Arbeiten in der Tagesschule (E-Book)

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3.2 Für den Betreuungsschlüssel 1:10 braucht es einen freien Kopf

In den firmeninternen Qualitätsstandards der K&F KiTS GmbH ist der Betreuungsschlüssel von einer Betreuungsperson pro zehn gewichtete Plätze festgehalten, wobei Kindergartenkinder mit eineinhalb Plätzen gewichtet werden. Für Kinder mit mehr Betreuungsaufwand gibt es hingegen keine zusätzliche Gewichtung. Im Vergleich mit den Richtlinien anderer Einrichtungen im Kanton sind diese Vorgaben arbeitnehmer- und kinderfreundlich. Der Kanton Aargau macht keine Vorgaben zum Betreuungsschlüssel.

«Wir versuchen, dass in diesem Betreuungsschlüssel wirklich nur die Betreuungsarbeit enthalten ist und nicht noch zusätzlich die Arbeit in der Küche. Der Schlüssel 1:10 ist realistisch, aber dann muss der Kopf frei und alles andere erledigt und organisiert sein.»

In Abhängigkeit von der jeweiligen Situation kann es sein, dass der Betreuungsschlüssel unter- oder leicht überschritten wird. Bei tiefen Kinderzahlen, zum Beispiel in der Früh- oder Ferienbetreuung, kommt es zu finanziellen Engpässen. Wenn weniger als vier Kinder angemeldet sind, schauen die Leiterinnen mit den Eltern, ob die Betreuungssituation anders gelöst werden kann. Dies kann dazu führen, dass die Tagesstrukturen in der Ferienzeit für einen Tag geschlossen bleiben, was jedoch die Ausnahme ist. Falls nur irgendwie möglich, werden alle geplanten Angebote durchgeführt.

Bei einer zeitlich beschränkten Überschreitung des Betreuungsschlüssels muss stets die Kinderkonstellation berücksichtigt werden.

«Wenn wir viele Kinder haben, die mehr Aufmerksamkeit brauchen würden, dann geht der Betreuungsschlüssel 1:10 nicht. Die anderen Kinder kämen zu kurz. Das ist die grosse Herausforderung. Unser Vorteil ist unser starkes Team mit Mitarbeitenden, die über profunde Berufserfahrung verfügen.»


Abbildung 2: Teenie-Haus in den Tagesstrukturen Untersiggenthal (Foto: Tagesstrukturen Untersiggenthal)

3.3 Ein fester Arbeitsplan hat Vorteile für alle

Antonia Näf ist verantwortlich für die Arbeitsplanung ihres Teams. Seit sie mit Karin Leutwyler die Leitung der Tagesstrukturen Untersiggenthal übernommen hat, hat sich viel verändert. Als die Tagesstrukturen noch als Verein organisiert waren, waren mit Ausnahme der Leitung alle Mitarbeitenden im Stundenlohn angestellt. Die kleinen Pensen waren aufgeteilt auf mehrere Tage, und der Arbeitsplan wurde bedarfsmässig angepasst. Der Leitungs- und Trägerschaftswechsel hat zu deutlichen Verbesserungen geführt. Die Trägerschaft verlangte eine Änderung der Anstellungsverhältnisse weg vom Stundenlohn hin zu Festanstellungen mit einem regulären Monatseinkommen.

«Wir versuchen, für unsere Mitarbeitenden optimale Arbeitsbedingungen zu schaffen. Wir haben einen fixen Arbeitsplan, den wir einmal pro Jahr zusammenstellen und der grundsätzlich für die Mitarbeitenden über das Schuljahr gleich bleibt. Dabei gehen wir so gut wie möglich auf die Bedürfnisse der Mitarbeitenden ein, um die Arbeitszeit auf ihre private Situation abzustimmen. Mitarbeitende mit Kindern im Schulalter werden bei der Planung prioritär behandelt. Wir Leitungspersonen können uns erlauben, ab und an früher in den Feierabend zu gehen. In der Betreuung ist dies mit einem grösseren Planungsaufwand verbunden. Deshalb soll der Arbeitsplan so stimmig wie möglich sein. Dies wird vom Team sehr geschätzt.»

