Die Geheimwissenschaft im Umriss

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In der Bewusstseinsseele enthüllt sich erst die wirkliche Natur des »Ich«. Denn während sich die Seele in Empfindung und Verstand an anderes verliert, ergreift sie als Bewusstseinsseele ihre eigene Wesenheit. Daher kann dieses »Ich« durch die Bewusstseinsseele auch nicht anders als durch eine gewisse innere Tätigkeit wahrgenommen werden. Die Vorstellungen von äußeren Gegenständen werden gebildet, so wie diese Gegenstände kommen und gehen; und diese Vorstellungen arbeiten im Verstande weiter durch ihre eigene Kraft. Soll aber das »Ich« sich selbst wahrnehmen, so kann es nicht bloß sich hingeben; es muß durch innere Tätigkeit seine Wesenheit aus den eigenen Tiefen erst heraufholen, um ein Bewusstsein davon zu haben. Mit der Wahrnehmung des »Ich« – mit der Selbstbesinnung – beginnt eine innere Tätigkeit des »Ich«. Durch diese Tätigkeit hat die Wahrnehmung des Ich in der Bewusstseinsseele für den Menschen eine ganz andere Bedeutung als die Beobachtung alles dessen, was durch die drei Leibesglieder und durch die beiden andern Glieder der Seele an ihn herandringt. Die Kraft, welche in der Bewusstseinsseele das Ich offenbar macht, ist ja dieselbe wie diejenige, welche sich in aller übrigen Welt kundgibt. Nur tritt sie in dem Leibe und in den niederen Seelengliedern nicht unmittelbar hervor, sondern offenbart sich stufenweise in ihren Wirkungen. Die unterste Offenbarung ist diejenige durch den physischen Leib; dann geht es stufenweise hinauf bis zu dem, was die Verstandesseele erfüllt. Man könnte sagen, mit dem Hinansteigen über jede Stufe fällt einer der Schleier, mit denen das Verborgene umhüllt ist. In dem, was die Bewusstseinsseele erfüllt, tritt dieses Verborgene hüllenlos in den innersten Seelentempel. Doch zeigt es sich da eben nur wie ein Tropfen aus dem Meere der alles durchdringenden Geistigkeit. Aber der Mensch muß diese Geistigkeit hier zunächst ergreifen. Er muß sie in sich selbst erkennen; dann kann er sie auch in ihren Offenbarungen finden.

Was da wie ein Tropfen hereindringt in die Bewusstseinsseele, das nennt die Geheimwissenschaft den Geist. So ist die Bewusstseinsseele mit dem Geiste verbunden, der das Verborgene in allem Offenbaren ist. Wenn der Mensch nun den Geist in aller Offenbarung ergreifen will, so muß er dies auf dieselbe Art tun, wie er das Ich in der Bewusstseinsseele ergreift. Er muß die Tätigkeit, welche ihn zum Wahrnehmen dieses Ich geführt hat, auf die offenbare Welt hinwenden. Dadurch aber entwickelt er sich zu höheren Stufen seiner Wesenheit. Er setzt den Leibes- und Seelengliedern Neues an. Das nächste ist, daß er dasjenige auch noch selbst erobert, was in den niederen Gliedern seiner Seele verborgen liegt. Und dies geschieht durch seine vom Ich ausgehende Arbeit an seiner Seele. Wie der Mensch in dieser Arbeit begriffen ist, das wird anschaulich, wenn man einen Menschen, der noch ganz niederem Begehren und sogenannter sinnlicher Lust hingegeben ist, vergleicht mit einem edlen Idealisten. Der letztere wird aus dem ersteren, wenn jener sich von gewissen niederen Neigungen abzieht und höheren zuwendet. Er hat dadurch vom Ich aus veredelnd, vergeistigend auf seine Seele gewirkt. Das Ich ist Herr geworden innerhalb des Seelenlebens. Das kann so weit gehen, daß in der Seele keine Begierde, keine Lust Platz greift, ohne daß das Ich die Gewalt ist, welche den Einlass ermöglicht. Auf diese Art wird dann die ganze Seele eine Offenbarung des Ich, wie es vorher nur die Bewusstseinsseele war. Im Grunde besteht alles Kulturleben und alles geistige Streben der Menschen aus einer Arbeit, welche diese Herrschaft des Ich zum Ziele hat. Jeder gegenwärtig lebende Mensch ist in dieser Arbeit begriffen: er mag wollen oder nicht, er mag von dieser Tatsache ein Bewusstsein haben oder nicht.

