Seewölfe - Piraten der Weltmeere 218

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 218
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Impressum

© 1976/2016 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-554-5

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

1.

So freundlich wie an diesem Nachmittag hatte man die Männer der „Isabella VIII.“ schon lange nicht mehr begrüßt. Am felsigen Ufer der Insel, die knapp zweihundert Seemeilen nördlich des Wendekreises des Steinbocks mitten im Atlantik lag, stand ein Mann und winkte ihnen zu. Damit nicht genug – er schwenkte sogar ein großes Tuch über seinem Kopf und benahm sich etwa so, als freue er sich über die Rückkehr sehr guter alter Freunde.

Sämtliche Einzelheiten, die seine Person betrafen, waren durchs Spektiv zu erkennen, so zum Beispiel seine große und kompakte Statur, sein breites, angenehmes, lachendes Gesicht und sein langes Gewand aus buntem und offenbar sehr teurem Stoff.

Zu den Füßen des Fremden – auch dies vermochten Philip Hasard Killigrew und seine Kameraden beim Heransegeln deutlich zu sehen – standen eine geöffnete Kiste und ein Tonkrug. Außerdem lagen noch ein paar Ballen Tuch auf den Uferfelsen, als habe man sie dort eben gerade kunstvoll drapiert.

Old O’Flynn und Ben Brighton standen mit dem Seewolf auf dem Achterdeck der „Isabella“ und beobachteten den Fremden interessiert durch ihre Fernrohre. Sie blickten über das Backbordschanzkleid, denn noch segelte die Galeone nördlichen Kurs mit achterlichem Wind, aber die kleine Gruppe von Inseln, die Bill vor etwa einer Stunde vom Großmars aus entdeckt hatte, befand sich im Nordwesten, also Backbord voraus.

Old O’Flynn verzog griesgrämig das Gesicht und ließ das Spektiv sinken.

„Der Kerl gefällt mir gar nicht“, sagte er. „Um den schlagen wir am besten einen großen Bogen.“

Ben lachte. „Typisch Donegal! Etwas anderes als dieses vernichtende Urteil war von dir wohl nicht zu erwarten, was?“

„Natürlich nicht“, sagte Big Old Shane, der eben zu ihnen trat. „Aber wir kennen die Leier ja schon, Ben. Wir müssen es eben lernen, damit fertigzuwerden.“

Der Alte warf ihm einen schrägen Blick zu. „Dir fällt es schwer, mich zu ertragen, was, Shane, du blinder Aal? Ich bin mal wieder der Geisterseher und Schwarzmaler, der von vornherein alles im falschen Licht sieht, oder? Aber denk mal an die Insel Tristan da Cunhas zurück, die jetzt mehr als tausend Seemeilen hinter uns liegt. Da hätten wir uns auch eine Menge Ärger sparen können, wenn alles auf mich gehört hätte.“

Jetzt griff Hasard ein und sagte: „Dafür haben wir jetzt aber auch wieder genügend Trinkwasser an Bord, Donegal, was sonst nicht der Fall gewesen wäre.“

Der alte O’Flynn setzte ein schiefes Grinsen auf. „Es soll ja auch keine Kritik an deiner Entscheidung sein. Ich muß mich nur gegen diesen Armleuchter verteidigen, der wie alle anderen immer wieder meine gutgemeinten Warnungen in den Wind schlägt.“

Shane lachte. „Eins ist mal sicher – wenn statt des Kameraden mit dem komischen Gewand dort drüben am Ufer ein paar handfeste Ladys ständen, würde deine Begeisterung keine Grenzen mehr kennen.“

„Kann schon sein“, sagte der Alte. „Aber nach Frauen kannst du dir hier, in dieser gottverlassenen Ecke Welt, die Augen aus dem Kopf starren, du findest keine.“

Ben Brighton hatte inzwischen nicht aufgehört, das Tun des Fremden zu verfolgen.

