Die Abenteuer der kleinen Lilly und andere Kurzgeschichten

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Die Abenteuer der kleinen Lilly und andere Kurzgeschichten
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Die Abenteuer der kleinen Lilly

und andere Kurzgeschichten

Sabine Siebert


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Impressum:

Personen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

© 2020 Papierfresserchens MTM-Verlag GbR

Mühlstraße 10, 88085 Langenargen

Telefon: 08382/9090344

Alle Rechte vorbehalten.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.

Lektorat: Redaktions- und Literaturbüro MTM

Cover gestaltet mit Bildern von © andreapetrlik – Adobe Stock lizenziert

ISBN:978-3-96074-279-1 - Taschenbuch

ISBN: 978-3-96074-280-7 - E-Book

Besuchen Sie uns im Internet: papierfresserchen.de

*

Inhalt

Lilly macht einen Ausflug

Lilly findet einen neuen Freund

Lillys Sturz

Lilly und der neue Waldbewohner

Wo sind die Schwammerl?

Wer hat das schönste Osterei?

Wenn Menschen

Anatol entdeckt die Welt

Aufregung im Weihnachtsdorf

Das Kuckuckskind

Der schöne Heribert

Die kleine Schwalbe Pieps

Ein zauberhafter Geburtstag

Grüni geht auf Wanderschaft

Mrs. Kibblings größtes Abenteuer

Ricky, das weiße Rehkitz

Die Autorin

Nachwort

*

Lilly macht einen Ausflug

Es war einmal ein kleines Mäusemädchen mit Namen Lilly. Sie lebte mit ihren Eltern und ihren drei Brüdern in einer gemütlichen Mäusewohnung unter einem Baum im Wald. Ihre Brüder Max, Georg und Franz waren typische Mäusejungen, die immer nur Streiche ausheckten und ihre Schwester neckten. Nicht, dass sie böse zu Lilly gewesen wären, aber sie tobten oft wild herum, sprangen über Tisch und Bänke und schubsten Lilly im Eifer um. Sie war das Kleinste der vier Mäusekinder, aber auch die Neugierigste. Alles wollte sie erforschen und ausprobieren. Sollte sie der Mutter im Hause helfen, fand sie das nicht aufregend genug. Sie verkroch sich lieber draußen unter der Hagebuttenhecke und beobachtete, was sich dort alles tat. Besonders liebte sie es, sich an Nachmittagen dort zu verstecken. Dann nämlich kamen oft Menschen mit ihren Kindern vorbei. Die meisten Kinder waren laut und tobten, ganz wie die Brüder von Lilly. Oder sie brachten ihre Hunde mit, kleine und große. Vor denen hatte Lilly immer etwas Angst. Sie erinnerten sie an den Fuchs, der ihr vor einiger Zeit einen Riesenschreck eingejagt hatte, als sie draußen in der warmen Sonne vor sich hin gedöst hatte. In allerletzter Minute hatte sie der Papa fortgeschafft. Wer weiß, was sonst passiert wäre.

Aber zurück zu den Menschen. Lilly wollte gern wissen, wie die Menschen lebten. Gar zu gerne hätte sie diese zu Hause beobachtet. Ob es in ihren Häusern auch Mäuse gab? So hing das kleine Mäusemädchen seinen Gedanken nach und hörte die Mama rufen: „Lilly, wo steckst du?“

Oh je, das hatte sie ganz vergessen. Heute war Badetag und da verstand die Mama keinen Spaß. Also sauste Lilly geschwind ins Haus und ließ sich von der Mama in die Wanne stecken. Als sie so frisch gebadet und nach einem guten Abendessen mit vollem Magen in ihrem Bettchen lag, dachte sie noch immer an die Menschen und daran, ob sie sie nicht doch einmal besuchen konnte.

