Gittas Bilder

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Gittas Bilder
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Sabine Rydz

Gittas Bilder

Künstler-Erzählung

Engelsdorfer Verlag

Leipzig

2015

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Copyright (2012) Engelsdorfer Verlag

Alle Rechte beim Autor

Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2015

www.engelsdorfer-verlag.de

Inhaltsverzeichnis

Cover

Titel

Impressum

1. Kapitel Venedig, Markusplatz – „Grand Caffé Quadri“

2. Kapitel Eine Vaporetto-Fahrt über den Canal Grande

3. Kapitel Gondelfahrt auf dem Canal Grande

4. Kapitel Essen gehen im Stadtteil Dorsoduro

5. Kapitel Spaziergang

6. Kapitel Das „Grand Caffé Florian“

7. Kapitel Auf der Suche nach dem Marchese

8. Kapitel Besuch beim Marchese

1. Kapitel
Venedig, Markusplatz – „Grand Caffé Quadri“

Heute Ausstellungs-Eröffnung in Venedig: „Sozialistische Frauen-Portraits aus der DDR.“

So oder so ähnlich lautete wohl vor 25 Jahren eine Schlagzeile in der venezianischen Lokal-Presse, die für unsere Bilder Werbung machen sollte, unglaublich aber wahr, zwei Portraits von meiner verstorbenen Maler-Freundin Gitta durften seinerzeit die kühne Reise über die „Berliner Mauer“ zu einem fast olympischen Bilder-Wettbewerb nach Venedig antreten.

Für Gitta bedeutete es zum damaligen Zeitpunkt die Erfüllung eines künstlerischen Traumes, den sie nie gewagt hätte zu träumen, weil man ja schon bei dem Gedanken nach Venedig reisen zu wollen an der Passkontrolle am Flughafen Berlin-Schönefeld festgenommen wurde, so unmenschlich und schizophren waren das DDR-System und seine Machthaber in der bitterschweren Zeit.

Für mich war es, als hätte sich mein Portrait inbrünstig in den Louvre gebohrt und als würde jemand ein Drehbuch darüber schreiben, einen Film drehen, in dem sich Gittas Kunst für Momente offenbart, aber eigentlich wollte ich jetzt sofort nach Paris, um eine Model-Karriere zu starten, doch leider wie immer in diesem Land nur eine Illusion, eine Extravaganz, aber mein Portrait ging fast auf Weltreise. Nur Bärbel saß traurig auf dem Sofa und zerknüllte die Entscheidung des Verbandes Bildender Künstler, dass ihre Bilder nicht in Venedig ausgestellt werden können, als wir sie am Nachmittag in ihrer Wohnung besuchten, aber die Gründe blieben natürlich geheim, alles top secret, aber jeder im Prenzlauer Berg wusste, dass der Verband sie damit nur wieder demütigen wollte, weil sie gewagt hatte, den sozialistischen Staat zu kritisieren.

Das Imperium schlug aus kurzer Entfernung zurück, und ließ ihre Bilder nicht außer Landes, sondern ordnete strikt an, sie könne demnächst Bau-Zäune im Stadtbezirk Mitte bemalen, dass wäre auch eine lohnende künstlerische Aufgabe für eine Malerin.

Wir tranken Rotwein und schauten uns immer wieder fassungslos an. Bärbel sagte plötzlich leise zu Gitta: „Ich werde diese Tätigkeit nicht annehmen, da kann der Verband machen, was er will.“

„Da hast du recht, lass dich nicht unterkriegen“, erwiderte Gitta zögerlich, weil sie nicht wusste, was sie vor Wut denken oder machen sollte?

Sicherlich würde Bärbel in den nächsten Tagen verschiedene Haltungen gegenüber dem Verband ausprobieren, aber hoffentlich hatte sie sich nicht künstlerisches Versagen eingebildet, denn dazu bestand ja kein Anlass. Aber man hadert in solchen Situationen mit sich und der Welt.

Nach diesem grausam-deprimierenden Thema wechselten wir zu Belanglosigkeiten, um unseren Schock abzureagieren. Aber natürlich war das kein Abreagieren, sondern nur eine simple Verdrängung. In Wirklichkeit beschämte uns Bärbels Absage zutiefst. Gitta klammerte sich mit beiden Händen an das Rotweinglas, und ich rauchte eine Zigarette nach der anderen, um meine Nerven zu beruhigen, denn wir waren unglücklich, verzweifelt und wütend zugleich, weil unter solchen Bedingungen keine Freude mehr über die bevorstehende Ausstellung in Venedig aufkommen konnte.

