Das Ende des Wachstums

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Das Ende des Wachstums kommt eigentlich nicht überraschend

Der Gedanke, daß das Wachstum irgendwann in diesem Jahrhundert enden wird, ist nicht neu. Bereits 1972 erschien ein Buch mit dem Titel Die Grenzen des Wachstums, es wurde zu dem ökologischen Bestseller schlechthin.1

Das Buch basierte auf den ersten Versuchen, in Computermodellen das wahrscheinliche Zusammenspiel der Veränderungen bei Ressourcen, Konsum und Bevölkerungsentwicklung abzubilden. Außerdem war es die erste große wissenschaftliche Untersuchung, die die Annahme infrage stellte, das Wirtschaftswachstum könne und werde in der absehbaren Zukunft mehr oder weniger ungebrochen weitergehen.

Damals klang das ketzerisch – und heute immer noch. Die Vorstellung, daß das Wachstum über einen bestimmten Punkt hinaus nicht weitergehen kann und nicht weitergehen wird, war für manche Kreise höchst ärgerlich, und bald schon wurde Die Grenzen des Wachstums durch Wirtschaftsinteressen, die auf Wachstum setzen, »entlarvt«. Tatsächlich beschränkte sich die »Entlarvung« darauf, ein paar Zahlen in dem Buch vollständig aus dem Zusammenhang zu reißen, sie als »Vorhersagen« (was sie ausdrücklich nicht waren) zu deklarieren und dann zu erklären, die Vorhersagen seien nicht eingetroffen.2 Der Trick wurde rasch aufgedeckt, aber Widerlegungen bekommen oft nicht annähernd so viel Aufmerksamkeit wie Anklagen, und bis heute glauben Millionen Menschen, es sei seit langem klar, daß das Buch nicht glaubwürdig sei. In Wahrheit haben sich die Szenarien aus dem Buch ganz gut behauptet. (Kürzlich kam eine Untersuchung der Australian Commonwealth Scientific and Industrial Research Organization, CSIRO, zu dem Schluß: »[Unsere] Analysen zeigen, daß die Daten aus 30 Jahren ziemlich gut dazu passen, wie [in Die Grenzen des Wachstums] die Weiter-So-Szenarien beschrieben werden …«)3

Grafik 1. Das Szenario »Grenzen des Wachstums«.

Quelle: Grenzen des Wachstums – Das 30-Jahre-Update (2006), S. 260.

Die Autoren fütterten ihre Computer mit Daten zum Bevölkerungswachstum, zu Konsumtrends und den Vorräten an wichtigen Ressourcen, ließen dann die Modellrechnungen laufen und folgerten am Schluß, das Ende des Wachstums werde irgendwann zwischen 2010 und 2050 erreicht sein. Von da an werde die Industrie- und Nahrungsmittelproduktion sinken und die Bevölkerungszahl zurückgehen.

Das Szenario aus Die Grenzen des Wachstums wurde in den Jahren nach der Veröffentlichung des Buchs wiederholt durchgespielt, mit immer raffinierterer Software und aktualisierten Daten. Die Ergebnisse waren jedesmal ähnlich.4

Warum ist Wachstum so wichtig?

In den letzten beiden Jahrhunderten entwickelte sich das Wirtschaftswachstum zum praktisch einzigen Index für das Wohlergehen eines Landes. Wenn die Wirtschaft wuchs, entstanden neue Jobs, und Investitionen brachten hohe Renditen. Wenn die Wirtschaft vorübergehend nicht wuchs, wie während der Weltwirtschaftskrise, führte das zu einem finanziellen Aderlaß.

In diesem Zeitraum nahm die Weltbevölkerung zu – von unter zwei Milliarden Menschen im Jahr 1900 auf über sieben Milliarden heute, jedes Jahr kommen rund 70 Millionen neue »Konsumenten« hinzu. Deshalb ist künftiges Wirtschaftswachstum noch wichtiger: Wenn die Wirtschaft stagniert, können pro Kopf weniger Güter und Dienstleistungen zirkulieren.

