Effekte der psychosozialen Betreuung in Form von Wohlfühlanrufen auf alte Menschen

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Effekte der psychosozialen Betreuung in Form von Wohlfühlanrufen auf alte Menschen
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Ronja Schüttken

Effekte der psychosozialen Betreuung in Form von Wohlfühlanrufen auf alte Menschen

Eine wissenschaftliche Untersuchung zu den Effekten zwischenmenschlicher Kommunikation auf Körper, Geist und Seele

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Eidesstattliche Erklärung

Danksagung

Tabellenverzeichnis

Zusammenfassung

1. Einleitung

1.6. Die Wohlfühlanrufe

1.7. Hintergrund zur Forschungsfrage

2. Das Methodische Vorgehen bei der Datenerhebung

2.2. Erstellung der Interviewleitfäden

Interviewleitfaden gerichtet an die Mitarbeiter der W.F.A.

Interviewleitfaden gerichtet an die Angehörigen der Nutzer

2.3. Zur Durchführung der Interviews

2.4.Zur Transkription des Datenmaterials

2.5. Die Auswertung des Datenmaterials

2.6. Die inhaltliche Konstruktion des Fragebogens

2.7. Die formale Konstruktion des Fragebogens

2.8. Zur Durchführung der Befragung

3.1. Ergebnisdarstellung der offenen Interviewerhebungen

3.1.1. Gründe, die zur Inanspruchnahme des Angebots führen

3.1.2. Ursachen für das erlebte Alleinsein

3.2. Ergebnisse aus der standardisierten Befragung

4. Diskussion

4.2. Die Wirkungen von guten Gesprächen

4.3. Der Einfluss von zwischenmenschlichen Beziehungen auf die Gesundheit

4.4. Zur psychosozialen Betreuung in der Pflege

4.5. Ausblick

Literaturverzeichnis

Standardisierter Fragenkatalog

Auswertungsergebnisse der standardisierten Befragung

Impressum neobooks

Eidesstattliche Erklärung

„Ich erkläre hiermit an Eides statt, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig und ohne Benutzung anderer als der angegebenen Hilfsmittel angefertigt habe; die aus fremden Quellen direkt oder indirekt übernommenen Gedanken sind als solche kenntlich gemacht. Die Arbeit wurde bisher in gleicher oder ähnlicher Form keiner anderen Prüfungsbehörde vorgelegt und auch noch nicht veröffentlicht.“


Westerkappeln, 20.02.2015

________________________ _______________________

Ort, Datum Unterschrift

Danksagung

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit dem Kernthema der Einsamkeit und der wohltuenden Wirkung von qualitativ hochwertigen Gesprächskontakten. Als berufsbegleitende Studentin lief ich ebenfalls oft die Gefahr soziale Kontakte zu vernachlässigen. Doch habe ich mich nie einsam fühlen müssen. Ich danke vorrangig meiner Familie und meinen Freunden für das mir entgegengebrachte bedingungslose Verständnis, welches meiner beruflichen Situation in den vergangenen Jahren galt.

Aber auch für die stetige Unterstützung, welche ich in allen erdenklichen Dimensionen einmal beanspruchte. So gilt mein nächster Dank Professor Dr. Christel Kumbruck, die ebenfalls jederzeit an meiner Seite gestanden hat und mir bei der Umsetzung meiner Zielverfolgung für das Thema der Bachelorarbeit eine großartige Unterstützung gewesen ist. Auch danke ich dem Verein Ambulante Versorgungsbrücken e.V. in Bremen, welcher mir ein überaus interessantes Angebotssetting zur Datenerhebung geboten hat. Was die Themenfindung meiner Bachelorarbeit angeht, so habe ich vielen Kollegen und Klienten zu danken, die es mir erst ermöglicht haben, die Wirkungen der psychosozialen Betreuung intensiv wahrnehmen zu können, denn diese Erfahrungen bildeten das Fundament meiner Bachelorarbeit. Abschließend danke ich insbesondere meinen Eltern, die sich meine Wahrnehmungen stetig anhören mussten und dabei nicht das Interesse an meinen Gedanken und Erfahrungen verloren haben. So habt ihr mir immer ein offenes Ohr geschenkt und mir ein aufrichtiges Interesse an meinen Gedanken signalisiert, so dass sich mir durch diese wertvollen Gespräche stetig neue Gedankengänge offenbarten, die meinen Horizont immer wieder aufs Neue erweiterten. Daher widme ich die vorliegende Arbeit meinen lieben Eltern.