Die Vorteile, die sich aus dem festen Arbeitsplan ergeben, sind für Antonia Näf einerseits seitens der Mitarbeitenden und andererseits aufseiten der Kinder spürbar. Die Mitarbeitenden können sich ihres Lohnes sicher sein. Bei Anstellungen im Stundenlohn kommt es vor, dass Mitarbeitende unnötig länger in Tagesstrukturen bleiben, damit mehr Arbeitsstunden aufgeschrieben werden können und ein höheres monatliches Einkommen dadurch resultiert. Den Kindern und dem Team geben konstante und längere Diensteinsätze mehr Orientierung und Struktur.

«Ich finde es für die Teamstimmung sehr wichtig, dass alle Mitarbeitenden fest angestellt sind. Ich kann nicht nachvollziehen, warum nicht an Festanstellungen festgehalten wird, wenn mit Jahresarbeitszeiten die Anstellungsprozente berechnet werden können. Während des Schuljahrs kann es zu kleinen Anpassungen der Arbeitspensen kommen. Unter Berücksichtigung des Betreuungsschlüssels besteht diesbezüglich Handlungsspielraum.»

Da die Kinderzahlen über die letzten Jahre relativ konstant geblieben sind, gab es bei den Arbeitspensen nur kleine Anpassungen. Der Arbeitsplan gibt Auskunft über die Arbeitszeit der einzelnen Mitarbeitenden, die Anzahl betreuter Kinder und über den Betreuungsschlüssel der verschiedenen Module. In einer Excel-Tabelle wird der Betreuungsschlüssel automatisch eingefärbt, in Abhängigkeit von der Kind-Erziehenden-Relation. Sind bei einer relativ hohe Anzahl anwesender Kinder zu wenig Betreuerinnen und Betreuer einem Dienst zugeteilt, erhält das Excel-Feld des Betreuungsschlüssels eine Signalfarbe, um das ungünstige Verhältnis zu verdeutlichen. Wenn eine Betreuungsperson ausfällt, hat dies direkte Auswirkungen auf den Betreuungsschlüssel. Die erforderlichen Massnahmen können unmittelbar getroffen werden. Auch die gesetzlich vorgeschriebenen Mindestpausen sind im Arbeitsplan festgehalten und fix eingeplant. So werden diese Pausenzeiten auch wirklich eingehalten. Die Mitarbeitenden in den Tagesstrukturen verbringen ihre Pausen oft zu Hause, da sie mehrheitlich in der Nähe wohnen.

Weil die Mitarbeitenden in der Ferienbetreuung weniger Stunden arbeiten als während der Schulwochen, wird mit Jahresarbeitszeiten gerechnet. In der Excel-Tabelle zur Zeiterfassung werden die Arbeitszeiten während der Schulwochen und der Ferienbetreuung sowie die Ferien vorgängig festgehalten. Dadurch wird ersichtlich, ob die Ist- und die Soll-Arbeitszeiten übereinstimmen, wodurch die Jahresplanung erleichtert wird. Die Mitarbeitenden können untereinander Arbeitseinsätze tauschen. Die eigene Zeitabrechnung müssen sie selbst im Blick behalten. Dazu gibt es im Zeiterfassungstool eine Spalte für den aktuellen Stundensaldo und eine für den Stundensaldo per Ende des Schuljahres. Diese Excel-Tools haben die Leiterinnen und die Trägerschaft gemeinsam entwickelt.

«Ich glaube, die guten Arbeitsbedingungen, die wir hier geschaffen haben, erlauben es den Mitarbeitenden, im Vorfeld ihre Arbeitseinsätze und Ferien wie auch Pikettdienste während der Ferienbetreuungen zu planen.»

Die Ferienbetreuung wird von den Mitarbeitenden geschätzt, da sie eine Abwechslung zum hektischen Alltag während der Schulwochen mit grossen Kindergruppen bietet. Antonia Näf meint dazu:

«Man hat dann auf einmal genügend Zeit, um sich um die einzelnen Kinder zu kümmern und ein Programm zusammenzustellen, das ihren Bedürfnissen entspricht […]

Während der Ferienbetreuungen schreiben die Mitarbeitenden ihren eigenen Arbeitsplan. Das wird geschätzt. Es gibt ein paar Rahmenbedingungen, die eingehalten werden müssen. Vom Organisationsteam sollte immer jemand anwesend sein. Ansonsten besteht grosser Handlungsspielraum, und es gibt keine Vorgaben, bis wann der Arbeitsplan zu erstellen ist. Wenn die Kinderzahlen definitiv sind, kann es vorkommen, dass das Leitungsteam, die Springerin oder der Springer noch zusätzlich eingeteilt werden […]