Durch diese Arbeit aber geht es zu höheren Stufen der Menschenwesenheit hinan. Der Mensch entwickelt durch sie neue Glieder seiner Wesenheit. Diese liegen als Verborgenes hinter dem für ihn Offenbaren. Es kann sich der Mensch aber nicht nur durch die Arbeit an seiner Seele vom Ich aus zum Herrscher über diese Seele machen, so daß diese aus dem Offenbaren das Verborgene hervortreibt, sondern er kann diese Arbeit auch erweitern. Er kann übergreifen auf den Astralleib. Dadurch bemächtigt sich das Ich dieses Astralleibes, indem es sich mit dessen verborgener Wesenheit vereinigt. Dieser durch das Ich eroberte, von ihm umgewandelte Astralleib kann das Geistselbst genannt werden. (Es ist dies dasselbe, was man in Anlehnung an die morgenländische Weisheit »Manas« nennt.) In dem Geistselbst ist ein höheres Glied der Menschenwesenheit gegeben, ein solches, das in ihr gleichsam keimhaft vorhanden ist und das im Laufe ihrer Arbeit an sich selbst immer mehr herauskommt.

Wie der Mensch seinen Astralleib erobert dadurch, daß er zu den verborgenen Kräften, die hinter ihm stehen, vordringt, so geschieht das im Laufe der Entwicklung auch mit dem Ätherleibe. Die Arbeit an diesem Ätherleibe ist aber eine intensivere als die am Astralleib; denn was sich in dem ersteren verbirgt, das ist in zwei, das Verborgene des Astralleibes jedoch nur in einen Schleier gehüllt. Man kann sich einen Begriff von dem Unterschiede in der Arbeit an den beiden Leibern bilden, indem man auf gewisse Veränderungen hinweist, die mit dem Menschen im Verlaufe seiner Entwicklung eintreten können. Man denke zunächst, wie gewisse Seeleneigenschaften des Menschen sich entwickeln, wenn das Ich an der Seele arbeitet. Wie Lust und Begierden, Freude und Schmerz sich ändern können. Der Mensch braucht da nur zurückzudenken an die Zeit seiner Kindheit. Woran hat er da seine Freude gehabt; was hat ihm Leid verursacht? Was hat er zu dem hinzugelernt, was er in der Kindheit gekonnt hat? Alles das aber ist nur ein Ausdruck davon, wie das Ich die Herrschaft erlangt hat über den Astralleib. Denn dieser ist ja der Träger von Lust und Leid, von Freude und Schmerz. Und man vergleiche damit, wie wenig sich im Laufe der Zeit gewisse andere Eigenschaften des Menschen ändern, zum Beispiel sein Temperament, die tieferen Eigentümlichkeiten seines Charakters usw. Ein Mensch, der als Kind jähzornig ist, wird gewisse Seiten des Jähzorns auch für seine Entwicklung in das spätere Leben hinein oft beibehalten. Die Sache ist so auffallend, daß es Denker gibt, welche die Möglichkeit ganz in Abrede stellen, daß der Grundcharakter eines Menschen sich ändern könne. Sie nehmen an, daß dieser etwas durch das Leben hindurch Bleibendes sei, welches sich nur nach dieser oder jener Seite offenbare. Ein solches Urteil beruht aber nur auf einem Mangel in der Beobachtung. Wer den Sinn dafür hat, solche Dinge zu sehen, dem wird klar, daß sich auch Charakter und Temperament des Menschen unter dem Einfluss seines Ich ändern. Allerdings ist diese Änderung im Verhältnis zur Änderung der vorhin gekennzeichneten Eigenschaften eine langsame. Man kann den Vergleich gebrauchen, daß das Verhältnis der beiderlei Änderungen ist wie das Vorrücken des Stundenzeigers der Uhr im Verhältnis zum Minutenzeiger. Nun gehören die Kräfte, welche diese Änderung von Charakter oder Temperament bewirken, dem verborgenen Gebiet des Ätherleibes an. Sie sind gleicher Art mit den Kräften, welche im Reiche des Lebens herrschen, also mit den Wachstums-, Ernährungskräften und denjenigen, welche der Fortpflanzung dienen. Auf diese Dinge wird durch die weiteren Ausführungen dieser Schrift das rechte Licht fallen.

