Erziehungskunst III

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Dritte Seminarbesprechung
23. AUGUST 1919, STUTTGART

A. erzählt das Märchen vom »Marienkind« zunächst für melancholische und dann für sanguinische Kinder.

Rudolf Steiner: Ich meine, Sie werden in Zukunft berücksichtigen müssen, die Sachen artikuliert zu geben. Sie haben die beiden Fassungen in zu gleicher Art vorgebracht. Der Unterschied muss auch in der Artikulation liegen. Wenn Sie diese Details in etwas eindringlicherer Art vorbringen, werden Sie bei melancholischen Kindern den Eindruck nicht verfehlen. Bei Sanguinikern würde ich den Vortrag, besonders am Anfang, etwas mehr mit Zwischenpausen gestalten, so dass das Kind gezwungen ist, die Aufmerksamkeit, die es hat fallen lassen, immer von neuem wieder aufzunehmen. Nun möchte ich aber noch fragen: Wie würden Sie diese Erzählung weiter verwenden, wenn Sie wirklich konkret zu unterrichten hätten? Stellen Sie sich vor, Sie stünden vor Ihrer Klasse, was würden Sie dann tun? – Ich würde Ihnen raten, nachdem Sie die melancholische Fassung vorgebracht haben, sie sich nacherzählen zu lassen von einem sanguinischen Kinde und umgekehrt.

D.: Ich will vorausschicken, dass ich für ratsam halte, das sanguinische Kind straff vor sich zu setzen und dauernd in der Blickrichtung zu halten, während für die melancholischen Kinder möglichst eine behagliche, gemütliche Stimmung zu erzeugen ist.

Rudolf Steiner: Sehr gut bemerkt.

D. erzählt das Märchen vom »Meerkätzchen« zunächst in der Fassung für das sanguinische und dann für das melancholische Kind und bemerkt dazu, dass die melancholischen Kinder nicht viel Trauriges erzählt haben wollen.

Rudolf Steiner: So etwas kann man berücksichtigen. Aber die Kontrastierung war gut. Nun würde ich meinen, dass noch übergegangen werden muss auf die Art, wie man das nun nach einiger Zeit weiter behandelt. Ich würde am nächsten Tage oder am darauffolgenden Tage nicht das Kind bestimmen, das erzählen soll, sondern ich würde sagen (lebhaft): »Jetzt merkt ihr euch das! Ihr könnt euch wählen, welches ihr euch merken wollt, um es selbst zu erzählen!« Am nächsten oder zweitnächsten Tag würde ich das Kind sich melden lassen.

G. erzählt das Märchen vom »Similiberg« in beiden Fassungen.

Rudolf Steiner: Nicht wahr, Sie haben doch alle das Gefühl, dass solch eine Sache auf verschiedene Weise gemacht werden kann. Nun ist es wirklich von einer großen Bedeutung, dass man sich gerade, wenn man als Lehrer wirken will, die unnötige Kritisiererei abgewöhnt; dass man als Lehrer ein starkes Gefühl dafür entwickelt, dass man sich bewusst wird, es kommt schließlich nicht darauf an, dass man immer auf etwas, was getan wird, etwas Besseres daraufsetzen muss. Eine Sache kann in mannigfaltiger Weise gut sein. Deshalb würde ich es auch für gut halten, wenn dieses hier Vorgebrachte als etwas betrachtet würde, was durchaus so ausgeführt werden kann, wie wir es gehört haben. Ich möchte aber etwas anderes daran knüpfen. Bei allen drei Erzählungen glaube ich eines bemerkt zu haben: das ist, dass immer die erste Fassung auch in ihrer Zielsetzung die bessere war. Was haben Sie, Fräulein A., in Ihrer Seele zuerst ausgebildet, was haben Sie gefühlt, dass Sie besser machen würden?

Es wird festgestellt, dass die zuerst von Fräulein A. in der Seele ausgebildete Fassung die für das melancholische Temperament war, und dass diese die bessere war.

Rudolf Steiner: Nun möchte ich empfehlen: arbeiten Sie alle drei auch noch die Fassung für das phlegmatische Kind aus. Das ist von großer Bedeutung für das Stilgemäße der Form. Aber ich bitte Sie, versuchen Sie, womöglich diese Fassung sich heute noch auszuarbeiten, provisorisch, dann darüber zu schlafen und die endgültige Fassung morgen zu beschließen. Es ist eine Erfahrung, dass man, wenn man so etwas machen will, das Umgestaltete nur aus einem anderen Geiste heraus bekommt, wenn man es nach Vorbereitung durch den Schlaf hindurchgehen lässt. Bringen Sie uns am Montag eine Umgestaltung ins Phlegmatische, die Sie aber, bevor Sie die endgültige Ausgestaltung vornehmen, vorbereiten. Das ist ja möglich, weil der Sonntag dazwischen liegt.

