Iaidô

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Roland Habersetzer

Iaidō

Die Kunst, das Schwert zu ziehen

Aus dem Französischen

von Frank Elstner

Palisander

Danksagungen

Die erste Ausgabe dieses Buches erschien im Juni 1991 im Verlag Editions Amphora (Paris). An der Darstellung der kata wirkten José Lobo und Serge Santoro mit, die zu jener Zeit aktive Mitglieder des Centre de Recherche Budo waren und denen der Autor seinen Dank ausspricht. Die Zeichnungen und Bildtafeln zu den Formen und den Techniken entstanden nach Fotografien von Thierry Rocheron und Patricia Santoro, denen hiermit ebenfalls gedankt sei.

Die vorliegende Ausgabe, die auf der französischen Neuausgabe von 2009 basiert, wurde vollständig überarbeitet und um einige Abschnitte erweitert. Dies betrifft insbesondere die Beschreibungen der kata, welche zudem um zwei Formen, die seit 2001 offiziell zum Zen Nippon Kendō Renmei Iai zählen, erweitert werden konnten. Hierfür dankt der Autor Jean-Pierre Raick, 7. Dan Zen Nippon Kendō Renmei, dem technischen Direktor der Europäischen Kendō-Föderation, der Dachorganisation für kendō, iaidō und jōdō in Europa.

Deutsche Erstausgabe

1. Auflage 2014

Titel der Originalausgaben:

Découvrir le Iaido

© 1991 by Éditions Amphora s.a., Paris

Iaido. L‘art de tirer le sabre

© 2009 by Budo Édition, Noisy sur École

Deutsch von Frank Elstner

© 2014 by Palisander Verlag, Chemnitz

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Umschlaggestaltung: Anja Elstner

Lektorat: Palisander Verlag

Redaktion & Layout: Palisander Verlag

1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2016

ISBN 978-3-938305-81-2

www.palisander-verlag.de


Hanshi Roland Habersetzer


Roland Habersetzer

Centre de Recherche Budo – Institut Tengu (CRB-IT)

7b, rue du Looch

67530 Saint-Nabor (Frankreich)

www.tengu.fr

Deutsche CRB-IT Website:

www.wslang.de/​karatecrb/​

Der Autor

Sensei Roland Habersetzer, Jahrgang 1942, seit 1974 Leiter des von ihm gegründeten »Centre de Recherche Budo – Institut Tengu« (Budō Kenkyukai – Tengu Gakuin) begann 1957 die Kampfkünste zu erlernen, zunächst Judo und schon bald darauf Karate. 1961 wurde er einer der ersten französischen Schwarzgurtträger im Karate. Seither ist er mit Leidenschaft als Lehrer dieser Kampfkunst tätig.

Im Jahre 1968 erschien sein erstes populärwissenschaftliches Buch über die Kampfkünste. Heute besteht sein Werk aus nahezu 80 Büchern, was ihn zum Autor der weltweit bedeutendsten Buchreihe auf diesem Gebiet werden läßt. Seine Bücher, die zum Teil in mehrere Sprachen übersetzt worden sind, gelten in allen frankophonen Ländern als historisches, technisches und pädagogisches Standardwerk. Auch in vielen anderen Ländern besitzen sie hohes Ansehen.

Durch sein Wirken im Rahmen des CRB, durch zahlreiche Lehrgänge und Seminare auf der ganzen Welt und natürlich auch durch seine technischen Handbücher und historischen Werke leistete er echte Pionierarbeit, damit die traditionellen Werte seiner Kunst nicht verloren gehen. Zwischen 1962 und 2002 unterrichtete er in seinem Dōjō in Straßburg Karate, Kobudō und Taijiquan. Stets umfaßte sein Ausbildungskonzept sowohl die Kampftechniken als auch deren kulturellen Hintergrund. Nach wie vor ist er als Budōka sehr aktiv, auch wenn sich seine Lehrtätigkeit inzwischen auf wenige Lehrgänge und Seminare hohen Anspruchs pro Jahr beschränkt.

Nachdem er verschiedene Graduierungen in Frankreich, Japan und China erhalten hatte, wurde Roland Habersetzer im April 2006 in Japan durch O-Sensei Ogura Tsuneyoshi der Titel eines Hanshi verliehen (9. Dan des Gembuko-Dōjō) sowie der Titel eines Sōke (Meister-Gründer) für seinen eigenen Kampfkunststil »Tengu no michi« (»Weg des Tengu«) verliehen.