So vergingen die Tage. Es wurde wieder Sonntag. Die Mittagssonne schien auf den Waldboden und die Mäuseeltern hatten sich mit ihren vier Kindern zum Mittagsschlaf gelegt. Lillys Brüder schnarchten bereits und die Eltern schienen auch eingeschlafen zu sein. Eine innere Unruhe überkam Lilly. Sie huschte aus ihrem Bett, denn noch immer spukte ihr dieser eine Gedanke im Kopf herum. Sie wollte einen Menschen kennenlernen. Sie würde ihm einfach folgen, wenn er den Wald verließ. Sie musste schnell sein, bevor ihre Eltern erwachten. Niemals hätten sie Lilly gehen lassen. Ihre Eltern glaubten, dass die Menschen nicht gut zu Mäusen wären und man sich vor ihnen in Acht nehmen müsste. Aber Lilly wollte es nicht glauben.

Sie versteckte sich wieder unter dem Busch und wartete. Zuerst kam ein Mann mit zwei großen Hunden vorbei. Lilly drückte sich auf den Waldboden, damit die Hunde sie nicht sahen. Dann kam ein Vater mit drei Kindern – zwei Jungen und einem kleinen Mädchen. Die Jungen stritten sich. Nein, die wollte sie nicht näher kennenlernen. Plötzlich entdeckte Lilly eine Frau, die immer wieder stehen blieb und sich die Bäume ansah. Die Frau gefiel Lilly und sie beschloss, ihr zu folgen. Fast lautlos krabbelte sie unter dem Busch hervor und trippelte ganz leise der Frau hinterher. Immer wieder versteckte sie sich im hohen Gras, um nicht gesehen zu werden.

Plötzlich blieb die Frau vor einem blauen Gartentor stehen. Behutsam öffnete sie die Tür und schaute noch mal zum Wald zurück. Lilly erschrak und erstarrte zur Salzsäule. Aber sie hatte Glück, die Frau hatte sie nicht bemerkt. Lilly schlüpfte durch den Zaun und konnte gerade noch sehen, wie die Frau in einem großen Haus hinter einer Tür verschwand. Jetzt überkam das kleine Mäusemädchen doch Angst. Lilly war plötzlich allein, weit weg von zu Hause, den Eltern und ihren Geschwistern. Unruhig blickte sie umher. Sie sah einen großen Garten. Eigentlich war er gar nicht so groß, aber Lilly kam er schrecklich groß vor. Und sie glaubte, überall Gefahren zu erkennen. Aber alles war ruhig. Sie konnte ein paar Spatzen in der Dachrinne schilpen hören. Die Sonne überflutete den Garten und Lilly fasste sich ein Herz und wollte den Garten erkunden. Was waren das für wunderschöne Blumen? Sie verströmten einen seltsamen, aber angenehmen Duft. Lilly trippelte näher an diese Blumen heran. Plötzlich kitzelte sie ein Blütenblatt und sie musste herzhaft niesen.

Was gab es noch zu erkunden? Neben vielen anderen Blumen, die sie entdeckte, konnte sie nicht aufhören, diese geheimnisvolle Blüte mit den vielen weißen Blüten zu betrachten. Eine weiße Pfingstrose hatte es Lilly angetan. Langsam erkundete sie den Garten. Was blinkte da in der Sonne? Oh, Lilly hatte es so eilig, dieses Etwas zu betrachten, dass sie beinahe in den Gartenteich geplumpst wäre. Gerade rechtzeitig erkannte sie die Wasseroberfläche. Nanu, was saß denn da auf einem Stein und rührte sich nicht? Es sah aus wie der dicke Willi, der im kleinen Tümpel im Wald wohnte. Aber dieses Tier war viel größer und saß ganz still.

,Lilly piepste: „Hallo du, wer bist du?“

Lilly versuchte es noch einmal: „Hallo, ich bin Lilly und wer bist du?“

Doch das Tier antwortete nicht. Lilly dachte an ihre Familie und dann kullerten ihr ein paar Tränen über ihr hübsches Gesicht.

