Familien- und Kindschaftsrecht für die Soziale Arbeit

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Familien- und Kindschaftsrecht für die Soziale Arbeit
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Dr. jur. Sabahat Gürbüz lehrt als Vertretungsprofessorin u. a. Familienrecht an der Frankfurt University of Applied Sciences, Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit.


Außerdem im Ernst Reinhardt Verlag erschienen:

Gürbüz, S.: Grundkurs Verfassungs- und Verwaltungsrecht für die Soziale Arbeit (2016, ISBN: 978-3-8252-4561-0)

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

UTB-Band-Nr.: 4949

ISBN 978-3-8252-4949-6 (PDF)

ISBN 978-3-8463-4949-6 (EPUB)

© 2018 by Ernst Reinhardt, GmbH & Co KG, Verlag, München

Dieses Werk einschließlich seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne schriftliche Zustimmung der Ernst Reinhardt, GmbH & Co KG, München, unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen in andere Sprachen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Printed in Germany

Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart Cover unter Verwendung eines Fotos von © asignarts / Fotolia

Satz: ew print & medien service GmbH

Ernst Reinhardt Verlag, Kemnatenstr. 46, D-80639 München

Net: www.reinhardt-verlag.de E-Mail: info@reinhardt-verlag.de

Inhalt

Hinweise zur Benutzung dieses Lehrbuchs

Abkürzungsverzeichnis

Vorwort

1 Grundlagen des Familienrechts

1.1 Allgemeines

1.2 Verfahrensrecht

1.3 Materielles Recht

2 Paarbeziehungen

2.1 Verlöbnis, § 1297 BGB

2.1.1 Begriff und Rechtsnatur

2.1.2 Wirkungen

2.1.3 Beendigung des Verlöbnisses

2.2 Ehe, §§ 1303–1563 BGB

2.2.1 Ehe und Lebenspartnerschaft/-gemeinschaft

2.2.2 Eheschließung

2.2.3 Wirkungen der Ehe

3 Trennung und Scheidung

3.1 Grundsatz

3.2 Fallgruppen der Scheidung

3.2.1 Die „unwiderlegliche” Vermutung des § 1566 Abs. 1 BGB

3.2.2 Scheidung wegen Zerrüttung der Ehe, § 1565 Abs. 1 S. 2 BGB

3.2.3 Unwiderlegliche Vermutung (§ 1566 Abs. 2 BGB)

3.2.4 Härtefallscheidung gemäß § 1565 Abs. 2 BGB

3.3 Die Schutzklauseln des § 1568 BGB

3.3.1 Kinderschutzklausel (§ 1568 S. 1, 1. Alt. BGB)

3.3.2 Ehegattenschutzklausel (§ 1568 S. 1,2. Alt. BGB)

4 Aufhebung einer Ehe (§§ 1313–1320 BGB)

5 Sonderthema 1: Die Lebenspartnerschaft (LPartG)

5.1 Homosexualität in der Weimarer Republik

5.2 Homosexuelle Männer im Dritten Reich

5.3 Homosexualität in der DDR

5.4 Wandel in den 1960er Jahren in der BRD

5.5 Die Regelung im wiedervereinigten Deutschland

5.6 Rechtsangleichung zwischen Ost und West

5.7 Rechtsangleichung der Lebenspartnerschaft mit der Ehe

5.8 Die Haltung des BVerfG

5.9 Regelungen im LPartG

6 Sonderthema 2: Scheidung und Trennung von Ehen mit internationalem Bezug („ROM III-Verordnung“)

6.1 Anwendbares Recht

6.2 Grundlagen im türkischen Scheidungsrecht

7 Unterhaltsrecht

7.1 Kindesunterhalt

7.1.1 Minderjährigenunterhalt

7.1.2 Volljährigenunterhalt

7.2 Unterhalt bei Getrenntlebenden und nach der Scheidung

7.2.1 Erwerbsobliegenheit (§ 1574 BGB)

7.2.2 Rangfolge (§§ 1582 i. V. m 1609 BGB)

7.2.3 Prinzip der Eigenverantwortung (§§ 1574, 1578b, 1579 BGB)

7.2.4 Unterhaltsbedarf

7.2.5 Unterhaltsvergleiche

7.3 Unterhalt nichtverheirateter betreuender Eltern

7.4 Elternunterhalt

8 Scheidungsfolgen

8.1 Güterrecht (Zugewinnausgleich)

8.2 Versorgungsausgleich

9 Sorgerecht (§§ 1626-1698b BGB)

9.1 Gerichtliche Zuständigkeit

9.2 Berechtigung der Eltern

 

