Arbeiten in der Tagesschule (E-Book)

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2.2 Arbeitsorganisation: Arbeitszeiten und -pensen

Die Frage der Arbeitsorganisation umfasst einen ganzen Fächer von Themen, von den Arbeitsabläufen zur Teamzusammenarbeit und zu pädagogischen Fragen – beispielsweise ob in offenen Gruppen, altersdurchmischt oder in geschlossenen Gruppen gearbeitet wird u.a.m. Hier soll die Frage jedoch nur im Hinblick auf die Anstellungsbedingungen untersucht werden. Im Übrigen sei auf die weiteren Beiträge im vorliegenden Buch verwiesen.

Wie oben erwähnt, ist das modulare System mit den beiden strikt getrennten Bereichen Schule auf der einen und Betreuung auf der anderen Seite in der Schweiz vorherrschend. Die Betreuungsangebote werden um den Schulalltag herumarrangiert und müssen sich an ihn anpassen, mit Morgenbetreuung, Mittagstisch und Nachmittagsbetreuung, mit jeweils neu und anders zusammengesetzten Kindergruppen. Für das Betreuungspersonal führt das zu zerstückelten und/oder kleinen Pensen, die über die ganze Woche verteilt sein können. Es gibt kaum Vollzeitstellen, und der Anteil an Teilzeitstellen mit Pensen unter 50 Prozent ist überdurchschnittlich hoch. In einer Branche, wo sich die Löhne im mittleren bis unteren Bereich bewegen, bedeutet das, dass ein grosser Teil der Beschäftigten – grossmehrheitlich Frauen – nicht von der Arbeit leben kann und in diesem Bereich auch keine Perspektive auf Verbesserung erhält.

Damit ist die Abwanderung von qualifizierten Arbeitskräften in andere Bereiche vorprogrammiert – spätestens, wenn die eigenen Kinder grösser sind oder sonst ein Wechsel in den persönlichen Verhältnissen ansteht. Kleine Pensen kommen zwar manchen Frauen in bestimmten Lebenssituationen entgegen, sie sind aber generell keineswegs eine Möglichkeit zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf (wie immer wieder behauptet wird), sondern im Gegenteil der deutliche Beweis, dass Vereinbarkeit für Frauen in vielen Fällen nur um den Preis hoher Flexibilität und niedriger Löhne zu haben ist.

Zwar gibt es keine belastbaren Statistiken zur Fluktuation im Bereich der schulergänzenden Betreuung, aber zumindest Hinweise, dass die Verweildauer kürzer ist als wünschenswert.9

Eine Verbesserung in dieser Frage setzt ein grundlegendes Umdenken in Bezug auf die Organisation der schulergänzenden Betreuung voraus. Qualifiziertes Personal braucht Entwicklungsmöglichkeiten und die Option, Vollzeit oder in einem hohen Anstellungspensum zu arbeiten. Grundsätzlich ist eine Arbeitsorganisation, bei der eine Vollzeitanstellung faktisch ausgeschlossen ist und die Minijobs im Stundenlohn fördert, aus gesellschaftlicher und gleichstellungspolitischer Perspektive nicht akzeptabel. Mittelfristig sollte daher die strikte Trennung von Schule und Betreuung abgebaut werden. Das Betreuungspersonal sollte schulische Funktionen übernehmen können, sodass ein Vollzeitpensum oder ein Lohn möglich ist, der zum Leben reicht.

Diese notwendige Entwicklung der schulergänzenden Betreuung drängt sich keineswegs nur aus Sicht der Anstellungsbedingungen auf, sondern genauso aus grundsätzlichen Erwägungen zur Schulqualität und wird von Fachleuten schon lange gefordert.

2.3 Kooperation zwischen Schule und Betreuung

Schule und Betreuung sind unterschiedliche Systeme, mit unterschiedlichen Berufskulturen, die keinen Bereich unberührt lassen.

Schon formal sind die Unterschiede gross: Die öffentliche Schule hat klare nationale und kantonale Gesetzesgrundlagen, definierte und kontrollierte Ausbildungsgänge, ausgearbeitete öffentlich-rechtliche Anstellungsbedingungen, klare Lohnsysteme mit umfassenden Sozialleistungen, definierten Entwicklungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten und systematischen Lohnentwicklungen. Sie verfügt über einen präzise definierten, öffentlich anerkannten und regelmässig diskutierten Berufsauftrag.

