Seewölfe - Piraten der Weltmeere 433

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 433
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Impressum

© 1976/2018 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-95439-841-6

Internet:

www.vpm.de

 und E-Mail:

info@vpm.de









Roy Palmer











Faustrecht







Der Erste Offizier meuterte – und damit grub er sich sein Grab







Als Wölfe im Schafspelz waren die Arwenacks und die Le Vengeurs im Konvoi mitgesegelt und hatten die erstbeste Gelegenheit wahrgenommen, im Morgennebel wieder zu verschwinden – allerdings nicht ohne Beute, wie sich das für echte Korsaren gehört. Ohne einen Schuß, ohne jegliche Gewaltanwendung hatten sie die Galeone „San Lorenzo“ besetzt, denn sie waren ja Soldaten und Offiziere Seiner Allerkatholischsten Majestät, und der dicke Capitán der „San Lorenzo“ wagte nicht, dagegen zu protestieren, zumal er ein schlechtes Gewissen hatte, was wiederum damit zusammenhing, daß er seinen König hatte betrügen wollen. Mit der Schatzladung im Bauch seiner Galeone hatte er heimlich verschwinden wollen, aber seine „Landsleute“ hatten aufgepaßt …









Die Hauptpersonen des Romans:





Don Manzano

 – der Kommandant der Kriegskaravelle „Cordoba“ verspürt wenig Neigung, das englische „Piratengesindel“ zu verfolgen.



Juan Oviedo

 – sein Erster Offizier ist gegenteiliger Ansicht und außerdem ehrgeizig.



Philip Hasard Killigrew

 – muß sich mit Verfolgern herumärgern, die er meinte, abgehängt zu haben.



Sir John

 – Carberrys „Geier“ fliegt einen erneuten Angriff auf die Bordhühner der „Estrella de Málaga“.






Inhalt







Kapitel 1







Kapitel 2







Kapitel 3







Kapitel 4







Kapitel 5







Kapitel 6







Kapitel 7







Kapitel 8









1.





Die Freiwache an Bord eines Kriegsschiffes Seiner Majestät Philipp II. von Spanien war im Prinzip zum Schlafen oder zumindest zum Ruhen bestimmt. Aber Juan Oviedo, der Erste Offizier der Karavelle „Cordoba“, hatte an diesem Nachmittag des 8. November 1594, an dem er sich für vier Stunden in seine Achterdeckskammer zurückziehen konnte, weitaus Wichtigeres zu tun – so glaubte er jedenfalls.



Juan Oviedo war ein ehrgeiziger Mann. Er war übereifrig, herrisch und von sich selbst eingenommen. Die Pflicht und die Disziplin standen für ihn an erster Stelle, und es gab nichts, das seiner Aufmerksamkeit entging.



Er registrierte jeden noch so geringen Schnitzer der Seeleute und hatte auch ein waches Auge auf die Seesoldaten. Damit übertrumpfte er den Profos und den Teniente der Seesoldaten, deren Anwesenheit an Bord er im Grunde ohnehin für völlig überflüssig hielt.



Er, Juan Oviedo, hätte die „Cordoba“ auch ganz allein zu führen verstanden. Jeder beugte sich bedingungslos seinen Befehlen. Unter seinem Kommando würde scharf gesegelt werden, unter härtesten Voraussetzungen, auch durch den dicksten Sturm. Für das Vaterland Spanien riskierte er alles – und wenn es sein mußte, ließ er sich beide Hände und den Kopf abhacken.



Aber leider war er nicht der Capitán, obwohl man ihn nach seiner Rechnung bereits vor drei Jahren hätte befördern müssen, Capitán war Don Manzano. Er bestimmte, was auf der „Cordoba“ zu geschehen hatte, aber Oviedo hatte an seiner Art der Schiffsführung einiges auszusetzen. So gut wie alles: Für ihn gab es keinen schlechteren Kommandanten als Don Manzano.



Zu dieser Erkenntnis war Oviedo nicht erst gelangt, seit sie den Hafen von Guayaquil mit der „Cordoba“ und zwei zweimastigen armierten Schaluppen schnell verlassen hatten, um den „englischen Bastard“ zu suchen, der mit seiner Crew von Höllenhunden die Kriegskaravelle „Estrella de Málaga“ gekapert und entführt hatte.