Wir bauen auf Wirtschaftswachstum, wenn es um die »Entwicklung« der ärmsten Volkswirtschaften geht. Ohne Wachstum müssen wir ernsthaft die Möglichkeit in Erwägung ziehen, daß Hunderte Millionen – vielleicht Milliarden – Menschen niemals beim Konsum den Lebensstandard der Menschen in den Industrieländern erreichen werden. Künftig werden sich die Bemühungen, die Lebensqualität in den armen Ländern zu verbessern, viel mehr auf Faktoren wie kulturelle Möglichkeiten, politische Freiheiten und staatsbürgerliche Rechte konzentrieren müssen und weniger auf das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP).

Überdies haben wir Währungs- und Finanzsysteme geschaffen, die Wachstum erfordern. Solange die Wirtschaft wächst, sind Geld und Kredit verfügbar, die Erwartungen sind hoch, die Menschen kaufen mehr Waren, die Unternehmen leihen sich mehr Geld, und vorhandene Kredite können bedient werden.5 Aber wenn die Wirtschaft nicht wächst, fließt kein neues Geld in das System, und die Zinsen können nicht bezahlt werden. In der Folge gehen Unternehmen reihenweise bankrott, Arbeitsplätze verschwinden, die Einkommen sinken, und die Konsumenten geben weniger Geld aus – was die Unternehmen veranlaßt, weniger Kredite aufzunehmen, wodurch noch weniger Geld in den Wirtschaftskreislauf gelangt. Diese sich selbst verstärkende negative Feedbackschleife ist schwer zu durchbrechen.

Mit anderen Worten: Unsere Marktwirtschaft kennt keinen »stabilen« oder »neutralen« Zustand, es gibt nur Wachstum oder Schrumpfen. Und »Schrumpfen« ist manchmal nur ein harmloserer Name für Rezession oder Krise – eine lange Phase von Arbeitsplatzverlusten, Zwangsvollstreckungen, Insolvenzen und Bankrotten.

Weil wir mittlerweile so an Wachstum gewöhnt sind, wissen wir kaum noch, daß es sich dabei um ein ziemlich neues Phänomen handelt.

In den letzten Jahrtausenden sind Imperien aufgestiegen und zusammengebrochen, lokal hat die Wirtschaft Fortschritte gemacht oder Rückschritte – während die Weltwirtschaft insgesamt nur langsam expandierte und immer wieder Rückschläge erlitt. Doch dank der durch die fossilen Brennstoffe ausgelösten Revolution in den letzten eineinhalb Jahrhunderten erlebten wir Wirtschaftswachstum in einem Tempo und einer Größenordnung, wie es das in der Geschichte der Menschheit bisher noch nicht gegeben hat.6 Wir nutzten die Energie aus Kohle, Öl und Gas, um Autos, Lastwagen, Autobahnen, Flughäfen, Flugzeuge und Stromnetze zu bauen und zu betreiben – all die Dinge, ohne die eine moderne Industriegesellschaft nicht funktionieren kann. Durch den nicht wiederholbaren Vorgang, die Kraft von Jahrmillionen chemisch gespeichertem Sonnenlicht zu extrahieren und zu verbrennen, errichteten wir eine Maschinerie, die (einen kurzen, strahlenden Augenblick lang) immerwährendes Wachstum zu verheißen schien. Nach und nach hielten wir eine außerordentliche Situation für selbstverständlich. Sie wurde normal für uns.

Doch nun, da die Ära der billigen, reichlich vorhandenen fossilen Brennstoffe zu Ende geht, werden unsere Vorstellungen von permanenter Expansion bis in den Kern erschüttert. Das Ende des Wachstums ist in der Tat ein kritisches Ereignis. Es bedeutet das Ende einer Ära und das Ende der Art und Weise, wie wir bisher unsere Wirtschaft, unsere Politik und unseren Alltag organisiert haben.

