Menschenseelen Teil 2 - Lilith -

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Menschenseelen Teil 2 - Lilith -
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S. N. Stone

Menschenseelen Teil 2 - Lilith -

Lilith

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Inhaltsverzeichnis

Titel

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

Epilog

Danksagungen

Impressum neobooks

1. Kapitel

Jenna saß im Garten der Klinik und starrte auf die Rosenbüsche. Sie befand sich in dem Zustand, von dem sie nicht wusste, ob er ihr gefiel oder nicht. Es war der Zeitpunkt, indem die Wirkung der Medikamente nachließ und die Gabe Neuer kurz bevorstand. In diesen Momenten war sie einigermaßen klar, aber sie dachte immer und immer wieder über dasselbe nach und dachte immer und immer wieder über dieselben letzten Tage in 'Freiheit' nach. Sie hatte Danjal getötet, hatte sie geglaubt, und dann war er am Flughafen aufgetaucht, als Elias festgenommen worden war, weil man ihm die Morde zu Last legte, die ER begangen hatte. Sie hatte IHN gesehen und war ausgeflippt, richtig ausgeflippt. Die Polizei hatte sie in eine Nervenklinik bringen lassen, und ja, sie musste zugeben, dass das, was sie erzählt hatte sehr, sehr sonderbar geklungen hatte.

Herr Doktor, der Mann mit dem ich eine Beziehung hatte, war ein Sohn Liliths, der ersten Frau Adams, die ihren Sohn unter die Menschen sendet, um sich an Gott zu rächen. Danjal, so heißt er, ist das personifizierte Böse und hat nicht nur meine Freunde und meine Schwester getötet, sondern ist auch für den Tod von Millionen Menschen verantwortlich. Er bringt nämlich das Chaos und das Verderben. Er war schuld am Brand von Rom, damals, unter Neros Herrschaft, und er war Jack the Ripper und er war auch für den Ausbruch des Ersten Weltkrieges verantwortlich. Er ist schon ziemlich alt müssen Sie wissen, so an die 6000 Jahre. Und er hat noch viel mehr schlimme Dinge getan, von denen Sie ja nicht einmal ahnen, dass er es war.

Aber Sie brauchen keine Angst zu haben, ich bin die einzig wahre Auserwählte und ich kann ihn vernichten, sagt zumindest die Bruderschaft der Arsaten. Die jagen ihn schon ganz lange. Aber irgendwie, Herr Doktor, hat es nicht geklappt, wissen Sie. Ich habe es versucht, ich habe versucht ihn auszulöschen und habe geglaubt es geschafft zu haben. Ich habe ihm eine Kugel, mitten ins Herz gejagt und mein Freund hat ihn anschließend zerstückelt und die Teile an unterschiedlichen Orten begraben, denn er ersteht auf, wenn er von der falschen Person getötet wird. Wir wollten ganz sicher gehen und das durch das Zerstückeln verhindern. Ach, ich habe vergessen zu erwähnen, dass Lilith im Moment seines Todes erschienen ist, und ihn, also besser seine Seele, wenn er denn eine hat, mitgenommen hat.

Aber Herr Doktor, soll ich Ihnen noch was sagen? Er ist nicht tot. Irgendetwas ist schief gegangen. Ich habe ihn nämlich gesehen, jawohl, auf dem Flughafen, als ich mit meinem Freund nach Rom wollte, ja, da war er und hat mich angegrinst, in dem Augenblick in dem mein Freund von der Polizei festgenommen wurde, jawohl, er ist wieder da ...

Natürlich ist das die Geschichte einer gesunden, jungen Frau, ohne Zweifel, so etwas erlebte doch jeder einmal.

Jenna hätte fast laut aufgelacht. Nein, war es nicht, und sie konnte auch verstehen, dass alle Welt glaubte, sie sei völlig durchgeknallt, aber es war die Wahrheit.

Jenna starrte weiter vor sich hin. Sie musste hier raus, denn sie musste etwas gegen Danjal unternehmen. Dazu würde sie die Bruderschaft brauchen, die konnten ihr helfen, die wussten wie sie ihre Gaben, die sie hatte, wecken und im Kampf gegen das Böse einsetzen konnte. Und sie brauchte Elias.

Er war bereits vor einiger Zeit aus der Untersuchungshaft entlassen worden, die Anschuldigungen gegen ihn, hatte er mithilfe der Bruderschaft, entkräftigen können. Er war wieder ein Mitglied der Arsaten geworden und hatte sie auch schon besucht.

