Der Aufstand der Dummheit

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Der Aufstand der Dummheit
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Robert Misik:

Der Aufstand der Dummheit

Alle Rechte vorbehalten

© 2017 edition a, Wien

www.edition-a.at

Cover: JaeHee Lee

Gestaltung: Lucas Reisigl

1 2 3 4 5 — 20 19 18 17

ISBN 978-3-99001-238-3

eBook-Herstellung und Auslieferung:

Brockhaus Commission, Kornwestheim

www.brocom.de

Inhalt

1. Kapitel Schwarmdummheit

2. Kapitel Ein Aufstand der Dummheit?

3. Kapitel Trump - Dämon und Clown zugleich

4. Kapitel Blödmaschinen

5. Kapitel Drummdreist

Schluss Besser: Ein Aufstand der Vernunft

1. Kapitel
SCHWARMDUMMHEIT

Vor zwei Jahren lachte ganz Österreich über den FPÖ-Parteivorsitzenden Heinz-Christian Strache. Der verbreitete mit milieutypischer Empörung einen Bericht, wonach die EU-Kommission das Wiener Schnitzel verbieten wolle, weil die Panier allergene Substanzen enthalte und das Ganze auch sonst gesundheitsschädlich sei.

Unter seinen Hunderttausenden Facebook-Anhängern brach erwartungsgemäß Empörung aus.

Peinlich für den Populistenanführer: Er war einem Scherz einer Tageszeitung zum 1. April auf den Leim gegangen und offenbar nur allzu leicht bereit gewesen, alles, noch den groteskesten Unsinn, zu glauben, wenn der nur in sein Weltbild passt.

Es sollte nicht die einzige Meldung dieser Art bleiben, die Strache seinen Hunderttausenden Followern auf Facebook präsentierte.

Immer mehr Menschen sind bereit, jeden Unsinn zu glauben. Eine erschreckend hohe Zahl ist zwar schnell dabei, jeder Nachricht zu misstrauen, die von professionellen Medien verbreitet wird, zweifelt aber zugleich keine Sekunde und glaubt jede Horrormeldung, sofern sie nur von einem Pseudomedium verbreitet wird, das ihnen glauben macht, einer unterdrückten Wahrheit würde zum Durchbruch verholfen.

Es ist geradezu bizarr: Ist eine Nachricht derart absurd, dass es eigentlich jeder Vernunft widerspricht, an sie zu glauben, dann steigert das gerade ihre Glaubwürdigkeit. Dann haftet ihr etwas besonders Geheimnisvolles an, die Aura der bisher verschwiegenen, wenn nicht sogar unterdrückten Wahrheit. Gibt es für sie überhaupt keine stichhaltigen Beweise, macht sie das erst recht glaubwürdig, weil man daran sieht, dass irgendwelche finsteren Eliten sich dazu verschworen haben, Beweise zu vernichten.

Ein Klüngel von Psycho-Aliens regiert die Welt? Chemtrails sollen unser Bewusstsein steuern? Der Flüchtlingsstrom wurde von der Großindustrie organisiert, um billige Arbeitskräfte zu importieren, oder von den Liberalen, um die christlichen Werte in Europa auszurotten? Nichts ist krause genug, dass es nicht auf ebenso verdrehte Weise für plausibel gehalten werden könne. Und gerade die Nichtbeweisbarkeit zeigt, wie raffiniert die Weltherrscher vorgehen – sie lassen einfach alle Indizien verschwinden.

Kurios? Ja, aber es kommt noch ärger.

Gelegentlich kommt es sogar vor, dass sich gerade jene, die jeden Unsinn glauben, der sich als »Anti-Mainstream« ausgibt, als besonders gut informiert wähnen – weil sie ja über eine Art Geheimwissen verfügen, von dem Leser von Süddeutscher, FAZ,New York Times oder Le Monde keine Ahnung haben.

Und das Praktische ist: Für einen solchen »Wissensvorsprung« braucht man nicht einmal allzu viel Anstrengung. Man muss nur auf Websites mit schreiend lauten Schlagzeilen klicken und Enthüllungen lesen, die selten mehr Platz als drei Absätze brauchen.