Für die schulergänzende Betreuung steht all dies nicht zur Verfügung. Die Personen, die in der Betreuung arbeiten, haben sehr unterschiedliche Werdegänge und, wie oben gezeigt, unterschiedliche, meistens ungünstigere Anstellungsverhältnisse. Zur Gruppe der Lehrpersonen bestehen aufgrund von Ausbildung, Honorierung und Anstellungsart klare Statusunterschiede.

Die Kooperation der beiden Systeme steht also schon aufgrund der unterschiedlichen Kulturen vor grossen Hürden, selbst dort, wo eine grundlegende Einsicht in die Notwendigkeit einer engeren Zusammenarbeit besteht. So ist es nicht verwunderlich, dass die Formen der Kooperation von Ort zu Ort unterschiedlich sind und weit auseinanderklaffen. Das Spektrum reicht von systematisch etabliertem täglichem Austausch bis hin zu ausschliesslich zufällig entstehenden gemeinsamen Diskussionen ohne Verbindlichkeit.

Windlinger hat in ihrem Literaturbericht zum Zusammenwachsen von Schule und Betreuung diskutiert, welche Faktoren in der Forschung als förderlich und welche als Hindernisse in der Zusammenarbeit zwischen Schule und Betreuung identifiziert wurden (Windlinger, 2016).10

Die Forschung zeigt, dass ein deutlicher Zusammenhang zwischen der Pensenverteilung und der Kooperation besteht. Ein hoher Anteil an Betreuungspersonal mit kleinem Pensum und ohne einschlägige Ausbildung erschwert die Kooperation deutlich: «Offensichtlich behindert der geringe zeitliche Umfang, mit dem das PP [pädagogisches Personal] im Ganztag ist, die Zusammenarbeit mit den LK [Lehrkräften]. Aber auch die dadurch grössere Anzahl an einzubindenden Personen scheint problematisch zu sein. Ein weiterer Faktor für eine ungünstigere Ausprägung der Kooperation an diesen Schulen ist offenbar das Fehlen pädagogischer Qualifikationen beim PP. Ein höherer Anteil an PP ohne pädagogischen beruflichen Hintergrund scheint die Etablierung von funktionierenden interdisziplinären Kooperationsbeziehungen zu erschweren» (Rollett & Tillmann, 2009, S. 141). Dagegen berichtet hauptberuflich beschäftigtes Betreuungspersonal über mehr Abstimmung mit den Lehrpersonen, zum Beispiel bei sozial-erzieherischen Problemen, den Hausaufgaben oder der Durchführung gemeinsamer Projekte. Dadurch findet eine bessere Einbindung ins Schulsystem statt.

Statusunterschiede und unterschiedliche Anstellungsbedingungen wirken sich nicht nur auf die Zusammenarbeit aus, sondern führen konkret zu Ungleichbehandlungen. Die Beteiligung der Lehrpersonen am Mittagessen oder anderen Betreuungsaufgaben wie der Hausaufgabenbetreuung kann pädagogisch erwünscht und sinnvoll sein. Für die Lehrpersonen sind diese Stunden in der Regel jedoch schlechter bezahlt als ihre sonstige Arbeit, da die für Unterrichtsstunden angerechnete Vorbereitungszeit entfällt. Die Arbeit in der Betreuung ist unter finanziellen Gesichtspunkten unattraktiv. Das Betreuungspersonal erhält dennoch für die gleiche Arbeit aufgrund des tieferen Lohnniveaus weniger Lohn, selbst wenn es sich um tertiär ausgebildete Personen handelt, die für den jeweiligen Dienst die Verantwortung tragen. Hierbei stellen sich zwei zentrale Fragen – einerseits, wie unter diesen Voraussetzungen vorbehaltlose und ebenbürtige Arbeitsbeziehungen etabliert werden können, und andererseits, ob diese Ungleichbehandlung mit dem Anspruch auf gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit zu vereinbaren ist.11

So zeigt sich schon an der einfachen Frage der Mittagstischbetreuung deutlich, dass es bei der Frage der Kooperation nicht nur um unterschiedliche fachliche Kulturen geht, sondern um handfeste Anstellungsfragen, die es zu lösen gilt.