Nein, in Oviedo gärte es schon lange. Er konnte Don Manzano nicht leiden, er haßte ihn. Diese Animosität mochte beiderseitig sein, doch der Capitán ließ seinerseits nicht durchblicken, wie er über seinen Ersten dachte.



Oviedo hingegen nutzte jede freie Minute, um sich über diesen Don Manzano, der seiner Ansicht nach viel zu behäbig und träge war, auszulassen. Schriftlich tat er dies, er war ein fleißiger Protokollführer und unter anderem auch für das Logbuch der „Cordoba“ zuständig.



Was er in seinen privaten „Dossiers“ jedoch mit Federkiel zur Niederschrift brachte, war nicht für die Augen von Don Manzano bestimmt. Es war „streng geheim“. Oviedo bewahrte es unter Verschluß auf und achtete darauf, daß niemand außer ihm seine Kammer betrat oder sich gar dem Pult näherte. Denn wenn Don Manzano auch nur geahnt hätte, was in diesen Dossiers stand, hätte er nichts Billigeres zu tun gehabt, als seinen von Ehrgeiz zerfressenen Ersten so schnell wie möglich von Bord der „Cordoba“ zu versetzen.



Jede Äußerung, die Don Manzano von sich gab, hatte Oviedo in seinen Aufzeichnungen festgehalten. „Zur Hölle mit dem König“ stand da beispielsweise zu lesen. Oder: „Der Teufel soll die Marine holen.“ „Was sollen wir uns plagen, es hat ja sowieso alles keinen Zweck“, hatte Don Manzano vor ein paar Wochen gesagt. „Eines Tages nehmen uns die Engländer, die Franzosen oder die Holländer ohnehin dieses elende Dreckland wieder weg. Und das ist nur gut so.“ Oviedo hatte es mit der gewohnten Akribie aufgeschrieben und das entsprechende Datum hinzugefügt: 12. August 1594.



Heute gab es wieder ausreichend Stoff für Oviedos Notizen. Mit grimmiger Genugtuung kritzelte er sie auf die Pergamentrolle, die er wie üblich in einem Fach seines Pults verstauen würde. „Dieser Don Miguel de Xeres ist ein Narr“, hatte der Capitán auf dem Achterdeck geäußert. „Was sollen wir mit seinen verdammten Schaluppen? Und wo, zum Teufel, sollen wir die englischen Bastarde suchen? Die finden wir nie!“



Don Miguel de Xeres war der Generalkapitän und Geleitzugkommandant, dem sie auf ihrem südlichen Kurs begegnet waren. Die Bombe war geplatzt: Endlich wußte Don Miguel, daß er einem Schwindler auf den Leim gegangen war. Jener Don Esteban de Castellano, der die „Estrella de Málaga“ befehligte und bei ihm im Konvoi mitgesegelt war, war weder ein Capitán noch ein Spanier: Es handelte sich vielmehr um den schwarzhaarigen Bastard und dessen Crew von Galgenstricken, die die „Estrella“ vor Guayaquil aufgebracht hatten.



Von diesem Satan hatte sich Don Miguel hereinlegen lassen, aber inzwischen hatte er bittere Rache geschworen. Sofort hatte er zwei armierte Schaluppen aus seinem Geleitzug an Don Manzano abgegeben und befohlen, die „Estrella“ und die ebenfalls entführte Galeone „San Lorenzo“ zu verfolgen, einzuholen und zurückzubringen.



Don Manzano mußte gehorchen. Don Miguel war ihm rangmäßig übergeordnet, er hatte zu tun, was dieser ihm auftrug. Aber Don Manzano tat es nur unwillig und zähneknirschend. Denn eigentlich hatte er sich in den Kopf gesetzt, die „Estrella“ nicht wiederzufinden. Auf ein Gefecht mit den Engländern war er nicht scharf. Sie hatten seiner Meinung nach bewiesen, daß sie ausgezeichnete Kämpfer waren. Jetzt hatten sie zwei Schiffe und konnten es mit einer dreimastigen Kriegskaravelle und vier Schaluppen durchaus aufnehmen. Nein, er war überhaupt nicht darauf versessen, dem „schwarzhaarigen Satan“ noch einmal zu begegnen.



Oviedo preßte die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen. Feigheit vor dem Feind, dachte er, aber das wirst du büßen, du Schwachkopf. Die Dossiers waren für das Personalamt der Marine bestimmt. Der Tag, an dem Oviedo sie vorlegen würde, war nicht fern. Dann mußte Don Manzano Farbe bekennen. Dann wurde er degradiert, und sein Erster Offizier rückte endlich in den Rang eines Capitáns auf, der ihm schon lange zustand.



