Märchen aus China

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

32. Die acht Unsterblichen II

Es war einmal ein armer Mann, der hatte schließlich gar kein Obdach mehr und keinen Bissen zu essen. Da legte er sich müde und matt draußen am Weg neben einem kleinen Feldgott-Tempelchen nieder und schlief ein. Da träumte ihm: Der alte weißbärtige Feldgott kam aus seinem Häuschen und sagte ihm: »Ich weiß dir eine Hilfe. Morgen kommen hier am Wege die acht Unsterblichen vorbei; vor denen wirf dich nieder und flehe sie an!«

Als der Mann erwachte, setzte er sich unter den großen Baum, der neben dem Feldgott-Tempelchen stand und wartete den ganzen Tag auf die Erfüllung des Traumes. Da endlich, als die Sonne schon nahe am Untergehen war, kamen acht Gestalten des Weges gegangen, dem Bettler deutlich als die acht Unsterblichen erkennbar. Sieben von ihnen eilten sehr schnell; aber einer mit einem lahmen Bein humpelte hinter den anderen her. Vor diesem — es war Li Tiä-Guai — warf sich der Mann auf den Boden.

Aber der Lahme wollte nichts von ihm wissen und hieß ihn fortgehen. Doch der Arme hörte nicht auf, ihn anzuflehen, dass er mit ihm gehen und auch zu den Unsterblichen gehören dürfe. Das sei unmöglich, gab der Lahme zur Antwort. Doch da der Arme gar nicht aufhörte zu betteln und nicht von ihm wich, sprach er schließlich: »Nun gut, halte dich an meinem Rocke fest!« Das tat der Mann, und nun ging es in fliegender Eile über die Wege und Felder fort, immer weiter, immer weiter. Auf einmal standen sie zusammen hoch oben auf dem Turm des Pong-lai-schan, des berühmten Geisterberges am Ostmeer. Und siehe, da waren die anderen Unsterblichen auch. Aber diese waren höchst unwillig über den Genossen, den Li Tiä-Guai mitgebracht hatte. Doch da der Arme so dringlich bat, ließen auch sie sich schließlich erweichen und sagten zu ihm: »Wohlan! Wir springen jetzt hinunter in das Meer; folge uns, dann kannst du auch ein Unsterblicher werden.« Und einer nach dem anderen von den Sieben sprang hinab in das Meer. Als aber die Reihe an den Mann kam, bekam er Angst und wollte den Sprung nicht wagen. Da sagte der Lahme zu ihm: »Wenn du dich fürchtest, kannst du auch kein Unsterblicher werden.«

»Was soll ich nun anfangen«, jammerte der Mann; »meine Heimat ist weit fort, und ich habe kein Geld!« Der Lahme brach ein Stückchen Stein von der Mauerzinne los und drückte es dem Manne in die Hand; danach sprang er selbst vom Turm hinunter und war gleich den sieben anderen im Meer verschwunden.

Wie nun der Mann den Stein in seiner Hand näher betrachtete, da war er von reinem Silber. Das reichte ihm als Reisegeld, bis er nach vielen Wochen wieder in seiner Heimat war. Da war dann aber auch das Silber gerade aufgebraucht, und er war ebenso arm wie vorher.

33. Die beiden Scholaren

Es waren einmal zwei Scholaren. Der eine hieß Liu Tschen, und der andere hieß Yüan Dschau. Die waren beide jung und schön. An einem Frühlingstage gingen sie miteinander in das Tiän Tai-Gebirge, um Heilkräuter zu pflücken. Da kamen sie an einen Berghang, wo auf beiden Seiten die Pfirsichbäume in üppiger Blüte standen. Mitten drin öffnete sich eine Höhle, da standen zwei Jungfrauen unter den blühenden Bäumen, die eine in roten Kleidern, die andere in grünen. Die waren über alle Maßen schön. Sie winkten den beiden Scholaren mit der Hand.

,,Seid ihr da?« fragten sie. »Wir haben lange auf euch gewartet.«

Dann führten sie sie in die Höhle und warteten ihnen mit Tee und Wein auf.

