ACRIM

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ACRIM

Roland Braxmaier

Roland Braxmaier

acrim@t-online.de

published by: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

Copyright: © 2013 Roland Braxmaier

ISBN 978-3-8442-5770-0

0051/110 Joe

Schnell schlug sie die Mappe zu, ordnete noch die letzten Papiere an ihrem Arbeitsplatz und bemühte sich, alles ordentlich zu hinterlassen. Sie markierte trotz aller Hektik die Stapel mit Namen, wer welchen bearbeiten sollte.

Müde ließ sie sich in ihren Bürostuhl zurückfallen und es bildete sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht. Sie freute sich diebisch auf die folgenden Tage mit ihrer Familie.

„Hi Joe, du bist noch da?“

Ihr PC meldete sich noch einmal.

„Bin schon weg, Woody! Sperren und aus.“ Mit dem Verriegeln des PC’s erhob sie sich, packte die wichtigsten Utensilien in ihre Tasche, verriegelte auch noch ihren Schreibtisch und stürmte los.

An der Tür blieb sie kurz stehen, drehte sich um und ging nach kurzem Zögern nochmals zurück. Sie entriegelte ihren PC.

„Hi Joe, findest du kein Ende?“

„Woody, du sollst nicht so frech sein. Hatte ich mich abgemeldet?“

„Natürlich.“ Die Computerstimme zog das Wort künst-lich in die Länge um die Selbstverständlichkeit zu unterstreichen und klang weich und verständnisvoll.

„Das hast du schon lange gemacht. Muss noch etwas erledigt werden?“

„Ja, erstelle eine Sicherungskopie...“

„Joe, wie lange arbeiten wir schon zusammen?“ Der Computer schien fast beleidigt.

„... und schicke sie bitte an Lira. Sie weis während meiner Abwesenheit über alles Bescheid. Nochmal: Sperren und Aus.“

Innerhalb einer Sekunde erlosch der Bildschirm und der Rechner ging sofort auf Standby.

Eine Antwort von Woody hatte sie nicht mehr abgewartet. Joe Watch galt unter ihren Kollegen als völlig unkoordiniert und chaotisch, aber ihre Abwesenheiten hatte sie immer perfekt organisiert.

Endlich war sie mit allem zufrieden und erhob sich.

Sie ahnte nicht, welche verheerenden Konsequenzen diese Verzögerung nach sich ziehen würde.

Mit Wucht schob sie den Stuhl unter den Schreibtisch, schlug mit der Faust kurz auf die Uhr und verließ endgültig den Raum.

Sie schlenderte vergnügt zum Lift und ließ sich schnellstmöglich hinab transportieren. Tief unter dem Stadtzentrum befand sich der neue Bahnhof für die Transportzüge. Sie wohnte weit außerhalb, was nicht weiter ins Gewicht fiel, denn diese neue Errungenschaft beförderte sie extrem schnell.

Im Lift klickte sie sich in die audio-visuelle Unterhaltung ein, spürte dennoch bereits die Blicke.

Sie war eine attraktive Frau, zeigte es aber nicht. Es war ein Genuss für Joe, immer in legeren Klamotten zur Arbeit erscheinen zu können. Nicht im Geringsten war sie daran interessiert, irgendetwas ihrer Figur der Umwelt zur Schau zu stellen.

In Gedanken war sie schon zu Hause bei ihrem Mann und den beiden Kindern, trotzdem entging ihr nicht, dass jemand mit seinen Augen ihren Beinen entlang fuhr. So extrem hatte sie es noch nie gespürt.

Sie besaß tatsächlich diese seltene Gabe. Dinge zu spüren, die man eigentlich nicht spüren konnte.

Spontan öffnete sie die Augen und blickte in die Richtung, aus der sie vermutete, dass sie angestarrt wurde. Und es gelang ihr ein Volltreffer!

Peinlich berührt sah der Mann zur Seite.

Ein Bulle von einem Mann und in der Erscheinung höchst unkonventionell. Wirres dichtes schwarzes Haar, in alle Himmelsrichtungen weisend und ein Vollbart verliehen ihm ein beinahe dämonisches Aussehen. Aufgrund seiner Schulterbreite, sie maß mehr als die doppelte Breite ihrer eigenen, unterstützt durch seinem dicken, dunkelbraunen Wollpullover wirkte er wie ein Bär. Das um den Hals gewickelte blau-weiß gestreifte Seidentuch passte so gar nicht zum Gesamtbild.