Also nicht, wenn sich der Mensch bloß hingibt an Lust und Leid, an Freude und Schmerz, arbeitet das Ich am Astralleib, sondern wenn sich die Eigentümlichkeiten dieser Seeleneigenschaften ändern. Und ebenso erstreckt sich die Arbeit auf den Ätherleib, wenn das Ich seine Tätigkeit an eine Änderung seiner Charaktereigenschaften, seiner Temperamente usw. wendet. Auch an dieser letzteren Änderung arbeitet jeder Mensch: er mag sich dessen bewußt sein oder nicht. Die stärksten Impulse, welche im gewöhnlichen Leben auf diese Änderung hinarbeiten, sind die religiösen. Wenn das Ich die Antriebe, die aus der Religion fließen, immer wieder und wieder auf sich wirken läßt, so bilden diese in ihm eine Macht, welche bis in den Ätherleib hineinwirkt und diesen ebenso wandelt, wie geringere Antriebe des Lebens die Verwandlung des Astralleibes bewirken. Diese geringeren Antriebe des Lebens, welche durch Lernen, Nachdenken, Veredelung der Gefühle usw. an den Menschen herankommen, unterliegen dem mannigfaltig wechselnden Dasein; die religiösen Empfindungen drücken aber allem Denken, Fühlen und Wollen etwas Einheitliches auf. Sie breiten gleichsam ein gemeinsames, einheitliches Licht über das ganze Seelenleben aus. Der Mensch denkt und fühlt heute dies, morgen jenes. Dazu führen die verschiedensten Veranlassungen. Wer aber durch sein wie immer geartetes religiöses Empfinden etwas ahnt, das sich durch allen Wechsel hindurchzieht, der wird, was er heute denkt und fühlt, ebenso auf diese Grundempfindung beziehen wie die morgigen Erlebnisse seiner Seele. Das religiöse Bekenntnis hat dadurch etwas Durchgreifendes im Seelenleben; seine Einflüsse verstärken sich im Laufe der Zeit immer mehr, weil sie in fortdauernder Wiederholung wirken. Deshalb erlangen sie die Macht, auf den Ätherleib zu wirken.

In ähnlicher Art wirken die Einflüsse der wahren Kunst auf den Menschen. Wenn er durch die äußere Form, durch Farbe und Ton eines Kunstwerkes die geistigen Untergründe desselben mit Vorstellen und Gefühl durchdringt, dann wirken die Impulse, welche dadurch das Ich empfängt, in der Tat auch bis auf den Ätherleib. Wenn man diesen Gedanken zu Ende denkt, so kann man ermessen, welch ungeheure Bedeutung die Kunst für alle menschliche Entwicklung hat. Nur auf einiges ist hiermit hingewiesen, was dem Ich die Antriebe liefert, auf den Ätherleib zu wirken. Es gibt viele dergleichen Einflüsse im Menschenleben, die dem beobachtenden Blick nicht so offen liegen wie die genannten. Aber schon aus diesen ist ersichtlich, daß im Menschen ein weiteres Glied seiner Wesenheit verborgen ist, welches das Ich immer mehr und mehr herausarbeitet. Man kann dieses Glied als das zweite des Geistes, und zwar als den Lebensgeist bezeichnen. (Es ist dasselbe, was man mit Anlehnung an die morgenländische Weisheit »Buddhi« nennt.) Der Ausdruck »Lebensgeist« ist deshalb der entsprechende, weil in dem, was er bezeichnet, dieselben Kräfte wirksam sind wie in dem »Lebensleib«; nur ist in diesen Kräften, wenn sie als Lebensleib sich offenbaren, das menschliche Ich nicht tätig. Äußern sie sich aber als Lebensgeist, so sind sie von der Tätigkeit des Ich durchsetzt.

 

Die intellektuelle Entwicklung des Menschen, seine Läuterung und Veredelung von Gefühlen und Willensäußerungen sind das Maß seiner Verwandlung des Astralleibes zum Geistselbst; seine religiösen Erlebnisse und manche anderen Erfahrungen prägen sich dem Ätherleibe ein und machen diesen zum Lebensgeist. Im gewöhnlichen Verlaufe des Lebens geschieht dies mehr oder weniger unbewußt, dagegen besteht die sogenannte Einweihung des Menschen darin, daß er durch die übersinnliche Erkenntnis auf die Mittel hingewiesen wird, wodurch er diese Arbeit im Geistselbst und Lebensgeist ganz bewußt in die Hand nehmen kann. Von diesen Mitteln wird in späteren Teilen dieser Schrift die Rede sein. Vorläufig handelte es sich darum, zu zeigen, daß im Menschen außer der Seele und dem Leibe auch der Geist wirksam ist. Auch das wird sich später zeigen, wie dieser Geist zum Ewigen des Menschen, im Gegensatz zu dem vergänglichen Leibe, gehört.