Grundsätzlich besteht hinsichtlich der Arbeitsplanung viel Freiraum, wenn die Struktur und Rahmenbedingungen im Voraus präzise definiert werden. Ein funktionierendes Planungskonzept zu kreieren, ist zu Beginn mit grossem Aufwand verbunden. Danach müssen nur noch kleine Anpassungen vorgenommen werden. Das lohnt sich sowohl für mich als Co-Leiterin als auch für die Mitarbeitenden. Mit dem Erfahrungsschatz der vergangenen Jahre gelingt die rechtzeitige und adäquate Planung der Personaleinsätze aktuell sehr gut.»

3.4 Mittelbare Arbeitszeit: Vor- und Nachbereitung, Teamsitzungen, Austausch

In den Tagesstrukturen Untersiggenthal hat jede Person des Betreuungsteams 0,75 Stunden pro Woche für die Vor- und Nachbereitung zur Verfügung, unabhängig vom jeweiligen Arbeitspensum. Gemäss Antonia Näf reicht dieses Zeitfenster nicht immer aus, um alles zu erledigen, was es zu planen gibt.

Die Tagesarbeit organisiert das Betreuungsteam mit einem Plan, in dem sich jede Betreuungsperson für einen spezifischen Aufgabenbereich entscheiden kann. Die Person mit der Tageskontrollliste der Kinder hat dabei den Überblick. Es wird jedoch keine Tagesverantwortung definiert. Nach dem Mittag, wenn die meisten Kinder in der Schule sind, tauschen sich die Mitarbeitenden aus und planen die Aufgabenverteilung für den Nachmittag. Neben der alltäglichen Aufgabenverteilung hat jede Betreuungsperson einen festen Bildungsbereich, für den sie die Verantwortung trägt.

Die Teamsitzungen der Tagesstrukturen Untersiggenthal finden einmal monatlich statt und dauern rund zwei Stunden. Sie werden von den Co-Leiterinnen organisiert und vorbereitet. Die Betreuungspersonen erhalten eine Einladung mit der Traktandenliste. Gewisse Programmpunkte verlangen von den Mitarbeitenden eine kleine Vorbereitung. Die meisten Themen, die es zu diskutieren gibt, sind dem Team jedoch bekannt, da sie das daily business widerspiegeln. Es können auch eigene Anliegen eingebracht werden. Die Beschlüsse der Teamsitzungen werden in einem Protokoll festgehalten, und für Pendenzen wird eine Pendenzenliste geführt.

«Wir merken, dass nach drei Jahren die organisatorischen Abläufe generell aufgegleist und nur noch kleine Änderungen nötig sind. Jetzt können wir uns viel mehr auf pädagogische Themen fokussieren.»

 

3.5 Wünsche und Visionen für die schulergänzende Bildung und Betreuung

Die Co-Leiterin Antonia Näf wünscht sich für ihre Tagesstrukturen, dass sie grössere finanzielle Unterstützung, unter anderem von der Gemeinde, erhalten würde. Sie versteht die Tagesstrukturen als Standortvorteil für die Gemeinde. Mit diesem Betreuungsangebot haben beide Elternteile die Möglichkeit, arbeiten zu gehen, und erfahren Unterstützung in der Betreuung. Einen Unterstützungsbeitrag könnte die Gemeinde mit Mietreduktionen oder finanziellem Support der wenig beanspruchten Angebote leisten. So könnte kostendeckend gearbeitet werden, und schwach belegte Module müssten nicht durch stark belegte Module quersubventioniert werden. Zudem bestünde die Möglichkeit, die kinderfreie Zeit der Mitarbeitenden auszudehnen, zum Beispiel für die Vor- oder Nachbereitung.

«Was von den Mitarbeitenden oft gewünscht wird, ist mehr Zeit für Vor- und Nachbereitungsaufgaben oder für den gegenseitigen Austausch. Wir würden begrüssen, hierbei finanzielle Unterstützung zu erhalten. Die Vor- und Nachbereitungszeit ist aktuell sehr knapp, aber derzeit ist eine Ausdehnung nicht finanzierbar.»

