Der Preis der Freiheit

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Kapitel Drei

Susi war gesund und niedlich. Sie hatte die großen dunklen Augen ihres Vaters. Meine Familie verwöhnte sie und gab ihr viel Liebe. Wir hatten sehr nette Nachbarn, die in der Filmindustrie arbeiteten. Sie gaben mir wunderschöne Kindersachen von ihrer Tochter, die sie aus Amerika bekamen. Sogar den Kinderwagen, den es im Osten kaum gab. Im ersten Jahr blieb ich zu Hause und versorgte Susi. Mit dem Essen war es ein Problem und ich musste einen Kinderarzt aufsuchen, der mir aber mitteilte es wäre alles in Ordnung. Sie fing an, in ihrem Bettchen zu schaukeln und berührte dabei mit dem Kopf die Bettseiten. Ich musste ihr Bett von innen mit Kissen polstern, damit sie ihren Kopf nicht verletzte. Sie war ein nervöses Kind und ich führte es zurück auf die Aufregungen in der Schwangerschaft. Ich schrieb einen Brief an Reiner mit einem Foto von Susi. Er schickte mir ein kleines Päckchen mit Geschenken und bedankte sich für das Foto. Ich hörte weiter nichts mehr von ihm. Deshalb beantragte ich auf dem Jugendamt in Potsdam Unterhalt für Susi. Dabei musste ich den Namen des Vaters und seine Adresse angeben. Ich nahm brieflichen Kontakt zu ihm auf und wollte wissen, wie er sich die Unterhaltsfrage für Susi vorstelle. Er war bereit, mir jeden Monat ein Paket für sie zu schicken. Ich nahm das Angebot an, aber er meldete sich nicht und ich wartete vergebens auf die versprochenen Pakete. Nach einigen Monaten meldete sich das Jugendamt bei mir und teilte mir mit, dass ich einen formellen Antrag auf Unterhalt unterzeichnen müsste. Das tat ich und das Jugendamt sendete die Papiere nach München. Er schrieb an das Jugendamt einen Brief, in dem er ihnen mitteilte, dass er nicht der Vater sei. Das Jugendamt bat um eine Unterredung mit mir und gab mir den Brief von ihm zum Lesen. Ich wollte es nicht glauben. Meine Hände zitterten, als ich den Brief in der Hand hielt und ich war nicht in der Lage, zu sprechen. Ich fühlte mich gedemütigt und es war, als hätte er mir ins Gesicht geschlagen und benötigte einige Zeit um mich zu erholen. Das Jugendamt leitete mit meinem Einverständnis ein Bluttest ein, der über das Jugendamt in München abgewickelt und anschließend zum Gericht weitergeleitet wurde. Der Bluttest bewies seine Vaterschaft und der Richter verurteilte ihn, 1OO DM West im Monat als Unterhalt zu zahlen. Ich bekam für Susi im Umtausch 1OO Ost Mark. Nie wieder hörte ich etwas von ihm. Mit meinem Vater sprach ich über meine Zukunftsaussichten. Er war ein praktisch denkender Mann und er gab mir die Kraft und Führung, die ich brauchte. Ich entschloss mich, wieder zu arbeiten und begann nach etwas Passendem zu suchen. Meine Eltern sprachen mit Kunden, die im Bankgeschäft tätig waren und nach kurzer Zeit ergab sich die Möglichkeit, mich bei der Bank zu bewerben. Ich ging hin und wurde eingestellt. Meine Mutter sorgte für Susi bis ich abends von meiner Arbeit nach Hause kam. Bei der Bank wurde zu dieser Zeit alles ohne die Hilfe von Rechenmaschinen oder gar Computern erledigt. Meine Erfahrung im Schachspielen half mir, schnell mit allen neuen Aufgaben fertig zu werden. Ich war sorgfältig und schnell und lernte in relativ kurzer Zeit alle Aspekte des Bankwesens. Meine Zweigstellenleiterin war von meiner Arbeit beeindruckt und beschloss, mich zu einer speziellen Schule zu schicken. Sie fragte mich eines Tages, warum ich mich immer umsah, sobald ich einen Raum betrat oder meine Stellung änderte. Mir war nicht aufgefallen, dass ich das immer noch tat und ich erzählte ihr von dem Überfall, der die Ursache dieser Angewohnheit war. Sie bemitleidete mich und nahm Anteil an meiner Geschichte. In der Woche ging ich zwei Tage zur Schule und arbeitete die restlichen Tage auf der Bank. Ich hatte den