9.3 Umfang (Regelfall): Personensorge, Vermögenssorge und Vertretung

9.4 Sorgerecht bei dauerhaft getrennt lebenden Eltern

9.4.1 Grundsatz

9.4.2 Kindeswohl

9.4.3 Familienpsychologisches Gutachten

9.4.4 Sorgerecht beim Wechselmodell

9.5 „Kleines Sorgerecht” des Lebenspartners, der nicht Elternteil ist

9.6 Beispiele für mögliche Entscheidungen im Gerichtstermin

9.7 Sonderthemen (Sorgerecht)

9.7.1 Sonderthema 3: Sorgerecht bei unverheirateten Ehepaaren

9.7.2 Sonderthema 4: Beschneidung des männlichen Kindes (§ 1631d BGB)

9.7.3 Sonderthema 5: Die nächtliche Fixierung des Kindes

9.7.4 Sonderthema 6: Abbruch der künstlichen Ernährung eines Kindes

9.7.5 Sonderthema 7: Das geltende Vaterschaftsanfechtungsrecht

9.7.6 Sonderthema 8: Auskunftsanspruch des Scheinvaters gegen die Mutter

9.7.7 Sonderthema 9: Die Adoption (§§ 1741-1766 BGB)

9.8 Ruhen der elterlichen Sorge (Fallgruppen)

9.8.1 Bei längerfristiger Abwesenheit des Elternteils (§ 1674 Abs. 1 BGB)

9.8.2 Aus rechtlichen Gründen wegen beschränkter Geschäftsfähigkeit (§§ 1673 Abs. 2, 106 BGB)

9.8.3 Aus rechtlichen Gründen wegen Geschäftsunfähigkeit (§§ 1673 Abs. 1, 104 BGB)

9.8.4 Aus rechtlichen Gründen, weil der Sorgeberechtigte in die Adoption seines Kindes eingewilligt hat (§ 1751 Abs. 1 S. 1 BGB)

9.8.5 Bei vertraulich geborenem Kind (§ 25 Abs. 1 Schwangerschaftskonfliktgesetz, in Kraft seit 01.05.2014; § 1674a BGB)

10 Tod eines Elternteils oder Entziehung des Sorgerechts (§ 1680 BGB)

11 Umgang

11.1 Recht auf Umgang

11.2 Umgangsausschluss

11.3 Umgangspflegschaft

11.4 Umgangsrecht des biologischen Vaters (§ 1686a BGB)

12 Auskunftsanspruch über die persönlichen Verhältnisse des Kindes (§ 1686 BGB)

13 Kindschaftsrecht

13.1 Rechtsgrundlagen im Kindschaftsrecht

13.2 Kinder- und Jugendhilferecht nach SGB VIII

13.2.1 Leistungen der Jugendhilfe (§ 2 SGB VIII)

13.2.2 Beratung in Fragen der Partnerschaft, Trennung und Scheidung (§ 17 SGB VIII)

13.2.3 Beratung und Unterstützung bei der Ausübung der Personensorge und des Umgangsrechts (§ 18 SGB VIII)

13.2.4 Schutzauftrag der Kinder- und Jugendhilfe (§ 42 i. V. m § 8a SGB VIII)

13.2.5 Das Verfahren des Schutzauftrages nach § 8a SGB VIII

13.2.6 Besonderheiten für freie Träger

13.3 Sonderthema 10: Minderjährige Flüchtlinge

13.4 Fachkräftegebot (§ 72 SGB VIII, § 6 SGB XII)

14 Grundzüge des Gewaltschutzgesetzes

14.1 Allgemeines

14.2 Schutzmaßnahmen nach § 1 GewSchG

14.3 Die Wohnungszuweisung nach § 2 GewSchG

14.4 Sorgeberechtigte Personen als Täter (§ 3 GewSchG)

15 Fälle zu den Kapiteln und Musterlösungen

15.1 Übungsfall: „Sorgerecht bei gewalttätigen Eltern”