Antonia Näf wünscht sich eine Obergrenze für die Gruppengrössen. In Anbetracht der Räumlichkeiten sind die Gruppen in ihren Tagesstrukturen zu gross. Vor allem die Lärmemissionen über die Mittagszeit sind anspruchsvoll für die Kinder wie für das gesamte Team. Bedauernswerterweise kennt der Kanton Aargau keinerlei Vorgaben zu den Rahmenbedingungen einer Tagesstruktur, die mit guter Qualität geführt wird. Im Kanton Aargau legen die Gemeinden die Qualitätsstandards für die familien- und schulergänzende Kinderbetreuung fest. Die Gemeinden haben sozusagen eine Doppelrolle, indem sie einerseits als Subventionsgeberinnen auftreten und andererseits Qualitätsprüfungen durchzuführen haben. Den Spagat zwischen finanzieller Rentabilität und realistischen Rahmenbedingungen zur Sicherstellung von Qualitätsstandards zu schaffen, ist kein leichtes Unterfangen. Von Vorteil wäre eine Trennung der zuständigen Instanzen. Dabei könnte der Kanton die Rahmenbedingungen zur Qualitätssicherung vorgeben, und die Gemeinden würden den Part als Subventionsgeberinnen übernehmen. Qualitätssicherung und finanzieller Support wären somit institutionell getrennt.

Antonia Näfs Vision ist eine intensivere Zusammenarbeit der beiden Betreuungsformen von Kindertagesstätten und Tagesstrukturen, zum Beispiel im Bereich der Ausbildung zur Fachfrau respektive zum Fachmann Betreuung Kind. Der Fachkräftemangel ist auch im Kanton Aargau spürbar, da immer mehr gut ausgebildetes Fachpersonal gesucht wird. Für die Auszubildende in den Tagesstrukturen Untersiggenthal konnte eine gute Lösung gefunden werden, indem sie und die Auszubildende der Kindertagesstätte im Dorf für ein halbes Jahr den Ausbildungsort getauscht haben.

3.6 Starkes Team und starke Trägerschaft

Antonia Näf ist überzeugt, dass die Arbeit in der schulergänzenden Bildung und Betreuung äusserst anspruchsvoll ist.

«Ohne unser starkes Team würden wir bezüglich der Arbeitsbedingungen eher an unsere Grenzen stossen. Mit dem Festhalten an gemeinsamen Werten ist das pädagogisch bestens ausgebildete Leitungsteam in der Lage, die Tagesstrukturen zu steuern und zu lenken, was zu grosser Zufriedenheit und Stimmigkeit führt. Dies spürt nicht nur das Team, das spüren auch die Kinder in den Tagesstrukturen und die Erziehungsberechtigten, die uns ihre Kinder anvertrauen.»

Bei grossen Tagesstrukturen sind eine pädagogische Qualifikation und eine Führungsausbildung essenziell, um optimale Arbeitsbedingungen sicherzustellen. Die professionelle Trägerschaft hat massgeblich zu den aktuellen Bedingungen beigetragen.

«Wenn man keine professionelle Trägerschaft hat, verpuffen viele finanzielle und personelle Ressourcen. Hier in den Tagesstrukturen Untersiggenthal können wir uns auf das Kerngeschäft konzentrieren, da die Trägerschaft professionell ist und über viel Fachwissen in diesem Bereich verfügt.»

3.7 Literatur

KiBeG (2016). Gesetz über die familienergänzende Kinderbetreuung, SAR 815.300. Aarau: Grosser Rat des Kantons Aargau.

4 Chance Schul(um)bau – Bildungs- und Lebensräume für den Ganztag

Unterwegs zu einer nachhaltig zukunftsfähigen Gestaltung und Nutzung von Räumen und Infrastruktur, wo alle sich wohlfühlen und gut arbeiten können

Ueli Keller, Željko Marin

In diesen Beitrag sind Teile von diversen Publikationen und Präsentationen eingeflossen, die den vielfältigen Erfahrungen und Reflexionen der beiden Autoren zum Thema «Bildung und Raum» entsprechen (vgl. Keller, 2014, 2018; Keller & Marin, 2018; Marin & Keller, 2018). Sie sind von ihnen für diesen Beitrag aktualisiert sowie einmalig neu und speziell zusammengestellt worden, dies im Sinne einerseits eines Originals, das anderseits dynamisch veränderungsfähig bleibt.

Spielen und bewegen, rutschen und sausen, flexibel und beweglich sein!