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Interviewleitfaden gerichtet an die Mitarbeiter der W.F.A. 19

Tabelle 2: Interviewleitfaden gerichtet an die Angehörigen der Nutzer 20

Tabelle 3: Interviewleitfaden gerichtet an die Nutzer der W.F.A. 21

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Zur Altersstruktur der befragten Nutzer 39

Abbildung 2: Zum Einsamkeitserleben 40

Abbildung 3: Wie oft erhalten Sie einen Wohlfühlanruf 41

Abbildung 4: Zur Wirkung der Wohlfühlanrufe 42

Abbildung 5: Das Besondere an den Wohlfühlanrufen 43

Abbildung 6: Unterschied zwischen gewöhnlichen Anrufen und den

Wohlfühlanrufen 44

Zusammenfassung

Die vorliegende Arbeit, verfasst unter dem Titel: „Effekte der psychosozialen Betreuung in Form von Wohlfühlanrufen auf alte Menschen“ befasst sich intensiv mit den Auswirkungen einer erlebten Einsamkeit und der positiven Wirkung von befriedigenden Gesprächen in Bezug auf die physische und psychische Gesundheit.

So ist die Arbeit mit der Intension verfasst, dem Leser den Wert von qualitativ hochwertigen Beziehungen für die eigene Gesundheit zu vermitteln und zugleich um die sich daraus ergebenen möglichen Anforderungen, gerichtet an Pflegefachkräfte, in der professionellen Altenpflege beurteilen zu können.

Im ersten Teil der Arbeit werden mögliche Gründe für eine erlebte Einsamkeit (im Alter) und deren Folgen bearbeitet und in einem weiteren Schritt die Wirkungen der psychosozialen Betreuung in Form von Gesprächen herausgearbeitet.

Im zweiten Teil der Arbeit bezieht sich die Autorin auf das Angebot der Wohlfühlanrufe, welches von dem Verein Ambulante Versorgungsbrücken e.V. in Bremen angeboten wird und sich an die Generation 60+ richtet, mit dem Ziel, die soziale Teilhabe der Nutzer zu wahren.

In einer von der Autorin ausgeführten Untersuchung zu den Effekten der Wohlfühlanrufe konnte herausgearbeitet werden, dass diese Wohlfühlanrufe eine signifikante Bedeutung für die überwiegende Anzahl der befragten Nutzer des Angebots besitzen. So erzeugte dieses Angebot vielfältige Wirkungen bei der Klientel der Interviewten und befragten Nutzer. Die wahrgenommenen Wirkungen lassen sich insbesondere mit den Worten „die Wohlfühlanrufe tun gut“ zusammenfassen.

Ebenfalls wird das methodische Vorgehen zur Datenerhebung und der Auswertung der gewonnenen Ergebnisse nachvollziehbar dargelegt.

Am Ende der Arbeit wird diskutiert, inwiefern es sich für eine wohlhabende Gesellschaft mit starken Individualisierungstendenzen und ebenfalls zunehmenden singularisierten Lebensformen, welche das Vorkommen von erlebter Einsamkeit begünstigen, als lohnenswert darstellt, in Angebote der psychosozialen Betreuung für insbesondere pflegebedürftige alte Menschen zu investieren, um letztendlich deren Gesundheit zu fördern, beziehungsweise um Krankheiten zu präventionieren.

Abstract

 

My thesis, entitled: "Effects of psychosocial support derived from feel-good calls on the elderly" intensively examined the effects of prolonged loneliness and the favorable effects of positive social interactions in terms of physical and mental health.

Thus, the thesis was written with the intention to show the reader the value of quality relationships for the patient’s own health and at the same time directed to the possible consequential requirements devoted to the caregivers of the elderly.

In the first part of this work, possible reasons for loneliness (in the elderly) and their effects have been researched.

In the second part, the author discusses feel-good calls, which are offered by the Verein Ambulante Versorgungsbrücken e.V. in Bremen and is geared towards the 60 plus age range, with the aim to preserve the social participation of users. Also, how psychosocial support affects the patients are reviewed.