Aber eigentlich war es für den Prenzlauer Berg eine echte Sensation, denn damals war er noch nicht zum Yuppie-Wohn-Bezirk mit Loft-Wohnungen avanciert, sondern stachelte als Kunst- und politischer-Widerstands-Bezirk die gesamte DDR an, sehr zum Leidwesen der Administration. Unser Prenzlauer Berg war die Keimzelle der „Friedlichen Revolution“. Tage- und nächtelang kursierte aber Gittas aufregende Bilder-Reise durch Cafés und Kneipen, sogar an der Curry-Wust-Bude auf der Schönhauser Allee wurde darüber gesprochen. Und tatsächlich Wochen später verpackten Gitta und ich unsere Bilder und bereiteten sie auf ihre abenteuerliche Reise vor.

Mit geheimnisvoller Leidenschaft sprachen wir über Venedig. Diese Stadt war für uns weiter weg als der Mond, verheißungsvoll und Lichtjahre von uns entfernt, aber unsere Euphorie borderte über, denn ohne diese übersteigerte Freude hätte es für uns keine Ideen, keine Inspiration und kein Lebensziel mehr gegeben, es keimte Hoffnung auf politische Veränderung auf.

Eine bizarre Ausstellung in einer für uns außerirdischen und unerreichbaren Stadt hatte uns wie ein Stromschlag aufgeweckt, wachgeküsst, und uns verwandelt in sinnlich-erotische wie auch tugendhafte Nymphen. Reflexe dieser Kultfiguren durchzogen unser Fühlen und Denken, und für mich war es fast wie die verspätete Geburt der Venus, und der Auftritt unserer Portraits würde sich nie mehr wiederholen, aber es begann eine Transformation unserer Persönlichkeiten, eine Emanzipation der besonderen Art sollte es werden. Gitta würde möglicherweise bis ans Ende ihrer Tage zur Meisterin der modernen Portraitmalerei avancieren. Von unseren Portraits mussten wir Abschied nehmen, denn wir bekamen vom Kultur-Ministerium keine Bordkarten für den Flug, deshalb brauchten wir auch nicht hektisch einen Gepäckschalter zu suchen. Wir als Personen durften natürlich nicht in die Lagunenstadt reisen, um der Serinissima unsere Aufwartung zu machen. Schon der leise Gedanke daran erfüllte in der bitter-schweren Zeit den Straftatbestand des Vaterlandsverrats, so schizophren und grausam war dieser Staat. Aber diese Zeiten sind Dank der „Friedlichen Revolution“ vorbei, und ich kann jetzt auch immer nach Venedig reisen, wann ich will.

Ja und so war ich eben wieder nach strapaziöser Busfahrt von München quer über die Alpen in Venedig gelandet, in meiner Traumstadt, wo es keinen Unterschied gibt zwischen Touristen und Stars. Das Notwendige ist hier angenehm, und das Unangenehme ist in Venedig erträglich, hier beobachtet man nicht, sondern man wird positiv beeinflusst, aber nicht um zu konsumieren, sondern um zu reflektieren. Fotografen werden zu Ethnographen, und Abenteurer entwickeln sich zu Forschern und gehen hier auf Recherche. So wie ich heute, das war mein angesagtes Ziel, endlich den Palast der Bilder, wo sie vor 25 Jahren ausgestellt waren, zu finden. Aber wo?

Glücklich ließ ich mich erst einmal auf einem der vornehmen Plätze dieses ehrwürdigen Grand Caffé Quadri fallen. Erholen musste ich mich von den Reise-Strapazen, aber ohne Kampf kein Sieg, und ohne Engagement gibt es keine Ergebnisse. Diese kulinarische Stärkung sollte der Worm-up für meine Recherche-Tätigkeit sein. Aber ohne Hektik und Stress geht es in Venedig nicht und schon gar nicht auf dem Markusplatz, wo sich jeder Tourist Tag und Nacht selbst inszenieren möchte und in Glanz und Schönheit versinkt.