Eine Frage drängte sich Juan Oviedo immer wieder auf, während er die Äußerungen Don Manzanos auf das Pergament schrieb. Wer war der schwarzhaarige Bastard, der ihnen derart zusetzte und ihnen Kopfzerbrechen bereitete? Ein englischer Korsar, daran bestand mittlerweile nicht mehr der geringste Zweifel. Aber wer? Nun, auch das würde man noch erfahren. Insgeheim hoffte Oviedo, sich diesen Hund vor die Klinge zu holen und ihn in einem scharfen Zweikampf zu töten. Er sah sich schon als Sieger – und Don Manzano würde vor Neid und Ehrfurcht erblassen.



Englischer Bastard, dachte Oviedo, warte auf mich. Bald habe ich dich, und wenn ich Tag und Nacht nach dir suchen muß.



„Ich würde jetzt zu gern das Gesicht von Don Miguel de Xeres sehen“, sagte Jean Ribault zum selben Zeitpunkt auf dem Achterdeck der „Estrella de Málaga“ zu Hasard. „Inzwischen dürfte ihm klar sein, daß wir ihn gründlich geleimt haben.“



Hasard, Karl von Hutten, Dan O’Flynn und Big Old Shane lachten gleichzeitig.



„Dazu gehört nun wirklich kein Scharfsinn mehr“, sagte Hasard. „Ich schätze, er schreit Zeter und Mordio und schickt ein paar seiner Schiffe hinter uns her.“



„Mit Sicherheit sogar“, sagte Dan. „Aber bislang haben sich keine Mastspitzen an der Kimm gezeigt.“



„Sie haben uns aus den Augen verloren“, sagte Karl von Hutten. „Endgültig. Sie können höchstens raten, auf welchem Kurs wir uns verholt haben.“

 



„Wegen der Dons brauchen wir uns vorläufig wohl nicht mehr den Kopf zu zerbrechen“, sagte Big Old Shane. Er deutete zur Galeone „San Lorenzo“, die achterlich versetzt zur „Estrella“ segelte. „Aber was fangen wir mit den Dons an, die drüben in der Vorpiek stecken?“



„Ben hat ihnen ja versprochen, sie freizulassen“, entgegnete der Seewolf. Erst vor kurzem hatte Ben ihm durch Zuruf mitgeteilt, wie das Gespräch mit dem spanischen Bootsmann verlaufen war. „Und das werden wir auch tun. Ich sehe keinen Anlaß, warum wir sie festhalten sollen.“



„Und was wird mit dem dicken Capitán?“ erkundigte sich Dan.



„Den wollen wir auch so schnell wie möglich loswerden“, erwiderte Hasard. „Er ist für Uns doch nur ein Ballast.“



„Ja, ein Klotz am Bein“, sagte Karl von Hutten. „Obwohl der Kerl für seine Unehrlichkeit bestraft werden sollte. Was fällt dem überhaupt ein, sich einfach eine Schatzladung unter den Nagel zu reißen, die rechtmäßig dem Allerkatholischsten zusteht?“



„Darüber läßt sich streiten“, sagte Dan.



„Worüber?“ fragte Karl von Hutten.



„Über die Rechtmäßigkeit.“



„Wenn es danach geht, gehört das Gold und Silber den Nachfahren der Chimús“, sagte Pater David, der soeben zu ihnen getreten war.



„Richtig“, pflichtete Hasard ihm bei. „Außerdem hat der dicke Capitán es ja auch nur versucht und nicht wirklich getan.“



„Wir haben die Schandtat verhindert“, sagte Dan und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Don Miguel sollte uns dankbar dafür sein.“



„Leider fürchte ich, daß er den Sachverhalt anders beurteilt“, sagte Hasard lächelnd. „Aber darauf haben wir keinen Einfluß. Begnügen wir uns mit den paar Schatzkisten und seien wir froh, daß die Spanier uns nicht entlarvt haben.“



„Die paar albernen Kistchen sind so viel wert, daß wir das Potosi-Unternehmen schon beinah wieder abbrechen könnten“, sagte Jean Ribault. „Aber jetzt fällt mir etwas anderes ein. Ob der Capitán der ‚San Lorenzo‘ und seine Crew wohl inzwischen begriffen haben, daß wir keine Landsleute von ihnen sind?“



„Sie wissen es nicht“, erwiderte Hasard. „Sie ahnen es nicht einmal. Bens Bericht hat es mir bestätigt. Ich glaube, die Dons sind viel zu aufgeregt und bangen zu sehr um ihren Hals, um zu begreifen, was gespielt wird.“



„Und dabei belassen wir es auch, nicht wahr?“ fragte Dan.