Die 'Bruderschaft der Arsaten' hatte sich bemüht sie hier rauszuholen, vergebens. Selbst ihre Eltern waren der Meinung, dass es ihr gut täte, in der Klinik zu sein und kein vernünftiger Arzt würde ihr attestieren, dass sie 'normal' war, bei allem, was sie von sich gab. Jenna hatte schon versucht, so zu tun als wäre wieder alles in Ordnung mit ihr, hatte dem Arzt erzählt, was er hören wollte, aber der war misstrauisch gewesen, hatte ihr ihre plötzliche Wandlung nicht abgekauft. Sie hatte es ein paar Sitzungen lang durchgezogen und war der Meinung gewesen, der Doktor würde ihr langsam glauben. Und dann hatte sie geglaubt IHN gesehen zu haben und dem Arzt dummerweise noch davon erzählt.

Jenna lehnte sich zurück und atmete die warme Luft ein. Sie wartete darauf, dass eine Schwester zu ihr kam, um sie hinein, zur Medikamentenausgabe, zu zitieren. Danach waren die Gruppentherapien dran.

Sie sah Louisa, wie sie den schmalen Kiesweg entlanglief. Louisa war jung, viel zu jung um hier sein zu müssen, fand Jenna. Die junge Frau, gerade 19 Jahre alt, hörte Stimmen, schon ihr ganzes Leben lang, wie sie ihr vertraulich mitgeteilt hatte. Schizophrenie, so nannte man das. Jenna mochte Louisa, sie war liebenswert und herrlich verschroben, aber genau das war es, was sie hier reingebracht hatte.

Louisa kam zu ihr und blieb lächelnd vor ihr stehen. „Hi, darf ich mich zu dir setzen?“, fragte sie, wartete aber die Antwort nicht ab und nahm Platz. „Ich bin abgehauen“, sagte sie und kicherte dabei, „vor der Schwester, sie wollte, dass ich mitgehe, um meine Tabletten zu schlucken, aber ich hatte keine Lust, ich wollte ihnen noch ein bisschen lauschen.“

Mit ihnen meinte sie wohl ihre Stimmen, schlussfolgerte Jen. „Abhauen würde ich auch am Liebsten“, sagte Jen, mehr zu sich selbst, als an die andere gerichtet. Louisa rutschte an die Kante der Bank, drehte sich zu ihr und schaute sie verwundert mit ihren babyblauen Augen an. „Aber wieso solltest du? Du kannst hier doch bald raus.“ Jen war irritiert. „Ich glaube nicht, wie kommst du denn auf die Idee?“ „Na das hat er mir doch erzählt.“ „Wer er?“ „Na der Mann, der letztens hier gewesen ist.“ Jenna dachte an Elias. „Der, der humpelt?“ Louisa schüttelte den Kopf. „Nein“, antwortete sie, „der Hübsche.“ Na hässlich war Elias nun auch nicht gerade, dachte Jen, als Louisa fortfuhr: „Der mit diesen abgefahrenen, hellgrauen Augen. Sie haben mich vor ihm gewarnt. Aber ich habe sie kaum verstanden.“

Es war, als würde eine Hitzewelle über Jenna schwappen, die sie, angefangen am Kopf, bis hinunter in die Zehenspitzen, überrollte, Danjal! Sämtliche Farbe schien aus ihrem Gesicht gewichen zu sein, denn Louisa schaute sie an, als würde sie einen Geist sehen.

„Wann hast du den Mann gesehen?“, fragte Jen ganz leise, laute Worte wollten ihr nicht über die Lippen kommen. „Ich weiß nicht genau, vorgestern oder vor-vorgestern oder-“ Jen hob die Hand. „Schon gut“, leeres Gerede wollte sie jetzt nicht, „vor ein paar Tagen also?“ Die junge Frau nickte. „Er stand da, ganz plötzlich, im Gang vor den Aufenthaltsräumen. Meine Stimme Nummer eins hat mich auf ihn aufmerksam gemacht, Nummer zwei hat gesagt, ich solle mich vor ihm in acht nehmen.“

Louisas Stimmen hatten keine spezielle Personifizierung, sie schienen männlich zu sein, hatten aber keine Namen. Das Mädchen nummerierte sie einfach durch.