Handlungsbedarf in Bezug auf Arbeits- und Anstellungsbedingungen besteht in einer Optimierung der Kooperation. Empfehlenswert wäre die Verteilung der vorhandenen Pensen beim nichtschulischen Personal auf weniger Personen mit höheren Anstellungsprozenten. Mittelfristig sollten zwingend, wie oben ausgeführt, Vollzeitstellen geschaffen werden. Ausserdem muss das Personal zur Verbesserung der Kooperation qualifiziert sein oder entsprechend fortgebildet werden. Ferner sollten die Lohnstrukturen in der Betreuung angepasst werden. Die Löhne müssen in einem begründeten Verhältnis zu den Löhnen der Lehrpersonen stehen.

Im Kontext der Tagesschulentwicklung stehen auch die Lehrkräfte und Schulen vor neuen Anforderungen. Dabei geht es um die grundlegende Frage, wie das Arbeitszeitmodell der Lehrkräfte zu gestalten ist. Eine Tagesschule mit pädagogischem Mehrwert (also eine Schule, die mehr sein will als die bisherige Schule mit anschliessendem Betreuungsangebot) führt zwangsläufig zu neuen Arbeits- und Präsenzzeiten der Lehrpersonen. Für die Einbindung der Lehrpersonen in die Betreuung müssen daher neue Arbeits- und Anstellungsmodelle entwickelt werden, die auch in die Ausbildung einfliessen.12 Die Aufgaben der Lehrpersonen in der Betreuung müssen zeitlich und inhaltlich klar definiert und diskutiert werden. Wenn es über konkrete Betreuungsaufgaben hinaus eine Präsenzpflicht für Lehrpersonen im Schulhaus gibt, braucht es zudem ruhige Arbeitsplätze für die Lehrpersonen in Räumlichkeiten, die für die Kinder nicht zugänglich sind.

2.4 Professionalität, Berufsauftrag und Anerkennung

In der Einleitung zum vorherigen Abschnitt wurde darauf hingewiesen, dass es für die Betreuung keinen präzise definierten Berufsauftrag gibt. Aus Perspektive der Schule wird die Betreuung mehrheitlich als eine Art Reparaturbetrieb angesehen. Sie soll auffangen, was in der Schule aus institutionellen Gründen zu kurz kommt und von den Familien nicht (mehr) geleistet wird. Sprachförderung, Hausaufgabenhilfe und Integration oder Unterstützung von «schwierigen» Kindern sind die Anforderungen, die in diesem Kontext häufig genannt werden. Betreuung wird in dieser Sichtweise als Verlängerung der Schule in unterrichtsfreie Randstunden interpretiert.

 

Aus Perspektive einer sozialpädagogisch fundierten Betreuung sind die genannten Aufgaben Teil eines viel umfassenderen Auftrags. Während der Schwerpunkt der Schule bei der formalen (und gesetzlich stark geregelten) Bildung liegt, stehen in der Betreuung die nonformalen Bildungsprozesse und -ziele im Vordergrund. Kinder sollen lernen, Eigenverantwortung zu übernehmen und Gemeinschaftsfähigkeit zu erlangen. Dazu müssen sie persönliche und soziale Kompetenzen kennenlernen und anwenden können.

Der Alltag in der schulergänzenden Betreuung soll die Selbsttätigkeit und Eigenverantwortung der Kinder fördern. Die Kinder sollen an der Alltagsgestaltung beteiligt werden und Verantwortung übernehmen, für sich selbst und für andere. Die SEBB sorgt für adäquate Rahmenbedingungen, um den Entwicklungsaufgaben des Kindes- und frühen Jugendalters gerecht zu werden. Das Austragen von Konflikten ohne Eingreifen von Erwachsenen und das Sich-Zurechtfinden in der Gemeinschaft sind zwei der Kompetenzen, die es sich anzueignen gilt.

Aus dieser relativ knappen Zusammenfassung lässt sich der sozialpädagogische Auftrag der Fachpersonen in der Betreuung ableiten. Sie sollen Schutz bieten, die Persönlichkeitsentwicklung fördern, Beteiligung ermöglichen, mit den Kindern Konfliktfähigkeit und Kommunikationsformen einüben, Kulturtechniken lehren und den Umgang mit den modernen Medien erarbeiten, Freizeitgestaltung einüben und die Kinder darin unterstützen, Verantwortung für sich und ihre Lebensgestaltung zu übernehmen (vgl. Flitner, 2017).

