Slow Dancing In A Burning Room

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Slow Dancing In A Burning Room
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Rika Mayer

Slow Dancing In A Burning Room

Volume 1 2008-2010

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Overture

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A-Side

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Anmerkung

Impressum neobooks

Overture

Slow Dancing In A Burning Room

Volume 1

2008 - 2010

Roman

Rika Mayer

Für Kathi. Für die vielen Stunden, in denen wir meine Figuren zum Leben erwecken; die vielen Stunden, in denen wir uns darüber Gedanken machen, wie wir an unsere Idole rankommen; für den Insider-Talk;

für Mikey, für Kurt.

Love you.

Brian

Für Maret, die langsam aber sicher anfängt, sich in meiner Welt zurechtzufinden.

Für Daniel, der mir das erste Mal John Mayers „Slow Dancing in a Burning Room“ vorgespielt hat und mich damit zu diesem Roman inspiriert hat. Vieles von unserer Geschichte findet sich darin wieder.

You think you know a story, but you only know how it ends.

To get to the heart of the story, you have to go back to the beginning.”

Jonathan Rhys Meyers as King Henry VIII in The Tudors



1

Als Linnea Lagerbielke den Aufzug verließ, wurde sie sofort in den Sog der morgendlichen Hektik hineingezogen. Es schwärmte und summte und mehr als einmal hätte sie beinahe ihren Kaffee verschüttet, weil alles durcheinander lief. Es war der Tag vor der Deadline und natürlich hatte niemand die Zeit davor ausreichend genützt. Der Fluch eines Reporters griff immer mehr um sich und Linnea war froh, dass nicht sie dafür verantwortlich gemacht werden konnte. Immerhin konnte sie nur korrigieren was auch auf ihrem Schreibtisch landete und bevor es nicht durchgesehen war, konnte sie es nicht ans Layout weiterleiten.

Sie zwängte sich zu ihrem Schreibtisch, ihren Kaffee schützend an die Brust gedrückt und ließ sich ächzend auf ihren Stuhl fallen. Sofort sprang ihr ihre beste Freundin Kristina Einarsson zur Seite, noch bevor Linnea ihren Becher hatte abstellen können. „Morgen, Morgen! Motiviert?“ Linnea sah auf und blinzelte. „Wie eine Honigbiene.“ Sie ließ den Computer hochfahren und schaltete den Bildschirm an. Kristina, die Cheflektorin des größten schwedischen Musikmagazins, Sonic, packte auf ihrem Tisch derweilen ihr Frühstück aus und tippte ihr Passwort in den Rechner. Linnea saugte den letzten Rest Flüssigkeit aus ihrem Becher und hob einen Stapel Mappen auf, um an ihr Telefon zu kommen. Wie zu erwarten blinkte darauf die Nummer ihrer Chefin. „Mein Gott, ich bin noch nicht mal zu spät und sie schafft es trotzdem, mich nicht zu erreichen“, seufzte sie, und Kristina verdrehte die Augen. „Wenn sie sich wieder beschwert, dass die Titelstory noch nicht einmal im Layout ist, verlange ich mehr Gehalt.“ Sie hatte ihr Medienprogramm geöffnet und Joe Cocker krächzte „Let’s Go Get Stoned“. „Ach verdammt“, grinste Linnea, „genau das würde ich jetzt auch gern tun.“ Sie drückte auf den Abspielknopf des Anrufbeantworters und die Stimme ihrer Chefin beorderte sie in ihr Büro sobald sie angekommen war. Genervt stand sie wieder auf und zog ihr Shirt zurecht. „Ein Computer ist nur so schnell wie seine Prozessoren.“ „Sag ihr einfach: When you work so hard all the day long...“, sang ihr Kristina hinterher und Linnea streckte ihr die Zunge heraus.

 

Auf dem Weg ins Büro der Chefredakteurin begrüßte sie ein paar ihrer Kollegen und nahm noch zwei weitere Mappen in Empfang, die ihren Rotstift erforderten. Irgendwo spielte einer „Friday I’m in Love“ und Linnea ertappte sich dabei wie sie mitsummte, bevor sie in an die Tür von Karla Sundholm klopfte. „Herein!“ Linnea war immer wieder von der Ruhe fasziniert, die in diesem Raum herrschte. Fast so, als wäre die Außenwelt nicht existent. Es erschlug einen jedes Mal, sobald man die Tür hinter sich geschlossen hatte – egal ob man kam oder ging.

