Buch lesen: «Es ist niemals zu früh, um Schalke zu leben – "5:04" – Eine Blau-Weisse Autobiografie»

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Rolf Rojek

Es ist niemals zu früh, um Schalke zu leben

„5:04“ – Eine Blau-Weisse Autobiografie

Impressum

©NIBE Media ©Rolf Rojek

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlags und des Autors reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

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Für den Inhalt des Buches ist allein der Autor verantwortlich und er muss nicht der Meinung des Verlags entsprechen.

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52146 Würselen

Telefon: +49 (0) 2405 4064447

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Inhaltsverzeichnis:

Vorwort Clemens Tönnies

Mein Vorwort – oder warum schreibe ich ein Buch?

1958 – Mein erstes Mal auf Schalke.

1961 – Der Umzug nach Beckhausen.

1969 – Schule, Lehre und das Pokalfinale.

1972 – Ein kaputtes Knie und ein Pokalhalbfinale mit 21 Elfmetern.

1972 – Schalke wird Herbstmeister und ich erlebe mein zweites Finale.

1975 – Meine erste eigene Bude.

1976 – Erst meine Wirtin, dann meine Ehefrau: meine Gudrun.

1976 – Unsere erste gemeinsame Wohnung.

1977 – Wie man(n) aus Kindern Schalker macht.

1982 – Vom Bauherr zum „Pleitegeier“: Unser Hauskauf in Saerbeck.

1984 – Zu Besuch bei Olaf Thon.

1988 – Mein geheimes Konto in Österreich.

1989 – Fanbetreuung aus dem Keller.

1990 – Das geklaute Fahrrad.

1990 – Die Fan-Kneipe „Auf Schalke“.

1990 – Mit Polizei-Geleitschutz ins Hotel.

1991 – Wie Trompeten-Willy wirklich auf Schalke kam.

1991 – Die „Sternenfahrt“ zum Auswärtsspiel nach Mainz.

1991 – Der erste Sonderzug nach Nürnberg.

1994 – Mein 40. Geburtstag in der Bundeswehrkaserne.

1994 – Und plötzlich sitzt du im Aufsichtsrat von Schalke.

1996 – Von Saerbeck zurück nach Gelsenkirchen.

1996 – Ohne Alkohol zum Auswärtsspiel nach Kerkrade? Fast ohne Alkohol!

1996 – Im Buskonvoi nach Brügge.

1997 – Ich war dabei: 144 internationale Spiele ohne Unterbrechung.

1997 – Veltins kommt auf Schalke. Prost!

1997 – Verdacht auf Krebs, und das vor dem UEFA-CUP Finale.

1997 – Valencia, ich brauche Karten.

1997 – Valencia, ich verkaufe Karten.

1998 – Der Fanverband übernimmt den Verkehrsverein Gelsenkirchen.

1998 – So war es: Gründung der GbR und GmbH.

1998 – Die Beerdigung meines Vaters.

2000 – Der blinde Belegprüfer auf Schalke.

2000 – Fußball ist unser Leben, der Film.

2000 – Andy Möller kommt auf Schalke.

2001 – Mein Freund Nazif.

2001 – Ich bekomme den Bullenorden.

2001 – Die „Annäherung“ von Supporters und Fan-Club Verband.

2002 – Auswärts in Polen – oder mit den SKBs über den Zaun.

2004 – Feuerwerk und Bengalos zu meinem 50. Geburtstag.

2004 – Der 4. Mai, unsere kirchliche Hochzeit in der Arena.

2005 – Fundraising oder was? Mein Vortrag in der Schweiz.

2004 – Ich bekomme das Bundesverdienstkreuz.

2006 – Einer meiner schwersten Tage, Rudis Entlassung.

2006 – Meine Beschneidung.

2006 – Die Betriebsprüfung.

2007 – Mit 120 Fans nach Petersburg.

2008 – So kam es: Die Auflösung der GmbH.

2008 – Der König von Benin.

2009 – Der kleine Zeh für den Sieg in München.

2009 – Die Familienmesse in der Arena.

2009 – Felix kommt auf Schalke.

