Ganz allein – in Deinem Alter?

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Ganz allein – in Deinem Alter?
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Inhaltsverzeichnis

Impressum 2

Einmal um die Welt in zwei Monaten 3

Vorwort der Autorin 4

1. Eine irreale Freiheit 10

2. Wie alles begann 14

3. Ein Reisegerüst muss her 21

4. Nicht ohne: … 26

5. Feinschliff 31

6. Finale Vorbereitungen 38

7. Ein holpriger Start 44

8. Ehrfurchtgebietendes Angkor Wat 49

9. Goldrausch in Thailand 54

10. Tagesablauf 66

11. Der Himmel so weit. Australien 86

12. Das rote Nichts 95

13. Eine zögerliche Annäherung. Melbourne 113

14. Von A nach B 126

15. Das Land der langen weißen Wolke. Neuseeland 129

16. Ein echter Höhepunkt – Neuseelands Südinsel 134

17. Atemberaubende Naturkulisse im Fjordland 142

18. Wie viel Schönheit erträgt der Mensch? 153

19. Ruppiger Abschied von Neuseeland 162

20. Buenos Aires, die große Enttäuschung 166

21. Salta la Linda, „die Schöne“ 170

22. Liebe wurde es nicht 176

23. Ein holpriges Ende 183

24. Wieder zu Hause 186

Literaturliste 190

Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie­.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fern­sehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und ­auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

© 2021 novum publishing

ISBN Printausgabe: 978-3-99107-659-9

ISBN e-book: 978-3-99107-660-5

Lektorat: Melanie Dutzler

Umschlagfotos: Rena Reisch; John Johnson, Alinamd, Valentin Armianu | Dreamstime.com

Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh

Innenabbildungen: Rena Reisch; © Westermann Gruppe

Autorenfoto: Foto Furgler

www.novumverlag.com

Einmal um die Welt in zwei Monaten

Route:

Österreich – Italien – Thailand – Kambodscha – Australien – Neuseeland – Argentinien – Italien – Österreich

 44.800 Kilometer auf 15 Flügen

 1.728 Kilometer mit dem Auto

 22 verschiedene Unterkünfte, zwei davon auf der Erde im australischen Outback

 Stressfaktor: von niedrig bis sehr hoch

 Spaßfaktor: hoch

 Frustrationserlebnisse: etliche

 Reisebegleitung: keine

 Reiseerkrankungen: keine

 Ernährung: mittelschlecht

 Gewichtsabnahme: 3 Kilogramm

 Fazit: großartig


Vorwort der Autorin

„When I’m sixty-four.“

Irgendwann auf der Reise schoss mir dieser Beatles-Song in den Sinn und ich begann, ihn lauthals zu singen – sehr zur Belustigung meiner jungen Mitreisenden oder, besser gesagt, Mitleidenden auf der sechsstündigen Fahrt im Kleinbus von Alice Springs zum Uluru, dem roten Felsen im australischen Outback, bei 36 Grad Hitze. Die Beine eingekeilt und angeschwollen, Kreuzschmerzen vom schlecht gefederten Sitz, Staub im Bus wegen der offenen Fenster, keine Klimaanlage, kein Platz für das Gepäck und stundenlanges Fahren durch die australische Wüste – das war keine „Rentnerinnenreise“, sondern eine echte Herausforderung. Den Altersdurchschnitt im Bus hatte ich massiv angehoben, fast niemand war älter als 30 – außer ich in meinem 64. Lebensjahr.

Die Idee, dieses Buch zu schreiben, kam mir während meiner Reise, als ich bemerkte, wie sehr ich als selbstorganisierte, allein reisende, ältere Dame auffiel. Manchmal wurde ich ungläubig auf diesen Umstand offen angesprochen, viel häufiger aber waren es Fragen nach einem Ehemann oder sonstigen Begleitern, die mir signalisierten, dass meine Art des Reisens in diesem Lebensalter offenbar nicht die Norm war. Ich passte nicht ins Bild, sind doch die meisten Reisenden als Paare unterwegs oder mit Freundinnen und Freunden. Nur wenige junge Menschen traf ich, die ebenfalls allein unterwegs waren.

