Menschenseelen

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Menschenseelen
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S. N. Stone

Menschenseelen

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Widmung

Prolog

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

Epilog

Danksagungen

weitere Veröffentlichungen und Homepage

Impressum neobooks

Widmung

Für Cordi, Monique und Steffi

Prolog

Er schaute sich das Blutbad an. Sie hatten IHN entkommen lassen und mit dem Leben dafür bezahlt. Frustriert strich er sich durch die Haare, sie hatten IHN unterschätzt, hätten eigentlich nicht sterben sollen. Er blickte zum Boden auf das Zeichen, es war unterbrochen. Er schüttelte den Kopf und atmetet tief ein. Er betete im Stillen, dass es nicht zu spät war.

„Rührt hier nichts an, bis ich es euch sage!“, befahl er den Männern, die ihn begleiteten.

Beim Hinausgehen zog er sein Handy aus der Hosentasche und wählte die Nummer, von der er sich geschworen hatte, sie nie wieder zu wählen. Scheiße! Aber es gab nur einen der helfen konnte und der musste das hier sehen.

1. Kapitel

Jenna Drescher verließ völlig übermüdet das Institut. Sie hatte fast 36 Stunden ununterbrochen gearbeitet, ebenso wie ihre drei Kollegen, die sogar jetzt noch im Labor saßen.

Es war dunkel und die Beleuchtung an der Hintertür, durch die sie gerade ins Freie getreten war, funktionierte wieder einmal nicht. Sie fröstelte und zog sich ihre Jacke enger um den Körper, dann ging sie schnellen Schrittes durch das Tor zum Parkplatz, auf dem ihr Auto stand. Gedankenverloren holte sie den Schlüssel aus der Tasche und steckte ihn ins Türschloss des alten, dunkelblauen 3er BMW. Ein heißes Bad, ein wenig Jazz, ein gutes Glas Rotwein und dann eine Mütze voll Schlaf, das war es, was sie brauchte, um die vielen Stunden Arbeit aus ihren Knochen zu vertreiben. Jen warf ihre Tasche auf den Beifahrersitz und stieg ein.

Morgen musste sie unbedingt ihre Mutter anrufen, sie hatte ihr schon fünf Nachrichten auf dem Handy hinterlassen, aber Jen war nicht dazu gekommen, sie zurückzurufen. Sie schloss die Tür, steckte den Schlüssel in das Zündschloss und drehte ihn. Der Wagen sprang zögernd an. Sie schaltete das Licht ein. Selbst ihre Schwester hatte schon eine Nachricht geschickt, mit der Bitte sie solle sich doch endlich mal melden und mit ihr teilte sie sich sogar eine Wohnung. Jen löste die Handbremse, legte den Gang ein und gab langsam Gas. Morgen, wenn sie ausgeschlafen hatte, würde sie sich mit allen unterhalten.

Abrupt stieg sie auf die Bremse und der Wagen kam mit einem Ächzen, ruckartig zum Stehen. Oh Gott! Da stand ein Mann genau vor der Stoßstange ihres Autos! Im Scheinwerferlicht erkannte sie ein blasses Gesicht und für einen kurzen Augenblick schien sie in seinen Augen den Schmerz der Welt zu sehen. Sie hatte ihn angefahren! Jenna ging von der Kupplung und der Motor erstarb, sie hatte ihn abgewürgt. Ihr Herz schlug wild in ihrer Brust. Sie schluckte schwer. Zitternd öffnete sie die Tür.

„Ach du meine Güte“, stammelt sie, während sie ausstieg, „es tut mir so leid, ich habe Sie nicht gesehen.“

Jenna ging auf wackligen Beinen zur Front ihres Fahrzeuges.

„Es tut mir so leid, ich hoffe Ihnen ...“

Der Mann stand in einem zerfetzten T-Shirt und Jeans vor ihr, keine Jacke, kein Mantel. In all dem Chaos, das in Jennas Gehirn herrschte, wunderte sie sich darüber. Es war Ende September und es war kühl, was veranlasste diesen Mann dazu hier, mit blutverschmiertem Shirt ohne Jacke vor ihr Auto zu laufen? Sie befand sich nun vor ihm und genau in diesem Moment brach er zusammen.

„Warum hast du nicht die Polizei gerufen?“, fragte Lukas ihr Humangenetiker, als er den Körper des bewusstlosen Mannes ächzend auf das Sofa im Aufenthaltsraum legte.