Er sah dabei wie zufällig zu Carberry, der wieder einmal mit seinem viel zu kleinen Helm hantierte und eine Reihe von Flüchen ausstieß. Er war der „Teniente“, und Dan fungierte als „Sargento“. Weiter gab es eine Reihe von „Seesoldaten“ an Bord der „Estrella de Málaga“: Roger Brighton, Mac Pellew, Al Conroy, Bob Grey, Luke Morgan, Gary Andrews, Bill, Sven Nyberg, Baxter, Pierre Puchan, Roger Lutz, Tom Coogan, Jonny, Dave Trooper, Le Testu, Montbars und Mel Ferrow. Alle anderen waren „spanische Seeleute“.



Al Conroy befand sich inzwischen zusammen mit Ferris Tucker und Mulligan an Bord der „San Lorenzo“, denn sie hatten dort auf Hasards Anweisung hin einen ganz bestimmten Auftrag zu erfüllen.



„Ja“, sagte Hasard. „Wir wirken echt und überzeugend. Keiner würde auf den Gedanken verfallen, uns für falsche Dons zu halten.“



Die anderen lachten wieder. Carberry drehte sich auf dem Hauptdeck zu ihnen um und musterte sie grimmig.



„Gilt das wieder mal mir?“ fragte er drohend.



„Warum beziehst du immer alles auf dich, Ed?“ fragte Dan.



Der Profos grinste freundlich wie ein hungriger Hai. „Frag den Abendstern, Mister O’Flynn.“ Er wandte sich an Hasard. „Was machen wir mit den Dons drüben auf der Galeone? Die können doch nicht ewig bei uns bleiben.“



„Wir denken gerade darüber nach“, entgegnete der Seewolf. „Wir setzen sie so bald wie möglich irgendwo an Land. Die Küste kann nicht mehr fern sein.“



„Na bitte“, sagte Carberry. „Das wird aber auch Zeit. Ich für meinen Teil habe von Dons und Don-Klamotten erst mal die Nase voll.“



Am Vormittag des Vortags hatten sich die Männer nach dem gelungenen Raid mit der „San Lorenzo“ seewärts, also nach Westen, abgesetzt. Gegen Mittag waren sie dann auf Südostkurs gegangen, der sie wiederum auf die peruanische Küste zuführte.



„Ja“, sagte Hasard noch einmal. „Wir müssen uns von den Spaniern trennen, je früher, desto besser.“



Mittlerweile steuerten beide Schiffe bei Wind aus Südwesten Ostkurs genau auf die Küste zu. Nach Dan O’Flynns Berechnungen mußten sie – die Stromversetzung nach Norden einbezogen – südlich von Trujillo auf die Küste stoßen.



„Hoffentlich stimmt das, was du ausgerechnet hast“, sagte Jean Ribault zu Dan.



„Du kannst dich darauf verlassen.“



„Und du bist sicher, daß du dich in der Aufregung nicht vertan hast?“



„Wer war denn aufgeregt?“ fragte Dan zurück. „Ich doch nicht. Hör mal, mein Freund, es wird offenbar Zeit, daß du wieder ein eigenes Schiff führst, was? Du wirst allmählich unausstehlich.“



Ribault grinste schief. „Ich kann die Küste noch nicht sehen, das ist es. Im übrigen wäre ich längst an Bord der ‚San Lorenzo‘, wenn Hasard mich nicht gestoppt hätte.“



„Denk an deine Blessur“, sagte Hasard.



„Die kannst du vergessen.“



„Du trägst mir wohl immer noch nach, daß ich dich hier zurückgehalten habe, was?“ Hasard lachte auf. „Aber keine Sorge, das ändert sich bald.“



„Wann erreichen wir denn nun die Küste?“ fragte Pater David.



„Nach meinen Berechnungen gegen Abend“, erwiderte Dan.



