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Von Visionen, Innovationen und Zukunftsfähigkeit

In der scheinbar durchrationalisierten Welt des betriebswirtschaftlich geprägten Imponierdeutschen muss nun doch auch Platz für Phantasie sein. Diesen Platz nimmt die Vision ein. Visionen waren einst die Gesichter, die Gott den Propheten eingab oder die Götter ausgesuchten Menschen. Was heute bleibt, sind Visionen für das Marktgeschehen: Visionen für das Marketing, für neue Produkte.

Wem die Strategie nicht genügt, der greift zur Vision. Sie hat den Vorzug, weit in die Zukunft reichen zu dürfen, ohne die Überprüfbarkeit einzufordern, die die Strategie im Schlepptau hat. Deshalb ist die Vision beliebt. Visionen sind im modernen Imponierdeutschen genialische Vorwegnahmen künftiger gesellschaftlicher Verhältnisse, möglichst unter Bezugnahme auf Gewinn- und Erfolgversprechen. Visionen sind deshalb grundsätzlich nicht negativer Art, sondern ausschließlich positiv besetzt. Ein Stichwortgeber der Zeit, der die Zukunft in düsteren Farben malte, erhielte wohl kaum das Etikett des Visionärs, im Unterschied etwa zu antiken Gestalten wie Teiresias oder Kassandra.

Das Imponierdeutsche an der Vision ist der Heiligenschein ohne Risiko. Während der Schamane durchaus auf unangenehme Weise für falsche Prognosen haftbar gemacht werden kann, kann sich der Visionär bei anders verlaufender Zukunft mit dem „Tentativen des Versuchs“ – wie ein neuhochdeutscher Pleonasmus lautet – herausreden. Die Vision ist letztlich eben doch nur von dieser Welt. So blieb von manchen Visionen der späten Neunzigerjahre wenig übrig, wie zum Beispiel vom Heilsversprechen der „Laptops im Schulranzen“, die ein „lebenslanges Lernen“ erleichtern würden.

Ein weiterer imponierdeutscher Leitbegriff ist die Innovation. Ursprünglich dem Bereich der Technik entliehen, bezeichnen Innovationen anstehende und berechtigte Veränderungen, die nicht von selbst geschehen, sondern aktiv (besser noch: proaktiv) herbeigeführt werden, gern übrigens auch von Visionären, die sich damit zu Agenten des Wandels mausern. Die Innovation versteht sich von selbst. Sie steht an, ob sie gefällt oder nicht. Mit ihr wird einem Naturgesetz Geltung verschafft. Sie nennt sich bewusst nicht Verbesserung. Denn damit müsste sie sagen, für wen. Ähnlich einer technischen Weiterentwicklung ist sie rein sachlich und versteht sich als sachgerecht. Innovationen haben sich daher auch nicht moralisch zu rechtfertigen. Im Gegenteil: Ihre quasi naturgesetzliche Autorität kann unter moralischem Diktat nur leiden. Gesellschaftliche Innovationen sind daher als strukturelle Notwendigkeiten zu verstehen. Der Innovator macht sich nur zum Werkzeug einer ohnehin und unabwendbar eintretenden Zukunft. Indem er ihr aber möglicherweise noch vor der Zeit zum Durchbruch verhilft, darf er einen Mitgestaltungsanspruch geltend machen. In jedem Falle aber ist er Wegbereiter einer höheren Gewalt, nämlich jener des Wandels, den wir freudig annehmen sollten, wenn wir uns nicht als Bedenkenträger oder Strukturreaktionäre selbst ins Abseits stellen wollen.

Diese dürre Geschichtsphilosophie, die in ihrem mechanistischen Denken kurioserweise an die unerbittliche und irrige Zwangsläufigkeit des Vulgärmarxismus denken lässt, läuft auf eine politisch und kulturell kaum zu beeinflussende Wettbewerbsgeschichte hinaus, in der vor allem die Innovationsbereitschaft des Einzelnen zählt. Neuerungen sind aus dieser Sicht grundsätzlich bestehenden Traditionen überlegen und verdienen den Vorzug vor Bewährtem, ohne sich rechtfertigen zu müssen.