Bereits vor meiner Abreise gab es zu Hause sorgenvolle Kommentare und Fragen von Freunden und Verwandten wie: Du traust dich was, ganz allein? Ohne Reisebüro? Hast du keine Angst? Wird dir nicht langweilig? Und wenn dir was passiert, du bist ja nicht mehr die Jüngste? Und immer wieder dieses „Ganz allein?“ Und oft ganz unverblümt: „In deinem Alter?“

Und so begann ich, mich zu fragen, was denn daran so ungewöhnlich war, und stellte fest, dass die meisten Menschen, die ich kenne, NIEMALS allein verreisen. Immer ist jemand mit – sei es der Partner/die Partnerin, der Freund/die Freundin, die Freundesgruppe, die Reisegruppe oder jemand, den man gerade im Internet kennengelernt hat. Ich kenne Menschen, die sagen: „Wenn ich allein verreisen muss, dann verreise ich gar nicht, egal wie verlockend das Angebot auch sein mag.“ Und die erste Frage meines Frisörs nach meiner Rückkehr lautete: „Jetzt mal ganz im Vertrauen, Frau Reisch, wie war das so, ganz allein mit sich selbst?“ So, als ginge von einer Reise nur mit sich selbst eine gruselige Faszination aus.

Nun, faszinierend ist es schon, dieses „ganz allein“, spannend, immer wieder auch anstrengend und in jedem Fall teurer als zu zweit, denn viele Kosten können nicht halbiert werden. Allerdings können viele Hürden durch eine gute Vorbereitung vermieden werden, und durch sparsames Verhalten lassen sich auch die Kosten in Grenzen halten.

Allein und ganz selbstorganisiert um die Welt zu reisen, war jedenfalls mein Abenteuer, das ich mir in meinem doch etwas höheren Alter gegönnt habe. Denn ganz egal, in welchem Lebensabschnitt man sich befindet, mit einer guten Vorbereitung, der nötigen Umsicht und ein bisschen Mut lassen sich kleine und auch große Träume umsetzen.

Meine kleine Weltreise dauerte zwei Monate mit 15 Flügen, davon vier Langstreckenflügen zu je rund 13 Stunden Flugdauer, 1.728 Kilometer mit dem Auto und 22 verschiedenen Unterkünften, zwei davon auf der Erde im australischen Outback. Es war eine Reise einmal um die ganze Welt, ein langgehegter Traum, den ich mir erfüllte, denn ich wollte nicht jemand sein, der am Ende seines Lebens immer noch von der Weltreise träumte, zu der er nie den Mut hatte.

„Wann, wenn nicht jetzt, worauf soll ich warten?“, war stets meine Antwort auf die Fragen meiner Umwelt gewesen, ob ich denn nicht Angst hätte, mich so auf den Weg zu machen, ganz ohne eine schützende Organisation im Hintergrund und vor allem ohne einen Reisepartner.

Jetzt, wo uns das Corona-Virus fest im Griff hat und Reisen unmöglich macht, bin ich unendlich froh, mich energisch für diese Reise entschieden zu haben – gegen alle Vorbehalte und Unsicherheiten.

Ich musste mich vielen Ängsten und Sorgen stellen wie etwa, was ich in einem Verletzungsfall/Krankheitsfall tun würde. Würde mich ein Taxifahrer ausrauben? Was, wenn ich einen Autounfall wegen des ungewohnten Linksverkehrs hätte? Würde ich die anstrengenden Wanderungen im australischen Outback aushalten?

Meine beiden größte Sorgen während der ganzen Reise jedoch galten, so schräg das klingen mag, meinem Gepäck und meinem Smartphone – nach jeder Landung zitterte ich, ob mein Koffer wohl angekommen sei, denn ohne diesen wäre ich aufgeschmissen gewesen. Die Angst um den Verlust meines Smartphones ließ mich dieses streng bewachen, denn ohne das Handy hätte ich meine Reise nicht auf diese Art und Weise durchführen können. Der Verlust meines Reisepasses hätte mich nicht so getroffen wie der Verlust meines Smartphones.

