Flüchtlingsjunge Kahn

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Flüchtlingsjunge Kahn
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Flüchtlinge willkommen und unerwünscht

Ich erinnere mich, wie bei uns 1945 Flüchtlingen aus Köln einquartiert wurden. Die Stadt Köln war ja in den letzten Kriegstagen so zerstört worden, dass Tausende von Bewohnern flohen, um wenigstens auch wieder ein Dach über dem Kopf zu haben. Eine 5-köpfige Familie, die ausgebombt war, kam nach Göttingen. Wir mussten ihnen eine Bleibe geben. Damals per Befehl von oben, mussten wir sie aufnehmen. Wir lebten in einer 4 Zimmerwohnung, einschließlich Küche. Es war eine kleine Wohnung in der wir, meine Eltern und zwei Jungens, wohnten.

Wir hatten drei Schlafzimmer, eins für unsere Eltern und für uns zwei Jungens die anderen, aber sehr kleinen Zimmer. Unsere Nachbarn hatten nur einen Sohn, sodass sie mit Widerwillen die Eltern und einen Jungen der geflüchteten Familie aufnehmen mussten.

Die Flüchtlinge kamen so, wie sie geflohen waren, bei uns an. Voller Flöhe und Läuse, die erst einmal beseitigt werden mussten. Die Stadt war überfordert mit dem Ansturm und so hat meine Mutter die Entlausung mit Spiritus übernommen. Wir bekamen zwei Jungens. Die Zimmer waren bei uns so klein, so dass die beiden Jungens in einem Bett schlafen mussten.

Der jüngere war durch die Flucht so psychisch gebrochen, dass er regelmäßig ins Bett machte. Es war aber für meine Eltern eine Pflicht der Nächstenliebe, sie doch, obwohl es unter Zwang geschah, gerne aufgenommen haben. Als sie später dann wieder zurück nach Köln fuhren, schenkte meine Mutter ihnen noch reichlich Bettwäsche für die erste Zeit, denn sie hatten ja gar nichts was sie ihr Eigentum nennen konnten. Sie waren so gekommen, wie sie waren und was sie auf ihrem Körper trugen.

Jetzt kommt noch etwas sehr Ärgerliches: Als meine Mutti den Wäscheschrank inspizierte, stellte sie fest, dass die Leute, die wir wirklich gerne aufgenommen hatten und die uns sehr leidtaten, einiges mitgehen ließen.

So benahmen sich leider auch viele deutsche Landsleute. Es tut weh, wenn man mit Hilfsbereitschaft und Mitleid Menschen hilft und dann zeigen sie sich auf diese Art undankbar.

So war das damals. Nicht nur aus dem Westen, auch aus dem Osten kamen Millionen von Flüchtlingen. Da sprach aber niemand von einer Katastrophe. Die Katastrophe lag nicht an den Hilfesuchenden, sondern an einem verbrecherischen Krieg. Bis heute haben Regierungen nicht gelernt, dass es in erster Linie um Menschen geht. Überall ist heute Krieg und Unmenschlichkeit. In vielen Ländern fliehen Menschen vor brutalstem Abschlachten, ja Abschlachten. Ich will nicht behaupten, dass Krieg human ist, ganz im Gegenteil, Krieg ist immer ein Verbrechen, aber was im scheinbar religiösen Wahn heute geschieht, ist wirklich ein Abschlachten, der unmenschlichsten Art.

Menschlich ist ein Krieg nie, auch im 2. Weltkrieg nicht, aber früher wurde den Verfolgten nicht die Köpfe abgeschlagen oder totgeschlagen, wie man Robben auf schändlichste Weise erschlägt. Selbst das ist eine Grausamkeit, die für Menschen unwürdig ist.

Diese Fluchtwelle wurde damals nicht als Katastrophe bezeichnet, sondern man rückte zusammen, um zu helfen, auch wenn die Enge oft unerträglich war.