»Ich bin für den Herrn Liu bestimmt,« sagte die Jungfrau im roten Gewand, »und meine Schwester für den Herrn Yüan.«

So wurden sie Mann und Frau. Täglich betrachteten sie die Blumen oder spielten Schach, so dass die beiden ganz der Erdenwelt vergaßen. Sie sahen nur, wie draußen vor der Höhle die Pfirsichblüten bald sich öffneten, bald wieder fielen. Auch fühlten sie unvermutet oft kalt, oft warm, so dass sie jederzeit die Kleider wechseln mussten. Die beiden fanden das im Stillen wunderbar.

Eines Tages plötzlich kam sie Heimweh an. Die beiden Mädchen wußten schon darum.

»Wenn euch Herren erst das Heimweh aufsteigt, kann man euch nicht länger halten«, sagten sie.

Am Tage darauf bereiteten die Mädchen ein Abschiedsmahl; dann gaben sie noch Zauberwein den beiden mit und sprachen: »Wir sehen uns wohl wieder. Zieht nur hin!«

Unter Tränen nahmen die Scholaren Abschied.

Als sie nach Hause kamen, da waren Tor und Türen längst verschwunden. Die Leute in dem Dorfe waren ihnen alle unbekannt. Sie drängten sich um sie und fragten, wer sie wären.

»Wir sind Liu Tschen und Yüan Dschau«, antworteten sie. »Wir gingen ins Gebirge und suchten Kräuter. Es mag wohl ein paar Tage her sein.«

Da kam mit schnellen Schritten ein Diener hergeeilt und sah sie lange an. Endlich fiel er hocherfreut vor Liu Tschen nieder und sagte: »Ja, Ihr seid wirklich mein Herr. Seit Ihr weggingt und uns im Ungewissen ohne Nachricht ließet, ist es nun wohl siebzig Jahre oder mehr.«

Darauf zog er den Scholaren Liu zu einem hohen Tore, das mit Buckeln und einem Ring im Löwenmaule reich verziert war, wie es bei hohen Herrschaften so Sitte ist.

Als er in den Saal trat, da kam eine alte Frau mit weißem Haar und krummem Rücken auf einen Stab gestützt hervor und fragte: »Was ist das für ein Mann?«

»Unser Herr ist wieder da«, erwiderte der Knecht. Und dann, zu ihm gewendet, fügte er hinzu: »Das ist die gnädige Frau. Sie ist schon hundert Jahre alt. Zum Glück ist sie noch kräftig und wohlauf.«

Der alten Frau traten vor Freuden und Kummer die Tränen in die Augen.

»Seit du weggingst unter die Unsterblichen, dachte ich, wir würden uns in diesem Leben nicht mehr wiedersehen«, sagte sie. »Welch großes Glück, dass du nun doch wiedergekommen bist!«

Noch ehe sie ausgeredet hatte, da kam die ganze Familie, Männer und Frauen, herbeigeströmt und begrüßten ihn in dichtem Gedränge draußen vor dem Saal.

Die Frau deutete einzeln auf sie und sagte: »Das ist der und der, das ist die und die.«

Als damals der Scholar verschwunden war, da hatte er nur ein winziges Knäblein hinterlassen, erst ein paar Jahre alt. Der war nun schon ein achtzigjähriger Greis. Er hatte in hohem Amt dem Reich gedient und sich bereits zur Altersruhe in die heimatlichen Gärten zurückgezogen. Enkel waren drei da, lauter berühmte Minister; Urenkel über zehn, von denen fünf die Doktorprüfung schon bestanden; Ururenkel über zwanzig, von denen der älteste nach wohlbestandener Magisterprüfung soeben erst zu Hause angekommen war. Die kleinen Kinder erst, die noch auf den Armen getragen wurden, waren ohne Zahl. Die Enkel, die im Amte auswärts waren, als sie hörten, dass ihr Ahn zurückgekommen sei, erbaten alle Urlaub und kamen heim. Die Enkelinnen, die in andere Familien verheiratet waren, kamen ebenfalls herbei. Da ward er hocherfreut und bereitete ein Familienmahl im Saale, und alle seine Nachkommen mit ihren Frauen und Männern saßen rings um ihn her. Er selbst aber und seine Frau saßen oben in der Mitte, die Frau weißhaarig, ein runzliges, altes Weiblein. Der Scholar aber hatte noch immer das Aussehen eines zwanzigjährigen Jünglings, so dass alle Jungen im Kreise umherblickten und lachten.