Eindruck, dass ich mehr bei der Arbeit lernte als durch den Unterricht, der mehr darauf hinauslief, uns politisch zu schulen. Ich versuchte besonders die politischen Schulungen zu vermeiden und wenn ich gezwungen war teilzunehmen, äußerte ich oft meine Meinung, die vollkommen anders war. Das war nicht gern gesehen und meine Leiterin der Bank gab mir zu verstehen, dass es besser wäre, wenn ich mich mit meinen politischen Ansichten zurückhalten würde. Ich ertrug die politische Schulung, um ihr keine Schwierigkeiten zu verursachen und beendete die Schule nach zwei Jahren mit sehr guten Noten. Ich wurde danach mit der Leitung einer kleineren Zweigstelle der Bank beauftragt. Inzwischen hatten meine Eltern eine Bäckerei in Ruhlsdorf gekauft. Wir zogen um und ich war jetzt näher an meiner Arbeitsstätte und konnte mit dem Fahrrad zur Bank fahren. Susi war von ihrer neuen Umgebung sehr angetan und erschien glücklich und zufrieden. Sie liebte ihre Großeltern, die sich so sehr um sie kümmerten, während ich meiner Arbeit nachgehen musste. Ihr gefiel die Kleinstadtatmosphäre und die Bäckerei. Dadurch kam sie mit vielen Leuten zusammen. Manchmal fühlte ich mich schuldig, da ich nicht genug Zeit für mein Kind hatte, aber aus finanziellen Gründen war ich gezwungen, viele Stunden zu arbeiten. Susi besuchte inzwischen den Kindergarten in Ruhlsdorf, wo sie viele Freundschaften mit anderen Kindern schloss. Am Kindergarten war ein kleiner Dorfteich, an dem die Kinder oft unter Aufsicht spielten. Ich verbot ihr am Teich zu spielen, denn der See war unsauber und ich hatte Angst, dass sie irgendwelche Krankheiten nach Hause bringen würde. Sie hörte nicht auf mich und spielte am Wasser und wurde krank, ebenso drei andere Kinder. Sie infizierten sich und bekamen alle eine Gelbsucht. Sie mussten für 6 Wochen im Krankenhaus bleiben. Dort wurden sie unter Quarantäne gestellt und ich durfte sie nur durch eine Glasscheibe sehen. Als sie endlich entlassen wurde, war ich froh, sie wieder zu Hause zu haben. Ich hatte nicht viel Freizeit und traf so gut wie keine Verabredungen. Ausnahme war ein alter Schulfreund, der mich und Susi besuchte und uns oft zu kleinen Ausflügen mitnahm. Er mochte sie, aber unsere Freundschaft war rein platonisch. Es war Silvester und ich half meinen Eltern im Geschäft, weil eine Verkäuferin nicht zur Arbeit erschienen war. Um 22 Uhr gingen wir ins Bett und ein wenig später rief mein Bruder an und bat mich zu einer Silvesterparty zu kommen. Meine Mutter redete mir zu, dorthin zugehen. Ich zog mich an und fuhr mit dem Fahrrad los. Unterwegs fiel mir die Kette vom Fahrrad ab und ich versuchte in der Dunkelheit mein Fahrrad zu reparieren. Ich hatte Angst, denn ich erinnerte mich an meinen Überfall. Zurücklaufen wollte ich nicht in der Dunkelheit und so schaffte ich schließlich mein Fahrrad in Ordnung zu bringen. Mein Bruder wunderte sich, dass ich noch nicht erschienen war und telefonierte mit meiner Mutti, die ihm mitteilte, dass ich schon vor längerer Zeit das Haus verlassen hätte. Sie war natürlich voller Sorge und mein Bruder versprach ihr, nach mir zu schauen. Er fuhr mit dem Auto los und fand mich mit meinem Fahrrad. Ich war froh, ihn in meiner Nähe zu haben und folgte ihm zur Party. Vor der Tür bat er mich mit einem Lächeln zur Toilette zu gehen und ich schaute ihn unwissend an. Mein Spiegelbild war zum Lachen, denn ich sah aus wie ein Schornsteinfeger, verschmiert mit dem Öl von meiner Fahrradkette. Ich versuchte mich zu säubern, was ziemlich schwierig war. Endlich schaffte ich es vor Mitternacht und konnte mit meinem Bruder das Feuerwerk bewundern. Viele Menschen standen um uns und alle wünschten sich gegenseitig ein gutes neues Jahr. Neben uns stand ein junger Mann mit seiner Freundin. Ich hatte ihn schon oft in unserem Ort mit dem Motorrad