Seewölfe - Piraten der Weltmeere 355

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 355
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Roy Palmer

Dem Tode entronnen

Impressum

©1976/2017 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-752-5

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

1.

Mit vollem Preß segelte die „Isabella IX.“ durch den Golf von Mexiko, ihr Bug teilte die türkisfarbenen Fluten wie ein scharfer Pflug. Hochstimmung herrschte an Bord, denn wieder einmal war es Hasard und seinen Männern gelungen, den Spaniern ein Schnippchen zu schlagen: Sie hatten das Gold aus der Mine von Vera Cruz in ihren Besitz gebracht, die Sklaven befreit und die letzten Verfolger abgehängt.

Kurs auf die Mündung des Mississippi lag an, das Wiedersehen mit den Indianern vom Stamm der Timucuas sowie mit Buddy Bolden und dessen großer „Familie“ stand bevor. Ehe Hasard zur Schlangeninsel zurückkehrte, wollte er sich um jeden Preis vergewissern, daß es seinen Schützlingen an Bord der Galeone „San Donato“ und des Hausbootes den Umständen entsprechend gutging.

Wie groß waren die Schäden, die der Hurrikan um das Versteck auf dem Lake Salvadore angerichtet hatte? Hatte die Geißel Sumpffieber auch weiterhin unter den Indianern gewütet, oder hatte Buddy Bolden die Heilerfolge erzielt, die er sich prahlerisch ausgemalt hatte? Diese Fragen stellte sich der Seewolf während der Überfahrt von Yucatán zur Mündung des großen Stromes. Insgeheim konnte er es kaum erwarten, Genaueres zu erfahren.

Weitere drei Passagiere hatten sich zu den fünfzehn Timucua-Indianern gesellt, die Hasard aus der Mine bei Vera Cruz befreit und an Bord der „Isabella“ genommen hatte: Engländer. In einem Handstreich war es ihnen gelungen, sich aus der Gewalt von Don Francisco de Albrandes an Bord der spanischen Galeone „Santa Rosa“ zu befreien – und der Seewolf hatte auch ihnen geholfen, indem er sie auf sein Schiff geholt hatte.

Die Dankbarkeit der drei kannte keine Grenzen. Ergriffen drückte der hagere alte Mann mit dem grauweißen Schnauzbart die Hand des Seewolfs, als sie ihm am Vormittag dieses 28. September 1593 in der Kapitänskammer der „Isabella“ gegenüberstanden.

„Ich weiß nicht, ob ich jemals wiedergutmachen kann, was Sie für uns getan haben, Sir“, sagte er.

Hasard erwiderte seinen festen Händedruck, dann bot er ihm und seinen beiden jungen Begleitern Platz an. Er servierte ihnen spanischen Rotwein in Kelchen, und sie prosteten einander zu. Unendliche Erleichterung spiegelte sich auch in den Zügen des jungen Mannes, und das Mädchen nahm seinen Blick nicht von Hasards Gesicht.

„Meinen Namen habe ich Ihnen genannt“, sagte der Seewolf. „Ich bin Philip Hasard Killigrew. Meine Männer und ich sind im Auftrag der Königin von England in diesen Gewässern unterwegs. Aber was führt Sie hierher? Und wollen Sie mir nicht endlich sagen, wie Sie heißen?“

„Gewiß“, erwiderte der alte Mann. „Ich bin Gregory Pearson, und dies sind mein Sohn und meine Tochter, Michael und Maureen.“

„Sir“, fragte Michael, „Sie sind ein Korsar? Sie haben einen Kaperbrief?“

„So ist es“, erwiderte Hasard. „Aber bitte verwechseln Sie uns nicht mit Piraten, Michael.“

Der junge Mann hob abwehrend die Hand. „Aber nein, auf gar keinen Fall! Ich habe schon viel von Ihnen gehört, Sir, und ich gehöre zu Ihren Bewunderern.“

