Heileurythmie

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Heileurythmie
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LUNATA

Heileurythmie

Heileurythmie

© 1921-1922 by Rudolf Steiner

© Lunata Berlin 2020

Inhalt

Erster Vortrag

Zweiter Vortrag

Dritter Vortrag

Vierter Vortrag

Fünfter Vortrag

Sechster Vortrag

Siebenter Vortrag

Achter Vortrag

Über den Autor

Acht Vorträge

Dornach, 12. bis 18. April 1921 und Stuttgart am 28. Oktober 1922

Erster Vortrag
Dornach, 12. April 1921

Ich möchte mit diesen Nachmittagsstunden die ersten Keime – möchte ich sagen – einer Art Heil-Eurythmie andeuten. Wir werden dazu heute eine Art Einleitung haben, um dann dasjenige, was wir da gewinnen, überzuleiten in den nächsten Tagen in bestimmte Formen. Ich möchte einiges Prinzipielle zunächst bemerken. Dasjenige, was bisher getrieben worden ist als Eurythmie, ist Eurythmie als Kunst; und als eurythmische Kunst ist sie zu gleicher Zeit dasjenige, was auch von der Pädagogik und Didaktik als Eurythmie für Kinder akzeptiert werden muß. Denn dasjenige, was bisher entwickelt worden ist als Eurythmie, das ist durchaus hervorgeholt aus der Gestalt des gesunden Menschen. Und wir werden sehen, wie sich ergeben werden gewisse Anhaltspunkte, um ein Hygienisch-Therapeutisches aus dem Eurythmischen heraus zu gewinnen, wie sich manche künstlerische Formen werden nach der einen oder nach der andern Richtung metamorphosieren, um eben zu dem zu werden, was man eine Art Heileurythmie nennen kann. Es wird natürlich prinzipiell notwendig sein zu betonen, daß diese künstlerische Eurythmie, die im wesentlichen ein Ausleben desjenigen ist, was elementar in der Gestalt und in den Bewegungstendenzen des menschlichen Körpers liegt, daß diese künstlerische Eurythmie sowohl für den Anblick, wie auch eben für die Ausbildung des gesunden menschlichen Organismus, für das seelisch-geistig-körperliche Ausbilden des gesunden menschlichen Organismus als das Richtige angesehen werden muß. Aber man kann eben hinarbeiten nach einer Heileurythmie, welche sehr weit gehen kann in der Behandlung von irgendwelchen chronischen und auch akuten Zuständen, die aber namentlich auch in dem Fall sich als sehr zweckmäßig und wichtig erweisen wird, wenn wir uns bemühen, heranrückende Krankheiten, Anlagen zu Krankheiten, gewissermaßen prophylaktisch eurythmisch zu behandeln. Da haben wir dann allerdings ein Element gegeben, wo das didaktisch-pädagogische Element der Eurythmie wird übergehen müssen allmählich in das hygienisch-therapeutische. Für diejenigen aber, die künstlerische Eurythmie treiben wollen, möchte ich ausdrücklich betonen, daß sie in intensivster Weise, wenn sie eurythmische Kunst treiben wollen, das werden vergessen müssen, was sie sich in diesen Stunden hier aneignen. Denn gerade auf diesem Gebiet wird man im strengsten Sinne auseinanderhalten müssen dasjenige, was zu hygienisch-therapeutischem Ziel angestrebt wird, und dasjenige, was in der Eurythmie als das Künstlerische angestrebt werden muß. Und wer beides wird durcheinanderwerfen wollen, wird sich erstens seine eurythmische Künstlerschaft zerstören und zweitens in Bezug auf das therapeutisch-hygienische Element nichts Besonderes erreichen können. Es wird ja ohnedies, wie die folgenden Stunden zeigen werden, notwendig sein, daß man, um das hygienisch-therapeutische Element der Eurythmie anzuwenden, dazu gewisse Kenntnisse, die