 

Meine Weltreise war auch eine Reise zu mir, denn ich musste feststellen, dass ich mir viel zu viele Sorgen gemacht hatte. Das meiste ging glatt, ein paar Hoppalas waren wohl dabei und den größten Stress hatte ich mir selbst gemacht. Aber im Nachhinein denke ich, dass es besser war, sich auf alle Eventualitäten geistig einzustellen, als unvorbereitet in eine brenzlige Situation hineinzuschlittern.

Um es kurz zu machen: Es ist nichts passiert. Bei der nächsten Reise gehe ich es lockerer an – vielleicht. Die peniblen Vorbereitungen jedoch werde ich beibehalten, denn diese waren die Voraussetzung für das Gelingen der Reise. Wie lautet der schlaue Spruch? „90 Prozent des Erfolges liegen in einer guten Vorbereitung.“ Genau.

Die Reise war wie ein wunderbarer Traum, erfüllt von großartigen Begegnungen und unglaublichen landschaftlichen Schönheiten sowie von interessanten Einblicken in die Kulturen meiner ausgewählten Länder, und sie war auch geprägt durch meine ganz persönlichen Beobachtungen und Eindrücke.

Mein Anliegen ist es, mit diesem Buch jeder Frau, jedem Mann Mut zu machen, sich auf den Weg zu machen, um sich langgehegten Wünsche zu erfüllen. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass man diese immer wieder aufschiebt – oder aufschieben muss –, weil es äußere Umstände verlangen oder man einfach nicht die Courage hat, sie in die Tat umzusetzen, weil es zu viel an innerer und äußerer Veränderung erfordern würde.

Und je älter man wird, desto schwieriger wird es, den nötigen Schwung aufzubringen. Viel zu viele Ausreden bieten sich an – man ist nicht mehr so belastbar, der Körper ist nicht mehr so fit, man ist nicht vertraut mit den neuen Kommunikationssystemen, auf den Flughäfen ist alles automatisiert, es gibt keine persönliche Betreuung mehr, man könnte krank werden, eine so große Reise ist viel zu teuer und so weiter und so fort. Und daher spricht man zwar immer wieder mit Bedauern von seinen Reiseträumen, die sich leider nicht verwirklichen ließen. Wie schade! Denn mit der nötigen umsichtigen Vorbereitung ist alles möglich und machbar – vielleicht nicht auf meine Art und Weise – und das Leben erfährt eine ungeheure Bereicherung, von der man unendlich lange zehren kann.

Mit diesem Buch möchte ich Sie, liebe Leserin, lieber Leser, dazu inspirieren, sich Reisen zuzutrauen, die nicht schablonenhaft über einen Reiseanbieter ablaufen, sondern die Möglichkeit bieten, selbstbestimmt Wunschziele auszuwählen und diese in einem ebenfalls selbstbestimmten Zeitraum zu bereisen.

Natürlich spricht nichts gegen vorgefertigte Reisen, die meist als Gruppenreisen angeboten werden. Auch hier sieht man viel von der Welt, allerdings nur das, was der Reiseanbieter vorgibt, und nur in der Zeit, die für gewisse Ziele vorgesehen ist. Man reist nicht, man wird gereist.