Damals wäre keiner auf die Idee gekommen, diese Flüchtlinge zurückzuschicken. Sie konnten mit Hilfsbereitschaft und Sicherheit rechnen.

Viele zogen nach dem Krieg wieder in ihre Heimat, andere bekamen Land, Höfe, Ausbildung und Arbeit. Leider wurden auch sie oft angefeindet. Sie bekamen oft schneller Arbeit, als die einheimische Bevölkerung. Von besonders freundlicher Willkommenskultur war da auf längere Sicht auch nichts zu spüren. Der Krieg, der von wahnsinnigen Diktatoren angeheizt wurde, mit einem Rassismus der schon einer religiösen und fanatischen Glaubensrichtung ähnelte, hat uns alle in die Knie gezwungen. Es gab Hungerlager oder Massenhinrichtungen, aber die bestialische Art und Weise, in der heute Menschen verfolgt und vor Kindern zerstückelt und erschlagen werden, ist eine Perversität, die nicht zu überbieten ist. Dass Menschen davor fliehen und schwerstens traumatisiert sind, ist doch nur zu verständlich.

Heute sieht es bei uns aber anders aus. Eine Lawine von Hilfsbereitschaft überrollte Deutschland. Als dann die ersten Stimmen sich erhoben, dass es zu viele sind, obwohl es längst nicht zu viele waren, benutzen seitdem Menschen, die von dem unseligen Geist der Nazis getrieben werden, fremdenfeindliche Parolen. Neue Parteien werden salonfähig und versuchen Hass und sozialen Unfrieden zu schüren.

Die Politiker, die, seit der Gründung, der Bundesrepublik Deutschland, sich um demokratische Werte bemühen, bekommen Angst, Wählerstimmen an die wieder aufkommenden Nationalisten zu verlieren. Um Stimmen bei der nächsten Wahl den ewig Gestrigen abzuringen, werden ganz einfach Länder, in denen jeden Tag feige Anschläge und unvorstellbare Verbrechen begangen werden, als sichere Länder deklariert. Was in den Menschen vorgeht, die aus diesen Höllen geflohen sind, scheint unwichtig zu sein. Viele Kinder, die teilweise ganz alleine fliehen konnten und mussten, sind traumatisiert. Jeder Nachricht, die sie hören müssen, wenn Menschen in ihre Heimat abgeschoben werden, erfüllt sie mit wahnsinniger Angst, und sie erleiden immer wieder nervliche und psychische Zusammenbrüche. Wer kümmert sich um solche jungen Menschen? Der Staat nicht. Es ist sehr traurig, wie die Menschen sich ändern, sobald sie meinen, ihre eigene Sicherheit und Macht schwinden zusehe, da ist die Hilfsbereitschaft und die Einstellung, helfen zu müssen, zweitrangig. Da kommen selbst Aussagen über Islamisierung und der Untergang des Abendlandes zum Vorschein. Auf was kann man denn, bei so einem Verhalten, stolz sein? Auf ein Abendland, dass die Grundwerte eines christlichen Glaubens verleugnet? Gerade sogenannte christliche Länder, wie Bayern und Österreich, verhalten sich wie der Priester und der Levit, die von Jericho nach Jerusalem gingen, gegenüber dem armen Menschen, der unter die Räuber fiel und geschlagen und verwundet dalag. Die Gleichnisse Jesu sind scheinbar nur für den Sonntag zum frömmeln da.

