Zwei Wüstenratten aus Berlin von Renate Witte |
Zwei Wüstenratten aus Berlin
Das ist die Geschichte von zwei Großstadt Menschen aus Berlin, die, ohne es wirklich geplant zu haben, in der kalifornischen Wüste landeten und mit einem völlig neuen Lebensraum fertig werden mussten. Dieser Lebensraum enthielt vor allem Tiere, über die wir bestenfalls in Büchern gelesen hatten. Und so fingen unsere Erlebnisse an. Wir lebten in Berlin, wobei gesagt werden muss, dass ich aus Klein Machnow kam, einem kleinen Ort vor Berlin. Ich kam nicht mit der S-Bahn, oder mit dem Bus, sondern im Kofferraum eines Autos. Ich war wegen meiner politischen Einstellung aus der damaligen DDR geflohen, um der Verhaftung zu entgehen. Mein Lebensgefährte Wulf und späterer Ehemann kam aus West-Berlin. An den Wochenenden gingen wir oft auf dem Kurfürsten Damm, der damaligen Hauptstraße, spazieren. Auf einem dieser Spaziergänge sahen wir eine Frau, die einen süßen Weißen Hund mit spitzen Ohren an der Leine führte. Der Hund hatte es mir angetan und ich wollte unbedingt so ein Tierchen haben. Wir kannten die Hunderasse nicht, aber wir bemühten uns, Informationen über diese zu finden. Eines Tages kam Wulf mit einem Hundebuch, das er in einem Buchgeschäft kaufte. Der Hund war im Buch abgebildet, es war ein Westhighland White Terrier. Nun war ich zufrieden und wir gingen auf Hundesuche. In dieser Zeit gab es in Berlin kaum diese Hunderasse. Wulf las jeden Tag die Tierannoncen in der Zeitung und fand ein Tiergeschäft, das kleine Hunde verkaufte. Er hatte Glück und fand im Schaufenster einen jungen West Highland Terrier und brachte ihn mir als Geschenk. Ich war erschrocken, weil er wie eine kleine weiße Ratte aussah und vollkommen zerzaust war. Ich freute mich aber doch und schloss ihn in mein Herz ein. Ich war sehr gerührt, dass Wulf meinen Wunsch nicht vergessen hatte. Wir gaben ihm den Namen Westi. Wochen später wurde der Kleine krank und wir mussten einen Tierarzt aufsuchen, der feststellte, dass er an Katzenseuche erkrankt war. Wahrscheinlich wurde er im Zoo Geschäft nicht dagegen geimpft. Der Tierarzt versuchte durch Behandlungen das Tierchen zu retten, aber es gelang ihm nicht. Er gab uns den Rat, den Hund mit nach Hause zu nehmen und zu versuchen, ihm frisches Schabefleisch zu füttern. Er hatte ihn praktisch aufgegeben, aber wir noch nicht. Jeden Tag lag ich mit Westi auf der Erde und versuchte, ihm Fleischkrümel zu füttern. Er wurde immer schwächer und wir wickelten ihn in ein Kopfkissen und nahmen ihn mit ins Bett. Mehrere Tage ohne Erfolg. Ich hatte ihn fast aufgegeben, da nahm er eines Nachts ein kleines Stück Fleisch. Wir waren so glücklich, und es ging ihm jeden Tag besser. Er erholte sich nun schnell und wir hatten viele schöne Erlebnisse mit ihm. Vor allen Dingen freundete er sich mit einer Katze an, die einer Familie im Haus gehörte und ihre meiste Zeit auf dem Rasen im Hof verbrachte. Das nächste Problem war, wir mussten ein Kackplätzchen finden mit etwas Rasen und Bäumen. Das war in Berlin im Winter natürlich schwierig. Schliesslich akzeptierte Westi einen Platz am Bahndamm der Wilmersdorfer Straße, ungefähr 15 Minuten von unserer Wohnung entfernt.