Joe erschrak selbst ein wenig, aber sie behielt ihn im Visier. Das war ihm offensichtlich zuviel. Beim nächsten Stop erhob er sich und verließ den Lift.

Über ihren Erfolg amüsiert lächelte sie und schloss erneut die Augen. Erst die Ankündigung einer leicht mechanisch klingenden Stimme, die sich in ihre Übertragung hineinstahl, veranlasste sie, die Augen wieder zu öffnen, denn das Erreichen der ersten Zwischenstation stand bevor.

Schnell und zielsicher bewegte sie sich vom Lift zu ihrer Transportbahn, ließ sich im Entspannungsbereich nieder, setzte den audio-visuellen Helm auf und wartete geduldig auf ihren nächsten Stop.

Allzu gerne ließ sie sich in eine Traumwelt entreißen, um die Wartezeit etwas zu überbrücken.

Völlig entspannt glaubte sie in der Simulation auf einer sonnenbeschienen Wiese zu stehen, spürte scheinbar wärmende Strahlen auf ihren Rücken und blickte auf eine natürlich gewachsene Reihe hoher Pappeln.

Hellgrün gegen hellblau. Deutlich zeichneten sich die von der Sonne beleuchteten Blätter vor dem makellosen Himmel ab.

Von solchen Illusionen konnte sie sich völlig aus der Realität reißen lassen. Gerade als sie begann, sich darauf einzustellen wurde sie von der Realität aus der Illusion gerissen. Sie hatte ihr Ziel erreicht.

Als sie die Bahn verließ wusste Joe, sie war kurz vor dem Ziel.

Joe – Lip. Ein Augenkontakt – vielleicht eine Sekunde nur.

Seine Gesichtsmuskeln entspannten sich im Nu. Eigentlich war er wütend.

Vor zwei Sekunden noch hatte er ‚Scheiß-Weiber’ im Kopf, doch die Empfindung war verschwunden. So schnell wie wenn man Strom mit einem Schalter abschaltet.

Gerade war er von Bion übel versetzt worden. Er hatte Karten für das CC besorgt, das CineCenter. Derzeit der letzte Schrei. Nicht 3D, nicht 4D, hier war man direkt der Held und die Begleiterin spielte die Geliebte.

Man zog sich um in eine Art Taucheranzug, etwas umständlich, wurde verkabelt und konnte den ganzen Ablauf des Films aus der Ich-Perspektive erleben.

Und Bion wäre während des Abenteuers seine Geliebte gewesen. Er träumte schon seit Tagen davon und jetzt hatte sie ihn versetzt.

‚Blöde Schlampe’ Lip hatte sie übel beschimpft, nicht nur, weil die teuren Karten umsonst waren, er hatte sich deutlich mehr davon versprochen.

Schließlich baggerte er sie schon seit längerem unverhohlen an.

Lip – Joe. Ein Augenkontakt – vielleicht eine Sekunde nur.

„Hallo Joe, auch auf dem Weg nach Hause?“

„Hi Lip, ich bin sogar auf dem Weg in die Ferien!“

„Das nenne ich Zufall, ein paar Sekunden später und wir hätten uns verpasst. Ich habe dich hier schon lange nicht mehr getroffen.“

„Ja, ich bin etwas später unterwegs, weil ich vor der Erholphase noch einiges erledigen musste.“

Sie stieß ihm voller Freude mit der Faust leicht in die Seite. Lip Jackson war ein ehemaliger Kollege mit dem sie früher das Büro teilte.

Er hatte ihr jahrelang Angebote gemacht, aber sie war unbeirrt. Selbst in den Phasen ohne festen Partner war sie daran nicht interessiert. Lip war nett und sympathisch, aber einfach nicht ihr Typ.

Er war ihr zu sehr Ästhet.

Nur um ein makelloses Profil zu bekommen – Lip lag sein Unterkiefer zu weit innen – hat er ihn sich brechen lassen, um den Oberkiefer nach innen, den Unterkiefer um einige Millimeter nach vorn schieben lassen.

Wie gesagt, es ging nur ums Profil, aber Lip versprach sich davon mehr Respekt.

Joe empfand die Veränderung eher als Nachteil, weil sie seit der OP das Gefühl hatte, dass sein Gesicht von vorne eher etwas schiefer aussah als bisher.

Aber das hätte sie ihm nie gesagt.