Plötzlich bewegte sich im Wasser etwas. Als sie genauer hinsah, erblickte sie drei rot-golden schimmernde Fische. Lilly war fasziniert. Sie rief: „Hallo, wer seid ihr?“ Aber auch sie gaben ihr keine Antwort. Lillys Magen knurrte. Da fiel ihr ein, dass sie seit dem Mittag nichts mehr gegessen hatte. Auf einmal hörte sie Schritte. Da war wieder die Frau, der sie gefolgt war. Sie erschien im Garten mit einer Schüssel, aus der ein Salatblatt hervorlugte. Schnell drückte sich Lilly ins Gras, damit sie unentdeckt blieb. Wo ging die Frau mit der Schüssel hin? Jetzt erspähte Lilly einen großen schwarzen Behälter im Garten. Die Frau öffnete einen Deckel und leerte die Schüssel aus. Oh, wie es aus dem Behälter duftete. Kaum war die Frau gegangen, fand Lilly einen Spalt im Behälter und zwängte sich durch. Was gab es da für Köstlichkeiten zu entdecken? Salatblätter, Kartoffel- und Apfelschale und einiges, was Lilly noch nie gesehen hatte. Sie knabberte an allem herum, bis sie satt und schläfrig wurde. Als die Sonne unterging, schlief Lilly erschöpft ein.

Am nächsten Morgen erwachte Lilly sehr früh. Die Sonne ging gerade auf und Lilly nahm unbekannte Gerüche wahr, die sie aus dem Wald nicht kannte. Jetzt musste sie wieder an ihre Familie denken. Bestimmt würde man sie vermissen. Doch unsanft wurde sie aus ihren Gedanken gerissen, denn es schabte und trippelte vor ihrer Behausung. Als sie vorsichtig aus dem Behälter schaute, erblickte sie einen kleinen Igel.

 

Lilly flüsterte: „Guten Morgen, Igel!“

Der Igel hob den Kopf, konnte aber niemanden sehen.

Lilly wollte sich gerade zu erkennen geben. Da rief eine Stimme nach dem kleinen Igel und er lief geschwind davon. „Schade“, dachte Lilly, „mit ihm hätte ich sicher spielen können.“ Igel kannte sie, die gab es auch im Wald. Sie beschloss, zu frühstücken und sich dann im Garten umzusehen.

Aber kaum hatte sie ein Salatblatt probiert, vernahm sie wieder ein Scharren und Kratzen. Sie dachte, dass der Igel wiederkäme. Sie wollte ihn nicht verpassen und kletterte geschwind aus dem Behälter. Aber kaum war sie herausgeschlüpft, erblickte sie eine große Katze, die direkt vor ihr stand. Lilly war zu Tode erschrocken und stand ganz starr. Zwar hatte sie früher schon Katzen im Wald gesehen, aber so nah war ihr noch keine gekommen. Sie konnte sich vor Angst nicht rühren und deshalb auch nicht wieder in ihr Versteck klettern.

Aber zu ihrem Erstaunen sprach die Katze sie ganz freundlich an. „Ah, ein kleines Mäuschen, was machst du denn hier? Dich habe ich hier noch nie gesehen.“

Lilly hatte noch immer Angst, aber sie war auch neugierig. Als sie sich also von ihrem ersten Schock erholt hatte, antwortete sie der Katze: „Ich bin Lilly und komme aus dem Wald.“

Die Katze musterte sie genau und fragte dann: „Wo ist deine Familie?“

Lilly seufzte: „Sie sind zu Hause, ich bin ganz alleine hier.“

„So“ sprach die Katze. „Da hast du aber Glück gehabt, dass du mich zuerst kennengelernt hast und nicht dem Nachbarskater Hieronymus begegnet bist. Der hat kleine Mäuschen nämlich zum Fressen gern. Ich dagegen heiße Hugo und meine Besitzerin füttert mich so gut, dass ich das Jagen schon lange aufgegeben habe.“

„Was habe ich doch für ein Glück“, freute sich Lilly. „Wollen wir gemeinsam spielen?“

Hugo lachte. „Aber Lilly, das geht nun wirklich nicht. Die anderen Katzen würden mich auslachen, wenn sie uns zusammen sehen würden. Nein, Lilly, wir können nur miteinander reden, wenn keine andere Katze in der Nähe ist.“ Mit diesen Worten verabschiedete sich Hugo.