Hier die Geschichte eines Jungen, der im Alter von 15 Jahren aus Afghanistan geflohen ist. Einem Land, welches jeden Tag von Bombenattentaten aufgerüttelt wird. Einem Land, in dem Menschen zu Tode geprügelt werden und der Staat hilflos zusieht, oder sich teilweise mitschuldig macht an solchen Verbrechen. Wo Regierungsangehörige, die als Provinzkommandeure die Bevölkerung ausplündern, eigene Armee aufstellen und eigene Gesetze machen. Ein Land, das aus Schwäche, von der Armee nicht geschützt werden kann, wenn die Taliban oder der IS Krankenhäuser überfallen und unter den Patienten Blutbäder anrichten, Schwerkranke, Frauen und Kinder umbringen. Ein Land, wo Kinder um ihr Leben bangen, ohne geschützt zu werden, stattdessen von der Polizei verraten werden, wenn sie sich hilfesuchend an sie wenden. Ein Land, in dem Korruption der Antrieb der Politik und der vermeintlichen Ordnungsmacht ist. In so einem Land gibt es keine Ordnung, wo die Polizei und selbst der Präsident mit den Verbrechern gemeinsame Geschäfte machen.

Als 2015 die große Flut von Flüchtlingen, aus unterschiedlichen Ländern, aus Kriegsgebieten, geflohen vor Terror und unerbittlich grausamen Krieg, gab es eine überwältigende Hilfsbereitschaft in der deutschen Bevölkerung.

in jeder Stadt, in jedem Land kamen die Menschen, um den Flüchtlingen zu helfen, ihnen das Notwendigste an Kleidung und Nahrung zu geben. Es wurden

Brote geschmiert, Obst und Wasser verteilt. Millionen, die erschöpft und überglücklich in Deutschland ankamen. Tausende, die strahlten, weil sie helfen konnten. Jeder wollte dabei sein, nur um zu helfen. Da konnte der Deutsche auf sich stolz sein, alle eigenen Probleme vergessen und ganz für diese Menschen da sein. Es war beinahe wie ein Rausch, dem die Bevölkerung unterlag. Es war wirklich unvorstellbar, wie die Bevölkerung im Grunde ihrer Seele war, wo im normalen Alltag oft Missgunst und Neid die Oberhand haben

Die Aussage der Bundeskanzlerin, „wir schaffen das“, machte Mut und verwandelte die Menschen. Es war eine wunderbare Mut und Hoffnung machende Aussage. Kaum kam aus dem katholischem Süden der Schrei nach Aufnahmestopp, sprangen die ewig Gestrigen mit auf den fremdenfeindlichen Zug und schon besann man sich, auf soziale Art, den Deutschen unbedingt nichts wegnehmen zu dürfen. Es wurde nie den Deutschen etwas weggenommen. Die Politik konnte aber diesen Streit für sich nutzen. Selbst die großen Parteien mischten mit, es ging ja auf die nächste Wahl zu. Welch eine moralische Verlogenheit.

Wir ließen uns von dieser feindlichen Stimmung nicht beirren. Wir sahen Menschen in Not und vor allem junge Menschen, Kinder einsam und in Not.

Daraus ergab sich folgende Begegnung.

Meine Frau und ich waren uns ganz schnell einig, zu helfen. Zuerst versuchten wir, Begegnungen aufzubauen. Unser Wunsch war, in der Not den Menschen ein Zeichen der Wärme und Geborgenheit zu geben.

(Da fällt mir ein, als ich mal in einer psychosomatischen Klinik war, weil ich total überarbeitet und erschöpft war, mir ein Helfersyndrom angedichtet wurde. Ich helfe, auch wenn es einige Menschen nicht verstehen, allein aus Liebe zu den Menschen und weil mir menschliches Leid mein Herz einschnürt.)

Als wir dann mitbekamen, wie viel Kinder, wie viel Jugendliche, aus ihrer Heimat geflohen waren, ohne Eltern, ganz alleine auf sich selbst gestellt, ging uns das so nahe, dass wir empfanden, dass das, was wir bis jetzt tun konnten, einfach zu wenig war. Kinder, mutterselenallein, in einer völlig fremden Welt. Fremde Sprache, aus absolut anderer Kultur, von der man vielleicht schon mal was gehört hat, aber so fremd als ob man in einer ganz anderen Welt plötzlich hineingeworfen sei. Kein vertrauter Mensch an der Seite, kein Vater, der sagte, wo es langging, keine Mutter, die einem Mut machte und in den Arm nahm. Nein, allein, einsam und fremd, nur, dass keine Bomben fielen und keine Terroristen, die einen umbringen würden oder zu Soldaten für ihre eigenen menschenverachtenden Ziele vereinnahmten.