wie in eine Art Gefühl für die Bildung des menschlichen Organismus übergehen, daß man solche physiologischen Kenntnisse beim Anwenden, beim praktischen Anwenden, durchaus wird haben müssen. Nun, nachdem ich das vorausgeschickt habe, möchte ich, wie es sich mir angemessen erweist, gerade für die Ziele, denen wir hier entgegenstreben, etwas genauer eingehen auf dasjenige, was nun der menschlichen Eurythmie überhaupt zugrunde zu legen ist. Wenn man verstehen will, was Eurythmie nach ihren verschiedensten Inhalten ist, muß man zunächst sich ein gewisses Verständnis erwerben für den menschlichen Kehlkopf. Die andern Sprachorgane werden wir gerade im Verlaufe unserer Übungen im Zusammenhang mit dem menschlichen Kehlkopf kennenlernen. Aber das erste, das wir uns aneignen müssen, wird sein müssen eine gewisse Kenntnis des menschlichen Kehlkopfes und seiner ganzen Bedeutung für die menschliche Organisation überhaupt. Man ist viel zu sehr geneigt, ein einzelnes menschliches Organ wie eine Sache für sich zu betrachten. Das ist es aber nicht. Das ist kein menschliches Organ. Jedes menschliche Organ ist ein Glied der Gesamtorganisation und zu gleicher Zeit eine metamorphosische Umänderung gewisser anderer Organe. Im Grunde genommen ist jedes für sich abgeschlossene menschliche Organ eine Metamorphose der andern für sich abgeschlossenen menschlichen Organe. Da haben wir allerdings die Sache so, daß gewisse menschliche Organe und Organgruppen sich erweisen als, genauer, präziser möchte ich sagen, den Charakter der Metamorphose mehr in sich tragend, andere weniger. Aber ein solches Beispiel, wo wir nur durch eine richtig verstandene Metamorphose eindringen können von einem Organ aus in das Wesen des menschlichen Organismus, das ist der Kehlkopf. Erinnern Sie sich nur einmal aus Ihren anatomischen und physiologischen Erkenntnissen, wie eigenartig dieses Organ des menschlichen Kehlkopfes gestaltet ist. Es ist dasjenige, was ich sagen will, nur durch ein, ich möchte schon sagen, goethehaftes Anschauen dieses menschlichen Kehlkopfes zu gewinnen. Aber wenn Sie sich bemühen, dieses goethehafte Anschauen der betreffenden Organe, auf die wir jetzt rekurrieren wollen, anzustreben, so werden Sie sehen, daß es damit geht. Wenn Sie den Kehlkopf zunächst nehmen als eine nach oben gerichtete Fortsetzung der Luftröhre, so werden Sie als Charakteristisches finden, wenn Sie ihn seinen Formen nach studieren, daß er ist ein umgewendetes, von vorne nach rückwärts gewendetes Stück der menschlichen Organisation; von einem andern Orte ein anderes Stück menschlicher Organisation umgewendet. Stellen Sie sich vor: das Hinterhaupt des Menschen, mit Einschluss der Gehörpartie; und denken Sie sich das, was Sie sich da vorstellen als Hinterhaupt des Menschen mit Einschluss der Gehörpartie, insofern sie in diesem Teil des Menschen lokalisiert ist, mit Ausschluss des Vorderhirns zunächst, und fortgesetzt nach unten so, daß es übergeht in den menschlichen Brustkorb mit seinen Rückenwirbeln, aber mit dem Ansatz der Rippen, die vorne das viel weichere Brustbein haben, das überhaupt unten ganz wegfällt. Also, Sie stellen sich dieses Organsystem vor, das weniger genau abgegrenzt ist, das ich jetzt angeführt habe: der rückwärtige Teil des Kopfes, einschließlich der Gehörpartie, hinunter erweitert zum Brustkorb. Und nun denken Sie sich diese Partie etwas ummetamorphosiert; denken Sie sich namentlich