Ihre Berechtigung leiten die Innovationen nicht aus dem Blick auf die Vergangenheit, sondern auf die Zukunft ab, nämlich aus der Forderung nach Zukunftsfähigkeit. Dabei wird vergessen, dass wir uns prinzipiell auf eine Zukunft vorbereiten, die wir nicht kennen. Es gilt dennoch, sich fit für die Zukunft zu machen. Fitness in diesem Sinne bezeichnet nicht nur die Instandhaltung des Körpers, seine Optimierung, sondern auch die laufende Aktualisierung der Managementfähigkeiten. Zukunftsfähigkeit ist ein vermeintlich ideologiefreier Begriff, weil er keine konkrete Utopie verkörpert, sondern sich auf das Management gesellschaftlichen Überlebens konzentriert, mit der Wettbewerbsfähigkeit als Maßstab. Der Begriff breitet sich inzwischen in allen politischen Lagern aus, sodass er seinen sozialdarwinistischen Beiklang verliert und damit vollends sinnentleert ist.

Philosophie und Kultur

Während Begriffe aus dem Wirtschaftsbereich andere gesellschaftliche Bereiche unterwandern, dringen umgekehrt Begriffe in den Sprachgebrauch des Managements ein, die seinem Denken eigentlich entgegengesetzt sind. Gern wird das (zwar sinnvolle und nötige) Wirtschaftsgebaren gleich zu einer ganzen Welterklärung aufgebläht. „Meine Philosophie ist …“ – so bekennen Referenten häufig, die es sich sonst eigentlich verbitten würden, in einem Atemzug ausgerechnet mit philosophischen Fakultäten genannt zu werden. Ihr Begriff der Philosophie hat mit der ursprünglichen Bedeutung als ein in jahrtausendealter Denktradition stehendes System der Weltdeutung nichts mehr zu tun. Im Managementjargon bedeutet er noch so viel wie grundsätzliche Überlegungen oder auch Überzeugungen und Einstellungen. Das aber wäre dem Redner zu schlicht. Er nutzt die Aura des Begriffs, weidet sie aus für die Aufwertung eines deutlich einfacheren Inhalts. Während die zweckfreie und rein erkenntnisorientierte Denkweise der Philosophie aus Sicht des Effizienzdenkens in den Verdacht sinnfreier und entbehrlicher Tätigkeit gerät, muss der Begriff Philosophie andererseits aufgrund seines geistigen Anspruchs zur Bemäntelung einfacher Gedanken aus dem Wirtschaftsbereich herhalten. Die aus dem englischen Sprachraum stammende Ummünzung von Philosophie für derartige Zwecke ruft allerdings längst nicht mehr das Erstaunen oder gar die Irritation des Publikums hervor, so sehr hat man sich bereits daran gewöhnt.

Ähnlich verhält es sich mit dem Begriff der Kultur in seiner imponierdeutschen Verwendung. Eine durchgängige Hochleistungskultur schreibt sich ein Unternehmen auf die Fahnen. Was soll hier die Kultur? Hat das Unternehmen etwa Neigung, sich mit dem sonst eher belächelten Kulturbetrieb gemein zu machen? Reicht es nicht, dass man sich Hochleistungen auf die Fahnen schreibt (was ja allein schon ziemlich ehrgeizig klingt)? Ohne eine Unternehmenskultur geht es nicht. Dabei ist es ja gar nicht schlecht, dass Unternehmen sich dazu verpflichten, mit ihren Mitarbeitern und Kunden anständig umzugehen. Aber muss man diese Selbstverständlichkeit gleich mit dem Hochwertwort Kultur verbrämen?

Jenseitiges und Diesseitiges

Da bietet sich in der Spirale der Eitelkeiten und Beschönigungen glücklicherweise ein weiteres Hochwertwort als Ersatz an: die Mission, womit wir endgültig im Reich der Transzendenz angekommen sind. Und wem die Mission nicht reicht, dem bietet sich der Mythos an.