Aber nach Selbstinszenierung war mir im Moment nicht, sondern ich las die Speisekarte hoch und runter. Leider war sie nur in italienisch – auch nicht gerade sehr gastfreundlich, aber Italiener haben keine Übersetzungen nötig, genauso wie die Franzosen. Oder aber es ist eine raffinierte gastronomische Methode, um den Umsatz zu steigern. Na ja, ohne etwas von den venezianischen Spezialitäten verstanden zu haben, bestellte ich mir Minuten später beim gutaussehenden Kellner Cappuccino und einen Apfelstrudel, das war ich mir einfach schuldig. Nach der langen Reise musste das jetzt sein, egal wie teuer alles werden würde, Geld spielte heute keine Rolle. Ein Mineralwasser gehörte auch noch zu meiner Bestellung, denn vornehm geht die Welt zu Grunde, vor allem in der Hauptstadt des Größenwahns. Hier war ja der Meeting-Point der historischen Trendsetter wie Casanova, Vivaldi und dem Androgyn-Kastrat Farinelli, die hier nicht nur Triumphe feierten, sondern auch dunkle Ringe unter den Augen hatten und von ihrem Elend mit heruntergezogenen Mundwinkeln sprachen. Dabei klangen ihre Stimmen nach Schmerz und Entsagung, denn ohne Geld boten auch die stadtbekannten Kurtisanen ihre Dienste nicht mehr feil, leider. Dumm gelaufen würde man heute sagen, aber ich wollte ja keine Kommentare zum kapriziösen Lebenswandel von Barock-Größen abgeben. Ich lechzte nicht nach ihnen, doch nach Casanova schon, aber der Palast der Bilder musste gesucht und gefunden werden, und das war schon ein schweres Unterfangen.

 

Die fragile Dynamik des Suchens kam mir wie eine schwere Zauberformel vor, die aber heute unbedingt eingelöst werden musste. Dabei hatte ich immer die grandiose Endzeit-Sinfonie von Gustav Mahler aus „Tod in Venedig“ im Ohr. Was ging mir jetzt nicht alles durch den Kopf, wirre Gedanken schwirrten so durch die venezianische Luft, unbeschreiblich, aber wen haben wohl seinerzeit unsere „Sozialistischen Frauen-Portraits“ interessiert und wer hat sie sich angesehen? Diese Frage eröffnete sich jetzt, denn die Museen und die stolzen venezianischen Paläste sind doch voll bis unter die Decken gefüllt mit den frühen Symbolen befreiter Malerei: Klimt, Renoir, Corbet, ganz zu schweigen von den Lokal-Matadoren Tintoretto, Canaletto und Tizian, könnte ich ein Original sehen, würde ich vor Glück schreien, lachen, weinen oder sofort ohnmächtig werden, selbst Heilige würden dafür ihre Seele verkaufen, nicht nur Gitta, Bärbel und ich.

Eigentlich ist doch die ganze Recherche ein sinnloses Unterfangen, die bekannte und unbekannte Nadel im Heuhaufen. Sisyphos ließ grüßen, aber beim Stein nach oben rollen, soll man ja zu brauchbaren Erkenntnissen kommen.

An allen Tischen saßen Touristen und bestellten Leckereien beim Kellner. Es kam mir vor wie eine moderne Opernaufführung, aber ohne Partitur einfach so, aus dem Stehgreif. Die Stimmen der Menschen bekamen einen freundlichen Unterton, wenn sie Cappuccino bestellten, und der Kellner lächelte ebenfalls, wenn er servierte. Der Markusplatz war eben die Avantgarde-Opernbühne der Welt und zwar für alle Menschen. Jeder wollte und konnte hier mitspielen und auch mitsingen, das war mir jetzt zum ersten Mal klar geworden, nur die farbige Stimme von Super-Tenor Pavarotti fehlte für das feierliche Finale, leider.