Man muss von nichts eine wirklich fundierte Ahnung haben und darf sich dennoch als besonders gut informiert vorkommen. Man weiß zwar nichts, ist aber dennoch klüger als all die hyperintelligenten Bücherwürmer, die doch nur lesen, was ihnen Macht und Establishment vorsetzen. So kann man es sich jedenfalls einreden.

Strache war es noch peinlich, einem absichtlich gestreuten April-Scherz aufzusitzen, das ist aber natürlich ein seltener Einzelfall. Viel häufiger werden emotionalisierende Fake News, die irgendeinen Skandal oder eine empörenswerte Handlung aufdecken, hunderttausendfach verbreitet und geglaubt, ohne dass sich ihr Fake-Charakter herumsprechen würde.

Im Gegenteil: Studien zeigen, dass selbst jene Menschen, die schon einmal gehört haben, dass nicht alles, was im Internet verbreitet wird, stimmen muss, gerade dann eine Meldung für besonders glaubwürdig halten, wenn sie häufig geteilt wird, und sie mit ihr also häufig konfrontiert werden.

Grundhaltung: Wenn ich es hundertmal lese und es auch von Rosi, Fritz und Jaqueline geteilt wird, dann wird es wohl schon stimmen.

Da Schreckensmeldungen natürlich besonders häufig mit empörtem Tremolo geteilt werden, und man ihnen damit auch häufiger begegnet, wird man sie auch leichter glauben als bedächtigere Nachrichten – natürlich besonders dann, wenn sie irgendwie ins eigene Weltbild passen.

Es ist nicht ohne Ironie, dass bisweilen jene Politiker, die auf diese Politik der Aufganselung setzen, dann am Ende selbst Opfer genau jener Logik werden, die sie bisher zu ihrem Vorteil nutzten. Ausgerechnet Frauke Petry, die Anführerin der rechtsradikalen deutschen AfD, beklagte sich unlängst im »Spiegel« bitterlich: »Die Bereitschaft, jeden Unsinn zu glauben, der über die sozialen Medien verbreitet wird, ist bis heute sehr groß, und da kommt’s dann zu witzigen Vermutungen, dass ich bei den Bilderbergern gewesen sein könnte, dass ich vom Mossad bezahlt werde, dass ich ein U-Boot sei. Man muss eine Lüge nur lange genug verbreiten, damit sie zur Wahrheit wird. Diese Verhaltensmuster sind in meiner jungen Partei noch einmal besonders ausgeprägt.«

Das muss man sich erst einmal auf der Zunge zergehen lassen. Die Vorsitzende einer rechtsradikalen Partei ist manchen ihrer Parteikollegen nicht rechtsradikal genug, und prompt erfährt sie all die Gerüchtemacher-Strategien am eigenen Leibe, die normalerweise nur auf Flüchtlinge oder politische Gegner angewandt werden – und schon beklagt sie, dass die Menschen jede Lüge glauben, sofern man sie nur lange genug verbreitet.

Wohlgemerkt, die Vorsitzende einer Partei, deren Stellvertreter Alexander Gauland in einem Gespräch mit Journalisten der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ)sagte, die Deutschen wollten jemanden wie den dunkelhäutigen Nationalteamspieler Jérôme Boateng nicht als Nachbar. Prompt bewiesen ihm Zehntausende Menschen in Deutschland das Gegenteil. Später beschwerte Gauland sich, er sei von den FAZ-Journalisten reingelegt worden. Er sei nämlich davon ausgegangen, dass es sich bei Boateng um einen Moslem handelt. Na dann ist ja alles klar.

Und ein anderer Spitzenmann der Partei hatte nach einer Welle von Brandanschlägen auf Asylbewerberunterkünfte nichts anderes zu sagen, als »dass ein Gutteil dieser angeblichen Brandanschläge von den Flüchtlingen selbst kommt, meist aus Unkenntnis der Technik. Mal ehrlich, viele von ihnen dürften es gewohnt sein, in ihren Heimatländern daheim Feuer zu machen.«

Das Spiel mit menschenverachtender Rhetorik, aber auch mit simplen Lügen und bösartigem Gerüchtestreuen ist mittlerweile so alltäglich geworden, dass man schon ein neues Wort dafür erfunden hat – »postfaktisches Zeitalter«.