15.1.1 Sachverhalt

15.1.2 Lösung

15.2 Übungsfall: „Der unverheiratete Vater und sein Sorgerecht”

15.2.1 Sachverhalt

15.2.2 Lösung

15.3 Übungsfall: „Sorgerecht von Eltern, die selbst unter Betreuung stehen”

15.3.1 Sachverhalt

15.3.2 Lösung

15.4 Übungsfall: „Unterbringung von Kindern und Erwachsenen”

15.4.1 Sachverhalt

15.4.2 Lösung

15.5 Übungsfall: „Elterliche Sorge und Sterbenlassen des Kindes”

15.5.1 Sachverhalt

15.5.2 Lösung

15.6 Übungsfall: „Sorgerecht bei ungewisser wirtschaftlicher und räumlicher Situation der Eltern”

15.6.1 Sachverhalt

15.6.2 Lösung

15.7 Übungsfall: „Erziehungseignung einer streng islamischen Mutter”

15.7.1 Sachverhalt

15.7.2 Lösung

Glossar

Literatur

Sachregister

Hinweise zur Benutzung dieses Lehrbuchs

Verwendung der Icons

Aus der Rechtsprechung

Aus dem Gesetz

Abkürzungsverzeichnis


a. A.anderer Ansicht/Auffassung
a. a. O.am angegebenen Ort
Abs.Absatz
abzgl.abzüglich
AdVermGAdoptionsvermittlungsgesetz
AGAmtsgericht
AGKJHGGesetz zur Ausführung des Kinder- und Jugenhilfegesetzes
Anm.Anmerkung
Art.Artikel
Aufl.Auflage
AuslGAusländergesetz
Az.Aktenzeichen
Beschl.Beschluss
BGBBürgerliches Gesetzbuch
BGBl.Bundesgesetzblatt
BGHBundesgerichtshof
BGHZEntscheidungen des BGH in Zivilsachen (amtliche Sammlung)
Bsp.Beispiel
BT-Drs.Bundestags-Drucksache
Buchst.Buchstabe
BVerfGBundesverfassungsgericht
BVerfGEEntscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (amtliche Sammlung)
BVerwGBundesverwaltungsgericht
bzgl.bezüglich
bzw.beziehungsweise
ca.circa
DDRDeutsche Demokratische Republik
DFGTDeutscher Familiengerichtstag
d. h.das heißt
EGBGBEinführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch
EGMREuropäischer Gerichtshof für Menschenrechte
EGZPOEinführungsgesetz zur Zivilprozessordnung
EMRKEuropäische Menschenrechtskonvention
et al.et altera
etc.et cetera
EuGHEuropäischer Gerichtshof
EUREuro
ff.fortfolgende
FamFGGesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit
FamRZZeitschrift für das gesamte Familienrecht
gem.gemäß
ges.gesetzlich/e/er/es
GewSchGGesetz zum zivilrechtlichen Schutz vor Gewalttaten und Nachstellungen (Gewaltschutzgesetz)
GGGrundgesetz
ggf.gegebenenfalls
grds.grundsätzlich
h. M.herrschende Meinung
Hrsg.Herausgeber
i. d. R.in der Regel
i. R. d.im Rahmen des/der
i. R. v.im Rahmen von
i. S. d.im Sinne der/des
i. V. m.in Verbindung mit
KJHGKinder- und Jugendhilfegesetz
LGLandgericht
LPartGLebenspartnerschaftsgesetz
m. E.meines Erachtens
m. w. N.mit weiteren Nachweisen
Nachw.Nachweis, Nachweise
n. F.neue Fassung
NJWNeue Juristische Wochenschrift
Nr.Nummer
OLGOberlandesgericht
OWiGOrdnungswidrigkeitengesetz
RGReichsgericht
RGBl.Reichsgesetzblatt
Rn.Randnummer
Rom III-VOVerordnung (EU) Nr. 1259/2010 (Rom III-VO) zum Scheidungsrecht
Rspr.Rechtsprechung
S.Seite
s.siehe
SGBSozialgesetzbuch
sog.so genannte/r/s
StGBStrafgesetzbuch
StPOStrafprozessordnung
u. a.und andere/unter anderem
UnterhVGUnterhaltsvorschussgesetz
Urt.Urteil
usw.und so weiter
u. U.unter Umständen
v.von/vom
VAVersorgungsausgleich
VersAusglGVersorgungsausgleichsgesetz
vgl.vergleiche
VOVerordnung
z. B.zum Beispiel
zzgl.zuzüglich