„Dann hören Sie auf, mich ‚Sir‘ zu nennen. Sagen Sie einfach Hasard zu mir.“

„Mister Killigrew – Hasard“, sagte Maureen Pearson sichtlich beeindruckt. „Sie glauben ja gar nicht, wie froh wir sind, an Bord Ihres Schiffes sein zu dürfen. Wir haben – Schreckliches erlebt, aber jetzt ist dieser furchtbare Alptraum vorbei. Die Spanier haben uns für englische Spione gehalten.“

„Sie wollten uns aburteilen und hinrichten“, sagte Michael aufgebracht. „Sie haben uns kein Wort von dem, was wir ihnen immer wieder erklärt haben, abgenommen. Dabei haben wir nichts als die Wahrheit gesagt.“

„Einen Augenblick“, sagte Hasard. „Wäre es nicht besser, wenn Sie mit Ihrer Geschichte ganz von vorn beginnen würden?“

„Selbstverständlich“, sagte Gregory Pearson. „Und verzeihen Sie – Mike und Maureen sind ein wenig impulsiv.“

Schritte näherten sich durch den Mittelgang des Achterkastells, dann wurde an die Tür der Kammer geklopft. Hasard ließ die Besucher eintreten. Es waren Ben Brighton, Big Old Shane, Ferris Tucker, Smoky und die beiden O’Flynns.

„Die frische Brise aus Süden hält an“, meldete Ben. „Wenn wir weiterhin Glück mit dem Wind haben, haben wir das Mississippi-Delta noch heute abend erreicht.“

„Gut“, sagte Hasard. „Setzt euch und hört euch an, was die Pearsons uns zu berichten haben. Mister Pearson, ich erzähle Ihnen dann anschließend, was wir vorhaben.“

„Vielen Dank.“ Pearson fuhr sich mit der Hand über die Stirn. Für einen Moment schien er dem Rauschen des Seewassers an den Bordwänden und dem Knarren der Rahen und Blöcke zu lauschen, dann sprach er weiter. „Also, fangen wir an. Ich bin von Beruf Arzt und stamme aus Bristol.“

„Da schau einer an!“ entfuhr es Big Old Shane. „Wir sollten Sie also besser Doc Pearson nennen.“

„Gregory, Gentlemen“, sagte der alte Mann und lächelte, während er von einem zum anderen blickte.

„Kennen Sie vielleicht auch Doc Freemont aus Plymouth?“ fragte Dan interessiert.

„Selbstverständlich“, erwiderte Doc Pearson. Verwundert hob er die Augenbrauen. „Ich bin ihm einmal begegnet, als ich in Plymouth zu tun hatte. Es liegt schon einige Jahre zurück, aber ich erinnere mich daran, weil wir damals eine sehr interessante Unterhaltung über verschiedene Themen der Medizin hatten. Aber warum fragen Sie mich das?“

„Doc Freemont ist einer unserer besten Freunde in England“, erklärte Dan. „Und was Sie da sagen, wird unseren Kutscher ganz besonders interessieren.“

„Er war früher nämlich der Kutscher von Doc Freemont“, sagte Old O’Flynn mit feierlicher Miene. „Aber das gehört eigentlich gar nicht hierher. Was tut ein englischer Doc in der Karibik? Waren Sie Bordarzt auf irgendeinem englischen Segler? Haben Sie Schiffbruch erlitten?“

„Das auch“, erwiderte Doc Pearson, und seine Miene nahm einen Zug der Verbitterung an. „Aber ich kann ein gewisses Mitverschulden an dem, was uns zugestoßen ist, nicht abstreiten. Ich hätte das Schicksal nicht herausfordern dürfen. Leichtfertig habe ich nicht nur mein eigenes, sondern auch das Leben meiner Kinder aufs Spiel gesetzt.“

„Dad, das darfst du nicht sagen“, sagte Maureen.

Sofort richteten sich die Blicke aller Anwesenden auf sie. Dan und Ferris zupften an ihren Hemden herum und schienen zu kontrollieren, ob sie auch wirklich sauber waren. Es war offensichtlich, daß sie bei diesem Mädchen Eindruck erwecken wollten.