Lilly überlegte, was nun zu tun wäre. Auf alle Fälle musste sie sehr vorsichtig sein, denn sie wusste jetzt, dass es hier noch weitere Katzen gab und nicht alle so freundlich wie Hugo waren. Nachdem sie gefrühstückt hatte, wollte sie sich waschen gehen. Sie erinnerte sich, dass sich ganz in der Nähe der Teich befand. Dorthin ging sie. Sie erblickte wieder den großen Frosch, der ihr gestern bereits aufgefallen war. Er saß noch immer unbeweglich an derselben Stelle. Auch heute antwortete er ihr nicht. Das wollte sie genauer wissen. Sie ging zu ihm und als sie direkt vor ihm stand und ihn berührte, erschrak sie. Er fühlte sich ganz kalt und hart an. So einen Frosch hatte sie noch nie gesehen. „Merkwürdig“, dachte Lilly und sie nahm sich vor, Hugo zu fragen.

Den Tag über verbrachte Lilly damit, den restlichen Garten zu erkunden. Immer wieder schnupperte sie an dieser wunderbar duftenden Blume. Sie nahm sich vor, später ihrer Mutter davon zu erzählen. Nach einem ausgiebigen Mittagsmahl, das aus Salatblättern bestand, wurde sie müde und fiel in einen tiefen Schlummer. Plötzlich wurde sie durch ein lautes Geräusch geweckt. Da sie noch schlaftrunken war, konnte sie sich nicht rechtzeitig verstecken. So sahen sich die Frau und Lilly plötzlich gegenüber stehen. Und keiner kann sagen, wer mehr erschrocken war – das Mäusemädchen oder die Frau, die in den Garten gekommen war und neue Speise zu Lillys Unterkunft brachte. Die Frau stieß einen kleinen Schrei aus und Lilly erschrak so heftig, dass sie den Halt verlor und bis zum Boden des Behälters rutschte. Lilly brauchte eine Weile, um sich zu beruhigen. Sie überlegte, ob ihre Brüder wohl auch so erschrocken wären oder ob sie über Lillys Angst gelacht hätten.

Es wurde Abend. Da hörte Lilly wieder kleine Trippelschritte. Sie beeilte sich, aus dem Behälter zu kommen, und wäre beinahe mit dem kleinen Igel zusammengestoßen.

Dieser quietschte vor Vergnügen, als er Lilly erblickte. „Ja wer bist denn du?“, fragte der Igel.

„Ich bin Lilly“, stellte sie sich vor. „Und wie heißt du?“

„Man nennt mich Edi, den Träumer. Ich wohne mit meiner Mama und meinen Geschwistern in der Igelburg. Wo ist deine Familie?“

Lilly berichtete von ihrer Familie im Wald und davon, dass sie nur einen kurzen Ausflug gemachte hatte. Edi meinte: „Dann bist du ganz alleine hier. Komm doch mit mir, dann kannst du mit uns spielen.“

„Das ist wundervoll“, schwärmte Lilly. „Gerne komme ich mit.“ So lernte das Mäusemädchen die Igelfamilie kennen.

Edis Mutter fragte Lilly: „Wo lebt deine Familie?“

„Im Wald“, antwortete Lilly.

„Warum bist du nur fortgelaufen? Deine Mutter macht sich sicher große Sorgen“, fragte Mutter Igel.

„Daran habe ich gar nicht gedacht“, gab Lilly leise zu. „Ich wollte doch nur die Menschen kennenlernen.“ Jetzt stellte sie sich vor, wie ihre Mutter nach ihr suchen und sich Sorgen würde. Lilly wurde auf einmal ganz traurig. Das Spielen machte ihr keinen Spaß mehr und sie musste an ihr Zuhause denken. Nachdenklich schlich sie zu ihrer neuen Unterkunft und weinte sich in den Schlaf. Sie träumte vom Wald und ihrer Familie.