E. zeigt eine Zeichnung vor, ein Motiv in Blau-Gelb für ein melancholisches Kind.

Rudolf Steiner zeichnet dazu dasselbe Motiv in Grün-Rot für ein sanguinisches Kind. Da kann man zu den Kindern sprechen: »Das Blau-Gelbe schaut man am besten am Abend an, wenn es dunkel wird, vor dem Einschlafen. Das nehmt ihr auch herein in euren Schlaf, denn das ist die Farbe, womit ihr vor Gott erscheinen könnt. – Das Grün-Rote nehmt ihr vor morgens beim Erwachen, damit könnt ihr nach dem Erwachen leben. An dem erfreut euch den ganzen Tag!«

Nun zeigt E. eine Zeichnung vor für ein sanguinisches Kind, Rot auf weißem Grund.

Rudolf Steiner zeichnet dasselbe Motiv für ein melancholisches Kind, lang und schlank, Blau auf schwarzem Grund. Die frech vorragende Form heißt er »Kickerling«. Beim melancholischen Motiv zieht sie sich einwärts. Nun, sehen Sie, das würde ein solcher Gegensatz sein, dass Sie mehr die Farben benützen würden, um auf das eine Kind und auf das andere zu wirken. Sie müssten doch motivieren, dass Sie zweimal dieselbe Sache vorbringen. Was würden Sie zu den Kindern sagen?

E.: Ich würde fragen, welches ihnen besser gefällt.

Rudolf Steiner: Da würden Sie Ihre eigenen Erfahrungen machen! Das sanguinische Kind würden Sie erkennen an seiner Freude an diesem Farbenkontrast. Natürlich, solche einfache Formen, die sollte man nicht versäumen, für Kinder wirklich zu pflegen.

T. empfiehlt für den Choleriker Formen, die nach außen spitz sind, zum Beispiel


umzuwandeln in etwas Geschlossenes


oder


umzuwandeln in


Für den Phlegmatiker empfiehlt er den umgekehrten Weg: Vom Kreis auszugehen und Figuren einzeichnen zu lassen, oder den Kreis in irgendeiner Weise zu zerschneiden.


Rudolf Steiner: Ich würde nun beim phlegmatischen Kinde für diese Methode noch das Folgende anwenden. Ich würde sagen: »Nun sieh einmal, das ist ein Kreis: Nicht wahr, den magst du ganz gerne haben! Aber ich werde dir noch etwas anderes machen: Sieh einmal, ich nehme einfach diese Sachen weg, den Rand, jetzt ist es erst richtig: Du musst dir angewöhnen, nicht alles mögliche durcheinander zu machen. Versuche das Gleiche von Anfang an zu machen.« Durch Zeichnen und Auslöschen ist das phlegmatische Kind aus seinem Phlegma herauszureißen. Nun würde ich Sie bitten, dieselbe Methode des Beschlafens anzuwenden, und Frau E. bitten, dasselbe Motiv auch für andere Temperamente auszuarbeiten.


M. beschreibt einen Gorilla in zweierlei Fassung.

Rudolf Steiner: Es ist natürlich nichts dagegen einzuwenden, dass man auch erfindet, ohne dass man sich anlehnt an bestimmte Naturforscher, von denen man sich zwar anregen lassen kann. Ich möchte Sie jedoch bitten, einen größeren Kontakt mit den Schülern bei einer solchen Erzählung hervorzurufen. Es würde möglich sein, auch eine lange Erzählung zu verwenden und Eindruck damit zu machen. Aber Sie müssten nicht in sich versunken sein, sondern mehr in Kontakt mit den Schülern stehen. Wenn Sie es so versunken machen, konnten Sie den Kontakt vielleicht verlieren.