Da sprach der Scholar: »Ich habe ein Mittel, das Alter zu vertreiben.«

Damit nahm er den Zauberwein hervor und gab ihn seiner Frau zu trinken. Als sie drei Gläser getrunken hatte, da ward ihr weißes Haar allmählich wieder schwarz, die Runzeln glätteten sich, und sie saß an der Seite ihres Mannes stattlich als junge Frau. Da kamen der Sohn und die älteren Enkel herbei und verlangten alle von dem Wein zu trinken. Wer auch nur einen Tropfen davon bekam, der wurde aus einem Greise wieder zum Jüngling. Die Sache wurde ruchbar und kam bis vor den Kaiser. Der Kaiser wollte ihn an seinen Hof berufen. Er aber lehnte dankend ab. Doch sandte er ihm von dem Zauberweine zum Geschenk. Der Kaiser ward darüber hoch erfreut und verlieh ihm eine Ehrentafel, darauf geschrieben stand: »Gemeinsames Heim von fünf Geschlechtern.« Außerdem sandte er ihm drei Zeichen, die er mit seinem eigenen Pinsel geschrieben hatte:

»Freude langen Lebens.«

Dem anderen der beiden Scholaren, Yüan Dschau, war es nicht so gut gegangen. Als er nach Hause kam, da waren Weib und Kind längst gestorben, und seine Enkel und Urenkel waren meist unbrauchbare Menschen. So blieb er denn nicht lange, sondern kehrte in das Gebirge zurück. Liu Tschen aber weilte mehrere Jahre unter den Seinen; dann nahm er seine Frau mit sich und ging abermals in den Tiän Tai-Berg und ward nicht mehr gesehen.

34. Der Priester vom Lauschan

Es war einmal ein Mann, namens Wang, ein Sohn einer alten Familie, der von Jugend an die Lehren des Taoismus hochschätzte. Er hörte, dass im Lauschan viele Unsterbliche lebten. So nahm er seine Bücherkiste auf den Rücken und wanderte dort hin. Als er einen Gipfel erstiegen hatte, erblickte er einen einsamen Tempel. Ein Taoist saß auf einem runden Strohkissen. Langes Haar fiel ihm über den Nacken herab.

Er machte eine Verbeugung vor ihm und begann mit ihm zu reden. Seine Lehren schienen ihm tief und geheimnisvoll, darum bat er, ihn als Schüler anzunehmen.

Der Taoist sprach: »Ich fürchte, du bist zu zart und verweichlicht, um harte Arbeit zu tun.« Er aber antwortete, er könne es wohl. Die Schüler des Alten waren sehr zahlreich. Als sie am Abend sich alle versammelt, begrüßte sie Wang nach feierlichem Brauch. Darauf ward er in das Kloster aufgenommen. Als der Morgen noch kühl war, rief ihn der Priester. Er gab ihm ein Beil und hieß ihn mit den anderen hinausgehen, um Reisig zu sammeln. Wang tat eifrig, wie ihm gesagt.

 

Ein guter Monat war vergangen. Seine Hände und Füße waren voll Beulen und Schwielen. Er hielt es fast nicht mehr aus und erwog im Geheimen den Gedanken an die Rückkehr.

Eines Abends kamen sie heim. Da sahen sie zwei Männer mit ihrem Meister beim Weine sitzen. Die Sonne war schon untergegangen, doch waren Lampen und Kerzen noch nicht angezündet. Da schnitt der Meister mit der Schere aus Papier eine runde Scheibe wie einen Spiegel. Die klebte er an die Wand. Plötzlich leuchtete der Mond an der Wand auf mit so hellem Schein, dass man das kleinste Härchen sehen konnte. Alle Schüler eilten herbei und hörten im Kreise den Alten zu.