Als sie am nächsten Morgen sehr früh erwachte, fasste sie den Entschluss, sich auf den Heimweg zu machen. Sie frühstückte ein wenig und wollte dann los. Nachdem sie am Gartentor angekommen war, wusste sie nicht mehr weiter. Sie konnte sich nicht erinnern, aus welcher Richtung sie gekommen war. Alles sah so gleich aus, überall nur Straße und Häuser mit Gärten. Lilly wusste nicht, was sie tun sollte. Niemand war da, den sie hätte fragen können. Sie hoffte, dass die Frau wieder auftauchen würde und sie ihr unbemerkt folgen konnte. Den ganzen Tag wartete sie in einem Versteck nahe des Gartentores. Aber es war vergebens. Die Frau war nicht aus dem Haus gekommen. Lilly huschte durch den Garten zurück zum Behälter und weinte bitterlich.

Plötzlich hörte sie ein Kratzen. Sie glaubte, Kater Hugo wäre wieder da, und so schlüpfte sie aus ihrem Versteck. Aber oh Schreck, es war nicht Hugo. Vor ihr stand ein großer grauer Kater. Als er Lilly erblickte, leckte er sich mit der Zunge über die Nase.

„Ah, hat mich meine Nase nicht getäuscht“, sagte er. „Ich habe doch ein Mäuschen gerochen. Du kommst mir gerade recht, ich habe noch nicht zu Abend gegessen“, knurrte er.

Als Lilly seine Worte vernahm, erschrak sie fürchterlich. Sie schlüpfte, so schnell sie konnte, wieder in ihr Versteck. Der Kater war zu groß und dick und konnte ihr nicht folgen. Für dieses Mal war Lilly gerettet. Aber so konnte es nicht weitergehen. Sie hatte Angst und wollte unbedingt wieder zu ihrer Familie. Doch wer konnte ihr helfen? Sie nahm sich vor, Edis Mutter zu fragen, die konnte sicher helfen.

Am nächsten Morgen kam sie vorsichtig aus ihrem Behälter. Da sie keine Gefahren erkennen konnte, lief sie zur Igelhöhle. Sie hatte Glück, die ganze Familie war da. „Wissen Sie, liebe Frau Igel, wie ich nach Hause komme?“

Mama Igel dachte nach. Dann schüttelte sie den Kopf. „Ach, Lilly, ich kenne nur den Garten. Ich war noch niemals hinter dem Gartentor.“ Als sie Lillys Tränen sah, bot sie an: „Du kannst bei uns bleiben.“

Nun schüttelte Lilly den Kopf. „Nein, vielen Dank. Aber ich will nach Hause zu meinen Eltern und mit meinen Brüdern spielen.“ Schluchzend setzte sie sich ins Gras.

Plötzlich hörte sie eine bekannte Stimme. Es war Kater Hugo. Dieser fragte freundlich: „Lilly, warum weinst du?“

Lilly berichtete von ihrer Begegnung mit dem großen Kater, der sie fressen wollte, und erzählte, dass sie so gerne wieder nach Hause wolle, aber den Heimweg nicht mehr fand. Geduldig hörte Hugo zu. Ab und an fragte er nach. Die kleine Lilly tat ihm leid und er versprach, ihr zu helfen. Sie sollte schlafen gehen und am nächsten Morgen wollte er sich bei ihr melden. In dieser Nacht schlief Lilly gut. Sie vertraute Hugo.

Mit den ersten Sonnenstrahlen stand Hugo vor ihr. Er erzählte: „Ich habe überall herumgefragt und jetzt weiß ich, wo dein Zuhause liegt. Die Frau in diesem Haus geht öfter in den Altowald.“

„Fein, wie komme ich in den Altowald?“, fragte Lilly.

„Hm“, meinte Hugo. „Ich male es dir am besten auf.“ Schon streckte er seine Krallen. Doch dann meinte er: „Nein, der Weg ist für eine kleine Maus zu gefährlich. Ich werde dich selbst zu deiner Familie bringen.“

Lilly hüpfte um den Kater herum und sang vor lauter Freude.