L. schildert das Pferd für phlegmatische und cholerische Kinder.

Rudolf Steiner: Bei Tierbeschreibungen wird es nun aber ganz besonders wichtig sein, dass wir in jeder Einzelheit besonders ins Auge fassen, dass der Mensch eigentlich das ganze Tierreich ist. Das ausgebreitete Tierreich ist der Mensch. Nicht wahr, solche Ideen kann man den Kindern nicht theoretisch beibringen. Das soll man auch nicht. Aber nehmen wir an, jemand sollte die Sache ausführen, die Herr L. angeschlagen hat, aber den Unterschied machen zwischen Phlegmatiker- und Cholerikergruppe. Die Phlegmatischen werden wenig leicht erfassbar sein. Und es wird das nicht leicht haften, was Sie mit ihnen durchnehmen über ein bekanntes Tier. Sie haben das Pferd oft gesehen, haben daher nur wenig Interesse dafür. Solche Dinge sollen aber haften. Da würde ich zu den phlegmatischen Kindern sagen: »Seht einmal, wie unterscheidet ihr euch denn eigentlich von einem Pferde? Wir wollen nur kleine Unterschiede nehmen. Nicht wahr, ihr habt alle einen solchen Fuß: Da sind die Zehen, da ist die Ferse, da ist der Mittelfuß. Das ist euer Fuß. Jetzt seht euch einmal den Pferdefuß an: Das ist der Hinterfuß vom Pferde. Wo sind die Zehen? Wo ist die Ferse und wo ist der Mittelfuß? Bei euch ist dann weiter herauf das Knie. Wo ist das Knie beim Pferde? Da seht einmal: Da sind die Zehen, die Ferse ist da ganz oben, das Knie ist da noch weiter oben. Da ist das ganz anders. Nun stellt euch einmal vor, wie anders so ein Pferdefuß aussieht als euer Fuß!« Das wird das phlegmatische Kind in Spannung versetzen, und es wird das schon behalten. Bei dem cholerischen Kinde würde ich eine Geschichte erzählen, wie das Kind ganz draußen ein Pferd findet im Walde. Das Pferd läuft, weit hinten läuft der Mann, dem es durchgegangen ist, nach, und das Kind muss das Pferd abfangen beim Zügel. Wenn ich weiß, dass ich ein cholerisches Kind habe, kann ich versuchen, ihm das beizubringen, wie es das machen soll, wie es die Zügel erfasst. Es in die Phantasie zu versetzen, wie es das Pferd abfängt, das ist sehr gut. Auch das cholerische Kind hat im geheimen etwas Angst vor dieser Prozedur, aber man kommt einem cholerischen Temperament entgegen, wenn man ihm zumutet, das zu tun. Es wird dann etwas beschämt sein, etwas bescheidener.

 

Dann möchte ich bemerken, dass Sie namentlich im Anfang diese Dinge sehr kurz gestalten sollten. Daher würde ich in diesem Falle Herrn M. bitten, seine Erzählung auch für sanguinische und melancholische Kinder auszuführen, aber beide Male furchtbar kurz. Ebenso Herrn L., aber Einzelheiten herauszuheben, die dann bleiben, die dazu dienen, das Kind in Spannung zu versetzen. Wir müssen uns klar sein, dass wir den Unterrichtsstoff hauptsächlich dazu verwenden, um die Willens-, Gemüts- und Denkfähigkeiten des Kindes zu ergreifen, dass es uns viel weniger darauf ankommt, was das Kind gedächtnismäßig behalt, als dass das Kind seine seelischen Fähigkeiten ausgestaltet.

O. führt aus, wie man im Rechnen Rücksicht nehmen könnte auf die vier Temperamente, erwähnt aber, dass er mit seiner Aufgabe nicht richtig fertig geworden wäre.

Rudolf Steiner: Das ist etwas, was ich vorausgesehen habe, denn die Aufgabe ist etwas sehr Schwieriges. Sie werden das ganz gründlich beschlafen müssen. Aber nehmen Sie folgendes als neue Aufgabe: Denken Sie sich eine Klasse, in der acht- bis neunjährige Kinder sitzen. Es kommt ja natürlich in dem Unterricht der Zukunft darauf an, dass möglichst viel soziale Instinkte, sozialer Wille, soziales Interesse erzogen werde. Nun denken Sie sich drei Kinder, wovon das eine ausgesprochen phlegmatisch, das andere ausgesprochen cholerisch und das dritte ausgesprochen melancholisch ist. Ich will ihre übrigen Eigenschaften nicht erwähnen. Die kämen in der dritten bis vierten Woche, nachdem der Unterricht begonnen hat, und sagen zu Ihnen: »Mich können alle anderen Kinder nicht leiden!« Diese werden sich nun gleichsam erweisen als die Aschenbrödel, denen gegenüber sich die andere Klasse etwas ablehnend verhält, die gepufft werden, die man stößt, die man überall zurücksetzt. -Ich möchte Sie bitten, bis Montag darüber nachzudenken, wie der Erzieher versuchen wird, diesem Übel am besten abzuhelfen. Wie man diese Kinder zu beliebten Kindern machen könne, das ist eine wichtige Aufgabe für die ganze Erziehung. Ich bitte Sie, das recht geistvoll durchzudenken, und das als eine sehr wichtige pädagogische Aufgabe zu betrachten.