2009 – Felix legt los: Erst Peter Peters und dann ich.

2009 – Mein teuerster Whisky, aber nicht ohne Cola-Light.

2010 – Magath und die Kleine Gruppe.

2010 – Ein Stück Tradition auf der Schalker Meile: Der Lottoladen.

2012 – Und plötzlich siehste nicht mehr viel.

2013 – „Ala“ Adolf Urban kommt nach Hause.

2013 – Viagogo, meine Fehlentscheidung.

2014 – Rolli allein zu Haus.

2016 – Rudi Reichl und der Bosch-Bus.

2017 – Alle gegen einen und keiner hilft.

2019 – Mein letzter Arbeitstag.

2019 – Vom Macher zum Rentner.

Rückblick: Ein Fanbeauftragter hat es manchmal schon schwer.

Es war einmal … Ein Sonntag nach einem Heimspiel.

Angst vor der Zukunft? Habe ich nicht!

Gelsenkirchen, meine Heimat, mein Zuhause.

Gastschreiber – Gerd Rehberg

Gastschreiber – Horst Poganaz

Gastschreiber – Karl-Werner Schulte, „Afrikakalle“

Gastschreiber – Henny ten Vergert

Gastschreiber – Holger Constabel

Unvergessen – Charly Neumann

Unvergessen – Rudi Assauer

Fertig, das war es dann!

Ich sage DANKE

Vorwort Clemens Tönnies

Rolf Rojek

... ist für mich der absolute Inbegriff eines Fußball-Fans – in Rolfs Fall fließt blau-weißes Blut durch seine Adern. Rolf hat ein Stück Schalker Geschichte mitgeschrieben, ja, er ist ein Stück Schalker Geschichte!

Ich erinnere mich an viele tolle Begegnungen mit ihm in und um unser zweites Wohnzimmer – die Arena auf Schalke, in der wir unzählige spannende Spiele zusammen verfolgt, Siege und Niederlagen miteinander geteilt haben. Oder aber wie er es immer wieder schaffte, mich unbeschadet und sicher von hinten ins Dortmunder Stadion rein und raus zu bringen. Hier bin ich ihm wirklich zu großem Dank verpflichtet!

20 Jahre lang waren Rolf und ich Nachbarn in den Sitzungen des Aufsichtsrats. Nur selten war Rolf hier mit der ersten Antwort auf seine Fragen zufrieden. Akribisch und mit größter Gewissenhaftigkeit mussten und wurden die Rechnungsprüfungen von ihm durchgeführt.

»Wir beide, wir machen das hier schon!«, waren allzeit seine Worte – und daran haben wir uns immer gehalten.

Glück auf,

Clemens Tönnies


Mein Vorwort – oder warum schreibe ich ein Buch?

Eines Tages, als wir wieder unseren Jour fixe auf Schalke hatten, saß ich anschließend noch mit Volker Fürderer in seinem Büro und erzählte ihm, was ich am Wochenende wieder für komische Sachen erlebt hatte. Volker musste lachen und sagte dann den verhängnisvollen Satz: »Du könntest ein Buch schreiben, was du so alles erlebt hast.« Dieser Satz war sicherlich zu diesem Zeitpunkt nicht ernst gemeint, aber wie ein Ohrwurm blieben die Worte in meinem Gehirn haften.

Nein, schreiben ist und war wirklich noch nie meine Stärke, ich kann viel besser erzählen. Obwohl mich schon einige meiner Freunde und Follower auf Facebook aufgefordert haben, ein Buch zu schreiben. Denn ich schreibe jeden Morgen einen kleinen Beitrag auf meiner Seite. Manchmal über aktuelle Themen aus Sport, Politik oder dem Weltgeschehen, aber oft handeln die Beiträge auch über mich und meine lustigen Pleiten, Pech und Pannen, die mir im Alltag passieren. Meinen Freunden und Followern auf Facebook gefällt das und sie halten mir seit Jahren die Treue.