Auch auf meiner Weltreise hatte ich eine solche einwöchige Bus-Gruppenreise in Thailand zugebucht; sie war überladen mit Eindrücken und eine ziemliche Hetzerei. Aber sie war auch sehr bequem – ich musste mich um nichts kümmern, um keine Verpflegung, keine Übernachtungsmöglichkeit, keine Transportmittel, ja nicht einmal um eine Toilette, denn auch diese Stopps waren vorgegeben und man ging eben auf die Toilette, ob man nun musste oder nicht. Aber richtig eintauchen konnte ich nicht, ich besichtigte nur – im Vorbeifahren sozusagen. Dies zwar ausgiebig, aber immer in Eile und mit so viel Informationsüberflutung, dass ich am Ende nicht mehr wusste, welche Tempel ich wo gesehen hatte und wie all die Orte geheißen hatten, durch die wir gefahren waren. Aber ich hatte sehr viel gesehen; so viel, dass ich wahrscheinlich bis zum Ende meines Lebens keine Märkte und keine goldenen Tempel mehr zu besichtigen brauche. Wie praktisch! Und immer wieder war da das Antreiben durch die Reiseleitung – das Restaurant musste rechtzeitig erreicht werden, das Hotel wartete schon, die Märkte schlossen bald, schnell, schnell … Man ist zwar vor Ort, aber nicht wirklich dort und es ist nicht möglich, sich auf Land und Leute einzulassen. Und man hat immer die Gruppe um sich – wenn man Glück hat, ist es eine angenehme.

Viele Menschen reisen gerne so, weil es bequem ist, sich um nichts kümmern zu müssen. Das kann ich verstehen, mir jedoch liegt diese Art nicht unbedingt.

Ich brauche die Möglichkeit, Dinge in meinem eigenen Tempo und mit Muße zu tun, Orte und Gebäude mehrfach und zu unterschiedlichen Tageszeiten anzuschauen, Museen mehrmals zu besuchen, zum Fotografieren anzuhalten, wann immer sich ein großartiges Fotomotiv zeigt, sich unvorhergesehenen Situationen zu stellen und flexibel reagieren zu müssen. Sich auf eine zufällige Begegnung mit einem anderen einlassen und so lange plaudern zu können, wie man Lust hat, ohne dass ein nächster Besichtigungstermin oder eine Abfahrtszeit wie ein Damoklesschwert über einem schwebt. Und es ist diese gewisse Spannung, die eine solche Reise in sich birgt, das Meistern der vielfältigen täglichen Herausforderungen und Überraschungen, die sie zu einem großartigen persönlichen Erlebnis macht und jeden Reisetag mit einem Gefühl tiefer Befriedigung enden lässt.

Dieses Buch richtet sich nicht an ganz junge Traveller, die die Welt unbekümmert und viele Monate lang bereisen und über meine kleine, bescheidene Reise vielleicht milde lächeln werden. Es richtet sich an diejenigen, die ein bisschen ängstlicher und vorsichtiger sind, weil sie in ihrem Leben bereits viele – oft zu viele – unangenehme Erfahrungen machen mussten. Mit zunehmendem Alter werden wir vielleicht weiser, in jedem Fall jedoch vorsichtiger und weniger unbekümmert.

Dieses Buch soll Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, Lust und Mut machen, sich auf Reiseabenteuer zu begeben, von denen Sie vielleicht schon sehr lange träumen, jedoch nie den Mut hatten, sie zu verwirklichen.

Von mir bekommen Sie in diesem Buch einen ungeschönten Reisebericht, meine Reisevorbereitung, meine Packliste, meine verwendeten Buchungsplattformen, meine Tipps für umsichtiges Verhalten und meine ganz persönlichen Eindrücke und Beobachtungen, die großartigen sowie die frustrierenden.

Mit allen Produkten, die ich namentlich nenne, war ich außerordentlich zufrieden; ich bekomme keinen Cent dafür, dass ich sie hier anführe.

Indem ich dieses Buch für Sie schreibe, komme ich in den Hochgenuss, meine Reise sozusagen noch einmal zu machen – und diesmal nehme ich Sie mit, verehrte Leserin, verehrter Leser, und wünsche uns allen viel Spaß auf der Reise.

Möge die Übung gelingen!

1. Eine irreale Freiheit

„Aber warum denn allein?“

Diese Frage musste ich mir sehr oft anhören.

Ja, warum denn?

Nun, einen Partner/eine Partnerin für eine mehrmonatige Weltreise findet man nicht im Handumdrehen. Vielen ist die Reise schlicht zu teuer, viele haben keine Zeit, andere haben Versorgungspflichten. Selbst wenn ich einen festen Partner hätte, wäre ich nicht sicher, dass er mit mir gekommen wäre.