„Oh, guten Morgen, Linnea. – Gut, dass du so schnell gekommen bist. – Kaffee?“ Wow, Sonderbehandlung! Also konnte es nicht um die Korrekturfahnen gehen. „Gern.“ „Setz dich doch“, bat Karla, während sie ihre Sekretärin rief, um eine frische Kanne zu bringen. Linnea tat wie ihr geheißen und warf einen Blick aus dem Fenster auf Stockholm.

„So, warum ich dich hergebeten habe...“ Karla zog eine Aktenmappe aus der Schublade und klappte sie auf. „Ich weiß, du hast dich hier eigentlich als Journalistin beworben, aber wir hatten keine Stelle für dich...“ Die Sekretärin trat ein und schenkte Linnea eine Tasse echten Kaffees ein. Dieser roch schon ganz anders als das Gebräu aus dem Automaten unten in der Kantine und Linnea tauchte ihre Nase tief hinein, bevor sie einen kräftigen Schluck nahm. „Jedenfalls“, griff Karla das Thema wieder auf, nachdem Linnea die Tasse wieder abgesetzt hatte, „hast du bestimmt schon von Agents Provocateurs gehört – der Band, nicht dem Label.“ Linnea konnte sich das Grinsen nicht verkneifen, nickte aber. „Ja, habe ich.“ Von beidem übrigens. „Gut, gut.“ Karla schob ihr die Mappe hin und Linnea erkannte das Cover des Spin-Magazins. Darauf erkannte sie Haydn Cavendish, Kopf der Gruppe Agents Provocateurs. Sie hatte sein Konterfei schon des Öfteren gesehen, immerhin waren ihr Freund Fotograph und ihre Mutter Stylistin für das führende skandinavische Modemagazin Bon. Außerdem las sie regelmäßig die Neuigkeiten im Musikbusiness und wusste daher, dass das Model, das für seine androgyne Erscheinung und seine Frauen bekannt war, vor einem Jahr völlig überraschend in die Band eingestiegen war. Das heißt, er hatte die Band eigentlich erst neu gegründet, da sie zuvor unter anderem Namen nur leidlich bekannt gewesen war und hatte sie praktisch über Nacht völlig verwandelt.

„Also Folgendes: Die Jungs spielen nächste Woche in Stockholm.“ Ja, auch das hatte sie schon gehört, beziehungsweise auf Plakaten gesehen und gelesen. „Und du wirst am Abend davor Haydn Cavendish interviewen.“ Wie bitte was? Linnea konnte nicht verhindern, dass ihr zumindest vor ihrem geistigen Auge die Kinnlade herunterfiel. Das war immerhin ein klassischer Moment dafür.

Karla schien ihr Erstaunen nicht zu entgehen – es war vielleicht doch ein bisschen zu offensichtlich - und verschränkte die Finger auf dem Tisch. „Okay Linnea, ich sag dir wie’s ist: Ich habe einen Haufen Journalisten da draußen, deren Portfolio weit besser war als deines.“ Das war Linnea nur zu bewusst. „Aber dieses Interview ist eine etwas delikate Angelegenheit. Haydn Cavendish ist vielleicht einer der schwierigsten Interviewpartner überhaupt.“ Und Linneas Unerfahrenheit war da natürlich von großem Vorteil. „Und ich brauche ein hübsches, junges Mädchen für den Job.“ Linnea kannte den Ruf, der dem jungen Kanadier mehr als vorausgeeilt war. Ein Mädchen in jedem Hafen und mehr als ein Gerücht über seine Beziehung zu Männern. Auch wenn sie sich nicht wirklich für Mode interessierte, sie hatte von ihm gehört: dem neuen Enfant Terrible der Glamourwelt. Der junge Mann, der die Straße zum Laufsteg machte und Skandale liebte. Sie räusperte sich und straffte ihren Rücken. „Karla“, begann sie und ihre Stimme klang nicht ganz so fest, wie sie es sich wünschte. Sie würde gleich die Chance ihres Lebens ausschlagen. „Karla, so sehr ich mich auch geehrt fühle…“ Karlas Blick machte die Sache auch nicht einfacher. „Denkst du nicht, dass es kontraproduktiv wäre, einen jungen Grünschnabel wie mich auf ihn anzusetzen? Ich meine“, räusperte sie sich wieder, „wäre es nicht besser, du würdest Bengt oder Gustaf den Job geben? Die wissen was sie tun und er flirtet nicht mit ihnen.“ „Haydn Cavendish hat eine grundsätzliche Aversion gegen Journalisten“, zuckte Karla die Schultern, als wäre das eine Entschuldigung. „Er bezeichnet sie als Spione. Ich glaube, eine Frau hätte bei ihm bessere Chancen…“ „Wird er nicht versuchen mit mir zu flirten?“ „Natürlich wird er das!“, lachte Karla. „Aber er wird dir auch deine Fragen beantworten, um dich zu beeindrucken.“ „Und du gibst mir den Job nicht nur, weil alle anderen zu feige sind?“ „Ich gebe dir hier eine Chance, Linnea. Das wolltest du doch.“ Ja, das wollte sie. Nach dem Studium hatte sie lange überlegt, was man eigentlich mit Schwedisch anfangen konnte. Etwas, das sie vielleicht vorher hätte tun sollen, aber es hatte zu aufregend geklungen Bücher zu lesen, zu analysieren, die Sprachgeschichte zu studieren. Es war ihre Mutter, die sie daran erinnerte, dass sie immer wieder nicht gänzlich unmögliche Artikel für die Universitätszeitung geschrieben hatte und versuchen sollte, bei einem Magazin unterzukommen. Zufällig hatte Sonic gerade eine freie Stelle, wie ihre Mutter durch ihre Kontakte erfahren hatte und Linnea kannte sich doch ganz gut aus mit Musik.

