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Fabeleien

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Fabeleien
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Ein Brief an den Verleger als Vorwort

Sehr geehrter Herr!

Als wir zuerst miteinander von diesen Fabeleien redeten, fragten Sie mich, was für eine literarische Gattung das nun eigentlich wäre. Ich blieb Ihnen die Antwort schuldig. Es ist immer mißlich, Fragen an den Autor zu stellen; die Antworten, die er zu geben hat, sind – eben seine Werke. Häufig sehr unzulängliche, sehr ungenießbare, sehr dunkle Antworten, ich räume es ein. Vielleicht täte er besser, statt den Umweg über die dichterische Darstellung einzuschlagen, die Sache einfach auf dem verstandesmäßigen Wege zu erledigen. Der Verstand ist ja doch im Begriff, der Herr der Welt zu werden. Hat man nicht schon die Frage aufgeworfen, ob die Dichtkunst nicht bloß ein Spiel für große Kinder sei, dessen sich die Menschheit, wenn sie einmal zum vollen Gebrauch ihrer Vernunft gelangt, entwöhnen werde –?

Mit diesem vollen Gebrauch scheint es einstweilen noch gute Wege zu haben. Ich meinesteils bin zum Beispiel mein ganzes Leben lang nicht über das Mißvergnügen hinausgekommen, mit dem ich in der Religionsstunde erfuhr, daß der liebe Gott es jetzt nicht mehr halte wie zur Zeit der biblischen Geschichte. Ach, um wie- viel schöner hatten es damals die Leute! Da gingen Engel und Teufel herum, Heilige und Propheten, und bei besonders wichtigen Anlässen erschien der Herr in höchsteigener Person. Das Herz schlug einem höher bei dem bloßen Gedanken! Warum durfte man nicht in solchen Zeiten leben, warum nicht in dieser berauschenden Erwartung, daß morgen, heute, jeden Augenblick ein Wunder geschehen konnte? Wie? Von all diesen fabelhaften Herrlichkeiten war für uns Spätgeborene nichts übriggeblieben als ein Katechet, der schlechte Noten verabreichte, wenn man nicht aufpaßte, weil man just davon träumte, ob es denn kein Mittel gäbe, den lieben Gott in seiner Abneigung gegen den persönlichen Verkehr mit dem Menschengeschlecht wieder umzustimmen –?

Und kaum ist man der Religionsstunde entwachsen, so übernimmt der Verstand im Leben die Rolle des Katecheten. Da heißt es gewaltig aufpassen, daß die Phantasie keine Seitensprünge mache. Wir müssen uns an das halten, was er predigt, und wehe, wenn wir ihm nicht aufs Wort glauben!

Das scheint auch den lieben Gott zu verdrießen; denn es ist leider Tatsache, daß er sich in die menschlichen Angelegenheiten nicht mehr einmischt. Haben wir uns schon klargemacht, was das bedeutet? Das Leben ist doch so sterbenslangweilig ohne ihn, so unerträglich zivilisiert und aufgeklärt! Wenn künftig keine göttliche Hand in diese trostlos eintönige Kette von Ursache und Wirkung eingreifen und sie von Zeit zu Zeit aufheben soll, dann möchte man sich lieber gleich dem Teufel verschreiben, um nur endlich etwas anderes zu erleben.

Und so versucht man immer wieder, in jene Welt zu flüchten, wo die alten Machthaber noch aus- und eingehen und »etwas zu bedeuten« haben, wie das An der Welt der Dichtung üblich ist. – – Aber richtig: Sie wollten von mir wissen, was für eine Bewandtnis es mit der Gattung der Fabeleien habe!