Es ist lebenswichtig, daß wir die Bedeutung dieses historischen Augenblicks erkennen und begreifen: Wenn wir wirklich das Ende des Zeitalters der von fossilen Brennstoffen getriebenen Expansion erreicht haben, dann sind alle Bestrebungen der politisch Verantwortlichen, weiter trügerischem Wachstum nachzujagen, nichts anderes als eine Flucht vor der Realität. Wenn die politisch Verantwortlichen weltweit Illusionen über unsere Situation hegen, werden sie den Aufbau der Unterstützungssysteme hinauszögern, die das Leben in einer Wirtschaft ohne Wachstum erträglich machen können, und sie werden ziemlich sicher die erforderlichen grundlegenden Veränderungen in den Bereichen Währung, Finanzen, Nahrungsmittel und im Transportwesen versäumen.

In der Folge könnte aus einem möglicherweise schmerzhaften, aber erträglichen Anpassungsprozeß die größte Tragödie der Menschheitsgeschichte werden. Wir können das Ende des Wachstums überleben und vielleicht auch danach noch prosperieren, aber nur, wenn wir die Realität erkennen und entsprechend handeln.

E.1ABER ERHOLT SICH DIE US-WIRTSCHAFT DENN NICHT?

Von Juli 2009 bis Ende 2010 vermeldete die US-Wirtschaft Zuwächse beim BIP – das heißt Anzeichen von Wachstum. Mitte 2010 lag das nominale BIP wieder über den Werten vor der Rezession und das inflationsbereinigte BIP ziemlich genau auf dem Wert vor der Rezession.7 Dieser Anstieg folgte auf einen Rückgang des BIP von Dezember 2007 bis Juni 2009.8

Doch wie wir in Kapitel 6 sehen werden, ist das BIP ein schlechter Maßstab für die generelle Gesundheit einer Volkswirtschaft. Zwar hat das BIP seine früheren Werte wieder erreicht, doch die US-amerikanische Wirtschaft hat sich fundamental verändert: Die Arbeitslosigkeit ist viel höher, und die Steuereinnahmen der Bundes und der Einzelstaaten sind eingebrochen. Einige Ökonomen definieren diesen Zustand vielleicht technisch als eine in Erholung und Wachstum begriffene Volkswirtschaft, aber eine gesunde Volkswirtschaft ist es gewiß nicht.

Überdies verdankt sich ein Großteil dieses scheinbaren Wachstums den enormen Geldspritzen und Rettungspaketen der Regierung in Washington. Wenn man diese Summen abzieht, bleibt vom Wirtschaftswachstum etwa der letzten zwei Jahre praktisch nichts übrig.

Ausgehend von der historischen Analyse früherer Finanzkrisen kommen die Ökonomen Carmen Reinhart und Kenneth Rogoff zu dem Schluß, die Wirtschaftskrise des Jahres 2008 werde

»… tiefe und bleibende Auswirkungen auf Vermögenspreise, Produktion und Beschäftigung haben. Die Arbeitslosenzahlen werden über fünf Jahre weiter steigen und die Immobilienpreise über sechs Jahre weiter fallen. Positiv ist zu vermerken, daß Produktionsrückgänge im Durchschnitt nur zwei Jahre anhalten. Selbst Rezessionen, die durch Finanzkrisen verursacht wurden, enden schließlich, allerdings fast immer unweigerlich begleitet von einer massiven Erhöhung der Staatsverschuldung … Die globale Natur der [gegenwärtigen] Krise wird es für viele Länder sehr viel schwieriger machen, sich durch höhere Exporte daraus zu befreien oder die Auswirkungen auf den Konsum durch Kreditaufnahme im Ausland zu mildern. Unter solchen Umständen ist damit zu rechnen, daß es mit der gegenwärtigen Ruhe bei Staatsbankrotten bald vorbei sein wird.«9

 

Diese Analyse betrachtet jedoch nur die finanziellen Aspekte der Krise und geht nicht auf die grundsätzlicheren Probleme bei Energie, Ressourcen und Umwelt ein. Die 2009 begonnene »Erholung« fand vor dem Hintergrund gesunkener Energiepreise statt, die gegenüber ihrem Höhepunkt Mitte 2008 deutlich zurückgegangen waren. Doch als die Konsumentennachfrage Ende 2010 zaghafte Ansätze einer Wiederbelebung zeigte, kletterten die Ölpreise sofort wieder. Wenn diese »Erholung« weitergeht, werden die Energiepreise noch höher steigen, und die Wirtschaft wird wieder schrumpfen.