In a study carried out by the author, positive effects of well-being calls are evident, as the users surveyed confirm the significance that these calls had on them. Therefore, it can be concluded that well-being calls are highly beneficial to the patients receiving them.

In conclusion, my thesis showed that it is worthwhile to invest in psychosocial care for elderly patients. The elderly have strong tendencies to keep their independence as long as they can and as a result, they have a greater chance of developing loneliness. This correlates with increased stress and vulnerability to diseases. However, this can be reversed with the use of well-being calls, which leads to positive effects on the patient’s physical and mental health.

1. Einleitung
1.1. Herleitung der Fragestellung

Beruflich bin ich seit kurzem als Pflegedienstleitung bei einem ambulanten Pflegedienst tätig. Während meiner bisherigen zehnjährigen beruflichen Praxis, die ich zum Teil in der stationären -, ambulanten- und 1:1 Intensivpflege als Praktikantin, Auszubildende der Altenpflege und schließlich als examinierte Pflegefachkraft absolviert habe, hatte ich überwiegend Kontakt zu älteren, pflegebedürftigen Personen. Zu jener Zeit und zurzeit beobachte ich stetig, dass viele pflegebedürftige Menschen auf vielfältige Art und Weise weit mehr einfordern als die manuelle Verrichtung von pflegerischen Tätigkeiten. Damit ist die psychosoziale Betreuung in Form von Gesprächen gemeint. So konnte ich wahrnehmen, dass ein aufrichtiges Interesse an dem jeweiligen Mitteilungsbedürfnis des zu Pflegenden sich begünstigend auf dessen individuellen Allgemeinzustand auswirken konnte. Darüber hinaus konnte ich wahrnehmen, dass sich aufrichtige Gespräche beruhigend auf den Gemütszustand des zu Pflegenden auswirken – Schmerzäußerungen lindern, - oder sogar neuen Lebensmut schenken konnten. Ebenso beobachtete ich, dass wenn die Rahmenbedingungen eine solche Gesprächssituation auf Dauer nicht zugelassen haben, dieser Umstand Zustände der Unruhe, Trauer, Resignation, Schmerzäußerungen oder auch aggressives Verhalten begünstigten und verstärkten. Wenn ich von aufrichtigem Interesse ausgehend der Pflegepersonen gegenüber dem zu Pflegenden spreche, dann meine ich nicht lediglich ein Interesse an dem jeweiligen Wohlbefinden des Pflegebedürftigen, sondern ein generelles Interesse an dem jeweiligen Gesprächsbedarfen des zu Pflegenden. Dabei muss es sich nicht um existentiell krisenhaft besetzte Gesprächsthemen handeln. Die Themenvielfalt variiert von alltäglichen Gesprächen bis hin zu allen denkbaren Themenvariationen, die vom zu Pflegenden ausgehen und beim Pflegenden Gehör finden sollen. So unterstelle ich unter anderem der aufrichtigen Beziehungspflege zwischen Pflegendem und zu Pflegenden eine gesundheitsfördernde Wirkung. Daher soll in der vorliegenden Arbeit der Wert von aufrichtigen Gesprächen verdeutlicht werden. Auch soll auf den Mangel von sozialen Kontakten und insbesondere auf das daraus möglicherweise resultierende Gefühl der Einsamkeit eingegangen werden.

So beziehe ich mich im ersten Teil dieser Arbeit auf die Personengruppe der älteren, gesundheitlich eingeschränkten Personen und beschreibe, warum insbesondere diese Personengruppe in unserer sich zurzeit wandelnden Gesellschaft Gefahr läuft einem Gefühl der Einsamkeit zu unterliegen. So gehe ich auch auf die möglichen Ursachen und Folgen einer erlebten Einsamkeit ein.