„Hilfe scheint der Mann nicht nötig zu haben“, meinte er. „Er sieht nämlich rundum zufrieden aus. Was will er also von uns?“

„Ich frage mich, was er in seiner Kiste hat“, brummte Old O’Flynn. „Und was, zum Teufel, steckt in dem merkwürdigen Topf?“

„Das müßtest du doch eigentlich wissen“, sagte Shane. „Du bist der einzige von uns, der von sich behauptet, hellsehen zu können.“

Der Alte wollte aufbrausen, aber Hasard trat zwischen ihn und den graubärtigen Riesen, ehe ein richtiger Streit entflammen konnte.

„Wahrscheinlich handelt es sich um irgendwelche Waren, die er zum Kauf feilbieten will“, sagte er. „Mir erscheint es zwar auch ein wenig eigenartig, ausgerechnet hier einen Händler anzutreffen, aber ich werde das Gefühl nicht los, daß er sich ein gutes Geschäft von einer Begegnung mit uns verspricht.“

„Dem husten wir was“, murmelte Donegal Daniel O’Flynn senior zornig.

„Auf jeden Fall ist er ein Europäer“, stellte Ben fest. „Der Himmel mag wissen, was ihn hierher, auf die Martin-Vaz-Inseln, verschlagen hat.“

Auch der Seewolf spähte nun wieder durch sein Spektiv und versuchte, sich ein klares Bild von der Erscheinung des Fremden zu verschaffen.

„Sir!“ rief Bill plötzlich aus dem Großmars. „Ich sehe eine Gruppe Menschen, die sich zwischen den Felsen hinter dem Ufer bewegt! Vielleicht sind das Wilde!“

„Und vielleicht versucht man, uns eine Falle zu stellen“, meinte Old O’Flynn mit hartnäckigem Mißtrauen. „Danach riecht mir das Ganze nämlich.“

Bill konnte von seinem erhöhten Standort aus mehr sehen als die Männer auf dem Oberdeck der „Isabella“, und so erkannte er die Gestalten, die gewandt in den Felsen abstiegen, eher als sein Kapitän und seine Kameraden. Während er die schwankenden Schiffsbewegungen, die im Großmars doppelt und dreifach zu spüren waren, durch Beinarbeit auszugleichen trachtete, versuchte er, den Kieker so ruhig wie möglich zu halten.

Mit einemmal glaubte er, seinen Augen nicht mehr zu trauen.

„Ach, du meine Güte“, sagte er. Diese Bemerkung war eigentlich nicht für die Crew bestimmt, doch Bill sprach sie immerhin noch so laut aus, daß sie auf der Kuhl zu verstehen war.

Carberry stemmte prompt die Fäuste in die Seiten und blickte zu dem Moses hoch. „Hölle und Teufel, was ist los, Bill, du Satansbraten?“ brüllte er zum Großmars hinauf. „Du stehst ja da, als hätte dich aus heiterem Himmel ein Blitz getroffen! Ist dir der Wind in die Hosen gefahren, oder hast du auf der verdammten Insel Menschen mit drei Beinen und zwei Köpfen gesichtet? Antworte!“

„Das da – das sind ja Frauen“, stammelte Bill.

„Frauen“, wiederholte der Profos verächtlich. „Da hört sich doch alles auf. Der Kerl will uns verulken. Na warte, komm du bloß runter auf die Kuhl, Moses, dann kannst du was erleben.“

„Ho!“ schrie jetzt jedoch Blacky, der mit dem Kieker am Backbordschanzkleid des Hauptdecks stand. „Holla, Leute, das ist ja nicht zu fassen! Da versammelt sich wirklich eine Schar von Weibern rings um den bunten Heini! He, seht euch das an!“

Zweimal brauchte er das nicht zu sagen. Alles, was auf der „Isabella“ Beine hatte, stürzte jetzt ans Backbordschanzkleid und spähte mit erwartungsvollen Mienen zu der Insel hinüber. Selbst Arwenack eilte den Männern nach und erklomm die Hauptwanten, und auch Sir John, der karmesinrote Arancanga, flatterte seinem Herrn und Gebieter Edwin Carberry nach. Er ließ sich auf dessen linker Schulter nieder, als dieser zu Blacky und zu Matt Davies trat, die sich fast um Blackys Kieker gebalgt hätten, sandte einen trüben Blick zur Küste des Eilandes und brabbelte unverständliches, griesgrämiges Zeug vor sich hin.