„Soweit, so gut“, sagte der Seewolf. „Aber auch wenn wir die Dons dann endlich loswerden, bleibt immer noch das Problem der Galeone. Die haben wir am Hals, und was wir mit ihr anfangen sollen, weiß immer noch keiner.“



„Ich denke vorläufig nur daran, daß ihre Ladung bis unter die Luken ebenfalls aus Schätzen der ehemaligen Chimú-Stadt Chan-Chan besteht“, sagte Karl von Hutten. „Und daß wir erfreulicherweise zwanzig Kisten von dem Zeug an Bord unserer ‚Estrella‘ haben.“



„Nicht zu vergessen den Proviant und den guten Wein“, fügte Shane hinzu. „Wir sind reich und haben genug zu futtern und zu trinken. Was wollen wir eigentlich noch?“



„Nicht viel“, erwiderte der Seewolf. „Und versteht mich bitte nicht falsch. Es ist nicht so, daß ich darüber traurig bin, aber wenn uns weiterhin solche Schätze wie die reifen Pflaumen in den Schoß fallen, werden wir uns entscheiden müssen, auf welchem Weg wir zur Schlangen-Insel zurückkehren wollen.“



„Na ja“, sagte Dan. „Es bliebe die Möglichkeit, die Kistchen über den Isthmus von Panama zu schaffen. Unsere neuen Freunde, die Cunas unter dem Häuptling Chaqui, würden uns bei dem Transport bestimmt helfen.“



„Trotzdem ist die Sache fragwürdig“, sagte Hasard. „Du vergißt, daß wir auf der Karibikseite kein Schiff zur Verfügung haben.“



„Und mit diesem Problem gehst du schwanger?“ fragte Pater David.



„Wie bitte?“



„Ach, das war nur so eine Redewendung.“



Hasard grinste. „Aber es stimmt. Die Angelegenheit läßt mir keine Ruhe. Mir schwant nämlich bereits etwas, das ich euch schon angekündigt habe.“



„Daß wir den Weg nach Süden wählen müssen?“ fragte Ribault. „Ja, auch mir erscheint das inzwischen ziemlich logisch.“



„Uns bleibt wahrscheinlich gar nichts anderes übrig, als mit beiden Schiffen den Weg um Kap Hoorn zu nehmen“, sagte der Seewolf. „Das hängt jedoch von der Qualität der Schiffe ab. Sie müssen absolut seetüchtig und intakt sein.“



„Ich glaube, daß wir in der Beziehung mit der ‚San Lorenzo‘ keinen schlechten Griff getan haben“, sagte Shane. „Und daß die ‚Esperanza‘ ein solides Schiff ist, wissen wir ja.“



„Stimmt“, sagte Dan. „Die ‚San Lorenzo‘ ist gesund im Holz, und an dem Rigg ist auch nichts auszusetzen. Sie hat nur einen einzigen Fehler. Sie ist unterarmiert.“



„Sie hat je drei Culverinen auf beiden Seiten der Kuhl“, setzte Hasard Pater David auseinander, der ihn fragend anblickte. „Aber um dem abzuhelfen, habe ich bereits Ferris, Al und Mulligan übersetzen lassen.“



Die Männer spähten im verblassenden Licht des Tages achteraus zur „San Lorenzo“ und verfolgten, wie der rothaarige Riese, Mulligan und Al konzentriert arbeiteten. Sie waren gerade dabei, Halterungen für Drehbassen von vorn nach achtern am Schanzkleid anzubringen, drehbare Gabellafetten also, in denen die Hinterlader anschließend montiert wurden.



„Auch das ist bald kein Problem mehr“, sagte Jean Ribault. „Es war eben doch richtig, daß wir die ‚Esperanza‘ ausgeschlachtet haben.“



„Na klar. Man soll nichts liegenlassen.“ Hasard lächelte.



„Nur ist es schade, daß wir die ‚Esperanza‘ aufgeben mußten“, sagte Pater David.



Karl von Hutten schüttelte den Kopf. „Nein, die ‚Estrella‘ als Kriegskaravelle ist besser für uns. Und die ‚San Lorenzo‘ als Zweitschiff taugt auch mehr als die ‚Esperanza‘.“



„Ja, da hast du sicherlich recht“, sagte der Gottesmann. „Ich verstehe von Schiffen ja auch nicht sehr viel. Immerhin war es eine gute Idee, daß die zwölf Culverinen, die Drehbassen und die Halterungen von der ‚Esperanza‘ auf die ‚Estrella‘ übernommen wurden.“



„Die können wir jetzt gut gebrauchen“, sagte der Seewolf.