Vierte Seminarbesprechung
25. AUGUST 1919, STUTTGART

Rudolf Steiner: Wir werden nun fortfahren in der Aufgabe, die wir uns gestellt haben, und werden übergehen zu dem, was Herr N. uns zu sagen hat über die Behandlung des Rechnens unter dem Gesichtspunkt der Temperamente der Kinder. Es wird sich mehr handeln um die Art des Verhaltens beim Rechnenlehren.

N. entwickelt das Klarmachen eines Bruches, indem er ein Stück Kreide zerbrechen lässt.

Rudolf Steiner: Ich hätte nur zunächst das eine zu bemerken, dass ich zum Beispiel nicht Kreide verwenden würde, weil es zu schade ist, die Kreide zu zerbrechen. Ich würde einen wertloseren Gegenstand aussuchen. Es würde genügen ein Stück Holz oder so etwas, nicht wahr? Es ist nicht gut, die Kinder frühzeitig daran zu gewöhnen, nützliche Gegenstände zu zerbrechen.

N. fragt, wenn das Kind keine ganz vertikale Richtung hält, sich nicht gerade hält, ob dann dadurch die Erfassung räumlicher und geometrischer Formen erschwert wäre?

Rudolf Steiner: In einem bemerkbaren Maße ist das nicht vorhanden. Es kommt bei solchen Dingen viel mehr auf die Tendenzen an, nach denen der menschliche Organismus aufgebaut ist, als auf den Bau der einzelnen menschlichen Persönlichkeiten. Es hat sich das mir einmal besonders stark entgegengestellt nach einem Vortrag in München, wo ich ausführte, dass es eine gewisse Bedeutung hat für den Bau des Menschen, dass sein Rückgrat in der Linie eines Erddurchmessers liegt, während das Tier seine Rückenlinie waagerecht darauf hat. Nachher kam ein gelehrter Arzt aus Karlsruhe und machte geltend, dass der Mensch, wenn er schläft, sein Rückgrat ja in horizontaler Linie habe! – Da sagte ich: Nicht darauf kommt es an, ob der Mensch sein Rückgrat in verschiedene Stellungen bringen kann, sondern darauf, dass der ganze menschliche Bau architektonisch so angeordnet ist, dass sein Rückgrat in der Normalhaltung vertikal ist, wenn er es auch in schiefe oder andere Lagen bringen kann. – Sie würden, wenn Sie das nicht in Betracht zögen, niemals verstehen können, wie gewisse Hinordnungen für die menschlichen Sinne, die sich noch im Intellekt finden, doch auftreten zum Beispiel bei Blindgeborenen. Der Mensch ist als Wesen so aufgebaut, dass sein Intellekt auf sein Auge hin tendiert, so dass man selbst bei Blindgeborenen noch Vorstellungen hervorrufen kann, die auf das Auge hin gerichtet sind, wenn ein Mensch so geartet ist, wie zum Beispiel die blinde Helen Keller. Es kommt an auf die Tendenz, auf die Anlagen im allgemeinen des menschlichen Organismus, nicht auf das, was zufällige Lagen hervorbringen können. Dann möchte ich das Folgende an Herrn Ns. Ausführungen anschließen. Es kommt weniger darauf an, dass wir diese Dinge kritisieren, denn das kann man immer. Es kommt darauf an, dass solche Dinge vorgebracht werden, und dass wir versuchen, uns in solche Dinge hineinzufinden. Gehen wir einmal von der Addition aus, und zwar so, wie wir die Addition auffassen. Nehmen wir an, ich habe Bohnen oder ein Häufchen Holunderkügelchen. Nun will ich für den heutigen Fall annehmen, dass die Kinder schon zählen können, was sie ja auch erst lernen müssen. Das Kind zählt, es hat 27. – »27«, sage ich, »das ist die Summe.« Wir gehen aus von der Summe, nicht von den Addenden! Die psychologische Bedeutung davon können Sie in meiner Erkenntnistheorie verfolgen. Diese Summe teilen wir jetzt ab in Addenden, in Teile oder in Häufchen. Ein Häufchen Holunderkügelchen, sagen wir 12; weiter ein Häufchen, sagen wir 7; weiter eines, sagen wir 3; weiter eines, sagen wir 5. Dann werden wir die Holunderkügelchen erschöpft haben: 27 =12 + 7 + 3 + 5. Wir machen ja den Rechnungsvorgang von der Summe 27. Solch einen Vorgang lasse ich nun eine Anzahl von Kindern machen, welche ausgesprochen phlegmatisches Temperament haben. Man wird sich allmählich bewusst werden, dass diese Art des Addierens besonders geeignet ist für Phlegmatiker. – Dann werde ich mir, weil ja der Vorgang zurückverfolgt werden kann, cholerische Kinder aufrufen und werde die Holunderkügelchen wieder zusammenwerfen lassen, aber so, dass es geordnet ist gleich 5 und 3 und 7 und 12 sind 27. Also das cholerische Kind macht den umgekehrten Vorgang. Das Addieren ist ganz besonders die Rechnungsart der phlegmatischen Kinder. Nun nehme ich jemand heraus aus den melancholischen Kindern. Ich sage: »Hier ist ein Häufchen Holunderbeerchen; zähle sie mal ab!