Daher suchte ich gar nicht nach einer Reisebegleitung, denn der Entschluss zu meiner Weltreise war gezwungenermaßen ein „Schnellschuss“, eine auf den ersten Blick überhastet wirkende Entscheidung, wie im nächsten Kapitel zu lesen ist.

Als begeisterte Reisende kenne ich nahezu alle Arten des Reisens: organisierte Gruppenreisen, individuelle Gruppenreisen, Reisen zu zweit und Reisen allein. Am wenigsten mag ich Gruppenreisen, egal, ob selbst organisiert oder über ein Reisebüro. Gruppenreisen bedeuten viel Hetzerei, zu viele unterschiedliche Bedürfnisse, zu viele Egospielchen, zu viel Tratsch– schlicht zu viele Menschen. Ich bin gerne für mich, obwohl ich durchaus gesellig sein kann. Aber ich brauche mehr Rückzug als andere. Mit zu vielen Menschen für längere Zeit auf engem Raum sein zu müssen, macht mich unrund.

Reisen zu zweit können sehr erfreulich sein, vorausgesetzt, man hat einen kompatiblen Reisepartner/eine Reisepartnerin. Man kann sich gegenseitig auf schöne Dinge hinweisen, zu zweit ist es im Restaurant und in der Bar lustiger, man motiviert sich gegenseitig, man lacht miteinander, man kann sich gegenseitig helfen und trösten, man tauscht sich aus und teilt die Kosten. Wenn zwei miteinander verreisen, sollten sie die Angewohnheiten und Ticks des jeweils anderen kennen und damit umgehen können. Gute Reisegefährten sind rar. In meinem großen Bekanntenkreis gibt es exakt zwei Menschen, mit denen ich problemlos für längere Zeit verreisen kann.

Allein zu verreisen hingegen kann eine lohnende Herausforderung sein.

Es bedeutet, eine Freiheit kennenzulernen, die sich im ersten Moment irreal anfühlt. Du musst niemandem gefallen und du kannst niemanden enttäuschen. Allein zu reisen, ist die Freiheit, tun und lassen zu können, was du willst. Niemand weiß genau, wo du bist, kein Mensch weiß, was du tust. Es bedeutet, nicht unter Beobachtung zu stehen, nicht von einer wohlmeinenden Freundin, nicht von einem kulturbeflissenen Kollegen oder dem kritischen Ehepartner. Du musst niemandem Rechenschaft ablegen.

Das heißt aber auch, zu entdecken, dass man vielleicht in vielen Perioden seines Lebens Rollen gespielt hat, die nicht dem ureigenen Prinzip entsprachen. Durch soziale Zwänge und eigene sowie fremde Erwartungen wird man unfrei und ständig gezwungen, sich anzupassen als Gattin, Mutter, Kollegin, Nachbarin, Tochter, Schwester. Irgendwann passiert es dann, dass man selbst nicht mehr weiß, welche Träume man eigentlich für sein Leben hatte, denn diese sind im Wust der Verpflichtungen untergegangen.

Auf meiner Reise habe ich langsam das abgestreift, was ich für andere und für mich selbst zu sein schien. Ich brauchte nicht die immer fröhliche Freundin sein, die allwissende Professorin, die kultivierte Dame, die sportliche Mittsechzigerin. Ich konnte so mutig oder so feige sein, wie ich wollte. Ich konnte dumm sein oder clever, freundlich oder abweisend, missmutig oder heiter, ich konnte ganz einfach sein. Es war vollkommen egal und kümmerte niemanden.

Also fragte ich mich jeden Tag, was ich wirklich wollte. Wollte ich tatsächlich etwas besichtigen oder besuchen oder wollte ich dies nur, weil „man“ dies oder jenes eben gesehen haben musste? Weil es im Reiseführer stand, weil es im Internet fantastische Berichte und noch großartigere Fotos davon gab oder weil jemand aus dem Bekanntenkreis gemeint hatte, dies oder jenes müsste man einfach gesehen haben? Und wenn ich das nicht täte, wäre ich dann ein schlechterer Mensch? Ein uninteressanterer, langweiligerer Mensch? Wollte ich nach meiner Rückkehr auftrumpfen mit allem, was ich von der Welt gesehen hatte, oder wollte ich eine Reise nur zu meinem ureigensten Vergnügen machen?

