Seewölfe - Piraten der Weltmeere 124

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 124
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Impressum

© 1976/2015 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-448-7

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

1.

Rasch und unregelmäßig, fast fliegend ging der Atem des jungen Kriegers. Immer wieder verhielt er und lauschte in den nächtlichen Dschungel. Mangrovenblätter umschlossen schwer und ledrig seine Gestalt, als wollten sie ihn niederringen und erwürgen.

Geräuschvolle Aktivitäten belebten den Regenwald von Rempang, aber es war nicht das Zirpen und Quaken, das Schlagen der Nachtvögel, das Rascheln und Knacken, das den Inselmalaien beunruhigte.

Der Tod nahte schleichend, lautlos.

Mannigfache Gefahren lauerten in dem erstickenden Wildwuchs der feuchten, schwartigen Pflanzen, aber nur die eine fürchteten die Orang Laut, die Seemenschen, wirklich. Sie ließ jegliche andere Bedrohung neben sich verblassen, jede Giftschlange, jeden angriffslustigen Affen, jeden Stich, jede Krankheit, von Insekten oder von bösen Geistern übertragen.

Bulbas, der Einzelgänger. Bulbas, der größte und am schönsten gezeichnete Tiger, den es auf Inselindien je gegeben hatte, war der unumschränkte Herrscher des Urwalds.

Legenden wurden über ihn erzählt, schaurige Geschichten, doch die Orang Laut hatten, als sie vor den Spaniern geflüchtet waren, nicht geahnt, daß der Amokläufer ausgerechnet auf dieser Insel anzutreffen war. Als sie ihm dann begegnet waren, tief im Dschungel, hatte der Tiger vier von ihnen gerissen. Einem fünften Mann war trotz seiner Verletzungen die Flucht zum Wasser gelungen, den anderen jedoch hatte Bulbas den Weg zurück zu den Prahos abgeschnitten – Männer, Frauen, Kindern.

Halb wahnsinnig vor Angst hatten sie Zuflucht in Höhlen und Erdlöchern der höhergelegenen Inselregion gesucht.

Der junge Krieger packte seine Waffen fester. In der linken Hand hielt er den Kris, den schlangenförmig gewundenen Krummdolch der Malaien. Die Finger der Rechten umspannten das Heft eines mit Akribie scharfgeschliffenen Parangs, eines Kurzschwerts, dessen Klinge sich nach vorn leicht verbreiterte.

Mit beiden Waffen konnte der Eingeborene ausgezeichnet umgehen, aber er wußte wie seine Stammesbrüder, daß Kris und Parang im Kampf gegen den Tiger ebenso lächerlicheVerteidigungsmittel waren wie Speer, Pfeil und Bogen oder Blasrohr. Bulbas war so schnell, so gewandt, daß es bisher niemandem gelungen war, ihm etwa einen giftigen Pfeil unter das Fell zu jagen.

Der junge Mann pirschte weiter.

Überall konnte Bulbas lauern. Vielleicht befand er sich bereits ganz dicht hinter seinem Widersacher. Oder duckte er sich hier, linker Hand, sprungbereit im Gebüsch? Und rechts? Konnte er nicht auch rechts sein und das dolchscharfe, nadelspitze Gebiß mordgierig entblößen, die krallenbewehrten Pranken heben?

Kurz zuvor glaubte der Krieger jenes unheimliche Grollen vernommen zu haben, das Bulbas’ Kommen ankündigte.

Schweiß bedeckte das Gesicht und den Körper des jungen Orang Laut, und er ertappte sich dabei, wie er zitterte.

Ja, er hatte Angst.

Sie wurde von der Gewißheit genährt, diesem mächtigen Gegner von vornherein unterlegen zu sein. Freiwillig hatte der Krieger sich gemeldet, aber in diesem Augenblick erschrak er vor dem eigenen Mut. Doch er bezwang seine aufsteigende Panik. Die Wassernomaden, sein Stamm, hatten ihn als Retter in der Not vorgeschickt, sie warteten darauf, daß er sich auf ein mörderisches Duell mit Bulbas einließ.

