Überirdische Rätsel

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SELBSTPRODUZIERTER FOTOSPUK?

Metaphysisch mutet noch etwas an: Gleich neben dem Marienbaum steht ein Gebäude, das als kleines Museum dient. Hier sind die Fluchtroute und die Aufenthaltsorte der Heiligen Familie mittels Bildern und einer Landkarte rekonstruiert. Ich habe in dem Häuschen fleißig fotografiert. Wieder daheim in Wien sticht mir bei der Durchsicht der Reisebilder ein Foto ins Auge. Es zeigt in der Bildmitte unten einen gleißenden Lichtfleck mit Halo. Hatte ich in El Matarija eine „Erscheinung“ dokumentiert? Oder einen Geist geknipst? Vermutlich gibt es eine irdisch-vernünftige Erklärung dafür. Am ehesten wohl eine Spiegelung. Doch dort, wo das grelle Lichtgebilde hinweist, gab es weder am Boden noch an anderer Stelle eine Lichtquelle, die den Effekt hätte auslösen können. Wunderlich ist dies allemal (siehe Farbteil Seite 68 oben).

Kosmische Spuren
SESCHAT UND DER ISCHED-BAUM


Der heilige Baum von Heliopolis mit Thot und der Göttin Seschat

Sowohl die Erscheinungsstätte Zeitoun als auch der Marienbaum befinden sich auf geschichtsträchtigem Boden. Beide Plätze liegen innerhalb der legendären „Sonnenstadt“, die im Alten Testament „On“ genannt wird. Damit ist der uralte Verehrungsort Heliopolis gemeint, wo der Überlieferung nach die Weltschöpfung stattfand, der Sonnengott Re mit seinen Urgöttern erstmals erschien und später wieder zum Himmel zurückkehrte. Anders ausgedrückt: Hier in diesem Vorort von Kairo liegt der geistig-religiöse Anfang Ägyptens und seiner Götterwelt. Offenbar sind hier seit jeher himmlische Wesen erschienen – als befände sich in der Umgebung eine Art „Sternentor“ zu fremden Welten.

Dazu gibt es eine mythologische Verknüpfung zu einer geheimnisvollen Göttin namens Seschat. Sie ist das weibliche Pendant des himmlischen Lehrmeisters Thot und wurde im Altertum als Göttin der Weisheit, der Schreibkunst und der Zeitmessung geschätzt. Sie wird auch „Herrin der Baumeister“ genannt, weil sie den vorbestimmten Bauplatz für Heiligtümer festlegte. Bei diesen Zeremonien spielte ein wundersamer Baum eine besondere Rolle, der schon zu Beginn der ersten Pharaonendynastien im Bereich des Sonnentempels von Heliopolis große Verehrung genoss. In den Mythen wird er als „Isched-Baum“ bezeichnet. Auf seinen Blättern sollen die Regierungsjahre der Könige verzeichnet gewesen sein.

Neben der geografischen Gemeinsamkeit zum Marienbaum von Matarija gibt es auch eine kosmologische: „Der Name der Göttin Seschat ist ebenso wenig erklärbar wie der Gegenstand, den sie als Abzeichen auf dem Kopf trägt und der nach alten Darstellungen ursprünglich die Göttin selbst gewesen ist“, notieren die Fachexperten Wolfgang Helck und Eberhard Otto in ihrem „Wörterbuch der Aegyptologie“.

Gemeint ist ein siebenstrahliger Stern, über dem sich ein mondsichelförmiger Halbkreis mit zwei senkrechten Spitzen erhebt. Was war ursächlich damit gemeint? Eine Art Heiligenschein? Seschat ist oft in einem Kleid abgebildet, das mit Sternenmotiven übersät ist. Dabei hält sie manchmal einen Stab in einer Hand, der als Zeichen für „Unendlichkeit“ und „Wiedergeburt“ gedeutet wird. Attribute, die man ebenso aus mancher Ikonografie der Jungfrau und Himmelskönigin Maria kennt.

