Der Witwer überquert den Berg

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Der Witwer überquert den Berg
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Ronald Kloska

Der Witwer überquert den Berg

Geschichten von Trauer und Glück

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Ronald Kloska

Prolog

Poesie der Reise

Ein Weg für mich

Nochmal. Keine Angst!

Oxford Circus

Bridge of Orchy

Der Doktor

Der Eckbauer

Kaschpreschknödelsuppn

Moaskä bitteschön

Oben

Der Witwer überquert den Berg

Via Dolorosa (Auf dem Weg)

Via Dolorosa (Auf dem Dach)

Die gesetzten Segel

Qigongrinder

Glanz des Alltags

Ein Schaf

Der kleine Schluffi

Nackt duschen

Ein Schwan

Einmal über den Tisch

Paare

Freundinnen

Drei mal sieben

Ein Schmetterling

Spielverderber

Sehr aufmerksam

Ampel

Hemingway

Ein Schneckenhaus

Blasensprungwetter

Wert der Trauer

Dritter Juni kurz vor elf

Die nicht gemähte Wiese

Ein schönes Foto

Gold und Krokusse

Christoph 6

Schön warm hier

Nenne es beim Namen

Glasmenschen (ein Albtraum)

Jazz

Seifrei

Einmetervierzig

Deine neuen Augen

Epilog

Impressum neobooks

Ronald Kloska


Der Witwer überquert den Berg

2021 erstmalig veröffentlicht

Ausgabe als gebundenes Buch

(mit Texten, Farbfotografien und Schwarzweiß-Fotografien)

Ausgabe als ebook

(mit Texten ohne Fotografien)


Ronald Kloska, 1965 in Bremen geboren, lebt heute in Weyhe bei Bremen. Er ist selbstständiger Unternehmer in der Werbe- und Kunststoffbranche. Seine Leidenschaft gilt der Fotografie mit zahlreichen Arbeiten für Presse, Wettbewerbe und Ausstellungen.

Der frühe Tod seiner Frau und kurze Zeit später der seiner Mutter brachten die Worte in ihm in Bewegung. Er begann, Kurzgeschichten zu schreiben, welche oft mit seinen Fotografien illustriert werden. Vor autobiografischem Hintergrund enthalten sie Trauer und Glück, sind nachdenklich und humorvoll, erzählen von Freude und Schmerz, spielen im Alltag und auf Reisen.

Kapitel:

Poesie der Reise

Glanz des Alltags

Wert der Trauer

Prolog

Dies alles siehst du bereits,

obwohl sie noch geschlossen sind.

Mach sie auf und lass sie leuchten,

deine neuen Augen.

Es ist Zeit.


Poesie der Reise

Ein Weg für mich

Nochmal. Keine Angst!

Oxford Circus

Bridge of Orchy

Der Doktor

Der Eckbauer

Kaschpreschknödelsuppn

Moaskä bitteschön

Oben

Der Witwer überquert den Berg

Via Dolorosa (Auf dem Weg)

Via Dolorosa (Auf dem Dach)

Die gesetzten Segel

Qigongrinder

Ein Weg für mich

Ich suche einen Weg für mich,

denn ich bin frei.

Was immer ich neu finde,

wieviel vom Alten bleibt,

es macht mich reich und reicht.

Ein Berghang vor mir, Geröll und Steine.

Steil fällt er ab ins Himmelsblau hinein.

Da muss ich lang, kann aber den Weg fast nicht erkennen.

Mittendrin bleibe ich stehen und mache ein Foto bergaufwärts.

Ein Stein stützt sich auf den anderen.

Alle halten sich gegenseitig.

Fällt einer, fallen alle.

Obwohl ich zuerst den Weg vor lauter Steinen nicht gesehen habe, bin ich bei der Überquerung Teil ihrer Gemeinschaft, auf ihren Halt angewiesen und selber vorsichtig, um keinen loszutreten.

Die Steine sind nicht im Weg, sie sind der Weg.

Nochmal. Keine Angst!

Wechselnde Pfade

Vier Wochen nach ihrem Tod beginnt eine Wanderung mit Freunden. Eine Pilgertour im Weserbergland. Im schützenden Schockzustand gehe ich mit auf den Weg. Alles gut, keine großen Emotionen, ich wundere mich schon. Doch am letzten Tag zieht die Angst eine Mauer hoch, mitten in der Klosterkirche von Loccum.

Wieder nach Hause, was für ein Zuhause?

Wieder in den Alltag, was für ein Alltag?

