Träume - Spiegel der Seele

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Die Farbsymbolik

Farben verkörpern seelische Erlebnisse. Es gibt Menschen, die schwarz-weiß träumen, und andere, die häufig in Farbe träumen. Man sagt, dass Frauen im Allgemeinen farbiger träumen als Männer. Warum ist das so?

Im Wesentlichen sind Frauen farbbewusster, Patricia Garfield schreibt:

»Tatsächlich ist die Farbwahrnehmung von Frauen besser als die von Männern. In den ersten acht Monaten des Lebens sehen sie schärfer als männliche Babys … Farbenblindheit kommt nur bei einer von hundert Frauen vor, während einer von zwölf Männern diesen Mangel aufweist. Es ist also kein Wunder, dass Frauen häufiger Farben in ihren Träumen erwähnen.«6

Wahrscheinlich drücken Frauen im Allgemeinen stärker ihre Gefühle im Traum aus als Männer. Frauen erleben auch im Traum stärkere Emotionen als Männer.

Hüten müssen sich Seelsorger und Berater, bestimmten Farben von vornherein bestimmte Bedeutungen zuzumessen. Schwarz muss im Traum nicht immer Trauer bedeuten, und Weiß verkörpert nicht nur die Unschuld. Nur der Ratsuchende kann sagen, welche Gedanken und Vorstellungen er mit bestimmten Farben verbindet. Jeder Mensch hat Lieblingsfarben, und jeder Mensch verbindet mit bestimmten Farbtönen Gefallen oder Missfallen.

Was haben die Farben zu bedeuten? Die folgenden Deutungen finden sich in verschiedenen Traumdeutungs-Büchern.

 Grün soll fast immer die Farbe des Lebens verkörpern und die Farbe der Empfindung sein. Sie symbolisiert den Frühling und die Hoffnung. Diese Farbe soll außerdem Liebesglück versprechen, Wohlstand und Freude. Nur das Giftgrüne sei ein negatives Symbol, die Farbe des Teufels.

 Rot wird als Farbe des Gefühls gewertet. Die Farbe Rot sei eine aktive Farbe und verkörpere Leidenschaft und Aggression. Außerdem sei Rot die Farbe des Blutes und des Feuers. Als Symbol des Gefühlserlebens könne sie Hingabe, Bedrängnis, Tugend oder Laster widerspiegeln.

 Blau sei die Farbe des Denkens. Sie verkörpere das geistige und spirituelle Erleben. Blau wird auch als Farbe der Wahrheit verstanden, sie spiegele seelische Gelöstheit und geistige Überlegenheit wider.

 Gelb wird von C. G. Jung als Farbe der Intuition, des Ahnens gedeutet. Diese Farbe soll die Neugier der Seele verraten. Außerdem sei Gelb die Farbe der Sonne, die das Leben erhelle und erleuchte.

 Braun wird als Farbe der nüchternen Tatsachen gewertet. Andere sehen in der braunen Farbe die Verkörperung der Erde, des naturbewussten Lebens. Sie spiegele Warmherzigkeit und Mütterlichkeit wider.

 Schwarz sei die Farbe der Männlichkeit. Sie könne insgesamt vieldeutig sein. Schwarz wird aber auch als die Farbe der Trauer und der Finsternis gewertet.

 Weiß könne Reinheit und Unschuld bedeuten, aber auch Enthaltsamkeit, Kühle und Unfruchtbarkeit. Die englische Psychologin und Traumforscherin Ann Faraday fasst ihre Deutung der Bilder und Symbole in der Traumdeutung so zusammen:

»Nachdem die moderne Forschung die Vorstellung erschüttert hat, dass Träume sich in erster Linie von Kindheitserlebnissen herleiten, ist Freuds ganze Theorie von der universalen Symbolik hinfällig geworden. Bestenfalls sind seine Ideen Hinweise darauf, was einige Traumsymbole manchmal bedeuten; schlimmstenfalls können sie echt irreführend sein, weil sie die Menschen dazu verleiten, bei ihren Träumen nach nur einer Art von Bedeutung Ausschau zu halten, während die wichtigste Regel sein sollte, alle möglichen Bedeutungen aufzuspüren, die ein Traum im Licht ihrer derartigen Erfahrung haben kann … «7