Seit sie verheiratet war wurde es mit seinen Annäherungsversuchen besser, aber er konnte es nie ganz sein lassen.

„Du könntest auch mit mir die Erholphase verbringen!“

„Witzbold Lip, du wirst es wohl nie lassen. Wir haben das Jahr 0051 der neuen Zeitrechnung, was schon einige Veränderungen mit sich brachte, aber Ferien mit dir, das wird wohl auch in der neuen Zeitrechung nichts mehr werden.“

Sie war so gut gelaunt und lachte ihn an.

„Laß’ uns wenigstens noch etwas trinken gehen.“

„Warum nicht.“ Einerseits hatte Joe keine rechte Lust dazu und wollte ihren Weg nach Hause gehen, andererseits fühlte sie sich geschmeichelt.

Weshalb sie ausgerechnet heute seiner Einladung nachgab konnte sie sich nicht erklären. Er wirkte irgendwie traurig, fast mitleiderregend auf Joe.

Sie fanden in den Grünanlagen des Syracus einen Tisch.

„Wie geht es Bion?“ Unbekümmert und nichts ahnend trat Joe mitten und tief in den Fettnapf.

Ein nie beachtetes Zucken ging durch Lips Gesicht und seinen linken Arm, er blickte zur Seite und murmelte unverständliche Worte, aber die Botschaft war klar.

Von einer Kollegin wusste Joe, dass die beiden zusammen waren – das heißt, dass Lip Bion anmachte, aber scheinbar mit bescheidenem Erfolg.

„Was ist los?“

Lip erzählte ihr von dem verpatzten Abend. Seine drastische Wortwahl ließ keinen Zweifel, dass er mehr als sauer auf Bion war.

„Diese blöde Schlampe, was glaubt die eigentlich. Ich reiße mir hier den Arsch auf und sie glaubt ein Anruf genügt. So läuft das aber nicht. Ich lasse mich doch nicht so abspeisen.“

„Ich, ich, ich .... Lip, so geht es auch nicht, ist dir das schon einmal aufgefallen?“ Sie erschrak über ihre Direktheit. Joe wählte in solchen Fällen lieber den diplomatischen oder hygienisch-neutralen Weg. Sie bezog nicht so gerne Position.

Lip war in keiner Form mehr zu beruhigen und Joe hatte schon längst entschieden, dass es ein Fehler war, auf die Einladung einzugehen.

Sie bezahlte und erhob sich.

 

„Nun sei doch nicht beleidigt, es tut mir leid.“

Das war seine übliche Masche, wenn er über die Stränge geschlagen hatte.

„Sorry, aber ich muss los.“ Sie ließ ihn einfach sitzen.

Erleichtert trat sie aus dem Garten und bog in ihre ursprünglich eingeschlagene Richtung ab.

Sie war noch keine fünf Minuten unterwegs, als Lip wieder neben ihr lief.

„Déjà vu, wir können ja noch mal von vorne anfangen: Hi Joe...“

„Nein, können wir nicht.“

Es entging ihr nicht, dass Lip einen nervösen, unruhigen Eindruck machte.

Er war anders als sonst und er wurde plötzlich viel zu schnell zu direkt. „Du könntest wenigstens mal mit mir schlafen.“

„Du tickst wohl heute nicht ganz richtig!“ Wütend blieb sie stehen und baute sich vor ihm auf.

„Ich habe dir immer Spielräume für deine armseligen Scherze und Wortspielereien gelassen, aber jetzt überziehst du deinen Kredit bei weitem. Wenn dir irgendwas an unserer Freundschaft, ich betone es gerne noch einmal: - Freundschaft - liegt, dann höre mit dem Scheiß auf.“

„Ok, ok, ich lasse es schon sein.“

Er hatte offensichtlich verstanden. Und er wusste ganz genau, dass sie das nicht leiden konnte.

„Du kannst gerne alleine weiterlaufen.“

Ihr Ton war kühl geworden. Er steckte seine Hände in die Hosentaschen und ging eine Weile neben ihr.

Unwohlsein machte sich breit. Irgendwie musste sie so schnell wie möglich raus aus der Nummer.

Ohne Vorwarnung riss er seine Hände aus den Taschen, schob sie stolpernd in eine Seitengasse und drückte sie hinter einem Vorsprung an die Wand. Mit einer Hand hielt er ihr dem Mund zu, mit der anderen presste er sie an die Wand.