VERSUNKENES REICH HELIOPOLIS

„Wo lassen sich noch sichtbare Überreste der einstigen Götterstadt Heliopolis entdecken?“, frage ich unseren Ägyptologen. „Außer Schutthügeln, Gruben und brüchigen Granitblöcken ist als einziger Zeuge nur ein Obelisk erhalten“, bedauert Ahmed. Wir wollen ihn sehen, zumal er nur wenige Hundert Meter vom Marienheiligtum El Matarija entfernt steht. Es geht vorbei an Trümmerschutt und mit Graffiti bemalten Mauern, dann stehen wir vor einer archäologischen Sperrzone. Das Betreten ist nur mit Sondergenehmigung möglich. Mithilfe unseres Ägyptologen gelingt es immerhin, dass wir ein paar Meter hinter die verbotene Zone dürfen und bescheidene Einblicke der Ausgrabungsstätte erhalten. Hier im antiken Heliopolis wurden zahlreiche Pfeiler zu Ehren des Sonnengottes aufgestellt. Viele wurden bereits in der Antike verschleppt oder zerstört. Beispielsweise stammt der Obelisk auf der Piazza del Popolo in Rom aus Heliopolis. Am originalen Schauplatz steht heute nur mehr der über zwanzig Meter hohe Obelisk von König Sesostris I. aus dem früheren Mittleren Reich. Im Zuge von Ausgrabungen kam vor Jahren ein weiterer von König Teti zum Vorschein, der zerbrochen im Gelände liegt (siehe Farbteil Seite 68 rechts unten).

Derzeit haben die Behörden mit findigen Grabräubern zu kämpfen. Unser Altertumsexperte verrät, dass es bereits zu mehreren Verhaftungen gekommen sei. Davon legen abbruchreife Häuser Zeugnis ab. Sie wurden illegal ohne Baugenehmigung errichtet, oft nur deshalb, um unbeobachtet in den Kellertiefen einen Tunnel ins Grabungsgelände zu buddeln. Kriminelles Ziel sind Schätze aus der Pharaonenzeit, die man am Schwarzmarkt zu verhökern hofft.

Für die Archäologen ist es oft ein Wettlauf mit der Zeit. Die größten Teile des antiken Heliopolis sind längst verbaut. Die noch wenigen freien Flächen und Grundstücke, darunter auch der Platz um den Obelisken Sesostris’ I., hat die Altertümerverwaltung gekauft und ummauert. Grabungsmüde sind die Archäologen nicht. Sie vermuten, dass noch viele Geheimnisse tief unter dem Erdreich im Verborgenen schlummern und auf ihre Entdeckung warten. Noch gesucht werden im Heliopolis-Bezirk die Ruinen des in der ägyptischen Mythologie bedeutenden Atum- und Re-Harachte-Sonnentempels sowie das „Haus des Benu-Vogels“. Was damit ursprünglich gemeint war, können auch Ägyptologen nicht mit Bestimmtheit erklären. Fest steht nur, dass der Mythos von Benu mit der Phönix-Legende verbunden ist. Demnach erschien der „Vogel des Lichts“ im Tempel des Sonnengottes von Heliopolis, verbrannte hier in der Glut der Morgenröte und stieg aus seiner eigenen Asche verjüngt wieder zum Himmel empor. Alle 500 Jahre soll sich dieses Wunder wiederholen.

Erinnern wir uns: Sämtliche Marienerscheinungen im Großraum Kairo wurden von „leuchtenden Vögeln“, mutmaßlich „silbrig-weißen Tauben“, begleitet. Gemeinsame Auffälligkeiten zwischen Erscheinungen, die Jahrtausende voneinander trennen, werden Skeptiker als „Zufall“ abtun. Es könnte aber ebenso gut ein Indiz dafür sein, dass sich übersinnliche Phänomene über lange Zeiträume in verschiedenen Facetten offenbaren. Und es könnte darüber hinaus bedeuten, dass manche Erscheinungen zu bestimmten Zeiten immer wieder an ortsgebundenen Heiligtümern geschehen.