Aber ein Buch schreiben ist eine ganz andere Hausnummer als tägliche Beiträge auf Facebook. Und außerdem: Über was soll ich schreiben? Über spannende Schalke-Spiele, geile Tore und Statistiken? In den vielen Fußballbüchern, die es auf dem Markt gibt, werden diese Themen doch tausendmal genauer und besser beschrieben. Warum soll ich das alles denn noch einmal auflisten?

Deshalb war ich mir eigentlich sicher: Ein Buch von mir will bestimmt kein Schalker lesen, oder besser, ein Buch von mir, das braucht nun wirklich kein Schalker. Und damit wollte ich das Projekt „Buch schreiben“ auch schon wieder zu den Akten legen, bis mir die Worte von Volker Fürderer noch einmal durch den Kopf gingen. »Was du so alles erlebt hast.« Ich überlegte.

Viel erlebt habe ich mit meinen fast 66 Jahren auf Schalke ja wirklich. In Sekundenschnelle flog ich durch die Vergangenheit und sah Familie, Freunde und Mitarbeiter, Fan-Clubs, Stadien und Städte, in denen die Schalker gespielt hatten, die Arena und die Fans in der Nordkurve. Und da war mir klar, diese schönen Erlebnisse muss ich aufschreiben!

Aber ich schreibe all das Erlebte nicht wegen Ruhm und Ehre und auch nicht, weil ich damit Geld verdienen will. Ich schreibe es in erster Linie für mich. Denn es ist unbezahlbar, sein Leben mit den vielen schönen und vielleicht auch nicht so schönen Erinnerungen beim Schreiben noch einmal zu erleben.

Ich bin mir sicher, es wird danach auch böse Kritik auf mich einprasseln. Einige werden aufgrund der Geschichten meckern, andere wegen meines Schreibstils, meiner Ausdrucksweise und der Grammatik – aber das ist mir egal. Wahrscheinlich sind auch nicht alle Ergebnisse und Zeitangaben richtig, aber auch das stört mich nicht. Mir geht es vielmehr um die Geschichten, die ich mit Familie, Freunden und zahlreichen Weggefährten erlebt habe.

Nein, ich bin weder Journalist noch Autor und ich will auch nichts davon werden. Ich bin Rolf Rojek und schreibe mein Leben genauso wieder, wie ich es erlebt habe.

Wenn ich es mit meinen Geschichten schaffe, auch nur einen Leser hin und wieder zum Lachen zu bringen, sodass die Alltagssorgen für einen Moment in den Hintergrund rücken, oder jemand aus dem Erlebten liest, dass es im Leben immer irgendwie weitergeht, wenn man sich nicht aufgibt, dann hat sich mein Schreiben schon gelohnt.

Und jetzt hoffe ich, dass euch meine Geschichten gefallen. Wenn ja, dann freue ich mich, wenn nicht, tut es mir leid. Aber das ist mein Leben – mal lustig, mal traurig, aber immer spannend und aufregend.

Und nun viel Spaß beim Lesen,

euer Rolf Rojek

1958 – Mein erstes Mal auf Schalke.

Als ich am 25. Juni 1954 in Gelsenkirchen-Schalke geboren wurde, fing Edi Frühwirth gerade seinen neuen Job als Trainer beim FC Schalke 04 an und löste damit Fritz Szepan ab. Die Mannschaft lieferte sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit dem 1. FC Köln und Rot-Weiß Essen um den West-Titel. Im letzten Spiel trafen wir auf RWE und unterlagen in den Schlussminuten mit 2:4. Somit mussten wir Schalker uns mit Platz drei begnügen und Köln kam weiter. Trotzdem wurde in diesem Jahr auf Schalke groß gefeiert.

Nein, nicht weil ich geboren wurde, sondern weil Schalke 50-jähriges Jubiläum hatte. Neben vielen feierlichen Veranstaltungen gab es auch zahlreiche Fußballspiele. Darunter das Spiel gegen den amtierenden deutschen Meister Hannover 96, der mit einem 5:1 regelrecht vorgeführt wurde.

Rechtzeitig zu diesem Jubiläum wurden die Geschäftsstelle des Vereins sowie die modernen Umkleidekabinen und Sanitäranlagen für die Mannschaft eingeweiht. Im gleichen Jahr holte der Schalker Berni Klodt mit der deutschen Nationalmannschaft beim legendären Wunder von Bern den Weltmeistertitel.