„Wenn du Hilfe brauchst, wende dich an Ulla oder Stena“, tippte Karla auf die Mappe, die immer noch vor Linnea auf dem Tisch lag. Das Foto schien sie ein bisschen zu verspotten, sofern das möglich war. „Ansonsten habe ich dir in dieser Mappe alles zusammensuchen lassen, was dir von Nutzen sein könnte. – Ich erwarte dein Konzept in drei Tagen auf meinem Tisch.“ Das war’s also. Linnea bekam keine wirkliche Gelegenheit sich zu rechtfertigen, sie würde einfach in den sauren Apfel beißen müssen. Und verdammt, war der sauer!

Als sie wieder vor der Tür stand, fühlte sie sich als hätte sie gerade einen Dauerlauf hinter sich und wankte zurück zu ihrem Schreibtisch, wo sie sofort von Kristina in Beschlag genommen wurde. „Was hat sie gesagt? Bist du gefeuert?“ Linnea kam schlagartig in die Wirklichkeit zurück und sah ihre Freundin strafend an. „Warum sollte sie mich feuern?“ „Was wollte sie dann von dir?“ Linnea seufzte und begann mit einem Kugelschreiber auf ihrer Schreibtischunterlage zu kritzeln. „Sie möchte, dass ich ein Interview mit Haydn Cavendish führe.“ „Du machst Witze?“ Nein, sie war nie gut darin gewesen, Witze zu erzählen. Sie konnte sie sich einfach nicht merken.


2

Haydn Cavendish beugte sich nach vor und begutachtete sein Make-up in dem großen Garderobenspiegel, dann presste er die Lippen auf ein Taschentuch und leckte sich über die Zähne. „Noch zehn Minuten!“, tauchte Freddy Hampton, Tourmanager, hinter ihm im Spiegel auf und tippte auf seine Uhr. „Junot, kann ich dein Capo haben?“, kam Lafayette Roche, Leadgitarre, aus einer der unzähligen Truhen im Raum zum Vorschein. „Ich kann meines nicht finden.“ „Greg!“, schnippte Freddy sofort nach einem der Roadies. „Greg! – Verdammt, muss man hier alles selber machen?“ Er stutzte und starrte auf Haydns Hand, die ihm ein Capo vor die Nase hielt. „Mit freundlichen Grüßen“, grinste Haydn und warf es Lafayette zu. „Aber ich will es wieder haben!“ „Natürlich, Teddybär“, fing der Gitarrist es ab und schwang sich auf einen der Garderobentische, um an seiner Gibson herumzudrehen.

„Hannah, wo ist mein Hut?“ Bobby Strachan, Schlagzeug, war damit beschäftigt seine Hände zu tapen. „Komme gleich!“, zwängte Hannah Lawson, Garderobiere, sich zwischen zwei Roadies hindurch, die die Gitarren nach draußen trugen. Überall waren Leute. Agents Provocateurs beschäftigten eine Unmenge an Personal für ihre Stageshow. Abgesehen von all den Fans mit Backstagepässen, der Presse und den VIPs, die die letzten Zentimeter Platz hinter der Bühne einnahmen.

