Seewölfe - Piraten der Weltmeere 115

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 115
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Impressum

© 1976/2015 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-439-5

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

1.

Fong-Ch’ang war zumute, als habe man tausend Nadeln in seinen Leib gesteckt und schlüge mit Hämmern auf seinen Schädel ein. Er wankte und hatte Schwierigkeiten, sich auf den Beinen zu halten. Er wußte, daß er innerhalb der nächsten Sekunden vor Schmerzen und Schwäche zusammenbrechen würde, auch ohne das Zutun seiner Todfeinde.

Vergeblich versuchte er, etwas Konkretes zu erkennen. Rote und graue Schleier wogten vor seinen Augen und webten einen Vorhang zwischen seiner Wahrnehmung und dem weißlichen Sonnenlicht.

Das Oberdeck der Galeone schien sich Fong entgegenzuwölben, und die Gesichter der Mannschaft waren helle Flecken, die in dem wabernden Glast tanzten wie Irrlichter in der Dämmerung über einem Sumpfteich.

„Erbarmen.“

Mehr als dieses eine Wort vermochte Fong mit seinen spröden, völlig ausgetrockneten Lippen nicht zu formulieren. Seine rauhe, kratzende Stimme war das letzte sinnlose Flehen eines Verdurstenden in der Wüste des Hasses und der Grausamkeit.

Vinicio de Romaes stand dicht hinter Fong vor dem Achterkastell. Er hob die neunschwänzige Katze mit der rechten Hand, kniff die Augen zusammen und schlug zu.

Eine Feuerzunge, kein Peitschenschlag, schien über Fongs Rücken hinwegzurasen. Er zuckte zusammen und strauchelte mit nach vorn gestreckten Armen. Nur ein kurzes Stück flog er über die Kuhl, dann landete er mit dem Bauch hart auf den Planken. Über ihm war das höhnische Gelächter der Piraten.

„Erbarmen?“ sagte de Romaes. „Hast du etwa welches mit uns gehabt? In Shanghai hätten wir um ein Haar alle fünf ins Gras gebissen – wenn es nach dir gegangen wäre. Ist es so?“

Fong antwortete nicht. Er lag schwer atmend da und kämpfte gegen die Panik an, die in ihm aufloderte und von ihm Besitz zu ergreifen drohte.

Der Mongole, der in Shanghai beim Überfall auf Philipp Hasard Killigrew und dessen Begleiter an der Schulter verletzt worden war, trat vor und rammte Fong den Fuß in die Seite. „Hast du nicht gehört, was der Kapitän gesagt hat, du Dreckskerl? Antworte! Du wolltest uns alle ans Messer liefern.“

„Ja“, stöhnte Fong.

Zwei, drei Piraten traktierten Fong, und ein stämmiger Chinese mit dickem schwarzem Zopf und nacktem Oberkörper schrie: „Denk an Raga, den Malaien! Und an unseren Landsmann! Du hast sie beide auf dem Gewissen!“

„Umgebracht hast du sie!“ brüllte ein zweiter.

Und ein“ anderer fügte hinzu: „Elend verreckt wie die Ratten sind sie, dabei zählten sie zu unseren besten Kämpfern!“

Der Mongole zückte mit der gesunden Hand eine Bambusgerte, schlug zu und fuhr Fong-Ch’ang an: „Ich zähle jetzt bis drei, dann stehst du auf und läufst bis zum Vordeck, du Hund. Lauf, so schnell du kannst, bevor wir dir so richtig das Fell gerben.“

Sie stellten sich in zwei Reihen in Längsrichtung des Schiffes auf. So bildeten sie eine Gasse, durch die Fong zu laufen hatte. Abwartend standen sie da, ein bösartiges, vergeltungssüchtiges Grinsen auf den Lippen, die Bambusgerten in den Fäusten.

„Eins“, sagte der Mongole.

Nakamura, der Japaner, war zu dem Portugiesen getreten. „Auf was warten wir denn noch, de Romaes?“ fragte er. „Töten wir den Lumpen. Hat er etwas anderes verdient?“

„Nein.“

„Aber seit Tagen führen wir ihn jetzt als Gefangenen im Kabelgatt mit und tun nichts anderes, als ihn hin und wieder an Oberdeck zu holen.“

„Damit er nicht zu Kräften kommt und an Flucht denken kann“, versetzte de Romaes.