Im weiteren Verlauf werden mögliche Folgen von einer erlebten Einsamkeit und die bewusste und unbewusste Wirkung zwischenmenschlicher Beziehungen für die physische und psychische Gesundheit dargestellt. Auch soll der Frage nachgegangen werden, inwiefern es professionell Pflegenden, die in Einrichtungen der Seniorenbetreuung arbeiten, möglich ist, diesen Gesprächsbedarfen nachgehen zu können. Im zweiten Teil dieser Arbeit beziehe ich mich auf ein ergänzendes Angebot der psychosozialen Betreuung, welches sich vornehmlich an die Generation 60+ richtet, mit dem Ziel, die soziale Teilhabe der Nutzer des Angebots zu wahren. Hier soll der bewusste Wert von zwischenmenschlichen Beziehungen für das eigene Erleben verdeutlicht werden. So wird der Frage nachgegangen, ob gute zwischenmenschliche Beziehungen überhaupt einen bewussten, offensichtlichen Wert für den Alltag haben und wenn ja, welche wahrgenommenen Wirkungen durch befriedigende Gespräche erlebt werden. Ebenfalls soll herausgearbeitet werden welche Faktoren diese Personengruppe als Indikatoren heranzieht, um die jeweilige Gesprächsqualität in zwischenmenschlichen Beziehungen zu beurteilen.

Ich beziehe mich dabei auf das Angebot der Wohlfühlanrufe, angeboten von dem Verein Ambulanten Versorgungsbrücken e.V. in Bremen. Die Wohlfühlanrufe bieten den Nutzerinnen und Nutzern des Angebots die Möglichkeit in individuell festgelegten Zeitintervallen einen Anruf von einer für sie unbekannten, ehrenamtlich arbeitenden Person zu erhalten. In diesem Teil der Arbeit wird eine von mir ausgeführte Untersuchung (unterteilt in zwei Datenerhebungen) zu den Gründen der Inanspruchnahme und der wahrgenommenen Wirkung dieser Anrufe bei dem Nutzer nachvollziehbar dargestellt werden. Darauf folgend beziehe ich mich auf die Ergebnisse meiner Untersuchung und deren Bedeutung für den Umgang mit Personen, die in die Gefahr einer sozialen Isolation laufen. Daher lautet der Titel dieser Arbeit: „Effekte der psychosozialen Betreuung in Form von Wohlfühlanrufen auf alte Menschen.“ Zum Schluss der vorliegenden Arbeit soll der Leser befähigt worden sein, einen Teil der kommunikativen Anforderungen, die sich unter anderem an Pflegefachkräfte in der professionellen Pflege richten, nachvollziehen zu können. Die vorliegende Arbeit ist mit der Intention verfasst worden, dem Leser den Wert (von einem Teil) des kommunikativen Aufgabenprofils professionell Pflegender transparent zu verdeutlichen. Darüber hinaus soll der Leser befähigt werden um einen allgemeinen Wert von sozial befriedigenden Kontakten, die aus guten Gesprächen resultieren, für die eigene Gesundheit beurteilen zu können.

1.2. Die Gesellschaft im demographischen Wandel

Unter dem demographischen Wandel versteht man die Veränderungstendenzen einer Gesellschaft.

In Deutschland verändert sich die Gesellschaft dahingehend, dass es zunehmend ältere Menschen geben wird. Im Jahr 1970 wurde ein 60-jähriger Mann durchschnittlich 75 Jahre alt, im Jahr 2008/2010 prognostizierte man der gleichen Personengruppe eine durchschnittliche Lebenserwartung von 81. Lebensjahren. Die Tendenz ist steigend. So geht man davon aus, dass die Lebenserwartung der 60-jährigen Männer im Jahr 2060 dass 87. Lebensjahr erreichen werde (bpb. 2012, Lebenserwartung).

Zwar hat der medizinische Fortschritt und die zunehmende Lebensqualität, wie die Verbesserungen der Hygiene, Ernährung, Arbeitsbedingungen, Sicherheit, dazu geführt, dass die Lebenserwartung in Deutschland deutlich gestiegen ist, dennoch stellt man eine Abnahme bei der Anzahl der deutschen Bevölkerung fest, da die Geburtenrate deutlich abgenommen hat (bpb. 2012, Lebenserwartung). Ein Ungleichgewicht zwischen der Abnahme der Geburtenrate und der Zunahme der Sterbefälle konnte erstmals im Jahr 1972 verzeichnet werden (bpb, 2012, Geborene und Gestorbene).