Die Stimmung an Bord der Galeone, die eben noch gespannt und argwöhnisch gewesen war, schlug jetzt wie durch Zauberei um. Carberry bedauerte es, von einer „verdammten Insel“ gesprochen zu haben. Er hob selbst den Kopf und reckte den Hals, um einen günstigen Blick auf die Insel zu erhaschen. Die Crew stieß Hurra- und andere Jubelrufe aus, Bill lachte und rieb sich die Hände, und auch auf dem Achterdeck konnte man gar nicht ausgiebig genug zu dem Mann mit dem Gewand und seinem „Harem“ hinüberäugen.

Sogar Old O’Flynns Miene hellte sich merklich auf, und das glich schon fast einem Wunder.

„Donnerkeil“, sagte Ferris Tucker, der sich gerade bei Pete Ballie auf dem Quarterdeck befand. Er hatte auch ein Spektiv zur Hand genommen und stellte gerade die Optik durch langsames Drehen der kleinen Augenlinse scharf. „Hat denn der Mensch da noch Worte? Pete, du alter Schwerenöter, das sind keine Eingeborenen, sondern weiße Mädchen, ein ganzer Schwarm niedlicher Weiberhintern, so frisch und knakkig, wie du sie noch nicht gesehen hast.“

„Gib mal den Kieker her“, sagte Pete.

„Warte, jetzt muß ich erst mal genau die Lage peilen!“

Pete stieß einen verächtlichen Laut aus. „Hol’s der Henker – ich glaube sowieso kein Wort von dem, was du sagst.“

Ferris wandte verblüfft den Kopf und musterte den Rudergänger der „Isabella“, als hätte der etwas Verdammenswertes gesagt. Mit einer ruckartigen Bewegung reichte er ihm das Spektiv.

„Da, nimm und überzeuge dich selbst, daß es wahr ist, du Stint“, sagte er aufgebracht.

Pete grinste. „Danke. Mehr wollte ich ja nicht.“ Er hob das Rohr vors Auge – und dann stieß er einen Seufzer aus, der alles ausdrückte, wonach sein Herz verlangte.

 

Carberry hatte die Crew mit ein paar barschen Worten zur Ordnung gerufen, und natürlich war sofort Ruhe eingetreten. Doch Blacky wandte jetzt den Kopf und sprach auf den Profos ein, wie der Seewolf vom Achterdeck aus verfolgen konnte. Carberry drehte sich daraufhin um und marschierte auf den Backbordniedergang zu, der die Kuhl mit dem achteren Deck verband.

Ferris Tucker und Pete Ballie warfen ihm fragende Blicke zu, aber Carberry äußerte nichts – er enterte das Deck und steuerte geradewegs auf den Seewolf zu, der jetzt lächelnd das Achterdeck verließ.

„Ich weiß schon, was du willst, Ed“, sagte er. „Deshalb will ich es dir erleichtern, denn ich kann mir vorstellen, daß es dir nicht so recht über die Lippen geht.“

Der Narbenmann grinste flüchtig. „Ja, Sir, denn das Anliegen, das die Crew hat, ist so ein Ding mit einem Haken.“

„Die Männer wollen an Land“, sagte Hasard. „Und das kann ich gut verstehen. Wir gehen also vor der Insel vor Anker.“

„Man könnte uns dort in einen Hinterhalt locken“, gab der Profos zu bedenken.

„Wir werden eben die Augen offenhalten“, sagte der Seewolf. „Für alle Fälle machen wir Klarschiff zum Gefecht, schaden kann es nicht.“

„Danke, Sir“, sagte Carberry, dann kehrte er um und trat an die Schmuckbalustrade, die den Querabschluß zum Hauptdeck hin bildete. „Männer!“ rief er. „Hasard ist einverstanden! Wir laufen die Insel an!“

Jetzt war auch der letzte Bann gebrochen, der für kurze Zeit über der „Isabella“ geschwebt hatte – die Männer brachen in begeistertes Johlen und Pfeifen aus. Sie warfen ihre Mützen hoch und winkten ihrem Kapitän zu.