Nakamura blickte zu Fong-Ch’ang. Kein Mitleid erschien auf seinen maskenhaften Zügen. „Es kann nicht sein, daß du ihn schonen willst. Ich kann es mir nicht vorstellen. Du mußt gestatten, daß wir ihn töten.“

„Gewiß, aber das hätten wir auch in Shanghai tun können, als wir ihm und dem verfluchten Mädchen in der Nähe des Gerichtsgebäudes auflauerten. Gerade das will ich aber nicht.“

Nakamura schaute zu den prall gefüllten Segeln der Galeone auf und ließ den Blick wieder sinken. Geschickt balancierte er die Decksbewegungen durch Beinarbeit aus. „Ich begreife dich, de Romaes. Trotzdem wäre es besser gewesen, wenn wir diesen Kerl getötet hätten. Mit ihm, einem bewußtlosen Gefangenen, war es schwierig genug, den Hafen zu verlassen. Fast wären wir einer Patrouille Soldaten aufgefallen.“

De Romaes lächelte dünn. „Stimmt, und auf dem Jangtsekiang hätte uns dann beinah die Besatzung einer schweren Kriegsdschunke aufgestöbert. Wir mußten schleunigst an Bord der Galeone gehen und unsere versteckte Bucht verlassen. Dort waren wir nicht mehr sicher.“

„Dabei hätten wir dort liegenbleiben und vielleicht doch noch dem Seewolf auflauern können“, meinte der Mann aus dem Inselland, das die Europäer einst Zipangu genannt hatten. „Fong hat es uns gründlich verpatzt. Raga hatte uns vor ihm gewarnt.“

Vinicio de Romaes wandte den Kopf und fixierte den Japaner. „Willst du damit sagen, daß ich einen Fehler begangen habe, Nakamura?“

„Natürlich nicht.“

„Jeder von uns muß ständig damit rechnen, ins Gras zu beißen.“

„Ja, Kapitän.“

„Zwei!“ hatte der Mongole gebrüllt, jetzt hob er die Hand mit der Gerte und rief: „Drei!“

Fong-Ch’ang war auf den Beinen. Mühselig hatte er sich aufgerappelt. Er torkelte, fing sich und lief unter Schmerzen los. Die kurzen Gerten prasselten auf ihn ein. Der Spießrutenlauf hatte begonnen.

„Fong soll eines langsamen Todes sterben“, sagte Vinicio de Romaes. „Alles andere wäre ein viel zu gnädiges Schicksal für ihn.“

Nakamura schlug vor: „Laufen wir die Küste an und suchen wir einen Brechnußbaum. Wir binden den Kerl daran fest und brauchen dann nur noch die Nacht abzuwarten.“

Die gifthaltigen Samenkapseln des Brechnußbaumes öffneten sich bei Nacht und dünsteten ihr tödliches Miasma aus. In einzelnen Provinzen des Reiches der Mitte war diese Todesart als Bestrafung fast an der Tagesordnung.

Der Portugiese sah gelassen zu, wie Fong stürzte.

„Schafft ihn wieder ins Kabelgatt“, ordnete er mit schneidender Stimme an. „Legt ihn in Ketten. Und daß mir die Wache im Gang ja nicht schläft! Ich werde immer wieder kontrollieren!“

Er drehte sich dem Japaner zu. „Minutenlang mit dem Tod ringen? Nur für ein paar Minuten? Auch das wäre ein viel zu mildes Ende für diesen räudigen Hund. Nein. Ich werde mir etwas Besseres einfallen lassen.“

Er wollte weiterreden, aber in diesem Moment meldete sich der Rudergänger mit einem Ruf. „Kapitän! Der Kolderstock …“

De Romaes fuhr herum, klomm den Backbordniedergang zum Achterdeck ein Stück hoch und blickte zu dem Mann, der aufgeregt an dem klobigen Kolderstock hantierte.

„Was ist los?“ schrie der Porugiese. „Kannst du dich nicht klar ausdrükken, Bastard?“

Das war nicht mehr nötig. De Romaes sah auch so, was passiert war. Der Kolderstock bewegte sich locker hin und her. Das Ruderblatt gehorchte nicht mehr, der Kontakt war unterbrochen. Das Schiff lief plötzlich aus dem Ruder. Die Steuerungsanlage hatte einen Defekt.

De Romaes begann mörderisch zu fluchen.

Die „Isabella VIII.“ segelte durch die leichte Dünung des Gelben Meeres. Fast schien sie das Drängende zu spüren, das diese Fahrt bestimmte.

Philipip Hasard Killigrew und seine Männer hatten die Verfolgung von Fei Yen, der „Fliegenden Schwalbe“ des Piraten Khai Wang, wiederaufgenommen.