Als Ursprung der demographischen Entwicklung wird der zunehmende Wohlstand in unserer Gesellschaft, hervorgerufen durch die Industrialisierung und Einführung der staatlichen Sicherungssysteme, angesehen, denn zuvor diente eine hohe Anzahl an eigenen Kindern zur sozialen Sicherung (Sütterlin, S. 2008, Deutschland – eines der kinderärmsten Länder). Der steigende Wohlstand hat laut dem Soziologen Ulrich Beck nicht nur Einfluss auf die Kinderanzahl in den Familien, sondern auch auf die Lebensform der einzelnen Familienmitglieder. Beck spricht bei der Theorie der Individualisierungsthese in der Risikogesellschaft von vielfältigen neuen Lebensformen (Beck, 1986: Risikogesellschaft). Laut Beck lösen neue Lebensformen das Leben in der traditionellen Familie ab. Zuvor habe das Individuum aus Sicherheitsgründen die Lebensform innerhalb der Familie übernommen, durch steigende Sicherheiten für die Biographie eines jeden, sei ein individueller Lebenslauf für den Akteur möglich geworden. Aus den neuen Sicherheiten resultiere aber auch die Verantwortlichkeit für den eigenen Lebensweg. So sei der individuelle Lebenslauf von vielfältigen Entscheidungsverhalten und Unsicherheiten für den weiteren Lebensweg geprägt. Daraus resultiere, dass der individuelle Lebensweg an Anforderungen, Verpflichtungen und Regeln gebunden sei, die mehr Flexibilität und Risikobereitschaft von den Individuen abverlange. Somit werden Regeln und Anforderungen weniger von der Familie gestellt, sondern hauptsächlich institutionell. Damit ist gemeint, dass sich das Individuum unter anderem arbeitsmarkt-, gesundheits- oder bildungsbedingt binde. Die Person unterwerfe sich institutionellen Kontrollmechanismen. Die Folge könne sein, dass neben dem Wegbrechen der traditionellen Familienstrukturen, verschiedenste und eher vereinzelte Lebensformen hervorgerufen werden. Dadurch ist anzunehmen, dass die Anzahl der singularisierten Lebensformen signifikant zugenommen hat und vermutlich zunehmen wird (bmfsfj, 2015, zitiert in Beck, 1986, 206). Die derzeitige Datenlage bestätigt den Trend der Zunahme von vereinzelten Lebensformen. 40% aller Haushalte bestehen in Deutschland zurzeit aus Einpersonenhaushalten (Tesch-Römer, 2010, 207 zitiert nach Mikrozensus, GeroStat 2008). So sind beispielsweise 52 % der über 75-jährigen alleinlebend (Tesch- Römer, 2010, 208 zitiert nach Englster & Menning, 2003).

Man sollte annehmen die Zahlen wirken sich bedrohlich auf das Einsamkeitserleben, insbesondere bei der älteren Gesellschaftspopulation, aus, doch fasst man verschiedene Studien zusammen, die sich mit dem Thema der Einsamkeit im Alter befassen, so lässt sich sagen, dass rund 10 % der alten Menschen in unserer Gesellschaft sich einsam fühlen und dass die demographischen Entwicklungen hin zur individualisierten Gesellschaft bislang kaum Einfluss auf das Einsamkeitserleben zeigen. (Tesch- Römer, 2010, 211 zitiert nach Victor et. al. 2005 & Wenger et. al. 1996).

1.3. Einsamkeit

Es scheint offensichtlich zu sein, dass die Wohnform des Alleinlebenden nicht automatisch eine erlebte Einsamkeit bei den Betroffenen resultieren lässt. Für das Einsamkeitserleben spielen sicherlich weitere Faktoren eine große Rolle. Doch stehen alle Faktoren, die das Einsamkeitserleben begünstigen könnten, in Bedingung mit der Verfassung der eigenen Gesundheit und mit der Fähigkeit Kontakte zu knüpfen und sie aufrecht erhalten zu können, aber auch der Fähigkeit sich selbst sinnvoll zu beschäftigen (Petrich, 2011, 20 zitiert in Schwab 1997, 43). Daher unterstelle ich der Personengruppe der älteren, gesundheitlich eingeschränkten Menschen in unserer Gesellschaft, dass sie insbesondere eine Risikogruppe für das Einsamkeitserleben bilden. Untersuchungen im Rahmen der Pflegebedarfsplanung im Jahr 2000 gaben bekannt, dass 4 von 5 Befragten gesundheitliche Gründe für den Einzug in ein Altenheim nannten. So gaben 82% der befragten Altenheimbewohner an, vor dem Heimeinzug enorme Schwierigkeiten bei der Selbstversorgung gehabt zu haben (Stracke-Mertes, 2003, 112 - 113). Bei einer Angehörigenbefragung zu den Gründen des Heimeinzugs im Jahr 1999 (Mehrfachnennungen möglich) wurde von 43% der Befragten angegeben, dass es an räumlichen und zeitlichen Möglichkeiten zur Versorgung des Pflegebedürftigen fehlte. Weitere 48% gaben eine bestehende Inkontinenz des zu Versorgenden an, während 46% eine starke Verwirrtheit des Pflegebedürftigen als Grund nannten (Stracke-Mertes, 2003, 113). Somit zeigt sich, dass die Personengruppe der Heimbewohner, zum Zeitpunkt der Untersuchung, Einschränkungen in den Aktivitäten des täglichen Lebens, welche eine soziale Isolation begünstigen könnten, aufgewiesen hat. Diese Einschränkungen sind in der Regel auf langanhaltende (chronische), gesundheitliche Schäden zurückzuführen oder resultieren aus dem hohen Alter und der damit einhergehenden individuellen Abnahme der körperlichen Leistungsfähigkeit.