Also ohne Umschweife: Fabelei kommt von Fabulieren. Und fabulieren heißt, Wirkliches und Erfundenes vermengen. Freilich wäre dann so ziemlich alles, was der menschliche Intellekt hervorbringt, inbegriffen das Bild der ganzen Welt, nur eine Fabelei. In der Tat – was waren die Systeme aller Philosophen bisher als Fabeleien? Als spielerische Erfindungen, mit denen sie sich Antwort gaben auf die Fragen, die der Intellekt an die Welt richtet? Daß die Fabeleien der Philosophen ernst gemeint sind, daß sie, fachmännisch ausgedrückt, Anspruch auf objektive Giltigkeit erheben, gereicht ihnen nicht zum Vorzug; wer eine Reihe solcher gravitätisch ernster und meistens auch sehr umfangreicher Fabeleien kennt, weiß schließlich nicht, was er mit der objektiven

Giltigkeit so vieler ungelöster Widersprüche anfangen soll.

Lassen wir nun einmal den Ernst aus dem Spiel, indem wir ihm gestatten, sich hinter dem Spiel zu verbergen, so werden wir den Fabeleien, wie ich sie verstehe, am ehesten gerecht. Sie sind meine ganz persönliche Art, mich mit jenen Problemen abzufinden, die uns in ihrer Gegensätzlichkeit so peinlich nahe gehen. Das Menschliche und das Göttliche, Ich und Welt – wie lange schon zerbricht sich der Intellekt den Kopf darüber!

Er ist zu bedauern, dieser Kopfzerbrecher, der es sich nicht nehmen läßt, mit immer neuen Versuchen wider die uneinnehmbare Festung Sturm zu laufen. Ein leiser Anstrich von Lächerlichkeit heftet sich daran wie an alles Unzulängliche. Daher tritt ab und zu das Gefühl dieser Lächerlichkeit auf den Schauplatz der Darstellung. Auch das gehört zum Wesen der Fabelei. Daß ich es einige Male vergessen habe, müssen Sie mir zu Gute halten – wer vergäße nicht zuweilen, daß er lachen muß, um das Leben zu ertragen?

Wien, im Februar 1921

Ihre ergebene Rosa Mayreder

Drachentöter

Der heilige Georg saß auf seinem Schimmel seit fünf Uhr früh und wartete auf den Drachen. In der linken Hand hielt er den Schild und in der rechten die Lanze. Ein Harnisch von blankem Stahl bedeckte seine Brust. Grünglänzend spiegelten sich darin die hochgewölbten Buchen, und seine Beinschienen schillerten rot vom Reflex des verdorrten Laubes, das den Boden bedeckte. Während des langen Wartens war sein junges Gesicht blaß geworden und die Lider sanken ihm schwer über seine großen, rehbraunen Augen. Er wartete lange – ganz ahnungslos, wie schön er war auf seinem Schimmel, mit seinen schimmernden Waffen und seinem blaßen Gesicht unter dem Heiligenschein.

Allein der Drache ließ sich nicht blicken. Da mußte der heilige Georg wieder unverrichteter Dinge abziehen, wie schon so oft. Seit vielen Wochen stand er täglich fromm und tapfer auf dem Anstände dort, wo der Drache zuletzt gesehen worden war; dieses teuflische Wild aber besaß vermutlich eine feine Witterung und roch den Heiligen schon von weitem.

Der heilige Georg hatte nicht die Anmaßung, zu glauben, daß sein blasses Jünglingsgesicht unter dem Heiligenschein dem Drachen Furcht einjagen könnte. Woran lag es also? Waren doch so viele Andere, die durchaus nicht darauf ausgingen, dem Drachen begegnet; er hatte sie aufgefressen oder laufen lassen, je nach seiner Laune. Und der heilige Georg konnte sich nicht verhehlen, daß darunter ganz gewöhnliche Bursche waren, die gar nicht wußten, was für ein Abenteuer sie bestanden, Faulpelze, die es bloß für eine Unannehmlichkeit hielten, wenn sie das Ungeheuer erblickten und ihm ausweichen mußten, oder auch völlige Dummköpfe, die nicht einmal merkten, welche Gefahr ihnen drohte, wenn sie über seinen grauenvollen Rumpf gedankenlos hinüberkletterten wie über einen Felsengrat, der zufällig auf ihrem Wege lag. So oft aber der Drache einen zermalmte oder verschlang, entstand ein großes Wehklagen im Lande, und laut erscholl der Ruf nach dem Helden, dem es gelänge, dies schändliche Untier zu erlegen und unschädlich zu machen für alle Zukunft.