Parallel zu seiner Tätigkeit als Budōka verfolgt er mit seiner Schule des Tengu eine neue Forschungsrichtung auf dem Gebiet der Kampfkünste. Das Ziel besteht darin, auf Grundlage des Studiums und des praktischen Vergleichs zahlreicher Formen des Kampfes mit und ohne Waffe zu einem umfassenden Konzept der Selbstverteidigung zu gelangen, das den Gegebenheiten des heutigen Lebens gerecht wird.

Illustrationen

Alle Zeichnungen und Bildtafeln entstammen der Feder des Autors, mit Ausnahme der Zeichnungsfolge auf S. 140 bis 144, deren Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Weinmann-Verlags, Berlin, erfolgte. Fotos auf S. 5 (Autorenfoto), S. 23, 39, 152 und 153: Roland Habersetzer. Foto auf S. 16: Budo magazine (mit freundlicher Genehmigung). Fotos auf S. 21, 38 und 60: Jean-Pierre Raick (mit freundlicher Genehmigung). Foto auf S. 49: Martial Arts International (mit freundlicher Genehmigung). Fotos auf S. 46 und 47: Eugène Crespin (mit freundlicher Genehmigung). Foto auf S. 146: Kendo-nippon (mit freundlicher Genehmigung). Foto auf S. 42: gemeinfrei. Abbildung auf S. 81: gemeinfrei.

Inhaltsverzeichnis

Cover

Titel

Danksagungen

Impressum

Der Autor

Illustrationen

Das Wesentliche in wenigen Worten

1. Der Geist: Ein Augenblick, der über Leben und Tod entscheidet

1.1. Iaijutsu: Angreifen beim Ziehen des Schwertes

1.1.1. Battōjutsu oder kenjutsu – die ersten »Wege« des Schwertes

1.1.2. Hayashizaki Jinsuke, der Vater des iaijutsu

1.2. Iaidō: Eine klassische Kunst

1.2.1. Vom Tokugawa-Frieden zu den seitei-iai-gata

1.2.2. Die heutigen traditionellen Schulen (ryū-ha)

1.2.2.1. Musō Shinden-ryū

1.2.2.2. Mugai-ryū

1.2.2.3. Tenshin Shōden Katori Shintō-ryū

1.2.2.4. Takenouchi-ryū

1.2.3. Iaidō oder Iaijutsu?

1.3. Sich selbst angreifen

2. Die Technik: Zen Nippon Kendō Renmei Iai

2.1. Die Elemente

2.1.1. Die Stellung (physische Elemente: tai)

2.1.2. Das kihon (technische Elemente: gi)

2.1.2.1. Koiguchi-no-kiri-kata

 

2.1.2.2 Nuki-tsuke

2.1.2.3 Seme

2.1.2.4 Furi-kaburi

2.1.2.5 Kiri-tsuke

2.1.2.6 Chiburi

2.1.2.7 Zanshin

2.1.2.8 Noto

2.1.3. Die innere Haltung (geistige Elemente: shin)

2.2. Die kata

2.2.1. Etikette und Zeremonie (reishiki)

2.2.1.1. Der Geist des dōjō

2.2.1.2. Der Gruß

2.2.2. Beschreibung der zwölf Formen

2.2.2.1. Tabellarische Übersicht

2.2.2.2. Die erste Form: Mae

2.2.2.3. Die zweite Form: Ushiro

2.2.2.4. Die dritte Form: Uke-nagashi

2.2.2.5. Die vierte Form: Tsuka-ate

2.2.2.6. Die fünfte Form: Kesa-giri

2.2.2.7. Die sechste Form: Morote-zuki

2.2.2.8. Die siebente Form: Sanpō-giri

2.2.2.9. Die achte Form: Gan-men-ate

2.2.2.10. Die neunte Form: Soete-zuki

2.2.2.11. Die zehnte Form: Shihō-giri

2.2.2.12. Die elfte Form: Sō-giri

2.2.2.13. Die zwölfte Form: Nuki-uchi

2.2.3. Der Geist des iai

Anhang

Die Ausrüstung

Die Kleidung

Die Waffe

Tameshi-giri

Die kata des iaidō des Tenshin Shōden Katori Shintō-ryū

Aussprüche von Meistern des katana

Kendō- und Iaidō-Verbände

Weitere Titel

Anmerkungen

Indem man zieht, pariert man den Schlag des Gegners und versetzt ihm einen Hieb, in dem die ganze Seele liegt, so dass er zu Boden fallen wird.