Um diese vielfältigen Aufgaben zu erfüllen, sind einerseits materielle, infrastrukturelle und personelle Ressourcen notwendig. Anderseits sind Selbstreflexion, professionelles Handeln und Know-how über die Entwicklung und Bedürfnisse der Kinder essenziell. Die Arbeits- und Anstellungsbedingungen weisen darauf hin, dass die Vielfalt und Wichtigkeit dieser Aufgaben im öffentlichen Diskurs und in der Politik aktuell nicht ausreichend anerkannt werden, wodurch die notwendigen Voraussetzungen dafür nicht hergestellt werden (Räumlichkeiten, pädagogisch begründete Stellenschlüssel, Vor- und Nachbereitungszeit, ausreichend qualifiziertes Personal, Weiterbildung, Supervision).

Dem Beruf der Erzieherinnen in der schulergänzenden Betreuung wird die Professionalität nur teilweise zuerkannt. Dazu tragen die scheinbare Nähe zur Familienarbeit, der hohe Frauenanteil und die unklaren Zugangsvoraussetzungen bei, ebenso die Tatsache, dass es keinen Branchenverband gibt und auch keine einheitlich festgelegten Berufswerte und Verhaltensnormen (vgl. Rudow, 2017, S. 70).

Bis zur vollständigen beruflichen Anerkennung als ernst zu nehmende Profession auf der Grundlage von spezifischen Fachkenntnissen muss sich noch einiges tun. Eine Reihe von Voraussetzungen muss hierbei erfüllt sein. Unter anderem braucht es exakte Funktionsbeschreibungen, die Bewertung der Erziehungsarbeit als gesellschaftlich wertvolle und vielschichtige Tätigkeit, klare Anforderungs- und Ausbildungsprofile, wissenschaftlich begründetes Fachwissen, anerkannte Qualitätskriterien und die Definition von Berufswerten, also eine Art Berufskodex (vgl. Rudow, 2017, S. 71ff). Die Formierung eines Branchenverbands, der sich für die Definition und Verbreitung seiner Grundlagen und Zielsetzungen einsetzt, um die Diskrepanz zwischen beruflichen Anforderungen und öffentlicher Anerkennung zu verringern, wäre ein Meilenstein in der Entwicklung der SEBB.

2.5 Schlussfolgerungen

Am Beispiel der vier Themen «Rahmenbedingungen», «Arbeitsorganisation», «Kooperation» und «Anerkennung» ist deutlich geworden, welche Auswirkungen die heterogenen, teilweise prekären Arbeits- und Anstellungsbedingungen des Betreuungspersonals und die ungenügende Anerkennung der Arbeit auf die Entwicklung der Tagesschulen haben. Während sich bei einigen Punkten problemlos auf der Ebene der einzelnen Einrichtungen Lösungen entwickeln lassen, braucht es bei der Mehrheit der Fragen eine grundsätzliche Überprüfung, welche Ziele mit der schulergänzenden Betreuung verfolgt werden sollen. Die öffentliche Hand als wichtige Auftraggeberin und Investorin nimmt die Möglichkeiten der Qualitätsentwicklung, die in den Anstellungs- und Arbeitsbedingungen stecken, ungenügend wahr. Es ist offensichtlich, dass das Potenzial der Ganztagsbildung bisher bei Weitem nicht ausgeschöpft wird. Ob es jemals dahin kommt, ist in erster Linie eine Frage des politischen Willens. Konkret stellt sich die Frage, ob und wann die Schule den Schritt in Richtung auf eine ganztätige Bildungseinrichtung gehen wird und ob die notwendigen Mittel zur Verfügung gestellt werden, die den Raum dafür schaffen, dass das Personal gute Arbeit leisten kann. Dafür würde es in der Schweiz eine Gesamtstrategie zur systematischen Entwicklung von Ganztagsschulen brauchen.

Der erste notwendige Schritt wäre eine klare Entscheidung und ein deutlicher politischer Auftrag der zuständigen Erziehungsdirektorenkonferenz sowie des Bundes, dass die Entwicklung der Tagesschulen als Form der Ganztagsbildung vorangetrieben werden soll.