Deshalb hatte der heilige Georg in seinem ritterlichen Herzen beschlossen, den Drachen zum Kampfe herauszufordern, mutig, geradeaus, mit seinem guten Schwert, als ein Mann, der fechten kann und sich nicht fürchtet.

Aber der Drache ließ sich nicht blicken.

Da sah der heilige Georg ein, daß er auf diese Weise nichts ausrichten konnte. Er prüfte und erwog bei sich genau. Vielleicht fehlte es ihm, wenn schon nicht an Willen, so doch an Wissen? Wenn schon nicht an Glauben, so doch vielleicht an Können? Mit dem Willen und Glauben allein kann man nichts erreichen, wenn man nicht auch das Wissen und Können besitzt: so lehrten die Meister schon in den Vorhöfen.

Der heilige Georg steckte seinen schönen goldenen Heiligenschein in die Tasche und machte sich auf, um unerkannt eine Studienreise zu den berühmtesten Lehrern der Weisheit anzutreten.

Zu jenen Zeiten waren das drei Einsiedler im tiefen Wald, die wohl den Drachen lange Jahre aus eigener Erfahrung kennen und mit seinen geheimsten Schlichen und Schlauheiten vertraut sein mußten.

Der erste Einsiedler, den der heilige Georg nach dem Drachen fragte, hatte eine herrliche Stimme von großem Klang. Mit dieser Stimme hub er an, daß es weithin vernehmbar war, und die Tiere des Waldes andächtig lauschend vor der Klause stehen blieben:

»Den Drachen kenn ich wohl, mein Sohn! Niemand ist so kühn, der ihn reizen darf. Wer kann die Kinnbacken seines Antlitzes auftun? Und wer darf es wagen, ihm zwischen die Zähne zu greifen? Seine stolzen Schuppen sind wie feste Schilder; seine Augen sind wie die Augenlider der Morgenröte; aus seinem Munde fahren Fackeln, und feurige Funken schießen heraus. Wenn er sich erhebt, so entsetzen sich die Starken; und wenn er daherbricht, so ist keine Gnade da. Er achtet Eisen wie Stroh, und Erz wie faules Holz –«

Der heilige Georg, der sehr bibelfest war, harrte bescheiden, bis der Einsiedler Atem schöpfte, und sagte dann: »Ich weiß, ehrwürdiger Vater, so heißt es Buch Hiob, Kapitel 41 –«

Aber der Einsiedler hatte es nicht gerne, wenn man seine Rede unterbrach, und fuhr fort: »Kein Pfeil wird ihn verjagen; den Hammer achtet er wie Stoppeln; er spottet der bebenden Lanze. Nach ihm leuchtet der Weg, er macht die Tiefe ganz grau; auf Erden ist ihm niemand zu gleichen; er verachtet alles, was hoch ist, er ist ein König über die Stolzen –«

»Aber wo ist er zu finden?« rief der heilige Georg.

»Das steht nicht geschrieben«, versetzte der Einsiedler, ermattet von seiner großen Deklamation.

»Und habt Ihr ihn nicht gesehen, auf Euren Wegen, ist er nicht vorübergekommen vor Eurer Klause?«

»Gesehen? Nein, gesehen habe ich ihn nie! Gott hat mir immer seinen gnädigen Schutz angedeihen lassen. Und vor meiner Tür ist ein Pentagramma angebracht; da kann all das Teufelszeug nicht heran.«

 

Der heilige Georg empfahl sich.