Kein Wunder, Maureen war ganze zwanzig Jahre alt und zudem noch sehr hübsch. Dunkelblonde Haare umrahmten ihr schmales Gesichtsoval mit den sanft geschwungenen Wangenknochen, ihre blauen Augen waren klar und ausdrucksstark und kündeten von Intelligenz. Ein sinnlicher, empfindsamer Zug spielte um ihren Mund, ihr engelhaftes Aussehen und ihre ausgeprägte Weiblichkeit verfehlten ihre Wirkung auf die Männer nicht – auch Hasard vermochte sich dem nicht zu entziehen.

„Auf welche Art von Abenteuer haben Sie sich denn eingelassen?“ fragte er.

„Das Studium fremder, geheimnisvoller Krankheiten hat mich schon immer interessiert“, entgegnete Doc Pearson. „In Bristol habe ich viele Seefahrer behandelt, die am Sumpffieber, an der Ruhr und der Cholera litten, und ich war geradezu versessen darauf, mehr über die Ursache dieser Leiden in Erfahrung zu bringen. Ich habe spät geheiratet. Meine Frau starb an einer tückischen Krankheit, als Michael und Maureen noch kleine Kinder waren. In den darauffolgenden Jahren reifte in mir der Entschluß heran, in die Neue Welt zu reisen und meine Forschungen zu betreiben. Ich hatte keine Verwandten, deren Obhut ich meine Kinder überlassen konnte, deshalb wartete ich, bis sie groß genug waren. Eines Tages schifften wir uns an Bord einer dreimastigen Galeone ein, die von Bristol aus mit dem Ziel Karibik in See ging.“

Er legte eine kurze Pause ein und strich sich mit der Hand über das zerfurchte Gesicht. „Viel zu spät stellten wir fest, daß es sich um einen richtigen Seelenverkäufer handelte. Galgenstricke, Glücksritter und Abenteurer befanden sich an Bord. Während der Überquerung des Atlantiks gab es einen Versuch der Meuterei, und der Kapitän ließ fünf Männer kurzerhand hängen. Zwei andere starben in einem Handgemenge, das in dem überfüllten Unterdeck ausbrach, weitere drei erlagen dem Skorbut und dem Gelbfieber. Ich war machtlos.“

„Maureen war ständig irgendwelchen Belästigungen ausgesetzt“, fügte Michael Pearson hinzu. „Ein ganz übler Kerl wollte sie eines Nachts überrumpeln und sich an ihr vergehen. Ich griff ein und schlug ihn nieder, aber seine Kumpane wollten mich töten. Zum Glück erschien der Kapitän und hinderte sie daran.“

 

„Wir erreichten die Karibik mehr tot als lebendig“, sagte Doc Pearson. „Dann gerieten wir in einen Sturm, und das Schiff sank mit Mann und Maus. Wir gehörten zu den wenigen Überlebenden und klammerten uns an Schiffstrümmern fest, die in der See trieben. Dann folgte die Bedrohung durch die Haie. Wir glaubten, wir seien verloren.“

„Ja, wir können froh sein, daß wir überhaupt noch am Leben sind“, sagte seine Tochter. „Es war wie ein Wunder: Wir sahen die Dreiecksflossen der Haie, sie hatten uns schon eingekreist. Doch dann tauchten kleine Segelboote auf – Eingeborene. Sie retteten uns buchstäblich im letzten Augenblick.“

„Sie fischten uns auf und brachten uns nach Kuba“, fuhr ihr Vater fort. „Erst jetzt begriffen wir, daß wir nur wenige Meilen von der Küste der Insel entfernt Schiffbruch erlitten hatten.“

Hasard stellte rasch eine Zwischenfrage: „Wann war das?“

„Vor knapp einem Jahr“, erwiderte Doc Pearson. „Die Eingeborenen nahmen uns in ihrem Dorf auf, ihre Gastfreundschaft kannte keine Grenzen. Es handelte sich um einen winzigen Stamm, der vorher – so unglaublich es klingt – noch keine Berührung mit Weißen gehabt hatte.“

Ben Brighton nickte und sagte: „Doch, so was gibt es. Folglich waren diese Indios auch noch nicht voreingenommen.“