Wählen, wann ich wo und was mit wem lernen will!

Textauszug aus dem Beitrag einer Primarschulklasse zum Thema «Traumschule» (Basel, 2014)


Abbildung 1: Stadtteil-Tageskindergarten in Tokio für über 500 Kinder Tezuka Architects, Tokio (Foto: Katsuhisa Kida)


Abbildung 2: Der Weg, den ein Kind in den ersten 15 Minuten, sich frei bewegend und lernend, zurückgelegt hat. Tezuka Architects, Tokio


Abbildung 3: Blick in den Innenraum. Tezuka Architects, Tokio (Foto: Katsuhisa Kida)

4.1 Grundsätzliche Herausforderungen an den Tagesschulbau

Schulen werden oft sehr teuer neu, aus- oder umgebaut. Aber oft nicht für eine Bildung für die Zukunft. Das ist grundsätzlich so. Und nicht nur im Hinblick auf die Entwicklung von Tagesschulen. Bei bereits gebauten Schulen wird das Potenzial, das in den Aussen- und Innenräumen steckt, häufig nicht beachtet. Um bestehende Schulbauten an die sich wandelnden Bedürfnisse anzupassen und die Bauten nachhaltig zu gestalten, fehlt oftmals nicht viel. Zeitgemässer und sinnvoller Schulbau, ob alt oder neu, verlangt heute nach einem pädagogischen Konzept, das Bildung und Betreuung umfasst.

Wie die Umsetzung eines pädagogischen Konzepts durch die Raumgestaltung unterstützt werden kann, ist in diesem Zusammenhang eine entscheidende Frage. Die Fragestellung greift jedoch zu kurz, wenn es dabei nur um ein einziges und für alle Zeiten gültiges Konzept gehen soll. Dies ist ein Paradox, wie die Vorstellung, mit einer einzig richtigen Bildungsorganisation den Bedürfnissen aller Schülerinnen und Schüler und denjenigen aller Betreuungs- und Lehrpersonen in demselben Ausmass dauernd gerecht zu werden.

Bei der Tagesschulentwicklung können im Sinne von Prototypen mit fliessenden Übergängen vier Modelle als Orientierung dienen (siehe Abbildung 4).


Abbildung 4: Die vier Modelle der Tagesschulentwicklung (Keller, 2012)

4.2 Berücksichtigung von Bedürfnissen und Ideen

Die perfekte Tagesschule gibt es nicht. Die Vorstellung einer besten und allgemeingültigen Form ist weder lern- noch lebensfreundlich. Statt nach der besten Schule zu verlangen, sollte die Fragestellung lauten: «Welche Bildungsorganisation passt zu uns und ist mit den Ressourcen realisierbar, die uns dafür zur Verfügung stehen?» Das Vorgehen, wie sich diese Schule Schritt für Schritt entwickelt, ist entscheidend für die spätere Nutzung der Räume.

Auf Partizipation zu setzen, ist hierbei lohnenswert. Die angestrebte permanente Partizipation kann nur realisiert werden, wenn Räume mit möglichst wenig Aufwand umzustrukturieren sind. Nur so können die unterschiedlichen Interessen, Talente und Entwicklungsthemen aller Beteiligten gemäss bestehenden und zukünftigen Bedürfnissen dynamisch berücksichtigt werden. Schlüsselkompetenzen dafür sind Kooperation und Kokreation, Letzteres verstanden als transdisziplinär gestaltetes Prozessmanagement, das bei der Ideenfindung, Meinungsbildung und Entscheidung auf einen Konsens abzielt, und dies so, dass Erfahrungen, Positionen und Wissen der Beteiligten im Sinne einer kollektiven Intelligenz bestmöglich nachhaltig zukunftsfähig genutzt werden können.

Im Planungsprozess von Aus-, Um- oder Neubauten sollten die beteiligten Parteien eine Betriebsbeschreibung vornehmen, bevor das Projekt in Form eines Architekturwettbewerbs ausgeschrieben wird. Welche Form von Bildungsorganisation soll mit dem Bauprojekt unterstützt werden? Wozu sollen sich die einzelnen Räumlichkeiten eignen? Diese und weitere Fragestellungen sollten alle Verantwortlichen gemeinsam klären. Zu diesem Verantwortungsgremium zählen die Behörden und die Politik, die Lehr- und Betreuungspersonen, die Schulleitung, Eltern, aber auch die Kinder, welche die Räumlichkeiten später hauptsächlich nutzen werden. Willenskraft ist die erste Gelingensbedingung. Wenn die Verantwortlichen eine Tagesschule machen sollen und nicht machen wollen, lässt sich kein optimaler Lern- und Lebensraum für alle Beteiligten und Betroffenen gestalten.