Mit verbissenen Mienen standen sie auf dem Achterdeck und blickten voraus: Hasard, Siri-Tong, Ben Brighton, Ferris Tucker, Big Old Shane, Old O’Flynn und Smoky. Auf dem Quarterdeck, neben dem Ruderhaus, hatte sich der Profos Carberry aufgebaut, und nicht weit von ihm entfernt verharrte soeben auch Ch’ing-chao Li-Hsia, das als Schiffsjunge verkleidete chinesische Mädchen, dessen Name übersetzt „Flüssiges Licht im beginnenden Sommer“ bedeutete.

Auch auf der Back hatten sich Männer der Crew versammelt und spähten angestrengt am Bugspriet der „Isabella“ vorbei zur nördlichen Kimm. Und Dan O’Flynn, der wegen seiner scharfen Augen den Ausguck im Großmars übernommen hatte, starrte durch seinen Kieker, als wolle er hineinkriechen.

„Mist“, murmelte er immer wieder. „So ein elender, verdammter Mist.“

Auf dem Achterdeck ließ der Seewolf das Spektiv sinken. „Der Kerl hat zuviel Vorsprung gewonnen. Und jetzt macht uns die Dämmerung einen Strich durch die Rechnung. Wir haben ihn aus den Augen verloren.“

„Der Teufel soll ihn holen“, sagte Ferris.

„Ja, ist denn das zu fassen?“ Ben Brighton wandte Hasard das Gesicht zu. „Hat der Hund das Glück auf seiner Seite? Entwischt der uns jetzt ein für allemal?“

 

„Nein.“ Siri-Tongs jettschwarze Augen funkelten vor Wut. „Niemals. Ich kriege ihn. Und wenn ich ihn bis ans Ende meiner Tage hetzen muß. Ich packe ihn.“

„Ben, Ed, Pete!“ rief der Seewolf. „Wir halten den Kurs!“

„Aye, aye, Sir!“ rief Carberry vom Quarterdeck aus zurück. „Immer stur nach Norden!“

„Ja, denn ich rechne fest damit, daß Khai Wang an seinem ursprünglichen Vorhaben festhält“, sagte Hasard.

Die Rote Korsarin streifte ihn mit einem wachen, erregten Blick. „Er will also immer noch nach Peking, in die Verbotene Stadt? Ja, das halte auch ich für möglich. Er hat ja noch die Mumie des Mandarins an Bord, dieser Schakal. Er will sie nach Peking schaffen und beim Großen Chan abliefern.“

„Um diesem Chan um den Bart zu gehen“, sagte Old O’Flynn. Angewidert verzog er seinen Mund. „Das sieht so einem Halunken ähnlich.“

„Wahrscheinlich hofft er auf den Pardon des Großen Chan“, sagte Hasard. „Er wird sich freies Geleit erbitten, die Stadt als Held verlassen und für einige Zeit seine Ruhe vor den Verfolgern haben. In letzter Zeit scheinen ihm die Kriegsdschunken des Reiches ziemlich hart zugesetzt zu haben. Selbst für einen hartgesottenen, mit allen Wassern gewaschenen Schlagetot wie ihn muß es da langsam brenzlig werden.“

Er hob noch einmal das Spektiv ans Auge und blickte zur nördlichen Kimm. Aber die Dämmerung senkte sich bleischwer auf die See und ließ jene Linie, die das Wasser vom Himmel trennte, kaum noch erkennen. Das Eisengrau des Abendhimmels war mit rötlichen Streifen durchwirkt, und es war nur noch eine Frage von Minuten, bis endgültige Dunkelheit die „Isabella“ umfing.

Ben und die anderen Männer blickten zu ihrem Kapitän, dann zu Siri-Tong. Danach schauten sie sich schweigend an.

Würde Hasard die Jagd jetzt abbrechen? Nein, er hatte ja angeordnet, den Kurs zu halten. Aber wie lange hielt er an dieser Order fest? Bis zum Morgen? Und dann? Wenn sie die Dschunke von Khai Wang nicht wieder entdeckten, konnte der Seewolf leicht das Interesse an dieser Verfolgung verlieren.

Oder bildeten sie sich das nur ein?

Bei Siri-Tong waren die Männer sicher: Sie würde nicht eher ruhen, bis sie Khai Wang, die „Geißel des Gelben Meeres“, gestellt und vor die Klinge gefordert hatte. Denn Khai Wang war es gewesen, der sie von Bord des schwarzen Schiffes entführt und nach Shanghai verschleppt hatte. Seinetwegen war die Korsarin in den Kerker der Stadt geworfen und an drei Gerichtstagen abgeurteilt worden: Tod durch das Schwert des Henkers.