Als menschlicher Köder sollte der junge Mann die Aufmerksamkeit des Tigers auf sich lenken, während die Brüder und Schwestern des Stammes den Durchbruch zur See wagten. Dort unten, im Süden von Rempang, hatten sie am späten Nachmittag Schiffe gesichtet, große und kleine Prahos sowie einen stolzen Dreimaster in der Konstruktionsart der weißen Männer, die die Malaien wie den Tod haßten. Die Prahos schienen jedoch das Geschehen zu bestimmen, und so hatte der Häuptling der Orang Laut befunden, daß man von diesen Ankömmlingen Hilfe erhoffen könne.

So schnell wie möglich wollten sie ans Ufer stürzen und zu den Schiffen schwimmen.

Im Interesse der Gemeinschaft konnten sie sich dabei um den jungen Krieger nicht mehr kümmern. Er mußte fallen, wenn die anderen leben sollten.

Ein Opfer war nötig.

Der junge Mann hatte die Niederungen der Insel erreicht und strebte durch Sumpfgesträuch voran, als ihn ein Laut zusammenfahren und erneut verharren ließ. Dieser Ton gehörte nicht zu den Geräuschen der Fauna des Regenwaldes, er schälte sich kraß aus dem nächtlichen Konzert und schwebte durchdringend und beherrschend über der Szene. Nein, das war kein Orang-Utan, kein behaarter Waldmensch, der dort rief – das konnte nur ein richtiger Mensch sein.

Sein Ruf erklang in einer Sprache, die der junge Krieger niemals zuvor vernommen hatte, auch aus dem Mund der Spanier nicht.

„Arwenack!“

Dennoch glaubte der Eingeborene etwas zu begreifen, denn keine Verzweiflung, sondern eindeutiger Triumph schwang in dieser fremden Stimme.

Der Krieger besiegte sein Mißtrauen, die Zuversicht, in der feindlichen Umgebung einen Bundesgenossen und Mitstreiter zu finden, war größer als jeder Argwohn. Selbst wenn dieser Mann dort ein verhaßter Weißer war, würde die allgegenwärtige Gefahr des Tigers sie eine Art Burgfrieden schließen lassen.

„Ar-we-nack!“

Wieder gellte der Schrei, und der Malaie beschleunigte seinen Schritt. Mit der scharfen Schneide des Parangs drosch er widerspenstiges Blatt- und Zweigwerk nieder und schuf sich immer wieder einen Durchlaß, eine Bresche, die ihn näher an den nächtlichen Rufer heranführte. Dann endlich teilte er den letzten Vorhang, der sie beide trennte, und blickte auf einen schmalen Wasserlauf.

Mit verhaltenem Gurgeln bewegte sich das Wasser des Flüßchens dahin. Ein bleicher Mond schickte sein Licht in Streifen in die Selvas, gerade so viel, daß der Malaie Einzelheiten erkennen konnte.

Ein großer Mann stand hochaufgerichtet am diesseitigen Ufer des Flüßchens. Sein schwarzer Haarschopf war wild zerzaust, seine Kleidung zerrissen und blutig, sein Körper schmutzig und von einer erschreckenden Wunde an der rechten Schulter gezeichnet. Sein Zustand hinderte ihn aber nicht daran, immer wieder zu lachen und dieses Wort auszustoßen, das ein Schlacht- und Siegesruf zu sein schien:

„Arwenack, ho, Arwenack! Kommt, Freunde, auf was wartet ihr noch? Ich habe den Bruder in der Falle, er kann uns nicht mehr gefährlich werden!“

Der Malaie gewahrte, was zu den Füßen dieses schwarzhaarigen Teufels in Menschengestalt lag – und erstarrte.

Er bemerkte nicht, wie Philip Hasard Killigrews Blick ihn traf und abtastete.

Der junge Krieger war viel zu gebannt, er befand sich in einem beinah tranceartigen Zustand der Benommenheit. Dort – kaum zu glauben – lag Bulbas, der Mörder, der Menschenfresser, und es steckten nicht nur zwei Pfeile in seinem Fell, seine Hinterläufe wurden auch durch ein dickes Tau zusammengehalten. Die Tauschlinge saß stramm, das helle, gut sichtbare Band führte zu einem tiefhängenden Ast jenes Baumes hinauf, dessen Stamm vom anderen Ufer emporstrebte, und war dort verknotet.