Vorwort

 

Das vorliegende Lehrbuch soll die Studierenden der Sozialen Arbeit mit den Grundzügen des Rechts in der sozialen Arbeit, insbesondere des Familien- und Kindschaftsrechts, als Grundlage der Sozialen Arbeit vertraut machen.

Das Familien- und Kindschaftsrecht umfasst die verfahrens- und materiellrechtlichen Regelungen der Bereiche Ehe und Lebenspartnerschaft, Scheidung, Unterhalt, Sorge- und Umgangsrecht, Kinderund Jugendhilfe sowie das Adoptionsrecht. Aufgrund der geringeren Relevanz für die soziale Arbeit werden Güterrecht und Versorgungsausgleich nur kurz skizziert.

Die Darstellung berücksichtigt neuere Entwicklungen in Rechtsprechung, Gesetzgebung und Wissenschaft (z. B. Sorgerecht des unverheirateten Vaters, Umgangsrecht des biologischen Vaters, Beschneidungsgesetz). Der Bezug zur Praxis wird dadurch erkennbar und der Einfluss des Wandels gesellschaftlicher Anschauungen erlebbar wie etwa bei der rechtlichen Behandlung gleichgeschlechtlicher Paare.

Inhalt und Anwendung der Normen werden anhand einschlägiger Gerichtsurteile näher erläutert, sodass es nicht bei theoretischen Überlegungen bleibt. Durch die Einbeziehung der einschlägigen Urteile der Rechtsprechung ist es möglich, Bedeutung und Funktionweise der Normen realistisch anhand echter Fälle nachzuvollziehen. Zugleich werden die wesentlichen Überlegungen und Wertentscheidungen der Gerichte, deren Kenntnis für das Verständnis und die Anwendung zunächst abstrakter Regelungen unerlässlich ist, vermittelt. Indem die Leser nicht nur die Inhalte der Bestimmungen und deren Regelungssystematik, sondern auch die praktische Anwendung kennen lernen, eröffnet sich ihnen die Möglichkeit, eine eigene Meinung zu sich stellenden Rechtsfragen und zu lösenden Sachverhalten zu entwickeln.

Der Vermittlung der theoretischen Grundlage folgt somit jeweils ein Beispiel praktischer Anwendung. Am Ende des Buches werden die Leser dann ermutigt, das Erlernte anhand von Musterfällen anzuwenden.

Meiner Tochter und meinem Mann danke ich erneut für eine geduldige, interessierte und kritische Begleitung bei der Erstellung des Buches.

Frankfurt am Main, November 2017

Sabahat Gürbüz

1 Grundlagen des Familienrechts

1.1 Allgemeines

Das Familienrecht regelt Rechtsverhältnisse zwischen gleichberechtigten Rechtssubjekten unter Berücksichtigung staatlicher Sonderbefugnisse. Es stellt sich daher zunächst die Frage, ob Familienrecht zum öffentlichen Recht oder zum Privatrecht gehört. Das spielt beispielsweise für die Zuständigkeit der Gerichte eine Rolle, aber auch für bestimmte Rechtsanwendungsgrundsätze, die sich im öffentlichen und im Zivilrecht etwa bei der Möglichkeit, Maßnahmen festzulegen und ggf. auch mit Zwang durchzusetzen, unterscheiden.

Öffentliches Recht und Privatrecht

Das Zivilrecht oder auch Privatrecht regelt Rechtsbeziehungen zwischen gleichberechtigten Rechtssubjekten (z. B. Kaufvertrag).

