch wenn unser Verhältnis wieder besser ist, so habe ich dennoch Schwierigkeiten mit seiner Nähe. Etwas in mir kann nicht vergessen, was er mir und Tim angetan hatte. Julian selbst scheint diesen Umstand allerdings völlig verdrängt zu haben und ich möchte nicht an Tim erinnert werden. Das stößt mich nur wieder in einen Abgrund, weil ich so glücklich bin und er tot. Ich will nicht daran denken, dass er wegen mir gestorben ist.

Wir schaffen nur wenige Umdrehungen, dann steht Daniel vor mir. Julian räumt das Feld und als Daniels Arm sich um mich legt und seine Hand meine nimmt, fühle ich mich ein wenig ruhiger.

„Alles okay?“, fragt er fürsorglich und ich nicke. Er weiß, wie ich zu meinem Halbbruder stehe.

Daniel schenkt mir ein Lächeln. „Durch diesen Tanzmarathon musst du jetzt durch und ich bin echt froh, dass du Erik nicht mehr so schnell weglaufen kannst.“

Ich seufze. „Du weißt, ich wäre ihm auch nicht weggelaufen, wenn wir nicht geheiratet hätten.“

„Wer weiß, wer weiß.“ Daniel zwinkert mir zu. Dann wird er ernst und als einer von seinen und Eriks Unifreunden auftaucht, schüttelt er energisch den Kopf und schiebt mich in einen Pulk Tanzender. Doch wir entkommen den Tanzwilligen nicht. Dort wartet Marcel und ist wesentlich energischer. Plötzlich umfangen mich seine Arme und er lächelt mich an. „Endlich! Das war ein richtiger Kampf!“ Er lacht sein dunkles Lachen und ich will gerade etwas dazu sagen, als schon der nächste abschlägt.

„Lassen Sie einen alten Kerl auch mal mit der Braut tanzen“, knurrt Dr. Bremer gespielt mürrisch, als Marcel mich nicht abgeben will. Marcel murrt nur etwas und übergibt mich widerwillig an ihn weiter.

Dr. Bremer sieht mich aus seinen gutmütigen blauen Augen an. „Es ist schön zu sehen, wie gut es euch beiden geht. Ich bin froh über den guten Ausgang eurer Geschichte. Erik stand noch nie so fest im Leben wie jetzt.“

Ich sehe zu Erik hinüber, der gerade Sabine gegen Michaela eintauscht. Sabine grinst frech und macht zu den wartenden Mädels eine Handbewegung, dass sie ihren Tanz mit Erik für eine recht amüsante und heiße Begegnung hielt. Er sieht in seinem Anzug auch unglaublich gut aus, auch wenn seine Größe und seine Muskeln dadurch nicht so sehr zur Geltung kommen.

Die anderen lachen und wirken noch ein wenig energischer darin, ihr Ziel, mit Erik zu tanzen, zu erreichen. Ich bin froh, als Andrea sich zwischen Erik und Michaela drängt, die ihn scheinbar nur ungern loslässt. Aber Erik lächelt Andrea an, als wäre er über die schnelle Erlösung froh. Ich bin auch froh. Michaela ist immer noch ein rotes Tuch für mich. Schließlich war sie damals mit Erik ins Bett gegangen, was mich erneut in Tims Arme getrieben hatte.

Erik sieht zu mir und verzieht das Gesicht, als würde ihn die Tanzerei nerven.

Ich schenke ihm ein Lächeln, während Dr. Bremer weiter sinniert: „Und dir scheint es auch wieder besser zu gehen. Und ich meine damit nicht die Auswirkungen des Unfalls.“

Ich schenke Dr. Bremer wieder meine Aufmerksamkeit und nicke. Er hatte mir nicht nur nach dem Unfall geholfen, sondern auch vorher schon, als ich mit meinen Zusammenbrüchen wegen Tim und Julian zu kämpfen hatte. „Ja, mir geht es auch gut. Dank Ihnen. Ohne Sie hätte ich das alles nicht so gut überstanden und ich hoffe, Sie bleiben uns noch lange erhalten.“

Dr. Bremer bleibt stehen und verbeugt sich vor mir. „Natürlich. Es ist mir ein aufrichtiges Anliegen, dass es euch auch weiterhin gut geht. Und solange ich dafür sorgen kann, werde ich das tun.“

„Vielen Dank, Dr. Bremer“, kann ich gerade noch antworten, als schon wieder andere Hände nach mir greifen und mich einer von Eriks Unimitstreitern in seine Arme zieht. „Warum hat Erik immer so ein Glück?“, höre ich ihn sagen und schenke ihm ein freundliches Lächeln, während mein Blick Dr. Bremer folgt, der zu Herrn Zeiss-Clarkson an die Theke geht.