Symbole enthüllen

Freud war der Meinung, die Seele nehme Zuflucht zu einer symbolischen und verhüllenden Sprache, um sexuelle und »unanständige« Vorstellungen zu vertuschen. Ann Faraday, die einige weit verbreitete Bücher über Traumdeutung geschrieben hat, ist genau gegensätzlicher Meinung. Sie behauptet, Träume seien die Möglichkeit der Seele, in einem einzigen kompakten Bild Gedanken und Eindrücke dieses Menschen zu spiegeln. Träume wollen uns nicht täuschen, sondern Wahrheiten offenbaren. Bilder enthalten verdichtete Überzeugungen des Menschen. Faraday schreibt:

»Es ist jetzt weitgehend anerkannt, dass Symbole in Träumen dem Träumer die Wahrheit eher enthüllen als verhüllen und sie überdies in sehr präziser, gedrängter Form darstellen. Wenn ich zum Beispiel in einer Nacht träume, dass ich ein Schwein umbringe, und in der nächsten Nacht, dass ich meinen Mann zu Tode prügele, dann ist es vernünftiger anzunehmen, dass das Symbol Schwein zusätzliche Empfindungen vom irrtümlichen Chauvinismus meines Mannes darstellt, statt als (höchst unwirksame) Verhüllung zu dienen, um uns eine peinliche Konfrontation mit meinen mörderischen Gefühlen zu ersparen. Tatsächlich ist der Hauptgrund für den Zweifel an Freuds Verhüllungstheorie, dass die in Träumen auftauchenden Bilder sich nicht von den Metaphern und Slang-Ausdrücken unterscheiden, die wir dauernd im Wachleben gebrauchen. Die symbolische Sprache ist keineswegs eine Verhüllung, sondern scheint die wirksamste Art und Weise zu sein, eine ganze Sammlung von Gefühlen zu artikulieren, und das gilt gleichermaßen, ob die Gefühle nun abscheulich oder edel sind.«8

Träume sind die Logik des Herzens, sie wollen enthüllen, nicht verhüllen. Die Bilder und Gleichnisse werden genauso in Büchern, Filmen und auf der Bühne wie im Traum verwandt. Bilder und bildharte Ideen sind älter als das abstrakte Sprachvermögen der Menschen.

Schauen wir uns die Bibel an. Ein Meer von Bildern und Gleichnissen kommt uns beim Lesen entgegen. Nehmen wir die Psalmen. Die Schreiber leben von Bildern. Und wir verstehen sie. Wir haben vergessen, dass unsere Sprache Bilder, Symbole und Beispiele am laufenden Band benutzt. Wir sagen:

»Dieser Schweinehund!«

»Sie vermehren sich wie die Karnickel.«

»Ein Wolf im Schafspelz.«

»Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus.«

»Ein eitler Pfau!«

»Ein Satansbraten.«

»Ein Teufelsweib.«

»Langsam wie eine Schnecke.«

»Schnell wie ein Leopard.«

»Flink wie ein Wiesel.«

»Dunkel wie die Nacht.«

»Trostlos wie eine Wüste.«

»Strahlend wie die Sonne.«

Wir können diese Liste ohne Schwierigkeiten mit hunderten von Bildern, Beispielen, Ideen und Symbolen ergänzen. Viele Träume enthalten konzentrierte Bilder, verwenden verständliche Gleichnisse und drücken Gefühle in einem Gemälde aus, das wir lernen müssen zu verstehen. Die Logik des Herzens ist eine andere als die Logik des Kopfes.

Erwecken Sie die Bilder zum Leben!

Die Bildersprache ist ein Geschenk. Wenn Sie versuchen. Ihre Träume zu deuten, dann versetzen Sie sich in die Bilder hinein. Sind Sie Berater oder Seelsorger, gehen Sie mit dem Ratsuchenden in das Bild und erwecken Sie es zum Leben.