Die Heliopolis-Ausgrabungsstätte, derzeit archäologische Sperrzone

KÜNSTLICH ERZEUGTE „WUNDER“?


Paläo-SETI-Forscher und Geologe Dr. Johannes Fiebag (1956–1999)

Wer oder was „aktiviert“ himmlische Wunder? Sind es tatsächlich Gottesbeweise? Oder überirdische Eingriffe? Könnten Eindringlinge aus der Zukunft, aus fremden Welten oder noch unerforschten höheren Dimensionen damit zu tun haben? Fantastische Fragen, die dem 1999 verstorbenen Naturwissenschaftler Dr. Johannes Fiebag schlaflose Nächte bereiteten. Seine Studien führten gemeinsam mit seinem Bruder Peter Fiebag zu einer neuen Bewertung der Marienerscheinungen und UFO-Phänomene. Demnach könnten sie Produkte einer „fremden Intelligenz“ sein, die fähig ist, uns zu besuchen, und einen technologisch so fortgeschrittenen Standard besitzt, der jenseits unserer Vorstellungen liegt. Anders ausgedrückt: Eine unbekannte Superintelligenz versucht mit uns in Kontakt zu treten, indem sie sich auf das „primitive“ menschliche Niveau hinabbegibt. Diese Kommunikation läuft auf verschiedenen Ebenen ab, wobei das „Anzapfen“ unseres kollektiven Unbewussten die wichtigste Ebene ist. Die E. T.s passen sich laut dieser Theorie also menschlichen Vorstellungen, Fantasien, Ängsten, Hoffnungen und der jeweiligen intellektuellen Entwicklung unterschiedlicher Zeiten und Kulturen an.

Johannes Fiebag bezeichnete dieses Verhalten, entlehnt aus der Biologie, als „Mimikry“. Damit gelingt es Tieren, durch „Anpassung“ und „Tarnung“ etwas vorzugeben, was sie in Wirklichkeit gar nicht sind. Übertragen bedeutet dies, eine außerirdische Intelligenz steht in Wechselwirkung mit unserer Psyche und erzeugt scheinbar unerklärliche Phänomene. Wir blicken dabei in einen Art Spiegel, den man uns vorhält, während der wahre Verursacher stets im Verborgenen bleibt.

Eine außerirdische Superintelligenz, die „religiöse Wunder“ bewirkt? Das muss für jeden strenggläubigen Menschen als Gotteslästerung verstanden werden. Folgt man Fiebags provokanter These dennoch, stellt sich eine zentrale Frage: Weshalb in Gottes Namen soll sich eine höhere Macht als leuchtendes Engelwesen oder Gottesmutter tarnen? Warum zeigt sie nicht ihr wahres Gesicht?

Johannes Fiebag vermutet, dass die Erzeugung religiöser Erscheinungen im Sinne „objektiver Projektionen“ einer fremden Intelligenz ein Optimum an verdeckten Eingriffen auf der Erde verschaffen würde. „Die Informationen, die wir erhalten, sind in bildhaften Vorstellungen ‚verpackt‘, und zwar in solchen, die wir selbst uns zu einem gegebenen Zeitpunkt vom Phänomen bzw. von der außerirdischen Intelligenz machen“, erklärte mir Fiebag 1997 in einem Interview und ergänzte: „Auf diese Weise wird gewährleistet, dass a) es während des Kommunikationsprozesses, der letztlich schon über die gesamte Menschheitsgeschichte hin andauert, zu keinen kulturell-religiösen Schockreaktionen kommt, weil das Erscheinungsbild der Fremden uns immer irgendwie, vertraut‘ ist, und b) uns symbolisch verschlüsselte Informationen erreichen, die wir erst zum, richtigen Zeitpunkt‘ werden, lesen‘ können.“

 

Ob man die außerirdische Einmischung in die Entwicklungsgeschichte der Menschheit für Utopie hält oder nicht, einen Vorteil hätte die religiöse Alien-Tarnaktion auf jeden Fall: Göttlichen Erscheinungen wird selten widersprochen!