2.6 Literatur

Blöchliger, O.R. & Bauer, G.F. (2014). Arbeitsbedingungen und Gesundheit des Kindertagesstätten-Personals in der Stadt Zürich. Eine repräsentative, quantitative und qualitative Befragung des Personals in Kitas in der Stadt Zürich durch das Institut für Epidemiologie, Biostatistik und Prävention (EBPI) der Universität Zürich. Zürich: Sozialdepartement der Stadt Zürich.

Bundesamt für Sozialversicherungen (2020). Finanzhilfen für die Schaffung von familienergänzenden Betreuungsplätzen für Kinder: Bilanz nach siebzehn Jahren (Stand 31. Januar 2020). Verfügbar unter www.bsv.admin.ch/bsv/de/home/finanzhilfen/kinderbetreuung.html (Zugriff: 15.4.2020).

Erziehungsdepartement des Kantons Basel-Stadt (2018). Zahlenspiegel Bildung 2018. Staatliche Schulen und Angebote im Kanton Basel-Stadt. Verfügbar unter www.bildungsstatistik.bs.ch (Zugriff: 2.4.2020).

Erziehungsdirektion des Kantons Bern (2018). Tagesschulen im Kanton Bern. Reportingbericht Schuljahr 2016/17. Bern: Erziehungsdirektion des Kantons Bern.

Flitner, C. (2017). Sozialpädagogischer Auftrag der Tagesbetreuung. vpod bildungspolitik, 202, 24–25.

Präsidialdepartement des Kantons Basel-Stadt (2019). Statistisches Jahrbuch des Kantons Basel-Stadt. Verfügbar unter www.statistik.bs.ch/zahlen/statistisches-jahrbuch.html (Zugriff: 2.4.2020).

Rollett, W. & Tillmann, K. (2009). Personaleinsatz an Ganztagsschulen. In I. Kamski, H.G. Holtappels & T. Schnetzer (Hrsg.), Qualität von Ganztagsschule – Konzepte und Orientierungen für die Praxis (S. 132–143). Münster: Waxmann.

Rudow, B. (2015). Belastungen von Erzieherinnen in der Arbeit an der Schule (Berliner Modellprojekt) – BEAS Berlin. Berlin: Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft.

Rudow, B. (2017). Beruf Erzieherin/Erzieher – mehr als Spielen und Basteln. Arbeits- und organisationspsychologische Aspekte. Ein Fach- und Lehrbuch. Münster: Waxmann.

SKBF (2018). Bildungsbericht Schweiz. Aarau: Schweizerische Koordinationsstelle für Bildungsforschung.

Stadt Zürich. (2017). Statistisches Jahrbuch der Stadt Zürich. Verfügbar unter www.stadt-zuerich.ch/jahrbuch (Zugriff: 2.4.2020).

Stern, S. & Schwab Cammarano, S. (2017). Familien- und schulergänzendes Betreuungsangebot im Kanton St. Gallen. Schlussbericht. Im Auftrag des Amts für Soziales, Kanton St. Gallen unter Mitwirkung des Amts für Volksschule, Kanton St. Gallen. Zürich: infras.

Windlinger, R. (2016). Von «Unterricht plus Betreuung» zur Tagesschule. Wie wachsen Schule und Betreuung zu einem Ganzen zusammen? Forschungsüberblick und Literaturanalyse. Verfasst im Auftrag von Bildung und Betreuung und der PHBern. Bern: PHBern.

Windlinger, R. & Züger, L. (2020). Arbeitsplatz Tagesschule. Zur Situation in Einrichtungen der schulergänzenden Bildung und Betreuung. Bern: hep.

3 Anstellungen im Monatslohn sind selbstverständlich – Einblick in die Tagesstrukturen Untersiggenthal

Laura Züger

Interview mit Antonia Näf

ehemalige Co-Leiterin Tagesstrukturen Untersiggenthal und aktuell zuständig für die Qualitätsüberprüfung in Kitas und Tagesstrukturen bei der Fachstelle Kinder und Familien, Fachfrau Betreuung EFZ, Kindererzieherin HF, CAS Führen in Nonprofit-Organisationen

Untersiggenthal, Januar 2020

3.1 Rahmenbedingungen der Tagesstrukturen Untersiggenthal

Die Gemeinde Untersiggenthal liegt im Kanton Aargau, beim Wasserschloss der Schweiz, in der Nähe von Baden. Die Gemeinde hat etwas mehr als 7000 Einwohnerinnen und Einwohner.