So gesehen war das Jahr 1954 ein gutes Jahr, um als Schalker in Gelsenkirchen geboren zu werden.

Natürlich war mein Vater, der 1924 in Katowice (Polen) geboren wurde, auch ein Schalker. Aber er war nicht so jemand, der täglich in Schalke-Klamotten durch die Stadt lief. Nein, mein Vater hatte nie etwas von Schalke an, auch nicht, wenn er in die Glückauf-Kampfbahn ging.

Wer noch die alten Bilder und Filme von früher im Kopf hat, der weiß, dass damals die meisten Fans nur mit Hut und Krawatte ins Stadion gegangen sind. Fan-Artikel gab es so gut wie gar nicht. Also bin ich ohne Schalke-Schnuller und ohne Schalke-Strampelanzug groß geworden. Ich glaube, in der damaligen Rojek-Wohnung gab es überhaupt kein einziges Teil, was mit dem FC Schalke 04 zu tun hatte. Trotzdem war man einfach Schalker, und zwar durch und durch.

Vier Jahre später war es dann soweit. Ich war mit meinem Vater das erste Mal auf Schalke. Aber ich muss sagen, ich erinnere mich daran eigentlich überhaupt nicht. Mein Vater hat mir diese Geschichte allerdings so oft erzählt, dass ich meine, mich an jede Einzelheit genauestens zu erinnern.

Es war der 18. Mai 1958 als der FC Schalke 04 im Niedersachsen Stadion von Hannover vor 81.000 Zuschauern Uwe Seeler und seine Hamburger Jungs mit 3:0 besiegte und damit zum siebten Mal die Deutsche Meisterschaft nach Gelsenkirchen holte. Ganz Fußball-Deutschland freute sich mit den Knappen und am Schalker Markt wurde der Bierhahn bis zum Empfang der Spieler nicht mehr zugedreht. Auch mein Vater gehörte selbstverständlich zu den Feiernden. Siegestrunken und in einer Bierlaune beschloss er, dass der kleine Rolli mit zum Empfang der Schalker Helden kommen darf. Und so kam es zu meiner Premiere auf Schalke …

Ich meine mich zu erinnern, dass es voll und laut war. Dass sich wildfremde Menschen freudetrunken und singend in den Armen lagen. Wobei die meisten wohl mehr betrunken als freudig waren. Egal, ganz Gelsenkirchen war an diesem Tag ein Tollhaus und mittendrin Papa Rojek und klein Rolli.

Aber es kam, wie es kommen musste: Ich verlor in diesem Tollhaus meinen Vater, oder besser gesagt, er mich. Und das zeigte mir, auch unter Tausenden von Menschen kannst du allein sein. Ich weinte. Was sollte ich denn nun machen? Da kam ein freundlicher Polizist auf mich zu und nahm mich auf den Arm. Auf seine schlaue Frage »Wo ist denn dein Papa?« konnte ich natürlich nicht antworten. Denn wenn ich das gewusst hätte, würde ich wohl nicht weinen und wäre bei ihm. Auch auf die Frage wo ich wohnte, konnte ich vor lauter Schluchzen nicht antworten. Doch die Rettung nahte, denn mein Vater hatte scheinbar endlich bemerkt, dass ich nicht mehr an seiner Hand war und suchte nach mir.

Der gute Polizist soll meinem Vater eine richtige Standpauke gehalten haben. Ob mein Vater sich von dem guten Polizisten zu Unrecht beschimpft fühlte, oder ob es an einem zu viel getrunkenen Bier mit Siegesgeschmack lag, bleibt bis heute ungeklärt. Ich weiß nur, dass mein Vater den Polizisten lautstark beschimpfte. Dabei war ich noch immer auf dem Arm des Polizisten und habe aufgrund des Streites noch mehr geheult und ich kackte mir dabei in die Hose. Ja, ich habe früher im wahrsten Sinne des Wortes auf Schalke geschissen …

»Nicht im Kopf, sondern im Herzen liegt der Anfang.«

(Maxim Gorki)

1961 – Der Umzug nach Beckhausen.