»Woran werden Sie erinnert, wenn Sie im Traum in ein Loch fallen

»Woran denken Sie, wenn Sie wie gelähmt sind?«

»Versetzen Sie sich in das Gefühl: ›Ich stehe nackt auf der Kanzel!‹«

»Erleben Sie nach, wie es ist, wenn Sie den Zug verpasst haben.«

»Was geht in Ihnen vor, wenn Sie nicht von der Stelle kommen?«

»Welche Assoziationen kommen Ihnen, wenn Sie vom Einbrecher überrascht werden?«

»Was ist Ihr Hauptgefühl, wenn Sie im Traum über Ihre Stadt fliegen?«

 »wenn Sie selbst ermordet werden?«

 »wenn Sie als Mann ein Kind gehären?«

 »wenn Sie auf einer eingestürzten Brücke stehen?«

 »wenn Sie zum anderen Flussufer hinüberblicken?« usw.

Bilder, Wortbeispiele, Slang-Ausdrücke und umgangssprachliche Redewendungen spiegeln das Lebensgefühl und die Erfahrungen eines Träumers wider. Seine Denk- und Handlungsmuster werden in die handelnden Personen oder Objekte hineinkomponiert. Sie helfen ihm, sich selbst zu verstehen.

KAPITEL 3

Der Traum und der Träumer

Träume sind ein Spiegelbild des Träumers. Abgesehen von Visionen, die den Menschen überfallen, die auf Eingebungen, Offenbarungen und Erleuchtungen zurückgehen, bringen Träume den wahren Menschen zur Sprache, wie er leibt und lebt. Der Traum enthält Freude, Angst und Scham, verborgene Wünsche und Eigenarten der Persönlichkeit, die dem Träumer seine geheimen Leitmotive, seine private Logik und seine versteckten Sünden aufdecken. Der Traum stellt den Träumer vor einen Spiegel, in dem er sein Leben ungeschminkt betrachten kann.

Wie der Mensch ist, so träumt er

Schon im Talmud, einer Sammlung von Gesetzen des nachbiblischen Judentums und deren Auslegung, heißt es: »Was und wie der Mensch ist, so träumt er.«

 Der Traum spiegelt unser wirkliches Leben wider,

 der Traum verrät unsere Lebenseinstellung,

 der Traum gibt Einblicke in die tiefen Schichten unserer Persönlichkeit.

Zurzeit Jesu gab es mehr als zwanzig Traumdeuter allein in Jerusalem. Das jedenfalls überliefert der Talmud. Diese Traumdeuter halfen den Menschen, sich und das, was Gott ihnen mitteilen wollte, zu enträtseln.

 

Jeder von uns kennt die Redensart: »Das würde mir nicht einmal im Traum einfallen.« Was drücken wir damit aus?

 Selbst aus der Tiefe meines Unbewussten kann von mir so ein Gedanke nicht kommen.

 Meine Persönlichkeit ist eine Einheit. Bewusstes und Unbewusstes sind nahtlos miteinander verknüpft. Wenn ich bewusst die Wahrheit sage, werde ich nicht unbewusst oder im Traum etwas Gegenteiliges zur Sprache bringen.

Wie ernst der Traum in der Geschichte der Menschheit genommen wurde, berichtet uns der griechische Geschichtsschreiber Plutarch. Er beschreibt einen Mann, der zum Tode verurteilt wurde, weil er geträumt hatte, Dionysios, den Tyrannen, ermordet zu haben.

»Wie der Mensch ist, so träumt er.« Der Traum verrät die geheimsten Wünsche des Menschen. Also folgerten die Griechen: »Wer im Traum einen Menschen umbringt, der wird ihn auch im Leben umbringen wollen.« In unseren Träumen kommen unsere Wünsche und Rachegefühle zur Sprache. Gefühle im Traum sind oft überzeichnet. Wir übertreiben und dramatisieren, aber wir offenbaren, was in uns ist.

Wozu träumen wir?

Was ist der Sinn des Traumes? Welchen Zweck verfolgt er? Es gibt keine Antwort, die in einem Satz den Sinn eines Traumes enthüllt. Träume sind vielschichtig.