„Pst, nicht so laut“, mahnte Hugo. „Niemand darf erfahren, dass ich, der große Hugo, einer Maus helfe. Was glaubst du, würden die anderen Katzen von mir denken?“

„Du hast recht“, gab Lilly kleinlaut zu. „Sie dürfen es nicht erfahren.“

„Nein. Niemals. Lilly, du schläfst den ganzen Tag und heute Abend, wenn die Sonne untergegangen ist, hole ich dich ab.“

Lilly begann schon wieder zu hüpfen. Vor Aufregung konnte sie lange nicht einschlafen.

Mit den letzten Sonnenstrahlen erschien Hugo bei Lilly. „Bist du bereit?“, fragte er.

Lilly nickte und war ganz aufgeregt. Sie stellte sich neben Hugo und es ging los. Der Kater hatte sich gut vorbereitet. Behutsam führte er Lilly aus dem Garten und über die Straße. Da es bereits dunkel war, würde ihnen kaum jemand begegnen. Er hatte Lilly eingeschärft, genau das zu tun, was er ihr sagen würde. So ging sie nah an den Gärten entlang, um sich bei Gefahr sofort im Gras verstecken zu können.

Eine Weile ging alles gut. Aber plötzlich kam ihnen ein großer Hund entgegen. Hugo hatte ihn rechtzeitig entdeckt und Lilly versteckt. Er selbst war auf einen Baum geklettert und der Hund war an ihnen vorbeigelaufen, ohne Notiz von ihnen zu nehmen. Als die Gefahr vorüber war, gingen sie weiter. Es wurde immer dunkler. Aber Hugo konnte mit seinen grünen, funkelnden Augen sehr gut sehen. Sie kamen gut voran. Mittlerweile war der Mond aufgegangen und auch Lilly konnte wieder besser sehen. Sie hatten fast den Waldrand erreicht, als sie eine raue Stimme vernahmen. „Guten Abend, Hugo, wo willst du denn hin?“

„Ach, du bist es, Minka“, antwortete Hugo. „Ich will noch einen kleinen Spaziergang machen, die Nacht ist so angenehm.“

„Früher war ich auch viel unterwegs“, war Minka wieder zu vernehmen, „es gab so viele Mäuse hier auf dem Bauernhof. Aber heute tun mir die Knochen weh und die Bäuerin füttert mich gut. Da muss ich nicht mehr selber jagen.“

„Einen schönen Abend noch“, sagte Hugo.

Minka schlich weiter. Als sie außer Reichweite war, sprach Hugo: „Kannst wieder rauskommen, Lilly. Sie ist weg.“

„Ich hatte ein bisschen Angst“, gab Lilly zu. „Ich dachte, sie riecht mich.“

„Nein, Minka ist schon recht alt, hat abgewetzte Zähne und das Gehör hat auch nachgelassen. Wahrscheinlich auch die Nase. Das war der letzte Bauernhof. Ab jetzt wird es leichter.“

„Wenn wir in den Wald kommen, müssen wir auch aufpassen“, meinte Lilly. „Mein Papa sagt immer, dass nachts die Eulen und Füchse unterwegs sind.“

Hugo schmunzelte: „Bestimmt erzählen die Eltern das ihren Kindern, damit sie des Nachts nicht draußen sind.“

Doch Lilly wusste, was ihr Papa sagte, stimmte. Aber sie wollte mit Hugo nicht streiten. Der Weg hatte Lilly sehr angestrengt, sie schlief fast im Gehen ein.

Als Hugo das sah, entschloss er sich, eine Rast einzulegen. „Wir machen eine Pause“, entschied Hugo.

„Ich bin gar nicht müde“, protestierte Lilly.

„Aber ich brauche jetzt eine kleine Ruhepause.“ Die beiden setzten sich und Lilly fröstelte. Da streckte sich Hugo: „Komm, leg dich zwischen meine Pfoten, dann kann ich dich wärmen.“ Das ließ sich Lilly nicht zweimal sagen. Kaum lag sie, war sie auch schon eingeschlafen. Auch Hugo döste vor sich hin.

Lilly erwachte, als die ersten Sonnenstrahlen ihre Nase kitzelten. Genüsslich rekelte sie sich.

Auch Hugo streckte sich. „Erkennst du den Platz?“, fragte er Lilly.