Hasard lächelte immer noch. Er wußte zwar, daß er ein Risiko einging, aber bedenklich wäre die Situation erst recht geworden, wenn er die Inseln gemieden hätte. In den letzten Tagen war es immer wieder zu kleinen Reibereien an Bord der „Isabella“ gekommen, nicht nur zwischen Old O’Flynn und Big Old Shane, die sich gern mal „kabbelten“, sondern auch zwischen anderen Männern. Die lange Reise um den afrikanischen Kontinent herum und quer durch den Atlantik war beschwerlich, aber auch eintönig gewesen, und das zeitigte jetzt seine Folgen.

Die Männer brauchten dringend Abwechslung, sonst wurden sie nervös und aggressiv. Hasard kannte diesen Zustand an Bord von früheren Überfahrten her, und er wußte auch, was die beste Medizin gegen Gereiztheit und Unmut war: Landgang bis zum Wecken.

Die „Isabella“ luvte an und ging auf Nordwestkurs. Nach Ablauf von knapp einem Glas, also weniger als einer halben Stunde, erreichte sie die Insel, an deren Ufer der Fremde mit dem bunten Gewand und die Schar von Mädchen sich inzwischen als Lotsen betätigten: Durch zahlreiche Gesten wiesen sie den Seewolf und seine Crew auf eine im Südosten der Insel liegende, schattige Felsenbucht hin. Sie liefen am Ufer entlang und näherten sich selbst dieser Bucht, während die Galeone noch höher an den Wind ging und sich zum Einlaufen anschickte.

Hasard und seine Männer hielten die Augen nach allen Seiten hin offen. Gary Andrews war in den Vormars aufgeentert, um Bill als Ausguck zu unterstützen. Dan O’Flynn, der Mann mit den allerschärfsten Augen an Bord, war ganz nach vorn auf die Galionsplattform geklettert und spähte von dort aus mit dem Kieker zum Ufer.

Auf den Gefechtsstationen kauerten die Männer hinter den schweren Culverinen, bereit, jedem möglichen Angreifer sofort einen Warnschuß vor den Bug zu setzen. Längst waren die Stückpforten geöffnet und die 17pfünder ausgerannt. Auch auf der Back und auf dem Achterdeck waren die Drehbassen geladen worden. Dort standen Al Conroy und Smoky, Ben Brighton und Shane klar bei Lunten.

Doch alle diese Vorsichtsmaßnahmen erschienen dem Seewolf überflüssig, als die „Isabella“ durch die breite Einfahrt in die Bucht glitt. Keine fremden Schiffe lagen hier, keine bewaffneten Besatzungen warteten darauf, über die „Isabella“ herzufallen. Auch an Land waren nirgends etwaige Gegner zu sehen. Selbst wenn sie sich versteckt und hervorragend getarnt hätten, hätten Bill, Gary und Dan den einen oder anderen doch entdecken müssen.

Nein, dies schien keine Falle zu sein. Von der Insel ging eine Aura des Friedens und der Freundlichkeit aus. Hier, in ruhigem Wasser und unter stahlblauem Himmel, schien es sich wahrhaftig zu lohnen, für einige Zeit zu verweilen.

Hoch waren die Felswände der Bucht nicht, und hier und dort gab es sanft geschwungene Aussparungen, die mit hellem Sand ausgefüllt waren.

Auf einem solchen Stückchen Strand liefen jetzt die Mädchen zusammen, und wenig später erschien auch der Buntgekleidete. Zwei Mädchen setzten die Kiste, die sie mitgeschleppt hatten, auf dem Sand ab, eine andere placierte dicht daneben den Krug mit solcher Sorgfalt, als befände sich ein höchst kostbares Gut darin. Wieder andere betteten die Tuchballen auf den Strand.

Dann erhoben sie sich und winkten wieder den Seewölfen zu.

„Ich werd verrückt“, stöhnte Ferris Tucker, der immer noch bei Pete Ballie auf dem Quarterdeck stand. „Das ist einfach zu schön, um wahr zu sein. Pete, sag mir, daß es nur ein idiotischer Traum ist.“

„Soll ich dir auch in den Arm kneifen?“ fragte Pete grinsend.