Jennas Stimme zitterte, als sie antwortete.

„Wenn ich nun Schuld an seinem Zustand bin?“

„Dann hättest du es erst recht machen müssen“, schimpfte er und besah sich den Mann. „Aber ich glaube, dass du das wohl kaum warst.“

Er hatte das Shirt, oder besser das, was davon noch übrig war, hochgeschoben und besah sich den Oberkörper.

„Ich werde Matti holen, der soll sich das ansehen.“

Lukas erhob sich und ging, dabei drehte er sich noch einmal um und runzelte die Stirn.

Während sie auf das älteste Mitglied ihres Teams wartete, Dr. Matthias Secher, Pathophysiologe, musterte Jenna den Mann: Etwa 1,85 m groß, schlank, gut durchtrainiert, perfekter Körperbau, perfekte Proportionen. Ihr Blick wanderte hoch zu seinem Gesicht. Er hatte Blutergüsse und eine Platzwunde und trotzdem: symmetrisch, feine Züge, perfekte Lippen, gerade Nase, die Augen geschlossen, aber alles im perfekten Abstand zueinander. Er hatte dunkle Haare, die Seiten ganz kurz, das Deckhaar etwas länger und feucht von Blut. Der Mann entsprach dem Idealbild. Lediglich sein schwer gehender Atem, das Blut und die Wunden und Blutergüsse zeugten davon, dass hier etwas nicht perfekt war.

Jenna schüttelte sich. Die Analyse kam ihr in dieser Situation selbst unangebracht vor, berufsgeschädigt, eindeutig!

Sven Schulte, Lukas Bruder und ihr Computergenie, kam herein und stellte sich mit verschränkten Armen neben sie und betrachtete den Mann.

„Na dem hast du ja ganz schön zugesetzt“, bemerkte er.

Bevor sie ihm sagen konnte, dass dies sicher nicht der Zeitpunkt für irgendwelche Sprüche war, kam Lukas in Begleitung von Matti zurück. Ohne sich weiter um die anderen zu kümmern, hockt der sich neben den Verletzten und holte eine Schere aus der Tasche seines Kittels heraus. Er schnitt die Überreste des Shirts auf und zog sie beiseite. Dann verharrte er einen Augenblick.

„Jenna“, er griff hoch an ihren Ärmel und zog sie zu sich herunter, „sieh dir das an.“

Er deutete auf den Oberkörper. Jenna folgte mit ihrem Blick seiner Geste. Ach du liebe Güte! Er hatte tiefe Schnittwunden, violette Blutergüsse überall und dann zeigte Matti auf die linke Schulter des Mannes. Jen spürte Svens Atem in ihrem Nacken, auch er hatte sich heruntergebeugt.

„Was hat man mit ihm gemacht?“, fragte er schockiert.

„Ich denke da wollte ihm jemand richtig wehtun, sieht aus wie eine Brandverletzung“, antwortete Matti.

Obwohl Jenna aufgrund ihres Jobs schon ziemlich viel gesehen hatte, verspürte sie bei dem Anblick ein unangenehmes Ziehen in ihrem Unterleib.

„Könnte es ein Unfall gewesen sein?“, fragte sie.

Matti zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht, aber er muss unbedingt in ein Krankenhaus, hier krepiert er uns. Die Wunden müssen versorgt werden.“

Anstatt einen Notarztwagen zu rufen, hatten sie den Mann in das Auto der Brüder verfrachtet und waren zur Notaufnahme gefahren. Dort hatte man sich umgehend dem Schwerverletzten angenommen und die Polizei benachrichtigt. Lukas, Sven und sie selbst waren befragt worden.

 

Nun saß sie ganz alleine hier im Wartebereich. Die Polizei war wieder weg und sie hatte die Brüder nach Hause geschickt und auch sie hätte jetzt besser in ihrer Wohnung sein sollen. Aber irgendwie war Jen nicht in der Lage. Sie wollte in der Nähe des Mannes bleiben.

Eine weitere Stunde verging, in der nichts geschah. Die Müdigkeit, die sie aufgrund der ganzen Aufregung vergessen hatte, kehrte zurück. Jenna saß auf einer dieser Plastikbänke und ihre Glieder waren so schwer. Nun gut, sie würde sich ein Taxi nehmen und endlich heimfahren. Morgen würde sie zurückkommen und hoffen, dass man ihr Auskunft gab.