Yoshimura Kenichi

Das Wesentliche in wenigen Worten

Plötzlich verharrt der Meister in seinem leisen, gemessenen Gang. Würdevoll und aufrecht steht er da in seinem dunklen hakama, mit vollkommen gleichmütigem Gesichtsausdruck. Seine linke Hand hält den Schwertgriff auf Höhe der Hüfte, die Schneide der Klinge zeigt nach oben. Dies ist der Augenblick, in dem die physische und geistige Konzentration extrem wird, fast unerträglich, der Moment, in welchem der Gegner sein eigenes Schwert schwingen wird, um sich in den Angriff zu stürzen. Die Aktion wird bis zum letztmöglichen Augenblick hinausgezögert, bis zu der nunmehr greifbar gewordenen Grenze zwischen Leben und Tod. Was nun folgt, hängt an einem seidenen Faden: Das leiseste Geräusch, die erste sichtbare Bewegung, und alles in dieser äußersten Konfrontation zweier Gegner wird zu Ende sein. Das Gesicht des Meisters gleicht noch immer einer undurchdringlichen Maske, aber die Luft scheint von dieser scharfen Konzentration zu vibrieren, zu der die Männer nur in diesem entscheidenden Moment wirklich fähig sind, in dem einer von ihnen sterben muss, damit der andere überlebt. Denn im Angesicht des Todes kann auch die kleinste Geste zu größter Bedeutung gelangen.

Plötzlich entlädt sich die angesammelte Energie. Das ki1 explodiert und verschmilzt mit der Schnelligkeit des katana, das aus seiner Scheide fährt gleich einem kalten, bläulichen Blitz. Die Klinge schießt mit einem seidigen Geräusch durch die Luft, von hinten nach vorn und trifft den Gegner genau in dem Augenblick, in dem er dem Angriff ausweichen will. Der Meister, der seine Spannung auf solch außerordentliche Weise schlagartig losgelassen hatte, hält abrupt in seiner Bewegung inne, wobei er einen durchdringenden kiai2 ausstößt. Das Schwert steht still; der Kampf ist beendet.

Diese unvermittelte Rückkehr in den Zustand der Ruhe bildet den schärfsten Kontrast zur Intensität der gerade erfolgten Handlung; der Gegner liegt bereits am Boden, mit gespaltenem Schädel oder durchtrennter Kehle, möglicherweise auch mit zerschnittener Kniekehlensehne. Mit einer knappen Bewegung aus dem Handgelenk schüttelt der Meister das Blut, das die Klinge benetzt, ab und steckt das katana schnell, aber keineswegs hastig zurück in die Scheide. Dies geschieht mit Maßgefühl und Präzision, mit einer Bewegung, die von Kraft und Meisterschaft spricht.

Auch heute noch werden Iaidō-Vorführungen mit Neugierde und Bewunderung verfolgt. Der Meister, allein in einem imaginären Kampf auf Leben und Tod mit einem unsichtbaren Gegner, fasziniert den Zuschauer, denn in den Bewegungen der kata3, die er ganz für sich ausführt, und selbst in seinem gelegentlichen Innehalten vor, bei und nach dem tödlichen Schlag, schimmert der Geist des echten budō4 hindurch.

Das iai hat heute nicht mehr den geringsten praktischen Nutzen, denn die Techniken mit dem Schwert können keinen Zweck mehr erfüllen, nicht einmal im Sinne einer technischen Überlegenheit über einen Partner in einem sportlichen Wettkampf. Doch gerade darum ist alles an ihm so rein geblieben – der Geist, die Haltung, der Schlag, die Absichten und ihre Umsetzung. Es ist ein Kampf des Menschen gegen sich selbst. Doch der Meister des iaidō wird sagen, es ist ein anderes Selbst, gegen das der Schlag geführt wird. Und ebenso wie auf verschiedenen spirituellen Wegen, so beispielsweise im Zen, wird der Meister seinen Schüler lehren, das besitzergreifende »Ego« aufzugeben, den Teil des Selbst, der einen hemmt und einem Illusionen vorgaukelt. In den Techniken des iaidō wird auf alles Überflüssige verzichtet, und auf diese Weise lehrt es seinen Adepten, das Überflüssige in sich selbst fallenzulassen.