„Noch fünf Minuten!“ hob Freddy die Hand. „Jetzt macht mal, dass ihr alles in Ordnung habt.“ „Sind wir schon jemals zu spät raus, Freddy?“, klopfte Ian Campbell, Flöte und Violine, ihm von hinten auf die Schulter und stellte dann sein Bein auf einer halbleeren Bierkiste ab, um seine Schuhe zuzubinden. Haydn ließ sich in seinen Mantel helfen und platzierte den Hut auf seinem Kopf. „Irgendwann“, drehte er sich herum, „bekommt der arme Freddy unseretwegen noch eine Glatze, weil er sich immer wegen uns die Haare raufen muss.“ „Das ist gar nicht so unwahrscheinlich“, nahm Freddy ihm die Zigarette aus dem Mund und drückte sie aus. „Und jetzt raus mit euch, bevor ich euch einen Arschtritt gebe und ihr quer über die Bühne fliegt.“ „Das würde dir gefallen!“, lachte Lafayette und jeder der fünf Jungs drückte ihm auf dem Weg nach draußen eine Kuss auf die Wange. Da sie alle Lippenstift trugen, konnte man Freddy am Bühnenrand beobachten, wie er sich fluchend mit einem Taschentuch das Gesicht rieb.




3

„Was für ein Tag!“ Linnea ließ ihre Tasche schwungvoll auf den Flurboden fallen und stöhnte auf. Albin Törnkvist, Fotograf, saß auf der Couch und tippte in seinen Laptop, als seine Freundin hinter ihm bäuchlings aufs Bett fiel. „Ist was passiert?“, sah er von seinem Fotobearbeitungsprogramm auf und Linnea schüttelte sich. „Karla hat mir ein Interview gegeben“, stöhnte sie in die Decke und Albin drehte sich herum. „Was ist passiert?“ „Karla hat mir ein Interview gegeben“, setzte Linnea sich wieder auf, nur um sich dann auf den Rücken fallenzulassen. „Ich soll ihr in drei Tagen das Konzept vorlegen.“ „Erm… Noch mal von vorne!“, klappte Albin seinen Laptop zu und stand auf. „Karla hat dir ein Interview gegeben?“ „Ja, das hab ich doch gerade gesagt“, nickte Linnea, die es ja selbst genauso wenig glauben konnte. „Dir?“, setzte Albin sich neben sie und sie schnellte hoch. „Was soll denn das heißen?“ „Was?“, stutzte er. „Na dieser Tonfall. So als hätte man einen Bettler gebeten, König zu spielen.“ „Entschuldige. Ich dachte… Du hast es doch so klingen lassen, als wäre es etwas Schlimmes.“ „Das ist es ja auch“, seufzte sie und fuhr sich durch die Haare. „Ja, also…“ „Aber es ist etwas anderes, wenn ich nicht an mich glaube, als wenn du es mir nicht zutraust.“ „Streiten wir jetzt darum, wer von uns dich als größeren Idioten sieht?“ „Offensichtlich.“ „Verdammt, Linni!“, stand er wieder auf. „Ich wollte doch nur… Ach, vergiss es.“ Er ging zurück zur Couch und klappte seinen Laptop wieder auf. Linnea stöhnte erneut und hievte sich hoch, um ins Bad zu gehen. Sie hatte das Bedürfnis nach einer heißen Dusche. Vielleicht konnte sie den Tag von sich waschen.

„Okay, erzähl mir von dem Interview“, schloss Albin die Tür hinter sich und setzte sich auf die Toilette. Linnea stellte das Duschgel zurück und verzog das Gesicht. „Karla hat mich heute ins Büro bestellt und hat mir ohne Vorwarnung den Auftrag für ein Interview hingeknallt.“ „Und das ist ein Problem weil…?“ „Hast du mir nicht zugehört?“, zog sie den Duschvorhang ein Stück zur Seite, um ihn ansehen zu können. „Sie möchte, dass ich das Interview führe!“ „Ja, aber ist das nicht eine ziemliche Ehre?“, wollte Albin ihre Aufregung nicht verstehen. „Immerhin gehörst du nicht zu den Journalisten.“ „Eben!“, drehte sie das Wasser ab. „Sie hat genügend qualifiziertes Personal und dann beauftragt sie mich damit.“ „Ich verstehe nur noch immer nicht, was dich daran so stört?“, griff Albin nach dem Badetuch, um es ihr hinter den Vorhang zu reichen. „Hast du dich nicht ursprünglich als Journalistin beworben?“ „Ja“, balancierte Linnea auf einem Bein, „aber sie nahmen jemand anderen, deshalb darf ich jetzt Zitate überprüfen.“ Sie wickelte sich in das Badetuch und schob den Vorhang ganz zurück. Albin nahm seine Brille ab, die ganz angelaufen war. „Und jetzt will sie mich, weil ich jung bin und nicht aussehe wie eine Vogelscheuche, nicht, weil ich vielleicht doch journalistisches Potential habe.“ „Ich verstehe nicht…“ „Ach, können wir bitte über irgendetwas anderes reden? Wie waren deine Models heute?“ „Motiviert…“