„Ich habe ihn trotzdem angesprochen, ihn gefragt, ob er neu sei, und er hat geantwortet, dass er nur jemanden beobachten würde.“ „Kam dir das nicht sonderbar vor?“, fragte Jen und wurde sich im selben Moment ihrer Worte bewusst. Sie war hier in einer Nervenklinik, was oder wer war hier denn nicht sonderbar? „Nein, er war eigentlich recht freundlich, hat mich nach meinem Namen gefragt und mir gesagt, dass du hier bald rauskommen würdest. Ich habe mich so für dich gefreut. Ich weiß gar nicht, was Nummer zwei gegen ihn hatte.“ Louisa strahlte sie an. „Das ist doch wunderbar, oder? Ich meine, dass du hier bald raus kannst. Ach, wieso kann man uns nicht einfach bleiben lassen, wer wir sind? Ich mag meine Stimmen, wenn ich die Tabletten nehme, dann gehen sie weg, und ich bin einsam. Das will ich nicht, ich komme mit ihnen ganz gut klar und sie tun doch keinem was.“

 

Jenna verstand, was das Mädchen meinte. Die Menschen, denen sie hier begegnet war, lebten in einer anderen Welt. Einige von ihnen waren darin sehr glücklich, aber viele von ihnen waren nicht in der Lage, ihr Leben innerhalb der Gesellschaft zu bestreiten. Andere, hatten mehrere Selbstmordversuche hinter sich, hatten anderen wehgetan, oder sich selbst in Gefahr gebracht, ohne es wirklich beabsichtigt zu haben oder steuern zu können. Für all diese Leute gab es keinen Platz, also brachte man sie hier her und schloss sie weg. So wie man auch sie weggeschlossen hatte, obwohl Jenna nicht verrückt war.

Wie viele der anderen war es wie ihr ergangen, überlegte Jen. Wie viele hatten vielleicht eine Begegnung mit etwas oder jemanden gehabt, wie sie und waren als verrückt abgestempelt worden? Würde man Elias Geschichte hören, oder die der anderen Arsaten, man würde sie ebenfalls hier einweisen, ganz sicher, obwohl es Tatsachen waren? Oder etwa nicht? Jenna merkte, wie sie an sich zweifelte, ihre Gedanken abschweiften. Hatte sie sich alles vielleicht nur eingebildet, hatte sie vielleicht auch in einer Traumwelt oder eher Albtraumwelt gelebt? Nein! Der Tod von Laura, von Markus, von Lukas, das war Realität, genauso wie Danjal Realität war. ER hatte sie berührt, ER hatte mit ihr gesprochen, IHN hatte sie geliebt, IHN hatte sie getötet.

Das waren diese verdammten Medikamente! Die brachten sie dazu zu zweifeln, an sich zu zweifeln.

Louisa starrte sie mit offenem Mund an, und Jen realisierte, dass die junge Frau mit ihr gesprochen hatte und auf eine Antwort wartete. Jenna schüttelte sich kurz und sagte: „Entschuldige, was hast du gesagt?“ „Ich wollte wissen, warum du dich so für den Mann interessierst, kennst du ihn?“ Sonderbare Frage, warum hatte sie nicht gefragt, weshalb sie noch gar nicht wusste, dass sie aus der Klinik entlassen werden würde. Aber so dachte Louisa nicht, das schien ihr nicht wichtig, der Mann war ihr wichtiger. „Ich dachte ich würde ihn kennen“, antwortete Jen.

Als Jen am Abend auf ihrem Bett lag und an die Decke starrte, huschten die Schatten ihrer Vergangenheit nur vorüber. Die Medikament wirkten, und ließen nicht zu, dass die Erinnerungen an ihre Schwester an die Oberfläche ihres Bewusstseins drangen. Aber ein Gedanke schaffte es aus dem Nebel auszubrechen. Danjal war hier gewesen, Louisa hatte ihn auch gesehen. Dann schlief Jen ein.

Jeder Tag war dem Vorangegangenen irgendwie gleich: 7:00 Uhr Frühstück, 8:30 Medikamentenausgabe, 9:00 Uhr Gruppentherapie, 10:00 – 11:00 Uhr Freizeit, zum Erholen, eine Stunde stumpfsinniges Basteln, Malen oder rhythmisch im Takt der Musiktherapie klatschen, 12:00 Uhr Mittagessen, Mittagsruhe bis 15:00 Uhr. Danach dreimal die Woche Einzeltherapie bei einem Psychiater oder Freizeitgestaltung, entweder unter Inanspruchnahme des Angebotes der Klinik, Yoga oder Stricken oder noch einmal Malen oder sonst was oder sich selbst beschäftigen. Fernsehen, Lesen, Spazierengehen, Unterhalten oder vor sich Hinstarren.