„Mein Gott wo warst du denn, warum hast du dich nicht gemeldet?“, wurde sie von ihrer Schwester begrüßt, die im Nachthemd und mit zerzausten Haaren die Tür aufgerissen hatte, noch bevor Jenna den Schlüssel hatte abziehen können.

„Hast du die ganze Zeit gearbeitet? Warum hast du nicht einmal angerufen? Ich habe mir Sorgen gemacht!“, schimpfte sie weiter, als Jen sich Jacke und Schuhe auszog.

„Ich muss ins Bett“, antwortete sie nur und ließ Laura mit offenem Mund stehen.

2. Kapitel

Jenna stand im Badezimmer und starrte ihr Spiegelbild an. Sie hatte schlecht geschlafen und genauso sah sie auch aus. In ihren Träumen hatte sie der Schmerz in den Augen des Mannes verfolgt. Jen streckte sich selbst die Zunge heraus und griff zur Zahnbürste und Zahnpasta. Sie drückte viel zu viel aus der Tube und die Paste verteilte sich im Handwaschbecken. Man! Sie musste ihre Mutter anrufen! Jenna putzte sich die Zähne und starrte dabei weiter in den Spiegel. Wie es ihm wohl ging? Sie spuckte den Zahnpastaschaum ins Becken und spülte sich den Mund aus. Sie würde nachher ins Krankenhaus fahren.

In der Küche wartete Laura bereits am gedeckten Frühstückstisch.

„Na, ausgeschlafen?“, fragte sie und legte die Tageszeitung zur Seite.

Jenna schüttelte den Kopf, setzte sich und goss sich einen Kaffee ein.

„Ich habe gestern einen Mann angefahren“, sagte sie beiläufig, während sie sich ein Brötchen schmierte.

Als sie abbiss, schaute sie auf und sah, wie Laura sie mit großen Augen ansah

„Du hast einen Mann angefahren? Und das erzählst du mir mal ebenso nebenbei? Gehts dir gut? Ist dir was passiert? Ist ihm was passiert?“

Jen kaute, schluckte runter und trank von ihrem Kaffee.

„Jenna!“, fuhr Laura sie an, „würdest du mir jetzt bitte verdammt noch mal erzählen, was geschehen ist?“

Laura, die große Schwester und Aufpasserin war beinahe hysterisch.

„Mir geht es gut und dem Mann habe ich auch nichts getan, es war beim Ausparken, aber ...“ und Jen erzählte, was geschehen war.

"Oh mein Gott!“ Laura betonte jedes Wort. „Und was nun?“

„Und nun hat die Polizei meine Aussage und meine Personalien und wird sich bei mir melden, wenn noch irgendetwas ist“, antwortete sie. „Ich werde nachher ins Krankenhaus fahren.“

„Soll ich dich begleiten?“

Jenna schüttelte den Kopf, nein, sie wollte dort alleine hin.

Als Jenna die Klinik betrat, musste sie erst einmal überlegen, wo der Mann untergebracht worden war. Ehrlich gesagt hatte ihr der Schock so tief in den Knochen gesteckt, dass sie sich nicht mehr richtig erinnern konnte. Sie war mit dem Fahrstuhl gefahren, zwei Etagen. Also los, in den zweiten Stock. Dort angekommen lief sie einen kurzen Gang entlang und entdeckte den Wartebereich mit den Plastikbänken. Sie sah, ein paar Schritte entfernt, einen Tresen hinter dem eine ältere Krankenschwester über Papiere gebeugt, saß. Jen ging dorthin.

„Entschuldigen Sie bitte“, sprach sie die Schwester an die sofort ihren Kopf hob und sie anlächelte. „Gestern Abend wurde ein Mann hier hergebracht. Er war schwer verletzt und die Polizei wurde hinzugerufen.“

Die Frau nickte. „Darüber weiß ich Bescheid“, antwortete sie freundlich.

„Ich wollte mich erkundigen, wie es ihm geht.“

Die Krankenschwester neigte den Kopf ein wenig. „Sind Sie denn eine Angehörige?“

„Nein, ich habe ihn aber gefunden und her gebracht“, antwortete sie und ärgerte sich im selben Moment über ihre unüberlegte Antwort, nun würde sie sicher nichts erfahren.

„Ich mache mir natürlich Gedanken und möchte gerne wissen, wie es ihm geht“, versuchte sie die Situation zu retten.