 


4

Haydn schlug vorsichtig die Decke zurück und kroch aus dem Bett, um sich im Halbdunkel des Raumes anzuziehen. Die junge Frau schlief mit dem Gesicht zur Wand und er schlich leise ums Bett herum, um seine Sachen aufzusammeln. Auf seinem Handy waren vier unbeantwortete Anrufe und zwei Nachrichten von seinem Manager. Er solle nicht vergessen, dass sie um elf einen Pressetermin hatten und bis dahin im Hotel und einigermaßen ansehnlich sein sollten. „Zwinker, zwinker.“ Haydn lachte in sich hinein. Er hasste Emojis, aber der liebe Anthony wusste sie viel zu subtil und pointiert einzusetzen, um sie nicht amüsant zu finden.

Eine Sekunde lang war er versucht, der jungen Frau zum Abschied einen Kuss auf die Wange zu geben, aber das war dann doch nicht so ganz sein Stil. Also griff er nach seiner Jacke und stahl sich aus der Wohnung. Auf dem Gang zündete er sich eine Zigarette an und stellte dann den Kragen auf, bevor er die Treppe hinunter sprintete und auf die Straße hinaustrat. Sich bewusst, dass er nicht allein war, ging er die Straße hinunter und pfiff sich dann ein Taxi heran. Conny würde ihm schon noch früh genug Bescheid geben, in welchem Klatschmagazin diese Bilder wieder erschienen waren. War es pervers, dass er sich an die Gesichter oft nicht mal mehr erinnern konnte? Aber dann: So war sein ganzes Leben.

Zurück im Hotel hörte er noch Stimmen in Lafayettes Zimmer und auf sein Klopfen hin öffnete Layla Dunant, die treue Seele seines Gitarristen. „Lilly“, umarmten sie und Haydn einander. „Wusste ich, dass du uns besuchen würdest?“ „Dann hättest du ja mehr gewusst als ich“, richtete Lafayette sich auf seinem Bett auf und sah auf die Uhr. „Du kommst spät, Teddybär.“ „Sie war ein bisschen aufgeregt“, lehnte Haydn sich an den kleinen Tisch unter dem Fenster und zündete sich eine Zigarette an, „und wollte einfach nicht einschlafen.“ „Verständlich“, nahm Layla ihm die Zigarette ab, um selbst einen Zug zu machen. „Wenn sie die Augen wieder aufmacht, bist du längst über alle Berge und alles war nur ein Traum.“ Haydn zwinkerte und zog Layla an sich. „Schön, dich zu sehen, Lillybee.“ „Lügner“, lehnte sie den Kopf an seine Schulter. „Ihr Jungs seid doch froh, wenn ich weit weg in Kanada bin, dann könnt ihr ungestört auf die Pirsch gehen.“ Haydn und Lafayette warfen sich einen Blick zu und Lafayette holte sich seine Freundin wieder aufs Bett. „Ich liebe dich auch, mein Schatz.“ „Ugh, ihr seid widerlich“, schüttelte Haydn sich und drückte die Zigarette aus. „Na, dann will ich das Wiedersehen nicht weiter stören und unter die Dusche gehen. Sie trug viel Parfüm.“ „Ich dachte schon, ich rieche einen leichten Rosenduft an dir“, lachte Layla, „steht dir nicht.“ „Dabei ist er doch so ein Süßer“, ließ Lafayette sich einen Kuss auf die Lippen drücken und Haydn fuhr Layla durch die Haare. „Vergesst nicht Luft zu holen.“