 Der Traum weist in die Zukunft, er bemüht sich, künftige Möglichkeiten vorauszuberechnen;

 der Traum will dem Träumer Gefahren bewusst machen;

 der Traum will Zukunftshoffnungen realisieren;

 der Traum ist die Vorbereitung auf den nächsten Tag;

 der Traum mobilisiert unsere Gefühle und unsere Affekte.

Diese bringen Bereiche zur Sprache, die der Verstandesmensch gern unterdrückt;

 der Traum bereitet also die Stimmung vor, in der zukünftiges Handeln gestaltet werden soll;

 der Traum hat eine Warnfunktion. Er mahnt, Prüfungen, bevorstehende Entscheidungen und Ereignisse ernst zu nehmen; der Traum bringt Wünsche, Bedürfnisse, Gedanken und Befürchtungen zur Sprache;

 der Traum bringt Selbstwert- und Beziehungsprobleme zur Sprache und setzt sich mit dem Träumenden selbst, mit anderen Menschen und mit Gott auseinander.

Wichtig ist:

 Träume sind keine willkürlichen Erfindungen des Menschen,

 Träume täuschen nicht,

 Träume lügen nicht,

 Träume vertuschen und verdrehen nicht,

 Träume verkünden echt und ehrlich, was in uns ist.

Das Verhalten entspringt unserer Meinung

Diese Überschrift verkörpert einen Kerngedanken der Individualpsychologie, aber auch ein Prinzip, das überall im biblischen Denken bestätigt wird. Paulus schreibt beispielsweise im Römerbrief:

»Zwar steht für mich unerschütterlich fest, dass es nichts gibt, durch dessen Berührung der Mensch vor Gott unrein wird. Ich kann mich dafür auf Jesus, den Herrn, berufen. Aber wenn einer davon überzeugt ist, dass ihn etwas unrein macht, dann ist es für ihn auch unrein.« (Römer 14,14)

Auch Paulus ist der Meinung:

 Unsere Überzeugungen bestimmen unser Verhalten,

 unsere Meinungen beeinflussen unser Tun,

 unsere Urteile und Vorurteile spiegeln sich im Leben wider.

 Ich kann auch sagen: »Sag mir, was du tust, und ich sage dir, was du gedacht hast!«

Wir Menschen sind eins. Denken, Fühlen und Verhalten sind untereinander verzahnt. Bewusstes und Unbewusstes sind eine Einheit. Und weil das so ist, sind Träume besonders interessant. Hier kommen

 Denkmuster,

 Gefühlseinstellungen und

 Verhaltenseigenarten ans Licht.

Das Unbewusste ist das Unverstandene,

 das Nicht-Zugelassene,

 das Verdrängte,

 das Vergessene,

 das mir Unangenehme,

 das Eigentliche, wo unzensiert und ungestört unsere wirklichen Lebensüberzeugungen ans Licht kommen.

Der Traum, der im Wesentlichen unbewusste Überzeugungen verdeutlicht, ist darum ein Schlüssel zum Zentrum unserer Persönlichkeit.

Alfred Adler hat den Begriff tendenziöse Apperzeption geprägt (subjektive Wahrnehmung). Er schreibt:

»Es ist für mich außer Zweifel, dass jeder sich im Leben so verhält, als ob er über seine Kraft und über seine Fähigkeiten eine ganz bestimmte Meinung hätte; ebenso als ob er über die Schwierigkeiten oder Leichtigkeit eines vorliegenden Falles schon bei Beginn seiner Handlung im Klaren wäre; kurz, dass sein Verhalten seiner Meinung entspricht.«1

Meine tendenziöse Apperzeption meint also meine subjektive Wahrnehmung, meine Wahrnehmungsverzerrung, meine Lebenserfahrung, die ich gewonnen und mir zugelegt habe. Die gemachten Lebenserfahrungen sind Bausteine meines Lebensstils. Der Lebensstil ist das Wahrnehmungsschema meiner Persönlichkeit. Lebenserfahrungen mit Eltern, Großeltern, Nachbarn und Geschwistern haben meine Lebensüberzeugungen (meinen Lebensstil) geprägt.

Eine Reihe dieser Überzeugungen können wir formulieren, andere liegen im Dunkeln, im Unbewussten, sie sind unverstanden. Diese Wahrnehmungen können richtig, halbrichtig, falsch oder verzerrt sein. Sie bestimmen unser Leben, und wir heben sie im Traum ins Licht.