„Was ist, wenn ich mir einfach mal hole, was ich will?“

Zur Unterstützung seiner dummen Frage legte er den Kopf schief und sah sie von der Seite an. Er sah aus wie ein Idiot. Vorsichtig lockerte er die Hand vor ihrem Mund.

„IDIOT“ Sie blieb erstaunlich kühl. „Du weist ganz genau was passiert, wenn du das tust!“

Er lachte und es klang das erste Mal dreckig.

„Du glaubst den Mist doch nicht etwa?“

Mit seinem Knie drückte er ihr den Oberschenkel an die Wand, dass es sie schmerzte. Dadurch bekam er seine rechte Hand frei und er schob sie langsam nach oben, bis er ihre Brüste berühren konnte.

Massiver Ekel rührte sich in ihr. Durch die dünne Bekleidung drang die feuchte, schwitzige Wärme seiner unruhigen Finger, mit denen er die Form ihre Brüste nachzeichnete. Zitternd hielt er mit allen Fingern noch einen Abstand von einem halben Millimeter, dann legte er seine Hände auf ihre Brust.

Sie versuchte sich zu winden, aber ihr Oberschenkel schmerzte entsetzlich. Die Wand, an die sie gepresst wurde war nicht glatt, sondern hatte lauter kleine Betonpyramiden auf der Oberfläche. Eine dieser Pyramidenspitzen drückte bereits tief in ihren Oberschenkel.

„G-u-t“ Er zog es schrecklich in die Länge. “Wenn du den medizinischen Schwachsinn mit der Ansteckungskrankheit gerne glauben willst, dann ficke einfach freiwillig mit mir!“

Niemals hätte sie geglaubt, dass er nach dem jahrelangen saloppen Gerede einmal Ernst machen würde. Fieberhaft suchte sie nach Möglichkeiten, die Katastrophe noch abzuwenden. Freiwillig um das Allerschlimmste zu verhindern - das würde unter diesen Voraussetzungen niemandem gelingen.

„Ich will nicht und damit Schluss!!“ Sie wollte es hinausschreien, aber ihre Worte zischten nur zwischen ihren Zähnen hindurch. Er ließ es nicht zu, dass sie ihren Mund öffnen konnte.

Irgendwie war sie sich sicher, er würde noch von ihr ablassen, soweit war es noch nie gekommen.

Panisch bemerkte sie, wie er die oberen Knöpfe ihrer Bluse öffnete und ungeniert nach ihren Brüsten grabschte. Voller Verzweiflung wand sie sich hin und her ohne Rücksicht auf die Schmerzen in ihrem Bein, das durch den Druck zu bluten begonnen hatte. Aber sie wusste, wenn sie sich nicht heftiger wehren würde, dann wären dies noch die geringsten Schmerzen, die sie ertragen musste.

Seine feuchten Hände drückten ihre Brust unkontrolliert und fast mechanisch. Er ertastete ihre Brustwarze und rieb sie hart und brutal. Als Ihr rechtes Bein etwas mehr Platz bekam zog sie es instinktiv so heftig wie möglich an. Die Wucht des Aufpralls war nur gering, trotzdem sackte der Kopf von Lip nach vorn auf ihre Schulter.

Sie nutze den kurzen Moment seiner Schmerzen, stieß ihn mit Wucht von sich weg und rannte in die Gasse hinein.

‚War das klug, in diese Richtung zu laufen?’ In ihrem Kopf hämmerten alle Zellen scheinbar gegen die Schädeldecke. Schon nach einigen Metern wurde der Schmerz in ihren Lungen und auch in ihren Beinen brennend. Trotzdem ließ sie nicht nach als sie erkannte, dass sie mit dem Spurt etwas Abstand schaffen konnte. Sie hörte seinen Schritt hinter sich, aber er klang unregelmäßig.

Ohne eine Sekunde zu überlegen bog Joe in die nächste Abzweigung, voller Hoffnung, ihr Verfolger war weit genug entfernt um ihr Manöver nicht sehen zu können.

Aber sie hatte sich getäuscht. Nach kurzer Pause erklangen seine Schritte von neuem hinter ihr, diesmal scheinbar dichter.

Schweiß rann ihr am Körper hinab und die brennenden Schmerzen in der Lunge machten ihr klar, dass sie dieses Tempo nicht mehr lange halten konnte.

Verzweifelt wandte sie den Blick abwechselnd nach rechts und links um weitere Fluchtmöglichkeiten abzuchecken.