Wäre Bulbas nicht betäubt gewesen – er wäre dennoch besiegt gewesen, denn die Fessel erlaubte ihm kein Fortkommen mehr. Er hätte nur noch höchst schimpflich auf den Vorderläufen herumhüpfen können, wäre dabei jedoch erheblich durch das Tau behindert und wahrscheinlich in das Wasser gezerrt worden, das er so sehr haßte und mied.

Die verkrampfte Haltung des Malaien lockerte sich ein wenig. Sein Blick wanderte höher und blieb auf dem freundlichen Gesicht des Seewolfs ruhen. Allmählich nahm ein Lächeln auf den Zügen des Kriegers Gestalt an.

Hasard bedeutete ihm durch Zeichen, er solle nähertreten.

„Die Gefahr ist gebannt“, sagte er dabei, obwohl er keine Hoffnung hatte, daß der Inselmalaie ihn verstand. „Bulbas wird keine Menschen mehr reißen. Ein anderer Tiger nimmt nun die Insel Rempang in seinen Besitz – ein zweibeiniger.“

Hasard grinste, weil er sich in etwa vorstellen konnte, welche Bedeutung Rempang von nun an für den „Tiger von Malakka“ hatte.

Arwenack – der Kampfruf der Seewölfe war bis zu dem wartenden Schiffsverband hin zu vernehmen gewesen. Ben Brighton hatte beim erstenmal noch eine besorgte Miene geschnitten, weil er angenommen hatte, daß Hasard sich mit dem Schrei in den Zweikampf mit Bulbas gestürzt hatte. Dann aber war der Ruf zum zweiten, dritten Male herübergedrungen, und alle Männer der „Isabella VIII.“ hatten ihn eindeutig als Triumph auszulegen gewußt.

Sie jubelten, fierten auf Bens Befehl hin die Boote ab und enterten auf den hölzernen Sprossen der Jakobsleitern ab.

„Nichts wie hin!“ brüllte Carberry. „Los, ich kenne die Richtung, wir müssen in die versteckte Mündung des kleinen Flusses eindringen, und von dort aus haben wir’s nicht mehr weit bis zu Hasard. Hey, ich hab’s ja gewußt, daß er es schafft, diesem gestreiften Kater das Fell über die Ohren zu ziehen!“

 

Ferris Tucker ließ sich neben ihm auf einer Bootsducht nieder. „Ed, hör auf“, entgegnete er. „Du warst genauso skeptisch wie wir alle. Du wolltest nicht, daß Hasard allein zum Verband des ‚Tigers von Malakka‘ fuhr, du warst auch dagegen, daß er diese Mutprobe auf sich nahm. Habe ich recht?“

„Meinetwegen. Aber das können wir jetzt vergessen.“ Der Profos wartete, bis die Bootsbesatzung komplett war, dann drückte er seine Fäuste gegen die Bordwand der Galeone und sorgte dafür, daß die Distanz groß genug wurde, um die Steuerbordriemen bedienen zu können. „Ferris“, brummte er. „Hast du ein paar Höllenflaschen mitgenommen?“

„Nein, diesmal nicht.“

„Verdammter Klamphauer, man weiß nie, wozu die Dinger gut sind …“

„Hasard hat es uns untersagt, irgendwelche Waffen mitzuführen, falls wir übersetzen.“

„Das muß ein weiterer Beweis für den ‚Tiger‘ sein, daß unsere Absichten friedlich sind“, mischte sich jetzt der junge O’Flynn ein.

Carberry antwortete mit einer wegwerfenden Geste. „Zum Teufel mit der ganzen Fairneß. Ich weiß nicht, was wir dem Himmelhund noch alles beweisen sollen. Meiner Meinung nach haben wir bereits viel zuviel getan, und er wird uns bei nächster Gelegenheit zum Dank eine volle Breitseite auf die Jacke husten. Dann sieht wohl auch der Seewolf ein, daß die Verbrüderungs- und Verbündungsversuche keinen Zweck haben.“

Ben Brighton hatte sich im Nachbarboot aufgerichtet, weil auf dem Achterdeck des größten, dreimastigen Prahos, den sie gerade passieren wollten, die Gestalt des „Tigers“ hinter dem Schanzkleid hochgewachsen war.