Himmlische Erscheinungen seit Menschengedenken


Fieberstein

STEINE DER HEILIGEN UND GÖTZEN

Von Himmelssteinen, Mirakelsteinen und versteinerten Launen in der „12-Apostel-Zeche“

„Glaube mir, ich habe es erfahren, du wirst ein Mehreres in den Wäldern finden als in den Büchern; Bäume und Steine werden dich lehren, was kein Lehrmeister dir zu hören gibt.“

Bernhard von Clairvaux (1090–1153) frz. Mystiker, Zisterzienserabt und Kirchenlehrer

Göttersteine und ihre Mythen


Der Elagabal-Tempel von Emesa mit dem heiligen Stein auf einer Münze des 3. Jahrhunderts

Bereits in grauer Vorzeit war die Verehrung rätselhafter Steine von der Aura des Göttlichen und Überirdischen umgeben. Manchem uralten Wunderstein wird eine außerirdische Herkunft zugeschrieben. Die Mythen vieler Völker erzählen von „fliegenden Steinen“, die einst vom Himmel zur Erde fielen oder von engelhaften Wesen hierhergebracht wurden. Die fremden Relikte sind an heiligen Plätzen in Tempeln verehrt worden oder galten als „beseelte Wohnstätte“ eines bestimmten Gottes. Es heißt, Orakelpriester der Antike konnten die in diesen „Göttersteinen“ innewohnende Magie aktivieren, um mit überirdischen Ratgebern in Kontakt zu treten. Der Omphalos-Stein im Apollon-Heiligtum in Delphi, der altägyptische Urobelisk Benben in Heliopolis, der Chaabu-Stein der Nabatäer im jordanischen Petra, der schwarze Götterstein des antiken Sonnengottes Elagabal aus der syrischen Stadt Emesa (heute Homs) oder der Lingam-Stein des Hindugottes Shiva sind bekannte Beispiele dafür.

DIE BIBLISCHE HIMMELSLEITER

Obwohl sich das Alte Testament gegen Steinkulte wendet, findet sich ebenso in der Bibel die uralte Vorstellung vom Stein als „Gottes Haus“. Im 1. Buch Mose (Gen 28, 11–22) wird eine Begebenheit geschildert, die sich nördlich von Jerusalem im 18. Jahrhundert v. Chr. zugetragen haben soll.

Demnach schlief Patriarch Jakob (der Enkel des legendären Abraham, den Judentum, Christentum und Islam als Stammvater ansehen) auf einem Stein ein. In der Nacht erfasste ihn die Vision einer Himmelsleiter, auf der „Engel Gottes auf- und niederstiegen.“ Nichts mehr als ein Traumgespinst, würden Psychologen heute versichern. Aber woher will man das felsenfest wissen? Jedenfalls wachte Jakob am nächsten Morgen erschrocken, aber mit einer neuen Erkenntnis auf: „Ja, das ist der Wohnsitz Gottes und die Pforte des Himmels!“ Der Traum muss für ihn sehr real gewirkt haben. Wie sonst wäre es zu erklären, dass Jakob vor lauter Ehrfurcht den Stein, der ihm als „Kopfpolster“ diente, mit Öl salbte? Jakobs Gelübde lautete: „ … Dann soll der Stein, den ich als Steinmal aufgestellt habe, ein Gotteshaus werden.“ Den Erscheinungsort, der früher Lus hieß, nannte er Bet-El. Es ist der hebräische Begriff für „Gotteshaus“ und ebenso für Steine, die mit dem Göttlichen in Verbindung stehen oder selbst als „nicht irdisch“ verehrt wurden.