Die Frau erhob sich von ihrem Stuhl und kam um den Tresen herum. Sie nahm Jen am Arm und zog sie ein Stück zur Seite.

„Ich darf Ihnen keine Auskunft geben, aber ich kann Sie verstehen. Es geht ihm nicht sehr gut. Die Schnittwunden am Oberkörper sind sehr tief und er hat viel Blut verloren. Er hat eine schwere Brandwunde an der Schulter, Verbrennungen sind eine heikle Angelegenheit, das Infektionsrisiko ist sehr hoch. Er hat heute Morgen das Bewusstsein wiedererlangt. Die Polizei war bereits bei ihm, aber er kann sich an gar nichts erinnern, an überhaupt nichts, er kennt nur seinen Vornamen. Die Polizei ist bemüht, seine Identität zu klären. Ich sage Ihnen das nur, weil er mir leidtut, er hat einiges durchgemacht.“

„Kann ich ihn sehen?“, fragte Jen, irgendwie war es ihr ein Bedürfnis.

„Tut mir leid, nein.“

Jenna senkte den Kopf.

„Sie sind keine Angehörige und er braucht Ruhe. Einige Untersuchungen stehen an. Aber wissen Sie was? Kommen Sie morgen noch einmal wieder, etwa zur selben Zeit. Ich habe Frühdienst bis 14.00 Uhr und werde sehen, ob ich etwas machen kann. Wenn ich mit den behandelnden Ärzten spreche und sie überzeugen kann, dass ein Besuch von Ihnen ihm vielleicht bei seinen Erinnerungen helfen kann, dann geht das vielleicht.“

Jenna bedankte sich und die Krankenschwester begab sich wieder hinter den Tresen. Jen war schon am Gehen, als ihr etwas einfiel, sie ging noch einmal zurück.

„Entschuldigen Sie, verraten Sie mir seinen Namen?“

In der U-Bahn, auf dem Weg zum Institut, kaute sie nervös auf ihren Nägeln herum. Sein Name war Danjal, ein sehr ungewöhnlicher Name und irgendjemand hatte diesem Mann ziemlich viele Schmerzen zugefügt. Krass, dachte sie, was mag der Grund dafür gewesen sein? Und er konnte sich an nichts mehr erinnern. Jen schaute auf ihre Uhr, Mist, sie war viel zu spät dran, hoffentlich nahmen es ihr die Jungs nicht übel.

In Gedanken ging sie durch, was für heute anlag. Sie hatten viel zu tun. Das Forschungsprojekt, für das sie den Zuschlag erhalten hatte, lief nicht wie geplant und sie waren in Verzug. Wenn sie nicht bald Ergebnisse lieferten, würde man ihr die Gelder streichen. Alles, wofür sie die letzten zehn Monate gearbeitet hatten, wäre für die Katz.

Der restliche Tag zog sich wie Gummi. Die Stimmung im Team war schlecht. Für die kommende Woche hatte sich ein Vertreter der Forschungskommission, die ihr die Gelder gewährt hatte, angemeldet. Jenna hatte gehofft mehr Zeit zu haben, aber vielleicht schafften sie es ja bis dahin doch noch ausreichend vorzuweisen.

Sie arbeiteten alle bis zum späten Abend und setzten sich dann auf ein Getränk zusammen. Anfangs hatten sie das häufiger getan, da hatten sie geglaubt genug Zeit zu haben. Matti und Lukas tranken ein Bier, Jenna hielt sich an einer Cola fest, sie wollte mit ihrem Auto nach Hause.

„Weißt du wie es dem Typen geht, den du gestern überfahren hast?“, fragte Sven und nahm einen Schluck aus seiner Flasche.

Sie schaute ihn böse an. „Ich habe ihn nicht überfahren“, gab sie gereizt zurück.

Er verdrehte die Augen.

„Ich habs nicht so gemeint, entschuldige.“

Jen schluckte. „Das geht mir ziemlich nah, was ist, wenn ich ihn doch schwerer verletzt habe, als er ohnehin schon war?“

„Hast du nicht“, ging Matthias dazwischen, „du hast seine Verletzungen gesehen, die hatte er eindeutig schon vorher. Vielleicht kann er ganz froh sein, dass er dir vors Auto gelaufen ist, wer weiß was sonst mit ihm passiert wäre.“

Ja sicher, Matti hatte recht, trotzdem!