„Ihr landet auf der Insel?“ rief der schwarzbärtige Mann in seinem hervorragenden, reinen Kastilisch. „Das war nicht verabredet.“

„Hast du die Rufe unseres Kapitäns nicht gehört?“ rief Ben zurück.

„Doch. Arwenack.“

„Willst du mir erzählen, du wüßtest nicht, was das bedeutet?“

„Ich habe das Wort Arwenack heute nacht zum erstenmal in meinem Leben vernommen“, verkündete der Malaie halsstarrig.

Und Ben antwortete um eine Spur energischer: „Arwenack ist die alte Stammfeste der Killigrews über dem Hafen von Falmouth. Von daher leitet sich unser Schlacht- und Siegesruf ab. Arwenack!“

„Arwenack!“ brüllten die Männer in den Booten. Sie verspürten den unbändigen Drang, sich auf irgendeine Weise Luft zu verschaffen, und es juckte ihnen in den Fäusten.

„Zufrieden?“ rief Ben zu dem Achterdeck des Prahos hinauf.

„Ich halte es für falsch, zur Insel überzusetzen, ehe der Seewolf einen Schuß abgegeben hat.“

„Ein Schuß war nicht vereinbart, Tiger!“

„Das sagst du …“

„Mir langt es jetzt“, erwiderte Ben Brighton gereizt. Er war ein sonst ruhiger und umsichtiger Mann, aber wenn er richtig wütend wurde, hatte das meist höchst unerfreuliche Folgen. „Hasard hat den Radschloß-Drehling dabei, das stimmt!“ rief er. „Aber erstens weiß ich, daß er den Gebrauch der Feuerwaffe um jeden Preis vermeiden wollte, und zweitens wird er zum Zeichen seines Sieges nicht in die Luft schießen, um die angstschlotternden Leute im Inselinneren nicht noch mehr zu erschrecken. Klar, Tiger?“

„Immer noch nicht ganz.“

„Gut“, sagte Ben Brighton. „Aber uns hinderst du nicht daran, jetzt die Insel aufzusuchen. Wir haben keine Waffen dabei – wie vereinbart. Du wirst ja wohl nicht mit der Heldentat protzen wollen, einen wehrlosen Haufen Männer zusammengeschossen zu haben.“

Damit bedeutete er den Männern der „Isabella“ durch eine Gebärde, weiterzupullen. Die Boote beschleunigten unter dem rhythmischen Eintauchen und Wiederhochschwingen der Riemenblätter und ließen den Verband der Prahos hinter sich.

Auf dem Achterdeck des Dreimasters war Yaira, die Tochter des Stammesältesten Otonedju, neben den „Tiger von Malakka“ getreten. Zum erstenmal, seitdem sie sich kennengelernt hatten, wagte sie es, ihm ihre schmale Hand auf die Schulter zu legen.

„Immer noch mißtrauisch?“ fragte sie ihn.

„Ich spreche mein eigenes Todesurteil, wenn ich von meinen Instinkten ablasse“, erwiderte er, während er den Booten nachblickte.

„Man muß seine Freunde erkennen können, hat der Seewolf gesagt.“

„Das hört sich fast ehrfürchtig an“, sagte er bitter. „Gefällt dir dieser Mann?“

Sie lachte leise auf. Dann, rasch wieder ernst werdend, entgegnete sie: „Ich habe in seinen Augen gelesen, daß er es ehrlich meint. Warum glaubst du immer noch daran, daß er für die Spanier arbeitet und dir eine Falle stellen will?“

„Das hängt mit meiner Vergangenheit zusammen.“ Der schwarzhaarige Mann mit den ausdrucksvollen Augen und dem empfindsamen Mund drehte sich zu ihr um. „Ich halte es für möglich, daß er Bublas noch gar nicht begegnet ist, daß er nur seine Männer auf die Insel holen und uns einen heißen Empfang bereiten will, sobald auch wir übersetzen.“

„Niemals …“

„Der Seewolf hat ein mehrschüssiges, kompliziert gebautes Gewehr mitgenommen. Vielleicht genügen die Schüsse, uns allen den Garaus zu bereiten.“

„Das tut der Seewolf nicht, und du unterliegst einem furchtbaren Irrtum, wenn du es wirklich annimmst“, stieß sie entsetzt aus.