Die neue Heimat
Ich war aus Ostdeutschland geflohen und fühlte mich in Berlin nicht sicher. Immer wieder merkte ich, dass die Stasi, die ostdeutsche Geheimpolizei, mich noch über- wachte. Sie wollten wahrscheinlich herausfinden, auf welchem Wege ich geflohen war. Aus diesem Grund wollte ich Berlin verlassen. Ich arbeitete beim Film als Aufnahmeleiter. Nach Beendigung des Filmes hatte ich mich entschlossen, mit Wulf eine Reise nach Amerika zu machen. Wir spielten mit dem Gedanken auszuwandern. Wir flogen nach Kalifornien, wo Wulf einen Bekannten hatte, der in Palmdale, im Antilope Valley nördlich von Los Angeles lebte. Dort sahen wir ein Restaurant, das zum Verkauf angeboten wurde. Kurzentschlossen kauften wir es und gaben ihm den Namen “Edelweiss“. Wir flogen zurück nach Berlin, um unsre Auswanderung vorzubereiten. Im Oktober verließen wir unsere Heimat. Meine Tochter Daniela kam mit uns, um bei der Eröffnung des Restaurants zu helfen. Wir mussten viel daran arbeiten, da es lange nicht bewirtschaftet wurde. Außerdem mussten wir es im deutschen Stil umgestalten. Dabei kam ich unbewusst mit einer schwarzen Spinne in Berührung, die in der Verschalung einer Lampe saß. Einheimische Mitarbeiter, die mir bei der Arbeit im Restaurant halfen, erklärten mir, dass es eine sogenannte „Schwarze Witwe“ war. Ich erfuhr, dass ihr Biss sehr gefährlich ist und Krankheiten auslösen kann. Ich war natürlich sehr erschrocken, und war bei der weiteren Arbeit sehr aufmerksam. Wulf musste zurück nach Berlin, um sein Geschäft zu verkaufen, was aber ein Jahr lang dauerte. So fing ich mit meiner Tochter allein an, das Restaurant zu leiten und wir hatten mit der deutschen Küche großen Erfolg. Als erstes suchten wir uns eine Wohnung, die wir nur zum Schlafen benutzten, denn unser Leben spielte sich im Restaurant ab, wo wir viele Stunden mit Arbeit verbrachten. Eines Morgens saß ein Schäferhund vor der Tür des Restaurants. Er sah lausig aus und war halb verhungert. Wahrscheinlich hatte ihn jemand in der Wüste ausgesetzt. Wie wir erfuhren, wurde das mit unerwünschten Tieren oft gemacht. Wir nahmen ihn auf und nannten ihn Doggi. Er war bei unseren Kunden im Restaurant sehr beliebt und sie nannten ihn“ Mr. Schmidt“. Am Tage hielt er sich mit Westi im Biergarten auf. Das Problem war in der Nacht, wenn ich nach Hause fuhr, denn ich musste ihn in die Wohnung schmuggeln. Die Wohnungsgesellschaft erlaubte nur kleine Hunde mit einzuwohnen Das schmuggeln ging so vor sich, wenn ich nachts nach Hause kam, ließ ich auf meinem Parkplatz, der zur Wohnung gehörte, die Tür des Autos auf und ging zu meiner Wohnung. Dort angekommen, rief ich ihn und er kam wie ein Blitz angesaust. Das ging meistens gut, weil der Manager des nachts schlief. Bei einer dieser Schmuggelaffären hielten mich vor dem Häuserblock 3 Afrikaner an, die bewaffnet waren und meine Tasche haben wollten. Vor Angst rief ich: „Mr. Schmidt“! Er kam mit Pauken und Trompeten und sprang zwischen die drei Attentäter, Zähne zeigend, fertig zum Angriff. Die Überraschung war perfekt, und wie vom Blitz getroffen verschwanden die nun verhinderten Räuber. Ich war fix und fertig und kam mit zitternden Beinen kaum bis zu meiner Wohnung. Mr. Schmidt durfte in meinem Bett schlafen und bekam eine grosse Knackwurst als Belohnung. Er hatte mich warscheinlich vor größerem Schaden bewahrt. Die Wohnungsverwaltung erlaubte mir danach, Doggi in der Wohnung zu halten. Wulf konnte nun endlich sein Geschäft verkaufen und brachte uns bei seiner Rückkehr ein kleines Westi Mädchen mit. Wir gaben ihr den Namen Anuschka. Westi war nicht so interresiert an ihr, aber Mr. Schmidt und Anuschka wurden ein Pärchen. Zum Glück waren beide gefixt.