Aber ich musste mich jetzt auf meine Recherche vorbereiten, bei meinen Vorreisen hatte ich ja schon alle wichtigen Paläste fotografiert und alles gesammelte Material zu Hause ausgewertet, aber ich kam zu keinem konstruktiven Ergebnis. Dieser Palast könnte es gewesen sein oder jener, vielleicht auch nicht. Ich sah den Wald vor lauter Bäumen nicht, wie man diese Art Begriffsstutzigkeit nennt. Meine Hände klammerten sich jetzt um das Mineralwasserglas, und ich starrte auf die Basilika und konnte das innere Gespräch einfach nicht fortsetzen, es machte sich die allgemeine Recherche-Depression breit bei mir. Schrecklich, ich schaute jetzt gebannt zum Dogenpalast, und mir fiel ein, dass die ehrwürdigen Dogen während ihrer Amtszeit Venedig nicht verlassen durften. Fast wir in der ehemaligen DDR – nur bei uns durfte das einfache Volk nicht das Land in Richtung Westen verlassen, dafür die Bonzen und ein paar systemtreue Künstler, die den Sound des Politbüros sangen. Verkehrte Welt – einfach paradox. Leider konnte ich diesbezüglich niemanden fragen, schon gar nicht den Kellner, der mir aber endlich den duftenden Cappuccino und auch den Apfelstrudel brachte, mir fiel ja auch schon fast der Magen heraus. Doch ich traute meinen Augen nicht, der teure Apfelstrudel, der mir elegant serviert wurde, war nicht nur alt, sondern asbach uralt, um nicht zu sagen vertrocknet. Bloß gut, dass er noch nicht den Aggregatzustand gewechselt hatte. In Berlin oder München hätte ich ihn sofort zurückgegeben, aber hier in Venedig wollte ich mir selber nicht die Laune verderben, also biss ich herzhaft hinein, denn der Hunger war unerträglich. Bloß gut, dass ich mir nicht noch einen Zahn ausgebrochen hatte, Gott sei Dank, so extrem wurde die Situation dann doch nicht. Na ja, nachdem ich einen Schluck vom köstlichen Cappuccino genommen hatte, war ich glücklich, wollte auch nichts mehr kritisieren, sondern lächelte milde und genoss die Atmosphäre einer zu Stein gewordenen Kultur. Doch plötzlich sah ich Desdemona und Othello, wie sie am Dogenpalast vorbei gingen, verliebt wie einst, als sie von Herrn Shakespeare erschaffen wurden. Dass sie so backstage unterwegs sind – gerne hätte ich mich mit Othello unterhalten, ob er sich für den Fall der „Berliner Mauer“ genauso engagiert hätte wie gegen die Türken – doch sie waren genauso schnell wieder verschwunden, wie sie gekommen waren – ein Tagtraum oder hatte ich schon bereits Halluzinationen? Nein, natürlich nicht, aber wer interessiert sich heute schon für Othello? Ein paar Theater-Fans und ich natürlich, denn ich bin ja Literatur-Fan. Ganz im Gegensatz zu Gitta und Bärbel – sie waren ja nicht so literaturbegeistert. Na ja, die beiden Meister-Malerinnen sind mehr in Kooperation zu Farben und Leinwänden, sowie Modellen und Museen gegangen. Nein, das werte ich auch nicht als Arroganz, sondern das sind die menschlichen Dramen von Malerinnen.

In dieser so entspannten Situation musste ich unbedingt noch ein paar Postkarten an Bekannte und Verwandte schreiben. Und wie ich so schrieb und in der anderen Hand die Cappuccino-Tasse hielt, fing eine Live-Kapelle zu spielen an – eine wunderbare Untermalung für meine Schreibtätigkeit. Stundenlang hätte ich hier sitzen können bei „Arreviderci Roma“ oder „Oh solo mio“ auf dem schönsten und teuersten Platz Europas, denn als die Rechnung kam, wurde ich fast ohnmächtig. Aber als Dame von Welt habe ich mir nichts anmerken lassen, im Gegenteil, ich bin ja auch größenwahnsinnig und habe dem Kellner noch ein ordentliches Trinkgeld gegeben – was soll der Geiz, in meiner Traumstadt lasse ich mich nicht lumpen.

Während ich den letzten Schluck des Cappuccinos schlürfte, überlegte ich nun ernsthaft in welchem Palast unsere Bilder wohl gehangen haben könnten? Na, hier um den Markusplatz herum konnte die Ausstellung nicht stattgefunden haben, es musste schon in einem der hochherrschaftlichen Stadtpaläste am Canal Grande gewesen sein. Da war ich mir sicher!

Also auf in den Kampf, wäre doch gelacht, wenn wir Preußen nicht das erreichen, was wir uns vorgenommen haben!

Hektisch sprang ich auf, weil ich natürlich innerlich aufgewühlt war. Ich stand unter Erfolgsdruck, auch Gitta zu Liebe wollte ich den ominösen Palast finden. Eilig lief ich durch die wild-romantischen Gassen an kleinen Brücken vorbei, über Hinterhöfe. Die Orientierung in Venedig fällt schwer, weil man sich die Linienführung des Canal Grande nicht einprägen kann. Es handelt sich nämlich um zwei Halbkreise, die gegenläufig verlaufen. Das konnte mich aber nicht abhalten, denn als ich jetzt um die Ecke bog, war ich endlich an einer Vaporetto-Haltestelle angekommen.