„Woher willst du das wissen, Yaira?“

„Ich fühle es.“

Plötzlich trat ein verwegener Ausdruck in die Züge des hochgewachsenen Mannes. „Das Schiff, auf dessen Planken du stehst, ist nie getauft worden, Yaira. Ich ging bei diesem Verhalten davon aus, mich an keinen Praho binden zu dürfen, nicht durch Sentimentalitäten, denn ein Praho kann im Gefecht sinken und mit seinem Rumpf und seinem Namen auch alle Wünsche und Hoffnungen auf den Grund der See entführen. Falls du heute nacht aber recht behältst, schöne Tochter Otonedjus, verleihe ich dem Segler deinen Namen.“

Er drehte sich zu seinen Männern hin, legte eine Hand als Schalltrichter an den Mund und rief: „Boote abfieren, wir folgen den Seewölfen!“

Ungefähr fünf Minuten später lief ihnen am Ufer des zwischen Mangroven versteckten Flüßchens als erster der junge Krieger entgegen, der den Bezwinger des mordenden Tigers entdeckt und in seiner Muttersprache beglückwünscht hatte.

Als der Anführer der malaiischen Freibeuter die hastig ausgestoßenen Erklärungen des Orang Laut vernahm, beschlich ihn eine Art schlechtes Gewissen und Schuldgefühl. Wirklich, er hatte dem Seewolf unrecht getan, seit sie sich das erste Mal gegenübergestanden hatten. Plötzlich begann er, die Dinge aus Yairas Sicht zu sehen. Hatte er den Bogen nicht längst überspannt?

Fassungslos hörte er den Bericht des jungen Eingeborenen. Die Boote der Seewölfe und der Piraten glitten ans Ufer des Gewässers, die Männer sprangen an Land.

„Rasch!“ rief der Tiger nun auf spanisch. „Der Seewolf ist an der Schulter verwundet. Er muß dringend verarztet werden!“

Der Kutscher, auf der „Isabella“ Koch, Feldscher und Bader in einer Person, schob sich an Ben Brighton, Ferris Tucker und dem Profos vorbei.

„Laßt mich durch“, stieß er heiser hervor. Er stürmte in den düsteren Regenwald, und nicht einmal ein Drache oder Saurier hätte ihn davon abhalten können, sich auf dem schnellsten Weg zu seinem Kapitän durchzuschlagen. Der Orang Laut hatte Mühe, ihn einzuholen, um ihm den Weg weisen zu können.

Die Schmerzen in der rechten Schulter hatten zugenommen und drohten den Seewolf zu übermannen. Erst jetzt wurde ihm richtig bewußt, wie stark er blutete. Mit verbissenem Gesicht kauerte er sich neben den reglosen Körper des gestreiften Mörders.

In dieser Haltung fanden ihn der Kutscher, der junge Krieger, Ben, Ferris, Carberry und Dan O’Flynn vor, die als erste den Kampfplatz erreichten.

„Keine langen Sprüche“, sagte Hasard zur Begrüßung. Sein Lächeln wirkte verkrampft. „Hast du Whisky mitgebracht, Kutscher? Her mit dem Zeug.“

Es war das Glück des Kutschers, daß er in weiser Vorsorge eine Flasche aus seinen Geheimbeständen mit eingepackt hatte, bevor er die „Isabella“ verlassen hatte. Jetzt kniete er sich neben den Seewolf, zog den edlen, original schottischen Stoff aus seinem Gepäck und entkorkte die Flasche.