Mit der Arbeit am Astralleib und am Ätherleib ist aber die Tätigkeit des Ich noch nicht erschöpft. Diese erstreckt sich auch auf den physischen Leib. Einen Anflug von dem Einfluss des Ich auf den physischen Leib kann man sehen, wenn durch gewisse Erlebnisse zum Beispiel Erröten oder Erbleichen eintreten. Hier ist das Ich in der Tat der Veranlasser eines Vorganges im physischen Leib. Wenn nun durch die Tätigkeit des Ich im Menschen Veränderungen eintreten in Bezug auf seinen Einfluß im physischen Leibe, so ist das Ich wirklich vereinigt mit den verborgenen Kräften dieses physischen Leibes. Mit denselben Kräften, welche seine physischen Vorgänge bewirken. Man kann dann sagen, das Ich arbeitet durch eine solche Tätigkeit am physischen Leibe. Es darf dieser Ausdruck nicht mißverstanden werden. Die Meinung darf gar nicht aufkommen, als ob diese Arbeit etwas Grob-Materielles sei. Was am physischen Leibe als das Grob-Materielle erscheint, das ist ja nur das Offenbare an ihm. Hinter diesem Offenbaren liegen die verborgenen Kräfte seines Wesens. Und diese sind geistiger Art. Nicht von einer Arbeit an dem Materiellen, als welches der physische Leib erscheint, soll hier gesprochen werden, sondern von der geistigen Arbeit an den unsichtbaren Kräften, welche ihn entstehen lassen und wieder zum Zerfall bringen. Für das gewöhnliche Leben kann dem Menschen diese Arbeit des Ich am physischen Leibe nur mit einer sehr geringen Klarheit zum Bewusstsein kommen. Diese Klarheit kommt im vollen Maße erst, wenn unter dem Einfluß der übersinnlichen Erkenntnis der Mensch die Arbeit bewußt in die Hand nimmt. Dann aber tritt zutage, daß es noch ein drittes geistiges Glied im Menschen gibt. Es ist dasjenige, welches der Geistesmensch im Gegensatz zum physischen Menschen genannt werden kann. (In der morgenländischen Weisheit heißt dieser »Geistesmensch« das »Atma«.) Man wird in Bezug auf den Geistesmenschen auch dadurch leicht irregeführt, daß man in dem physischen Leibe das niedrigste Glied des Menschen sieht und sich deswegen mit der Vorstellung nur schwer abfindet, daß die Arbeit an diesem physischen Leibe zu dem höchsten Glied in der Menschenwesenheit kommen soll. Aber gerade deswegen, weil der physische Leib den in ihm tätigen Geist unter drei Schleiern verbirgt, gehört die höchste Art von menschlicher Arbeit dazu, um das Ich mit dem zu einigen, was sein verborgener Geist ist.

So stellt sich der Mensch für die Geheimwissenschaft als eine aus verschiedenen Gliedern zusammengesetzte Wesenheit dar. Leiblicher Art sind: der physische Leib, der Ätherleib und der Astralleib. Seelisch sind: Empfindungsseele, Verstandesseele und Bewusstseinsseele. In der Seele breitet das Ich sein Licht aus. Und geistig sind: Geistselbst, Lebensgeist und Geistesmensch. Aus den obigen Ausführungen geht hervor, daß die Empfindungsseele und der Astralleib eng vereinigt sind und in einer gewissen Beziehung ein Ganzes ausmachen. In ähnlicher Art sind Bewusstseinsseele und Geistselbst ein Ganzes. Denn in der Bewusstseinsseele leuchtet der Geist auf und von ihr aus durchstrahlt er die andern Glieder der Menschennatur. Mit Rücksicht darauf kann man auch von der folgenden Gliederung des Menschen sprechen. Man kann Astralleib und Empfindungsseele als ein Glied zusammenfassen, ebenso Bewusstseinsseele und Geistselbst und kann die Verstandesseele, weil sie an der Ich-Natur Teil hat, weil sie in einer gewissen Beziehung schon das »Ich« ist, das sich seiner Geistwesenheit nur noch nicht bewußt ist, als »Ich« schlechtweg bezeichnen und bekommt dann sieben Teile des Menschen:

1. Physischer Leib

2. Ätherleib oder Lebensleib

3. Astralleib

4. Ich

5. Geistselbst

6. Lebensgeist

7. Geistmensch

Auch für den an materialistische Vorstellungen gewöhnten Menschen würde diese Gliederung des Menschen im Sinne der Siebenzahl nicht das »unklar Zauberhafte« haben, das er ihr oft zuschreibt, wenn er sich genau an den Sinn der obigen Auseinandersetzungen halten würde und nicht von vornherein dieses »Zauberhafte« selbst in die Sache hineinlegen würde. In keiner andern Art, nur vom Gesichtspunkte einer höheren Form der Weltbeobachtung aus, sollte von diesen »sieben« Gliedern des Menschen gesprochen werden, so wie man von den sieben Farben des Lichtes spricht oder von den sieben Tönen der Tonleiter (indem man die Oktave als eine Wiederholung des Grundtones betrachtet). Wie das Licht in sieben Farben, der Ton in sieben Stufen erscheint, so die einheitliche Menschennatur in den gekennzeichneten sieben Gliedern. So wenig die Siebenzahl bei Ton und Farbe etwas von »Aberglauben« mit sich führt, so wenig ist das mit Bezug auf sie bei der Gliederung des Menschen der Fall. (Es ist bei einer Gelegenheit, als dies einmal mündlich vorgebracht worden ist, gesagt worden, daß die Sache bei den Farben mit der Siebenzahl doch nicht stimme, da jenseits des »Roten« und des »Violetten« doch auch noch Farben liegen, welche das Auge nur nicht wahrnimmt. Aber auch in Anbetracht dessen stimmt der Vergleich mit den Farben, denn auch jenseits des physischen Leibes auf der einen Seite und jenseits des Geistesmenschen anderseits setzt sich die Wesenheit des Menschen fort; nur sind für die Mittel der geistigen Beobachtung diese Fortsetzungen »geistig unsichtbar«, wie die Farben jenseits von Rot und Violett für das physische Auge unsichtbar sind. Diese Bemerkung mußte gemacht werden, weil so leicht die Meinung aufkommt, die übersinnliche Anschauung nehme es mit dem naturwissenschaftlichen Denken nicht genau, sie sei in Bezug auf dasselbe dilettantisch. Wer aber richtig zusieht, was mit dem Gesagten gemeint ist, der kann finden, daß dies in Wahrheit nirgends in einem Widerspruch steht mit der echten Naturwissenschaft; weder wenn naturwissenschaftliche Tatsachen zur Veranschaulichung herangezogen werden, noch auch wenn mit den hier gemachten Äußerungen auf ein unmittelbares Verhältnis zu der Naturforschung gedeutet wird.

III. Schlaf und Tod

Man kann das Wesen des wachen Bewusstseins nicht durchdringen ohne die Beobachtung desjenigen Zustandes, welchen der Mensch während des Schlafens durchlebt; und man kann dem Rätsel des Lebens nicht beikommen, ohne den Tod zu betrachten. Für einen Menschen, in dem kein Gefühl lebt von der Bedeutung der übersinnlichen Erkenntnis, können sich schon daraus Bedenken gegen diese ergeben, wie sie ihre Betrachtungen des Schlafes und des Todes treibt. Diese Erkenntnis kann die Beweggründe würdigen, aus denen solche Bedenken entspringen. Denn es ist nichts Unbegreifliches, wenn jemand sagt, der Mensch sei für das tätige, wirksame Leben da und sein Schaffen beruhe auf der Hingabe an dieses. Und die Vertiefung in Zustände wie Schlaf und Tod könne nur aus dem Sinn für müßige Träumerei entspringen und zu nichts anderem als zu leerer Phantastik führen. Es können leicht Menschen in der Ablehnung einer solchen »Phantastik« den Ausdruck einer gesunden Seele sehen und in der Hingabe an derlei »müßige Träumereien« etwas Krankhaftes, das nur Personen eignen mag, denen es an Lebenskraft und Lebensfreude mangelt und die nicht zum »wahren Schaffen« befähigt sind. Man tut Unrecht, wenn man ein solches Urteil ohne weiteres als unrichtig hinstellt. Denn es hat einen gewissen wahren Kern in sich; es ist eine Viertelwahrheit, die durch die übrigen drei Viertel, welche zu ihr gehören, ergänzt werden muß. Und man macht denjenigen, der das eine Viertel ganz gut einsieht, von den andern drei Vierteln aber nichts ahnt, nur mißtrauisch, wenn man das eine richtige Viertel bekämpft.