Freundlich beschnupperten ihn die Tiere des Waldes; denn sie erkannten den Heiligen in ihm, obwohl er keinen Heiligenschein trug. Er kraute ihnen liebreich die Ohren, bevor er seinen Schimmel bestieg. Dann ritt er fürbaß, bis er vor die Klause des zweiten Einsiedlers kam.

Der zweite Einsiedler machte ein sehr bedenkliches Gesicht, als er von den Plänen des heiligen Georgs erfuhr.

»Den Drachen kenn ich wohl, mein Sohn«, sagte er. »Nur rate ich dir, geh ihm aus dem Wege, geh ihm aus dem Weg! Und wenn du ihn bis jetzt nicht angetroffen hast, so danke Gott dafür inbrünstiglich, und vermiß dich nicht dessen, was Gott in seiner unerforschlichen Gnade dir vorenthält. Als ich jung war und mein Sinn auch nach eitel Ehren und Waffentaten stand, habe ich mich selbst mit dem Gedanken getragen, den Kampf gegen den Drachen aufzunehmen; aber Gott hat meinen Sinn erleuchtet, und ich habe abgelassen von den Werken der Ruhmsucht. Gott liebet diejenigen, so da demütig sind und nicht trachten nach ihrem Stolz.«

»Ehrwürdiger Vater«, versetzte der heilige Georg, »ich glaube Euch versichern zu dürfen, daß es nicht eitle Ruhmsucht ist, die mich treibt, mein Werk zu vollbringen, sondern das Mitgefühl mit der Not aller derer, die der gräuliche Drache bedroht.«

Aber auch der zweite Einsiedler hatte es nicht gerne, wenn man seine Rede unterbrach und fuhr fort:

»Lieber Sohn, hüte dich vor den Fallstricken des Bösen! Er packt uns bei unserer Eitelkeit und verblendet uns durch schöne Worte. Hinweg mit den ritterlichen Beinschienen und dem spiegelblanken Harnisch! Hülle deinen Leib in ein hären Gewand und kasteie dich! Dann wirst du die Arglist des Erzfeindes erkennen lernen. Innewerden mit Zerknirschung wirst du, daß sich hinter deinen Absichten und Plänen die alte Schlange verbirgt. Denn vernimm: Alles, was opus operatum ist, führt nicht zum wahren Heile. Darum tu ab von dir alle Pläne und Absichten, und laß Gott walten! Er allein ist der Herr! Er tötet die Drachen zu ihrer Zeit und erhält sie am Leben, so lange es ihm gefällt. Glaubst du, er braucht deines Armes, um seinen Willen zu vollstrecken?«

Damit ließ der Einsiedler den heiligen Georg stehen und ging eilig von dannen; denn es war gerade die Stunde, da er das Glöcklein seiner Kapelle zu läuten pflegte.

Der heilige Georg war über diese Worte sehr betrübt. Er fühlte, wie sein tapferes Heldenherz schwer hinter dem spiegelblanken Harnisch hing und die Freudigkeit seiner Seele davonschlich, als hätte jemand mit Knütteln nach ihr geschlagen.

Dennoch ließ er nicht ab von seinem Vorsatz. Lange ritt er querwaldein, bis er den dritten Einsiedler fand.

Der dritte Einsiedler war schon uralt. Seine Stimme klang wie aus einer andern Welt, und seine Augen schienen mehr nach innen als nach außen zu blicken. Auch sein Gehör war nicht mehr ganz auf die Töne dieser Welt gestimmt; der heilige Georg hatte seine liebe Mühe, sich verständlich zu machen und mußte alles dreimal wiederholen.