Erneut bog sie ab und sie hatte Glück. Vor ihr eröffnete sich ein wahres Labyrinth von Abzweigungen. Im Augenwinkel erspähte sie eine schmale dunkle Öffnung. Eine Öffnung von der Art, die ihr signalisierte, dass sie diese tunlichst nicht benutzen sollte.

Joe hatte keine andere Wahl mehr. Sie zwängte sich in den senkrechten Spalt hinein, der in einer abgedunkelten Ecke lag.

Kaum war sie darin verschwunden hörte sie Lip schnaufend an ihrem Versteck vorbeirennen.

Hoffnung keimte in ihrer dunklen Ecke auf. Hätte Hoffnung leuchten können, so wäre sie bereits verloren gewesen.

Sie konnte nicht sagen in welcher Entfernung, aber sie hörte, dass Lip offensichtlich stehen geblieben war und schnaubend wie ein Ross nach einem Galopp nach Luft rang. Ihr allzu plötzliches Verschwinden hatte ihn veranlasst anzuhalten.

Um ihn nicht auf sich aufmerksam zu machen bemühte sie sich, trotz des Schreies ihrer Lunge nach Luft nur ganz zart und flach zu atmen. Es war schwer, sehr schwer, dem Drang nach mehr Sauerstoff nicht einfach unvermittelt nachzugeben. Sie brauchte dringend mindestens einen tiefen Lungenzug Sauerstoff, aber ihr war klar, dass dieses Geräusch sie sofort verraten hätte.

Ihr Herz pochte nicht, es raste nicht, es schien zu explodieren. Hart und schnell schlug es und schien dabei das Volumen eines Fußballs zu haben.

Sie spürte das Herz vom Hals bis zum Bauch.

Und jeder Schlag war so hart wie eine Explosion. Der Abstand von Schlag zu Schlag erschien ihr unendlich groß, der Schlag selbst so heftig wie noch nie. Ihr begann übel zu werden.

Sie versuchte sich selbst etwas zu beruhigen, aber ihr Herzschlag war so präsent und dominant, als würde ihr ganzer Oberkörper schlagen. Nur ganz langsam schien das Herzvolumen wieder kleiner zu werden.

Draußen hörte sie, dass Lip auf dem Weg in ihre Richtung war. So eng wie möglich zwängte sie sich in den Spalt. Mit zunehmender Dauer nahm sie einen leichten Modergeruch in ihrem Versteck wahr, aber Gedanken an Spinnen oder Ratten hatten im Augenblick keinen Platz in ihren Kopf. Es ging ums Überleben.

Obwohl sie seit einiger Zeit in der Gasse niemanden mehr hörte war sie viel zu vorsichtig, um sich bereits wieder aus der Deckung zu wagen.

Auch eine Verbindung herzustellen um Hilfe zu holen ging nicht.

Akustisch hätte sie es nie riskiert, ihre Kommunikations-Einheit anzusprechen und ihr Versteck war so eng, dass sie ihre Hände nicht ausreichend bewegen konnte, um manuell anzuwählen.

Unvermittelt zwang sie allerdings ein extremer Schmerz in der Wade, das Bein etwas zur Seite zu drehen. Sie versuchte den Zwang, das Bein zu bewegen, zu bekämpfen, aber der Krampf war unerträglich. Bis in die entlegensten Winkel ihres Körpers schrie der Schmerz. Ohne den Fuß anheben zu können zog sie den Schuh schlurfend über den Untergrund. Das scharrende Geräusch, verursacht durch die vielen kleinen unter ihrem Schuh verschobenen Steinchen, wurde durch die Enge ihres Verstecks wie von einem Lautsprecher verstärkt.

Draußen blieb es ruhig.

Sie wartete weiter eine halbe Ewigkeit bis sie sich vorsichtig aus dem Versteck zwängte und auf die Gasse trat.

Mit unglaublicher Wucht wurde Joe unerwartet an ihren Haaren nach hinten gerissen und um ihre eigene Achse gedreht. Ungebremst prallten ihre Körper aufeinander.

Lip, das verfluchte Aas war wieder schneller.

Er hatte sich sofort wieder unter Kontrolle, sein Körper trennte sich von ihrem und bevor sie etwas realisieren konnte spürte sie den Blitzschlag im Gesicht. Er schlug sie so heftig mit der Faust, dass sie taumelte und nach drei Schritten zu Boden fiel. Blitzschnell war er über ihr und drückte sein Knie in ihren Unterleib.