Kurz gesagt: Es mag sein, daß die US-Wirtschaft für die Jahre 2009 bis 2010 Wachstum (im technischen Sinn) vermeldet hat, aber sie läuft in einem grundsätzlich anderen Modus als zuvor: Sie ist sehr viel mehr von Ausgaben der Regierung (im Gegensatz zu Ausgaben der Konsumenten) abhängig, und sie ist eine Geisel der Energiepreise.

Grafik 2. Wirtschaftswachstum und Arbeitslosigkeit, 2006–2010. Als die US-Wirtschaft infolge der Finanzkrise 2008 schrumpfte, fiel das Wachstum in den negativen Bereich, und die Arbeitslosenquote stieg steil an.

Quelle: US Bureau of Labor Statistics, US Bureau of Economic Analysis.

Grafik 3. Wirtschaftswachstum, Stimulus- und Rettungspakete. »Rettung und Stimulus« bezieht sich auf das amerikanische TARP-Programm (Troubled Asset Relief Program, Programm zur Stabilisierung des Finanzsektors) und auf den American Recovery and Reinvestment Act (Konjunkturprogramm der Regierung Obama; Anm. d. Übers.) von 2009. Wie die Kurve zeigt, waren diese staatlichen Ausgaben die Hauptquelle für Wirtschaftswachstum seit der Finanzkrise 2008. Was passiert, wenn die Regierung die Banken nicht mehr retten und die Wirtschaft nicht mehr stimulieren kann?

Quelle: US Bureau of Economic Analysis, The Committee for a Responsible Federal Budget.

Aber ist Wachstum nicht normal?

Volkswirtschaften sind Systeme, und als solche gehorchen sie (bis zu einem gewissen Grad) ähnlichen Regeln wie biologische Systeme. Pflanzen und Tiere wachsen schnell, wenn sie jung sind, aber ausgewachsen haben sie eine mehr oder weniger stabile Größe. Bei Organismen wird das Wachstum größtenteils von den Genen kontrolliert, allerdings spielt auch die Verfügbarkeit von Nahrung eine Rolle.

Bei Volkswirtschaften scheint das Wachstum von der Verfügbarkeit von Ressourcen abzuhängen, hauptsächlich Energie (»Nahrung« für die Industrie) und Kredit (»Sauerstoff« für die Wirtschaft) – und darüber hinaus von wirtschaftlicher Planung.

In den letzten 150 Jahren ermöglichten billige und reichlich vorhandene fossile Brennstoffe eine rasche wirtschaftliche Expansion mit einer jährlichen Rate von durchschnittlich 3 Prozent. Die Wirtschaftsplaner nahmen dies bald als selbstverständlich hin. Die Finanzsysteme verinnerlichten die Wachstumserwartung als Versprechen künftiger Renditen aus Investitionen.

Die meisten Organismen hören auf zu wachsen, wenn sie ausgereift sind. Wären Grenzen des Wachstums nicht genetisch programmiert, würden Pflanzen und Tiere an eine Reihe praktischer Hindernisse stoßen: Stellen wir uns zum Beispiel nur vor, welche Probleme ein zwei Pfund schwerer Kolibri hätte. Wenn die Analogie trägt, müssen auch Volkswirtschaften irgendwann zu wachsen aufhören. Da können die Wirtschaftsplaner (das gesellschaftliche Äquivalent zur regulierenden DNA) noch soviel Wachstum verlangen, an einem bestimmten Punkt werden immer mehr »Nahrung« und »Sauerstoff« einfach nicht mehr verfügbar sein. Oder die Abfälle sammeln sich so stark an, daß die biologischen Systeme, die der Wirtschaftstätigkeit zugrunde liegen (wie Wälder, Anbauflächen und die Menschen), erstickt und vergiftet werden.