gesehen. Er wünschte mir ein gutes neues Jahr und sprach mich dabei mit meinem Namen an. Ich wunderte mich, dass er ihn kannte. Ich wollte wissen woher er meinen Namen wusste. Er beantwortete meine Frage nicht und ging zur Party zurück. Später forderte er mich zum Tanz auf und dabei erzählte er mir, dass er mich aus der Bäckerei kannte. Er wusste, dass ich eine kleine Tochter habe und auf der Bank arbeitete. Sein Name war Rolf. Er hatte also meine Frage beantwortet. Ich erinnere mich, dass er kein guter Tänzer war. Er gefiel mir, aber ich wollte keine engere Beziehung mit einem Mann eingehen und als die Feier beendet war, fuhr ich mit meinem Bruder, dem ich mit dem Fahrrad folgte, nach Haus. Ich schlief nur 3 Stunden, weil ich am nächsten Tag meiner Arbeit nachgehen musste. Ich hatte mich bereit erklärt, bei der Inventur, die immer am Jahresende durchgeführt wurde, zu helfen. Susi wurde 5 Jahre alt und ich meldete sie in der Vorschule an. Sie war ein frühreifes Kind. Sie nahm aus der Kasse im Geschäft meiner Eltern Geld, nahm es mit in die Schule und spendete es für die Kinder in Nord Vietnam. Ich erklärte ihr, dass man kein Geld nehmen darf, dass einem nicht gehört. Dann nahm sie in der Schule ein Messer aus ihren Stiefeln und pellte sich ein Apfel. Die Lehrerin war entsetzt, und fragte sie, wo sie das Messer gefunden habe. Susi antwortete ihr, dass sie das Messer immer bei sich habe, denn sie wäre Emma Peel, das war eine Frau, die in einer TV Serie die Hauptrolle spielte. Diese Sendung wurde im Westkanal ausgestrahlt. Wir konnten diese Sendung sehen, weil wir nahe bei Berlin wohnten. Das Fernsehen von der westlichen Seite wurde im Osten verboten und die Lehrer fragten die Kinder in der Schule aus, was die Eltern sich im Fernsehen anschauten und meldeten es beim Schuldirektor. Susis Lehrerin war keine Anhängerin des DDR Regimes und sprach statt mit der Schulleitung mit meinen Eltern über das Problem. Wir wurden von ihr gewarnt und wir versuchten, Susi mit dem Ost-Programm des Fernsehens vertraut zu machen. Ich hatte mit meinem linken Knie Probleme und musste einen Arzt im Krankenhaus aufsuchen. Der Arzt teilte mir mit, dass er mein Knie mit einem Zinkverband in Ruhestellung bringen müsste. Er rief einen jungen Mann zu sich der im Nebenzimmer arbeitete. Ich schaute mich um und Rolf kam ins Behandlungszimmer. Ich war sehr erstaunt ihn dort zu sehen. Der Arzt bat ihn zu helfen und sie legten mir einen Zinkverband an. Rolf wartete, bis wir im Zimmer allein waren und erzählte mir, dass er Zahnarzt werden wollte und ein Jahr lang im Krankenhaus hospitieren müsse. Ich sah ihn oft bei meinen Arztbesuchen. Oft waren wir allein im Sprechzimmer und dabei erzählte er mir viel über sein Leben. Seine Eltern waren keine Anhänger des DDR Regimes. Die Mutter von Rolf hatte niemals in der DDR eine Arbeit aufgenommen und der Vater war Rentner. Er arbeitete vor dem Mauerbau in Westberlin und wurde durch den Bau der Mauer arbeitslos. Beide Kinder, Rolf und sein kleiner Bruder Peter, wurden gegen die damalige DDR-Ideologie erzogen. Bei einer FDJ-Versammlung, das war eine politische Jugendorganisation im Osten, äußerte sich Rolf negativ über den damaligen Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht. Er sagte, man müsste ihn aufhängen, weil er ein Diktator sei. Nach dieser Äußerung wurde er drei Stunden später vom Staatssicherheitsdienst verhaftet. Sie durchsuchten das Elternhaus und nahmen Adressbücher, Telefonbücher und private Unterlagen von Rolf mit, um festzustellen, ob er irgendwelche Verbindungen nach Westberlin hatte. Man verurteilte ihn zu 1 Jahr Gefängnis. In dieser Zeit wurden sehr viele junge Leute verhaftet, die negative Äußerungen über den Staat machten. Die Gefängnisse waren überfüllt und ein Jahr später wurde von Walter Ulbricht eine Amnestie