1961 zogen meine Eltern mit meinen Geschwistern und mir nach Gelsenkirchen-Beckhausen in die Braukämperstraße. Hier bin groß geworden, hier habe ich meine Jugend verbracht und hier bekam ich den letzten Schliff, um als Schalker in die blau-weiße Fanszene einzutauchen.

Die neue Wohnsiedlung der GGW wurde auf den Wiesen und Feldern von Bauer Holz gebaut. In den Wohngebäuden in Beckhausen sollten eigentlich Familien mit Kindern, mit vielen Kindern, ein neues Zuhause finden. Die Wohnsiedlung umfasste sieben vierstöckige Gebäude mit je zwei Eingängen für insgesamt acht Familien und drei sechsstöckige Gebäude mit drei Eingängen für insgesamt 36 Familien. Auf keinen Fall war das eine Ghetto-Siedlung, denn hier war alles sauber und neu.

Vorher wohnten wir, Papa Franz, Mutter Anita, meine zwölf Jahre ältere Schwester Renate, mein zwei Jahre jüngerer Bruder Klaus und der frischgeborene Bruder Peter, auf kleinstem Raum in zweieinhalb Zimmern. Der Umzug in die Braukämperstraße erschien meinen Eltern daher wie ein Umzug in eine bessere Welt mit bedeutend mehr Lebensqualität – obwohl dort auch nur drei Zimmer mit knapp 77 qm auf uns warteten. Die Vorfreude meiner Eltern auf unser neues Domizil war so groß, dass sie sich fast jedes Wochenende über eine Stunde zu Fuß auf den Weg machten, um den aktuellen Baustand auf der Baustelle zu begutachten.

Der Umzug in die neue und größere Wohnung hatte zur Folge, dass meine Eltern sich entschlossen, die Familie weiter zu vergrößern. Knapp zwei Jahre später wurde meine Schwester Gaby geboren und zwei weitere Jahre danach haben meine Eltern mit der Geburt meines Bruders Uwe die Familienplanung abgeschlossen.

Jetzt könnte man meinen, dass ein Familienleben mit sieben Personen auf 77 qm sich äußerst schwierig gestaltet. Dem möchte ich hier widersprechen, denn erstens war es früher so üblich und zweitens fand ich unser Familienleben zwar turbulent, laut und lebhaft, aber keinesfalls unangenehm oder beengend. Außerdem ging es uns doch noch gut.

Wir wohnten mit acht Personen oben in der vierten Etage, ganze 56 Stufen hoch. Ganz unten im Haus lebte die Familie Römer, die nicht nur ein Zimmer mehr, sondern auch mit knapp über 80 qm eine größere Wohnfläche hatte. Dafür hatte die Familie aber auch elf Kinder und war mit Abstand die größte Familie in der Braukämperstraße. Wir Kinder aus den beiden Wohnblöcken wurden daher bei allen anderen immer nur die „Römerbande“ genannt.

Ja, der gute Heinz Römer. Er hat seine Familie nach dem Umzug von der Braukämperstraße noch ein wenig weiter vergrößert, ich glaube, auf insgesamt vierzehn Kinder. Nie hätte ich gedacht, dass sich unsere Wege nach seinem Umzug noch einmal kreuzen würden, aber dat is Schalke. Ich traf Heinz irgendwann bei einer Stadionführung in unserer alten Glückauf Kampfbahn. Heinz wohnte dort in der alten Tribüne für mehr als 33 Jahre, er war als Platzwart für die Stadt und den Verein tätig.