Auch die Gabe des Sehens steht in hohem Kurs. „Ich sehe …“ ist eine beliebte Formel von Volkswirten in Kreditinstituten: „Ich sehe eine niedrige Zinslage bei volatilen Aktienmärkten.“ Oder: „Wir sehen sehr schwache englische Banken.“

Fachlich klingt auch eine eigenwillige Verwendung von Präpositionen, zum Beispiel wenn sich ein Produkt am Markt bewährt. Dass nur ja nicht der Eindruck entsteht, man habe es hier mit dem schlichten Wochenmarkt zu tun! Auch arbeitet man nicht an einem Projekt, sondern man ist auf einem Projekt. Gern werden auch Neuschöpfungen verwendet, die missverständlich sind und deshalb Eingeweihtsein voraussetzen: zeitkritisch hat nichts mit dem bekannten Substantiv Zeitkritik zu tun (also mit der Kritik an den gegenwärtigen Zuständen), sondern bedeutet schlicht, dass eine bestimmte Maßnahme in einer bestimmten Zeit, also rechtzeitig, umgesetzt werden muss, weil sie sonst nicht wirkt. Ähnlich wie zeitkritisch wird auch das gebräuchliche opportunistisch umgedeutet: Bezeichnet der Opportunismus an und für sich eine charakterlich fragwürdige Haltung, so ist ein opportunistisches Investment gerade nichts Verwerfliches. „Wir gehen opportunistisch ran“, meint im Imponierdeutschen schlicht, dass günstige Gelegenheiten genutzt werden. Beliebt sind auch Verben aus dem Beraterjargon wie skalieren (eine Sache größer und kleiner machen können), kalibrieren (sie in das rechte Maß bringen) und kannibalisieren (ein Unternehmen sich selbst zerlegen lassen) – eine hübsche Metapher!

Das Beraterdeutsch ist als Zulieferer des Imponierdeutschen einerseits an fachlicher Bedeutsamkeit, andererseits aber auch an Kürze interessiert. Das Opfer ist die Grammatik. Kommunikationsmedium der Berater ist der Chart. In der Kommunikation im Querformat entstehen grobe Verkürzungen, die mit deutscher Grammatik nicht mehr viel gemein haben. „Auswahl Standort“, „Verbreiterung Wirkungsgrad“, „Entscheidung Führung“ lauten gängige Überschriften in Präsentationen. Der Genitiv hätte eigentlich mühelos Platz gehabt. Aber Zeit ist Geld, und so übt sich die Beratersprache in absoluter Shortform. Durch die Verbreitung der PowerPoint-Präsentationen bei allen Anlässen bis hin zu Hochzeiten und runden Geburtstagen dringt die genannte absolute Shortform in die Gesellschaft vor – vielleicht als Vorreiterin einer kasusfreien Sprache.

Wegwerfwörter

Die Leichtigkeit, mit der wir in der deutschen Sprache Wörter zusammensetzen können, ist Segen und Fluch zugleich. Sie verführt zur Bildung von Wörtern, die für den kurzen Gebrauch zurechtgezimmert werden, um dann wieder in Vergessenheit zu geraten. Das Imponierdeutsche ist besonders hemmungslos beim Erfinden von Gelegenheitskonstruktionen, die den Anschein gehobener Fachlichkeit vermitteln. So heißt es in einem Zeitungsbeitrag, Unternehmen brauchten heutzutage den multifunktionalen Servicemitarbeiter. Dass man Mitarbeiter im Dienstleistungsbereich eines Unternehmens braucht, die vielseitig sind, ist leicht vorstellbar. Aber es klingt nicht fachlich genug. Der multifunktionale Servicemitarbeiter dagegen klingt durch seine Verknüpfung verschiedener Fremdwörter fachlich-technisch, er erweckt den Eindruck eines etablierten Berufsbilds.