Gelassen wie beim Urinieren öffnete Lip seine Hose und entblößte sein aufgerichtetes Glied. Wie ein auf dem Rücken liegender Käfer strampelte sie, erfolglos. Seine Masse, ihrer weit überlegen, drückte sie auf den Boden.

„Bitte .... Lip ....wir können ....wir können ....warte ...freiwillig.“ Sie stammelte wirre Wortfetzen.

‚Reiß’ dich zusammen, versuche – reden – vernünftig – formuliere – sätze – unterdrücke – schmerzen – überlege – schnell – was – pure – tun – angst – schweiß – sonne – ich sehe keine Sonne.’

Sie fasste innerhalb einer Sekunde so viele Gedanken wie noch niemals zuvor.

„Lady, zu spät.“ Lip hatte einen solchen abgrundhässlichen Tonfall, dass Joe nochmals letzte Kräfte aktivierte und ihren Körper aufzurichten versuchte. Es half nichts.

Er riss ihr die Strümpfe und den Slip herunter, begab sich über sie und drang brutal in ihre trockene Scheide ein.

Im selben Augenblick wurde sie völlig willenlos, ihre Gegenwehr erstarb. Sie wollte schreien, aber es ging nicht. Die erste Träne lief ihr über die Wange, dann begann sie hemmungslos zu weinen. Nicht der Schmerz im Intimbereich führte dazu, auch nicht die psychischen Schmerzen lösten das aus. Eine andere Gewissheit ließ sie verzweifeln.

Über ihr keuchte Lip und führte seine stumpfen Bewegungen aus. Sie spürte und wusste, dass das ihr Ende war.

Als Lip sich in sie ergoss wurde ihr Weinen zu einem Krampf.

Warum? Wo hätte sie den Kreislauf unterbrechen müssen?

Im selben Moment spürte sie eine eigenartige Kraft, die durch die erzwungene intime Verbindung zu Lip zurückzufließen schien – beinahe hatte sie das Gefühl, ihm seinen Samen zurückzugeben. Trotz aller Pein erfüllte sie dieses Gefühl mit ungeheuerer Genugtuung. Sie wusste, was es bedeutete, obwohl niemand jemals über dieses Gefühl berichten konnte.

Lip erhob sich, verstaute das was von seinem Geschlecht übrig geblieben war in seiner Hose und versuchte sich möglichst lässig durch die Haare zu fahren.

Im selben Augenblick krampfte er sich bis auf die halbe Körpergröße zusammen und presste einen entsetzlichen Laut hervor. Obwohl sie die Gewissheit des eigenen Endes vor Augen hatte erhob sie sich triumphierend.

„Wunderbar! Nicht wahr?“

Sie versuchte ein Lächeln.

„Genauso wolltest du es doch haben, Schwachkopf?“

Er richtete sich auf, seine Augen quollen bereits hervor und er war offensichtlich bemüht, etwas zu sagen, aber seine Zunge war schon dick geschwollen.

„Hätte nicht gedacht, dass es so schnell geht, aber es ist schön, dich so zu sehen.“

Wie ein warmer Schauer durchlief sie ein Gefühl von Zufriedenheit. Ohne Kontrolle schlurfte er auf sie zu und versuchte, die Hände in Richtung ihres Halses zu bringen, aber so weit kam er nicht mehr.

Völlig gerötet am ganzen Körper mit Blut versetztem Schweiß auf der Stirn brach er zusammen.

Lip war innerhalb einiger Minuten nach seinem Orgasmus gestorben.

Schockiert vom Vergangenen und dem Wissen, was kommen würde blieb sie wie gelähmt stehen.

Joes’ Atem wurde kürzer.

Sie versuchte, so ruhig wie möglich langsam und tief Luft zu holen. Es gelang ihr nicht mehr. Maximal die Hälfte der üblichen Luftmenge strömte noch in ihre Lungen. Und mit jedem Atemzug wurde es weniger.

 

Auf ihrem Handrücken sah sie es zum ersten Mal. Blut, das aus den Poren trat.

Sie musste husten, spuckte bereits jede Menge Blut und rang immer intensiver nach Luft.

Weinend sank sie auf den Boden, denn sie wusste, kein Arzt der Welt würde ihr jetzt noch helfen können.

Es dauerte fast noch fünf Minuten, dann war Joe erstickt.