« Es kriegt heraus, sagen wir einmal 8. »Siehst du, ich will nicht haben 8, ich will nur haben 3. Wie viel muss weggelegt werden von den Holunderkügelchen, damit ich nur 3 bekomme?« Dann wird es darauf ankommen, dass 5 weggenommen werden müssen. Das Subtrahieren in dieser Form ist vor allem die Rechnungsart der melancholischen Kinder. – Nun rufe ich ein sanguinisches Kind auf und lasse die Rechnung zurück machen. Nun sage ich: »Was ist weggenommen worden?« Und ich lasse mir sagen: Wenn ich 5 von 8 wegnehme, so bleiben mir 3 übrig. – Das sanguinische Kind lasse ich wieder die umgekehrte Rechnungsart ausführen. Ich will nur sagen, dass »vorzugsweise« die Subtraktion – aber so ausgeführt, wie wir es tun – für die melancholischen Kinder ist. Nun nehme ich mir ein Kind vor aus der Gruppe der Sanguiniker. Ich werfe wieder eine Anzahl Holunderkügelchen hin, ich sorge aber dafür, dass es in irgendeiner Weise passt. Nicht wahr, ich muss das ja schon anordnen, sonst würde die Sache zu rasch ins Bruchrechnen hineinführen. Also, nun lasse ich zählen: 56 Holunderkügelchen. – »Nun sieh einmal an, da habe ich 8 Holunderkügelchen. Nun musst du mir sagen, wie oft die 8 Holunderkügelchen in den 56 drinnen sind.« Sie sehen, die Multiplikation führt zu einer Division. Es bekommt heraus 7. Nun lasse ich die Rechnung zurückmachen von dem melancholischen Kinde und sage: »Nun will ich aber nicht untersuchen, wie oft die 8 enthalten sind in den 56, sondern wie oft ist die 7 enthalten in 56? Wie oft kommt die 7 heraus?« Ich lasse die umgekehrte Rechnung immer von dem entgegengesetzten Temperament ausführen. Dem Choleriker lege ich vor zunächst die Division, vom Kleinen zum Größten, indem ich sage: »Siehe, da hast du das Häufchen von 8. Ich will von dir nun wissen, in welcher Zahl die 8 siebenmal drinnen-steckt.« Und er muss herauskriegen: in 56; in einem Häufchen von 56. -Dann lasse ich das Umgekehrte, die gewöhnliche Division, von dem phlegmatischen Kinde machen. Für das cholerische Kind wende ich in dieser Form die Division an. Denn in dieser Form ist sie insbesondere die Rechnungsart der cholerischen Kinder. Auf diese Weise, indem ich es fortwährend so durchführe, bekomme ich gerade für die vier Rechnungsarten die Möglichkeit, sie zu gebrauchen für die Heranziehung der vier Temperamente: das Additive ist verwandt dem Phlegmatischen, das Subtrahieren dem Melancholischen, das Multiplizieren dem Sanguinischen, das Dividieren, mit dem Zurückgehen zu dem Dividenden, dem Cholerischen. – Das ist es, was ich Sie bitte, im Anschluss zu dem von Herrn N. Gesagten zu beachten. Es ist von besonderer Wichtigkeit, dass man nicht langweilig fortarbeitet: ein halbes Jahr bloß addiert, dann subtrahiert und so weiter, sondern wir werden diese vier Rechnungsarten womöglich nicht allzu langsam nacheinander durchnehmen, und dann alle vier üben! Zuerst nur bis 40 etwa. So werden wir Rechnen lehren nicht nach dem gewöhnlichen Stundenplan, sondern so, dass durch das Üben diese vier Arten fast gleichzeitig angeeignet werden. Sie werden finden, dass es auf diese Weise sehr ökonomisch geht, und dass man die Kinder die Dinge ineinanderarbeiten lassen kann. – Es ist ja die Division verwandt mit der Subtraktion, und die Multiplikation ist eigentlich nur eine wiederholte Addition. So dass man also auch umwechseln und zum Beispiel das cholerische Kind an die Subtraktion heranbringen kann.