sehr klein geworden den Durchmesser der Rippen. Denken Sie sich dasjenige, was sehr weit ist an den Rippen, am Brustkorb, hier zu einer Röhre verwandelt, das Knochige ins Knorpelige umgesetzt. Und denken Sie sich für dasjenige, was ich als Kopfpartie abgesondert habe, denken Sie sich ersetzt dasjenige, was im Kopf wirklich ausgefüllt ist mit einer flüssig-festen Masse. Das denken Sie sich ausgefüllt so, daß die weniger ausgefüllten Partien des Hauptes, daß die dort mehr löcherig gebliebenen Partien des Hauptes, daß diese ausgegossen wären und dann dasjenige wegbliebe, was jetzt ausgefüllt ist mit etwas dickerer Gewebemasse. Dann, wenn Sie sich diese Ummetamorphosierung denken dieses Teiles des menschlichen Organismus, dann bekommen Sie die Kehlkopfmetamorphose: ein umgedrehtes Hinterhaupt mit daran angesetztem Brustkorb. Die Fortsetzung in den Kehlkopf nach oben ist wirklich eine Art Hinterkopf, metamorphosiert. Es ist so, daß die Bildekräfte, die ätherischen Bildekräfte für den Kehlkopf tatsächlich ein Umwenden vollziehen, wenn wir sie vergleichen mit denjenigen, die die Bildekräfte sind für die angezeigte Partie des Hinterhauptes mit dem Brustkorb daran. Wir tragen gewissermaßen in unserer Brust, mit dem Kehlkopf, wenn wir die Sache ätherisch betrachten, einen zweiten Menschen, der allerdings in einer gewissen Weise verkümmert ist, aber die Ansätze, das Verkümmerte doch in einer gewissen Ausbildung zu haben, sogar in sich trägt. Würde dasjenige, was ich Ihnen geschildert habe, wiederum zurückgewendet und als Hinterkopf erscheinen, so würden ja nach den Bildungskräften sich nach vorne ansetzen müssen die Vorderhirnpartien. Diese Tendenz, so etwas anzusetzen, ist beim Kehlkopf auch vorhanden. Deshalb hat der Kehlkopf in seiner Nachbarschaft die Schilddrüse. Und dasjenige, was Ihnen in der neueren Physiologie entgegentritt als die eigentümlichen Bedingungen der Schilddrüse, das werden Sie metamorphosisch verstehen, wenn Sie in der Schilddrüse sehen können eine Art dekadentes Vorderhirn, das gewissermaßen Funktionen hat, die es beim sprechenden Menschen dem Vorderhirn abnimmt. Es muß mittun die Schilddrüse mit dem Vorderhirn im Zusammenwirken. Wenn sie also in irgendeiner Weise krankhaft ist, so können Sie sich leicht vorstellen, was da für Zustände eintreten müssen, weil der Mensch, indem er eben die Schilddrüse hat, einfach daraufhin organisiert ist, sie als ein mehr dem Brustmenschen angehöriges Denkorgan mitzuverwenden. Nun ist dasjenige, was ich als die ätherischen Bildekräfte bezeichnet habe, die da wirken, um diesen zweiten Menschen, der sich so umgekehrt in uns hineinsetzt, um diesen zweiten Menschen zustande zu bringen, – diese ätherischen Bildekräfte, die sind in der Tat sehr differenziert. Und es ist so, daß, wenn in uns zustande kommt die Atmung und sich auslebt die Atmung im Sprechen oder Singen, wenn also diese – von einem gewissen Standpunkte aus muß man es durchaus so nennen – modifizierte Atmung im Sprechen und Singen, wenn sich diese auslebt, dann ist das ganze Organsystem des Menschen, das ich zuerst gezeichnet habe, im Hinterhaupte und so weiter bis in die Brust hinein in einer solchen inneren Bewegung, daß diese Bewegung ihre Reflexe erlebt in der Kehlkopforganisation. Und wir haben dann uns vorzustellen, daß dasjenige, was durch dieses ganze System – das ist auch nichts anderes mit dem Ohr zusammen als ein Kehlkopf, nur