Aber Heinz Römer war schon damals nicht der einzige Schalker in der Braukämperstraße. Mittendrin wohnte Heinz Blechinger, der erste Schalker, von dem ich mir persönlich ein Autogramm abholte. Zwei Blocks weiter wohnte die Schalker Familie Burdenski. Vater Herbert erzielte am 22. November 1950 beim ersten Länderspiel der deutschen Nationalmannschaft nach dem zweiten Weltkrieg den Siegtreffer zum 1:0 gegen die Schweiz. Außerdem war Herbert ein Mann des bekannten Schalker Kreisels – er holte 1937, 1939, 1940 und 1942 die deutsche Meisterschaft auf Schalke. Mit seiner Frau und den beiden Söhnen Dieter und Hans-Joachim „Jochen“ wohnten weitere Schalker in der Braukämperstraße. Dieter war Nationaltorwart und spielte unter anderem in Bremen und auf Schalke, sein Bruder Jochen war ein langjähriges Aufsichtsratsmitglied beim FC Schalke 04.

Doch irgendwann war es auf einmal vorbei mit den kinderreichen Familien in der Braukämperstraße. Die Familie Thon sollte unser neuer Nachbar werden. Ja, die Familie Günther Thon. Und die hatten doch tatsächlich nur ein Kind und bekamen trotzdem die „große Wohnung“. Vielleicht lag es daran, dass Günther schon damals ein großer Sportler in Gelsenkirchen war. 1967 wurde er als 21-jähriger mit seinem damaligen Club, den TSV Horst Emscher, deutscher Amateurmeister. Aber was er noch viel besser hinbekommen hatte, war sein Sohn, der Olaf. Na klar wussten wir damals noch nicht, was aus Olaf einmal werden sollte und wie mein Weg auf Schalke verlaufen würde.

Ich war nahe dran an den Schalkern, aber noch längst nicht mittendrin. Keiner konnte zu diesem Zeitpunkt ahnen, wie sich die Wege der Schalker noch einmal mit meinem kreuzen würden …

Olaf ging mit meinem jüngeren Bruder Uwe in die gleiche Schule, die beiden waren befreundet, sodass auch Olaf zur Römerbande gehörte. Unser damaliger Erzfeind war die „Rottorf-Bande“, die im Block gegenüber von uns wohnte. Oft gab es Kämpfe mit Stöcken, die wir als Schwerter benutzten. Na ja, das Wort Kämpfe ist wohl ein bisschen übertrieben... Wir haben von der Rottorf-Bande aber die selbstgebastelten Bögen im Wäldchen zerstört, sie haben uns dafür Stöcke aus unserem „Waffenlager“ gestohlen. Wenn man heute hört, wie Kinder im Alter von 8 bis 12 Jahren ihre Konflikte austragen, kann man sich über unseren damaligen Bandenkrieg nur kaputtlachen. Aber wir fühlten uns damals wie eine wilde Gang.

Wir wurden älter und die kriegerischen Zeiten änderten sich. Besonders als wir in unserer Bande Verstärkung von Detlef Zedler bekamen. Detlef wohnte zwar nicht in unseren Häuserblocks, aber er war eng mit uns befreundet. Deshalb musste die Rottorf-Bande Detlef auch als Mitglied der Römer anerkennen.

Detlef war ein guter Fußballer und spielte in der Jugendmannschaft des FC Schalke 04 auf dem legendären schwarzen Ascheplatz der Glückauf Kampfbahn. Er hat es sogar geschafft, dass die Schwerter und Bögen gegen Turnschuhe und Lederball eingetauscht wurden und sich unsere Banden nur noch auf dem Bolzplatz der Braukämperstraße bekämpften.

Ja, Detlef hatte einen richtigen Lederball. Was heute vielleicht ein bisschen lächerlich klingt, war damals etwas ganz Besonderes. Wenn wir zum Bolzplatz gegangen sind, hatten die Wenigsten von uns richtige Sportkleidung. Wir kickten meist in Turnschuhen und oft in ganz normaler Straßenkleidung, weil sich kaum jemand einen richtigen Trainingsanzug leisten konnte. Auch wenn die meisten in unserer Mannschaft schon älter waren, durften mein Bruder Uwe und Olaf Thon in der bunt gemischten Truppe mitspielen. Denn früher war es richtig anstrengend, mindestens neun Personen für eine Mannschaft zusammen zu bekommen. Familie Römer konnte uns da wenig weiterhelfen, da die Kinder in unserem Alter entweder Mädchen waren oder Jungs, die absolut kein Fußball spielen konnten. Der Altersdurchschnitt unserer Spieler lag also zwischen 6 und 14 Jahren. Ich glaube bis heute, dass einige unserer Spieler aber nicht wussten, warum ein Ball hüpft oder springt. Wahrscheinlich dachten sie, da sei ein Frosch drin.