Darstellung des schlafenden Jakob mit der Himmelsleiter im Hintergrund (Lutherbibel, um 1534)

Die „Skystones“ aus Sierra Leone

Der Glaube, dass Steine den heiligen Platz einer himmlischen Erscheinung markieren und als Mittlerfunktion zwischen Menschen und einer höheren Gottheit dienen, beschränkt sich nicht auf das Altertum. Eine Mythologie über „Menschen in Stein“ und „Himmelssteine“ wird bei den westafrikanischen Volksgruppen der Mende, Kono und Kissis in Sierra Leone noch heute „lebendig“ gehalten. Bizarr aussehende Steinskulpturen, Nomoli genannt, kamen überraschend bei Feldarbeiten und bei Grabungen nach Diamanten zum Vorschein. Die merkwürdigste Figur wurde in einer Tiefe von 50 Metern entdeckt und enthielt in ihrem Inneren eine Metallkugel, die nur wenige Zentimeter misst. Alter und Herkunft der zehn bis 40 Zentimeter großen Figuren sind nicht geklärt. Die Einheimischen, vorwiegend muslimische Sunniten, behaupten, dass die Skulpturen „himmlische Wesen“ verkörpern, die vor Urzeiten in göttliche Ungnade fielen. Allah hätte die frevelhaften Engel erzürnt in Steine verwandelt und zur Erde verbannt. Der Mythos berichtet weiter, dass der „Himmel“, den diese Wesen bewohnten, ebenfalls zu Stein erstarrte und in Form von Trümmern auf die Erde fiel. Selbst die Sterne, die sich in diesem „Himmel“ befanden, sollen im göttlichen Zorn zerstört worden sein.


Nomoli-Steinskulpturen unbekannter Herkunft

Die „Skystone“-Analyse zeigt einen hohen Iridiumgehalt.

Mit der Überlieferung werden blaue Gesteinsbrocken verknüpft, sogenannte „Skystones“. Die Steine wurden besonders zahlreich im Umfeld der Hauptstadt Freetown gefunden. Proben davon sind an Instituten und Universitäten in Genf, Rom und Wien mittels Röntgenstrahlung analysiert worden. Das Ergebnis überrascht: Die Steine sind keine natürlichen, sondern künstlich geschaffene Produkte (siehe Farbteil Seite 69 oben).

Mineralogen nehmen an, dass gebrannter Kalk mit blauer, organischer Farbe eingefärbt und mit Wasser vermischt wurde. Wie aber kommen große Mengen dieses blauen Materials ins tiefe Erdreich? Der Verdacht der Experten: Die Steine könnten durch eine industrielle Fehlproduktion entstanden sein. Kalkgruben wurden vielleicht absichtlich oder durch einen Erdrutsch zugeschüttet. Dort blieben die Steine dann jahrzehntelang verborgen, ehe sie bei Grabungen wiederentdeckt wurden und mit der alten Legende verschmolzen.

So lautet kurz gefasst die These. Was die Wissenschaftler allerdings nicht erklären können: Wieso enthalten die Fundstücke Iridium? Das chemische Element kommt nur in sehr geringer Konzentration auf der Erde vor. Erhöhte Mengen finden sich hingegen in Sedimentschichten, die mit einem Meteoriteneinschlag im Zusammenhang stehen. Vergleichsfunde zu den „Himmelssteinen“ sind nirgendwo bekannt. Niemand kann sagen, wer diese Kunstprodukte wann und wo geschaffen hat.

Der Schwarze Stein an der Kaaba
DIE UR-KAABA

Der heiligste Kultstein der islamischen Welt ist der Hadschar al-Aswad, der „Schwarze Stein“ zu Mekka in Saudi-Arabien. Alljährlich kommen Millionen Muslime in die Geburtsstadt ihres Propheten Mohammed (um 570–632 n. Chr.). Ziel des größten Pilgerzuges der Welt, der Haddsch (arabisch hadj), ist ein würfelförmiges Gebäude – die heilige Kaaba – im Innenhof der Al-Masdschid-al-Harām-Moschee. Die täglichen Gebete der Muslime in aller Welt sind immer nach dieser heiligen Kaaba mit dem „Schwarzen Stein“ ausgerichtet.