Sie schaute umher, lief hierhin und dorthin, piepste: „Ja, da vorne beginnt unser Wald.“ Noch nie war er ihr so schön vorgekommen. „Es ist nicht mehr weit“, sagte sie.

Und tatsächlich: Eine Viertelstunde später standen sie vor der Mäusewohnung. Aber es war niemand zu sehen oder zu hören. Lilly rief laut nach ihren Brüdern. Es kam keine Antwort. Ängstlich blickte sie sich um. Was konnte passiert sein? Sie schlüpfte in die Wohnung und konnte nichts Verdächtiges entdecken. Es sah aus, als ob die Familie gerade die Wohnung verlassen hatte.

 

Kater Hugo entschied, dass sie eine Weile warten wollten. Vielleicht war die Mäusefamilie unterwegs und kehrte bald zurück. Hugo und Lilly ließen sich vor der Behausung nieder. Die Sonne schien ihnen auf das Fell und beide wurden schläfrig und schlummerten eng aneinander gekuschelt ein.

Plötzlich wurden beide von einem Kreischen und Piepsen geweckt. Erschrocken blickten Hugo und Lilly auf. Nicht weit entfernt war die ganze Mäusefamilie aufgetaucht. Die Mutter weinte, als sie ihre Lilly in den Pfoten eines Katers sah. Der Vater hatte sich gerüstet und wollte mit einem Stock dem Kater zu Leibe rücken, um sein geliebtes Kind zu retten. Die Brüder Franz und Georg piepsten aufgeregt und Max versuchte, seine Schwester vom Kater wegzulocken. Als Lilly ihre Familie sah, sprang sie auf und rannte zu ihnen. Sie flog der Mama in die Arme, während der Vater den gewaltigen Kater nicht aus den Augen ließ.

„Kommt, begrüßt Hugo“, forderte Lilly ihre Familie auf.

„Wir sollen einen Kater begrüßen?“, fragte Franz und sah seine Schwester verwundert an.

„Ja, Hugo ist ein ganz lieber Kater. Er hat mich beschützt und nach Hause gebracht.“

Jetzt ging Lillys Vater zu Hugo und verneigte sich: „Verzeih, ich habe dich verkannt. Ich danke dir, dass du unsere Lilly beschützt hast.“

„Schön gut“, gab Hugo zurück. „Das ist kein Grund, ein solches Gehabe zu machen. Das muss auch unser Geheimnis bleiben. Niemandem dürft ihr das erzählen. Ist das klar?“

Betreten sahen sich die Mäuse an.

„Aber du bist doch ein Held“, piepste Max. „Das müssen alle erfahren.“

„Nein niemals“, riefen Hugo und Lilly gemeinsam.

„Stell dir vor“, erklärte Lilly ihrem Bruder, „was passieren würde, wenn die anderen Katzen davon erfahren würden. Das bleibt unser Geheimnis. Ehrenwort.“ Dann ließ sie die ganze Familie den Mäuseeid schwören.

„Für mich wird es nun Zeit“, meinte Hugo. Zum Abschied strich er Lilly sanft mit der Pfote über ihren Kopf. „Leb wohl, kleine Lilly.“

„Kommst du mich mal besuchen?“, fragte Lilly.

„Schon möglich“, verabschiedete sich Hugo und trabte los.

Die ganze Mäusefamilie blickte ihm nach. Doch dann musste Lilly erzählen, was sie alles erlebt hatte. Franz, Georg und Max staunten nicht schlecht und lobten Lillys Mut, während ihre Mutter sich ängstigte, wenn Lilly von der Katze sprach. Natürlich berichteten die Eltern und ihre Brüder, wie sie verzweifelt nach Lilly gesucht hatten. Jedes Tier im Wald hatten sie gefragt, aber keiner hatte Lilly gesehen. Das Erzählen dauerte bis zum Sonnenuntergang. Bald darauf brachte die Mama Lilly zu Bett. Und Lilly musste versprechen, nie wieder wegzulaufen. Zufrieden und glücklich schlief Lilly ein und träumte von ihren Abenteuern im großen Garten mit der wunderschönen Blume.