»Den Drachen kenn ich wohl, mein Sohn«, begann der uralte Einsiedler, nachdem er lange medidiert hatte. »Aber wisse: hier obwaltet ein großes Mißverständnis. Du lebst in dem Wahne, daß du den Drachen in der äußeren Welt aufsuchen und töten müßtest. Es gibt aber gar keinen Drachen in der äußeren Welt – denn es gibt auch keine äußere Welt. Der Drache ist ein inneres Erlebnis; er wohnt in dir selbst. In deinem Innern mußt du ihn aufspüren, mußt du ihn jagen, mußt du ihn töten –«

»Verzeiht, ehrwürdiger Vater«, versetzte der heilige Georg, »ich meine den wirklichen Drachen, der schon so viele Unglückliche aufgefressen hat.«

Aber auch der uralte Einsiedler hatte es nicht gerne, wenn man seine Rede unterbrach, und fuhr fort:

»Ich werde dir sagen, wer dieser Drache ist. Dieser Drache, das ist dein Ich mit seinem Eigenwillen und seiner Selbstsucht. Oder, allgemeiner gefaßt: das principium individuationis, das ist der rasende, gefräßige, siebentöterische Drache, der Urheber jener Lüge, welche du die wirkliche Welt nennst. Zertritt ihm den Kopf, mein Sohn! Das heißt, verneine ihn, vernichte ihn in dir! Wenn du ihn in dir vernichtest, so vernichtest du mit ihm die sogenannte wirkliche Welt – also gesetzt auch, es befände sich unter der Summe von Täuschungen, aus denen die sogenannte wirkliche Welt besteht, eine Täuschung in der Gestalt eines Drachen, so wirst du diese Täuschung am besten besiegen, wenn du sie in dir, zugleich mit allen übrigen Täuschungen, besiegst.«

Der heilige Georg setzte sich verwirrt auf einen bemoosten Stein.

Indessen verbreitete sich der uralte Einsiedler noch ausführlicher über seine Methode des Kampfes gegen Drachen. Er schloß:

»Sieh mich an, ich bin der wahre Drachentöter! Ich habe die Welt überwunden und ihre Lüste! In mir ist ihr Wesen zur vollen Selbsterkenntnis gelangt und hat sich selbst aufgehoben durch freie Verneinung. Bald wird auch die letzte armselige Spur der Welt, dieser hinfällige Leib, ausgetilgt sein. Die Welt, sie wird erlöst mit mir in das göttliche Nichts dahinschwinden!«

Er machte eine große, weltumfassende Handbewegung, als wollte er den heiligen Georg wie einen Fleck aus seiner Sphäre wegwischen.

Bange erhob sich der heilige Georg und stammelte:

»Aber ich? Was bin denn ich? Bin ich auch nur eine Täuschung, die ins Nichts dahinschwinden wird, sobald Ihr das Zeitliche segnet, ehrwürdiger Vater?«

Auf diese Frage gab der uralte Einsiedler keine Antwort; denn er war bei dem Worte Nichts in Verzückung gefallen.

Der heilige Georg ritt weiter. Sein junges Gesicht war noch viel blässer geworden. Er dachte in seinem Sinn, daß es doch wohl leichter sei, mit Drachen zu kämpfen, als sich mit Einsiedlern zu unterreden.

Am Saume des Waldes hielt er an. Da lag die Welt so leuchtend und licht; auf dem sonnigen Himmel hingen muntere Wölkchen, vor denen die Lerchen tirilierten; in silbernem Grün standen die Saatfelder, und wenn der Wind über sie hinlief, spielten sie mit ihm in weichen, zärtlichen Wellen. Unten im Thal stieg aus den Schornsteinen wohlgemut und aufrecht ein blauer Rauch wie ein Lobgesang behaglicher Heimstätten über die Strohdächer. Ein warmer Geruch von sonnebeschienenem Wiesenheu schwebte in der Luft, die sich schmeichelnd dem heiligen Georg an die Wangen legte. Zutrauliche Schmetterlinge setzten sich auf seine Hände, geschäftige Bienen ruhten sich auf seinen Locken aus, neugierige Vögel hüpften aus den Zweigen hervor, um ihn mit glänzenden Augen in der Nähe zu betrachten.