 

Ähnlich ist es mit der Aufforderung, ein Unternehmen solle intermodulare Potenziale realisieren. Gemeint ist, dass ein Unternehmen die Produktion verschiedener Bauteile aufeinander abstimmen und dadurch effizienter machen soll. Diese einfache Tatsache muss sich aber in des Kaisers neue Kleider gewanden. Der technische Begriff des Moduls (eigentlich ein Bauteil) wird verbunden mit dem aus der Physik stammenden Begriff des Potenzials, um die Autorität eines Gesetzes aus den Naturwissenschaften zu entleihen. Das inter (= zwischen, das meist nicht unterschieden wird von intra = innerhalb) sorgt für weitere Bedeutsamkeitssteigerung.

Derartige Konstruktionen sind auch im politischen Sprachgebrauch beliebt. Geht es um den demographischen Wandel, so muss das Alterspatchwork sinnvoll gemanagt werden. Arbeitet ein Referent an einem Strategiepapier, so müht er sich zunächst an vorschattierten Themenfeldern ab, bevor er dazu aufgefordert wird, das Eckpunktepapier zu arrondieren. Eine geschmackvolle Neuschöpfung sind auch die Leerungsgebiete. So heißen seit neustem nicht etwa Bedürfnisanstalten, sondern die Regionen, aus denen Menschen fortziehen.

Das Imponierdeutsche ist zwar seiner Natur nach nicht gerade originell, es bringt gleichwohl Kuriosa hervor. Dazu gehört die Neigung, die Dinge gleich doppelt zu benennen, weil sie dann bedeutender klingen. Dagegen hat auch der Effizienzgedanke keine Chance. Einige Dopplungen aus meiner Sprachmüllsammlung:

Fachexperte

kooperative Zusammenarbeit

individueller Einzelservice

sektorieller Bereich

eingeschwungener Endzustand

intuitive Eingebung

Begriffskonzept

emotionale Betroffenheit

Entscheidungsalternative

konkreter Einzelfall

paradigmatisches Beispiel

selbstidentischer Markenkern

weltweite Internationalisierung

gefühlte Stimmung

Gegenreaktion

Beliebt ist auch das Gegenteil von Tautologie, die Verbindung sich widersprechender Begriffe, was die klassische Rhetorik als Oxymoron bezeichnet: der negative Aktienkursgewinn, das wachsende Desinteresse oder die partielle Vollverkabelung.

Semantischer Drahtverhau

Das Imponierdeutsch schadet unserer Sprache durch seine verkappte einseitige Wirtschaftsbezogenheit, durch seine hohle Allgemeinheit sowie schließlich durch den sozialen Abstand, den es schafft. Seine aufgeblähte, schwer verständliche Ausdrucksweise steht weitab von der Präzision einer echten Fachsprache und weitab von der Deftigkeit und Griffigkeit einer volksnahen Alltagssprache. Als Idiom der Eliten müsste es eigentlich das beste Deutsch sein: das differenzierteste, klarste, zugänglichste und zugleich stilistisch eleganteste.

Jargons sind sprachliche Besonderheiten, die eine soziale Zugehörigkeit markieren. Sie sollen und wollen sich von der Alltagssprache abheben, streben keine Allgemeinverständlichkeit an. Jargons sind aus Fachwortschätzen abgeleitet. Jedes Handwerk hat seinen umfangreichen Fachwortschatz für die verschiedenen Werkzeuge, Werkstoffe, die zu bearbeitenden Gegenstände und Bearbeitungstechniken. Auch der Jargon des Imponierdeutschen führt ein solches Eigenleben, als Sprache einer sozialen Schicht. Ihm liegt eine Haltung zugrunde, die Einfachheit mit Primitivität verwechselt und Unanschaulichkeit mit geistigem Anspruch.