Viele Träume verraten unsere religiöse Einstellung

Nicht alle Träume haben einen religiösen Kern. Aber viele offenbaren Zweifel oder Vertrauen, Geborgenheit oder Unfriede. Unsere religiösen Empfindungen setzen wir in den Vorstellungsmustern unseres Herzens ins Bild.

Wenn der Glaube an den lebendigen Gott und Christus unser Denken, Fühlen und Handeln bestimmt, muss auch im Traum diese Beziehung zur Sprache kommen. C. G. Jung schilderte einen eigenen Traum, der überdeutlich seine religiöse Einstellung charakterisiert:

»Der Traum, das bin ich.«

»Auf einer kleinen Straße ging ich durch die hügelige Landschaft. Die Sonne schien, und ich hatte einen weiten Ausblick ringsum. Da kam ich an eine kleine Wegkapelle. Die Tür war angelehnt, und ich ging hinein. Zu meinem Erstaunen befand sich auf dem Altar kein Muttergottesbild und auch kein Kruzifix, sondern nur ein Arrangement aus herrlichen Blumen. Dann aber sah ich, dass vor dem Altar, auf dem Boden, mir zugewandt, ein Yogin saß im Lotussitz und in tiefer Versenkung. Als ich ihn näher anschaute, erkannte ich, dass er mein Gesicht hatte. Ich erschrak zutiefst und erwachte an dem Gedanken: Ach so, das ist der, der mich meditiert. Er hat einen Traum, und das bin ich. Ich wusste, dass, wenn er erwacht, ich nicht mehr sein werde.«2

Was bringt der Traum zur Sprache?

Jung schreibt ausdrücklich über diesen Traum: »Der Traum, das bin ich.« Alles, was er zur Sprache bringt, charakterisiert seine Lebens-Grundüberzeugung.

Jung hat einen »weiten Ausblick ringsum«. Er war in der Tat kein engstirniger Denker. Sein Weitblick hat die Psychologie bereichert. Ringsum hat er Dinge aus Ost und West in sein System integriert.

Auf seinem Lebensweg spielt die Kapelle, die von Christen erstellt ist, eine Rolle. Jung wird allgemein als der Religiöseste unter den drei Tiefenpsychologen (Freud, Adler und Jung) bezeichnet. Die Kapelle, das Gotteshaus, zieht ihn an. Er geht nicht daran vorbei, er geht hinein. Er setzt sich mit dem Christentum ernsthaft auseinander. Jung kann seine Herkunft nicht verleugnen. Sein Vater war Pfarrer.

Was zutiefst sein Glaubensleben kennzeichnet, kommt in den nächsten Sätzen zur Sprache. Der Altar, der Ort der Gegenwart Gottes, auf dem in einer Wegkapelle normalerweise ein Kruzifix oder ein Muttergottesbild stehen, wird von Jung mit einem »Arrangement aus herrlichen Blumen« geschmückt. Das Kreuz und der Gekreuzigte, Zentrum des christlichen Glaubens, sind verschwunden. Jung hat sie vom Altar entfernt. Heißt das nicht, dass er sie aus seinem Denken und Leben entfernt hat?

Östliche Weisheit und östliches Gedankengut haben im Leben des Psychiaters und Psychologen Jung eine große Rolle gespielt. Im Traum kommt das zur Sprache; die christliche Symbolik ist nur noch in der Hülle der Kapelle vorhanden. Gefüllt wird das Gotteshaus mit dem Yogin, der mit dem Rücken zum Altar auf dem Boden sitzt.

Jung erkennt sich im Yogin (Yogi) wieder. Er trägt sein Gesicht. Er meditiert nicht das Kreuz und biblische Wahrheit. Das gebrochene Verhältnis zum Christentum kommt bei Jung zum Ausdruck. In der Tat: Der Traum, das bin ich.

Der Traum – die Vorbereitung auf das Morgen

Im Traum spielen Affekte und Gefühle eine große Rolle. Sie haben ein stärkeres Gewicht als die Intellektualität. Ungehemmt von Rücksichten auf Sachlichkeit und Logik nimmt der Träumer zu aktuellen Fragen seines Lebens Stellung.