metamorphosiert, da ist ein Vorderhirn – daß dieses ganze System hier gewisse Wirkungen hervorruft, die sich reflektieren. So daß unser Kehlkopf dasjenige als Kräfte nach rückwärts eurythmisiert, was wir denken, fühlen und so weiter. Diese Eurythmie ist tatsächlich in uns vorhanden. Unser Kehlkopf eurythmisiert, und wir haben dann die Aufgabe, dasjenige, was sinnlich-übersinnlich da durch diese Reflexion des Kehlkopfes zustande kommt, das wiederum umzudrehen und zu übertragen nun ins Sichtbare, so daß durch unsere Arme dasjenige zum Ausdruck kommt, was wiederum das Zurückübertragene ist. Wir haben es also da tatsächlich zu tun mit etwas, was aus der menschlichen Organisation unmittelbar hervorgeholt ist. Man muß sich nun bewusst werden, daß damit hingedeutet ist auf dasjenige Organ, welches gewissermaßen wie ein anderer Kopf mit seiner Fortsetzung nach unten in die rhythmische Organisation hineinverlegt ist. Unser gewöhnlicher Kopf, der mehr oder weniger denkerische Kopf, unser gewöhnlicher Kopf, der hat die Eigentümlichkeit, dasjenige, was als Rhythmisches in ihn heraufschlägt, namentlich durch den Arachnoidalraum, was eine Fortsetzung der Atmung ist, was da in ihn heraufschlägt, das zur Ruhe zu bringen, das in Ruhe zu verwandeln. Dadurch, daß das in Ruhe verwandelt wird, was unten Bewegung ist im rhythmischen System, daß also Gleichgewichtslage entsteht, Statisches entsteht aus dem Bewegten, sich gegenseitig in der Bewegung Bedingenden, aus dem Dynamischen, daß also Statisches entsteht in unserem Haupt aus dem Dynamischen, dadurch ist das Denken bedingt. Und umgekehrt wiederum, umgekehrt ist es so, daß dasjenige, was wir in der Ruhe des Hauptes entwickeln, in der Statik des Hauptes entwickeln, daß das zurückwirkt auf die Dynamik des rhythmischen Menschen und zwar im wesentlichen zunächst verlangsamend. Es ist in der Tat so, daß unnatürliche Anstrengung des Seelisch-Geistigen durch das Haupt verlangsamend wirkt auf die Zirkulation. Und eine weitere Folge davon ist, daß chaotisches Denken, schlampiges Denken, daß das die Rhythmie in Arhythmie verwandelt, den natürlichen Rhythmus, der sich im rhythmischen System des Menschen abspielen soll, in Arhythmisches verwandelt, sogar dann, wenn es ausartet, eben in Antirhythmisches. Und beobachten muß man den Zusammenhang, wenn man den Menschen verstehen will, zwischen dem Zirkulations- und Atmungssystem und dem schlampigen, chaotischen Denken und auch dem logischen Denken. Denn das logische Denken als solches hat in sich die Tendenz, den Rhythmus zu verlangsamen, träge zu machen. Das logische Denken hat den Eigensinn, aus dem Rhythmus herauszufallen. Daher wird dasjenige Seelenleben, das wiederum in den Rhythmus hineinfallen will, das wird über die bloße Logik hinausstreben und wird versuchen, Sätze, Verse so zu gestalten, daß sie nicht im Sinne der Syntax, sondern im Sinne des Rhythmus ablaufen. Indem man von der Prosa, die die Feindin des Rhythmus ist, wenn sie nicht gerade rhythmische Prosa ist, in der Poesie wiederum zurückstrebt zum Rhythmus, versucht man wiederum menschlicher zu werden. Ich behaupte ja nicht, daß man nach der Tierseite hin durch das Logische sich entwickelt. Sie können sich immerhin, wenn Sie wollen, vorstellen, daß man sich zum Engelhaften entwickele. Aber eben, wenn man wiederum vom Logischen zurückstrebt zum Menschlichen, so handelt es sich darum, daß man in die Aufeinanderfolge