Doch viele Ökonomen sehen das nicht so, wahrscheinlich deshalb, weil die heute gültigen ökonomischen Theorien in der historischen Ausnahmephase anhaltenden Wachstums formuliert wurden, die nun zu Ende geht. Die Ökonomen verallgemeinern nur ihre Erfahrung: Sie können auf Jahrzehnte stetigen Wachstums in der jüngsten Vergangenheit verweisen und projizieren das in die Zukunft.10 Außerdem haben sie Theorien, die erklären, warum moderne Marktwirtschaften gegen Grenzen, wie sie natürliche Systeme kennen, immun sind: Die beiden wichtigsten Theorien drehen sich um Substitution und Effizienz.

Wenn eine nützliche Ressource knapp wird, steigt ihr Preis, und das schafft einen Anreiz für die Nutzer der Ressource, Ersatz zu suchen. Wenn zum Beispiel der Ölpreis ein bestimmtes Niveau erreicht, kommen die Energieunternehmen vielleicht auf die Idee, flüssige Brennstoffe aus Kohle zu erzeugen. Oder sie werden andere Energiequellen erschließen, von denen wir heute noch nicht einmal träumen. Viele Ökonomen vertreten die Auffassung, daß dieser Substitutionsprozeß immer so weitergehen könne. Er ist Teil der Magie des freien Marktes.

Die Effizienz zu steigern bedeutet, mehr mit weniger Aufwand zu erreichen. In den Vereinigten Staaten ist der Dollarerlös pro verbrauchter Energieeinheit in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich gestiegen.11 Zum Teil ist die Effizienzsteigerung auf Produktionsverlagerungen in andere Länder zurückzuführen – diese Länder verbrennen dann Kohle, Öl und Gas bei der Herstellung unserer Produkte. (Würden wir unsere Laufschuhe und LCD-Fernseher selbst produzieren, würden wir die Brennstoffe im eigenen Land verbrauchen.)12 Die Ökonomen verweisen noch auf eine andere, verwandte Form der Effizienz, die weniger mit Energie zu tun hat (zumindest im direkten Sinn): die Suche nach den billigsten Quellen für Rohstoffe und den Orten, wo die Arbeitskräfte entweder besonders produktiv sind oder für besonders niedrige Löhne arbeiten. Wenn wir die Effizienz steigern, verbrauchen wir weniger – Energie, Ressourcen, Arbeitskraft oder Geld –, um mehr herzustellen. Und das ermöglicht mehr Wirtschaftswachstum.

Neue Energiequellen zu finden und die Effizienz zu steigern sind unbestritten wirksame Strategien in einer Marktwirtschaft. Trotzdem bleibt die Frage, wie lange diese Strategien in der realen Welt funktionieren können – denn dort herrschen nicht ökonomische Theorien, sondern die Gesetze der Physik. In der realen Welt gibt es für manche Dinge einfach keinen Ersatz, oder der Ersatz ist zu teuer oder nicht so gut oder nicht schnell genug verfügbar. Und für die Effizienz gilt das Gesetz abnehmender Renditen: Die ersten Effizienzgewinne sind in der Regel billig, aber jedes weitere Stück Gewinn kostet mehr, bis irgendwann die Gewinne so teuer werden, daß es sich nicht mehr lohnt.

Letztendlich können wir nicht mehr als 100 Prozent der Produktion auslagern, können wir Waren nicht ohne Energieeinsatz transportieren, und wir können nicht die Arbeitskraft von Menschen in Anspruch nehmen und auf ihre Kaufkraft zählen und ihnen gleichzeitig nichts bezahlen. Anders als den meisten Ökonomen ist den meisten Physikern bewußt, daß Wachstum in einem funktionierenden begrenzten System eines Tages enden muß.