Viele Träume bestätigen, dass es um entscheidende Ereignisse geht, die in naher Zukunft anstehen. Es geht um Prüfungen, die bestanden, um Entschlüsse, die gefasst, um Aufgaben, die gelöst und bewältigt werden wollen. Der Traum spiegelt von daher unser »Bewegungsgesetz« wider, wie Alfred Adler die Grundmuster nennt, die wir in der Kindheit entwickelt und trainiert haben. Das »Bewegungsgesetz« (vgl. S. 54 – 57) enthält unsere grundsätzlichen Zielvorstellungen, unsere Ansichten, wie wir Aufgaben anpacken, wie wir Verantwortung wahrnehmen, also die Art, wie wir das Leben meistern. Adler sieht im Traum eine Bewegung vom Heute zum Morgen.

Eine depressive Patientin, die eine lange seelsorgerlich-therapeutische Begleitung erfahren hat, träumt gegen Ende der Beratung:

»Ich sitze im Garten allein auf der Bank. Mir ist unwohl. Plötzlich kommt ein Gewitter, verbunden mit einem Sturm. Ich renne ins Haus, wo ich mich sicher weiß, wo mein Mann im Arbeitszimmer eine Predigt vorbereitet. Offensichtlich freut er sich, dass ich komme. Er schaut mich eine Weile an, dann reicht er mir einige dicke Bücher. Offensichtlich soll ich etwas nachschlagen. Ich gehe mit einem guten Gefühl an die Arbeit.«

Die Träumerin wollte sich in der Depression von ihrem Mann trennen, von dem sie sich im Stich gelassen fühlte. Schon vor Monaten war sie ausgezogen und wohnte bei ihrer Schwester. Im Traum trifft sie eine neue Entscheidung. Sie sieht sich selbst auf die Bank im Garten abgeschoben und allein gelassen. Die Träumerin erkennt, dass sie selbst aus eigenen Stücken die Bank im Garten ausgesucht hat. Sie selbst hat Haus und Ehe verlassen.

Der Traum beschert ihr ein Gewitter, sie deutet es als die Bedrohung von draußen, als Widrigkeit des Lebens. Im Gewitter sind bildlich alle Stürme des Lebens gedeutet, die ihr auf der Bank schutzlos und allein widerfahren. Sie rennt ins Haus, in die Geborgenheit, die sie vor Monaten verzweifelt hinter sich gelassen hat. Die Trennung und die seelsorgerlichen Gespräche haben sie reifer gemacht. Die Ehe kann sie weniger erregt aus der Distanz beleuchten. Sie kann ihre Vorurteile als solche akzeptieren.

Der Traum signalisiert ihr, dass sie ihrem Mann eine »Gehilfin« sein will, eine Mitstreiterin. Der Mann zeigt ihr nicht die kalte Schulter, sondern freut sich. So empfindet sie es in ihrem Traum, in ihrem Herzen. Die Arbeit des Mannes, die ihr in der Depression zum Horror wurde, wertet sie im Traum mit anderen Augen. Sie hat in der Tat eine tief greifende Veränderung erfahren.

Die junge Frau, die in der Depression glaubensmäßig stark angefochten war, erkennt im Traum Gottes Weisung. Der Traum vermittelt ihr mit unwiderlegbarer Gewissheit, dass sie die Ehe wieder aufnehmen soll.

Für den Beratungsprozess hat dieser Traum noch eine weitere Bedeutung. Er zeigt, dass die Ratsuchende sich geändert hat. Ihr Lebensstil ist korrigiert worden. Diese Frau hat Einsichten in die Tat umgesetzt. Der Traum, der einen Einblick in die Abgründe des Herzens offen legt, demonstriert, dass sie ihre Fehler und Sünden eingesehen hat.

Träume verdeutlichen, ob Änderungswünsche Wirklichkeit geworden sind. Seelsorger und Berater erhalten unaufgefordert eine Bestätigung, wie effektiv der Beratungsprozess verlaufen ist.

 
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