„Das kannst du dir für die Ladys aufsparen“, meinte der rothaarige Riese.

„Sicher, aber dann werde ich sie natürlich nicht am Arm, sondern ganz woanders zwicken.“

Sie lachten beide und merkten nicht, daß der Seewolf hinter sie trat. Erst als Ferris sich zufällig umdrehte, gewahrte er den großen schwarzhaarigen Mann mit den eisblauen Augen hinter sich. Ferris kratzte sich ein wenig verlegen am Kinn. Selbstverständlich war dem Seewolf nicht entgangen, was Pete und er gesprochen hatten.

„Mal herhören“, sagte Hasard. „Ich weiß ja, welcher Notstand bei euch Kerlen herrscht, aber das heißt noch lange nicht, daß wir wie die Wilden über die Mädchen herfallen. Erstens wissen wir noch nicht, wer sie sind, wir dürfen sie also nicht mit irgendwelchen billigen Hafenflittchen verwechseln, verstanden?“

„Aye, Sir“, antworteten die beiden.

„Zweitens gehört es sich für englische Freibeuter, daß sie sich gesittet und diszipliniert benehmen. Ich habe vor, euch allen Landurlaub zu geben, aber ich will keinen aus der Reihe tanzen sehen. Verstöße gegen meine Befehle werden wie üblich bestraft.“

Ferris war ernst geworden. „Das ist klar, und du kannst dich natürlich auf uns verlassen.“

„Gut, in Ordnung.“ Der Seewolf wandte sich von ihnen ab und stieg auf die Kuhl hinunter, um den gleichen Appell an die Crew zu richten.

Wenig später lag die „Isabella“ mit aufgegeiten Segeln vor Anker, und die Beiboote wurden an der Steuerbordseite abgefiert und bemannt.

Der Seewolf setzte mit einer starken Abordnung von Männern zum Ufer über. Dort klatschten die Mädchen begeistert in die Hände, und der Buntgekleidete winkte wieder mit seinem großen Tuch.

2.

Die beiden Jollen schoben sich durch die flache Brandung und wurden vom Ufersand gestoppt. Knirschend rammten sich ihre Bugpartien fest, und gleich darauf stiegen ihre Insassen aus: allen voran Hasard, dann Ben, Shane, Ferris, Smoky, Dan O’Flynn, Blacky, der Profos und der größte Teil der Crew.

Old O’Flynn war an Bord der „Isabella“ zurückgeblieben und hatte für die Zeit von Hasards Abwesenheit das Kommando an Bord übernommen. Bei ihm waren nur noch Will Thorne, Stenmark, der Kutscher und Batuti. Philip und Hasard junior, die Söhne des Seewolfs, hatten diesmal mit ihrem Bitten Erfolg gehabt. Ihr Vater hatte sie mitgenommen. Auch Bill, der Moses, war mit bei dem Trupp, der recht erwartungsvoll am Ufer landete.

Zuerst sah es so aus, als wollten sich die Mädchen mit offenen Armen den Männern entgegenwerfen, doch der Buntgekleidete rief ihnen etwas zu, und so blieben sie artig, wenn auch nach wie vor verheißungsvoll lächelnd, bei den Stoffballen, der Kiste und dem Krug stehen, während sich der Mann würdigen Schrittes den Besuchern näherte.

„Was war das für eine Sprache?“ fragte Philip junior seinen Vater.

„Italienisch.“

„Was, hier – so nah bei Südamerika, Dad?“ sagte der Junge überrascht. „Hier müßten die Leute doch eigentlich Portugisisch oder Spanisch sprechen.“

„Sei nicht so vorlaut“, wies sein Vater ihn zurecht. Dann löste er sich mit drei Schritten von der Gruppe seiner Männer und trat vor den Buntgekleideten hin.

Dieser blieb dicht vor ihm stehen und streckte ihm lächelnd die Hand entgegen.