Der Tanzmarathon wird bald darauf von der Band gestoppt, die darum bittet, dem Brautpaar eine Pause zu gönnen.

Sofort ist Erik wieder bei mir und nimmt meine Hand fest in seine, während wir auch zur Theke wechseln, wo Ellen und Daniel mit Getränken warten.

Mein Wodka-O-Saft besteht hauptsächlich aus Orangensaft und Eis. Mir kommt der Verdacht, dass die beiden auf meinen Alkoholkonsum zu achten haben. Um uns herum gesellen sich unsere Gäste und unterhalten sich angeregt. Ich bin etwas erstaunt, das weder Jung und Alt noch Eriks Bekanntenkreis oder meiner sich voneinander distanzieren. Wie schon beim Tanzen ergibt sich hier ein wildes Durcheinander und ich werde Zeuge erstaunlicher Gesprächsfetzen, während ich mir von meiner Mutter erneut ihre Eindrücke schildern lassen, die dieser Abend bei ihr heraufbeschwört. „Es ist alles so wunderschön! Ich dachte anfangs, das kann alles nichts werden … so ohne Kirche und so. Aber es fehlt nichts. Ihr habt eure Trauung so schön gemacht und in so einem schönen Ambiente.“

Ich erzähle ihr, was uns der Standesbeamte über den Raum gesagt hatte und sie ist noch begeisterter. „Oh, das ist ja unglaublich! Dort wurde also schon ein Frieden ausgehandelt. Deshalb ist Osnabrück wohl die Friedensstadt. Und meine Tochter hat dort ihren eigenen Weltfrieden gesichert.“ Sie lacht und fügt hinzu: „Dass sie uns da überhaupt reingelassen haben.“

„Ich denke, der wird oft für so etwas genutzt“, versuche ich einzulenken und als nicht ganz so überirdisch hinzustellen. Aber es ist klar, dass Herr Zeiss-Clarkson seine Finger im Spiel hatte.

„Und das Essen. So lecker! Und hast du die vielen Geschenke gesehen?“

Ein ganzer Tisch ist über und über mit Geschenken übersät, die alle noch geöffnet werden wollen. Aber das wird weder heute noch morgen sein.

Ich nicke und spüre Eriks Arme, die sich von hinten um mich legen. „Frau … ähm, Sophie! Carolin und ich müssen bald los. Daniel und Ellen kümmern sich um die Geschenke. Euch möchte ich bitten, uns gut zu vertreten und für uns mitzufeiern. Unser Flieger geht in ein paar Stunden.“

Meine Mutter setzt ein wehmütiges Gesicht auf. „Das werden wir, natürlich. Schade, dass es sich nicht anders machen ließ. Aber ich verstehe euch. Ihr habt schließlich nur diese wenigen Tage.“

Dass meine Mutter Verständnis zeigt, hatte ich nicht erwartet. Ich sehe Erik über die Schulter hinweg an. „Dann lass uns noch einmal zusammen tanzen“, bitte ich ihn und schaue auf seine Armbanduhr. Es ist schon viertel vor zwölf, bald Mitternacht und das Aschenputtelpaar muss verschwinden.

Mir wird noch mulmiger. Unsere Gäste wissen noch nichts davon.

Ich gehe mit Erik zu unserem letzten Tanz und sehe Daniel am Rand stehen und auf seine Uhr tippen. Erik nickt ihm zu. Er muss den Gästen noch beibringen, dass wir gleich unsere eigene Hochzeit verlassen müssen. Aber bis dahin tanzen wir beide noch einmal engumschlungen miteinander. Das Lied ist langsam und wunderschön und der Sänger hat die passende Stimme zu Stings Shape of my heard. Es klingt wie das passende Abschlusslied und als es zu Ende geht und andere Tanzfreudige auf uns zusteuern, ergreift Erik meine Hand und zieht mich zu dem Podest der Band.

Die reagiert sofort und stimmt kein neues Lied an. Und zu meiner Überraschung nimmt einer der Band meinen Brautstrauß von irgendwoher und reicht ihn mir.

Erik greift zum Mikrofon und sieht mich beunruhigt an. Doch dann gleitet so etwas wie Vorfreude über sein Gesicht und er räuspert sich und sieht zu unseren Gästen hinunter.

„Ich möchte euch allen danken, dass ihr diesen Tag mit uns gefeiert habt,“ ruft er laut, und ich sehe etwas wehmütig auf die Freunde und Verwandten, die nun bis auf den letzten verstummen und sich zu uns umdrehen.