„Es geht ihm nicht so gut. Er war wieder bei Bewusstsein, kann sich aber an nichts erinnern.“

„An gar nichts?“, fragte Sven.

Jenna schüttelte den Kopf. „An gar nichts, nur an seinen Vornamen.“

Sven hob die Augenbrauen. „Ist euch eigentlich aufgefallen, dass er verdammt gut aussieht?“, fragte er in die Runde. Sven war schwul und machte kein Geheimnis daraus, warum auch.

„Das hast du sehen könne bei all dem Blut?“, fragte ihn sein Bruder.

„Er hat nen wahnsinns Körper“, schmunzelte Sven und zwinkerte ihm zu.

War es ihr auch aufgefallen? Aus anatomischer Sicht war er perfekt, wie war das aus rein menschlicher Sicht? Sie atmete tief durch.

„Ich glaube darüber solltest du dir Gedanken machen, wenn er wieder gesund ist.“

Typisch Matti, dachte Jen, immer kontrolliert, voller Anstand und ganz sachlich.

„Irgendjemand muss auf jeden Fall ziemlich sauer auf ihn gewesen sein, wenn er seine Wut auf diese Art und Weise an ihm ausgelassen hat. Jen, vielleicht solltest du die Sache auf sich beruhen lassen und abwarten, was die Polizei über ihn herausfindet“, sagte er.

Es auf sich beruhen lassen, hämmerte es in ihrem Kopf. Irgendwie hatte sie es plötzlich eilig nach Hause zu kommen und mit Laura zu reden.

„Jungs“, sagte sie und erhob sich, „seid mir nicht böse, aber ich mag hier Schluss machen, ich bin kaputt.“

Sie verabschiedeten sich voneinander und Jenna eilte zu ihrem Auto, das seit gestern auf dem Parkplatz auf sie wartete.

Ihr Handy piepte und signalisierte ihr, dass sie eine Nachricht erhalten hatte, sicher ihre Mutter. Nicht jetzt, morgen! Beim Ausparken schaute sie sich noch gründlicher um, als nötig gewesen wäre, sie wollte nicht wieder jemanden anfahren.

„Ich kann mit Markus reden, wenn du willst“, sagte Laura, mit der sie im Jogginganzug auf dem flauschigen Teppich saß und noch ein Glas Wein trank. „Und dein Kollege ist scharf auf den Jungen?“

Jen nickte.

„Und du auch?“, fragte ihre Schwester.

„Laura, der Typ war kurz davor das Zeitliche zu segnen, glaube mir, darüber habe ich mir keine Gedanken gemacht, als er da so blutüberströmt vor mir zusammengebrochen ist“, antwortete sie und wurde ganz leicht rot.

Laura schaute auf die Uhr. „So, ich muss jetzt schlafen, ich habe morgen einen Termin.“

Sie stand auf und brachte ihr Glas und die Flasche in die Küche. Jenna folgte ihr.

„Und du sprichst mit Markus?“, hakte Jen noch einmal nach.

Laura nickte und gab ihr einen Kuss auf die Wange.

Elias war am Nachmittag aus Paris mit dem Flugzeug in Berlin Tegel gelandet. Der Zollbeamte hatte nicht schlecht geguckt, als er die Waffen in seinem Gepäck gefunden hatte. Elias hatte seine waffenrechtliche Genehmigung vorgelegt und durfte dann irgendwann passieren.

Eine schwarze Limousine hatte auf ihn gewartet und sofort zu den Lagerhallen gebracht. Dort hatte er sich das Unglück angeschaut. Der Geruch des Todes war widerlich. Überall war Blut und Männer, Brüder, die ihn aus toten Augen anstarrten. Bei Gott ja, sie hatten IHN unterschätzt. Warum waren sie so leichtsinnig gewesen?

„Ich hatte gehofft wir könnten auf dich und deine Dienste verzichten“, hatte der Älteste, der ihn begleitete, gesagt. Nein, auch wenn es ihnen lieber gewesen wäre, sie konnten es nicht.

Elias stand in dem Hotelzimmer, das sie für ihn gebucht hatten, sie wollten ihn nicht in ihren Räumlichkeiten beherbergen, er war keiner mehr von ihnen. Er spürte, dass das Zittern wieder anfing und der Schmerz kam. Nervös durchsuchte er seine Tasche, er musste sich beeilen, er konnte und wollte die Qualen nicht ertragen.