Jenna entschied sich meistens fürs Lesen. Ihre Eltern und ein paar Freunde, die sich getraut hatten sie zu besuchen, hatten ihr eine beträchtliche Anzahl an Büchern, darunter auch Fachliteratur, mitgebracht. Heute jedoch saß sie da und starrte auf die Sätze, Wörter, Buchstaben, die vor ihren Augen hin und her tanzten. Louisa hatte ihn auch gesehen, spukte es in ihrem Kopf herum, Louisa hatte ihn auch gesehen. Aber Louisa war verrückt, so wie sie. Diese verdammten Tabletten! Jen schmiss das Buch in die Ecke. „Der Klinikleiter möchte sie gerne sprechen“, vernahm sie die Stimme einer Krankenschwester, die das Buch aufhob, und vor ihr auf den Tisch legte. „Ist alles in Ordnung?“, fragte sie und schaute Jenna besorgt an. „Ja, ja es ist alles O.K. Entschuldigung, ich habe mich nur über eine Stelle im Text geärgert“, sagte sie und folgte der Frau zu Dr. Prof. Prof. med. Richter, dem Klinikleiter.

Vor dessen Büro angekommen, klopfte die Krankenschwester an und sie warteten. Jenna starrte auf das Namensschild und stellte schmunzelnd fest, dass der Doktor wohl ein zweites Schild anbringen müsse, wenn er noch einen Doktor oder Professor machen würde. Dann hörte sie die Stimme von innen, die hereinbat. Jenna betrat alleine das Zimmer und zu ihrer großen Freude war dort noch jemand, der auf sie wartete. Elias drehte sich zu ihr um, als sie den Raum betrat und lächelte.

„Lass uns bloß schnell hier weg, bevor sie es sich noch anders überlegen“, sagte sie zu Elias, als sie mit ihm die Straße hinunter, zu seinem Wagen eilte. Keine zehn Minuten waren vergangen, von dem Moment, indem ihr Prof. Prof. Prof. 'ich lasse mir die Zähne bleichen' Richter gesagt hatte, dass sie gehen könne, bis zu diesem Augenblick. Ihre Sachen hatte sie in eine Reisetasche gestopft, das, was nicht mehr reingepasst hatte, hatte sie zurückgelassen. Elias humpelte hinter ihr her, und bevor er den Wagen aufschloss, schmiss Jen noch die Medikamente, die sie von der Klinik erhalten hatte, in den Mülleimer an der Laterne. Dann stellte sie ihre Tasche auf den Rücksitz und stieg zu ihm in den Wagen, nicht ohne noch einen kurzen Blick zurück zur Klinik zu werfen. Sie sah den Mann, der auf der gegenüberliegenden Straßenseite stand und sie beobachtete. Und sie sah auch SEIN Grinsen.

2. Kapitel

Elias fuhr mit Jenna an seiner Seite in den Berliner Bezirk Mitte, ins Nikolaiviertel. Hier, unter dem Deckmantel eines Museums, befand sich der Aufenthaltsort der 'Bruderschaft der Arsaten', der auch er angehörte, wieder angehörte. Nach einem heftigen Zusammenstoß mit IHM, und einem emotionalen Zusammenbruch, war Elias aus der Bruderschaft ausgeschlossen worden. Nun war er wieder einer von ihnen, sie konnten nicht auf ihn verzichten, das hatten sie eingesehen und er war auch bereit erneut einer von ihnen zu sein.

Jenna war verstörend ruhig. Hatte sie eben in der Klinik noch ununterbrochen geredet und geschimpft, saß sie nun schweigend neben ihm und starrte zum Seitenfenster hinaus. Kurz wendete er seinen Blick von der Straße ab und schaute zu ihr herüber. „Alles gut bei dir?“ Sie nickte. „Was ist los?“ „Nichts!“, antwortete sie. „Ich weiß es war schwer für dich, all die Dinge, die geschehen sind, aber-“ „Das ist es nicht“, unterbrach sie ihn. „Ich weiß, du musst glauben ich hätte dich im Stich gelassen. Wir haben wirklich alles versucht, dich da rauszuholen.“ „Das ist mir bewusst und ich bin dir und euch dankbar dafür.“ Elias parkte den Wagen und kam zur Beifahrerseite herum, um ihr beim Aussteigen behilflich zu sein. Dann nahm er Jennas Tasche und gemeinsam gingen sie in das Palais, um dort die anderen Arsaten zu treffen.

Jenna und Elias wurden von dem Ältesten empfangen. Er führte sie in sein geräumiges Arbeitszimmer, bot ihnen einen Platz und etwas zu trinken an. Als er sich ebenfalls setzte, bemerkte Jen Sorgenfalten, die sich auf seiner Stirn abzeichneten.