„Kritisch wurde es erst, als die beiden Kerle, die sich mit uns hatten retten können, frech und aufsässig wurden“, erklärte der Arzt. „Sie versuchten, ein Eingeborenenmädchen aus dem Dorf zu verschleppen, wurden aber gestellt. Es gab ein Handgemenge, bei dem der eine von unseren Begleitern getötet wurde. Dem anderen gelang die Flucht in den Dschungel, aber später fanden die Indios auch ihn – ebenfalls tot.“

„War er von einer Schlange gebissen worden?“ fragte Hasard. Doc Pearson bestätigte es, und Hasard sagte: „Wir haben auch einige Urwald-Erfahrung. Änderte sich das Verhältnis zwischen den Eingeborenen und Ihnen nach diesem Zwischenfall?“

„Einige jüngere Männer verlangten, wir sollten das Dorf unverzüglich verlassen“, erwiderte Doc Pearson. „Aber der Häuptling setzte sich durch. Er hatte Freundschaft mit uns geschlossen und begriff, daß wir mit den Machenschaften der beiden Galgenstricke nichts zu tun gehabt hatten. Wir durften also bleiben und wurden auch weiterhin mehr als zuvorkommend behandelt. Es gelang mir, den Sohn des Häuptlings von einer gefährlichen Krankheit zu heilen, und fortan war die Verbundenheit dieser einfachen Menschen größer als zuvor. Aber ich will mich kürzer fassen, die vielen Details langweilen Sie sicherlich nur.“

Die Seewölfe horchten jedoch auf. „Um welche Art von Krankheit handelte es sich denn?“ fragte Ferris Tucker. „Etwa um das Sumpffieber?“

„Nein“, erwiderte Doc Pearson. „Es war – um es simpel auszudrücken – eine schlimme Entzündung. Nichts Ansteckendes, aber die Ursache war den Indios nicht bekannt. Ich hatte mich inzwischen aber eingehend mit dem Studium der Dschungelpflanzen befaßt und vermochte einen Kräuterextrakt zuzubereiten, der das hohe Fieber des armen Teufels innerhalb einer Woche linderte. Dann trat die endgültige Genesung ein.“

Hasard erhob sich. „Gregory – Sie haben vorhin zu mir gesagt, Sie wüßten nicht, wie Sie sich für unsere Hilfe revanchieren könnten. Ich erwarte keinerlei Gegenleistung von Ihnen, das entspricht nicht meinen Prinzipien. Aber es gibt Menschen, denen Sie vielleicht helfen können – einen ganzen Stamm von Indianern.“

„Die Indianer, die sich an Bord befinden?“ fragte Doc Pearson.

„Nein, aber es sind ebenfalls Timucua-Indianer. Sie warten auf einer Galeone in einem Versteck am Mississippi-Delta auf uns. Ihretwegen sind wir dorthin unterwegs.“

Pearson blickte zu Ferris Tucker. „Sie haben eben das Sumpffieber erwähnt. Sind die Timucuas etwa daran erkrankt?“

„Ja“, sagte der rothaarige Riese.

„Bis heute kennt die Wissenschaft kein wirksames Mittel gegen das Sumpf- oder Wechselfieber“, sagte der Arzt. „Aber ich könnte ein Experiment vornehmen, falls die Indianer einverstanden sind. Durch Zufall bin ich auf Kuba in den Besitz einer seltenen, kaum bekannten Rinde gelangt, aus der man einen Sud bereiten kann, der möglicherweise die Rettung bringt. Ich habe jedoch noch keine Gelegenheit gefunden, etwas Derartiges auszuprobieren.“

„Wo befindet sich diese Rinde?“ fragte der Seewolf mit wachsender Spannung.

„Ich trage sie bei mir“, erwiderte Doc Pearson. „Hier, in meiner Jacke, eingenäht im Futter. Die Spanier haben uns durchsucht, aber auf mein Geheimversteck sind sie nicht gestoßen.“ Er begann, an seiner Jacke herumzunesteln. „Es ist die Chinarinde, sie wird auch Cinchona genannt.“

Zur selben Stunde segelte gut hundert Seemeilen östlich der Position, auf der sich die „Isabella IX.“ befand, ein weitaus kleineres Schiff ebenfalls auf nördlichem Kurs zur Mündung des Mississippi. Aber die Beweggründe, die die fast dreißigköpfige Besatzung zu ihrem Ziel trieben, waren ganz anderer Art als die des Seewolfes. Sie beruhten nicht auf Hilfsbereitschaft und Edelmut, sondern auf Haß, Rachsucht und der Gier nach viel Gold.