Öffentliches Recht regelt demgegenüber das Verhältnis des Staats zum Bürger (z. B. Baugenehmigung; beachte aber: Auch der Staat kann privatrechtlich handeln, z. B. beim Einkauf von Sachmitteln, der Anmietung von Räumen, er hat handelt dann wie ein Bürger und nicht in seiner Sonderrolle als Staat).

Abgrenzung

Die Abgrenzung zwischen Privat- und öffentlichem Recht ist streitig. Hierzu gibt es folgende Theorien:

Nach der Interessentheorie betrifft öffentliches Recht das öffentliche Interesse, Privatrecht das Privatinteresse.

Nach der Subordinationstheorie ist eine öffentlich-rechtliche Tätigkeit gegeben, wenn zwischen dem Hoheitsträger und dem Bürger ein Über-/Unterordnungsverhältnis besteht.

Nach der Subjektstheorie sind öffentliches Recht die Rechtsätze, die (nur) Träger der hoheitlichen Gewalt berechtigen oder verpflichten. Das öffentliche Recht ist also derjenige Teil der Rechtsordnung, der das Verhältnis zwischen Trägern der öffentlichen Gewalt und einzelnen Privatrechtssubjekten regelt. Öffentliches Recht umfasst danach sämtliche Rechtsmaterien, die die Organisation und Funktion des Staats betreffen (z. B. Strafzettel für eine Ordnungswidrigkeit, Dienstverhältnis bei Beamten, Polizeieinsätze).

Nach der herrschenden modifizierten Subjektstheorie und Subordinationstheorie ist öffentliches Recht immer anzunehmen, wenn die betroffene Gesetzesnorm ausschließlich einen Träger hoheitlicher Gewalt berechtigt oder verpflichtet. Ansonsten liegt Privatrecht vor.

Begriff

Das Familienrecht regelt die Rechtsbeziehungen der durch Ehe, Lebenspartnerschaft, nichteheliche Lebensgemeinschaft und/oder Familien verbundenen Personen. Dazu zählen beispielsweise das Unterhaltsrecht, das Recht der ehelichen Güterstände, der Ehescheidung sowie der elterlichen Sorge. Es regelt also die Beziehungen rechtlich gleichgestellter Rechtssubjekte untereinander, nämlich zwischen Bürgern, und ist daher dem Privatrecht zuzuordnen. Das Familienrecht verleiht dem Staat allerdings zum Teil Sonderbefugnisse, um in diese Rechtsbeziehungen einzugreifen oder sie gar einzuschränken.

Das Familienrecht unterteilt sich wiederum in Verfahrensrecht und materielles Recht. Während das Verfahrensrecht regelt, wie Rechte formal geltend gemacht werden können, also das „Verfahren“ (z. B. Klage, Scheidungsverfahren), bezeichnet das materielle Recht die Normen, die den Inhalt der Rechte ausgestalten (z. B. Grundlage des Zahlungsanspruchs, Voraussetzungen der Scheidung).

1.2 Verfahrensrecht

FamFG

Die wesentlichen Regelungen zum Verfahrensrecht zur Durchsetzung des materiellen Familienrechts finden sich in dem am 01.09.2009 in Kraft getretenen FamFG, dem Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Das FamFG regelt nunmehr also das familiengerichtliche Verfahren in einer einheitlichen Verfahrensordnung. Aus dem Namen des Gesetzes ergibt sich allerdings bereits, dass es nicht nur Familiensachen regelt, sondern auch andere Verfahren der sogenannten freiwilligen Gerichtsbarkeit, die keinen familienrechtlichen Bezug haben (z. B. Verfahren in Registersachen, unternehmensrechtliche Verfahren in Buch 5 oder Verfahren in Freiheitsentziehungssachen in Buch 7). Das FamFG unterteilt sich in insgesamt neun Bücher mit unterschiedlichen Regelungsbereichen. Für die Verfahren in Familiensachen kommt den ersten beiden Büchern besondere Bedeutung zu (Abb. 1).