„Fräulein Drescher, ich bin froh Sie wieder bei uns zu wissen. Wir hoffen, dass Sie uns nach wie vor als Auserwählte, im Kampf gegen das Böse, zur Verfügung stehen.“ Er lächelte unsicher. „An meiner Entscheidung hat sich nichts geändert, es ist mein Wunsch Sie zu unterstützen.“ Die Sorgenfalten verschwanden und aus dem unsicheren Lächeln, wurde ein freundliches. „Das ist gut, das beruhigt mich. Sie sind eine wichtige Waffe in unserem Kampf, vielleicht die Wichtigste. Doch bevor wir beginnen, denke ich, sollte Ihnen ein wenig Ruhe gegönnt werden. Wir halten es für besser, Sie hier in Berlin zu behalten und nicht nach Rom gehen zu lassen. Wir haben Ihnen ein Zimmer fertiggemacht, ich hoffe das ist Ihnen genehm.“

Ja es war ihr 'genehm', eine Bleibe hatte sie nicht mehr, sie hatte die wunderschöne Altbauwohnung, in der sie zusammen mit ihrer Schwester Laura gewohnt hatte, gekündigt, um mit Elias nach Rom zu gehen, um dort zu arbeiten und um zu kämpfen. Zu 'kämpfen' wie eine Amazone oder Kriegerin, dachte Jen amüsiert. Dabei hatte sie kaum eine Ahnung von dem, was sie erwarten würde. Sie hatte auch keine Ahnung davon, wie ihr Kampf aussehen würde. Natürlich hatte sie bereits Kontakt zu den Arsaten gehabt, bevor das alles auf dem Flughafen geschehen war, aber die Informationen, die sie erhalten hatte, waren spärlich gewesen. In erster Linie hatte man ihr erklärt, dass das, was ihr bevorstand, mit oder ohne Arsaten, gefährlich war für sie. Dass ihr Leben jede Minute, jede Sekunde in Gefahr sein würde, bereits von dem Moment an, in dem klar gewesen war, dass sie eine Auserwählte war. Eine Einweisung hätte sie in Italien bekommen sollen. Und ob nun Rom oder Berlin, es war ihr egal.

Der Älteste wandte sich Elias zu. „Bringe Fräulein Drescher bitte zu ihrem Zimmer und sorge für ihr Wohlergehen.“ Zu ihr sagte er: „Wir werden uns morgen sehen und dann werden wir viel zu reden haben.“

„Schläfst du auch hier?“, fragte sie Elias, als sie durch die Gänge des Gebäudes liefen. „Ja,“ er blieb stehen und öffnete mit einem goldenen Schlüssel eine Tür, „solange wie du hier bist.“

Sie betraten das Zimmer, in dem Jenna vorerst wohnen sollte. Es war gemütlich. Dunkle, antike Möbel; ein Sofa, ein Sessel, dazwischen ein niedriger Tisch, ein Fernseher, ein Sekretär mit einem Stuhl davor, ein Schrank mit Intarsienarbeiten und ein dazu passendes Bett mit einem hübschen Nachttisch daneben. Heller, flauschiger Teppich, helle Wände, ein schwerer Vorhang vor den Fenstern und ein paar Lampen, auf dem Nachttisch, auf dem Sekretär und neben dem Sofa. Sie waren eingeschaltet und gaben ein warmes, freundliches Licht ab.

Elias schloss die Tür hinter ihnen und legte ihre Tasche ab. „Wenn wir hier fertig sind, müssen wir sehen, wo wir bleiben“, führte er das Gespräch fort. „Wir?“, fragte Jen und schaute ihn überrascht an. „Ich bin ein Jäger und du die einzig wahre Auserwählte. Wir sind beide auf der Suche nach IHM und sollten zusammenbleiben. Jede Auserwählte hat einen Jäger an ihrer Seite.“ „Jede Auserwählte? Ich dachte Danjal hätte sie alle getötet, bevor ihr sie gefunden habt.“