Mardengo stand neben Duvalier auf dem Achterdeck der lateinergetakelten Zweimastkaravelle. Sein Blick glitt immer wieder über die Decks und über das Rigg. Insgeheim fühlte er sich bereits als der Eigner und Kapitän, obwohl es Duvalier war, der mit seinen Kerlen das Schiff gekapert hatte.

Duvalier indessen fieberte dem Augenblick entgegen, in dem er Mardengo und Oka Mama die Schatztruhe entreißen würde, die diese von der Insel Pirates’ Cove mitgenommen hatten. Als Oka Mama einmal kurz den Deckel angehoben hatte, war es Duvalier gelungen, rasch einen Blick hineinzuwerfen.

Gold!

Die Truhe war bis zu ihrem Rand damit gefüllt. Keiner hatte diesen sorgsam versteckten Schatz auf der Insel gefunden, weder die Seewölfe noch die Spanier. Okachobee, Mardengos Mutter, die von allen nur Oka Mama genannt wurde, hütete diesen Schatz wie ihren Augapfel, doch Duvalier war sicher, daß sich eine günstige Gelegenheit ergeben würde, sich das Gold anzueignen.

Mardengo und Duvalier – zwei skrupellose und blutrünstige Schnapphähne – waren einander durch einen Zufall begegnet. Fast hätten sie sich gegenseitig wie Raubtiere zerrissen, doch dann hatte Duvalier den „schwarzhaarigen Bastard“ erwähnt, dem er seine ganze Misere zu verdanken hatte, und Mardengo hatte aufgehorcht.

Der Haß gegen den „Bastard“, Philip Hasard Killigrew, verbündete sie. Sie hatten Burgfrieden miteinander geschlossen und waren Partner in Sachen Rache und Vergeltung, Mord und Totschlag. Mardengo wußte, welche Unmenge an Schatzbeute die „Isabella“ geladen hatte. Duvalier hingegen war sicher, daß die Seewölfe zum Mississippi zurückkehren würden, wo sie eine Galeone und ein Hausboot voller „roter und schwarzer Hunde“ zurückgelassen hatten, um deren Wohlergehen sie sehr besorgt zu sein schienen.

Lange würde der Pakt, den die beiden Männer besiegelt hatten, nicht andauern, aber vorerst hielten sie miteinander Frieden. Das schloß nicht aus, daß sie sich gegenseitig belauerten, doch weder Mardengo noch Duvalier waren jetzt darauf aus, einen Streit vom Zaun zu brechen, der die Crew im Handumdrehen vermindern würde.

Sie brauchten jeden Mann, jede Waffe. Sie würden wie die Teufel kämpfen, um den Gegner zu vernichten, aber sie wußten, daß er in der Übermacht war. Klugheit und List mußten ihr Handeln bestimmen, wenn sie den Mississippi erreichten und dort wie geplant auf ihren gemeinsamen Feind stießen.

Mardengo fühlte sich an Bord der Karavelle wie zu Hause. Endlich hatte er wieder ein Schiff – ein Gefühl, das ihm neues Selbstvertrauen und Zuversicht verlieh. In übertriebener Jovialität hieb er Duvalier auf die Schulter und führte das große Wort.

„Ein feines Schiff!“ rief er. „Und eine gute Crew! Es wäre doch gelacht, wenn wir diese Hurensöhne nicht erwischen und einen nach dem anderen niedermetzeln würden! Für den englischen Hundesohn habe ich mir etwas Besonderes ausgedacht: Wir werden ihn mit Tampen prügeln, bis er vor uns herumkriecht. Er soll sein Leben langsam aushauchen, ein schnelles Ende wäre viel zu gnädig.“

„Noch haben wir ihn nicht“, sagte Duvalier zurückhaltend. „Er ist gerissen wie ein Dutzend Füchse, vielleicht spielt er uns wieder einen seiner üblen Streiche.“

„Irrtum“, sagte Mardengo. „Diesmal haben wir ihn in der Hand. Wenn wir seine Freunde, die roten Kanaillen und die schwarzen Bastarde, gefunden haben, nehmen wir sie gefangen und quetschen sie aus. Sie werden uns verraten, wo er steckt. Hast du etwa Zweifel daran?“

„Ja“, gab Duvalier offen zu.