Nur Hasards tollkühnem Einsatz war es zu verdanken, daß sie der Vollstrekkung des Urteils entgangen war.

Die Seewölfe hatten um Siri-Tong ebenso gebangt wie die Männer des schwarzen Seglers. Sie hingen an ihr, achteten und verehrten sie in einem Maß, das ihnen nie zuvor so richtig bewußt geworden war. Im stillen gaben sie der schönen Frau recht, was ihre Rachegefühle betraf. Sie folgten ihr und kämpften für sie bis zur letzten Konsequenz.

Nur Hasard in seiner unerreichten Souveränität stand über den Dingen. Deshalb – weil er nicht unbedingt auf Vergeltung sann – kamen den Männern in diesem Augenblick leise Zweifel.

Er wandte sich zu ihnen um. „Ich kann mir gut vorstellen, was in diesem Moment in euch vorgeht“, sagte er. „Aber ihr könnt ganz beruhigt sein. Auch ich habe nach wie vor ein reges Interesse, Khai Wang in die Enge zu treiben und zu erledigen.“

„Arwenack!“ rief Big Old Shane. „Du hast uns aus der Seele gesprochen, Hasard!“

Siri-Tong sah zum Seewolf, und es lagen Bewunderung und Dankbarkeit in ihrem Blick. Nur ein hauchdünner Seidenfaden hatte in Shanghai ihr Leben vom Tod getrennt – und dann waren er und seine Männer aufgetaucht. Sie wußte, daß sie ihm nie vergessen würde, was er für sie getan hatte, aber da war mehr als bloßer Dank. Jetzt, im wiedereroberten Leben, flammten ihre Empfindungen für ihn so vehement wie nie zuvor auf.

Hasard schritt nach vorn, nahm den Backbordniedergang zum Quarterdeck und gelangte zu Carberry. „Holen wir aus unsrer Lady ’raus, was in ihr steckt, Ed. Wir setzen sämtliches Zeug.“

„Aye, Sir. Auch mein rotes Unterhemd, wenn’s sein muß.“

Sir John, der karmesinrote Papagei, hatte sich auf seiner linken Schulter niedergelassen. Er nickte heftig, plusterte sich auf und krähte: „Jacke vollhauen, Jacke vollhauen!“

„Sei still, du Schrumpfhals“, fuhr ihn der Profos an. „Soweit sind wir noch nicht.“

Hasard schaute zu Pete Ballie ins Ruderhaus, prüfte den Stand der Kompaßnadel, warf einen Blick auf die Karten und setzte dann seinen Weg zur Kuhl hin fort. Carberry und „Flüssiges Licht“ folgten ihm auf dem Fuß.

„Männer“, sagte Hasard, als er die Kuhlgräting erreicht hatte. „Blacky, Batuti, Kutscher, Gary, Matt, Al, Jeff, Sam, Bob, Luke, Will und Stenmark.“ Er blickte zur Back. „Bill, wo steckst du?“

„Hier, Sir!“ Der Junge streckte seinen Kopf zum Kombüsenschott heraus. „Klare die Kombüse auf, Sir!“

„In Ordnung.“ Hasard legte den Kopf in den Nacken. „Dan, hörst du mich?“ schrie er.

Dan und Arwenack, der Schimpanse, zeigten sich gleichzeitig am Rand der Großmarsverkleidung.

„Aye, aye, Sir!“ rief der junge O’Flynn.

„Gut, dann hört zu“, sagte Hasard. „Ihr habt unsere ‚Isabella‘ wieder so weit aufgeklart, daß von dem Gefecht mit Khai Wang kaum noch etwas zu sehen ist. Jetzt beweist mir, daß ihr noch die tadellosen Seeleute seid, die ihr immer wart. Wir klüsen, was das Zeug hält. Wir rauschen Khai Wang nach und kriegen ihn wieder, auf Teufel komm ’raus.“

„Und wir segeln dem Höllenfürst ein Ohr ab!“ rief Blacky.

„Und spucken dreimal kräftig gegen den Wind!“ brüllte Matt Davies.