Elias setzte sich aufs Sofa, Jen folgte ihm, setzte sich jedoch auf den Stuhl vor dem Sekretär. „ER hat die Auserwählten getötet, die IHM gefährlich hätten werden können, und die ER gefunden hat. Es gibt noch mehr, genauso, wie es noch mehr Jäger gibt. Unser Kampf besteht nicht nur darin IHN zu suchen und zu vernichten, unser Kampf besteht darin alles Böse zu finden und zu vernichte.“ „Es gibt mehr die sind wie er?“ Elias nickte. „Ich dachte er wäre das personifizierte Böse und alle Aufmerksamkeit der Bruderschaft würde auf ihm liegen.“ „Es gibt viele Dämonen, die ihre Abkömmlinge unter die Menschen senden, um das Böse zu bringen. Danjal ist der Schlimmste von allen, weil seine Fähigkeiten enorm sind und die Dinge, die er tut, zum Teil unglaubliche Auswirkungen haben, aber es gibt noch andere. Die größte Aufmerksamkeit der Bruderschaft gilt Danjal, die anderen Abkömmlinge werden jedoch nicht vergessen. Meine Tätigkeit ist natürlich ganz besonders IHM gewidmet, du kennst meine Geschichte und du hast deine Eigene mit IHM.“ Und ob sie die hatte.

Etwas brannte Jenna auf der Seele. Sie wollte nicht verrückt klingen, darum formulierte sie ihre Frage bewusst: „Wo ist Danjal zurzeit, habt ihr eine Ahnung?“ „Ich vermute ihn im Nahen Osten. Es gab dort ein paar Vorfälle, die mich das annehmen lassen. Ich wäre gestern eigentlich nach Israel geflogen, musste es aber verschieben, weil wir die Nachricht erhielten, dass du endlich aus der Klinik entlassen wirst.“

Jenna musste schlucken. Der Gedanke an die Anstalt verursachte ein unangenehmes Gefühl in ihrem Magen. Obwohl sie wusste, dass sie nicht verrückt war, hinterließ dieser Aufenthalt dort ein Gefühl von Verletzlichkeit. Und Elias Antwort auf ihre Frage, ließ sie schon wieder an ihrem Geisteszustand zweifeln; wenn Danjal in Israel vermutet wurde, dann konnte er sie heute nicht beobachtet haben. Sie bildete sich nur ein, dass ER in ihrer Nähe war, dass Louisa ihn auch gesehen zu haben schien, ignorierte sie. Vielleicht hatte sich die junge Frau ja geirrt, vielleicht war es einfach nur ein Patient gewesen, der ihr da gegenübergestanden hatte.

 

„Du siehst müde aus“, stellte Elias fest. Ich werde dich alleine lassen, damit du deine Sachen auspacken und schlafen kannst. Das Badezimmer ist gleich nebenan, du hast es für dich alleine.“ Nun hatte auch er einen besorgten Blick aufgelegt. „Jenna“, er kam auf sie zu und griff nach ihrer Hand, um sie festzuhalten, „es wird alles gut, glaube mir. Wenn die Medikamente erst einmal aus deinem Körper sind, wirst du dich schon ganz anders fühlen. Und wenn wir IHN gefunden und ausgelöscht haben, und ER für all das gebüßt hat, was ER getan hat, dann wirst du ruhiger.“ Jenna nickte. Sie umarmte Elias und er ging, nicht ohne ihr noch eine gute Nacht zu wünschen.

Während sie ihre paar Habseligkeiten auspackte und im Schrank und dem Sekretär verstaute, dachte sie an Elias Worte. Er hatte es gut gemeint, jedoch gab es in seinen Worten einen immensen Fehler, sie hatten bereits geglaubt Danjal endgültig vernichtet zu haben, aber es hatte nicht funktioniert. Wieso sollte es beim nächsten Mal funktionieren?

Am nächsten Morgen, nach einer guten Tasse Kaffee und einem leckeren Frühstück in einem Café, in der Nähe des Palais, ging es Jen tatsächlich besser. Sie hatte erstaunlich gut geschlafen und merkte, dass die benebelnde Wirkung der Medikamente mehr und mehr nachließ. Zwar trat nun der Schmerz über die Verluste, die sie hatte erleiden müssen, in den Vordergrund, aber wenigstens fühlte sie sich nicht mehr wie ein Zombie.

Als sie mit Elias, der sie nicht aus den Augen ließ, zurück in das Gebäude der Arsaten kehrte, wurden sie vom Ältesten erwartet. „Fräulein Drescher, ich hoffe Sie haben gut geschlafen. Wir würden gerne mit Ihrer Einweisung beginnen“, kam er ohne Umschweife zum Wesentlichen. Jen bejahte und war gespannt, auf das was nun geschehen würde.