der Silben, in die Silbenbewegung, in die Lautbewegung, in die Satzgestaltung wiederum das hineinbringt, was nicht die Logik, nicht die Syntax fordert, sondern was der Rhythmus fordert. Wir müssen hören auf den rhythmischen Menschen, wenn wir in die Poesie zurück wollen, wir müssen hören auf den Kopfmenschen, wenn wir in die Prosa rücken wollen. Das wird Ihnen andeuten, wie in der Tat ein Zusammenhang ist zwischen dem ganz offenbaren Menschenteil, den ich Ihnen geschildert habe, und dem, der sich als eine Metamorphose dieses Menschenteiles etwas verbirgt. Aber in uns ist er, dieser Eurythmiker, der als Ätherleib des Kehlkopfes eine ganz deutliche Eurythmie ausführt, was aber, wie Sie aus alle-dem entnehmen können, das ich Ihnen dargestellt habe, innig nun zusammenhängt mit der normalen Ausbildung unseres Atmungssystems, unseres ganzen Zirkulationssystems und damit natürlich sogar auf dem Umwege durch das Zirkulationssystem mit dem Stoffwechselsystem. Nun handelt es sich darum, daß alle möglichen Anlässe gegeben sind, daß diese ganz komplizierte Einrichtung, auf die ich Sie hier hingewiesen habe, auf dieses Ineinanderpassen eines nach vorne strebenden und eines nach rückwärts strebenden Systems, daß diese Einrichtung sehr leicht aus den Fugen kommen kann. Man kann eigentlich sagen, sie ist bei den wenigsten Menschen unserer heutigen Kultur in den Fugen, und es wird nötig sein, sich in dieser Richtung eine gewisse Beobachtungsgabe anzueignen aus dem Grunde, weil, wenn zum Beispiel im kindlichen Alter die obere, die Kopforganisation des Menschen so gehandhabt wird, daß die Sünde wider die rhythmische Organisation zu groß wird, weil dann tatsächlich dadurch, indem sich in der menschlichen Organisation, ich möchte sagen, lawinenartig die kleinen Anlässe zu großen Wirkungen ausbilden, weil dadurch tatsächlich alles mögliche im späteren Alter entstehen kann, einfach durch eine Unregelmäßigkeit im Zusammenhang desjenigen, was ich jetzt geschildert habe. Es ist zum Beispiel von einer außerordentlichen Bedeutung, wenn man einmal Kinder daraufhin ansieht, inwiefern sie das mehr unbewusste Leben in Rhythmen in ihrem ganzen Seelenleben vorherrschend haben gegenüber dem beruhigenden Element der Kopforganisation. Haben sie das, herrscht vor das rhythmische System, prädominiert es, dann muß man wirklich darauf aufmerksam werden, ob nicht da in der Erziehung des Kindes etwas zu geschehen habe. Zeigt sich das nach und nach wie habituell, dann ist es notwendig, daß etwas geschieht; nämlich dann ist notwendig, daß man mit dem Kind, das durch die Anomalie, auf die ich eben hingedeutet habe, immer aufgeregter und aufgeregter wird – wenn es immer zappeliger und zappeliger wird, wenn man nichts anfangen kann mit ihm –, dann ist es notwendig, daß man versucht, in seine ganze Organisation etwas Jambisches hineinzubringen. Und man kann das dadurch, daß man das Kind gehen läßt so, daß es immer mit vollem Bewusstsein – es muß dazu angeleitet werden – als erstes nach vorne bewegt den linken Arm und die linke Hand, nachher den rechten Arm, so daß das bewusster wird. Aber es muß das Bewusstsein haben: das ist der erste und ist der erste gewesen. Während der ganzen Übung muß das Bewusstsein vorherrschen: das war der erste und bleibt der erste; es hat angefangen mit dem Linken. Man kann dann das Ganze unterstützen dadurch, daß man es eben gehen läßt und ausschreiten läßt mit dem