 

In Einrichtungen der Seniorenbetreuung findet man überwiegend eine Personengruppe vor, bei der eine für mindestens voraussichtlich mehr als sechs Monate anerkannte Pflegebedürftigkeit vorliegt.(bfg, 2014. Pflegebedürftigkeit) Dies liegt daran, dass sich diese Wohnform an diese Klientel richtet und sich die Leistungen der Pflege über dieses Kriterium zum Teil finanziert. Auch bildet die Personengruppe der pflegebedürftigen, älteren Menschen in den Altenheimen eine starke Gruppe was das Nicht-Vorhandensein (der sozialen Ressource) eines Lebenspartners betrifft, so lebten 1997 rund 92% nicht verheiratete Bewohner (67,2 % verwitwet, 19,7% ledig und 5,1% geschieden) in den Altenheimen (Stracke-Mertes, 2003, 110 zitiert in Klein et. al. 1997,56). Auch konnte wie oben beschrieben, die mangelnde Zeit der Angehörigen für die Versorgung des zu Pflegenden herausgearbeitet werden, was gegebenenfalls, wenn man die Gründe für die mangelnde Zeit untersuchen würde, auch die Theorie der Individualisierungsthese und dessen Folgen unterstreichen könnte.

Studien, welche das Einsamkeitserleben im Alter untersuchen, unterstehen stark dem Einfluss der Stichprobe. Beispielsweise wird im deutschen Alterssurvey die Personengruppe der Altenheimbewohner nicht abgebildet, da lediglich Personen befragt werden, die in einem Privathaushalt leben und gesundheitlich dazu in der Lage sind an der Befragung teilzunehmen (Tesch- Römer, 2010, S. 209-211). Auch die Art und Weise des Erhebungsverfahrens bei solchen Untersuchungen sollte berücksichtigt werden, da es sicherlich nicht einfach ist das tatsächliche Einsamkeitserleben einer Gesellschaft zu untersuchen.

Dorothea Petrich (Sozialarbeiterin) formulierte es wie folgt: „In einer individualisierten Gesellschaft, die dem Einzelnen suggeriert, selber für sein Schicksal verantwortlich zu sein, führen Einsamkeitsgefühle zu Schuldgefühlen. Der Einsamkeit haftet ein Makel an, über den nicht gern gesprochen wird. Es besteht eine deutliche Zurückhaltung, Einsamkeit zu offenbaren, sowohl sich selbst als auch anderen gegenüber. Das Äußern der Einsamkeit, ja vielleicht leidvoller Gefühle überhaupt, unterliegt einem Tabu.“ (Petrich, 2011, 16)

Dementsprechend liegt es nahe, dass Befragungspersonen nicht unbedingt ihr tatsächliches Einsamkeitserleben bei Befragungen bekannt geben. Ebenso kann es sein, dass Befragungspersonen sich über die tatsächlich erlebte Einsamkeit nicht bewusst sind, da dieses Bewusstsein einer Auseinandersetzung mit dem eigenen Erleben eines heiklen Themas (der Einsamkeit) bedarf.