Im Ausdruck »iai« findet sich der Begriff des »Seins« (i, von iru) und der Begriff der Harmonie (ai) in dem Sinne, dass man seinen Geist in Harmonie mit dem des Gegners bringt. Dies erinnert an die Kunst des aikidō. Aber im Unterschied zu diesem ist im iaidō die entsprechende Geisteshaltung mit der Meisterschaft im Umgang mit einer Waffe, dem Schwert der Samurai von einst – dem katana – verbunden. Die präzisen Bewegungen mit dieser Waffe sind nichts anderes als die Verlängerung dieser Geisteshaltung. Die Nachsilbe »dō«, der Weg bzw. die Suche, ist mit dem chinesischen Begriff »dao« identisch und weist auf die spirituelle Komponente in einer kriegerischen Praxis hin, wie dies in allen japanischen Kampfkünsten (den Künsten des budō) der Fall ist. Sie bezeichnet ein Endziel, das über den einfachen Gebrauch der Techniken hinausgeht. Im Lauf der Zeit ist aus dem iai-jutsu, der »Technik« des iai, das iai-dō, der »Weg« des iai, geworden. Die Kunst des iai, das heißt, die Kunst des Schwertziehens in einer Bewegung, in der Ziehen, Schnitt, Hieb und Stoß ineinander verschmelzen, war lange Zeit eine pure Kampftechnik. Erst später entwickelte sie sich zu dem, was es heute ist, einem inneren Weg für denjenigen, der eine Bewegung ausführt, die man nicht mehr als Kampftechnik auffassen muss.

Das echte iaidō kann zugleich als Technik als auch als Geisteszustand definiert werden. Und genau das ist die Ausrichtung, die ihm heutzutage gegeben wird. Wer diese Kunst ausübt, strebt durch die exakte und unveränderliche Bewegungsfolge der kata nach totaler Mobilisierung seiner Energie (ki) unter Einbeziehung seines gesamten Wesens. Und dies geschieht mit solcher Hingabe, als ginge es bei jeder einzelnen Bewegung um Leben und Tod. Im Unterschied zum kendō, das sich zu einem Sport entwickelt hat, gibt es im iaidō keinen physischen Gegner. Alles steckt in der Absicht und in der Konzentration und schließlich in der Explosion der Bewegung, die von außen gesehen ins Leere läuft. Tatsächlich wird derjenige, der die Bewegung ausführt, sie auf eine sehr intensive Weise »leben«, und die Tatsache, dass ihm kein realer Gegner gegenübersteht, ändert weder etwas an der Wahrhaftigkeit der Bewegung noch an ihrer Effektivität.

Das iaidō ist Erbe alter Techniken, die unter verschiedenen Namen überliefert wurden: Saya-no-uchi, nuki-ai, nuki-uchi, tachi-ai, ri-ho, za-ai, bakken, iaijutsu, battōjutsu. Es ist die Kunst, das Schwert zu ziehen, um möglichst aus dieser einen Bewegung heraus unverzüglich dem gegnerischen Angriff ein Ende zu setzen – unabhängig davon, ob dieser Angriff tatsächlich schon begonnen hat oder nur als geistige Absicht erkennbar war. Es ist eine Kampfkunst, die ihrem Wesen nach von rein defensivem Charakter ist. Sie ist für den eigentlichen Kampf gar nicht konzipiert, denn sobald Gegner einander mit blanken Klingen gegenüberstehen, begeben sie sich in den Bereich des kenjutsu, der Kunst, das Schwert außerhalb seiner Scheide zu handhaben, dem Vorgänger des kendō. Die Zeit für die Anwendung von Technik und Geist des iai ist präzise bemessen und kurz. Sobald die Klinge aus der Scheide schnellt, um im selben Stahlblitz den Schnitt auszuführen, konzentriert sich die gesamte innere Energie des Samurai, seine ganze Seele, auf die Schneide des Schwertes. Entweder es gelingt ihm, seine Bewegung zur rechten Zeit auszuführen, und er überlebt, oder es gibt einen zeitlichen Verzug zwischen seiner Absicht und ihrer Ausführung, und er stirbt. Im iaijutsu gibt es keine zweite Chance.

Aus der lebenswichtigen Bedeutung dieser einzigen Bewegung erwächst die Notwendigkeit einer totalen Konzentration. Die Technik des Schwertziehens in einem ganz bestimmten Augenblick, mit einer schnellen und fließenden Bewegung »schräg« zum Körper (uchi-zuki), wird aus einer sitzenden (iai-hiza, iai-goshi), einer knieenden (seiza) oder einer stehenden Position heraus geübt. Man trainiert sie aber auch im Gehen oder während man sich umwendet, und man berücksichtigt dabei Hindernisse, denen man ausweichen muss, um auf diese Weise ein ausgeprägtes Gespür für Abstand zu erlangen. Man muss auch lernen, das Schwert zurück in die Scheide zu stecken, mit einer sicheren und präzisen Bewegung, selbst im Dunkeln. Und all dies ohne Partner, denn der Partner existiert nur in der Vorstellung, wie stark auch immer er im Geist des Übenden präsent sein möge. Jede Technik besteht aus vier separaten Bewegungen (sho-hatto), die jedoch flüssig ineinander übergehen: Das Aus-der-Scheide-Ziehen (nuki-tsuke), der entscheidende Schnitt (kiri-tsuke), das Abschlagen des Blutes von der Klinge (chiburi) und die Rückkehr der Klinge in die Scheide (noto). Tatsächlich ist es gleichgültig, ob der Gegner real vorhanden ist oder nur in der Vorstellung. Das ändert nichts am Wesen der Sache. Und das ist auch der Grund, weshalb das Training des iaidō im Gegensatz zu dem des kendō ohne Partner erfolgt (tandoku-renshu).