erlassen, durch die die jungen Leute aus den Gefängnissen entlassen wurden und die Möglichkeit hatten durch ein Studium sich weiter zu bilden. Rolf entschloss sich für das Zahnarztstudium. Ich war erstaunt, dass er mir all diese Erlebnisse aus seinem Leben erzählte, wahrscheinlich hatte er großes Vertrauen zu mir. Rolf wollte eine Verabredung mit mir, die ich ablehnte mit der Begründung, dass ich keine Zeit hätte. Ich gab ihm meine Telefonnummer und sagte ihm, er könnte mich anrufen. Eines Abends, als ich von meiner Arbeit nach Haus kam, sagte mir meine Mutter, dass ein gutaussehender junger Mann im Geschäft meiner Eltern nach mir gefragt hätte. Sie vergaß, ihn nach seinem Namen zu fragen. Das wiederholte sich 14 Tage später und er nannte meiner Mutter seinen Namen. Sie teilte ihm mit, dass ich am Sonntag zu erreichen wäre. Er kam und beschäftigte sich viel mit Susi. Wir sprachen viele Stunden miteinander und ich hatte das Gefühl, dass meine Tochter ihn mochte. Auf Grund unserer Arbeitstage konnten wir uns nur an den Sonntagen treffen. Rolf bat mich um einen Besuch bei seinen Eltern. Ich wurde der Familie vorgestellt und lernte Rolfs kleinen Bruder Peter und den riesigen Hund, er hieß Nanok und war ein Neufundländer, kennen. Rolfs Mutter servierte Kaffee und Kuchen. Sie war eine aufgeschlossene freundliche Frau. Der Vater war sehr zurückhaltend und zeigte kein großes Interesse an meinem Besuch. Das Haus und ebenso der Garten waren sehr gepflegt, das Haus wirkte warm auf mich und im Garten gefielen mir die vielen Tannenbäume und Heckenrosen. Nanok hatte ich sofort in mein Herz geschlossen und er spürte es, denn er blieb immer an meiner Seite. Ich schlief mit Rolf das erste Mal und anschließend fühlte ich mich irgendwie schuldig meinem Kind gegenüber. Rolf war sehr zärtlich und ich drängte meine Schuldgefühle zurück. Es war nach allen negativen Erlebnissen in meinem Leben für mich ein Gefühl der Liebe. Einige Monate später begann Rolf sein Studium als Zahnarzt an der Humboldt Universität zu Berlin. Jeden Tag fuhr er mit dem Sputnik, das war ein Zug, der von den Randgebieten Berlins die Menschen nach Ostberlin brachte. Er war jeden Tag 4 Stunden unterwegs und ich beschloss, mir Arbeit auf einer Bank in Berlin zu suchen, um mit ihm die wenige Zeit, die wir hatten, zusammen zu verbringen. Wir beschlossen, uns eine Wohnung in der Nähe der Universität zu nehmen. Es war ein altes Mietshaus und die Wohnung lag im Hinterhof, wo kaum ein Sonnenstrahl zu sehen war und sie war dunkel und unfreundlich. Wir strichen die Wände weiß und mit unseren wenigen Möbel, die wir besaßen, gestalteten wir sie in eine sehr gemütliche Wohnung um. Susi blieb bei meinen Eltern und manchmal an den Wochenenden nahmen wir sie mit nach Berlin. Sie fühlte sich nicht wohl in der Wohnung und auch nicht in Berlin. Sie liebte das Dorfleben und vermisste die Nähe meiner Eltern. Mein Bruder benutzte ebenso den Sputnik und suchte sich in unserer Nähe eine Wohnung. Er war Ingenieur und Rosi seine Partnerin absolvierte an der Humboldt Universität ein Medizin Studium. Sie war kommunistisch erzogen und so hatte ich des Öfteren mit ihr politische Auseinandersetzungen. Aber ich liebte meinen Bruder und so nahm ich Rücksicht auf ihre politische Einstellung. In vielen Familien gab es verschiedene politische Anschauungen und dadurch trennten sich Geschwister, oder sogar Eltern von ihren Kindern. Im Sommer gingen wir oft in das Schwimmbad nach Pankow, um uns ein wenig zu erholen. An einem dieser Tage beobachteten mich drei Leute und ich fühlte mich dadurch nahezu belästigt. Grund dieser Beobachtung war, ein Produktionsleiter und zwei Mitarbeiter vom Studio für Spielfilme suchten ein junges Mädchen, das eine Schauspielerin ersetzen sollte, die vertragsbrüchig für eine Fernsehserie als Sportlehrerin