Damals gab es für uns Blagen nur Freizeitbeschäftigungen wie Seilspringen, Verstecken, Fangen spielen oder eben auf dem Bolzplatz gehen und gegen die Pille treten. Wenn ein Kind aus der Braukämperstraße zu seinen Eltern gesagt hätte, dass es Schwimmen oder Tennis spielen möchte, wäre sicher ein unverständliches Kopfschütteln oder eine leichte Backpfeife die Antwort gewesen.

Also zurück auf den Bolzplatz. Zu unserer Mannschaft gehörte auch Olaf Thon. Trotzdem waren wir nicht so gut wie die Rottorf-Bande, die fast alle Spiele für sich entschied. Als wir aber irgendwann voller Ehrgeiz den ersten Sieg errungen konnten, brach auf dem Platz direkt wieder der Krieg aus und es wurden ein paar Ohrfeigen verteilt. Fast wie früher mit den Stöcken im Wald …

Detlef Zedler hat uns aber nicht nur zum Fußballspielen gebracht, er hat mich auch mit auf Schalke mitgenommen. Immer wenn Detlef am Samstag ein Heimspiel in der Glückauf Kampfbahn hatte, durfte ich mit. Wir liefen von Beckhausen über Sutum bis nach Schalke. Dort mussten die Kids damals noch auf dem alten Ascheplatz hinter der Tribüne spielen. Immer wenn das Spiel zu Ende war, nahm mich Detlef mit auf die Tribüne, um sich die „richtigen“ Schalker anzugucken. Detlef hat es sportlich bis in die zweite Liga geschafft und sogar einmal im Pokalspiel dem Toni Schumacher einen „eingeschenkt“.

Dank Detlef konnte ich nun alle 14 Tage auf Schalke gehen. Ich muss jedoch zugeben, dass ich als kleiner Junge das Spiel der Schalker noch nicht ganz so ernst genommen habe. Es gab im Stadion viel Wichtigeres. Ich kroch auf allen vieren an den Bierbuden auf dem Boden und sammelte die heruntergefallenen Pfennige der betrunkenen Fußballfans ein. Manchmal hatten wir nach so einem Spieltag stolze 2 DM aufgesammelt, das war damals eine Menge Kohle. Trotz der Pfennige auf dem Boden vor den Bierbuden war es immer ein Erlebnis, wenn die Schalker ein Tor schossen und das ganze Stadion jubelte. Auch wir Kinder haben immer lauthals gejubelt und lagen uns in den Armen. Wir sind wild herumgehüpft und gesprungen und hatten ein dickes Grinsen auf dem Gesicht. Das konnte aber auch passieren, wenn der Gegner mit vielen Fans nach Gelsenkirchen gereist ist. Beim Torjubel der generischen Fans haben wir Kinder vor lauter Pfennige sammeln häufig mitgefeiert, weil wir glaubten, der laute Jubel gilt den Schalkern.

Auch wenn Pfennige sammeln in dem Alter wichtig, vielleicht sogar wichtiger als das Spiel war, eins faszinierte mich jedes Mal – die Stimmung in der Schalker Kurve mit den blau-weißen Fahnen. Das hat mir schon damals gefallen. Jedes Mal, wenn wir nach einem Heimspiel zufrieden nach Hause gegangen sind, habe ich zu Detlef gesagt, dass ich mein gesammeltes Geld sparen und mir davon auch eine blau-weiße Fahne kaufen werde. Der Wille war da, aber meistens hat das Geld nur bis zum nächsten Kiosk gehalten und wurde dann gegen Klümpchen und Schoko-Bonbons eingetauscht.

»Die Jugend ist die Zeit, Weisheit zu lernen. Das Alter ist die Zeit, sie auszuüben.«

(Jean-Jacques Rousseau))

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565 S. 10 Illustrationen
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9783969178744
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