Es muß nämlich unbedingt zugegeben werden, daß eine Betrachtung dessen, was Schlaf und Tod verhüllen, krankhaft ist, wenn sie zu einer Schwächung, zu einer Abkehr vom wahren Leben führt. Und nicht weniger kann man damit einverstanden sein, daß vieles, was sich von jeher in der Welt Geheimwissenschaft genannt hat und was auch gegenwärtig unter diesem Namen getrieben wird, ein ungesundes, lebensfeindliches Gepräge trägt. Aber dieses Ungesunde entspringt durchaus nicht aus wahrer übersinnlicher Erkenntnis. Der wahre Tatbestand ist vielmehr der folgende. Wie der Mensch nicht immer wachen kann, so kann er auch für die wirklichen Verhältnisse des Lebens in seinem ganzen Umfange nicht auskommen ohne das, was ihm das Übersinnliche zu geben vermag. Das Leben dauert fort im Schlafe, und die Kräfte, welche im Wachen arbeiten und schaffen, holen sich ihre Stärke und ihre Erfrischung aus dem, was ihnen der Schlaf gibt. So ist es mit dem, was der Mensch in der offenbaren Welt beobachten kann. Das Gebiet der Welt ist weiter als das Feld dieser Beobachtung. Und was der Mensch im Sichtbaren erkennt, das muß ergänzt und befruchtet werden durch dasjenige, was er über die unsichtbaren Welten zu wissen vermag. Ein Mensch, der sich nicht immer wieder die Stärkung der erschlafften Kräfte aus dem Schlafe holte, müßte sein Leben zur Vernichtung führen; ebenso muß eine Weltbetrachtung zur Verödung führen, die nicht durch die Erkenntnis des Verborgenen befruchtet wird. Und ähnlich ist es mit dem »Tode«. Die lebenden Wesen verfallen dem Tode, damit neues Leben entstehen könne. Es ist eben die Erkenntnis des Übersinnlichen, welche klares Licht verbreitet über den schönen Satz Goethes: »Die Natur hat den Tod erfunden, um viel Leben zu haben.«1 Wie es kein Leben im gewöhnlichen Sinne geben könnte ohne den Tod, so kann es keine wirkliche Erkenntnis der sichtbaren Welt geben ohne den Einblick in das Übersinnliche. Alles Erkennen des Sichtbaren muß immer wieder und wieder in das Unsichtbare untertauchen, um sich entwickeln zu können. So ist ersichtlich, daß die Wissenschaft vom Übersinnlichen erst das Leben des offenbaren Wissens möglich macht; sie schwächt niemals das Leben, wenn sie in ihrer wahren Gestalt auftaucht; sie stärkt es und macht es immer wieder frisch und gesund, wenn es sich, auf sich selbst angewiesen, schwach und krank gemacht hat.