geworden war. Ich sah ihr ähnlich und sie baten mich ins Filmstudio nach Babelsberg zu kommen, um einen Kameratest zu machen. Der Test fiel gut aus und sie hatten vor, mich unter Vertrag zu nehmen. Ich wollte aber vorher mit meinen Eltern sprechen, um ihren Rat zuhören. Meine Mutter war begeistert, aber mein Vater wollte nicht, dass ich ins Filmgeschäft gehe. Nach vielen Gesprächen, die wir führten, ergab sich, dass ich viel Geld für uns verdienen könnte. Wir beschlossen, den Filmvertrag anzunehmen. Rolf bekam nicht viel Stipendium und wurde noch zusätzlich durch seine Großmutter, die in Westdeutschland lebte finanziell unterstützt. Rolf wollte mich heiraten, aber ich hatte das Gefühl, dass er durch das niedrige Stipendium was er bekam, die Verantwortung nicht tragen könne, Susi und mich aufzunehmen. Ich kündigte meine Arbeit bei der Bank und unterschrieb den Filmvertrag. Meine ersten Filmtage machten mich sehr nervös und ich fühlte mich nicht sehr wohl. Mein Gesicht lief rot an, wie eine Tomate, und die Maskenbildner hatten Schwierigkeiten, mein Gesicht blass zu schminken. Dem Produktionsleiter teilte ich mit, dass ich nicht gut genug für diese Filme bin und wollte am liebsten alles hinschmeißen. Er machte mir Mut und so blieb ich dabei und verdiente gutes Geld. Manchmal nahm ich Susi mit und sie setzten sie in kleinen Nebenrollen ein. Ich war fast ein Jahr beim Film beschäftigt und fühlte immer wieder, dass dies nicht der richtige Job für mich war. In dieser Zeit heiratete ich Rolf. Ein Freund der Familie, der Pastor in der alten Dorfkirche in Stahnsdorf war, traute uns. Wir konnten einen Wunsch für unsere Trauung äußern und baten ihn um das Lieblingslied meiner Mutter " Ich bete an die Macht der Liebe". Es waren alle Plätze in der Kirche besetzt. Seine Rede war sehr auf unser Leben abgestimmt. Dann setzte plötzlich ein Chor ein, der das Lieblingslied meiner Mutter sang. Ich hatte auf einmal ein Kitzeln im Hals, das nicht aufhörte und ich musste ständig husten. Alle Freunde und Verwandten in der Kirche waren still und andächtig. Susi streute mit einem kleinen Nachbarjungen Rosen als wir aus der Kirche kamen. Mein Husten hörte auf und ich hatte das Gefühl, als ob mir jemand etwas für mein späteres Leben sagen wollte. Nach unserer Trauung gingen wir mit unseren Familien zum Essen und anschließend flogen wir für einige Tage nach Prag, was wundervolle Tage waren.

 

Kapitel Vier

Rolf studierte noch an der Universität als mein Filmvertrag ablief. So machte mir mein Produktionsleiter Dieter K. ein Angebot bei der Filmarbeit zu bleiben. Mir gefiel die Atmosphäre beim Film sehr und auch die Menschen. Sie waren aufgeschlossener und freier mit ihren politischen Anschauungen. Die Arbeit auf der Bank machte mich nicht froh, es war eintönig und steril. Ich wollte mehr vom Filmgeschäft lernen und da ich eine Ausbildung auf der Bank hatte, wollte ich eigentlich in die Filmgeschäftsführung. Leider war kein Arbeitsplatz frei und ich wurde als Garderobiere eingestellt. Es war ein ganz neues Arbeitsgebiet, aber es machte mir Freude. Im Studio bereitete man eine Sprachserie für das Fernsehen vor. Die Filme sollten in Russland im Zeitraum von drei Jahren gedreht werden. Dieter K. machte mir ein Angebot, als Garderobiere für diese Zeit mitzuarbeiten. Ich nahm das Angebot an und unterschrieb einen Vertrag. Für jede Sendung flogen wir nach Russland. Wir waren meistens sechs Wochen unterwegs und vier Wochen zu Hause, wo wir die nächsten Sendungen vorbereiteten, ehe wir eine neue Reise starteten. Wir reisten durch ganz Russland. Mehrere Reisen nach Moskau und Leningrad. Von Estland mit dem Schiff nach Leningrad. In die Ukraine, nach Bratsk in Sibirien ebenso Irkutsk am Baikalsee. Am meisten hat uns die Fahrt mit der Transsibirischen Eisenbahn beeindruckt. Wir