linken Bein und das rechte nachziehen läßt, so daß sich die Handübung – es kann ja das dann morgen noch hier geübt werden im Zusammenhang mit etwas anderem – so daß sich die Handübung und Armübung in der Tat anschließen der Beinübung und Fußübung, die dann nur eine Unterstützung ist. Das Wesentliche, worauf es ankommt, das ist schon die Armübung. Man kann das Kind in dieser Weise jambisch, wie man es nennen kann, üben lassen, dann wird man sehen, wenn man solche Übungen lange genug fortsetzt, daß sie beruhigend wirken auf ein zappeliges Kind, auf ein aufgeregtes Kind und dergleichen. Aus Ihren eurythmischen Kenntnissen heraus könnten Sie etwa sagen: Sie lassen das Kind mit dem linken Arm ein halbes A machen und dann dieses halbe A abschließen zu einem ganzen A mit dem rechten Arm, und so fort, indem das Kind dabei in Bewegung ist und das A nicht auf einmal zustande kommt, sondern es eben nach und nach, aus Mitbewegendem bestehend, nacheinander zustande kommt. Bisher: »... so daß sich der Handübung und Armübung in der Tat anschließen die Beinübung und Fußübung ...«. Haben Sie aber ein Kind, welches phlegmatisch ist, welches nichts auffassen will – unsere Waldorflehrer kennen diese Kinder sehr gut, sie können einen manchmal ganz leise zur Verzweiflung bringen, sie hören eigentlich alles nicht, was man ihnen sagt, es geht alles an ihnen vorbei –, dann würden wir gut tun, wenn man dieses Kind trochäisch behandelt, nämlich jetzt umgekehrt. Natürlich kann man nicht gleich vom Anfange an alles machen; das ist ein Element, das schon in die Waldorfpädagogik auch noch hineinkommen wird. – Man läßt dieses A entstehen so, daß das Kind weiß: Zuerst rechter Arm, linker Arm, rechter Arm, linker Arm, und dann wiederum: Rechtes Bein vorsetzen, linkes nachziehen, also die Armbewegung, die sich zum A formt, aber zum nacheinander entstehenden A formt, diese durch die Beinbewegung, Fußbewegung unterstützen lassen. Es ist ganz besonders darauf zu achten, daß diese Dinge so gemacht werden, daß sie im Bewusstsein des Kindes leben, daß das Kind also wirklich das Bewusstsein hat das eine Mal: der linke Arm war der erste, das andere Mal: der rechte Arm war der erste. Sie werden finden, daß diese Dinge für einen dann schwer verständlich werden, für das innere Begreifen Schwierigkeiten bieten, wenn man ganz und gar im heutigen Sinne Physiologe ist. Wenn man im heutigen Sinne Physiologe ist und glaubt, alles Seelenleben des Menschen wäre durch das Nervensystem vermittelt, wenn man also nicht weiß, daß das Fühlen durch das rhythmische System vermittelt wird und nur das Vorstellen durch das Nerven-Sinnessystem, und durch das Stoffwechselsystem vermittelt wird das Wollen, wenn man diese Dinge nicht kennt, dann kann man sehr schwer sich zu der Vorstellung durchringen, was es für das ganze seelisch-geistige Wesen und auf der andern Seite auch für das leiblich-physische Wesen beim Menschen für eine Bedeutung hat, was an irgendeiner Stelle des menschlichen Leibes geschieht. Derjenige, der auf einem solchen Felde wirklich sich Beobachtungsgabe aneignet, der weiß: Wenn einer ungeschickt ist in irgend einer Hand, daß er, wenn er ungeschickt ist in der Fingerbewegung und dergleichen, auch zeigt eine ganz bestimmte Denkart, die man vergleichen kann mit dem, was in den Fingern geschieht. Und sehr interessant ist wirklich, den Zusammenhang zu studieren zwischen der Art und Weise, wie jemand