2. Kapitel
Eine Vaporetto-Fahrt über den Canal Grande

Bloß gut, dass nicht so viele Leute auf das Vaporetto strömten, so hatte ich einen wunderbaren Platz in der ersten Reihe ergattert, so dass ich alles fotografieren konnte. War ja wichtig, weil so auf die Schnelle konnte man sich die Paläste ja nicht einprägen.

Und als ich so elegant über den Canal Grande schipperte, wie wir in Berlin sagen, musste ich wieder an unsere Portraits denken. Weshalb sie überhaupt nach Venedig durften? Denn nur die Fürsprache des Verbandes konnte es allein nicht gewesen sein, aber vielleicht waren unsere Portraits gut für das DDR-Image – arbeitende Frauen in einem Sozialstaat, das ist natürlich eine gute Werbung. Ja das könnte die Erklärung sein, denn Erich Honecker tat ja fast alles für die makellose Anerkennung der DDR im kapitalistischen Ausland.

Ja, vielleicht hofften unsere Kulturbonzen damals, dass unsere Bilder Millionen einbringen könnten, denn Gitta wurde ja von unseren Kunstkritikern in Ostberlin als der weibliche Vincent van Gogh bezeichnet. Doch von den sensationellen Summen des wirklichen Vincent van Gogh waren Gittas Gagen natürlich Lichtjahre entfernt. Aber zur Ausstellungseröffnung in Venedig wären sicherlich auch Elton John, Isabella Rosselini, Wolfgang Joop und auch Karl Lagerfeld gekommen, jeder würde mit Gitta kommunizieren wollen, Mikrofone und Handys flimmerten und piepsten, das Allerwelts-Geplapper lief auf Hochtouren, Agenten würden die Bilder ordern wollen und der hingehauchte Charme der Prominenz würde den Wert unserer Bilder ins unermessliche steigern, so dass wir uns später in der Karibik-Sonne bräunen könnten. Keiner hätte bei uns mehr DDR-Winterblässe erkennen können und auch keine Sorgenfalten über das System, makellos schön wären wir geworden, und das sogar ohne eine Schönheitsklinik in der Schweiz aufzusuchen.

Ja, Erfolg macht einfach jung und schön, ob Kapitalismus oder Sozialismus – und vor allem erotisch. Das konnte aber nur gelingen, weil Gitta für uns im Prenzlauer Berg die Inkarnation der begabten Malerin war. Und sie kannte ihre Vorzüge und Begabungen, aber sie stand auch zu ihren Fehlern und sie hat das höchste Lob verdient. Sie war einfach menschlich, aber wo verdammt noch mal ist bloß der Palast, dieser ominöse Palast, der unsere Portraits beherbergt hat? Ich werde hier noch verrückt, er muss doch hier in der Nähe sein – ich kam mir vor wie in einem verzauberten Wald von Palästen.

Ich beruhigte meine Nerven und aß einen Apfel, schaute aber immer wieder gebannt auf die Paläste, die majestätisch wie Trutzburgen aus dem Wasser ragten und an uns vorbei schwebten, aber sie verrieten mir nicht ihr Geheimnis. Sie waren in der Regel dreigeschossig, aber jeder Palast hatte eine andere Ornamentik. Insgesamt aber bestand ein Zusammenklang zwischen ihnen, es war wie bei einer Symphonie, deren unterschiedliche Töne ineinander spielten.

Aber ich musste das wichtige Detail finden, woran man erkennen konnte, dass es der damalige Palast der Bilder war. Es war fast wie eine Prüfung im Märchen, aber wenn mir schon die Götter nicht helfen, dann doch wenigstens eine gute Fee oder der Teufel mit den drei goldenen Haaren, aber hoffen und harren tun nur die Narren. Ich musste einfach weiter suchen, aus basta.