„Ho!“ dröhnte Carberrys Stimme. „Wie lange ist es schon her, daß wir ein richtiges Wettsegeln veranstaltet haben, ihr Stinkstiefel?“

„Eine Ewigkeit“, sagte Al Conroy. „Viel zu lange …“

„Dann steht nicht ’rum und gafft wie die Ölgötzen“, polterte der Profos los. „An die Brassen, an die Schoten, ’rauf in die Wanten, Mann Gottes, wie steht denn das Rigg, das ist ja eine Sauerei, ihr Affenärsche, ihr Rübenschweine! Muß ich euch das wirklich noch erst beibringen? Hey, Matt Davies und Jeff Bowie, setzt die Blinde und meinetwegen auch noch mein rotes Hemd, aber hopp-hopp, oder soll ich euch Beine machen, ihr Säcke, was, wie? Das alles hab ich schon schneller gesehen, ihr Kakerlaken! Oh, ich zieh euch die Haut in Streifen ab, wenn ihr nicht flitzt und die Hacken zeigt.“ Er stapfte über Deck, die Kuhl war sein, er beherrschte die ganze Szene. Wenn der Profos nicht brüllte, war er nicht gesund – aber Carberry erfreute sich auch nach der Auseinandersetzung mit Khai Wang blühender Gesundheit.

Hasard hatte Fei Yen gestellt und ramponiert. Und vorher hatten vier Seewölfe die Piratendschunke sogar geentert. Aber Khai Wang war ihnen noch einmal entwischt, wenn auch angeschlagen, und hatte Distanz zwischen sich und die „Isabella“ gelegt.

Das wurmte die Männer mächtig.

Hasard sah zu wie sie über Deck stürmten und in die Wanten aufenterten. Er wandte sich schließlich ab und kehrte zum Achterdeck zurück.

Flüssiges Licht trat auf ihn zu. Im fallenden Dunkel der Nacht verschmolzen ihre Körperkonturen mit dem Schwarz des in ihrem Rücken aufragenden Achterkastells.

„Seewolf“, sagte sie. „Ob Fong-Ch’ang wohl noch lebt?“

Er blieb stehen und schaute sie eine Weile nachdenklich an. „Hör auf, dir darüber den Kopf zu zerbrechen. Schlau, wie er ist, ist er seinen Häschern wahrscheinlich entkommen.“

„Du glaubst selbst nicht daran. De Romaes, Nakamura und der Mongole haben ihm aufgelauert, um sich an ihm zu rächen.“

„Aber du trägst keine Schuld daran.“

„Ich mache mir Vorwürfe.“

„Das ist falsch“, sagte Hasard sanft. „Jeder von uns ist nur sich selbst verantwortlich. Auch Fong. Es tut mir weh, so reden zu müssen, das kannst du mir glauben, denn er ist ein echter Freund. Aber ich sehe keinen anderen Weg. Du weißt auch, daß wir nicht nach ihm suchen konnten.“

„Ja, natürlich.“ Das Mädchen senkte den Blick. „Wenn er – tot ist, dann wünsche ich ihm, daß er dort, im Jenseits, seine Frau und seinen kleinen Sohn wiedertrifft. Dann wird auch er endlich Frieden finden.“

2.

Die ganze Nacht über knüppelten die Seewölfe ihr Schiff voran. Der Wind drehte von Südost auf Ost, und sie mußten hart darangehen und den Kurs geringfügig nach Nordwesten ändern. Später, als der Wind wieder handig bis steif aus Südosten blies, wurde es einfacher, seine volle Kraft auszunutzen.

Die Männer gaben in dieser Nacht ihr äußerstes an Können. Sie holten wirklich aus ihrer „Lady“ heraus, was sie hergab. Und hier zeigte sich wieder einmal, wie weit die Galeone den sonst üblichen Schiffsbauten ihrer Zeit voraus war. Die überhohen Masten mit der großen Segelfläche verliehen ihr eine erstaunliche Geschwindigkeit.

Hasard tat in diesen Stunden kein Auge zu. Immer wieder berechnete er Position, Kurs und Geschwindigkeit. Endlich, seit Xiapu, hatte er verläßliches Kartenmaterial in Händen. Im Schein von Öllampen stand er im Ruderhaus und stellte auf den feinen Bogen Papier, die er an die Holzwand und aufs Pult gepinnt hatte, seine Messungen an.

„Übermorgen erreichen wir Tschifu“, sagte er einmal, kurz vor Mitternacht, zu Pete Ballie. „Vorausgesetzt, die Wind- und Wetterverhältnisse spielen uns keinen bösen Streich.“

„Tschifu – wo liegt das, Sir?“

„Auf einer großen Halbinsel, die das Gelbe Meer von dem Golf von Chihli abtrennt.“

„Golf von Chihli – dann kann auch die Verbotene Stadt nicht mehr fern sein.“

„Stimmt, aber daran will ich jetzt noch nicht denken“, erwiderte der Seewolf. „Ehe wir Khai Wang nicht wiedergefunden haben, müssen wir alle anderen Vorhaben zurückstellen. Übrigens, Pete, weißt du, wie schnell wir in den letzten Stunden gesegelt sind?“

„Ich schätze, an die sieben bis siebeneinhalb Knoten, Sir.“

„Achteinhalb bis neun, Pete.“

Pete stieß unwillkürlich einen leisen Pfiff aus. „Donnerkeil, das ist ja unheimlich. Wenn wir das Tempo durchhalten, schaffen wir ein Etmal von – von …“

„Von über zweihundert Meilen“, sagte der Seewolf.