Buch 1 (§§ 1–110 FamFG) regelt den Allgemeinen Teil (ausführlich Prütting/Helms 2013). Hier definiert der Gesetzgeber unter anderem, wer Beteiligter ist (vgl. § 7 FamFG), stellt klar, wann eine förmliche Beweisaufnahme nach den Regeln der Zivilprozessordnung stattzufinden hat (vgl. § 30 FamFG), führt eine generelle Befristung der Beschwerde ein (vgl. § 63 FamFG) und ersetzt die bisherige weitere Beschwerde zum Oberlandesgericht durch eine zulassungsabhängige Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof (vgl. § 70 FamFG). Bei Missachtung einer gerichtlichen Umgangsentscheidung bestehen Sanktionsmöglichkeiten im Wege der Festsetzung von Ordnungsgeld oder Ordnungshaft (vgl. § 89 FamFG).

Buch 2 (§§ 111–270 FamFG) regelt das Verfahren in Familiensachen, insbesondere die Grundlagen für das gerichtliche Verfahren in Scheidungssachen, Kindschaftssachen, Abstammungssachen, Adoptionssachen, Wohnungszuweisungs- und Hausratssachen, Gewaltschutzsachen, Versorgungsausgleichssachen, Unterhaltssachen, Güterrechtssachen und sonstigen Familiensachen (Prütting/Helms 2013). Hervorzuheben sind in diesem Teil die mit dem FamFG neu eingeführten Gebote, wie z. B. das Gebot vorrangiger und beschleunigter Bearbeitung von Sorge- und Umgangsverfahren (vgl. § 155 FamFG) oder die Präzisierung der Voraussetzungen für die Bestellung eines Interessenvertreters des Kindes in Kindschaftssachen (sog. Verfahrensbeistand; vgl. § 158 FamFG).

Zuständigkeit des Familiengerichts

Mit dem Inkrafttreten der Reform des Rechts der Freiwilligen Gerichtsbarkeit im FamFG zum 01.09.2009 wurden die Zuständigkeiten des Familiengerichts erweitert (sog. großes Familiengericht). Der für die Zuständigkeit der Familiengerichte entscheidende Begriff der „Familiensache“ wurde um die zuvor von den Vormundschaftsgerichten zu bearbeitenden Rechtsstreitigkeiten und Gewaltschutzsachen erweitert. Durch den Bereich „sonstige Familiensachen“ wurden u. a. auch vermögensrechtliche Ansprüche der Eheleute, die sonst vor den Zivilgerichten zu verhandeln waren, gemäß § 111 FamFG den Familiengerichten zugewiesen (Horndasch/Viefhues 2014). Damit wurde eine einheitliche Verfahrensordnung in Kraft gesetzt.

Der Begriff der Familiensachen ist in § 111 FamFG definiert. Dies sind:

Familiensachen

1. Ehesachen: Gesetzliche Definition in § 121 FamFG

2. Kindschaftssachen: Gesetzliche Definition in § 151 FamFG

3. Abstammungssachen: Gesetzliche Definition in § 169 FamFG

4. Adoptionssachen: Gesetzliche Definition in § 186 FamFG


Abb. 1: Aufbau des Familienverfahrensrechts

5. Ehewohnungs- und Haushaltssachen: Gesetzliche Definition in § 200 FamFG

6. Gewaltschutzsachen: Gesetzliche Definition in § 210 FamFG (Die Vorschrift bestimmt den Begriff der Gewaltschutzsachen durch Bezugnahme auf die §§ 1 f. GewSchG.)

7. Versorgungsausgleichssachen: Gesetzliche Definition in § 217 FamFG

8. Unterhaltssachen: Gesetzliche Definition in § 231 FamFG

9. Güterrechtssachen: Gesetzliche Definition in § 261 FamFG

10. Sonstige Familiensachen: Gesetzliche Definition in § 266 FamFG

11. Lebenspartnerschaftssachen: Gesetzliche Definition in § 269 FamFG

Sonstige Familiensachen

Die Zuständigkeit für „sonstige Familiensachen“ (§ 111 Nr. 10 FamFG) bedarf der näheren Bestimmung. Sie findet sich in § 266 FamFG. „Sonstige Familiensachen“ sind danach Verfahren, die folgende Bereiche betreffen:

1. Ansprüche zwischen miteinander verlobten oder ehemals verlobten Personen im Zusammenhang mit der Beendigung des Verlöbnisses sowie in den Fällen der §§ 1298 und 1299 BGB zwischen einer solchen und einer dritten Person (Horndasch/Viefhues 2014). In allen Fällen ist Voraussetzung, dass ein Zusammenhang mit der Beendigung des Verlöbnisses besteht. Dritte Personen sind danach nur beteiligt, sofern Ansprüche aus den §§ 1298, 1299 BGB geltend gemacht werden, z. B. Verfahren auf Rückgabe von Geschenken oder sonstigen Zuwendungen.