Für den Begriff der Einsamkeit, gibt es vielfältige Erklärungsansätze. Dabei herrscht Einigkeit darüber, dass es sich bei dem Begriff der Einsamkeit um einen individuell erlebten Mangel an sozialen Beziehungen handelt und dieser Mangel mit unangenehmen Gefühlen verbunden ist. Das Gefühl der Einsamkeit ist dementsprechend beeinflusst von der subjektiv erlebten Qualität und Quantität der gelebten sozialen Beziehungen (Linnemann et. al 1997, 22-26).

Dementsprechend ist es möglich viele Kontakte zu haben und sich dennoch einsam zu fühlen, während sich beispielsweise weniger Kontakte, die aber für das Individuum als qualitativ hochwertig (befriedigend) erlebt werden, es vor dem Gefühl der Einsamkeit bewahren. Einsamkeit wird ganz verschieden erlebt. Sie kann sich auf die Gefühlslage, das Verhalten, das körperbefinden und auch auf das psychische Erleben auswirken (Petrich, 2011, 14). Langandauernde Einsamkeit kann das Selbstwertgefühl der Personen entsprechend herabsetzen, so dass es den Betroffenen kaum noch möglich ist soziale Kontaktaufnahmen für das Gegenüber attraktiv zu gestalten, wodurch ein Rückzugsverhalten bestärkt sein kann (Petrich, 2011, 15). Dauerhafte Einsamkeit kann hingegen zum vollständigen Rückzug und zur sozialen Unfähigkeit bei Kontaktaufnahmen führen (Petrich, 2011,15 zitiert nach Wolf, 2003, 14). So ist auch belegt, dass dauerhaft erlebte Einsamkeit zu Depressionen, Alkoholmissbrauch oder gar suizidalem Verhalten führen kann (Petrich, 2011, 15 zitiert nach Puls, 1989, 314 f.). Wenn aber Einsamkeit solch bedrückende Gefühle bei einem Menschen auslöst, so sollte der Wert zwischenmenschlicher Beziehungen für die Gesundheit ebenfalls betrachtet werden.

1.4. Zur Wirkung zwischenmenschlicher Beziehungen für die Gesundheit

Folgend beziehe ich mich auf Aussagen aus dem Buch „Das Gedächtnis des Körpers – Wie Beziehungen und Lebensstile unsere Gene steuern“. Das Buch wurde von Joachim Bauer (2002) einem deutschen Universitätsprofessor, Molekularbiologen, Neurobiologen und Arzt mit Ausbildung als Internist, Psychotherapeut und Psychiater für psychosomatische Medizin verfasst. Bauer fasst in seinem Buch die Erkenntnisse von über 300 wissenschaftlichen Studien aus dem nationalen und internationalen Raum zusammen, welche sich mit dem Thema der zwischenmenschlichen Kommunikation und den Auswirkungen auf den menschlichen Körper beschäftigen. Was die Wirkung zwischenmenschlicher Beziehungen angeht, so bezieht sich Bauer unter anderem auf Aussagen von Giacomo Rizzolatti, der davon ausgeht, dass der Mensch zum Lernen und Erleben auf menschliche Beziehungen angewiesen sei und dass sich diese Beziehungen als das beste (nebenwirkungsfreie) Medikament gegen seelischen und körperlichen Stress eigne, während ein Verlust solcher Beziehungen das Krankheitsrisiko erhöhe. So könne die Wahrung von qualitativen menschlichen Beziehungen signifikant dazu beitragen die eigene Gesundheit zu wahren (Bauer, 2002 12-13 zitiert nach Rizzolatti, 1996).

Bauer geht davon aus, dass jegliche zwischenmenschliche Interaktion einen Einfluss auf die Aktivität menschlicher Gene hat und es dementsprechend zu stetigen biologischen Veränderungen des Gehirns kommt. Die Veränderungen des menschlichen Gehirns hätten wiederrum Einfluss auf die gesamte körperliche Aktivität des menschlichen Körpers, wie zum Beispiel auf die Vitalwerte oder auf die Wundheilung. Dementsprechend könne man von der sozialen Konstruktion des menschlichen Gehirns sprechen. So sei in der medizinischen Behandlung von Patienten davon auszugehen, dass sich Körper und Geist gegenseitig bedingen und daher neue Verantwortungsbereiche in der somatischen Medizin zu berücksichtigen seien, die eine Betrachtungsweise auf die psychische Verfassung des Patienten unabdingbar machen würden (Bauer, 2002, 7-11).

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