den Armmechanismus und die Fingerphysiognomie beherrscht, mit dem, wie er denkt. Denn dasjenige, was der Mensch geistig-seelisch darlebt, geht eben nicht bloß aus dem Gehirn und seinem Nervennetz hervor, sondern tatsächlich aus dem ganzen Menschen. Und man muß verstehen lernen: Man denkt nicht bloß mit dem Gehirn, man denkt auch mit seinem kleinen Finger und mit der großen Zehe. Es hat eine gewisse Bedeutung, Leichtigkeit gerade in den Gliedmaßen sich anzueignen; denn das gibt Leichtigkeit auch in Bezug auf das Seelenleben. Aber diese Dinge können – wir werden das schon in den weiteren Stunden sehen – im Grunde genommen eigentlich nur dann getrieben werden, wenn man für die Schule die nötigen Mittel hat, um wirklich vollständig Schulhygiene neben dem Unterricht zu treiben. Es kann zum Beispiel durchaus vorkommen, daß ein Kind die besondere Eigentümlichkeit zeigt, daß es, sagen wir, nicht zu der Auffassung geometrischer Figuren kommt. Es kann nicht in der Anschauung zu der Auffassung geometrischer Figuren kommen. Sie werden dem Kinde dann einen großen Dienst tun, wenn Sie es, so schwer es geht, dazu veranlassen, zwischen der großen Zehe und der nächsten Zehe einen kleinen Bleistift zu nehmen, den zu halten und mit dem wirklich richtige Buchstaben aufzuschreiben. Das ist etwas, was eine gewisse Bedeutung hat, und was auf einen Zusammenhang im Menschen durchaus in ganz berechtigter Weise hinweist. Nun kann es sich gerade beim Kinde darum handeln, daß man sieht: Es schnappen gewissermaßen die drei Glieder des menschlichen Organismus nicht ordentlich ineinander ein. Es ist ja ein großer Teil der Anomalien des Lebens eigentlich beruhend auf einem solchen Nicht-ordentlich-Ein-schnappen. Vor allen Dingen: Die Kinder haben Kopfschmerzen; gleichzeitig merkt man, daß in der Verdauung etwas nicht in Ordnung ist, und so weiter. Die mannigfaltigsten Zustände können da auftreten. Wir werden noch weiter Andeutungen darüber zu machen haben anhand weiterer Übungen, die in den nächsten Tagen gezeigt werden sollen. Aber man kann, wenn man vor einer solchen Tatsache steht wie die eben angedeutete, man kann schon mit dem Kinde oder mit Kindern viel erreichen, wenn man sie die folgende Übung machen läßt: Ein eurythmisches – wie Sie es ja schon kennen – ein eurythmisches I, ein eurythmisches A und ein eurythmisches O, aber so, daß man mit den Kindern das I machen läßt mit dem ganzen Oberkörper. Ich möchte hier ausdrücklich betonen, damit namentlich unsere ärztlichen Freunde es wissen: Dasjenige, was in der Eurythmie das Wesentliche ist und wodurch auch für die Kunsteurythmie das Wesentliche bewirkt wird, das ist nicht die bloß von außen angeschaute Form des gestellten Gliedes, sondern das ist dasjenige, was zustande kommt, wenn in dem gestellten Glied die Streckung des Gliedes oder Beugung des Gliedes gefühlt wird. Das in dem Glied Gefühlte ist es, worauf es ankommt. Nehmen Sie also an, Sie machen durch beide Arme ein I, so erscheint auch nach außen dieses I nicht richtig, wenn Sie etwa bloß auf die Zeichnung schauen, auf den Formgehalt, sondern Sie müssen zugleich – und Sie sehen es dem Menschen an – das Gefühl haben: Er fühlt, während er das macht, die Streckekräfte. Ebenso wenn ein Mensch zum Beispiel das E macht, so kommt es nicht darauf an, daß er bloß dieses macht (kreuzen), sondern daß er fühlt, hier legt sich das eine Glied an das andere an. In dem Fühlen des