Der eine der Gäste sprach: ,,An einem solchen schönen Abend, wo die Freude siegt, muss man gemeinsam genießen.«

Damit nahm er eine Kanne Wein vom Tisch, den Schülern Wein auszuteilen. Und er redete ihnen zu, sie sollten ordentlich trinken.

Wang dachte bei sich: ,,Für sieben, acht Leute soll eine Kanne Wein ausreichen!« Sie eilten alle, Becher zu holen, und drängten sich herzu, um zuerst an die Reihe zu kommen, nur besorgt, die Kanne möchte sich leeren. Aber er goß und goß, und der Wein wurde nicht weniger. Darüber wunderte sich Wang im Stillen.

Nun sprach der zweite Gast: ,,Du hast uns einen schönen Mondschein verschafft; aber wir trinken da so still vor uns hin. Wie wäre es, wenn wir die Mondfee riefen?«

Damit nahm er ein Essstäbchen und warf es in die Mondscheibe. Da sah man ein schönes Mädchen aus dem Glänze hervorkommen. Erst war sie kaum einen Fuß hoch; als sie die Erde berührte, erreichte sie Menschengröße. Schlanke Hüften, ein zierliches Hälschen, wallende Gewänder: so tanzte sie den Regenbogentanz. Dann begann sie zu singen:

 »Ihr wollt entfliehen, Unsterbliche alle,

 Mich einsam verlassen in eisiger Halle!«

Ihre Stimme klang rein und klar wie eine Flöte. Nachdem das Lied zu Ende war, erhob sie sich wirbelnd und sprang auf den Tisch. Während alle erstaunt nach ihr hinblickten, war sie schon wieder zum Essstäbchen geworden.

Die drei Alten brachen in lautes Gelächter aus.

Da sagte wieder einer der Gäste: ,,Wir sind heut abend recht fröhlich zusammen. Doch werde ich des Weines nicht länger Herr. Wie wäre es, wenn ihr mich zum Abschiedstrunk ins Mondschloss begleitetet?«

Die drei verließen nun ihre Matten und gingen allmählich in den Mond hinein. Die Schüler alle sahen die drei im Monde sitzen. Bart und Augenbrauen, alles sah man deutlich wie ein Spiegelbild.

Nach einiger Zeit wurde der Mond allmählich trübe. Die Schüler gingen, um Licht zu machen. Als sie wiederkamen; saß der Priester allein da, die Gäste waren verschwunden, aber die Reste des Essens lagen noch auf dem Tisch. Der Mond an der Wand hing noch da als rundes Stück Papier.

Der Priester fragte sie: »Habt ihr genug getrunken?«

Sie sagten: »Genug.«

»Nun, wenn ihr genug habt, so müsst ihr früh schlafen gehen, damit ihr die Arbeit morgen nicht versäumt.«

Die Schüler zogen sich gehorsam zurück. Wang ward durch diese Sache aufs Neue ermutigt, und die Heimwehgedanken verschwanden.

Wieder verging ein Monat. Die Mühen waren unerträglich, und der Priester hatte ihm nicht ein einziges Geheimnis überliefert.

Da hielt er es nicht mehr länger aus, sondern verabschiedete sich: »Hundert Meilen weit bin ich hergekommen, um Eure Belehrung zu empfangen. Nun sehe ich, dass ich das Geheimnis der Unsterblichkeit doch nicht erlangen kann. Doch hättet Ihr mir vielleicht irgend etwas Kleineres mitteilen können, um mein lernbegieriges Gemüt zu befriedigen. Zwei, drei Monate sind vergangen ohne andere Beschäftigung, als morgens hinauszugehen zum Reisig sammeln und abends müde heimzukommen. Ein solches Leben war ich zu Hause nicht gewöhnt.«

Der Priester sagte lächelnd: »Ich habe dir es ja gleich gesagt, dass du der harten Arbeit nicht gewachsen seist. Nun ist es wirklich so. Morgen früh will ich dich entlassen.«

Wang sprach: »Ich habe Euch lange gedient, Ihr könntet mir wenigstens ein kleines Kunststück mitteilen, dass ich nicht ganz umsonst gekommen bin.«

»Und welches Kunststück möchtest du denn lernen?« fragte der Priester.