Und den Weg herauf, der sich zwischen den Ähren schlängelte, kam ein fahrender Spielmann gegangen. Der sprach zu ihm:

»Was stehst du hier so betrübt, du lieber Gesell? Die Welt lacht dich an – willst du ihr nicht mit einem freundlichen Gesicht erwidern?«

»Ach«, versetzte der heilige Georg, »dies Lächeln der Welt schneidet mir ins Herz! Liegt sie nicht da wie ein Kindlein in der Wiege, das die Arme ausstreckt nach der Mutter, unschuldig und sonder Arg? Aber ehʼ man sichʼs versieht, kann der Drache über sie hereinbrechen und all ihre süße Seligkeit in bitteres Herzleid wandeln! Deshalb bin ich ausgezogen, den Drachen zu töten; aber der Drache verbirgt sich vor mir, und ich sehe wohl, es wird mir nicht beschieden sein, die Welt von ihm zu befreien.«

Der Spielmann betrachtete den heiligen Georg mit herzlichem Wohlgefallen. »Wohlan denn« sagte er, »nimmst du mich mit, so will ich dich die Wege führen, wo der Drache lauert. Du bist ein gar unschuldiges junges Blut; ich aber bin viel in der Welt herumgekommen, in ihren Höhen und in ihren Tiefen. Und wenn wir dem Drachen begegnen, dann fasse du dein Schwert, und ich will meine Laute schlagen. Ein tapferes Schwert, ein tapferes Lied, sollten die nicht des Drachen Herr werden?«

So zogen sie selbander hinaus in die weite Welt, den Drachen, den Drachen zu töten.

Einsame Gegend

Jäh stürzt der Berg hinunter ins Meer. Auf seinem Abhang trägt er viele bunte Steine: weiße Marmortrümmer mit verspülten Ornamenten, roten Porphyr und gelbgefleckten Alabaster, blauen Labrador, auf dem die Sonne metallische Funken entzündet, Jaspis und Achat. Alles Köstliche, an dem eine hohe Kultur sich ergötzte, liegt hier beisammen – ein Haufen schöner Scherben.

Oben, wo eine zackige Felswand den Gipfel krönt, wächst ein Feigenbaum mit Früchten, die niemand pflückt. Eine abgestorbene Aloe kauert neben ihm; sie streckt aus ihren braunen, runzeligen Blättern einen kahlen Blütenstengel hoch hinauf in die heiße Luft. Olivenbäume, kärglich befiedert mit dünnem silbernen Laub, stehen einzeln umher. Wie vom Durste gepeinigt, winden sich ihre verlechzten Stämme. Aber satt gleißen die grünen Aloen, die in breitem Gestrüpp den Fuß des Felsens umgeben. Zwischen ihren Blättern, die scharf und spitzig sind wie Schwerter, verbirgt sich ein Säulenkapitäl. Und ein Portikus mit gebrochenen Säulen erhebt sich inmitten. Er führt in die dunkle, verschwiegene Felsentiefe,

In ihrem Innern ruht ein Tempel verschollener Götter, eingeschnitten in das harte Gestein. Der Eingang ist verschüttet, durch viele Erdbeben verschüttet, die alle verwitterten Brocken des Felsengipfels heruntergegossen und die Säulen des Portikus. geknickt haben wie Rohrschäfte. Unzugänglich ragt die Felswand vor dem Heiligtum; mit trotziger Abwehr schaaren sich die Aloen herum und verbieten den Zugang.

In mondlosen Nächten, wenn der Himmel von Sternen funkelt, und spielende Delphine Krystalle über das aufrauschende Meer streuen, geht eine hohe marmorne Frau aus dem verschütteten Eingang hervor. Stilvoll geordnet fällt ihr weißes Gewand in unbeweglichen Falten an ihren Gliedern herab. Sie berührt im Schreiten mit ihren nackten Füßen den Boden, aber die Schwerter der Aloen verletzen sie nicht.