Ein kurzer Blick über den Zaun: Es ist interessant, dass in Frankreich, welches uns als das Mutterland einer feinen, höfisch geprägten Sprache erscheint, gerade die Einfachheit in der Sprache besonders viel gilt. Die simplicité ist aber nicht geistige Schlichtheit, sondern die Kunst, aus dem Wortschatz das angemessene Wort zu wählen und einzusetzen. Die französische Sprachtradition legt keinen besonderen Wert auf einen großen Wortschatz und neue Wortschöpfungen. Die Kunst verständlicher Rede liegt in der richtigen Auswahl aus einem vorgegebenen Reservoir. Gewiss gibt es auch in Frankreich eine geschraubte Sprache, die mehr verhüllt als sie preisgibt. Nicht umsonst wird die Sprache der Politik „langue de bois“ genannt, hölzerne Sprache. Aber es wirkt doch eine rhetorische Tradition fort, an der sich die Redner messen lassen müssen und gemessen werden. Sie steht im Zeichen der Einfachheit, der Klarheit, der clarté. Das ist immer noch ein wirksames Korrektiv. Verständlich zu sprechen heißt, sich darum zu bemühen, dass man das treffende Wort findet und dass dieses Wort möglichst vielen Menschen zugänglich ist. Der Griff zum Wörterbuch, um sich eines Wortes zu vergewissern, gehört in Frankreich zum Alltag. Andere Sprachkulturen verfügen denn auch über einen Reichtum an Wörterbüchern, von denen wir nur träumen können.

Verständlich zu sprechen ist eine Kunst. Sie wird z. B. auch in England gepflegt: Das allgemeinverständliche Sachbuch genießt dort hohes Ansehen. In Deutschland dagegen steht populärwissenschaftliche Literatur immer noch unter dem Verdacht mangelnder Seriosität. Wissenschaftler, die Bestseller schreiben, werden hierzulande in ihrer eigenen Zunft eher beargwöhnt, als dass man sie als Mittler lobte.

Imponierdeutsch lähmt das Denken, statt es zu beflügeln. Offenbar gibt es bei uns kein gesellschaftlich anerkanntes Korrektiv, das ein Stilideal wie Einfachheit und Klarheit durchsetzen könnte und das die Verständlichkeit zur Leitschnur im allgemeingesellschaftlichen Umgang machte.

In unserem Land fehlt der Kompass für richtiges und gutes Deutsch. Gesprochen und geschrieben wird in einem wilden Durcheinander verschiedener Sprachstile. Natürlich sind wir ein freies Land, und jeder soll frei sprechen und schreiben dürfen. Aber wir sollten doch wissen, was angemessen ist, so dass wir mit der Sprache unser Denken schärfen, statt es zu vernebeln. Das sollte uns wichtig sein.

Kapitel 3 Englisch im Deutschen, Englisch statt Deutsch

Greifen die Anglizismen unsere Sprache an? – Wortschöpfungen – Wortschrott – English only? – Domänenverlust und seine Folgen – Wozu verschiedene Sprachen? – Die feinen Unterschiede – Sprache und Persönlichkeit – Ist Kultur von Sprachen unabhängig?

Anglizismen sind ein Aufreger. Sie wecken die Leidenschaften wie sonst nur die Rechtschreibreform. Ein einflussreicher Verein mit inzwischen über 30.000 Mitgliedern, der „Verein Deutsche Sprache“, rückt der „Sprachpanscherei“ öffentlichkeitswirksam zu Leibe. Hinter der Kritik an den Anglizismen steht die Sorge, dass die deutsche Sprache nicht mehr zuerst als Quelle für neue Wörter genutzt wird und dadurch verarmt; und dass die Übernahme von Wörtern aus dem Englischen die deutsche Sprache in ihrer Substanz angreift.