Früher hätte man Menschen, die mit böser Absicht die Unwahrheit sagen, einfach Lügner genannt.

Unsere zeitgenössische Form der Öffentlichkeit ist, um das Mindeste zu sagen, für die Verbreitung himmelschreiender Dummheiten nicht ungünstig. Das färbt alle Debatten ein und auch die Politik.

Dabei ist es noch gar nicht so lange her, da hatten nicht wenige Leute gehofft, uns stehe ein Zeitalter entwickelter demokratischer Diskussionskultur bevor, das auch immer mehr smarte Lösungen ausbrüten würde. Von der »Schwarmintelligenz« war die Rede. Die neuen Apparaturen, das Internet, die sozialen Medien, sie würden zu mehr Demokratie führen – weil jeder mitreden dürfe, weil jeder Sender ist und Empfänger zugleich, und nicht nur ein paar auserwählte Eliten die Diskussionen steuern könnten. Das wäre aber nicht nur demokratischer, dachte man damals, sondern das Ergebnis wäre auch mehr Klugheit, weil sich in einem solchen Arrangement, in dem jeder und jede gehört würde, die Kompetenzen und Klugheiten aller Beteiligten gewissermaßen summieren, ja in Wirklichkeit multiplizieren würden.

Aber heute würde das kaum mehr jemand behaupten, der noch alle Tassen im Schrank hat.

Die vormals gepriesene Beteiligung der Leserschaft besteht zu einem großen und immer größer werdenden Teil aus Besserwisserei, Beleidigungen und Bedrohungen, aus Meinungsmorast, dessen einzige Blüten die Stilblüten sind. Nicht die Klugheit wird gefördert, sondern einzig die Lautstärke der Dummen, die alles übertönt. Zumal ein wütender Leser viel eher als ein zufriedener geneigt ist, sich spontan im Internet zu äußern.

Der Journalist Arno Frank hat das in dem feinen, kleinen Büchlein »Meute mit Meinung – Über die Schwarm-Dummheit« folgendermaßen beschrieben: »Es ist, als würden im Kino fortwährend Kommentare der Zuschauer eingeblendet: ›Laaaangweilig!‹ Als würden die Besucher im Museum auf jedes Gemälde gelbe Zettelchen mit ihrer eigenen Meinung pappen: ›Das soll ein Gesicht sein? Meine Nichte (8) kann das besser!‹ Als würden im Theater immer wieder Zuschauer aufstehen und das Geschehen auf der Bühne kritisieren: ›Hey, was soll das schwule Rumgehopse?‹

 

Nun könnte man sagen, dass die simplen Gemüter, die destruktiv Wütenden und diejenigen, deren Dauergereiztheit nur durch ihre Gedankenarmut übertroffen wird, durch diese neuen Apparaturen einfach auch eine Stimme bekommen; dass von »Bild« über die »Sun« bis zur »Kronen Zeitung« auch schon in früheren Zeiten – eben vom Boulevard – bestimmte Stimmungen produziert wurden und jetzt einfach nur eine neue Technologie dazu kam, die sichtbarer macht, was das in unseren Gesellschaften auslöst. Dass also einfach nur merkbarer wird, was bisher unsichtbar war.

Aber das ist wohl zu kurz gedacht. Es entsteht ein Echoraum, der bestärkt und verstärkt, was ansonsten so oder zumindest in diesem Ausmaß nicht bestehen würde. Dieser Echoraum macht also nicht bloß sichtbar, was ansonsten unsichtbar ohnehin existieren würde – er produziert etwas, was ansonsten gar nicht da wäre. Auch eine Aggression wird gefördert, die ansonsten nicht vorhanden wäre.