Aber egal, die kunstsinnigen Venezianer haben sicherlich, als die Bilder ausgestellt waren, die Schönheit der sozialistischen Frauenportraits erkannt, vor allem die Meisterlichkeit ihrer Pinselführung bewundert, fast wie bei Albrecht Dürer. Denn Gittas Bilder haben auch die grüblerische Tiefe wie der große Meister aus Nürnberg, der zu seiner Zeit den höchsten Lebensstandard in Nürnberg besaß, fast genauso wie Gitta. Das hätte sie auch leicht schaffen können bei uns im Prenzlauer Berg, aber so richtig mit Geld konnte sie eben nicht umgehen, aber es reichte trotzdem für das Leben im allgemeinen und auch im besonderen, denn Lebensmittel und Mieten waren ja spottbillig, und für kostspielige Reisen brauchten wir ja auch kein Geld, denn es gab sie nicht für DDR-Bürger – so einfach konnte das Leben sein. Deshalb fehlten Gitta auch exotische Motive im Hinter- und auch im Vordergrund, aber das tat ihrer Kunst keinen Abbruch, ganz im Gegenteil. Unsere sozialistischen Künstler nahmen ihre Umgebung stärker wahr, so rückten eben Häuser, Gärten, belebte Straßen und Plätze in den Mittelpunkt des künstlerischen Schaffens, und Portraits von Freunden und Bekannten, wie bei Gitta und Bärbel und anderen Malern der Ex-DDR. Es gab aber auch künstlerische Weiterbildungsveranstaltungen, die bei Malern und Bildhauern beliebten Plenair. Da durften Künstler nach Bulgarien in einen Steinbruch reisen, machten wochenlang figurine Bildhauertätigkeiten oder Open-Air-Malerei. Aber es haben auch wüste Nächte mit fast tödlichen Trinkgelagen stattgefunden, wo es an die Schmerzgrenze ging, und zum Frühstück sind die Künstler barfuß und nur in Tunika erschienen, aber es hat auch seligmachende Sonnenuntergänge gegeben, die sie mit Bleistift festhielten.

Gitta hätte sich in ihrem künstlerischen Schaffensprozess vielleicht noch mehr auf erotische Motive konzentrieren sollen. Sie hätte uns alle als „Sexy Clips“ der spätsozialistischen Welt malen sollen, das hätte später auch den Erfolg auf dem internationalen Kunstmarkt gebracht. Wir hätten hier auf dem Markusplatz Champagner bis zum Abwinken trinken können, ach was sage ich, in Champagner hätten wir gebadet und Bananenblütensalat dazu gegessen. Gitta wäre die reichste Frau Ostberlins geworden, und ich wäre fest als taffe Managerin an ihrer Seite. Ja, das sind Perspektiven, keine romantischen Träume.

In einem anziehend-fordernden Chanel- oder Valentino-Kostüm hätte ich überall auf der Welt Vernissagen organisiert, aber wir wären nicht nur auf Bilderausstellungen aufgetreten, nein auch aufregende, nie dagewesene Disco-Sound und Rockstar-Glamour-Sezessionen hätten wir in Ostberlin für den Rest der Welt veranstaltet. Das können sie mir glauben! Oder wir wären vielleicht alle in Bautzen im Stasi-Knast gelandet, weil alles zu dekadent gewesen wäre. Vor allem alles an den Bedürfnissender Arbeiterklasse vorbei. Ja, Bautzen war seinerzeit sicherlich in Reichweite für uns alle, vor allem natürlich für Bärbel, die im Dauerklinsch auf Grund ihrer permanenten Kritik mit dem Verband Bildende Künste lag, aber auch mit der hohen politischen Administration. Bärbel Bohley war die mutigste DDR-Frau, sie ließ sich nicht unterkriegen …

 

Immer wieder schaute ich auf die Paläste, konnte aber nichts Auffälliges, was für meine Recherche wichtig gewesen wäre, erkennen. Alles hatte sich gegen mich verschworen!

Irgendwie hätte ich mich auf diese Reise besser vorbereiten sollen, im Vorfeld Briefe an offizielle Stellen schreiben sollen, an die Stadtverwaltung hier in Venedig oder an die Italienische Botschaft in Berlin. Da hatten wir ja damals Gittas großes Puppenbild hingebracht, weil die Italienische Botschaft es von ihr über den Verband Bildender Künstler in Ostberlin abgekauft hatte. Wie der Deal zustandegekommen ist – bis heute weiß ich nichts Genaues darüber. Aber für Gitta war es ein nicht nur prestigemäßiger Erfolg.