Es kommt eine neue Sportart auf? Wir übernehmen die Bezeichnung aus dem Englischen: Jogging oder Nordic Walking. Es entstehen neue Formen der Zusammenarbeit von jungen Unternehmern in gemeinsamen Büros? Wir nennen sie Co-Working. Die Medien verbreiten das Wort, und schon ist es in der Welt, und wer Professionalität ausstrahlen will, wird gar nicht erst ein deutsches Wort suchen. Es soll einen Vegetarier-Tag pro Woche geben? Die Grünen nennen ihn Veggie-Day, wobei die Aussprache unklar ist. Sicher, sie orientieren sich am Vorhandenen: girl’s day, social day. Hieß es früher „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“, so heißt es heute abgewandelt Equal Pay Day. Man nennt das ein Paradigma: Die sprachliche Form ist bereits da. Und so wird das Neue eingepasst.

Einen ähnlichen Weg nimmt das Haus, mit dem nur noch das biedere deutsche Eigenheim bezeichnet wird, während das House der neusten Kreation der Wissenschafts- und Wirtschaftspolitik vorbehalten ist: hochkarätigen Wissenspools wie dem House of Law and Finance, dem ein House of Logistics and Mobility auf dem Fuße folgte. Auf weitere Houses darf man gespannt sein. Muss da nicht das Hohe Haus auch aufgewertet werden?

Eine Landesmusikakademie will zeigen, dass sie auf der Höhe der Zeit ist? Schon heißt ihr Musikförderprojekt Youth Classics in Concert, und die gute alte Meisterklasse ist sowieso längst in Master Class umbenannt.27 Der Hautarzt lädt zur Behandlung ein? Willkommen in der Derma lounge. Wie sagt ein Finanzdienstleister, der mit etwas einverstanden war? „Für mich ist es fein, am Ende des Tages.“

Was sind die Motive für diese Übernahmen im Blindflug? Eine Spur Eitelkeit, etwas Angeberei, aber auch Beschönigung, Verbrämung: „Controlling klingt besser als Disziplinierung und Verbesserung der Anpassungsfähigkeit, Monitoring besser als Überwachung, Flexibility besser als verordnete Rückgratlosigkeit, Wissensmanagement besser als schrankenlose Aneignung aller Qualifikationen und Fähigkeiten“, schreibt der Österreicher Hubert Christian Ehalt bissig.28 Besser klingen als die Wirklichkeit, mehr scheinen als sein: Das steckt offenbar hinter vielen Anglizismen.

Ein weiteres Beispiel ist der Facility Manager. Er hat den schlichten Hausmeister abgelöst. Der Hausmeister nervte durch ständige Anwesenheit und Kontrolle. Der Facility Manager ist nur über Handy zu erreichen, und das ist gewöhnlich besetzt. Das Zauberwort Manager macht auch vor dem Jenseits nicht halt. Der Bestatter seligen Angedenkens erhält Konkurrenz durch den Funeral Manager.

Mittlerweile sind auch Ortsbezeichnungen nicht mehr sicher vor einer Anglisierung. Am 19. März 2014 vermeldete die Frankfurter Allgemeine Zeitung: „Offiziell gefeiert werden soll am 3. Juni. Doch bezogen worden ist das Gebäude an der Bessie-Coleman-Straße im Frankfurter Stadtteil Gateway Gardens unweit des Flughafens schon am vergangenen Wochenende. So wird das House of Logistics and Mobility nun seinem Namen gerecht.“29 Wenn da bei den Frankfurtern keine Heimatgefühle aufkommen!

Ein Kuriosum ist der halb englische, halb französische Begriff Entrepreneurship, wobei man Entrepreneur (also Unternehmer) halb französisch, halb englisch aussprechen muss, also mit Nasal, aber englischem „r“. Trotz dieser Unaussprechlichkeit geht das Wort hierzulande seinen Weg, gern auch im gemeinnützigen Bereich als Social Entrepreneurship. Was gegen soziales Unternehmertum spricht oder gegen unternehmerisches gemeinnütziges Engagement, ist mir unerfindlich. Aber Engagement ist als Gallizismus ohnehin auf dem Rückzug. Das gesellschaftliche Engagement von Unternehmen heißt jetzt Corporate Social Responsibility, für Eingeweihte abgekürzt CSR.