einen Gliedes auf dem andern, darin liegt das E in Wirklichkeit. Und dasjenige, was man sieht, ist eben der Ausdruck für dieses Fühlen des einen Gliedes durch das andere. Denn das, was Sie da vollziehen, ist nichts anderes, als was Sie vollziehen, indem Sie schauen. Ein E führen Sie fortwährend aus, indem Sie die rechte Augenachse mit der linken kreuzen, um nun eine [...] Das ist eigentlich das Ur-E. Und dasjenige, was hier ausgeführt wird, ist ja im Grunde genommen die Nachahmung der Sache, aber es ist ja alles im Menschen Metamorphose, und es ist durchaus eine gerechtfertigte Nachahmung, die man in diesem E vollzieht; denn der Kehlkopf macht nach hinten beim E-Sprechen ganz genau dieselbe Form im Ätherischen. Also es ist notwendig, sage ich, daß Sie dann die Übung mit dem Kinde machen, daß Sie das I mit dem Oberkörper machen lassen, das heißt, daß das Kind anfängt, den Oberkörper in Strecklage zu versetzen. Es fühlt den ganzen Oberkörper gestreckt. Es macht so, daß es mit den Beinen das A macht, und es macht das O, indem es die Arme so bewegt. Das aber lassen Sie das Kind möglichst rasch hintereinander machen: Strecken des Oberkörpers vertikal in die Höhe, Auseinander der Beine, O-Bewegung mit den Armen (vorne), wiederum ab, an, ab, an. Und man kann solch eine Sache durchaus auch im Chor mit den Kindern machen. Es ist natürlich dann festzuhalten, daß es ja im Grunde genommen nötig wäre, daß man, um solche Übungen auszuführen, nicht klassenmäßig die Übungen treibt. Die Kunsteurythmie und die Eurythmie, die wir sonst aus pädagogisch-didaktischen Gründen betreiben, die sollen klassenmäßig betrieben werden. Das gehört sich so; da gehören die Kinder gleichen Alters und so weiter zusammen. Aber man müßte, um nun übergehen zu lassen die gewöhnliche Klasseneurythmie in diese schon an die hygienisch-therapeutische Eurythmie anknüpfenden Sachen, man müsste nun aus den verschiedenen Klassen diejenigen herausnehmen, die man gerade durch ihre Besonderheiten, die ich vorhin charakterisiert habe, durch ihr Nichtzusammenstimmen der drei Glieder der menschlichen Wesenheit, für nötig befindet, daß sie eine solche Übung durchmachen. Man kann sie dann aus den verschiedensten Klassen herausnehmen und man kann dann mit diesen besonders dafür Geeigneten diese Übung machen. Aber das müßte eigentlich dann gemacht werden, wenn man tatsächlich hygienische Eurythmie, therapeutische Eurythmie in der Schule treiben wollte. Aber schon das, nicht wahr, bringt uns eigentlich im Grunde genommen auf den Weg, der in seiner weiteren Verfolgung eben dazu führen soll, daß wir hier durch bestimmte Bewegungen, die nur Metamorphosen sind des gewöhnlichen Eurythmischen, daß wir die studieren und in ihrer Wirkung auf die menschliche Organisation verfolgen werden. Sehen Sie, tatsächlich ist es so, daß wir im Inneren Organe haben [und] diese Organe haben gewisse Formen. In diesen Formen können Anomalien liegen. Jede Organform steht in einem gewissen Zusammenhang mit einer möglichen Bewegungsform des äußeren Menschen, so daß Sie sagen können: Nehmen wir an, irgendein Organ, meinetwillen die Galle, neigt zum Deformieren, zum Annehmen einer anomalen Form. Es gibt eine Bewegungsform, welche dem entgegenwirkt; und so für jedes Organ. Nach dieser Richtung hin wollen wir dann das Weitere gestalten. Ich wollte dieses heute als Einleitung geben, um Sie zunächst auf den Weg zu bringen in dieser Sache.