sahen das Japanische Meer und Nachodka, wo die Schiffe von Peter dem Großen lagen. Immer hatten wir den russischen Sicherheitsdienst mit uns. Sie passten auf, damit wir keine Fotos machten, die zu der damaligen Zeit nicht erlaubt waren. Zum Beispiel die Grenze nach China, oder der Kriegshafen in Wladiwostok. Unsere Aufpasser hatten Pistolen unter ihren Jacken und hielten ihre Augen auf, dass wir keinen Kontakt zu den Russen anknüpften. Ich habe vor, über meine Erlebnisse in Russland ein Buch zu schreiben. Meine Erinnerungen über die Menschen dort waren sehr gut. Sie hatten wenig Rubel zum Leben, aber sie teilten ihr weniges Essen mit uns. Eine sehr schöne Geschichte erlebten wir in Bratsk. Die alte Stadt Bratsk hatte man beim Bau des Staudammes überspült und ein neues Bratsk entstehen lassen. Die versunkene alte Stadt konnte man noch sehen und ich empfand es als sehr geheimnisvoll. Der Fernsehfunk von Bratsk meldete uns als Filmgruppe aus der DDR an, dass die Menschen, die dort lebten, informiert wurden. Die Mitarbeiter vom Fernsehfunk luden uns zu einer kleinen Begrüßungsparty in eine kleine Hütte ein. Ich sprach mit meinen Kollegen und jeder von uns nahm eine Kleinigkeit mit. Ich nahm Besteck sowie Servietten und drei Wurstbüchsen mit. Eigentlich hatte ich vor, mein kleines Tonbandgerät mitzunehmen, aber es war zu schwer zum Tragen. So ließ ich es im Hotel. Wir zogen uns gute Kleidung an darüber dicke Jacken und Pelzmützen. In dieser Zeit waren dort 4O Grad Kälte und starkes Schneetreiben. Unsere Maskenbildnerin war eine Party- Nudel. Sie setzte sich eine Perücke auf und zog Stöckelschuhe an. Sie hörte nicht auf meinen Rat, warme Sachen anzuziehen. Die russischen Fernsehleute holten uns mit einem alten Bus ab, der uns furchtbar durchrüttelte und wie eine alte, zusammengesetzte Kiste aussah. Der Bus hielt an einer Waldlichtung in der Taiga. Der russische Fernseh- Direktor stieg mit seinen Mitarbeitern aus und alle hängten sich Gewehre über ihre Schultern. Sie baten uns, ihnen zu folgen. Der schmale Pfad, den wir gingen, nahm kein Ende. Schneesturm sowie Kälte und das Brüllen der Bären begleiteten uns. Ich schaute mich nach unserer Maskenbildnerin um, die schon halb erfroren war. Ich gab ihr meinen Schal und eine Jacke, die ich unter meinem Mantel trug. Meine Brille beschlug von meinem Atem und der Kälte und ich putzte sie um die Hütte zu sehen. Ich sah weit und breit nichts, nur das Bärengebrüll, war zu hören. Mir war auf einmal klar, warum sie Gewehre mitgenommen hatten, wir waren im Land der Bären und Wölfe. Plötzlich blieben alle stehen und ich sah vor mir ein Drahtgeflecht, das mit Laub bedeckt war. In der Mitte stand ein Holzklotz, wo sie die Prawda ausbreiteten, um Brot darauf zu schneiden. Die Prawda ist eine Zeitung, die in Russland gelesen wurde. Wodka und Brot wurden an uns verteilt und drei Leute konnten unter dem Drahtgeflecht sitzen. Alle anderen blieben stehen und tranken ein großes Glas Wodka. Ich musste lachen über die Gegenstände, wie zum Beispiel das Tonbandgerät, das ich mitnehmen wollte. Alle schmunzelten, denn jeder von uns hatte etwas in der Tasche, was man in dieser so genannten Hütte nicht verwenden konnte. Der Wodka machte uns warm und wir hatten Bären und Wölfe bald vergessen. Der Rückmarsch verlief leichter, durch den vielen Wodka, den wir tranken. Anschließend fuhren sie mit uns in ihr Studio, wo wir uns aufwärmen sollten. Das Studio bestand aus einem kleinen Raum, in dem ein Tisch stand, ein Stuhl, ein alter Ofen und ihre Fernsehkamera. Wir konnten uns nicht aufwärmen, da der Ofen nur schwach geheizt war. Und in diesem Moment dachten wir an unser Studio in Babelsberg, was hatten wir dort für einen Luxus, im Gegensatz zu hier. Ich hatte aber das Gefühl, dass sie mit dem was sie besaßen glücklich und zufrieden waren.