E.2DIE WACHSTUMSZAHLEN FRISIEREN

Sind regierungsamtliche Zahlen genau und verläßlich? Nicht, wenn man dem Betreiber von shadowstats.com, dem Ökonomen John Williams, glaubt. Nach der »ausführlichen Erforschung von Geschichte und Wesen der Erhebung wirtschaftlicher Kennzahlen und vielen Interviews mit maßgeblichen Personen, die von Anfang an bis heute mit amtlichen Statistiken zu tun hatten«, begann Williams seine eigenen Daten zu sammeln und auf seiner Website zu veröffentlichen. In manchen Fällen, so etwa bei der Arbeitslosenstatistik, betont er einfach die Diskrepanz zwischen aktuellen Definitionen und Erhebungsweisen und früheren: Würden die Arbeitslosenzahlen heute genauso erhoben wie in den 1970er Jahren, lägen die aktuellen Zahlen in der Größenordnung von 16 bis 18 Prozent statt bei den offiziell genannten 9 bis 10 Prozent (zum Beispiel werden heute Menschen, die die Suche nach einem Arbeitsplatz aufgegeben haben, nicht mehr als »arbeitslos« geführt).

Die Alternativzahlen von Shadowstats bei der Inflation sind immer höher als die von der Regierung genannten Zahlen, während die Wachstumsraten des BIP regelmäßig niedriger sind.

Zu den Zahlen in Grafik 4 schreibt Williams: »Die SGS-Zahlen (SGS – Shadow Government Statistics, auf shadowstats.com; Anm. d.Übers.) beim BIP zeigen die inflationsbereinigte oder reale Veränderung des BIP von Jahr zu Jahr, bereinigt um Verzerrungen der regierungsoffiziellen Inflationsrate und methodische Änderungen, die dazu geführt haben, daß die offiziellen Zahlen zu niedrig sind.«

All das wirft die Frage auf: Wie viel von der wirtschaftlichen Erholung ist in Wahrheit »Schall und Rauch«?

Die einfache Berechnung von exponentiellem Wachstum

Im Grunde ist die Aussage, daß das Wachstum irgendwann enden wird, todsicher richtig: Wenn etwas kontinuierlich um einen bestimmten Prozentsatz pro Jahr wächst, bedeutet dies, daß es alle soundsoviel Jahre seine Größe verdoppeln wird; je höher der Prozentsatz, desto schneller die Verdoppelung. Eine grobe Methode, die Zeit bis zur Verdoppelung abzuschätzen, ist die 70er Regel: Wenn man 70 durch den Prozentsatz des Wachstums teilt, gibt das Ergebnis annähernd an, wie lange es dauert, bis sich die ursprüngliche Menge verdoppelt hat. Wächst eine Menge um 1 Prozent jährlich, verdoppelt sie sich in 70 Jahren, bei 2 Prozent in 35 Jahren, bei 5 Prozent dauert es nur 14 Jahre und so weiter. Genauere Ergebnisse können Sie mit der Potenztaste Ihres Taschenrechners errechnen, aber für die meisten Zwecke genügt die 70er-Regel.

Hier ein Beispiel aus der realen Welt: In den letzten 200 Jahren ist die Erdbevölkerung mit Raten von unter 1 Prozent bis über 2 Prozent jährlich gewachsen. Im Jahr 1800 lebten rund eine Milliarde Menschen auf der Erde, 1930 waren es bereits doppelt so viele. Innerhalb von nur 30 Jahren (bis 1960) verdoppelte sich die Weltbevölkerung erneut auf 4 Milliarden, gegenwärtig sind wir auf dem Weg zur dritten Verdoppelung auf 8 Milliarden, die um das Jahr 2025 erreicht sein dürften. Niemand erwartet ernsthaft, daß die Menschheit über Jahrhunderte so weiterwächst. Aber stellen wir uns einmal vor, es wäre so, und nehmen wir eine Wachstumsrate von 1,3 Prozent jährlich an (das ist die Rate des Jahres 2000). Im Jahr 2780 gäbe es dann 148 Billionen Menschen auf der Erde – ein Mensch pro Quadratmeter Land auf der Oberfläche unseres Planeten.