»Wenn ich Euch gehen sah, so merkte ich, dass Wände und Mauern Euch nicht behindern können. Wenn ich nur dieses Kunststück könnte, so wäre ich schon zufrieden.«

Der Priester sagte lächelnd zu und lehrte ihn einen Zauberspruch, mit dem Wang sich segnen musste.

Dann rief er: »Nun zu!«

Wang stand mit dem Gesicht nach der Wand, aber wagte nicht hineinzugehen.

Der Priester sprach: »Probiere doch, hineinzugehen!«

Da ging er gemächlich auf die Wand zu, aber sie hielt ihn auf.

Der Priester sprach: »Du musst den Kopf neigen und einfach frisch drauflos rennen, ohne ängstliches Bedenken.«

Wang nahm einen Anlauf von einigen Schritten und rannte auf die Wand zu. Als er an die Wand kam, da gab sie nach, als wäre nichts an der Stelle. Er blickte sich um, und richtig war er draußen. Da war er hocherfreut, ging wieder hinein und bedankte sich.

Der Priester sprach: »So, nun geh heim! Du musst es aber vorsichtig wahren, sonst verliert sich die Kraft.«

Darauf gab er ihm Wegzehrung und entließ ihn.

Zu Hause angekommen, rühmte sich Wang, dass er einen Heiligen getroffen habe, und dass die stärksten Wände für ihn kein Hindernis mehr seien. Seine Frau glaubte es nicht. Da wollte er ihr seine Kunst vor Augen führen, trat einige Schritte von der Mauer zurück und lief darauf zu. Er stieß mit dem Kopf an die harte Wand, prallte ab und brach zusammen. Die Frau hob ihn auf und sah nach ihm. Da hatte er an seiner Stirn eine Beule von der Größe eines Eis. Die Frau machte sich über ihn lustig. Er aber war beschämt und wütend und schalt auf den alten Priester als einen gewissenlosen Menschen.

35. Der geizige Bauer

Es war einmal ein Bauer, der führte Birnen nach dem Markt. Weil sie sehr süß und duftend waren, hoffte er einen guten Preis dafür zu bekommen. Ein Bonze in zerrissener Mütze und zerfetzten Kleidern trat an den Wagen heran und bat um eine. Der Bauer wies ihn ab, doch der Bonze ging nicht. Da ward der Bauer böse und begann ihn zu beschimpfen. Der Bonze sprach: ,,In Eurem Wagen habt Ihr viele hundert Birnen. Ich bitte Euch ja nur um eine. Das bringt Euch doch nicht großen Schaden. Warum werdet Ihr gleich so böse?«

Die Umstehenden sagten, er solle ihm doch eine der geringeren geben und ihn gehen lassen. Aber der Bauer wollte durchaus nicht. Ein Handwerker sah es von seinem Laden aus, und weil ihm der Lärm lästig war, so holte er Geld, kaufte eine und gab sie dem Bonzen.