Ja, die Palast-Suche wäre konstruktiv gewesen, wenn ich die Italienische Botschaft aufgesucht hätte, aber hinterher ist man immer schlauer. Alles lamentieren hilft auch nicht weiter, jetzt muss gesucht werden, und zwar der richtige Palazzo. Aber bitte keine Hysterie, keine Hektik, jetzt ist spirituelle Aufgeschlossenheit in jede Richtung nötig, unbeirrbares Vertrauen in die eigene Kraft und Bereitschaft war angesagt. Hoffentlich ist die ganze Sache lösbar, aber eine gewisse Ambivalenz lag in der Luft.

Optimistisch wollte ich jetzt sein, doch leider bin ich keine Hellseherin, aber wer sucht, der findet, vor allem die bekannte Nadel im Heuhaufen. Traumverloren saß ich auf dem Vaporetto und steuerte den stolzen Palästen entgegen. Jetzt müsste mir hier Beuys begegnen, das wäre der Hype, es würde die Situation schlagartig ins Positive verwandeln. Er könnte mir sofort helfen, sein Charisma und seine Kunst haben auch Gitta und Bärbel schwer beeindruckt. Ich fand ihn immer irgendwie skurril, und dass er eine tragende Säule der avantgardistischen Kunst war, wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Aber egal, unser Vaporetto fuhr selig weiter, und wir kamen zum Palazzo Manin-Dolfin, er wurde 1538 bis 40 gebaut von Sansovino, aber nur eine klassizistische Fassade ist erhalten geblieben. Das Innere ließ Ludovico Madin, letzter Doge von Venedig vollständig umbauen, aber leider nicht zu einer Kunstgalerie. Ein gutes Refugium für unsere Bilder wäre es schon gewesen, aber vielleicht doch zu feudal für die bescheidenen Portraits von zwei Frauen aus der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, einem Arbeiter- und Bauern-Staat? Ich ertappte mich selber beim Träumen und beim spontanen Hunger nach Erfolg und Anerkennung und hoffte intensiv auf die Abbildung unserer Bilder in internationalen Hochglanzmagazinen, doch plötzlich wurde ich von einer Stimme wild aus meinen Träumen herausgerissen. Ein junger Mann sprach mich an: „Entschuldigen Sie bitte, aber ich kenne Sie, Sie arbeiten beim Hugendubel in München-Neuperlach?“

„Ja, stimmt, ich kann mich erinnern, erst vorgestern habe ich Sie bedient“, sagte ich stereotyp und etwas geschockt von dieser etwas merkwürdigen Charme-Offensive.

Aber eigentlich konnte ich mich nicht an ihn erinnern, denn mir bleiben nur Kunden im Gedächtnis, die assoziativ den gleichen literarischen Geschmack haben oder eine intellektuelle Triebfeder ausstrahlen oder ein außergewöhnliches Outfit tragen. Das muss nicht der letzte Schrei sein, sondern einfach passender Stil, der die Persönlichkeit unterstreicht.

Schade eigentlich, dass ich mich nicht an diesen Kunden erinnern kann, denn er macht eigentlich einen passablen Eindruck. Es muss ja nicht immer George Clooney sein, aber schön wäre es doch vor allem in Venedig, wo sich doch hier die Seele und der Blick erweitern.

Aber angenehm wäre es schon, wenn man hier jemanden als Reise-Begleitung hat. Zu dieser Erkenntnis war ich immerhin als überzeugter Single gekommen.

„Wäre doch nett, wenn wir Venedig gemeinsam erkunden könnten, ich lade Sie natürlich auch zum Kaffee ein, wenn Sie mögen“, sagte er jetzt liebenswürdig zu mir und schaute mich dabei an.

„Ja, das wäre super, da haben Sie recht. Wenn wir zwei Münchener hier schon unterwegs sind, sollten wir die Stadt auch gemeinsam genießen, keine schlechte Idee“, antwortete ich sofort, um meine Nervosität zu überspielen, denn eigentlich hatte ich ja andere Pläne, aber was sollte ich jetzt machen, dann suchen wir eben gemeinsam den Palast.

Aber es war so ein wunderbarer frischer Morgen, und die Bilderbuch-Stadtansicht wirkte so, als hätte Canaletto sie just in diesem Moment gerade gemalt. Beeindruckende Aussichten auf dem Canal Grande. Die Suche durfte ich nicht vernachlässigen, bloß weil ich einen Kunden getroffen hatte, das wäre ja Verrat an der Sache und Verrat ist die degoutanteste aller Eigenschaften.