Der Älteste lief vorweg, Elias und sie folgten ihm. Als sie am Ziel angekommen waren, war Jen enttäuscht. Sie hatte geglaubt vielleicht in die Katakomben des Hauses geführt zu werden, wo sie, wie bei James Bond oder besser den Geisterjägern, ein Arsenal an Dämonen aufspürenden Geräten, vernichtenden Waffen und allerlei geheimen Gerätschaften, vorfinden würde. Kreuze, die zu Wurfsternen umgearbeitet waren, Weihwasser in rauen Mengen und Mitglieder der Bruderschaft, die geschäftig umhereilten, um neue Dinge zu entwickeln im Kampf gegen das Böse. Stattdessen fand sie sich in einem recht großen Raum wieder, der mit hohen Holzregalen vorgestellt war, in denen sich unzählige Bücher und Papiere befanden. Mit einer Bibliothek als Ausbildungsstätte hatte sie nun gar nicht gerechnet.

Noch bevor sie ihr Erstaunen kundtun konnte, kam ein Mann auf sie zu; groß und hager, in eine Soutane mit Kollar gekleidet, schaute er sie durch dicke Brillengläser an, und stellte sich als Pater Sebastian vor. Sprachlos reichte sie ihm ihre Hand und brachte ein Lächeln zustande. „Der Pater wird Sie unterweisen, Elias und ich werden uns zurückziehen. Wenn Ihnen etwas fehlt, Sie Fragen haben oder sonst etwas ist, sagen Sie es, wir werden uns darum kümmern.“ Und dann verschwanden der Älteste und Elias.

Jenna stand diesem Mann der Kirche unsicher gegenüber, der abzuwarten schien, was sie sagen würde. Aber sie sagte nichts, und so ergriff er das Wort. „Kommen Sie“, er fasste ihr leicht an den Rücken und brachte sie damit dazu, ihm zu folgen. „Sie sehen erstaunt aus, ich kann Sie beruhigen, wir werden alles tun, damit Sie im Kampf gegen das Böse bestehen. Um zu verstehen was wir tun und mit wem wir es zu tun haben, müssen Sie unsere Geschichte und die Geschichte derer, die wir jagen, verstehen. Das ist das Fundament, auf dem alles aufgebaut ist.“ Jenna fasste sich und erwiderte: „Ich möchte mich entschuldigen für meine Unhöflichkeit. Es ist nur so, dass ich geglaubt habe, ich würde im Kampf ausgebildet, würde schießen lernen, Selbstverteidigung und all so etwas.“ Pater Sebastian lächelte, und Jen musste feststellen, dass es ihr unmöglich war, sein Alter zu schätzen. „Sie haben als Auserwählte ganz andere Mittel, als eine Pistole oder ein Messer. Sie haben bestimmte Gaben, mit denen Sie gegen die Abkömmlinge vorgehen, für den rein körperlichen Kampf wird ihnen ein Jäger an die Seite gestellt. Bitte nehmen Sie Platz.“ Sebastian deutete auf einen gemütlichen Stuhl, mit Armlehnen, der an einem Tisch stand. „Darf ich Ihnen einen Tee oder ein Wasser anbieten, bevor wir beginnen?“ „Tee wäre schön“, antwortete Jen, und der Pater verschwand und wurde vom Dämmerlicht verschluckt, das hier zwischen den Regalen herrschte.

Gaben, dachte Jena, ja, die sollte sie haben, das hatte man ihr bereits gesagt, nur leider hatte sie keinen blassen Schimmer welche das nun waren. Sie hatte bisher nicht feststellen können, dass sie irgendwie anders war, als zu dem Zeitpunkt, bevor sie erfahren hatte, dass sie die einzig wahre Auserwählte war. Sie war immer noch Jenna Drescher, 27 Jahre alt, Humanbiologin, momentan ohne Anstellung und frisch aus der Irrenanstalt entlassen.

„Sie brauchen sich keine Gedanken zu machen“, erklang die Stimme des alterslosen Priesters aus dem Nirgendwo, „es wird alles gut gehen.“ Er tauchte aus der Dämmerung auf und trug ein Tablett mit zwei Tassen, einer Teekanne, einer Zuckerdose und einem Milchkännchen vor sich her, das er auf dem Tisch abstellte, als er bei ihr angekommen war. Er setzte sich ihr gegenüber, goss die dampfende Flüssigkeit in die Tassen, und reichte ihr eine. „Wichtig ist, dass Sie Fragen stellen, wenn Sie welche haben. Haben Sie keine Scheu, ich mache das nicht zum ersten Mal und ich weiß, wie ungewöhnlich Ihre Situation ist. Auch wenn Ihnen etwas auf dem Herzen liegt, wenden Sie sich an mich. Ich bin ein Fremder, noch, aber ich kann Ihnen versichern, ich kann mich in Ihre Lage hineinversetzen. Auch ich musste irgendwann feststellen, dass ich es mit Dingen zu tun habe, für die andere einen als verrückt erklären.“