Hasard nahm einen Schluck, dann goß er sich eine gehörige Ration auf die Wunde, die die Krallen des Tigers gerissen hatten. Hasard biß die Zähne zusammen und ertrug das Brennen und Beißen, das bis in seinen Kopf hinaufschoß und sich dröhnend ausbreitete. Er wurde fast ohnmächtig, kämpfte das Brausen und Würgen in sich aber nieder und schaute schließlich auf. „Desinfiziert habe ich die Blessur“, sagte er zum Kutscher. „Du kannst jetzt mit dem Verbinden anfangen.“

Der Seewolf schaute zu dem Tiger, der nun ebenfalls am Schauplatz des Geschehens angelangt war. „Der junge Krieger soll seinen Stamm zusammentrommeln“, sagte er auf spanisch. „Es gibt keinen Grund für die armen Teufel, noch länger in ihren Löchern zu hocken.“

Der Tiger nickte und lächelte ein wenig verunglückt. Er verdeutlichte dem Krieger in der etwas gutturalen Sprache der Malaien, was der Seewolf gesagt hatte. Der Eingeborene, der sich Bulbas hatte opfern wollen, um seine Stammesangehörigen zu retten, sprudelte ein paar Worte hervor, warf sich herum und lief los. Die Nacht schluckte seine Gestalt.

Der malaiische Piratenführer trat neben den regungslosen Leib des Tigers.

„Er ist nur betäubt“, erklärte Hasard. Der Kutscher untersuchte seine Blessur eingehend und hantierte mit Verbandszeug. Aber das hinderte Hasard nicht am Sprechen. „Wie du weißt, haben meine Leute ein Präparat zusammengebraut, mit dem ich die Pfeilspitzen eingerieben habe.“

„Wann wacht Bulbas wieder auf?“

„Noch vor Tagesanbruch.“

„Wir werden einen großen Käfig bauen, in dem er genügend Auslauf hat“, sagte der Tiger von Malakka. Er lenkte seine Schritte auf den Seewolf zu. „Was ich empfinde, will ich in wenige Worte kleiden. Es tut mir aufrichtig leid, daß ich nicht eher erkannt habe, welcher Kern in dir steckt. Ich entschuldige mich bei dir und bedanke mich gleichzeitig für das, was du für das malaiische Volk getan hast.“

Er griff zum Gurt, zog die doppelläufige Radschloßpistole heraus, drehte sie um und reichte sie mit dem Kolben voran dem Seewolf. „Erinnerst du dich an das, was ich dir an Bord der ‚Yaira‘ gesagt habe?“

„An Bord der ‚Yaira‘?“ Hasard hob überrascht die Augenbrauen.

Der Tiger grinste breit. „Ja, so heißt mein Praho jetzt.“

„Ich verlangte meine Pistole zurück, und du sagtest, du würdest sie mir erst aushändigen, wenn du völlig von meiner Ehrlichkeit überzeugt wärest“, entgegnete Hasard. Er streckte die Hand aus und nahm die Reiterpistole, die er seinerzeit einem bretonischen Freibeuter abgenommen hatte, entgegen.

Er erhob sich trotz des Protestes des Kutschers, steckte die Waffe weg und reichte dem stolzen Malaien die rechte Hand. „Ein nachtragender Mann bin ich nie gewesen. Vergessen wir, was geschehen ist. Besiegeln wir nun unsere Freundschaft.“

Der Tiger nahm die ihm dargebotene Hand sofort an. Er wirkte unendlich erleichtert, als er sagte: „Gleich werden die Orang Laut hier sein, und ich habe bis auf ein paar Bordwachen auch meine Leute von den Schiffen sowie Otonedju und dessen Begleiter rufen lassen. Wir werden auf einer der Lichtungen, die weiter oberhalb liegen, Feuer anzünden und Fleisch und Gemüse zubereiten. Ich möchte ein Fest zu deinen Ehren feiern, Seewolf.“

„Männer!“ rief Hasard. „Habt ihr Lust, daran teilzunehmen? Ein bißchen Abwechslung könnte nach den Strapazen der letzten Tage doch nicht schaden, oder?“

„Aye, Sir!“ rief Dan O’Flynn überschwenglich zurück. „Mit anderen Worten, wir dürfen die Mäuse auf dem Tisch tanzen lassen.“

„Wir reißen ein Faß auf!“ rief Ferris Tucker.