K. macht den Vorschlag, mit dem Stereometrischen zu beginnen.

Rudolf Steiner: Für Erwachsene kann man von Körpern ausgehen, aber warum haben Sie die Sehnsucht, bei dem Kinde vom Körper auszugehen und von da zur Fläche zu gehen? Sehen Sie, es ist das Räumliche im allgemeinen unübersichtlich, sehr unübersichtlich vor allem für das Kind. Man wird nicht leicht dem Kinde eine andere als eine sehr verschwommene Vorstellung vom Räume beibringen können. Es leidet sogar die Phantasie darunter, wenn man dem Kinde zumutet, dass es gleich Körper vorstellen soll. Sie gehen davon aus, dass der Körper das Konkrete ist, die Linie das Abstrakte; das ist nicht der Fall. Ein Dreieck ist als solches schon ganz konkret, ist für sich etwas im Raum. Das Kind sieht stark flächenhaft. Es ist vergewaltigt, wenn es in die dritte Dimension, in die Tiefendimension gehen soll. Wenn das Kind seine Phantasie anwenden soll, um sich den Körper vorzustellen, dann muss es die Elemente zu diesem Phantasie vorstellen vorher schon haben. Es muss sich eigentlich schon die Linie und das Dreieck vorstellen können, ehe es sich zum Beispiel den Tetraeder vorstellen kann. Es ist besser, wenn das Kind vorher schon eine wirkliche Vorstellung vom Dreieck hat. Das Dreieck ist eine Sache für sich, es ist nicht bloß eine Abstraktion vom Körper. Ich würde glauben, dass man Geometrie nicht zuerst als Stereometrie, sondern als Planimetrie lehren soll, als Lehre von Figuren und dazwischenliegenden Flächen, was sehr wünschenswert ist, weil das dem, worauf das Kind sein Auffassungsvermögen gern richten will, Unterstützung bringen kann, auch durch Verbindung der Geometrie mit dem Zeichenunterricht. Ein Dreieck wird ein Kind verhältnismäßig bald zeichnen, und man sollte nicht zu lange warten mit dem Nachzeichnen dessen, was das Kind geometrisch anschaut.

E. gibt das gestrige Zeichenmotiv heute für ein cholerisches Kind und für ein phlegmatisches Kind.

Rudolf Steiner: Für das cholerische Kind ist das ein sehr gutes Motiv. Für das phlegmatische Kind würde ich die Sache vorziehen, gesprenkelt zu machen, das heißt also, so kariert würde ich es für das phlegmatische Kind vorziehen. Ihres hier ist eine Möglichkeit, aber es wird das phlegmatische Kind doch zu wenig aufmerksam gemacht. Dann gibt

 

T. Zeichnungen für das melancholische und für das sanguinische Kind.

Rudolf Steiner: Bei dieser Methode wird in Betracht kommen, dass man dem sanguinischen und melancholischen Kinde sicher dadurch entgegenkommen könnte, dass man beim sanguinischen Kinde sehr viel auf die Wiederholung hält, auf variierte Wiederholung. Man lasse vielleicht das sanguinische Kind ein Motiv so zeichnen:


Dann noch einmal drei solche Dinger:


Dann noch einmal:


so dass viel auf die Wiederholung hinauskommt. Beim melancholischen Kinde würde es gut sein, dasjenige zu beachten, wohinein doch etwas das Nachdenken spielt. Nehmen wir an, das melancholische Kind sollte zunächst eine solche Form (Zeichnung a) ausbilden und dann die Gegenform (Zeichnung b), so dass es sich ergänzt.