„Aber du bist doch sicher, daß die spanische Galeone mit den Indianern an Bord und das Hausboot der Schwarzen das Mississippi-Delta nicht verlassen haben, oder?“

„Das allerdings. Ich bin ja später Killigrew allein begegnet, als er gegen die Spanier kämpfte.“

„Ja, ja, das hast du mir erzählt“, sagte Mardengo ungeduldig. „Und ich habe in Pensacola auch einiges über Killigrew erfahren. Alles reimt sich zusammen. Er spielt sich als Retter und Helfer der Sklaven und Unterdrückten auf. Er versucht, sie vor den Spaniern in Sicherheit zu bringen.“ Zornig lachte er auf. „Das rührt mich zu Tränen! Seine Schützlinge haben sich irgendwo in den Bayous am Lake Pontchartrain verkrochen, anders kann es nicht sein.“

„Ja“, sagte Duvalier. „Selbst wenn sie vorgehabt hätten auszulaufen, hat der Hurrikan sie bestimmt daran gehindert.“

„Und Killigrew kehrt zu ihnen zurück, um sich erneut treusorgend um sie zu kümmern“, sagte Mardengo höhnisch. „Vielleicht ist er schon bei ihnen. Hölle, gib deine Bedenken auf, Duvalier. Der Abstecher zum Mississippi lohnt sich für uns alle, das habe ich dir schon hundertmal gesagt. Zusammen sind wir eine Streitmacht, und wenn wir die Satansbande in der Nacht angreifen, haben wir alle Chancen, sie auch wirklich zu besiegen.“

„Ja, du hast recht. Ich sollte nicht zu skeptisch sein.“

„Denk doch daran, welchen Trumpf du in Händen hältst“, sagte Mardengo. „Du kennst dich in den Sümpfen am Mississippi aus, keiner kann dich dort in einen Hinterhalt locken. Das nutzen wir aus.“

„Ja“, sagte Duvalier. Aber er war immer noch nicht mit endgültiger Sicherheit davon überzeugt, daß er dieses Mal wirklich der Sieger sein würde. Seine Ortskenntnisse im Umland des großen Stromes und auf dem Lake Pontchartrain hatten ihm bei seiner ersten Begegnung mit den Seewölfen wahrlich nicht viel eingebracht.

Und bei dem zweiten Zusammentreffen nördlich von Corpus Christi? Nun, auch dort hatten er und seine Kerle heftige Prügel bezogen. Am Ende hatten sie noch froh sein können, daß Killigrew sie ausgesetzt und nicht getötet hatte.

Duvalier dachte jedoch nicht daran, dem Seewolf für diese Fairneß dankbar zu sein. Er wollte seine Rache – und voll grimmiger Entschlossenheit blickte er jetzt dem entgegen, was sie am Mississippi erwartete.

Noch vor dem Hereinbrechen der Dunkelheit sollte die Karavelle das Mündungsdelta erreichen. Duvalier berechnete die Distanz, die sie noch von ihrem Ziel trennte, anhand der Karten und mit Hilfe eines Jakobsstabs und Astrolabs. Siebzig Meilen!

Die Piraten setzten alles daran, diese Entfernung so schnell wie möglich zu überbrücken, sie segelten mit vollem Preß. Der frische Wind aus Süden, der mit anhaltender Stärke wehte und nicht die geringsten Anzeichen eines Schwächerwerdens zeigte, begünstigte ihr Vorhaben. Prall spannten sich die Lateinersegel an den langen Gaffelruten. Mit mehr als sechs Knoten Fahrt bewegte sich das Schiff nach Norden.

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