„Gestatten Sie, Senor?“ sagte er – diesmal im besten Kastilisch. „Mein Name ist Augusto Sabatini, und ich heiße Sie im Namen aller Bewohner der Insel Martin Vaz willkommen – herzlich willkommen. Wir haben schon lange keinen Kontakt mehr zur Außenwelt gehabt und freuen uns darüber, endlich einmal wieder Gäste zu haben.“

Hasard ergriff die ihm dargebotene Hand und drückte sie fest.

„Ich heiße Philip Hasard Killigrew“, sagte er. „Danke für die freundliche Begrüßung. Darüber haben wir uns sehr gefreut.“

„Wie, Sie sind kein Spanier?“ stieß Sabatini verblüfft aus.

„Haben Sie mich dafür gehalten?“

„Ja, jedenfalls schien mir Ihre Galeone, die ich schon sehr früh von der höchsten Erhebung der Insel aus entdeckte, spanischer Bauart zu sein.“

„Weit gefehlt“, sagte Hasard lächelnd. „Wir sind Engländer – und Sie stammen aus dem schönen Land Italien, nicht wahr?“

„Aus Genua, um es genau zu sagen.“

„Leben Sie schon lange hier?“

„Seit Jahren“, sagte der Genuese lachend. „Aber all das können wir uns doch viel besser in unserem kleinen ‚Paese‘, in unserer Siedlung erzählen, finden Sie nicht auch, Senor Killigrew? Kommen Sie, ich führe Sie und Ihre Männer hin. Das Dorf liegt nur zwei Meilen von hier entfernt am nördlichen Ufer.“

Hasard zögerte.

Sabatini wies an seiner Schulter vorbei auf die „Isabella“. „Ich sehe, Sie haben Ihre Geschütze ausrennen lassen. Eine Vorsichtsmaßnahme, die bei Seefahrern durchaus üblich ist. Aber hier ist sie nicht angebracht, glauben Sie mir, Senor Killigrew.“

Der Seewolf nickte ihm lächelnd zu und sagte: „Gut. Aber wie ist die Ankermöglichkeit am nördlichen Ufer? Vielleicht sollten wir mit unserer ‚Isabella‘ dorthin verholen.“

„Hier in der Bucht liegt sie geschützter. Am Nordufer haben wir nur eine kleine Pier für unsere wenigen Boote, und es gibt kein Hafenbecken oder eine Reede, auf der Segler zu ankern vermögen.“

„Dann wäre es doch sinnvoller gewesen, die Siedlung hier zu errichten“, sagte Hasard.

Sabatini schüttelte den Kopf. „Nein, nein, ganz gewiß nicht. Sie werden gleich noch sehen, warum. Kommen Sie, und vertrauen Sie mir, Sie werden sich bei uns wohl fühlen.“

„Daran zweifle ich nicht. Und ich glaube Ihnen auch, daß Sie ein redlicher und unbescholtener Mann sind, Senor Sabatini“, sagte Hasard. „Aber wie steht es mit dem viel zitierten genuesischen Geschäftsgeist? Sagen Sie nur nicht, daß es Ihnen daran mangelt.“

Hasards Männer begannen zu lachen, und Sabatini schnitt eine vergnügte Grimasse.

„Richtig, richtig“, entgegnete er. „Ich bin ein geborener Händler, ein Kaufmann an Leib und Seele. Hier, sehen Sie, Senor Killigrew, diese wertvollen Stoffe habe ich herbringen lassen, um sie zum Verkauf anzubieten.“ Er wies mit einer großartigen Gebärde auf die Ballen, dann fuhr er fort: „Aber ich habe auch ein Geschenk für Sie und Ihre Kameraden, werter Gast. Von den Genuesen heißt es immer, sie wären geizig und würden jeden Heller dreimal umdrehen, bevor sie ihn ausgeben. Das ist eine schändliche Lüge.“ Er drehte sich zu den Mädchen um und sagte: „Portatemi il coccio – bringt mir den Tonkrug!“

Eine hübsche Blondine, die ein weißes Leinenkleid trug, und eine Dunkelhaarige, deren glutvolle Augen sich immer wieder auf den Seewolf richteten, trugen den Krug heran und setzten ihn zwischen Hasard und Augusto Sabatini im Sand ab. Auf einen Wink des Genuesen hin traten sie wieder ein paar Schritte zurück.