‚Ich finde ja, Becky sollte diesen Osborne heiraten’, beugte sich der Schatten im Spiegel auf der Schranktür etwas nach vor, um besser in Haydns Buch sehen zu können. „Ich dachte, du stehst auf Happy Endings“, klopfte Haydn sein Kissen zurecht und griff nach der Fernbedienung für die Stereoanlage. „Whoa!“ Eilig drehte er die Lautstärke herunter und vertiefte sich dann wieder in seine Lektüre. ‚Tue ich ja auch’, seufzte der Schatten theatralisch, ‚und die beiden sind doch so süß zusammen.’ „Osborne ist ein Playboy“, kaute Haydn auf seinem Bleistift und fuhr dann so lange an einem Wort entlang, bis er es verstanden hatte. ‚Genau wie du. Und du bist ja auch süß – irgendwie.’ „Vielen Dank.“

Es kam zu selten vor, dass Haydn auf Tour tatsächlich Zeit zum Lesen hatte und er war so in das Buch vertieft, dass er wie immer die Zeit übersah. ‚Denkst du, es gibt wirklich so kaltblütige Menschen?’, träumte der Schatten halb vor sich hin und Haydn sah auf. „Was ist mit mir?“ ‚Du bist nicht kaltblütig’, richtete der Schatten sich auf. ‚Du bist ein Arsch, das ist was anderes.’ „Na dann ist ja nur gut, dass ich dich habe, um mich ständig daran zu erinnern.“ ‚Was soll ich sagen? Du brauchst mich. Ohne mich wärst du…’ Es klopfte an der Tür und der Schatten verblasste sofort. Haydn legte seufzend das Buch auf den Nachttisch und schälte sich aus der Decke. Es klopfte erneut. „Yeah, I’m comin’!“ Er hatte dem Tageslicht in seinem Zimmer noch keine Beachtung geschenkt.

Er stolperte über seine Schuhe, die achtlos im Flur lagen und öffnete dann die Tür. „Bonjour, Monsieur Junot!“ Es war Lafayette und er war grauenhaft munter. „Guten Morgen, Lay“, trat Haydn zur Seite, um ihn hereinzulassen. „Meine Güte, wie siehst du denn wieder aus?“, musterte Lafayette ihn und nahm dann das Buch vom Nachttisch. „Vanity Fair“, las er den Titel laut. „Ambitieux.“ Haydn hatte immer Bücher bei sich, auch wenn er nicht zum Lesen kam. Den Spruch „Mit wem warst du denn letzte Nacht im Bett?“, bezog die Band manchmal auch auf seine Bücher. „Und jetzt sieh zu, dass du dich anziehst und ein bisschen zurechtmachst, Teddy. Tony kriegt einen Anfall, wenn du wieder aussiehst wie drei Tage Sex.“ „Ich mag den Look“, grinste Haydn und verschwand dann ins Bad, während Lafayette literweise Kaffee bestellte. Im wahrsten Sinne des Wortes.


Wenige Stunden später stolperte eine Gruppe junger Männer über ihre Koffer und verfluchte die Tatsache, dass sie selbst für ihre Papiere und Dokumente verantwortlich waren. Freddy hatte diese Aufgabe abgetreten, als seine Schützlinge nach einem Konzert alle in verschiedene Richtungen verschwinden wollten und sein ganzes Gepäck durchwühlt hatten, weil sie ihre Pässe nicht finden konnten.

Die Roadies taten ihr Bestes, das Chaos gering zu halten, aber wenn sie auch sonst nicht besonders viel verband, so waren doch alle fünf Jungs hoffnungslos unorganisiert und manchmal knapp davor, sich unabsichtlich umzubringen. Die Instrumente wurden abseits verladen und man war damit beschäftigt, Fans davon abzuhalten den Abflug der Maschine noch mehr zu verspäten, als es die Jungs selbst schon taten. Während sie sich darüber stritten, welcher Koffer wem gehörte und wer für das plötzliche Übergewicht zuständig war, gaben sie bereitwillig Autogramme an ihre neuen europäischen Fans. „Ich sollte lernen, mit beiden Händen zu schreiben“, rief Bobby über seine Schulter. „Dann könnte ich zwei Autogramme gleichzeitig geben.“ „Du bist ein verdammter Schlagzeuger, solltest du das nicht können?“ „Er will doch nur angeben, wie viele hübsche schlanke Frauenhände er schon geschüttelt hat.“ „Denk immer an die Bakterien, mein Lieber! All die ekeligen kleinen Kriechdinger!“