Er ließ Pete Ballie allein an seinem Ruderrad und trat ins Freie. Pete blickte zur Kuhl, murmelte ein paarmal ein ehrfürchtiges „Mehr als zweihundert Meilen“ und sagte dann: „Leute, klüsen wir, was das Zeug hält, wir brechen unseren eigenen Rekord.“

Am frühen Morgen hatte die „Isabella“ den Wind immer noch raumschots. Ihr Bug trennte die Fluten wie ein Pflug, Gischt sprühte, das Wasser rauschte an den Bordwänden und fächerte hinter dem Heck in schillernden Streifen auseinander.

Vergeblich hielten Siri-Tong und die Männer nach der Piratendschunke Ausschau. Carberry wetterte wie nie zuvor, Dan O’Flynn zweifelte an der Verläßlichkeit seiner sonst so scharfen Augen und bei der Crew wurde gemunkelt, daß wahrscheinlich alles für die Katz gewesen sei und Khai Wang sich nach Osten verzogen oder in Richtung Westen fortgestohlen habe, vielleicht irgendwo unter Land liege.

Erst gegen Mittag stieß Dan O’Flynn einen Schrei aus, der alle aufrüttelte.

„Deck, ho! Mastspitzen, im Norden an der Kimm!“

Der Seewolf und die Rote Korsarin stürzten allen voran ans Schanzkleid. Die Spektive flogen hoch, sie spähten hindurch und erkannten die Mastspitzen. Kurze Zeit darauf entpuppten sich diese Masten als die einer Dschunke: Sie waren mit den typischen Mattensegeln getakelt, in die in horizontaler Richtung Bambusstreifen eingeflochten waren.

„Drei Masten“, sagte Hasard. „Der Größe und der Form nach könnte es die Piratendschunke sein.“

„Das ist die Fliegende Schwalbe!“ rief Dan O’Flynn. „Wir haben sie! Wir haben die Bastarde wieder!“

Daß diese Äußerung etwas zu voreilig getan war, stellten die Männer rasch fest. Khai Wang und sein Steuermann Wu trieben die Dschunke in einem genauso harten Törn voran wie Hasard seine „Isabella“. Strikt hielten sie den Nordkurs, jagten dahin und trachteten, den Gegner wieder abzuhängen, den sie natürlich auch gesichtet hatten.

So dauerte die Jagd fort. Bis zum nächsten Morgen.

In der Nacht suchte der Seewolf seine Kammer im Achterkastell auf. Er brauchte jetzt doch Ruhe und mußte für das, was aller Wahrscheinlichkeit nach bevorstand, Kräfte sammeln. Die Crew hatte er in vier Wachen eingeteilt, damit sie sich im sechsstündlichen Turnus ablösen konnte.

Hasard hatte sich in seine Koje gelegt und streckte die Beine aus, da öffnete sich langsam seine Kammertür. Er hatte sie nicht verriegelt, um im Bedarfsfall schnell ans Oberdeck laufen zu können und durch nichts aufgehalten zu werden.

 

Er lag ruhig da und blickte auf die schlanke Gestalt, die sich zum Spalt hereinschob. Lange, vollendet modellierte Gazellenbeine bewegten sich durch sein Allerheiligstes und verharrten. Geschickte Finger schoben nun doch den Türriegel vor.

Dieselben Finger strichen über die rote Bluse, öffneten sie, streiften sie von diesem berückenden Körper ab. Volle Brüste wippten leicht in dem weißlichen Licht des Mondes, das durch die Bleiglasfenster eindrang. Schwarzes Haar rahmte ein ebenmäßiges Gesicht und floß weich auf sanfte Schultern.

Sie näherte sich seiner Koje, blieb wieder stehen und entledigte sich auch der letzten Kleidungsstücke.

„Siri-Tong“, sagte Hasard leise.

„Die Nacht ist nicht nur zum Schlafen da“, entgegnete sie genauso gedämpft. „Rück ein Stück zur Seite, Seewolf. Oder willst du mich wegschicken?“

Hasard machte ihr Platz. Sie schlüpfte zu ihm unter die Decke, und er spürte ihren weichen, warmen Körper auf sich zugleiten.