 

Seit jeher wurde das Schwert (ken, nippon-to, katana) in Japan als Seele des Kriegers betrachtet. Sein Stahl wurde nach einem traditionellen Verfahren geschmiedet, das von Generation zu Generation überliefert wurde. Es verbindet den Krieger mit dem Tod und mit dem Leben. Im rein intellektuellen Verständnis sind dies gegensätzliche Konzeptionen, aber dem Samurai musste es gelingen, diese Denkweise zu überwinden, um die Gegensätze zu versöhnen, indem er zum wahren »Wissen« (satori) gelangt. Doch dies ist erst am Ende einer langen Ausbildung, begleitet von einer inneren Suche, die den Rahmen der simplen Technik überschreitet, zu erreichen. Auf diese Weise kam es beim reinen und harten Samurai zu einer Veränderung des Geisteszustands (seishi-o-choetsu), der ihn in seinem Schwert eine doppelte Zweckbestimmtheit erblicken ließ: Zunächst natürlich ging es darum, jede äußere Bedrohung seiner körperlichen Unversehrtheit zu »zerschneiden«, aber darüber hinaus ging auch darum, das »Ego zu zerschneiden«, damit ein echtes spirituelles Erwachen stattfinden konnte.

Das Schwert ziehen und mit der selben Bewegung den Schnitt ausführen – das bedeutet Einheit des Gefühls, des Willens und der Tat. Man versteht unter diesem Gesichtspunkt, wie das Schwert zum Ausgangspunkt der geistigen Entwicklung desjenigen, der sich mit ihm in solchem Maß identifizierte, werden konnte. Das iaidō ist somit eine der Formen des »Schmiedens des Geistes« (seishin-tanren), wie auch die anderen klassischen japanischen Kampfkünste, bei denen der Begriff des »dō« den des »jutsu« ersetzt hat. Es ist ein technisches Schema, durch das der Mensch einst auf dem Schlachtfeld zu überleben lernte. Und seit der Zeit, da die Feuerwaffen den Blankwaffen ihre Bedeutung genommen haben, kann der Mensch innerhalb dieses Schemas zur »Selbstverwirklichung« gelangen, indem er auf intensive Weise Bewegungen ausführt, sie »durchlebt«, die von vornherein ohne praktischen Nutzen sind.

Das ist der Grund, weshalb mehr und mehr budōka5 sich dem Studium des iaidō zuwenden, sich ihm gänzlich widmen oder es neben einer anderen Kampfkunst praktizieren. Zunächst nur im Umfeld des kendō bekannt, fasste es schnell Fuß in Kreisen des aikidō, karatedō und jūdō. Zum Preis eines langen nüchternen und stets anspruchsvollen und harten Trainings lernt der iaidōka die Sicherheit bzw. Genauigkeit einer Technik zu empfinden und die kunstvolle Bewegung seines Schwertes wie eine Bewegung seines Körpers wahrzunehmen. Diese neuartige Empfindung öffnet ihm eines Tages eine Tür, hinter der Erfüllung und Ausgeglichenheit auf ihn warten. Die Aktion im iaidō erwächst aus innerer Nüchternheit, sie erfordert den totalen Einsatz und die Kontrolle des Selbst. Damit ist das iaidō eine Schule des Willens und der Meisterschaft. Dies alles führt zu wachsendem Interesse bei jenen Liebhabern der Kampfkünste, die daran interessiert sind, die Botschaft des Friedens in sich aufzunehmen, die in den kriegerischen Techniken enthalten ist. Denn im iaidō wird aus der Klinge, die zum Zerstören geschaffen wurde, ein Instrument der Schöpfung. Zehntausende Praktizierende dieser Kunst in Japan, in Amerika und in Europa haben dies verstanden. Sie sehen im iaidō, wie es von den Meistern des Schwertes überliefert wurde, einen weiteren Fixpunkt einer Tradition, die es dem Menschen, der auf der Suche nach sich selbst ist, ermöglicht, alle Arten von Aggression zu überwinden, die der modernen Zivilisation entspringen.