Nachdem sich sein Körper langsam wieder beruhigt hatte, legte er sich auf das Bett. Vielleicht, so hoffte er, würde er die Gelegenheit bekommen das zu Ende zu bringen, was er damals nicht geschafft hatte.

3. Kapitel

Jenna stand wieder vor dem Tresen im Krankenhaus, niemand war dort. Sie beobachtete das aufgeregte Treiben auf der Station. Schwestern, Pfleger und Ärzte rannten hin und her. Eine junge Frau auf einer Liege wurde an ihr vorbeigeschoben und sie sah, dass sie die Kleidung der Krankenschwestern dieses Hauses trug. Die Frau hatte eine Sauerstoffmaske auf dem Gesicht und war aschfahl, ihre Augen rollten unkontrolliert hin und her. Dann waren sie vorbei. Jenna wartete und wenig später kam die Schwester von gestern. Sie wirkte angespannt, lächelte Jen aber an.

 

„Da sind Sie, guten Tag.“ Sie nahm einen Schluck aus einer Wasserflasche und setzte sich. „Ich werde gleich nach dem Patienten sehen, ich muss mich nur erst einmal sammeln. Eine meiner Kolleginnen ist auf dem Flur zusammengebrochen, wir haben sie am ganzen Körper zitternd gefunden. Sie muss einen Anfall gehabt haben, es sieht schlimm aus.“ Sie atmete tief durch und erhob sich. „So, ich werde mal schauen, ob er wach ist.“

Jenna wartete erneut. Minuten vergingen und die Frau kam zurück.

„Er ist weg!“, rief sie. „Nicht mehr im Zimmer.“

Sie hastete zum Telefon und wählte eine Nummer. Während sie darauf wartete, dass am anderen Ende abgenommen wurde, sprach sie zu Jen: „Er war gar nicht in der Lage aufzustehen, ich kann mir nicht erklären wo- Ja, ich bins, Rosalie, der Patient von Station 3 Zimmer 24 ist verschwunden.“

Sie redete, hörte zu, nickte und legte auf. Dann wendete sie sich wieder an Jen.

„Ich denke es wäre besser Sie gehen und kommen ein anderes Mal wieder, wir müssen ihn finden. Nicht, dass ihm etwas zugestoßen ist. Die Polizei wird benachrichtigt, wenn er denen die ihm das angetan haben in die Hände gefallen ist .... nicht auszudenken!“

Die Aufregung, die eben geherrscht hatte,wäre ein gutes Ablenkungsmanöver gewesen, um den Mann hier raus zu schaffen, dachte Jenna. Sie nickte und verabschiedete sich.

Sie würde nicht noch einmal herkommen, sie sollte sich da besser heraushalten. Es war nicht ihre Aufgabe sich um den Mann zu kümmern, sie hatte alles getan, was sie tun konnte und wenn die Polizei ihre Hilfe noch benötigte, würden sie sich an sie wenden. Sie hatte Wichtigeres zu tun, redete sie sich ein und wusste, dass es ihr schwer fallen würde sich an diesen Vorsatz zu halten.

Auf dem Weg zum Auto suchte sie den Schlüssel, verdammt, wo war der nur? Den Kopf noch in der Tasche stieß sie auf dem Parkplatz gegen jemanden. Erschrocken schaute sie auf um sich vielmals zu entschuldigen und starrte in zwei hellgraue Augen voll Schmerz. Ihr blieben die Worte im Hals stecken. Ihr Unterbewusstsein registrierte, dass er zwar eine Jacke trug, darunter jedoch nur dieses furchtbare Krankenhaushemd, keine Schuhe. Unfähig sich zu bewegen, starrte sie ihn an. „Ich muss hier weg“, wisperte er, „ich kann hier nicht bleiben.“ Seine Augen wurden dunkler, so als würden Gewitterwolken in ihnen aufziehen. „Sie müssen mich hier wegbringen, bitte helfen Sie mir.“

Er kann nicht hierbleiben, er muss weg, ich muss ihn wegbringen, dieser Gedanke setzte sich so tief in ihr fest, dass Jen gar nicht auf die Idee kam, daran könnte irgendetwas nicht in Ordnung sein. „Mein Wagen ist dort drüben“, sagte sie, schaute sich um und griff seine Hand um ihn mitzuziehen. Den Schlüssel hielt fest umklammert sie in der anderen Hand.