Die Wiener Publizistin Ingrid Brodnig, eine der führenden Expertinnen für die Abgründigkeiten des Internets, hat das in ihrem Buch »Hass im Netz« überzeugend beschrieben. Internetbasierte Kommunikation etabliere einen »Enthemmungseffekt«, der tendenziell auf uns alle wirkt: Wir werden grob und äußern Dinge, die wir »kaum jemanden direkt ins Gesicht sagen würden«. Die nonverbale Seite der Kommunikation ist nicht vorhanden, und dass wir unser Gegenüber verletzen, das sehen wir nicht sofort. Eine Minderheit treibt das ins Radikale, aber ein wenig sind wir, seien wir ehrlich, in unserer Internet-Kommunikation alle davon angesteckt: Offline sind wir ja ganz nett, aber online werden wir Monster.

Das führt nicht unbedingt dazu, dass wir allesamt zu Sadisten werden, aber dass viele Leute die sadistische Seite menschlicher Existenz rauslassen, während sie das in der realen Welt (angesichts der negativen Sanktionen, die damit verbunden wären) eher unterlassen würden.

Zugleich erhält jede radikale, extreme oder auch nur verschrobene Auffassung im Netz sofort Applaus und damit Bestätigung – selbst eine Gruppe von zwanzig Irren zwischen Bodensee und Ostseeküste, die sich normalerweise nie begegnen würden, können sich so gegenseitig hochschaukeln. Zustimmung und Bestätigung etabliert dann wieder einen Aufschaukelungszusammenhang. »Es ist wundervoll, wenn sich Gleichgesinnte treffen können! Aber es hat unangenehme Folgen, wenn sich nun Ideen gegenseitig bekämpfen wie Gangs«, schreibt der Buchautor Gunter Dueck.

Im Netz bewegen wir uns zunehmend in solchen »Echoräumen«, in denen man nur Bestätigung für das erfährt, was man ohnehin schon denkt, und diese Tatsache wird durch Technologie noch bestärkt – etwa die Algorithmen der sozialen Netzwerke, die uns primär das zeigen, von dem sie glauben, dass es uns gefällt. Deswegen spricht Brodnig »von einer Mischung aus technischen und menschlichen Faktoren, die die Polarisierung im Internet antreibt: Es sind zum einen Menschen, die bei emotionalen Wortmeldungen eher auf ›Gefällt mir‹ drücken, aber dann kommt auch noch der Algorithmus zum Einsatz, der diese affektiven Äußerungen stärker hervorhebt.«

Brodnig wendet sich entschieden gegen die These, dass latent vorhandener Hass im Internet nur sichtbar würde, denn der Hass hat »ansteckende Wirkung«. Menschen, die jeden Tag mit zwanzig Falschmeldungen darüber bombardiert werden, dass etwa Flüchtlinge Frauen vergewaltigen, Omas vermöbeln oder Kinder essen, verfallen in eine Stimmung, die sie nicht so ohne weiteres »vorher auch hatten«. Brodnig beginnt ihr Buch mit der Anekdote eines Gesprächs mit einer sogenannten »besorgten Bürgerin«, die sich vor einigen Jahren überhaupt noch nicht für Politik interessiert hat und sich jetzt aber nur mehr auf den Pseudomedien von Pegida, Anti-Islam-Blogs etc. herumtreibt. Ihr Hass wird nicht bloß »sichtbar«, es gäbe ihn ohne das Desinformationsbombardement schlichtweg nicht.

In der früheren Welt hätte man womöglich gesagt, man müsse Menschen, die krausen Ideen aufsitzen, versuchen, mit Argumenten zu erreichen – und womöglich hätte man auch dann deprimiert eingewandt, dass es sehr oft sehr schwer ist, sie zu erreichen. Aber damals war das Wort »erreichen« noch eher metaphorisch als buchstäblich gemeint. Im Sinne von: Sie hören einem zu, aber lassen sich so schwer überzeugen. Heute sind wir einen Schritt weiter: Wer in den Sog des Aufschaukelungszusammenhanges gerät, wird gefangen wie in einer großen Blase, und er wird von anderen Argumenten und meist auch von reinen Fakten überhaupt nicht mehr erreicht – und zwar im wortwörtlichen Sinne. Er wird die Fakten oft nicht einmal erfahren.