Er hatte sie in dem Frachtraum der Karavelle verstauen lassen, und jetzt wurden sie wieder zum Vorschein geholt, gute, rostfreie Waffen, die auf jedem Schiff eine beachtliche Batterie bildeten.



Mit der „Esperanza“ waren Hasard, Ribault und die beiden Crews unweit von Guayaquil entfernt auf einer Insel gestrandet – die Folge eines schweren Sturmes, den sie vor Topp und Takel lenzend abgeritten hatten. Es hätte sich nicht gelohnt, das völlig ramponierte Schiff wieder instand zu setzen, viel zuviel Zeit hätten sie darauf verwenden müssen.



So hatten sie beschlossen, sich aus Guayaquil ein Schiff von den Spaniern zu „holen“, wobei sie allerdings gleich gewußt hatten, daß sie es nicht auf ähnlich problemlose Weise wie in Panama bekommen konnten. Dort war es ihr „guter alter Freund“ Don Alfonso de Roja gewesen, der fettleibige Hafenkapitän, von dem sie die Karavelle sozusagen erpreßt hatten. Schließlich hatten sie durch einen puren Zufall seinen geheimen Schatzkeller entdeckt, und der ehrenwerte Señor legte größten Wert darauf, daß niemand etwas davon erfuhr.



Ja, Erpressung war das gewesen, aber es traf genau den richtigen Mann. Hasard und seine Männer bereiteten sich deswegen nicht die geringsten Skrupel. Die „Estrella de Málaga“ hingegen hatten sie vor Guayaquil kühn geentert, als die Spanier zu einer Vergeltungsaktion gegen die aufsässigen Chimús ausgelaufen waren.



Capitán Porfiro hatte mit seiner Mannschaft das Schiff räumen müssen, mit anderen Worten: Ihm war nichts anderes übriggeblieben, als über das Schanzkleid in die See zu springen.



Dann Trujillo: Don Miguel de Xeres hatte nichtsahnend die vorbeisegelnde „Estrella de Málaga“ angepreit. Sie hatte beidrehen müssen, und dann hatte Don Miguel Hasard – der sich als „Don Esteban de Castellano“ ausgab – kurzerhand zu sich an Bord seines Flaggschiffes „Santa Marta“ kommandiert.



Dort hatte Hasard seine Befehle entgegengenommen. Er mußte als Geleitschutz in dem Konvoi von zwei Dutzend Schiffen mitsegeln, die eine wertvolle Fracht nach Panama beförderten: einen Schatz, der für Philipp II. bestimmt war: die alten Kostbarkeiten der Chimús – Gold und Silber und Diamanten, deren Wert unermeßlich war.



Don Miguel hatte eine Schlange an seinem Busen genährt, ohne es zu ahnen. Er war sogar von diesem „Don Esteban“, bei dem es sehr diszipliniert zuging, zutiefst beeindruckt. Inzwischen aber hatte er eingesehen, daß auch ein Generalkapitän mal einen Fehler beging. Er hatte sich gründlich verschätzt. Der „schwarzhaarige Bastard“ hatte ihn hinters Licht geführt – mit Bravour.



Hasard spähte durch das Spektiv noch einmal zur „San Lorenzo“, dann sagte er: „In Ordnung. Wenn alle Drehbassenlafetten montiert sind, wird Al entscheiden müssen, wo auf der Galeone noch Culverinen eingebaut werden können.“



„Haben wir die Lafetten für die Culverinen auch an Bord?“ fragte Pater David.



„Natürlich“, erwiderte Hasard. „Sonst wären die 17-Pfünder ja völlig wertlos für uns.“



„Ja“, sagte Ribault. „Eins ist sicher: Wenn wir die Dons erst los sind, gibt es noch jede Menge Arbeit für uns.“



„Wir werden uns zu dem Zweck in eine versteckte Bucht zurückziehen“, sagte Hasard. „Dann teilen wir auch die Crew auf.“



„Ah, endlich“, sagte Ribault.



„Die Pfeilwunde in deinem rechten Oberschenkel beginnt ja nun wirklich abzuheilen“, sagte der Seewolf. „Der Kutscher hat es mir vorhin noch einmal bestätigt. Wir gehen also kei

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