Er hatte eine warme, angenehme, beruhigende Stimme. Jenna hatte ein gutes Gefühl bei ihm. „Es ist nur so“, begann sie, nachdem sie einen Schluck getrunken hatte, „dass ich keine Ahnung habe, was meine Gaben sind.“ „Sie werden sie noch erkennen. Die Gaben sind von Auserwählter zu Auserwählter unterschiedlich und zeigen sich, wenn man bereit dafür ist. Manche Gaben sind mentaler Natur, andere körperlicher. Viele haben mehr als nur eine. Sie, als einzig wahre Auserwählte, dürften über sehr starke Möglichkeiten im Kampf gegen das Böse verfügen. Warten Sie es ab, lassen Sie sich darauf ein, dann wird es funktionieren.“

O.K., also abwarten dachte Jen, während sie zusah, wie Pater Sebastian ein paar dicke Folianten auf den Tisch hievte, sodass dieser ächzte. „Keine Sorge“, sagte der Geistliche beruhigend, er hatte wohl ihren erschrockenen Blick gesehen, „die müsse Sie nicht alle durchlesen. Es wird vielmehr eine Mischung aus Studium und Gespräch werden. Während wir hier miteinander arbeiten, werden Sie feststellen, dass ich ein geweihter Priester der katholischen Kirchen bin, der die Arsaten unterstehen, jedoch auch Dinge von mir gebe, die Ihnen vielleicht ketzerisch vorkommen mögen. Das ist keine Rebellion, das ist lediglich ein Resultat aus dem was ich, und die anderen Brüder, im Laufe der Zeit erlebt haben und nicht als Wertung des Glaubens zu nehmen.“ Gut, Jen wollte beginnen und Pater Sebastian schwieg, vorerst.

Der Vormittag war anstrengend gewesen. Natürlich wusste sie, wie schwer lernen sein konnte, während ihres Studiums und auch danach, hatte sie mehr als genug Erfahrung damit gesammelt, aber hier war es etwas anderes. Jenna war in ein Universum abgetaucht, dessen Geschichte mit der christlichen Erschaffung der Welt begann, und das war eine ziemlich lange Zeit.

Sie hatte erfahren wer die Bruderschaft der Arsaten war. Menschen, unterschiedlicher Herkunft und unterschiedlichen Hintergrundes schlossen sich der Bruderschaft an. Sie war der katholischen Kirche, dem Vatikan, unterstellt. Es gab viele Orte, an denen die Arsaten vertreten waren und jedes Refugium wurde von einem Ältesten geführt, der für alles verantwortlich war. Unterschiedliche Ämter waren besetzt, vom Bibliothekar bis hin zum Koch und vor allem nicht zu vergessen, die Jäger.

Die Jäger hatten eine besondere Fähigkeit, sie hatten ein ausgeprägtes Gespür für das Böse und sie waren widerstandsfähiger, als normale Menschen, gegen dessen Angriffe, sowohl körperlich, als auch geistig.

Zum Teil waren schon ihre Vorfahren Jäger gewesen. Einige waren Nachfahren der Tempelritter, andere hatten Vorfahren, die bereits vor der Ausbreitung des Christentums gegen das Böse gekämpft hatten, und wieder andere hatten im Laufe ihres Lebens festgestellt, dass sie irgendwie anders waren und sich der Bruderschaft angeschlossen.

Es gab Geistliche unter ihnen und welche, die es eben nicht waren. Die Ordnung der Bruderschaft glich entfernt einem Orden, auch für Nichtgeistliche galt eigentlich das Prinzip des Zölibats, eigentlich. Pater Sebastian hatte es so beschrieben; man wollte verhindern, dass die Jäger angreifbar waren. Die Abkömmlinge waren nicht dumm, ganz im Gegenteil, und ein Mensch, den man liebte, wollte man um alles auf der Welt beschützen und brachte dadurch sich und andere und die Aufgabe, in Gefahr. Jenna hatte an Elias denken müssen, dem es genauso ergangen war. Ein Bruch des Zölibats führte jedoch nicht automatisch zu einem Ausschluss aus der Bruderschaft, anderes galt natürlich für die geweihten Mitglieder. Auch Elias war ja nicht ausgeschlossen worden, weil er eine Geliebte gehabt hatte, sondern wegen dem, was er nach deren Ermordung, durch Danjal, getan hatte.