 

Doch wie häufig sind Anglizismen überhaupt? Das Institut für Deutsche Sprache in Mannheim beobachtet die Entwicklung des deutschen Wortschatzes mit Blick auf Neuschöpfungen. Unter den Neuwörtern (dazu zählen nur Wörter mit einem allgemeinen Bekanntheitsgrad, also keine reinen Fachtermini) der Neunzigerjahre machten die Anglizismen immerhin 40 Prozent aus.30 „Es ist eine Tatsache, dass die Zahl der Anglizismen, die ins Deutsche eindringen, stetig gestiegen ist und dass das Deutsche die europäische Sprache ist, die den größten Zuwachs aufweist“, schreibt Doris Steffen vom Institut für Deutsche Sprache.31 Auslöser dieser Übernahmen war die digitale Revolution mit neuen Erfindungen, maßgeblich aus den USA. Weitere Herkunftsbereiche waren Erlebnisgesellschaft, Medien und Sport. Ein paar allgemein bekannte Beispiele: chat group, cyber sex, burn out. 20 Prozent der Neuwörter waren Mischformen aus Deutsch und Englisch, zum Beispiel: Sound-Karte, wegzappen, Kuschel-Rock, Push-up-BH. Nur 60 Prozent der Neuschöpfungen hatten einen deutschsprachigen Ursprung, zum Beispiel: Elchtest, Hüpfburg, Drohkulisse, Quengelware, Datenautobahn, Zickenalarm.

Allerdings sanken die Anglizismen in den Nullerjahren im Vergleich zu den Neunzigerjahren. Im letzten Jahrzehnt, so die Erklärung des Instituts für Deutsche Sprache, wurden Neuwörter vor allem in Bereichen geschaffen, die weniger international, sondern national geprägt sind: zum Beispiel Arbeitslosengeld II, Eineurojob, Praxisgebühr, Riesterrente. Englische Neologismen sind zum Beispiel Anti-Aging, Best-Ager, ups, yep.32 Über die Zehnerjahre liegen noch keine gesicherten Daten vor. Jedoch zeigt ein Blick auf die in der Datenbank des Instituts für Deutsche Sprache erfassten aktuellen Neuschöpfungen einen erheblichen Anteil an Anglizismen, nämlich 13 von 18 Einträgen.33 Es sind Begriffe aus der Technik wie Fracking, vor allem aber wieder aus dem Computerbereich wie Shitstorm, Crowdfunding, leaken (nach Wikileaks) oder Glancing (Betrugskontakte auf Partnerbörsen). Es dürfte noch liken hinzukommen. Auch Mischformen mit deutschsprachigem Anteil sind dabei, z. B. Bestellbutton oder Button-Lösung (gesetzliche Regelung zur Information über die Auslösung einer zahlungspflichtigen Bestellung). Deutsche Neuprägungen sind Netzpartei, Schlagwortwolke (bildliche Darstellung gewichteter Schlagwortlisten im Netz) und vertrauliche Geburt (Gegenstand eines Gesetzes, nach dem eine werdende Mutter ihr Kind in einem Krankenhaus zur Welt bringen kann, ohne ihre Identität preiszugeben).

Der „Erste Bericht zur Lage der deutschen Sprache“ hat interessante Zahlen zutage gefördert. Einige seien genannt: Die Anglizismen sind von rund 1.000 zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf 11.000 zu Beginn des 21. Jahrhunderts gestiegen. In derselben Zeit sei der Wortschatz der deutschen Sprache von 3,7 auf 5,3 Millionen Wörter angewachsen. 80 Prozent der Anglizismen seien Zusammensetzungen, davon überwiegend sogenannte Hybridformen, also Zusammensetzungen aus englischen und deutschen Wortbestandteilen zu einem neuen Wort (Babystuhl, Riesenbaby).34 Kernaussage des Lageberichts zu den Anglizismen ist die Feststellung, diese seien gut in die deutsche Sprache integriert, ja sogar überwiegend in ihr selbst gebildet worden.