Grafik 4. Wachstum des US-BIP, offiziell vs. Angaben von Shadowstats, 2000–2010. Die offiziellen Zahlen stammen vom Bureau of Economic Analysis, die alternativen Zahlen von Shadow Government Statistics. Beide Datensätze sind inflationsbereinigt.

Quelle: Shadow Government Statistics, American Business Analytics & Research LLC, shadowstats.com.

Grafik 5. Arbeitslosenquote, offiziell vs. Angaben von Shadowstats, 2000–2010 (saisonbereinigt). Die SGS-Angabe spiegelt die aktuelle Methode der Erhebung der Arbeitslosenzahlen wider, bereinigt um den erheblichen Anteil der »Entmutigten«, die seit 1994 nicht mehr berücksichtigt werden. Die Quote U-6 des Bureau of Labor Statistics schließt sowohl kurzfristig als auch langfristig Entmutigte (weniger bzw. mehr als ein Jahr) ein sowie instabil Beschäftigte. (U-3 ist die offizielle Arbeitslosenquote; Anm. d. Übers.).

 

Quelle: Shadow Government Statistics, American Business Analytics & Research LLC, shadowstats.com.

Grafik 6. Wachstum der Weltbevölkerung, 1000–2010.

Quelle: Abteilung Bevölkerungsfragen der Hauptabteilung Wirtschaftliche und Soziale Angelegenheiten des UN-Sekretariats, »World Population Prospects: The 2008 Revision« (Bevölkerungszahlen für 2009–2010 als Prognose auf der Grundlage der Zahlen von 2008).

Natürlich wird es nicht so kommen.

In der Natur trifft das Wachstum früher oder später immer auf unüberwindliche Hindernisse. Wenn die Nahrungsquellen einer biologischen Art zunehmen, wird die Zahl ihrer Individuen dank der zusätzlichen Kalorien wachsen – aber mehr Mäuler werden die Nahrungsquellen erschöpfen, und auch ihre Feinde werden zahlreicher (weil es mehr leckere Mahlzeiten für sie gibt!). Auf »Blütezeiten« von Populationen (oder Phasen mit raschem Wachstum) folgen fast immer Einbrüche mit hoher Sterblichkeit.13

Und noch ein weiteres Beispiel aus der realen Welt. In den letzten Jahren ist die chinesische Wirtschaft um 8 Prozent jährlich und mehr gewachsen, was bedeutet, daß sie sich ungefähr alle zehn Jahre verdoppelt. China verbraucht heute mehr als doppelt soviel Kohle wie vor zehn Jahren – bei Eisenerz und Erdöl ist es genauso. In China gibt es heute viermal so viele Autobahnen und fast fünfmal so viele Autos. Wie viele Verdoppelungen sind noch möglich, bis China seine Schlüsselressourcen erschöpft hat – oder beschließt, daß es genug ist, und nicht mehr wächst? Man kann die Frage schlecht mit einer bestimmten Zahl beantworten, aber wahrscheinlich wird es keine sehr große Zahl sein.

Diese Diskussion hat sehr reale Implikationen, weil Wirtschaft nicht nur ein abstraktes Konzept ist. Sie bestimmt darüber, ob wir in Luxus oder Armut leben, ob wir zu essen haben oder hungern. Wenn das Wirtschaftswachstum endet, werden alle betroffen sein, und die Gesellschaften werden Jahre brauchen, um sich an die neuen Bedingungen anzupassen. Deshalb ist es wichtig zu wissen, ob dieser Augenblick kurz bevorsteht oder noch weit in der Ferne liegt.