Neue Ziele..., Ziele?

Neue Wege?

Es beginnt ein schwieriges halbes Jahr.

So beschließe ich, weiter zu laufen.

Immer wieder zieht es mich hinaus.

In die Sonne, in den Regen, über die Felder, in den Wald.

Während die Zimmerdecke bedrohlich absinkt, ziehe ich die Wanderschuhe an und fühle mich wohl unter dem freien Himmel.

Der erscheint mir hoch genug.

Schatten und Licht

Eine Straße am Waldrand. Die Sonne dringt durch das Blätterdach und zaubert einen Straßenbelag aus Schatten und Licht.

Ich versuche erst gar nicht, mich zu entscheiden. Wenn ich weiter will, muss ich durch beides hindurch. Durch das Dunkle und Helle, durch das Böse und Gute, durch Verzweiflung und Zuversicht, durch Schmerz und Freude.

Was ich noch nicht sehen kann, sind die feinen Überschneidungen von ganz oder gar nicht, die Zwischentöne des Lichts, der Tanz der Staubkörner, die Spritzer des Drecks. Während ich über den Sonnenteppich laufe, wirbele ich jede Menge davon auf.

Sie sind da, doch ich nehme sie nicht wahr.

 

Zusammen mit der gesunden Waldluft atme ich sie bereits ein.

Sie werden sich noch öfter zeigen, die Möglichkeiten, die Auswege, die Boten der Hoffnung.

Alles ist Gnade

So war es schon immer.

Das Licht ist die Hoffnung, aber in den Schatten lauert das Unheil. Ohne das eine weiß ich nichts vom anderen.

Ich habe kurz gezögert, als ich bei der Beerdigung von der Kapelle bis zum Grab hinter dem Sarg hinterhergehen sollte. Nun läuft sie immer wieder vor meinen Augen ab, die Szene, als der Sarg in der Dunkelheit des Erdreichs verschwindet. Langsam, aber scheinbar unaufhaltsam empfängt ihn die Endgültigkeit. Leichte Panik steigt in mir auf und ich muss aufpassen, nicht von einem Sog des Mitsterbenwollens erfasst zu werden. Doch ich bleibe am Leben, um Kontrolle bemüht. Komischerweise werde ich später bei jedem Grabbesuch das eingemeißelte Datum von Geburt und Tod überprüfen, nur um jedes Mal wieder festzustellen, dass alles richtig ist.

Die weinenden Gesichter ziehen an mir vorüber. Hier am offenen Grab ist noch nichts davon zu spüren, aber jede Trauerträne kündigt bereits eine an, die irgendwann vor Freude über das Gesicht laufen wird.

Im Grab ist es dunkel, aber das Leben braucht Licht.

Nimm beides oder du hast gar nichts und nichts zu haben ist gnadenlos.

Fürchte dich nicht

Ein Sonnentag.

Die Kinder freuen sich über die Freiheit auf ihren Fahrrädern und spielen das Spiel "Nicht über meinen Schatten fahren!"

Keiner darf über den Schatten der anderen fahren, was aber natürlich jeder mit viel Geschrei und Freude versucht.

Wie konnte ich bloß dieses unbeschwerte Spiel mit den Schatten verlernen.

Wie konnten sie nur plötzlich so mächtig werden.

Ohne Hilfe komme ich da nicht heraus, aus dem geschlossenen Raum der Dunkelheit. Doch für jede Tür, die zuschlägt, gehen zwei neue auf. Ich werde wieder ans Licht kommen.

Vielleicht nicht wie ein Zug, der aus dem Tunnel ins Sonnenlicht fährt und dann gleich die Panoramastrecke entlang der Küste nimmt. Vielleicht eher wie ein Seevogel, der sich mit verklebten Federn aus dem Wasser einer Ölkatastrophe retten kann.

Es wird eine Möglichkeit geben, um wieder zu fliegen.

Ich werde ins Licht fliegen oder fahren oder springen oder kriechen.

Aber ich werde. Keine Angst.

Nochmal.

Keine Angst!

Oxford Circus

"A piece of cheddar-cheese and a slice of ham, please."

Er steht in einem kleinen Laden und kauft für das Frühstück ein. Nach einer verrückten Anreise sind sie auf einem Campingplatz in der Nähe von London gelandet.

"London würde ich gerne mal sehen."

Ja dann los, machen wir!

Sie sind jung und knackig aber der Opel alt und rostig. Noch in Deutschland gibt der Auspuff auf und die Schrottkarre wird laut und langsam. Die Fähre über den Ärmelkanal verpassen sie um wenige Minuten und winken ihr noch nach.