Während sie vom Krankenhausparkplatz herunter fuhr, fiel ihr ein, dass sie keinen blassen Schimmer hatte, wo er überhaupt hin wollte. Sie fragte ihn.

„Ich weiß nicht nur weg hier“, antwortete er und rutschte auf dem Sitz ein wenig zur Seite.

Er hatte sich nicht angeschnallt und ihr fiel die Verbrennung an der Schulter ein. Jenna würde ihn mit nach Hause nehmen. Laura hatte einen Termin, der bis zum späten Abend dauern würde und dann wollte sie noch etwas mit ihren Auftraggebern trinken gehen. Weit würde sie den Mann eh nicht bekommen, aus dem Augenwinkel beobachtete sie ihn, er sah grauenvoll aus. Warum war er aus dem Krankenhaus geflohen?

Vor dem Mietshaus im Berliner Bezirk Wedding, in dem ihre Wohnung lag, parkte sie den BMW und stieg aus. Er folgte ihr, und als sie die Haustür aufschloss, schwankte er. Sie beeilte sich.

Es fiel ihm schwer die Stufen in die vierte Etage hinaufzugehen, und als sie endlich im Flur ihrer Wohnung standen, war er leichenblass. Seine Lippen waren weiß und seine hellen Augen glänzten fiebrig. Jenna schmiss ihre Jacke und die Tasche unachtsam zu Boden, sie musste ihn irgendwo zwischenlagern, bevor er ihr umkippte. Verdammt! Was hatte sie nur veranlasst ihn mit nach Hause zu nehmen?

Es ist O.k., dass er hier ist, wo hätte er denn sonst hin gesollt?

Sie schob ihn in ihr Zimmer und schloss die Tür hinter sich.

„Ich glaube mir geht es nicht so gut“, flüsterte er, und bevor sie ihn aufs Bett drücken konnte, verdrehte er die Augen und brach zusammen.

Na wunderbar, dachte Jenna, als sie sich völlig aufgelöst einenTee kochte, ich habe hier einen wildfremden Mann in der Wohnung, von dem ich nicht viel mehr als den Vornamen weiß.Vielleicht war er ja ein Verbrecher. Was würde Laura sagen, wenn sie nach Hause kam?

Mit dem Tee in der Hand ging sie zurück in ihr Zimmer und schaute hinein. Sie hatte es mit einiger Mühe geschafft ihn aufs Bett zu ziehen, dort lag er in unveränderter Position.

Sie musste im Institut anrufen, eigentlich hätte sie jetzt unbedingt dort sein sollen. Sie wählte die Nummer und sprach mit Sven. Sie erklärte ihm, dass ihre Großmutter im Krankenhaus läge und sie zu ihr fahren müsse. Innerlich bat sie ihre Oma, die bereits vier Jahre tot war, um Entschuldigung. Sie versicherte ihm so schnell wie möglich zurückzukommen, sodass sie spätestens übermorgen wieder zur Arbeit erscheinen würde. Sven sagte, sie solle sich keine Sorgen machen, die Familie ginge schließlich vor und sie würden ohne sie weiterarbeiten, dann verabschiedeten sie sich und legten auf.

Mit der Teetasse in der Hand stellte sie sich ans Fenster und schaute auf die Straße herunter. Autos fuhren, Menschen liefen eilig hin und her. Er hatte nichts anzuziehen, kam es ihr in den Sinn. Sie stellte die Tasse ab und verschwand in Lauras Zimmer. Zwar war ihre Schwester nicht mehr mit Markus zusammen, aber Jen wusste, dass er noch ein paar Klamotten hier hatte. Sie durchsuchte den Schrank und fand zwei T-Shirts, einen Pullover, eine Jeans mit Gürtel, eine Jacke und sogar ein paar Boots und Socken, keine Unterwäsche. Markus war ähnlich groß wie der Mann, Danjal, rief sie sich ins Gedächtnis, aber nicht ganz so schlank. Naja, erst einmal würde es sicher gehen. In Lauras Badezimmer fand sie sogar noch ein paar Einwegrasierer und Rasierschaum. Sie griff alles und brachte es ins Wohnzimmer.

Danjal wurde wach und setzte sich auf, was er sofort bereute. Sein ganzer Körper schmerzte und ihm war schwindelig. Er wusste nicht wo er war, oder was geschehen war, er wusste nicht einmal wer er war.