Unsere Arbeitsgruppe veränderte sich durch Austausch oder Krankheit von Mitarbeitern. So mussten wir uns gegenseitig in verschiedenen Arbeitsbereichen helfen. Ich ging mit meinen Kollegen auf Motivsuche. Wir suchten ein selbst gebautes sibirisches Holzhaus, was wir auch fanden. Das Haus war mit wunderschönen Holzschnittarbeiten verziert. Eine Klingel gab es nicht und so klopften wir an die Tür. Es dauerte lange bis die Tür geöffnet wurde. Eine alte Frau erschien und schaute uns misstrauisch an. Ich schätzte sie 9O Jahre alt, aber später im Gespräch sagte sie ihr Alter von 1O8. Babuschka, so nannte man die Großmutter in Russland, hatte keine Zähne im Mund und ihr Mantel, den sie anhatte, war schon viele Male geflickt. Wir erklärten ihr, dass wir ihre Hausfront filmen wollten und machten einen Termin mit ihr aus. Sie bat uns herein zu kommen. Im Haus standen ein Tisch, eine Bank und ein riesiger Kachelofen, an dem eine Strickleiter befestigt war. Sie brachte eine Flasche selbst gebrannten Schnaps ebenso Knoblauch, Speck und ein selbst gebackenes Brot, legte alles es auf ein Holzbrett und lud uns zum Essen ein. Ich fand das alles sehr lustig, aber als wir aus der Flasche trinken sollten, verging meine Fröhlichkeit, denn der Alkohol war so stark, dass wir alle husten mussten. Der Speck und der Knobloch dazu rebellierten in unseren Därmen. Meine Kollegen fühlten sich schlecht und fragten nach einer Toilette. Sie zeigte zum Fenster an der Rückseite des Hauses. Sie schauten aus dem Fenster und sahen nur einen Balken, wo sich an der Seite ein kleines Gitter zum Festhalten befand. Sie nannte es Donnerbalken, und meinen Kollegen verging es, ihn zu benutzen.

 

Wir versuchten ihr zu erklären, dass wir dringend zum Hotel müssten, wollten aber ihre Gastfreundlichkeit nicht verletzen und tranken nochmals einen Schluck aus der Flasche, was für sie ihre übliche Medizin war. Sie erzählte uns, dass ihre zwei Jungs auf Jagd gegangen sind, damit sie den sibirischen Winter überlebten. Meine Kollegen verabschiedeten sich so schnell, denn sie konnten ihre menschlichen Bedürfnisse nicht mehr aufhalten und ich brachte sie so schnell ich konnte zum Hotel. Babuschka, so nannten wir sie, haben wir alle nie vergessen.

Einige Tage später fand ich einen Markt, wo die Leute Esswaren und Textilien verkauften. Es waren Sachen, die sie aus Paketen aus der DDR oder aus dem Westen bekamen. Einige dieser Leute sprachen mich in deutscher Sprache an und erzählten mir, dass sie Wolgadeutsche seien. Ich fand einen älteren Mann, der saure Gurken aus einem Fass verkaufte. Er wickelte mir 6 Gurken in eine Prawda Zeitung ein und wollte dafür 5 Rubel haben. Das war sehr viel Geld, denn ein Arbeiter verdiente damals 8O Rubel im Monat. Ich gab sie ihm, denn wir waren schon 8 Wochen unterwegs und ich hatte Appetit, etwas Deutsches zu essen. Im Hotel angekommen, erzählte ich es meinen Kollegen und alle liefen zum Markt, um sich die Gurken zu kaufen. Ich glaube der Gurkenmann hatte noch nie so ein großes Geschäft gemacht, wie an diesen Tag. Leider hatten wir nicht an die kalten Temperaturen gedacht und die Gurken waren alle erfroren und schmeckten wie Eis.