Schließlich doch auf Englands Straßen unterwegs, droht ein Polizist mit Gefängnis, wenn sie sich nicht endlich an den Linksverkehr halten.

Hier fahren alle verkehrt herum und seine neue Freundin hat den Führerschein noch nicht so lange.

Jetzt steht ihr Zelt im Nieselregen und heute wollen sie nach London, in die City.

Auf dem Bahnsteig des Londoner Vorortes warten sie auf die U-Bahn, die hier draußen allerdings noch über Tage fährt. Ein Zug rollt ein und alle Türen schieben sich wie von Geisterhand auf. Er spaziert am Zug entlang, um ein nettes Abteil auszusuchen, lässt sich aber etwas zu viel Zeit. Ein kurzer Warnton, dann schließen sich die Türen wieder und der Zug fährt los.

Er dreht sich um und ruft: "Das ging aber schnell, hast du...", sie ist weg.

Aus dem Fenster heraus sieht sie ihn auf dem sich entfernenden Bahnsteig.

Er sieht sie in dem abfahrenden Zug.

Sie ist weg! Einfach eingestiegen.

Wieso steigt sie denn ein durch die offenen Türen?

Wie kann das angehen? Und was nun?

Elf Minuten vergehen in England langsamer als in Deutschland. In elf Minuten kommt wieder ein Zug und wenn sie schlau ist, steigt sie am nächsten Bahnhof aus und wartet auf ihn. So würde er es machen.

Nichts zu sehen von ihr. Auch nicht beim nächsten Halt und danach auch nicht.

Warum steigt sie nicht aus, verdammt?

"Warum steigst du nicht ein, du Idiot?", fragt er sich. "Du weißt doch, wie orientierungslos sie sein kann." Immerhin, so gut kennt er sie schon.

Allein in London wäre sie doch hoffnungslos verloren!

Der Zug taucht ab in den Untergrund und je näher er der Innenstadt kommt, desto voller werden die Bahnsteige und desto voller wird die Bahn.

"Die findest du nie!" Verzweiflung kommt auf. Ein Plan muss her.

Er spricht mit sich selbst: "Denk nach, Mann. Habt ihr irgendwas abgemacht?

Eine Sehenswürdigkeit, ein Stadtviertel, eine Kirche, eine Veranstaltung?"

Nein, nichts geplant. Sie wollten sich treiben lassen, ungezwungen und frei.

Er studiert den U-Bahn-Plan, der an der Wand hängt. Gestern Abend im Zelt hatten sie auch so einen Plan vor der Nase. Hatte er nicht vorgeschlagen, wo sie gut aussteigen könnten? Ja klar... Piccadilly? Nein, Oxford Circus, genau! "Liegt mittendrin, guter Ausgangspunkt", das waren doch seine Worte.

"Ja, das sehen wir morgen" war ihre Antwort.

Oxford Circus, noch sechs Stationen.

Das ist der Plan!

Oxford Circus ist ein U-Bahnkreuz mitten in der City of London.

Voll ist es, übervoll.

Alle strömen zu den Ausgängen. Nur er hält dagegen wie ein Felsen im Wasserfall. Irgendwann ist der Bahnsteig leer.

Graue Fliesen auf dem Boden, weiße Fliesen an den Wänden. Riesige bunte Werbeflächen.

Wie lang der ist! 200 Meter, 400 Meter?

Da hinten, ganz am anderen Ende, da steht sie doch! Das ist sie doch!

Ist ja filmreif, denkt er, als sie sich aufeinander zu bewegen. Erst langsam, dann schneller, dann rennen sie bis zur Umarmung.

Die ist lang, fest und innig.

Es sollen noch viele weitere folgen, aber diese ist am Anfang, voller Dankbarkeit und Glück.

Let's go.

This is London and this is everywhere.

Bridge of Orchy

Zuerst fließt der Fluss durch die Highlands.

Danach geschieht lange Zeit nichts.

1751 baut jemand eine Brücke über den River Orchy, später einen Pub für alles Lebenswichtige und ein Hotel für die Hoffnung. Außerdem einen Bahnhof zum Abreisen. Ein Gleis Richtung Norden und eines, um in Schottlands Süden zu kommen. Zwischen den Gleisen liegt der Bahnsteig und darauf steht die von uns gebuchte Unterkunft.

The West Highland Way Sleeper.