Der Bonze bedankte sich und sprach: »Unsereiner, der die Welt verlassen hat, darf nicht knickrig sein. Ich habe schöne Birnen und lade Euch alle ein mitzuessen.« Es sagte einer: »Wenn du Birnen hast, warum isst du denn nicht deine eigenen?« Er sprach: »Ich brauche erst einen Kern zum Stecken.« Damit begann er die Birne schmatzend aufzuessen. Als er fertig war, hielt er einen Kern in der Hand, nahm seine Hacke von der Schulter und grub ein Loch von ein paar Zoll. Er steckte den Kern hinein und bedeckte ihn mit Erde. Dann verlangte er von den Marktleuten Suppe, um ihn zu begießen. Ein paar Neugierige holten in einer Straßenherberge heißes Wasser, und der Bonze begoß damit den Kern. Tausend Augen waren auf die Stelle geheftet. Schon sah man einen Keim herauskommen. Allmählich wuchs er und war im Augenblick zu einem Baum geworden. Zweige und Laub sprossten hervor. Er blühte, und alsbald waren die Früchte reif: lauter große, duftende Birnen, die in dichten Mengen am Baum hingen. Der Bonze stieg auf den Baum und gab sie den Umstehenden. Im Augenblick war der Baum leer gegessen. Da nahm er seine Hacke und hackte den Baum ab. Krach, krach, ging es eine Weile, da war er ab. Er nahm den Baum auf die Schulter und ging mit gemächlichen Schritten weg.

Als der Bonze seinen Zauber hatte spielen lassen, da hatte auch der Bauer sich unter die Zuschauer gemischt. Mit langem Hals und stieren Augen hatte er dagestanden und seinen Birnenhandel ganz vergessen. Als der Bonze weg war, da sah er sich nach seinem Wagen um. Die Birnen waren alle fort. Da merkte er, dass, was jener verteilt hatte, seine eignen Birnen gewesen waren. Er sah näher zu, da fehlte an dem Wagen auch die Deichsel. Man konnte ganz deutlich sehen, dass sie frisch abgehackt war. Er ward aufgebracht und lief, so schnell er konnte, dem Bonzen nach. Als er um eine Ecke kam, lag das fehlende Stück der Deichsel unten an der Stadtmauer. Da merkte er, dass der abgehackte Birnbaum seine Deichsel war. Der Bonze aber war nirgends zu finden. Und der ganze Markt brach in lautes Gelächter aus.

36. Strafe des Unglaubens

Es war einmal ein Mann, der hieß We Be Yang. Er ging mit drei Jüngern in den Wald und kochte dort das Lebenselixier. Da er aber wußte, dass nicht alle seine Jünger von ganzem Herzen seinen Lehren glaubten, beschloss er sie zu prüfen. Er sprach zu ihnen: »Das Lebenselixier ist nun zwar fertig, doch weiß ich noch nicht, ob es Kraft hat. Ich will zuerst davon dem Hunde geben, um zu sehen, wie es wirkt.« Er gab dem Hunde davon, der starb. Da sprach We Be Yang: »Wie schwierig ist es, das Lebenselixier fertig zu bekommen! Nun habe ich’s fertig, und der Hund stirbt daran. Das ist ein Zeichen, dass es mir nicht vergönnt ist, Unsterblichkeit zu erlangen. Weib und Kind habe ich verlassen und bin in die Berge gegangen, um geheimen Sinn zu verstehen. Ich schäme mich, nun wieder heimzukehren. Lieber will ich sterben.«

Danach aß er auch von dem Lebenselixier. Kaum hatte er es im Munde, so war er tot.

Seine Jünger sahen sich erschrocken an und sprachen: »Man macht das Lebenselixier, um ewig zu leben; statt dessen bringt es nur den Tod, wie geht das zu?«

Es war aber einer unter den Jüngern, der sagte: »Unser Meister ist kein gewöhnlicher Mensch. Vielleicht hat er nur unseren Glauben prüfen wollen.«

Er aß auch von dem Lebenselixier, aber auch er verschied.

Da sagten die beiden anderen Jünger untereinander: »Die Sache ist unheimlich, wir wollen lieber gehen.«

So kehrten sie denn heim, um Särge zu kaufen für die beiden Toten. Kaum waren sie weg, so erhob sich We Be Yang. Er brachte auch den Jünger und den weißen Hund zum Leben zurück, und alle drei gingen miteinander zur Unsterblichkeit ein. Unterwegs aber erschienen sie den beiden anderen Jüngern. Als die sie sahen, beklagten sie ihre Torheit. Aber ihre Reue kam zu spät.

Sie haben die kostenlose Leseprobe beendet. Möchten Sie mehr lesen?