Einerseits, weil er einfach weghören kann. Andererseits, weil durch die schiere Menge repetitiv abgeballerter Fake News -oder realer Nachrichten, die in einem sinnentstellten, manipulativen Zusammenhang arrangiert werden – seine Aufmerksamkeit völlig absorbiert ist. Wer tausendmal den gleichen Unsinn hört und einmal zufällig mit einem konkurrierenden Faktum konfrontiert wird, der ist natürlich nicht ›ausgewogen‹ informiert – er ist mit dem Irrsinn so kontaminiert, dass er die Vernunft gar nicht mehr wahrnimmt. Und wenn, dann wird er eher mit Aggression und Abwehr reagieren.

All das geschieht also, weil Menschen miteinander in Kommunikation stehen und dabei nicht unbedingt das Beste, sondern gelegentlich auch das Schlechteste aus sich herausholen. Schon vor mehr als zwei Jahrzehnten formulierte der legendäre Theatermann Heiner Müller einmal: »natürlich sind zehn Deutsche dümmer als fünf«, und damals nahm man das eher als originelles Apperçu. Man hat nicht so richtig verstanden, was er damit meinen konnte, aber als origineller Satz erschien die Aussage amüsant. Die Botschaft war damals schon: »Gemeinsam sind wir dümmer.«

Auch das wäre natürlich eine Generalisierung, und Generalisierungen sind meist selbst schon dumm, aber an der Sache ist zumindest etwas dran. Jedenfalls ist heute schon ebenso oft von der Schwarmdummheit wie von der Schwarmintelligenz die Rede.

Wie auch immer: Die Logik des abgeschlossenen Echoraums verschiebt alle Grenzen, auch die der politischen Kommunikation. Mussten selbst Demagogen bis vor kurzem wenigstens einigermaßen darauf achten, zumindest den haarsträubendsten, leicht widerlegbaren Unsinn zu vermeiden, so ist das heute keine unbedingte Notwendigkeit mehr. Im amerikanischen Wahlkampf hat die New York Times eine Liste der schieren Falschaussagen, Lügen und unwahren Behauptungen des damaligen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump abgedruckt – die Aufstellung füllte eine eng bedruckte großformative Seite, für die die minimalste Schriftgröße gewählt wurde. Sonst hätten Trumps Lügen überhaupt nicht auf die Seite gepasst.

Aber es macht diesen Leuten heute überhaupt nichts mehr aus, ertappt zu werden. Konfrontiert man sie mit der Realität, behaupten sie, wie etwa Trumps Beraterin Kellyanne Conway, sie hätten eben »alternative Fakten«.

Wir neigen fast schon dazu, über Derartiges amüsiert den Kopf zu schütteln. Aber eigentlich ist das überhaupt nicht zum Lachen. Denn eine vernünftige Debatte lebt von ein paar Voraussetzungen. Etwa, dass man nicht irgendetwas Erfundenes behaupten kann. Dass man für seine Meinungen begründbare Argumente braucht, und dass diese Argumente sich auf Fakten stützen sollen. Kurzum: Man braucht keine Einigkeit in den Meinungen, aber man kann sich nicht einfach die Faktensurrogate zusammenerfinden, auf die man seine Meinungen stützt.

Aber nichts da. Die Botschaft, die die Wendung von den »alternativen Fakten« sendet, lautet: Wir müssen nichts mehr wissen, um eine Meinung zu haben. Wir behaupten einfach irgendwas und lassen den Hinweis, dass das faktisch nicht zutreffend sei, nicht mehr gelten.

Was unsere Zeit aber auszeichnet, ist nicht so sehr, dass man jede Dummheit behaupten kann, sondern dass eine große Zahl von Menschen bereit ist, diese Dummheiten zu glauben. Und womöglich ist es sogar schlimmer: Dass sie bereit sind, diesen Dummheiten zu applaudieren, obwohl sie wissen, dass es sich um Dummheiten handelt. Weil sie denjenigen, der die Dummheiten verbreitet, für seinen Mut bewundern, die Regeln zu brechen – und sei es eine so grundvernünftige Regel wie die, dass faktenbasierte Kommunikation klüger ist als das Schwadronieren über zusammenphantasierten Unsinn. »Man haut mit den sattsam bekannten und immer wiederholten Argumenten aufeinander ein. Schauen Sie sich die Kommentarspalten zu Internetartikeln an. Diese Diskussionen um die wichtigsten Themen unserer Zeit werden hier auf niedrigstem Sachniveau geführt« (Gunter Dueck).