Wir waren alle müde von den Dreharbeiten und unser Produktionsleiter setzte für uns drei freie Tage an, dass wir uns erholen konnten. Ich ging oft allein aus dem Hotel, um die Gegend und Menschen kennen zu lernen. Es wurde nicht gern gesehen, denn wir sollten immer einen russischen Sicherheitsbeamten mitnehmen. An einem meiner Ausflüge setzte ein starker Schneesturm ein und ich war außerhalb von Bratsk. Ich dachte, es wäre besser zurück zum Hotel zu gehen. Leider konnte ich nicht zurück, denn man hatte die Stadt durch Holzzäune geschlossen. Man schützte sich so vor Bären und Wölfen, die in die Stadt eindrangen, um Nahrung zu suchen. Ich suchte vergebens nach einer Möglichkeit durch den Zaun zu gelangen und rief in meiner Angst, aber leider hörte mich niemand. Ein alter Mann, der von der Jagd kam, war meine Rettung. Er nahm mich zu einem der vielen Holzverkleidungen mit und öffnete sie mit seinem Gewehr. Dadurch konnte ich durchschlüpfen. Von meinen Kollegen wurde ich schon gesucht und bekam eine Verwarnung vom russischen Sicherheitsbeamten. Was ich noch sehr lustig fand, war das Einfliegen von Wodka. Ein alter Pilot aus der Kriegszeit flog ein kleines Flugzeug, das er nur benutzte, wenn Schneeverwehungen und große Kälte Bratsk heimsuchten und kein LKW Nachschub von Lebensmitteln und Wodka bringen konnte. Dann flog er nach Irkutsk und brachte Kisten mit Wodka mit, aber ich sah niemals Lebensmittel.

Der südliche Teil in der Sowjetunion war schon sehr kultiviert. Das brachte der Tourismus mit sich. Das Schwarze Meer wurde von den Touristen überschwemmt und die Menschen, die dort lebten hatten mehr Geld und auch das Essen war nie knapp. Wir mieteten für unsere Mitarbeiter einen offenen Bus, der uns in den Kaukasus bringen sollte. Der Fahrer des Busses begrüßte uns und fuhr los. Nach 5 Minuten holte er aus seiner Tasche eine Flasche Wodka und trank. Er drehte sich immer zu uns um und erzählte dabei Geschichten über den Kaukasus. Die Landschaft war beeindruckend und ein Traum. Es war eine kurvenreiche Strecke und er schaute nicht auf die Straße, sondern immer mit dem Kopf nach hinten zu uns gewendet und sprach mit uns. An meinen Kollegen sah ich, dass sie alle verkrampft und ängstlich umherblickten, weil er nicht beim Fahren auf die Straße schaute. Unsere Gesichter verzogen sich ständig und er wollte wissen ob wir krank sind. Ich versuchte ihm klar zu machen, dass wir eine Toilette brauchen. Wir waren, glaube ich, 6OOO Meter hoch und er hielt an einem Steinhaus ohne Tür. Wir gingen eilig hinein, um unsere menschlichen Bedürfnisse zu verrichten.

In dem Steinhaus waren auf dem Boden in Abständen 8 runde Löcher und zwei Männer standen jeweils über ein Loch und lasen dabei die Prawda. Es war eine Zieltoilette. Wir wussten nicht, ob wir weinen oder lachen sollten. Wir machten dem Busfahrer klar, dass wir lieber zur Mutter Natur gehen wollten. Zurück war es eine Teufelsfahrt, denn der Fahrer trank weiter Wodka, wobei wir dann alle mit tranken, dass wir unsere Angst vergaßen. Er sprach mit den Händen und Füßen und ließ mitunter das Lenkrad los und sang stolz auf Deutsch das Lied " Trink, trink Brüderlein trink, lass deine Sorgen zu Haus" wir kamen im Hotel an und ich hatte niemals gesehen, dass meine Kollegen so schnell ihre Zimmer aufsuchten. Nach der vielen Arbeit, die mit vielen Entbehrungen und Abenteuern verbunden waren, waren wir froh, nach den 8 Wochen unseren Rückflug nach Haus zu genießen. Ich freute mich auf Susi und Rolf und verbrachte das Wochenende mit ihnen im Haus seiner Eltern, die in meiner Abwesenheit ihre Ausreise aus der DDR beantragt hatten. Zu dieser Zeit war es für Rentner erlaubt in den Westen überzusiedeln. Der Vater von Rolf überschrieb das Haus in Kleinmachnow auf Rolf und so warteten wir, bis die Eltern die Ausreise bekamen und zogen nach Kleinmachnow. Wir übernahmen Peter, den kleinen Bruder von Rolf und mit Susi gründeten wir eine Familie. Rolf ließ den Nachnamen Brauer von Susi auf Witte umschreiben, dass sie in der Schule keine Fragen der Kinder ausgesetzt war. Sie besuchte die Schule in Kleinmachnow und ich glaube, sie war dort sehr gern.

Sie haben die kostenlose Leseprobe beendet. Möchten Sie mehr lesen?

Weitere Bücher von diesem Autor