2. Aus der Ehe herrührende Ansprüche, wie z. B. die aus § 1353 BGB herzuleitenden Ansprüche, etwa auf Mitwirkung bei der gemeinsamen steuerlichen Veranlagung, Ansprüche, die das absolute Recht zur ehelichen Lebensgemeinschaft verwirklichen, wie etwa Abwehr- und Unterlassungsansprüche gegen Störungen des räumlich-gegenständlichen Bereichs der Ehe gegenüber dem anderen Ehegatten oder einem Dritten (sog. Ehestörungsklagen) oder diesbezügliche Schadensersatzansprüche.

3. Ansprüche zwischen miteinander verheirateten oder ehemals miteinander verheirateten Personen oder zwischen einer solchen und einem Elternteil. Voraussetzung ist ein Zusammenhang mit Trennung, Scheidung oder Aufhebung der Ehe, z. B. auch die vermögensrechtliche Auseinandersetzung zwischen den Ehegatten außerhalb des Güterrechts, wie auch die Auseinandersetzung zwischen einem Ehegatten und dessen Eltern oder den Eltern des anderen Ehegatten aus Anlass der Trennung, Scheidung oder Aufhebung der Ehe, z. B. die Rückabwicklung von Zuwendungen der Schwiegereltern.

4. Aus dem Eltern-Kind-Verhältnis herrührende Ansprüche – ergänzend zur Zuständigkeit in Kindschaftssachen. Hierunter fallen z. B. Streitigkeiten wegen der Verwaltung des Kindesvermögens, auch soweit es sich um Schadensersatzansprüche handelt. Der Anspruch muss allerdings im Eltern-Kind-Verhältnis selbst seine Grundlage haben, ein bloßer Zusammenhang hierzu genügt nicht.

5. Aus dem Umgangsrecht herrührende Ansprüche wie etwa Schadensersatzanspruch wegen Nichteinhaltens der Umgangsregelung, jedoch nicht das Verfahren wegen des Umgangsrechts selbst.

Zuständigkeitsvorbehalt

Für alle fünf genannten Bereiche gilt jedoch, dass es sich nur um „sonstige Familiensachen“ handelt, sofern nicht die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte gegeben ist oder das Verfahren eines der in § 348 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Buchstabe a bis k der Zivilprozessordnung (ZPO) genannten Sachgebiete (siehe dort), das Wohnungseigentumsrecht oder das Erbrecht betrifft und sofern es sich nicht bereits nach anderen Vorschriften ohnehin um eine Familiensache handelt.

Schließlich fallen unter „sonstige Familiensachen“ auch Verfahren über einen Antrag nach § 1357 Abs. 2 Satz 1 BGB, mit dem ein Ehegatte die Berechtigung des anderen Ehegatten, Geschäfte zur Deckung des Lebensbedarfs mit Wirkung für ihn zu besorgen, beschränken oder ausschließen möchte.

1.3 Materielles Recht

Das Familiengericht wendet zur Entscheidungsfindung – unter Beachtung der angesprochenen Verfahrensregelungen des FamFG – das materielle Familienrecht an.

BGB

Die wesentlichen Inhalte des materiellen Familienrechts sind im 4. Buch des Bürgerlichen Gesetzbuches geregelt. Es enthält u. a. Bestimmungen über die Rechtsverhältnisse der Ehe und Familie mit den Schwerpunkten Eheschließung, Scheidung und Unterhalt, und auch über die Rechtsbeziehung der Eltern zu den Kindern, also insbesondere das Sorgerecht und das Vaterschaftsrecht (Abb. 2).


Abb. 2: Aufbau des Familienrechts im BGB