Was aus christlich-abendländischer Sicht überrascht: Gemäß islamischer Tradition hat die Ur-Kaaba bereits seit Anbeginn der Menschheit existiert. Adam, Stammvater aller Menschen, soll sie nach dem Sündenfall in Mekka errichtet haben. Der Bauplan und die Stelle dafür waren nach göttlicher Anweisung festgelegt: Sie musste exakt unterhalb der im „hohen Himmelsdache“ bestehenden Original-Kaaba „Bait al-Mamur“ errichtet werden. Der erdferne Ort konnte nur von Engeln besucht werden. War er im oder am Himmel? Ist damit gesichert das Jenseits gemeint oder ließe sich „Himmel“ ebenso mit „Weltall“ oder „Universum“ übersetzen? Wie könnte das Baukunst-Doppel nach streng göttlicher Vorgabe auf Erden in die Praxis umgesetzt worden sein? Der Koran gibt dazu keine erhellende Auskunft. Das Unwissen beflügelt die Fantasie.

Die Al-Masdschid-al-Harām-Moschee mit der Kaaba in Mekka

Die Heilige Kaaba in Mekka

Überliefert ist lediglich, dass der Bau der irdischen Ur-Kaaba glückte. Zumindest bis zur Sintflut, die im Koran mehrmals Erwähnung findet. Der Tempel zerfiel, versank und geriet schließlich in Vergessenheit. Nach der Flutkatastrophe erbauten Abraham und sein Sohn Ismael im Auftrag Allahs ein neues „Haus Gottes“. Überirdischen Beistand lieferte der Engel Gabriel. Er wurde zur Erde gesandt und überreichte dem Patriarchen einen Stein der Original-Kaaba. Nach anderer Version war das Relikt einst vom Himmel in den Garten Eden gefallen. Weiter erfahren wir, dass dieser Stein anfänglich „weiß wie Milch“ gewesen sein soll. Erst durch die Sünden der Menschen, so glauben manche Muslime, habe sich das göttliche Geschenk schwarz verfärbt. Eine gesicherte islamische Quelle, die das bestätigt, gibt es allerdings nicht.

Einmal mehr zeigt sich das Problem bei der historischen Wahrheitsfindung: Religiöse Überlieferungen mit ihrer verborgenen Symbolik lassen sich nur schwer mit den Mitteln wissenschaftlicher Beweisführung überprüfen.

ABSTRAKTE ARCHITEKTUR

Ungewiss bleibt die ursprüngliche Architektur der Kaaba. Das Heiligtum der Gegenwart ist die x-te Kopie und stammt aus dem 17. Jahrhundert. Einsturzgefährdende Mauerschäden infolge gewaltiger Überschwemmungen veranlassten Sultan Murad IV. (1612–1640) zum Neubau. Der „Würfel Gottes“ von heute besteht aus Granit und Marmor, ist 15 Meter hoch, thront auf einem Sockel und misst im Grundriss etwa 12 mal 10 Meter. Die Ecken sind nach den vier Himmelsrichtungen ausgerichtet und ein schwarzes Brokattuch, Kiswa genannt, verhüllt den fensterlosen Gottestempel.

Die goldene Eingangstür ins Innere der Kaaba ist fast immer versperrt. Nur an zwei Tagen im Jahr wird sie für ein Reinigungsritual geöffnet. Was vor neugierigen Blicken geschützt werden muss, enthält außer erhabener Leere nicht viel. Eine kleine Kammer, die als „Bußeraum“ bezeichnet wird, mit Marmor verkleidete Wände mit Koranversen, zwei Hängelampen und drei Holzsäulen, die vom Boden bis zur Decke reichen, um die Kaaba statisch abzusichern.