Wer die Welt verbessern will, darf kein Idiot sein

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Wer die Welt verbessern will, darf kein Idiot sein
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Ron Müller

Wer die Welt verbessern will, darf kein Idiot sein

Eine Kurzgeschichte

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Kapitel 1

Kapitel 2

Impressum neobooks

Kapitel 1

»Das ist er«, flüsterte Frau Köhler in der Einkaufspassage ihrem Mann zu.

»Wer denn?«

»Na, der neue Chef.«

»Was?«

»Pssssst!«, fauchte sie Mann und Kind an. Schlagartig unterbrachen sie das Getuschel. Anschließend setzte ein falsches Grinsen ein und das Dreiergespann kam in unsere Richtung.

»Herr Breitner, haben Sie sich schon eingelebt?«

Herr Breitner hat überhaupt keine Lust, sich mit Leuten zu unterhalten, die intellektuell so leicht bekleidet unterwegs sind wie Sie, ging es mir durch den Kopf, aber ich ließ die Kirche im Dorf.

Unserem Baby war die überschwängliche Frau samt Ehemann und einem etwa 12-jährigen wenig ansehnlichen Knaben herzlich egal. Bei den optischen Differenzen zwischen Vater und Sohn wären der Ehrlichkeit halber kritische Bemerkungen hinsichtlich der Vaterschaft angebracht. Doch auch diese verkniff ich mir.

Vanessa stöhnte leise. »Wegen dieser Gestalten sind wir in den Osten gezogen?«, las ich ihr von den Augen ab und antwortete mit einem Nicken.

„Da ist er, der Osten, in seiner ganzen Pracht – und wir sind obendrein in eine Ecke mit den ganzen Geistesgestörten geraten. Die Guten sind hier bestimmt auch irgendwo, wahrscheinlich an der Müritz oder im Harz. Viel mehr haben die Ossis ja nicht, glaub ich.“

Frau Köhler stellte uns Ehemann und Kind vor. Ich unterließ selbiges für meine Partei, weil es sie einen absoluten Scheiß anging.

Als ich nach zwei Minuten das Geseire der Mitarbeiterin über Pfingsten und die damit verbundenen Feiertage nicht mehr ertragen konnte, provozierte ich einen Grund, um zu gehen. Ich zog Lotte unauffällig den schmalen Riemen der Babytrage aus dem Mund, an dem sie kaute, wenn ihr bei den Spaziergängen langweilig war. Augenblicklich folgte die Strafe wunschgemäß auf dem Fuße in Form eines schrill schreienden Kindes. Unser Exemplar hatte die Fähigkeit, aus dem Stand 110 % geben zu können. Kein Wimmern, kein Hineinsteigern - Lotte war eine Rampensau.

Doch die Woche hatte ganz anders angefangen.

*

Den Montagmorgen empfand ich als merkwürdig.

Ich schrieb eine E-Mail, dass die von mir angesetzte Besprechung zwanzig Minuten später beginnen würde, und überflog sie noch einmal, um bei meinen ersten Amtshandlungen nicht gleich durch Rechtschreibfehler aufzufallen.

Werte Mitarbeiter,

der Kaffee wird gerade zubereitet und kann zur Besprechung um 9:20 Uhr eingenommen werden. Fair-Trade-Gesichtspunkte konnten keine Berücksichtigung finden.

Auf einen positiven Verlauf der Teamrunde

Linus Breitner

Bislang war es in der Bezirksgeschäftsstelle üblich, Besprechungstermine über den Flur zu brüllen, aber dies hielt ich für ein unangemessenes Gebaren und verbot es kurzerhand dank meiner neu gewonnen Vorgesetzteneigenschaft. Mir war klar, dass die Leute hier vor der Wende nicht viel zu lachen hatten und die Kommunikationsmittel seinerzeit sehr begrenzt schienen, aber nun, gefühlte fünfzig Jahre nach dem Mauerfall, waren Veränderungen nötig, auch wenn es den einen oder anderen unerwartet treffen würde. Dieses Rumgebrülle musste ein Ende haben.

Im Rahmen des firmeninternen Aufstiegsprogramms hatte es mich vor kurzem samt Familie nach Ostbrandenburg verschlagen. Nicht nur, dass ich an die Oder-Neiße-Friedensgrenzeziehen musste, selbst innerhalb dieses highlightfreien Bundeslandes hatte man mich an den östlichsten und damit äußersten Rand versetzt. Höchststrafe! Es kam mir vor, als wäre ich nicht nur am Arsch der Welt, sondern mitten darin.

Wollte ich meine Tochter hier aufwachsen lassen? Welche Möglichkeiten würden sich ihr bieten? Eine Karriere als Verkäuferin in einer dieser überdimensionalen Erdbeeren, diese kleinen Buden, die im Sommer in jedem Kaff zu finden waren, in denen es Saisonware wie Erdbeeren oder Spargel gab? Das Exemplar, das ich im Hinterkopf hatte, stand kurz vor dem Ortseingang und verfügte über keine sanitäre Anlage in Sichtweite. Insofern fragte ich mich, wo die bedauernswerte Gestalt, die das Ding betreute, ihre Notdurft versteckte und wie der hygienische Zustand ihrer Hände war, wenn sie mir anschließend mit freundlichstem Gesichtsausdruck Obst und Gemüse reichen würde. Seitdem habe ich selbst zu Verkäufern auf dem Wochenmarkt ein gespaltenes Verhältnis. Was machen die, wenn sie mal groß mussten? Wenn es ein Wochenmarktgesetz zu geben schien, dann das, dass es in der unmittelbaren Nähe keine öffentlichen Sanitäranlagen geben durfte. Ekelhaft!

Aber ganz so schwarz brauchte man nicht zu malen, denn meine Tochter war gerade erst acht Monate alt. Es blieb noch Zeit, bis sie in die Erdbeere musste.

Auf meine E-Mail an die Belegschaft antwortete niemand. Stattdessen verspäteten sich die meisten.

Als Erstes stellte ich mich den Mitarbeitern vor und hielt einen kleinen Kurzvortrag über Pünktlichkeit. Kern war die Frage, ob Pünktlichkeit dadurch entstand, dass jemand eine bestimmte Anfangszeit (beispielsweise für eine Besprechung) vorgab oder ob sie auf die Weise geschaffen wurde, dass ein gewisser Personenkreis diese Zeit einhielt. Eine hoch spannende und, wie ich fand, fast philosophische Frage, die jedoch niemand mit mir zu teilen schien.

Mangels fehlender Mitarbeit brach ich die danach geplante Diskussion ab und regte im zweiten Tagesordnungspunkt die Einführung eines betrieblichen Vorschlagswesens an und konnte auch gleich mit einem ersten Vorschlag punkten: Seit der Anreise fiel mir auf, dass die Raucher des 8-köpfigen Teams, bedingt durch ihre Sucht, einen Teil der Arbeitszeit nicht für die Firma tätig waren, sondern durch regelmäßige Abwesenheit das Betriebsergebnis unserer Versicherung schwächten. Dies führte ich genauer aus, indem eine Tabelle anschaulich die Raucherpausen jedes einzelnen abhängigen Kollegen mit Namen auflistete und man am Ende auf ein hübsches Sümmchen an Stunden kam. Dem sollte man entgegenwirken. Eine gute Idee, wie ich fand, schließlich sind es solche kleinen Auffälligkeiten, die die Effizienz steigern und Arbeitsplätze sichern. Als ich meine Ausführungen beendete, hob ich eine Hand und bat die, die meiner Meinung wären, es mir gleichzutun, um eine Abstimmung herbeizuführen.

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