Das macht etwas mit Menschen. Sie werden so weit voreingenommen in ihrer Parallelrealität, dass sie selbst die offensichtlichsten Fakten überhaupt nicht mehr wahrnehmen. In der Süddeutschen Zeitung war unlängst von einem interessanten Experiment zu lesen, das zwei amerikanische Forscher durchgeführt haben: »Nach der Vereidigung von Donald Trump – und dessen Behauptung, zu seiner Amtseinführung seien mehr Leute gekommen als zu der von Barack Obama 2009 – zeigten sie Testpersonen Fotos von beiden Veranstaltungen, auf denen eindeutig erkennbar war, dass 2009 mehr Besucher erschienen waren, und fragten, auf welchem Foto mehr Leute zu sehen sind. Einer von sieben Trump-Unterstützern antwortete: »Auf dem von 2017.«

Wer also eine klare Meinung hat, die von Fakten nicht gestützt werden kann – der korrigiert seine Meinung nicht, der sieht oft einfach schief.

Bei all dem reden wir nicht nur von Fake News, von »alternativen Fakten«, die mit der Wirklichkeit nichts mehr zu tun haben, und vom Tunnelblick ideologisch festgefügter Weltbilder, die dann am Ende dazu führen, dass man wirklich glaubt, auf einem Foto wären mehr Leute als auf dem anderen, obwohl für jeden sichtbar das Gegenteil der Fall ist. Dass man blind wird für die Realität, weil man nur mehr sieht, was man sehen will. Neben den Fake News gibt es noch etwas anderes, das man Fake Reality nennen könnte, ein völlig krauses Wirklichkeitsverständnis, das sich aber auf Informationen stützt, die wahr sein können oder zumindest nicht unbedingt falsch sein müssen.

Ja: Man kann aus lauter wahren Informationen eine Fake Reality zusammensetzen, indem man sich aus dem unendlichen Meer an Informationen eben nur jene herauspickt, die das eigene Weltbild stützen.

Nehmen wir nur diese beliebten Zeitungsartikel zum Thema »So gefährlich ist dieser und jene Bezirk in unserem Land«. Unlängst begegnete ich einer Bekannten, die irgendwo in Niederösterreich wohnt, und nach einiger Zeit eröffnete sie mir, dass sie nicht mehr nach Wien fährt, denn dort sei es ihr zu gefährlich.

Und als ich sie fragte, wie sie das meint und wo sie das her hat, meinte sie, nun, ihr Mann arbeite in Wien und pendelt jeden Tag und bringt dann die Gratiszeitungen mit. Und in denen liest sie Tag für Tag, dass in Wien täglich gemordet und gebrandschatzt wird. Und nun ist diese Dame keineswegs dumm, und die Berichte in den Zeitungen müssen auch nicht falsch sein. Natürlich gibt es in einer Stadt mit zwei Millionen Einwohnern jede Woche ein paar Einbrüche, auch ein paar Raubüberfälle, auch sexuelle Übergriffe (wobei natürlich die meisten innerhalb der Familien stattfinden) und gelegentlich sogar einen Mord. Wenn nun diese Frau alle paar Tage liest, in Ottakring gab es zuerst einen Mord und dann ein paar Tage später einen Raubüberfall und dann eine Razzia gegen Drogendealer, während sie in ihrem ganzen Leben noch nie in Ottakring war, sie also nicht bedenkt, dass man natürlich Hunderte Stunden völlig entspannt durch Ottakring gehen kann, ohne dass die Wahrscheinlichkeit sehr hoch ist, mit einer irritierenden Situation konfrontiert zu werden – dann gewinnt sie einen Eindruck, dem kein eigenes Erfahrungswissen gegenübersteht.

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