Carberry rieb sich mit dem Handrücken über den Mund und schnaufte. „Ja. Das könnte euch so passen, wie? Aber wenn sich auch nur einer die Hucke vollsäuft und über die Stränge schlägt, gibt es dikken Ärger.“

Ungefähr eine Stunde später, als die Malaien eine Lichtung der oberen Dschungelregion als Festplatz hergerichtet hatten und die Feuer munter aufzuckten, begann aber auch der Profos endlich zu grinsen. Yaira, die Tochter von Otonedju, lächelte ihn nämlich auf hinreißende Weise an und beschrieb mit den Händen ein Zeichen, das in der Sprache der Inselbewohner soviel wie Frieden bedeutete.

Eine Woge des Frohsinns schien mit den Liedern, die die Eingeborenen anstimmten, über die Insel Rempang zu gleiten. Der Schrecken war gebannt, und die Dankesbezeigungen, die die geretteten Orang Laut dem Seewolf entgegenbrachten, wollten kein Ende nehmen. Hasard hütete sich, die Ovationen abzuwehren. Er hörte sich an, was die Seenomaden ihm zu sagen hatten, ließ es sich von dem Tiger von Malakka übersetzen und schüttelte Hände.

 

Schließlich antwortete er: „Ich danke euch, aber ich weiß, daß der Tiger von Malakka das gleiche wie ich getan hätte, nachdem er den einen von euch aufgefischt hatte, der von der Insel fliehen konnte. Und nicht zuletzt möchte ich auch dem jungen Krieger meine Hochachtung aussprechen, der sich im Namen eures Stammes und um eurer Rettung willen freiwillig in die Klauen Bulbas’ begeben hätte.“

Dies hatte zur Folge, daß die Orang Laut, die malaiischen Freibeuter, Otonedju und seine Leute und die Seewölfe nun den jungen Krieger hochleben ließen.

Der Tiger von Malakka stand unweit von Hasard und hatte dem Mädchen Yaira eine Hand um die Hüfte gelegt.

„Ich werde versuchen, Bulbas zu zähmen“, sagte er auf spanisch. „Er darf nicht sterben.“

„Solange die Hoffnung besteht, daß aus dem gefährlichen Mörder doch noch ein normal handelndes Tier wird, das frei von der Angriffs- und Tötungslust eines Amokläufers ist“, erwiderte der Seewolf. „Sollte das nicht gewährleistet sein, mußt du den Tiger töten.“

„Ich achte Bulbas.“

„Ich auch, Aber denke daran, was geschieht, wenn er eines Tages wieder ausbricht.“

„Ich werde alles daransetzen, ihn zu besänftigen“, entgegnete der Freibeuter ernst. „Ich will dir jetzt verraten, wo sich mein Versteck befindet. Vier Inseln liegen nördlich von Rempang in dem Wasser, das uns mit dem Festland von Malakka verbindet. Die zweitkleinste davon diente uns bisher als Unterschlupf.“

„Bisher?“

Der Tiger entblößte seine weißen, untadeliger. Zähne und lachte. „Ja, du hast dich nicht verhört. Ich gehe ganz einfach von der Tatsache aus, daß die Spanier und Portugiesen, kurzum, alle Feinde der Malaien, auch weiterhin annehmen werden, daß Rempang durch Bulbas ein menschenleeres Stück Wildnis im Meer ist, auf das niemand seinen Fuß zu setzen wagt.“

„Darum wirst du die Insel jetzt zu deiner neuen Domäne machen“, sagte Hasard.

„Was ist eine Domäne? Ein Staatsbesitz?“

„So ungefähr.“

„Du ahnst, auf was ich hinauswill, Seewolf.“

„Eben. Du bist mehr als ein Seeräuber.“

Der Tiger von Malakka beschrieb eine ausholende Gebärde, die die Lichtung erfaßte. „Hier werde ich den Grundstein für die Republik legen, die ich gründen will. Die Völker von Malakka und Sumatra, die Stämme der Inseln – alle will ich im Kampf gegen die Spanier vereinen und so ausrüsten, daß sie auch keine Kanonen mehr zu fürchten brauchen.“

„Du hast dir viel vorgenommen“, sagte Hasard ernst.

„Glaubst du, ich scheitere?“

„Nein, du schaffst es.“

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