Wenn der Mensch in Schlaf versinkt, dann verändert sich der Zusammenhang in seinen Gliedern. Das, was vom schlafenden Menschen auf der Ruhestätte liegt, enthält den physischen Leib und den Ätherleib, nicht aber den Astralleib und nicht das Ich. Weil der Ätherleib mit dem physischen Leibe im Schlafe verbunden bleibt, deshalb dauern die Lebenswirkungen fort. Denn in dem Augenblicke, wo der physische Leib sich selbst überlassen wäre, müßte er zerfallen. Was aber im Schlafe ausgelöscht ist, das sind die Vorstellungen, das ist Leid und Lust, Freude und Kummer, das ist die Fähigkeit, einen bewußten Willen zu äußern, und ähnliche Tatsachen des Daseins. Von alledem ist aber der Astralleib der Träger. Es kann für ein unbefangenes Urteilen natürlich die Meinung gar nicht in Betracht kommen, daß im Schlafe der Astralleib mit aller Lust und allem Leid, mit der ganzen Vorstellungs- und Willenswelt vernichtet sei. Er ist eben in einem andern Zustand vorhanden. Daß das menschliche Ich und der Astralleib nicht nur mit Lust und Leid und all dem andern Genannten erfüllt sei, sondern davon auch eine bewußte Wahrnehmung habe, dazu ist notwendig, daß der Astralleib mit dem physischen Leib und Ätherleib verbunden sei. Im Wachen ist er dieses, im Schlafen ist er es nicht. Er hat sich aus ihm herausgezogen. Er hat eine andere Art des Daseins angenommen als diejenige ist, die ihm während seiner Verbindung mit physischem Leibe und Ätherleibe zukommt. Es ist nun die Aufgabe der Erkenntnis des Übersinnlichen, diese andere Art des Daseins im Astralleib zu betrachten. Für die Beobachtung in der äußeren Welt entschwindet der Astralleib im Schlafe; die übersinnliche Anschauung hat ihn nun zu verfolgen in seinem Leben, bis er wieder Besitz vom physischen Leibe und Ätherleibe beim Erwachen ergreift. Wie in allen Fällen, in denen es sich um die Erkenntnis der verborgenen Dinge und Vorgänge der Welt handelt, gehört zum Auffinden der wirklichen Tatsachen des Schlafzustandes in ihrer eigenen Gestalt die übersinnliche Beobachtung; wenn aber einmal ausgesprochen ist, was durch diese gefunden werden kann, dann ist dieses für ein wahrhaft unbefangenes Denken ohne weiteres verständlich. Denn die Vorgänge der verborgenen Welt zeigen sich in ihren Wirkungen in der offenbaren. Ersieht man, wie das, was die übersinnliche Betrachtung angibt, die sinnenfälligen Vorgänge verständlich macht, so ist eine solche Bestätigung durch das Leben der Beweis, den man für diese Dinge verlangen kann. Wer nicht die später anzugebenden Mittel zur Erlangung der übersinnlichen Beobachtung gebrauchen will, der kann die folgende Erfahrung machen. Er kann zunächst die Angaben der übersinnlichen Erkenntnis hinnehmen und dann sie auf die offenbaren Dinge seiner Erfahrung anwenden. Er kann auf diese Art finden, daß das Leben dadurch klar und verständlich wird. Und er wird zu dieser Überzeugung um so mehr kommen, je genauer und eingehender er das gewöhnliche Leben betrachtet.

 

Wenn auch der Astralleib während des Schlafes keine Vorstellungen erlebt, wenn er auch nicht Lust und Leid und ähnliches erfährt: er bleibt nicht untätig. Ihm obliegt vielmehr gerade im Schlafzustand eine rege Tätigkeit. Es ist eine Tätigkeit, in welche er in rhythmischer Folge immer wieder eintreten muß, wenn er eine Zeitlang in Gemeinschaft mit dem physischen und dem Ätherleib tätig war. Wie ein Uhrpendel, nachdem er nach links ausgeschlagen hat und wieder in die Mittellage zurückgekommen ist, durch die bei diesem Ausschlag gesammelte Kraft nach rechts ausschlagen muß: so müssen der Astralleib und das in seinem Schoße befindliche Ich, nachdem sie einige Zeit in dem physischen und dem Ätherleib tätig waren, durch die Ergebnisse dieser Tätigkeit eine folgende Zeit leibfrei in einer seelisch-geistigen Umwelt ihre Regsamkeit entfalten. Für die gewöhnliche Lebensverfassung des Menschen tritt innerhalb dieses leibfreien Zustandes des Astralleibes und des Ich Bewusstlosigkeit ein, weil diese eben den Gegensatz gegenüber dem im Wachzustand durch Zusammensein mit physischem und Ätherleib entwickelten Bewusstseinszustand darstellt: wie der rechte Pendelausschlag den Gegensatz des linken bildet. Die Notwendigkeit, in diese Bewusstlosigkeit einzutreten, wird von dem Geistig-Seelischen des Menschen als Ermahnung empfunden. Aber diese Ermüdung ist der Ausdruck dafür, daß Astralleib und Ich während des Schlafes sich bereit machen, im folgenden Wachzustand am physischen und Ätherleibe wieder zurückzubilden, was in diesen, solange sie frei vom Geistig-Seelischen waren, durch rein organische — unbewußte — Bildetätigkeit entstanden ist. Diese unbewußte Bildetätigkeit und dasjenige, was im Menschenwesen während des Bewusstseins und durch dieses geschieht, sind Gegensätze. Solche Gegensätze, die in rhythmischer Folge sich abwechseln müssen.