„Achtung, gleich passieren wir die Rialtobrücke; sie überspannt auf wunderbare Weise den Canal Grande“, sagte ich euphorisiert zu ihm.

„Ja, sie ist einzigartig in ihrem Stil, ein erhebendes Gefühl diese Brücke in voller Schönheit zu sehen und hindurchzufahren, diese Eleganz unübertrefflich“, rief er mir programmatisch zu.

Das konnte ich nur bestätigen, ja und Gitta und Bärbel hätten das genauso empfunden, es wäre auch ihr Traum gewesen, hier bei stahlblauen Himmel über den Canal Grande zu schweben, es hätte sie enorm inspiriert, zu Canalettas wären sie hier transformiert. Ich warf einen lockeren Blick nach oben, als hätte jemand meinen Namen gerufen, aber das war natürlich eine Illusion, aber ich war hingerissen von dem Anspruch und der Qualität der Paläste, einfach von der ganzen Szenerie, am liebsten wäre ich vor Freude in den Canal Grande gesprungen, leicht und unbeschwert wie am Meer kam ich mir jetzt vor, ja ich war ja am Meer, aber auch gleichzeitig in der bizarrsten Stadt der Welt, ich hatte jetzt eine emotionale Meer-Stadt-Beziehung, diese Stadt hat alles zu allen Zeiten erlebt und ist trotzdem immer wieder für eine Überraschung gut, vor allem für so schwärmerische Fans wie mich, aber auch Moralisten, Philosophen, Musiker, Maler, Sportler, Astronauten, Filmemacher und Opernregisseure sind gleichermaßen beeindruckt, aber nicht durch irgendwelche Highlights, sondern durch die Stadt selber, sie ist der Star. Aber ich fühlte mich jetzt von dem jungen Mann beobachtet, dieser Vorgang des Beobachtetwerdens hat auch etwas Magisches für die Psyche, man fühlt sich irgendwie erkannt in seinen Gedanken und Gefühlen oder ist es doch bloß ein Bluff? Ich wusste es nicht, war mir im Zweifel, aber Lob des Zweiflers, wie Brecht uns das so schön gelehrt hat. Ich wusste nicht, ob ich mit diesem Mann über meine Probleme und Sehnsüchte sprechen konnte, ob er sensibel genug dafür wäre? Mit Gitta konnte ich über alles reden, nicht nur über Kunst und Literatur, nein vor allem über Männer im Allgemeinen und im Besonderen, sie war eine Sinnsucherin bei Männern, währenddessen ich glücklich war, wenn ich erobert wurde, aber das ist wohl auch normal, typisch Frau. Oder?

Nicht gerade emanzipiert war ich damals, heute sehe ich das natürlich auch anders. Aber unser Geschnatter früher über Männer, Liebe, Mode, Kunst und alle möglichen und unmöglichen Dinge des Lebens gingen immer weiter und weiter, Tag und Nacht, Sommer und Winter, natürlich wurde dabei Rotwein getrunken, nicht zu knapp, und Platten haben wir nächtelang gehört, die Mamas und Papas oder André Heller, wir waren schwer begeistert von all diesen Songs, Gitta spielte auch Gitarre und sang dazu, und ich sang mit ihr zusammen, wenn uns der Liebeskummer aufzufressen drohte, und in solch verzweifelten Nächten malte sie mich, stand mit dem Pinsel vor der Leinwand, mischte schnell ein paar Farben zusammen, das war dann wirkliches Power-Play der Malerei, wie besessen war sie, wenn sie malte, rauchte, trank, ihr Atelier in der Dänenstraße war ihr Refugium, ein weicher Rausch musste sich bei all diesen Tätigkeiten innerlich in ihr abgespielt haben, stolz war ich, dass ich ihre Muse war, vielleicht, ihre Allure, nein natürlich nicht, aber sie war eine Bekennerin der leuchtenden Farben, neben klassischen Naturtönen blitzen aber auch seltsame Gemische auf, Liebeserklärungen an Flora und Fauna, aber vor allem an die Menschen, an die Farben des Lebens, so oder ähnlich sind viele ihrer Bilder entstanden, und ihre Bilder haben auf seltsame Weise das Leben umgriffen, in ihrer schillernden Leidenschaft, da kannte sie keine Krankheiten und Seelenkrisen.