Hasard blickte in die Öffnung des Kruges, und auch seine Männer versuchten festzustellen, was das Gefäß denn nun eigentlich enthielt.

Sabatini bückte sich und griff mit der Hand in den Krug. Was er zum Vorschein brachte, war nicht dazu angetan, bei den Seewölfen Jubel auszulösen. Es waren schwarze, ovale Gebilde, die so ähnlich wie Kirschen aussahen und doch keine waren.

„Oliven“, sagte Hasard ohne Begeisterung.

Sabatini erhob sich und reichte ihm vier, fünf ölige Früchte auf der Handfläche.

 

„Es gibt grüne und schwarze Eßoliven“, erklärte er. „Aber die schwarzen sind meiner Meinung nach die besten. Olive in salamoia – Oliven in Salzlake, eine Spezialität meiner Heimat. Es ist mir gelungen, hier auf der Insel Martin Vaz Ölbäumchen anzupflanzen, die inzwischen größer geworden sind und einen recht guten Ertrag bringen. Sie kosten uns also keinen Centesimo – bitte, probieren Sie doch!“

Hasard wollte nicht unhöflich sein. Er nahm eine Olive aus Sabatinis Hand, steckte sie sich in den Mund und kaute darauf herum.

Der Genuese schritt an Hasard vorbei auf die anderen Männer zu und bot ausgerechnet dem Profos eine der schwarzen, fettig glänzenden Oliven an.

„Nun nehmen Sie schon, Senor“, sagte er aufmunternd. „Nur keine falsche Bescheidenheit.“

„Hölle“, brummte Carberry. „Warum hat er uns denn nicht einen Pakken Stoff oder die verdammte Kiste geschenkt?“ Vorsichtshalber sprach er englisch, damit der Buntgekleidete ihn nicht verstand.

„Du hast doch gehört, was Hasard über den sprichwörtlichen Geschäftsgeist der Leute von Genua gesagt hat“, flüsterte Ben Brighton ihm zu. „Und auch das mit dem Geiz stimmt natürlich, obwohl der Mann es abstreitet. Die Oliven kosten ihn nichts, deshalb schenkt er sie uns.“

Mit grimmiger Miene nahm Carberry eine Olive zwischen Zeigefinger und Daumen. Er blickte sie nachdenklich an, und fast hatte es den Anschein, als wolle er sie samt ihrem Kern zerquetschen. Doch auch er wollte die ungeschriebenen Gesetze der Höflichkeit nicht verletzten. Darum schob er sich die Olive zwischen die Zähne.

Sein großer Unterkiefer bewegte sich mahlend hin und her – und dann krachte es verdächtig zwischen den Profos-Zähnen. Jetzt war es mit den guten Manieren und dem Anstand bei Carberry doch vorbei. Er stieß einen saftigen Fluch aus und spuckte die Reste der Olive in den Sand.

„Beim Henker“, sagte er wütend. „Daran beißt man sich ja die Zähne aus.“

Die Mädchen kicherten und hielten sich die Hände vor die Münder. Auch Sabatini war sichtlich amüsiert.

„Oliven sind nicht jedermanns Sache“, sagte er.

„Das nicht!“ rief Dan O’Flynn. „Aber ich mag sie gern. Geben Sie mir eine, Senor, ja, gut, danke schön.“ Er verzehrte eine Olive und dann gleich noch eine und blickte dabei zu Carberry hinüber, um ihn zu ärgern.

„Elender Verräter“, sagte der Profos.

„Fein“, sagte der Genuese nun. Er gab der Blonden und der Schwarzhaarigen durch eine Gebärde zu verstehen, sie sollten den Krug mit den Oliven zu den Jollen tragen. „Wenn wenigstens einige Ihrer Männer Gefallen an dem Geschenk finden, so ist der Zweck erfüllt, Senor Killigrew.“

„Herzlichen Dank. Wir werden Ihre Großzügigkeit zu schätzen wissen.“ Hasard sprach diese Worte, ohne eine Miene zu verziehen.