Dadurch kommt die Phantasie in Regsamkeit. Ich will dasjenige schraffieren, was die ursprüngliche Form (a) ist, und die Gegenform (b) so. Dasjenige, was hier (a) schraffiert ist, würde hier (b) leer sein. Wenn Sie sich das Leere ausgefüllt denken, würden Sie diese Form (a) wieder herausbekommen. Dadurch sind die äußeren (b) entgegengesetzte Formen von den inneren (a). – Sie haben also hier das Entgegengesetzte von solchen Zeichnungen, wo Wiederholung auftritt. Hier etwas, was gedanklich ist, mit der Anschauung vereinigt für das melancholische Kind. Und wo Wiederholung auftritt, Ranken und so weiter, das ist für das sanguinische Kind.

A. erzählt das Märchen vom »Marienkind« in der Fassung für phlegmatische Kinder.

Rudolf Steiner: Es wäre wichtig, sich an eine gut artikulierte Sprache zu gewöhnen und so die Kinder aus der Mundart herauszuführen. Frau Dr. Steiner wird vorsprechen.

D. erzählt das Märchen vom »Meerkätzchen« in der Fassung für phlegmatische Kinder.

Rudolf Steiner: Ich würde nur raten, versuchen Sie in einem solchen Falle auch Nebenhilfen des Erzählens zu benützen. Ich würde gerade dem phlegmatischen Kinde gegenüber öfter mal mit dem Satze einhalten, dann die Kinder angucken, dann das ausnützen, dass die Phantasie weiterarbeitet. Diese Neugierde an wichtigen Stellen erregen, damit sie ein wenig schon weiterdenken und selber sich ausmalen: »Die Königstochter, – die war – sehr schon, – aber – weniger – gut!« Dieses Ausnützen ist gerade für phlegmatische Kinder am wirksamsten.

R. erzählt das »Sesammärchen« für Phlegmatiker.

Rudolf Steiner: Das Überraschungsmoment benützen, das Neugiermoment.

L. erzählt für sanguinische Kinder eine Tiergeschichte von Pferd, Esel, Kamel. Welches ist euch lieber, das Pferd oder der Esel?

Rudolf Steiner: Einige Melancholiker werden den Esel lieber haben. – Ja, was ich bei diesen Tierbeschreibungen bitten würde, das wäre nur, möglichst darauf Rücksicht zu nehmen, dass das Kind angeleitet wird zur Beobachtung der Tiere, dass in solchen Beschreibungen wirkliche Naturgeschichte liegen könnte.

M. gibt für Sanguiniker und Melancholiker die Schilderung eines Affen, der in das Dachgebälk floh.

Rudolf Steiner: Ja, das würde auf den Melancholiker unter Umständen einen ganz guten Eindruck machen, aber auch da meine ich, dass es noch etwas auszubilden wäre dahin, dass die Tierbeobachtung als solche gefördert würde. Ich möchte nur bemerken, dass die Berücksichtigung des Temperamentes des Kindes nicht außer acht gelassen werden sollte, dass man aber ruhig die ersten drei bis fünf Wochen dazu verwenden sollte, die Temperamente der Schüler zu beobachten und sie dann so in Gruppen zu teilen, wie wir es hier besprochen haben. Sie werden gut tun, wenn Sie auch die Extreme der Temperamente ins Auge fassen würden. Goethe hat ja aus seiner Weltanschauung heraus den schönen Gedanken geprägt, dass am Abnormen studiert werden könne das Normale. Goethe sieht eine abnorme Pflanze an, eine missbildete Pflanze, und an der Art der Missbildung lernt er das Normale kennen. So kann man auch Verbindungslinien ziehen von dem durchaus Normalen zu den Missbildungen des leiblich-seelischen Wesens, und Sie werden selbst die Linie finden von den Temperamenten zu dem abnormen Seelenwesen. Wenn das melancholische Temperament abnorm ausartet und nicht innerhalb der seelischen Grenzen bleibt, sondern ins Körperliche übergreift, so entsteht der Wahnsinn. Der Wahnsinn ist die Ausartung des im wesentlichen melancholischen Temperamentes. Die Ausartung des phlegmatischen Temperamentes ist der Schwachsinn oder Blödsinn. Die Ausartung des Sanguinischen ist die Narrheit. Die Ausartung des Cholerischen ist die Tobsucht. Sie werden aus ganz normalen Seelen-zuständen manchmal, wenn der Mensch im Affekt ist, solche Anwandlungen aufsteigen sehen von Wahnsinn, von Schwachsinn, von Narrheit, von Tobsucht. Es ist schon notwendig, dass man sich einstellt auf die Beobachtung des ganzen Seelenlebens. Jetzt wollen wir an die Erledigung der anderen Aufgabe gehen. Ich sagte, was würden sich unsere Freunde zur Aufgabe stellen, wenn sie bei acht- bis neunjährigen Kindern, die sie vor sich haben, die Erfahrung machen, dass drei bis vier Wochen nachdem die Schule begonnen hat, ein phlegmatisches Kind, ein cholerisches und ein melancholisches Kind gewissermaßen die drei Aschenbrödel der Klasse werden, dass sie von allen gepufft werden, dass niemand mit ihnen umgeht und so weiter. Also, wenn das passiert wäre, wie würden sich die Lehrenden und Unterrichtenden hierzu verhalten?