Es kann dem physischen Leib die ihm für den Menschen zukommende Form und Gestalt nur durch den menschlichen Ätherleib erhalten werden. Aber diese menschliche Form des physischen Leibes kann nur durch einen solchen Ätherleib erhalten werden, dem seinerseits wieder von dem Astralleib die entsprechenden Kräfte zugeführt werden. Der Ätherleib ist der Bildner, der Architekt des physischen Leibes. Er kann aber nur im richtigen Sinne bilden, wenn er die Anregung zu der Art, wie er zu bilden hat, von dem Astralleib erhält. In diesem sind die Vorbilder, nach denen der Ätherleib dem physischen Leibe seine Gestalt gibt. Während des Wachens ist nun der Astralleib nicht mit diesen Vorbildern für den physischen Leib erfüllt oder wenigstens nur bis zu einem bestimmten Grade. Denn während des Wachens setzt die Seele ihre eigenen Bilder an die Stelle dieser Vorbilder. Wenn der Mensch die Sinne auf seine Umgebung richtet, so bildet er sich eben durch die Wahrnehmung in seinen Vorstellungen Bilder, welche die Abbilder der ihn umgebenden Welt sind. Diese Abbilder sind zunächst Störenfriede für diejenigen Bilder, welche den Ätherleib anregen zur Erhaltung des physischen Leibes. Nur dann, wenn der Mensch aus eigener Tätigkeit seinem Astralleib diejenigen Bilder zuführen könnte, welche dem Ätherleibe die richtige Anregung geben können, dann wäre eine solche Störung nicht vorhanden. Im Menschendasein spielt aber gerade diese Störung eine wichtige Rolle. Und sie drückt sich dadurch aus, daß während des Wachens die Vorbilder für den Ätherleib nicht in ihrer vollen Kraft wirken. Seine Wachleistung vollbringt der Astralleib innerhalb des physischen Leibes; im Schlafe arbeitet er an diesem von außen.2

Wie der physische Leib zum Beispiel in der Zufuhr der Nahrungsmittel die Außenwelt braucht, mit der er gleicher Art ist, so ist etwas Ähnliches auch für den Astralleib der Fall. Man denke sich einen physischen Menschenleib aus der ihn umgebenden Welt entfernt. Er müßte zugrunde gehen. Das zeigt, daß er ohne die ganze physische Umgebung nicht möglich ist. In der Tat muß die ganze Erde eben so sein, wie sie ist, wenn auf ihr physische Menschenleiber vorhanden sein sollen. In Wahrheit ist nämlich dieser ganze Menschenleib nur ein Teil der Erde, ja in weiterem Sinne des ganzen physischen Weltalls. Er verhält sich in dieser Beziehung wie zum Beispiel der Finger einer Hand zu dem ganzen menschlichen Körper. Man trenne den Finger von der Hand, und er kann kein Finger bleiben. Er verdorrt. So auch müßte es dem menschlichen Leibe ergehen, wenn er von demjenigen Leibe entfernt würde, von dem er ein Glied ist; von den Lebensbedingungen, welche ihm die Erde liefert. Man erhebe ihn eine genügende Anzahl von Meilen über die Oberfläche der Erde, und er wird verderben, wie der Finger verdirbt, den man von der Hand abschneidet. Wenn der Mensch gegenüber seinem physischen Leibe diese Tatsache weniger beachtet als gegenüber Finger und Körper, so beruht das lediglich darauf, daß der Finger nicht am Leibe herumspazieren kann wie der Mensch auf der Erde, und daß für jenen daher die Abhängigkeit leichter in die Augen springt.

Wie nun der physische Leib in die physische Welt eingebettet ist, zu der er gehört, so ist der Astralleib zu der seinigen gehörig. Nur wird er durch das Wachleben aus dieser seiner Welt herausgerissen. Man kann das, was da vorgeht, mit einem Vergleiche sich veranschaulichen. Man denke sich ein Gefäß mit Wasser. Ein Tropfen ist innerhalb dieser ganzen Wassermasse nichts für sich Abgesondertes. Man nehme aber ein kleines Schwämmchen und sauge damit einen Tropfen aus der ganzen Wassermasse heraus. So etwas geht mit dem menschlichen Astralleib beim Erwachen vor sich. Während des Schlafes ist er in einer mit ihm gleichen Welt. Er bildet etwas in einer gewissen Weise zu dieser Gehöriges. Beim Erwachen saugen ihn der physische Leib und der Ätherleib auf. Sie erfüllen sich mit ihm. Sie enthalten die Organe, durch die er die äußere Welt wahrnimmt. Er aber muß, um zu dieser Wahrnehmung zu kommen, aus seiner Welt sich herausscheiden. Aus dieser seiner Welt aber kann er nur die Vorbilder erhalten, welche er für den Ätherleib braucht.