Am Morgen hatte die „Isabella VIII.“ beachtlich aufgeholt. Hasard lief zur Back, klomm hoch und stellte sich an den vorderen Querabschluß. Seine Finger krampften sich um die Handleiste der Balustrade.

Wuchtig hob sich das Heck der Dschunke vor ihm aus der See. Fei Yen schien zum Greifen nahe zu sein. Hasard schätzte die Entfernung grob.

„Knapp eine Meile“, sagte er zu den Männern hinter seinem Rücken. „Eher weniger als mehr.“

„Diesmal haben wir ihn wirklich“, entgegnete Smoky.

Ben Brighton hatte sich vom Achterdeck aus in Bewegung gesetzt, betrat die Back und hielt auf den Seewolf zu.

„Ich habe unsere neue Position auf der Karte eingetragen“, sagte er. „Wir befinden uns jetzt fast auf der Höhe von Tschifu.“

„Wir haben das schnellere Schiff“, frohlockte Carberry. „Bald zerquetschen wir Khai Wang samt Kahn vor der Küste der Verbotenen Stadt. Da kann er gar nichts machen, der Hurensohn.“

Hasard drehte sich zu ihnen um. Sein Lächeln war hart und wirkte eingefroren. „Du übertreibst, Ed. Aber eins ist sicher. Innerhalb der nächsten Stunde haben wir ihn vor unseren Geschützmündungen.“

Smoky hob die Augenbrauen. „Und das heißt, Sir?“

„Klar Schiff zum Gefecht.“

Carberry fuhr mit einem knarrenden „Aye, Sir“, herum und ranzte die Decksmannschaft an: „Habt ihr das nicht gehört, ihr Schnarchsäcke? Willig, an die Kanonen, alle Mann auf Gefechtsstation – und daß mir ja keiner Mist baut. He, Bill, Junge, schnapp dir die Pütz und schöpf Seewasser hoch. Wird’s bald, oder muß ich dir erst Dampf unter deinen Achtersteven blasen?“

Im nächsten Augenblick war hektische Eile auf der Kuhl, auf dem Vor- und Achterdeck. Fußsohlen und Stiefel trappelten, die Geschütze rollten rumpelnd auf den Hartholzrädern ihrer Lafetten aus und wurden in Ladestellung gebracht. Bill stellte Kübel mit Seewasser zum Befeuchten der Wischer bereit. Der Kutscher löschte die Kombüsenfeuer und streute anschließend Sand auf Oberdeck aus, damit die Männer im Gefecht einen sicheren Stand hatten und ausbrechende Feuer im Ansatz erstickt wurden.

Unaufhaltbar schob sich die „Isabella“ auf ihren Feind zu.

Ein gigantisches Duell zur See bahnte sich an, ein Kampf ohne Kompromisse.

Einer mußte auf der Strecke bleiben.

Hasard beobachtete fast unausgesetzt mit dem Spektiv. Das hoch aufragende Heck der Dschunke versperrte ihm den Ausblick auf das Oberdeck. Als aber die „Isabella“ noch weiter aufholte und sich in schräg versetzter Kiellinie Steuerbord achteraus von Fei Yen befand, gewann er zumindest einen bruchstückhaften Einblick auf das Geschehen an Bord.

Hektisches Treiben hatte auch bei den Piraten eingesetzt. Er konnte ihre Köpfe erkennen. Sie ruckten hin und her, verschwanden hinter dem Schanzkleid, tauchten wieder auf.

„Eins muß man Khai Wang lassen“, sagte der Seewolf. „Er hat Schneid. Er büxt nicht aus. Sein Stolz und sein Kampfgeist verbieten es ihm.“

Eine Hand legte sich auf seine rechte Schulter. Hasard blickte nach hinten und sah Siri-Tong hinter sich stehen. Sie trug an diesem Morgen weißleinene Kleidung, Bluse und Hose, und sah so hinreißend aus wie nie zuvor. Der Wind zerzauste ihre langen schwarzen Haare.

„Man könnte fast glauben, du achtest ihn“, sagte sie. „Dabei hat er den Stolz eines räudigen Hundes. Er rechnet sich ganz einfach eine reelle Chance aus, gegen uns zu siegen und die Schätze der ‚Isabella‘ einzuheimsen, das ist es.“

„Ich leide nicht an Selbstüberschätzung“, erwiderte er. „Wir können auch unterliegen. Vielleicht haben wir in Khai Wang unseren Meister gefunden, was das Gefecht betrifft. Glaubst du, er schafft es, uns unterzukriegen?“

„Niemals.“

„Und wenn du dich irrst?“

„Dann sterbe ich lieber, als mich noch einmal von diesem Bastard gefangennehmen zu lassen“, stieß sie wütend hervor.