Verschiedene Teilnehmer äußern sich darüber.

Rudolf Steiner: Nie die Kinder sich gegenseitig denunzieren lassen, sondern man sollte auf andere Weise herausbekommen, was die Ursache ihres Aschenbrödeltums ist. Die Kinder brauchen nicht selber Schuld zu sein. Sehen Sie, man kommt oftmals in den Fall, helfen zu sollen bei der Kindererziehung. Wenn die Kinder in allerlei Unarten hineinkommen, so kommen Mütter und Väter, die sagen zum Beispiel: Mein Kind lügt. – Nun würde man wohl kaum fehlgehen, folgenden Rat zu geben. Man sagt: Denken Sie sich einen Fall aus, eine Erzählung, in der ein lügenhaftes Kind ad absurdum geführt wird, indem das Kind durch seine Lüge selber in eine Situation geführt wird, die es als unvernünftig ansehen muss. Wenn man dem Kinde eine solche Erzählung erzählt, dann noch eine, dann noch eine in der Art, dann heilt man das Kind gewöhnlich von seinem Lügenhang. In ähnlicher Art würde ich eine Abhilfe darin finden, wenn Sie die verschiedenen Dinge, die heute über die drei Aschenbrödel gesagt wurden, und alles, was Sie über diese Kinder herausbekommen und erfahren können, in eine Erzählung bringen, die Sie dann vor der ganzen Klasse vorbringen, wodurch Sie bewirken, dass die drei Aschenbrödel sich etwas trösten, die anderen sich etwas schämen. Wenn Sie das bewirken, werden Sie wohl schon auf den ersten Anhub, und wenn Sie es zum zweiten mal wiederholen, werden Sie sicher wieder soziale Zustände, ein gegenseitiges Sich-in-Sympathie-Begegnen bei den Kindern erzielen- Eine solche Erzählung ist sehr schwierig. Aber eine Skizze sollte gemacht werden bis zum Ende des Seminars. Für morgen einen anderen Fall, der auch vorkommt, und der ganz sicher nicht durch eine Erzählung wird zu behandeln sein, indem Sie die einen Kinder trösten, die anderen beschämen. Denken Sie, Sie hätten wiederum verhältnismäßig junge, acht bis neunjährige Kinder in Ihrer Klasse, und einer dieser Knirpse wäre hinter eine besondere Ungezogenheit gekommen. So etwas kommt vor. Er hat sie draußen kennengelernt, und es ist ihm gelungen, die ganze Klasse damit anzustecken, so dass die ganze Klasse während der Pause die Ungezogenheit ausübt. Ein schematischer Schullehrer wird dahin kommen, die ganze Klasse zu bestrafen. Aber ich hoffe, Sie werden bis morgen eine etwas rationellere, das heißt wirksamere Methode herausbringen. Denn diese alte Art zu strafen, führt dazu, dass der Lehrer in eine schiefe Stellung kommt. Bei Schlagen und Nachsitzen bleibt immer etwas zurück. Es ist nicht gut, wenn etwas zurückbleibt. Ich habe einen besonderen Fall im Auge, der wirklich vorgekommen ist, und wo sich der betreffende Lehrer nicht sehr günstig verhalten hat: Da war nun der Knirps dazu gekommen – und es ist ihm gelungen – auf den Plafond, auf die Decke des Zimmers zu spucken. Der Lehrer ist sehr lange nicht daraufgekommen. Man konnte keinen herauskriegen, denn alle hatten es nachgemacht, und das ganze Klassenzimmer war verschandelt. Diesen moralischen Fall bitte ich bis morgen auszudenken. Sie wissen im allgemeinen nur, dass die ganze Klasse angesteckt worden ist. Sie werden nicht von der Voraussetzung ausgehen dürfen, dass Sie von vornherein wissen, wer der Anstifter ist. Sie werden zu bedenken haben, ob es nicht besser ist, auf das Herausbringen durch Denunziation zu verzichten. Wie würden Sie sich dazu verhalten?

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