Während der gesamten Reise waren dies immer wieder schwierige Momente und es dauerte ehrlich gesagt eine ganze Weile, bis ich mir selbst auf die Spur gekommen war. Ich konnte oft nicht erkennen, was ich wirklich wollte. Erst als ich in tiefster Seele verstand, dass ich niemandem Rechenschaft für mein Tun oder eben Nicht-Tun schuldig war, war der Bann gebrochen. Niemand beobachtete mich, niemand kommentierte mein Tun. Ich war allein und ganz auf mich zurückgeworfen, ich konnte tun und mich verhalten, was und wie immer es mir beliebte. Es war eine schwierige Übung!

Im Laufe der Zeit erkannte ich, dass dieses „nicht unter Beobachtung zu stehen“ der größte Luxus einer langen Reise ganz allein ist. Auf meiner Weltreise war es vollkommen egal, ob ich fünfmal ins gleiche Museum ging, um mich an der Farbenpracht der Gemälde zu berauschen, es war egal, ob ich den ganzen Tag im Bett lag und in meinem E-Book las, es kümmerte niemanden, was ich aß oder trank, was ich anhatte, wie ich meinen Tag gestaltete. Ich konnte stundenlang die Welt an mir vorüberziehen lassen, ich konnte plaudern, mit wem auch immer ich wollte, und ich musste mich mit niemandem unterhalten, wenn ich keine Lust dazu hatte. Kurz, ich war bloß ein winziges Menschlein unter vielen anderen, völlig uninteressant und unwichtig.

Nicht wichtig zu sein, kann jemanden an den Rand einer Sinnkrise treiben oder aber in die Entdeckung des Gefühls einer eigenartigen Freiheit. Als ich erkannte, dass es tatsächlich NIEMANDEN kümmerte, was ich so trieb, hatte ich plötzlich das Gefühl, freier atmen zu können.

Natürlich bedeutet allein zu reisen auch, dass die Kommunikationsmöglichkeiten reduziert sind. „Mit wem redest du denn den ganzen Tag“, wollte eine Bekannte, eine sehr kommunikative Dame, wissen. Natürlich redete ich mit anderen, aber oft eben mit niemandem oder mit mir selbst. Es störte mich wenig. Während meiner Reise, vor allem in Neuseeland, als ich mit dem Auto unterwegs war, gab es immer wieder Tage, an denen ich kein einziges Wort mit jemandem wechselte. Es gibt Menschen, die viel Geld für „Schweigeseminare“ bezahlen, um zu sich selbst zu finden. Wenn man allein verreist, ist der Luxus, schweigen zu dürfen, sozusagen inkludiert.

 

Natürlich bedeutet allein zu reisen auch immer teure Einzelzimmerzuschläge. Damit lebe ich schon lange und habe versucht, diesem eine positive Seite abzugewinnen: Ich habe immer viel Platz in meinem Zimmer, kann so viel Unordnung machen, wie ich will, muss mich nicht um offene oder geschlossene Fenster, Temperatureinstellungen von Klimaanlagen oder die Badezimmerbenützung herumstreiten. Auch hier habe ich die Freiheit, zu tun, was ich will.

Aber es gibt auch Momente, die man gerne mit einem anderen teilen würde. Es wäre gelogen, so zu tun, als hätte ich diese auf meiner Weltreise nicht gehabt. Die leckeren argentinischen Steaks hätte ich gerne in angenehmer Gesellschaft verzehrt und die Schönheiten der neuseeländischen Landschaften wären mit der Möglichkeit, einem anderen davon vorzuschwärmen, noch großartiger gewesen. Und ein bisschen über dies oder jenes mit einem anderen lästern zu können, hätte Frusterlebnisse leichter ertragen lassen.