 

Mit ihnen spielen, ihnen zeigen, dass man gutes Interesse an ihnen hat, das reichte nicht aus für uns. Die zarten Kinderseelen, die viel zu früh in eine grausige Welt hineingestoßen waren. Die gesehen haben, wie unsere und ihre Soldaten im verbrecherischen Krieg dahingemetzelt wurden. Kinderaugen, die diese Bilder eingebrannt bekamen. Kinder, die in ständiger Angst, lebensbedrohender Angst, Wochen und Monate lang auf der Flucht waren, in der Hoffnung, irgendwo Frieden zu finden. Unter Hunger und Durst tagelange Fußmärsche hinter sich haben. Nachts sich im Wald oder im Gebüsch verstecken mussten, um ein paar Stunden ihre geschundenen, jungen Körper zu erholen. In ständiger Angst, entdeckt zu werden, entdeckt von der jeweiligen Polizei oder Militärs, die die Grenzen bewachten um Flüchtlinge abzufangen.

In einem Land sogar, bei Entdeckung sogar sofort erschossen worden wären.

Auf dem Fluchtweg lagen oft Leichen, die von niemandem begraben wurden, von niemandem betrauert wurden. Die Kinder und Jugendlichen mussten nur weiter, weiter, wie wusste keiner und wo sie landeten ebenso nicht. Sie lebten nur in der Hoffnung, in einem friedlichen Land anzukommen, wo sie in Sicherheit waren.

Nur mit ihnen spielen, das reichte uns nicht um zu helfen, das war nicht, was diese jungen Menschen brauchten.

Diese Kinder und Jugendlichen haben hier alles, was sie brauchen: Zuwendung, Kleidung und ein Dach über ihren Köpfen. Zu Essen und zu Trinken. Ihre Körper bekommen alles, was sie brauchen, aber wer fragt nach ihren verzweifelten Kinderseelen? Ihre Seelen schreien nach Hilfe, sie schreien nach Liebe, Sie schreien nach Trost. Ja, sie schreien nach Trost, aber wer kann diesen zerrissenen jungen Seelen trösten? Kann man sie überhaupt trösten? Allein unser Schöpfer, allein, unser aller Gott bringt dem Trost, der bei ihnen etwas aufrichten kann.

Wir mussten uns entscheiden, diesem Leid hilflos zuzusehen, oder wenigstens

fragten einfach mal die Heimleitung, ob es nicht möglich wäre jemanden bei uns aufzunehmen. Am nächsten Tag hatten wir einen Termin und sie stellte uns einen Jungen vor, der so einen ehrlichen und warmen Ausdruck in seinen ängstlichen Augen hatte, dass wir uns sofort für ihn entschieden. Überglücklich nahm er gleich seine ganzen Habseligkeiten mit und kam zu uns.

Den ganzen Abend umklammerte er meine Frau. So langsam taute er auf und konnte sein Glück nicht fassen, eine Familie gefunden zu haben. Ganz langsam wich die Angst in seinen wunderschönen ausdrucksvollen Augen und es begann ein glückliches Strahlen aufzublitzen. Er hatte so eine Angst, verriet er mir später, von uns nicht aufgenommen zu werden, wieder zurück zu müssen in ein Asylantenheim, das kein Ort ist für Kinder.

Wir waren jetzt schon so überglücklich, unser Ziel, erreicht zu haben. Das Ziel war, das wurde uns eigentlich erst nach und nach bewusst, Liebe zu schenken, Liebe und Hoffnung weiter zu geben, die wir von oben bekamen.

Seitdem ist Kahn, so heißt unser lieber Junge, unser Engel, der so viel Licht in unser Haus, nein in unsere Herzen gebracht hat.

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