„Oh, das ist doch nicht der Rede wert“, meinte Sabatini. „Nur eines noch – ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie Ihrem Koch oder Proviantmeister sagen würden, er solle den Inhalt des Kruges in ein anderes Gefäß entleeren und mir den Krug zurückerstatten, ehe Sie wieder davonsegeln.“

„Ich werde dafür sorgen, daß es geschieht“, versprach Hasard.

Carberry blickte Ben Brighton von der Seite an und raunte – wieder auf englisch: „Langsam geht der Kerl mir auf die Nerven. Weißt du, wohin er sich seinen verdammten Tontopf von mir aus stecken kann?“

„Ja“, erwiderte Ben und grinste.

Hasard sagte: „Also schön, wir gehen mit Ihnen in Ihr Dorf, Senor Sabatini. Nur verraten Sie mir eines: Wer sind diese netten jungen Mädchen?“

Der Genuese deutete auf die Blonde und die Schwarzhaarige, die den Tonkrug unter den Blicken der Männer der „Isabella“ in einer der Jollen verstaut hatten.

„Die Dunkle ist Sabrina, die andere heißt Stefania“, erklärte er voll Würde. „Beide sind meine Töchter.“ Er drehte sich um und wies auf das übrige halbe Dutzend Mädchen. „Diese dort sind die Töchter meiner italienischen und portugiesischen Freunde auf dieser Insel. Wir sind eine einzige große Familie von Kolonisten, Senor Killigrew, und wir Genuesen sind mit den Freunden aus Portugal, die wir seinerzeit hier schon angetroffen haben, eine echte – nun, Symbiose eingegangen. Wir verstehen uns hervorragend.“

„Was ist eine Symbiose?“ wollte der Profos von Ben Brighton wissen.

„In diesem Fall das friedliche Zusammenleben zweier verschiedener Nationalitäten“, erwiderte Ben.

„Zum Teufel damit“, zischte Ferris Tucker hinter ihnen. „Wie mir scheint, dürfen wir uns an die lieben, braven Mädchen nicht heranpirschen, denn die sind für solche Zwekke nicht bestimmt.“

Dan O’Flynn trat vor und sagte: „Ich habe auch noch eine Frage, Senor Sabatini. Was verbergen Sie in Ihrer Kiste? Ist das ein Geheimnis?“

„O nein, o nein“, versicherte der Genuese eilfertig. Er setzte eine bedeutsame Miene auf, beugte sich über die kleine Truhe, öffnete ihren Deckel und richtete sich wieder auf, damit alle den Blick auf den Inhalt frei hatten.

Die Kiste schien vor lauter Perlenketten, Diamantbroschen, Diademen und Ringen, mit denen sie bis obenhin angefüllt war, überzuquellen, und auf den ersten Blick schien dies ein Schatz von unermeßlichem Wert zu sein – aber nur auf den ersten Blick.

Hasard, Ben, Shane, Carberry und ein paar andere Männer näherten sich der Truhe, und der Seewolf sagte: „Man könnte wirklich meinen, das seien Gold, Silber und Diamanten.“

„Dabei ist es alles nur Katzengold“, sagte der Profos abfällig.

„Wertloser Plunder“, sagte Shane. „Der reinste Tand.“ Zum Glück sprach auch er englisch, so daß Sabatini ihn nicht verstehen und sich wegen seiner Bemerkungen beleidigt fühlen konnte.

„Meine Herren“, sagte der Genuese, und seine Stimme klang jetzt geradezu salbungsvoll. „Ich kaufe den Seeleuten, die bei uns einkehren, alle Waren ab, die sie entbehren können und wollen. Dann veräußere ich diese Güter an andere Männer weiter, die unsere Insel besuchen, ganz gleich, welcher Herkunft sie sind. Ich komme mit allen gleichermaßen gut aus, wie es sich für einen Kaufmann gehört. Fast alles kann ich wieder absetzen – nur für echten Schmuck hätte kein Mensch das nötige Kleingeld, glauben Sie mir. Die liebe Mutter oder die Braut zu Hause nimmt aber auch gern eine Kette oder einen Reif dieser Art an, wenn der lange erwartete Seefahrer endlich in seine Heimat zurückkehrt.“

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