Am Strande des Meeres bleibt sie stehen und wendet sich hinaus ins Grenzenlose. Ihre rechte Hand erhebt sie ausgestreckt zum Himmel. Ist es eine Klage? Ist es eine Drohung? Ist es eine Beschwörung? Und ihre linke Hand ruht, zur Faust geballt, auf ihrer steinernen Brust, als wollte sie die starre Oberfläche zerdrücken, oder als wollte sie die starre Oberfläche verteidigen. Und ihre blinden Statuenaugen schauen hinaus in eine Welt, die jenseits ist.

Und wie sie steht und schaut, öffnen sich ihre Marmorlippen zu einem Seufzer.

Als ein tötlicher Hauch geht dieser Seufzer durch die Welt. Die Luft wird kalt, das Meer verstummt, die Delphine sinken in die schwarze Tiefe. Alles Lebendige erstarrt in eisigem Schweigen. Stille des Todes breitet sich aus. Nur in ihrer unnahbaren Höhe funkeln die Sterne, die ewigfernen Sterne.

Aber wenn aus den Morgenwolken die lärmende Sonne bricht, ist die bleiche steinerne Frau verschwunden.

Und die Sonne steigt. Brennend steigt sie herauf über die verlassene Küste. Die Felswand glüht; die Oliven werden aschfarben, der Feigenbaum welkt und seine kleinen Früchte beben vor Angst, zu verdorren.

Da kommt aus dem verschütteten Tempel die andere Gottheit hervor. Ein seltsames zottiges Wesen mit einem spöttischen Bocksgesicht und behenden Bocksbeinen. Kurze dicke Hörner wachsen über seiner braunen Stirne, die von Fett und Schweiß glänzt. Breitspurig stellt es sich zwischen den Trümmern auf und läßt mit Behagen die Sonne auf seine haarige Brust scheinen. Doch nicht lange bleibt der Gott still. Er klettert auf die Kante der Felsen und lugt neugierig hinüber in das Tal, wo die Ziegen weiden. Und wenn ein einfältiger Hirte, der sich zu weit vorgewagt hat, vor seinem Anblick erschrocken die Flucht ergreift, bricht er in schallendes Gelächter aus. Lachend jagt er mit tollen Sprüngen über den Abhang zur Küste, daß der Schutt in Staubwolken aufwirbelt und die bunten Steine hinter ihm her kollern. Unten wirft er sich in die laue Flut, stampft mit den Füßen, wälzt sich jauchzend auf einer Sandfläche und hascht nach den silbernen Fischen, die zutraulich um ihn herumschwänzeln. Dann springt er heraus auf eine Klippe, sitzt dampfend in seiner heißen feuchten Bockshaut und holt die Flöte hervor, die hinter seinem hochgespitzten Ohr steckt. Er beginnt zu blasen, Wunderliche alte Weisen bläst er, Urtöne, die kein menschliches Ohr mehr vernehmen kann.

Und während er spielt, geht eine heimliche Bewegung durch die Welt. Das Meer wird blauer, der Himmel glänzender; die Olivenbäume richten sich auf wie vom Regen belebt; die kleinen Feigen schwellen an; in dem Innern der gepanzerten Aloen gehen winzige Knöspchen künftiger Blüten auf; vertrocknete Samen, die der Westwind ans Land geweht hat, regen sich im Staube und wollen keimen.

Aber wenn die Dämmerung über das Meer streicht, ist der übermütige alte Gott in den Felsen zurückgekehrt.

Hinter dem verschütteten Eingang wohnen die beiden Gottheiten. Dort sind sie beisammen. Aber niemand weiß, wie. In dieser Tiefe ist alles Geheimnis. Hassen sich die Beiden, die so ungleich sind? Oder lieben sie sich mit jener unglücklichen Leidenschaft, mit der die Gegensätze ewig zu einander streben?