Er war in einem Bett, es war zu dunkel, um mehr zu sehen. Er stand auf und versuchte einen Lichtschalter zu finden, vielleicht von einer Nachttischlampe, dabei fiel etwas polternd zu Boden. Ein heller Schein fiel ins Zimmer, jemand hatte die Tür geöffnet. Er sah eine Silhouette.

„Warte, ich mache das Licht an.“

Es war die Stimme einer Frau. Es wurde ganz plötzlich hell und er schloss die Augen.

„Du siehst schlecht aus.“ Die Stimme kam näher.

Er spürte zwei Hände, die ihn sanft an den Armen packten und ihn vorsichtig zurück aufs Bett schoben. Als sich seine Augen an die Helligkeit gewöhnt hatten, sah er sie. Die braunen Haare hatte sie zu einem Pferdeschwanz gebunden, sie trug einen grauen Jogginganzug und schaute ihn aus braunen Augen an. Sie war recht jung.

„Wo bin ich?“, fragte er.

„Bei mir zu Hause.“ Die Frau lächelte ihn verlegen an.

„Und wer bist du?“

„Jenna, mein Name ist Jenna“, antwortete sie.

„Was ist geschehen?“

Sie erzählte ihm mit wenigen Worten, was sie wusste.

Ja, Danjal, seinen Namen kannte er. Jetzt kam auch der Hauch einer Erinnerung daran zurück, dass er irgendwo gelegen hatte und ein Mann und eine Frau ihm Fragen gestellt hatten. Mehr wusste er nicht. Er konnte nicht einmal sagen, ob er deshalb verzweifelt war, eher hatte er das Gefühl gar nichts zu spüren.

„Hast du ein etwas Wasser für mich?“ Sein Hals war so trocken.

Sie nickte stand auf und verschwand, um kurz später mit einem Glas zurückzukommen. Im Arm hielt sie ein Bündel.

„Hier.“ Sie reichte ihm das Wasser und er trank, dann stellte er es auf den Nachttisch.

„Ich habe deinen Wecker heruntergerissen“, stellte er fest und versuchte ihn wieder aufzuheben. Sofort waren die Schmerzen da. Er konnte sich nicht daran erinnern jemals solche Schmerzen gehabt zu haben, aber woran konnte er sich schon erinnern?

„Lass nur“, sagte sie und bückte sich, „ich hebe ihn auf.“ Sie war ein wenig verlegen. „Ich habe dir ein paar Sachen zusammengesucht, sie sind von dem Exfreund meiner Schwester. Ich dachte mir dieses Krankenhaushemd ist vielleicht nicht so ganz das Richtige. Eventuell solltest du ein T-Shirt überziehen.“

Sie reichte ihm eins. Umständlich bemühte Danjal sich dieses furchtbare Hemd auszuziehen, es klappte nicht und sie half im.

Er trug einen Slip, zum Glück, denn in dem Moment, in dem sie ihm half das Hemd abzustreifen, fiel ihr die nicht vorhandene Unterwäsche ein. Jen wurde rot. Als er da so saß, schaute er an sich herab und ein verzweifeltes Oh entfuhr ihm. Er sah so schlimm aus und das wurde ihm wohl nun bewusst. Seine Lippen zitterten leicht, als er sie anschaute.

„Es ist O.K., dass ich hier bin“, flüsterte er.

Ja, natürlich war es O.K., dass er hier war, dachte Jenna, wo sollte er denn sonst sein?

Als sie ihm half das T-Shirt überzuziehen, kam sie ihm recht nahe und sie konnte zwei kleine Tätowierungen innen an seinen Handgelenken erkennen. Auf jedem ein Symbol deren Bedeutung sie nicht kannte. Sie sah auch Spuren von Fesseln.

Er wusste, dass er hier erst einmal sicher war, vor wem oder was das wusste er nicht. Er bekam das Zittern seines Körpers nicht mehr unter Kontrolle und merkte, wie sich eine beruhigende, erlösende Schwärze in ihm ausbreitete. Die Frau musste bei ihm bleiben, sie musste hier, bei ihm bleiben, dachte er und versank im Nichts.

Er hatte das Bewusstsein wieder verloren, war er hier wirklich gut aufgehoben? Trotz dieser Gedanken zog sie ihn weiter auf das Bett.

Ich muss bei ihm bleiben, dachte sie und legte sich neben ihn.