Er sah ihr in die Augen, und ihre Blicke verfingen sich ineinander.

„Hör zu, Siri-Tong“, sagte der Seewolf. „Angenommen, wir siegen. Was tust du dann mit Khai Wang?“

„Ich töte ihn.“

Hasard schüttelte den Kopf. „Nein. Ihn und Wu müssen wir lebend haben. Wir müssen unsere Rachegefühle zurückstellen. Ich will die beiden zum Großen Chan schleifen und ihnen den Prozeß machen lassen. Ich bitte dich, darüber nachzudenken.“

Die Korsarin grübelte mit verdrossener Miene, aber schließlich hellten sich ihre Züge ein wenig auf. „Also gut. Ich bin einverstanden. Der Große Chan soll entscheiden, was mit diesen Verbrechern geschieht.“

Wu, der Steuermann, hatte den Kolderstock der Dschunke einem der wilden Kerle übergeben. Auf der Kuhl arbeitete die Mannschaft an den bronzenen Geschützen – einst dreißig skrupellose, grausame Kerle, jetzt ein auf weniger als zwei Dutzend Köpfe reduzierter Haufe. Der letzte Kampf mit der „Isabella“ hatte seinen Tribut gefordert.

Wu trat den Rudergänger mit dem Fuß und stieß die lästerlichsten Verwünschungen aus. Er hastete auf die Kuhl hinunter und beschimpfte auch den Rest der Besatzung.

Er war ein drahtiger kleiner Chinese, etwas gedrungen, mit stets verschlagenem, tückischem Ausdruck im Gesicht. Er suchte einen Sündenbock, und deshalb kreidete er der Mannschaft alles an: ihr Versagen, die zu langsame Fahrt der Dschunke, das Wiederauftauchen der „Isabella“.

„Das werdet ihr mir büßen“, stieß er zischend aus. „Wenn ihr uns diese Hunde nicht wieder vom Hals schafft, peitsche ich euch der Reihe nach aus – jeden einzelnen von euch!“

In diesem Augenblick erschien die Gestalt Khai Wangs im Achterdecksschott.

Der Pirat verharrte und blickte zu seinem Steuermann. Seine Stirn kräuselte sich, seine Augenbrauen zogen sich zusammen. Khai Wang verschränkte die Arme, er sah roh und gefährlich aus. Seine Gesichtsfarbe war fast quittengelb, sein lackschwarzes Haar wirkte wie angeklebt. Weit hing sein Oberlippenbart übers Kinn, und dort, wo seine seidenen Gewänder auseinanderklafften, war ein Teil seiner Tätowierungen zu erkennen.

Die blaulila Farben schienen zu leuchten. Auf der Brust Khai Wangs stellten sie einen wilden Drachen dar, auf dem Rücken formten sie eine sich windende Schlange, die einen Vogel verschlang.

Khai Wang hatte von einem kleinen Guckloch des Achterkastells aus zur „Isabella VIII.“ hinübergespäht, um die Geschwindigkeit des Gegners zu taxieren und festzustellen, wieweit er mit den Vorbereitungen zum Kampf war.

Khai Wang löste sich aus seiner starren Haltung. Er trat auf Wu zu, packte ihn bei der Schulter und riß ihn zu sich herum.

„Bist du wahnsinnig?“ herrschte er ihn an. „Dein Reden hört sich an wie das Kläffen eines Gassenköters. Laß die Männer in Ruhe.“

Wu blickte seinen Kapitän lauernd an. „Du nimmst sie in Schutz?“

„Sie können nichts dafür, daß Fei Yen der Galeone des Seewolfs nicht davonsegelt. Unser Schiff ist zu langsam, das mußt auch du begreifen. Und den Kurs habe ich angegeben, weil wir gemeinsam der Ansicht waren, daß das Weib und ihre verfluchten Freunde uns bis hierher nicht folgen würden.“

„Wir haben uns getäuscht, Khai Wang …“

„Und du trägst mit mir die Verantwortung, Wu.“

„Ja, Herr.“

Khai Wang entblößte seine Zähne und lachte hart. „Hast du Angst, Wu? Willst du vor dem Seewolf und seinem jämmerlichen Pack etwa kneifen? Du wärst ein niedriges Tier, eine noch erbärmlichere Ratte als der letzte dieser Kerle.“ Mit jäher Geste wies er auf die Mannschaft.

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