Hört sich gut an. Nach einer langen Trekkingtour sind unsere Füße platt aber die Herberge ist verlassen und verschlossen. Gerümpel und Müll hinter den Fenstern lassen eine leichte Panik aufkommen. Diskussionen und Telefonate werden geführt.

Wie ein Geist aus dem Hochmoornebel entsteigt er dann doch irgendwann seinem Wohnwagen und schlendert über den Bahnsteig, der Herbergsvater.

Die einen halten ihn für leicht angetrunken, die anderen für sternhagelvoll. Wahrscheinlich hat er aber nur sein Level, welches er nun mal täglich spät nachmittags hat.

Stolz zeigt er uns die Schlafsäle, jedenfalls nennt er sie so. Unsere Bemerkung, es sei doch alles möglicherweise geringfügig unsauber entlockt ihm ein erstaunliches Repertoire an Schimpfwörtern.

Den Mief muss man mögen, die Unordnung tolerieren. Die wackeligen Drei-Etagen-Betten in den engen Räumen könnten tatsächlich noch eine Nacht durchhalten, bevor sie auseinanderfallen. Die fleckige Bettwäsche auf den durchhängenden Matratzen vermittelt einen Hauch Gemütlichkeit. Ihre kleinen einheimischen Bewohner feiern in der dunkelsten Ecke ein Erntedankfest: "Halleluja, fünfzehn frische deutsche Pilger für eine ganze Nacht. Hoffentlich duschen sie nicht vorher. Was sind wir doch für glückliche Flöhe."

Die Duschkabinen liegen gleich nebenan. Warmes Wasser hat eh niemand erwartet und die verstopften Abflüsse, die einen überfluteten Schlafraum zur Folge haben, sind so selbstverständlich wie die fehlenden Schränke und Sitzgelegenheiten.

Zum Dinner spazieren wir ins leider ausgebuchte Hotel und wechseln anschließend in den Pub, wo sich unsere Spur verliert. Ziemlich viel Volk hier.

Im Television läuft ein Fußballspiel der Europameisterschaft. Stephan und ich sitzen an der Bar und trinken Guinness sowie einen rauchigen Single Malt.

"A little bit smoky, that whisky," meint der Barkeeper.

"Schmeckt wie ein Stück Holzkohle," bemerkt Stephan.

"Oh ja, jetzt schön grillen," sage ich und bestelle nochmal zwei.

"Wer hat eigentlich gespielt?" fragen wir uns, nachdem das Fußballspiel vorbei und der Pub fast leer ist.

Wir schleichen zurück zum Pilger-Resort und halten den im Bahnhof parkenden Luxuszug zunächst für eine Folge des letzten der vielen Whiskys.

The Royal Scotsman der Great Scottish & Western Railway Company übernachtet auf seiner Rundreise tatsächlich genau hier und wir drücken uns an den Zugfenstern die Nasen platt.

Innen serviert ein Kellner im weißen Hemd nach einem fünf Gänge Menü gerade einige Gläser Holzkohle. Für Bügelfalten und Krawatten war in unseren Rucksäcken kein Platz mehr und deshalb bleibt uns der Zutritt ins Ambiente der Reichen und Schönen verwehrt.

Zumindest Letzteres nehmen wir für uns jedoch auch in Anspruch und es wird Zeit für unseren Schönheitsschlaf.

Wie ein Matrose entere ich hinauf in das dritte Bett von unten. Früh morgens wache ich auf und sehe gegenüber ein Paar Füße aus der Bettdecke ragen. Ganz sicher bin ich nicht aber das können nicht meine sein. Schnell ein Foto zur Überprüfung am nächsten Tag, sofern der noch kommen sollte.

Wie erwartet, ist das Frühstück reichhaltig und fürstlich. Die Entscheidung zwischen Lufthansa-Cornflakes-Tütchen ohne Milch und dreieckigen Toastscheiben ohne Butter fällt nicht leicht. Vermutlich hat unser Gastgeber die verschimmelten Toastecken vorher abgeschnitten. Er wirkt erstaunlich frisch und gepflegt heute Morgen. Wahrscheinlich denkt er tatsächlich, es hätte uns gut gefallen im West Highland Way Sleeper, einer Unterkunft zum Erinnern, zum zukünftig immer wieder neu erzählen.

Viel besser als der schönste Sonnenuntergang.

So lässt er es sich nicht nehmen, zum Abschied ein Gruppenfoto zu machen.

Der Herbergsvater verschwindet in seinem Wohnwagen, The Royal Scotsman fährt ab Richtung Süden, wir wollen weiter nach Norden.

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