Das neue Haus
Wir überlegten, ob wir ein Haus mieten sollten, da wir mit unseren vielen Hunden nur schwer eine Wohnung finden konnten. Wir fanden ein älteres Haus in Acton, tausend Meter hoch, in den Bergen. Eine halbe Meile entfernt, befand sich noch eine alte Goldmine. Es war ein verschlafener Ort ohne Supermarkt, vielen Farmen mit Pferden und für uns meistens, unbekannten Tieren. Eine grosse Tierfarm von Tippi Hedren, bekannt aus dem Film „Die Vögel“ und anderen Filmen, hatte sich dort angesiedelt. Sie hatte die Ranch gegründet, um exotischen Tieren, die beim Film nicht mehr gebraucht wurden, eine permanente Heimat zu geben. Sie nahm natürlich auch andere ungewollte Tiere auf. Die Ranch war kein Zoo, konnte aber nach telefonischer Absprache besucht werden. Wegen der idyllischen Lage von Acton, und der relativen Abgeschiedenheit, wohnten dort viele Leute die beim Film arbeiteten, sowie bekannte Schauspieler. Während des Goldrausches lebten dort fast fünfhunderttausend Menschen in Holzhütten und Zelten. Der damalige Gouverneur, der seine eigenen Interessen im Sinne hatte, wollte Acton zur Hauptstadt Kaliforniens erklären, was aber das Parlament zum Glück verhinderte.
Die Häuser unserer Nachbarn lagen ungefähr eine halbe Meile voneinander entfernt und waren meistens nicht eingezäunt. Wir zogen in ein Haus ein, das eine Weile unbewohnt gewesen war und wir mussten es gründlich reinigen. Dabei sahen wir eine große braune Spinne an der Wand, die wir mit unserer Arbeit gestört hatten. Daniela zog ihren Schuh aus und tötete sie. Von Wulf erfuhren wir den Namen, es war eine braune “Recluse Spider“, die sehr gefährlich ist und Krankheit oder auch Tod, speziell bei Kindern, auslösen kann. Die nächste Begegnung nach dem Einzug im Haus war eine Schlange, die am Haus auf der Terrasse lag und sich sonnte. Es war ein großes Tier, ungefähr zwei Meter lang. Vor Schreck schloss ich die Tür und ging auf Beobachtungsposten. Sie rührte sich nicht, und ich hoffte, dass sie verschwinden würde, aber sie tat mir den Gefallen nicht, denn der Beton spendete ihr die Wärme, die sie brauchte. Es dauerte zwei Stunden, bis sie verschwand. Es war zum Glück eine Gopher Schlange, die ich aus Bildern her kannte. Ich wusste, dass man als erstes auf den Kopf schaut, der spitz ist und nicht kurz und breit wie bei der Klapperschlange. Der nächste Blick ist, ob sich eine Klapper am Schwanzende zeigt. Als kleines zusätzliches Vergnügen fanden wir Eidechsen in den Schubfächern der Schränke, die wir nur vertreiben, aber nicht fangen konnten. Dafür waren sie zu schnell. Mit viel Mühe nach und nach gelang es uns, sie in die Freiheit zu setzen. Eines morgens tanzten drei Mäuse auf dem Kaminsims Tango. Der Kamin war sehr alt und war aus Naturstein zusammen gesetzt Wir mussten die Löcher im Kamin finden, durch die sie ins Haus kamen. Das hatte uns nicht so sehr gestört, wie die Angelegenheit mit der braunen Spinne. Viele Hunde lebten in der Gegend allein, weil die Hausbesitzer erst am Wochenende aus LA erschienen. Unser Vermieter, der neben uns wohnte und auch meistens nur an den Wochenenden von seinem Haus in Los Angeles kam, schenkte uns gleich seinen Hund. Er war eine schwarze Mischung aus Airdaile und Pudel, der aussah wie der Höllenhund, aber furchtbar lieb war. Wir nannten ihn Waldi und adoptierten ihn. Alle Hunde aus der Umgebung trafen sich später bei uns, um verpflegt zu werden. Die Hundesprache hat wohl bei allen wunderbar funktioniert. Wir wussten nicht, was noch alles für Überraschungen auf uns zukommen würden. In der Nacht hörten wir Kojoten in der Nähe des Hauses und ich war besorgt, ob alle Tiere in guter Obhut waren. Es passierte nichts, und ich konnte beruhigt schlafen. Durch die Hunde fühlten wir uns auch geschützt, denn sie machten Radau, wenn andere Tiere in die Nähe des Hauses kamen. Meistens waren es Wildkatzen, die sie alle mit Vorliebe jagten. Die retteten sich dann auf einen der Bäume, und alle Hunde sprangen um den Baum herum, um sie zu erwischen. Um den Lärm zu beenden, nahm ich die Hunde mit ins Haus, bis die Wildkatze sich vom Schreck erholt hatte und das Weite suchte. Schnipsel, Waldi, Brauni und Jagi waren die Namen, die wir unseren ständigen Gästen gaben. Dazu kamen Mr. Schmidt, Anuschka und Westi. Sie bildeten einen wilden Haufen, aber waren ein stolzes Team.