Die Schule als Tagesschule eröffnet anforderungs- und chancenreiche, neue Handlungsfelder, dies unter anderem im Hinblick auf eine massgeschneidert bedarfsorientierte, kreative Nutzung von Innen- und Aussenräumen sowie von Infrastruktur. Wichtig für die Nutzerfreundlichkeit ist bei der Raumgestaltung eine permanente und nachhaltige Partizipation aller Beteiligten und Betroffenen. Wenn Räume mit möglichst wenig Aufwand einfach und zweckmässig veränderungsfähig sind, können unterschiedliche Interessen und Talente immer wieder neu berücksichtigt werden. Es entsteht eine Dynamik, die bestehenden und künftigen Bedürfnissen entspricht.

Pragmatische und ästhetische Kreativität durch eine vielfältige Raumnutzung

Vorschulheilpädagogischer Dienst, Birsfelden

Slavica Marin, Andreas Marin, Željko Marin:


Abbildung 5: Handlungsspielraum zwischen Bausubstanz und Möblierung


Abbildung 6: Balance zwischen stabil strukturierten und frei gestaltbaren Räumen


Abbildung 7: Aktivität und Aufenthalt im Einklang

4.3 Know-how transdisziplinär vernetzt zum Tragen bringen

Einer von zahlreichen Gründen, warum der Bildungsbau neue Impulse braucht, sind überholte Richtlinien und Standards. Rigide gesetzte Standards sind sowohl für die Bildung als auch für die Architektur kontraproduktiv. Beim Lernen können sie die Energie bremsen, die für kreative und individuell optimale Lösungen benötigt wird. Wie für die Bildung gilt dies auch für die Architektur. Schulbau orientiert sich oft an Standards, die quantitativ eng festgelegt sind, wie zum Beispiel Quadratmeterzahlen, Anzahl und Art der Räume. Solcherart basierte Planungen vermitteln trügerische Sicherheiten. Sie verführen zur Beibehaltung von Gewohntem und zu Nachahmerei, anstatt zum optimalen Bauprojekt jeder Schule individuell für sich beizutragen. Für nutzerfreundliche, zukunftsorientierte Lösungen braucht es für jedes Schulbauprojekt spezifische Anforderungen und individuell darauf abgestimmte Organisations- und Raumkonzepte, die gemeinsam von allen Beteiligten zu erarbeiten sind. Um die Kosten unter Kontrolle zu halten, braucht es selbstverständlich nicht nur bei der Bildung, sondern auch beim Schulbau einen qualitativen und quantitativen Orientierungsrahmen, der für jedes Bauprojekt speziell interpretierbar sein muss. Es sind aber auch generell gültige Mindestanforderungen zu definieren, die auf keinen Fall unterschritten werden dürfen.

 

Das A und O, wenn eine Schule neu gebaut oder umgebaut wird, ist ein von Bildung und Architektur transdisziplinär angelegter Planungsprozess, der auf einem pädagogisch begründeten Betriebs- und Raumkonzept basiert. Ein für den Wandel geeigneter Schulbau unterstützt die Umsetzung anspruchsvoller, komplexer Aufgaben. Er ist anpassungsfähig für Spezifikationen durch die Nutzerinnen und Nutzer. Mit jeder Schülergeneration sollte der Schulbau auf Tauglichkeit und Nutzenstiftung überprüft und bei Bedarf angepasst werden. Der Schulbau entspricht damit einer offenen, entwicklungsfreundlichen Bildungskonzeption.

Eine akustisch wirksame Raumgestaltung

Mittagstisch Bürgerliches Waisenhaus Basel

Željko Marin


Abbildung 8: Lärm beeinflusst nicht nur das soziale Klima, sondern auch das Verhalten.


Abbildung 9: Das Verhalten kann durch ein entsprechendes Ambiente und raumakustische Verhältnisse günstig beeinflusst werden.


Abbildung 10: Eine günstige Raumakustik kann auch Stressreduktion bewirken.

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