Die Tagesstrukturen Untersiggenthal bieten seit 2011 die Betreuung der Kindergarten- und Schulkinder als Ergänzung zum Schulunterricht an. Zunächst waren diese als Verein organisiert. Im Sommer 2018 übernahm die K&F KiTS GmbH aus Ennetbaden die Trägerschaft. Diese ist der K&F Fachstelle Kinder&Familien in Ennetbaden angegliedert. Die K&F Fachstelle Kinder&Familien bietet Dienstleistungen im Bereich von familien- und schulergänzender Kinderbetreuung an und übernimmt im Auftrag von Gemeinden Qualitätsüberprüfungen.

Das Angebot der Tagesstrukturen Untersiggenthal richtet sich an die Familien von Kindergarten- und Schulkindern der Gemeinde. Es besteht aus den Betreuungsmodulen Frühbetreuung vor Schulbeginn, Mittagsbetreuung und zwei Nachmittagsmodulen, von 13.45 bis 15 Uhr und von 15 bis 18 Uhr. Pro Betreuungsmodul werden feste Monatspauschalen verrechnet. Unter Berücksichtigung des massgebenden Einkommens können die Eltern bei der Gemeinde eine finanzielle Unterstützung beantragen. Die Tagesstrukturen Untersiggenthal erhalten von der Gemeinde weder direkte Unterstützungsleistungen noch Subventionen.

Die Frühbetreuung besuchen zwischen fünf und neun Kinder, und über den Mittag sind bis zu 65 Kinder anwesend. Die Kinderanzahl in der Frühnachmittagsbetreuung schwankt zwischen 7 und 18 Kindern. Spätnachmittags werden bis zu 30 Kinder betreut. Am Mittwoch sind in allen vier Betreuungsmodulen weniger Kinder anwesend.

Zusätzlich zur schulergänzenden Betreuung vor und nach dem Unterricht bieten die Tagesstrukturen Untersiggenthal in neun der insgesamt 13 unterrichtsfreien Wochen eine Ferienbetreuung an. Im Vergleich zu den Schulwochen nehmen relativ wenige Eltern dieses Angebot wahr. Dadurch ergeben sich in der Ferienbetreuung relativ kleine Gruppen von 4 bis 15 Kindern. Die Mitarbeitenden bereiten für diese Zeit ein spezifisches Ferienthema vor und beziehen dabei stark die Ideen der Kinder mit ein. Für die Ferienbetreuung verrechnen die Tagesstrukturen eine Pauschale von CHF 80.– pro Tag.

In den Tagesstrukturen Untersiggenthal arbeiten zehn Betreuungspersonen inklusive Leitungsteam und drei Personen in der Küche und Hauswirtschaft. Die Betreuungspersonen haben unterschiedliche berufliche Hintergründe. Über eine pädagogische Grundbildung verfügt rund die Hälfte der Mitarbeitenden. Eine Person ist in der Ausbildung zur Fachfrau Betreuung, eine Person absolviert ein Vorpraktikum. Alle Betreuungspersonen, ausgenommen die Auszubildenden, arbeiten Teilzeit in einem Pensum zwischen 20 und 60 Stellenprozenten. Die meisten Mitarbeitenden haben ihren Wohnsitz in der Gemeinde.

«Wir haben sehr flache Hierarchien. Auch zwischen den Mitarbeitenden mit und ohne pädagogische Ausbildung. Die Kompetenzen sind, mit wenigen Ausnahmen, dieselben.»

Antonia Näf ist Fachfrau Betreuung EFZ und Kindererzieherin HF und hat einen CAS-Studiengang «Führen in Nonprofit-Organisationen» abgeschlossen. Sie arbeitet in den Tagesstrukturen Untersiggenthal in einem 50-Prozent-Pensum. Ihre Stellenpartnerin Karin Leutwyler ist Sozialpädagogin, sie hat ein CAS zur Ausbildnerin abgeschlossen und bildet sich aktuell im Rahmen eines Zertifikatslehrgangs «Leiten in Tagesstrukturen» weiter. Karin Leutwyler arbeitet in einem 40-Prozent-Pensum. Die Leitungsfunktion nimmt insgesamt etwa 50 Stellenprozente ein. Die Co-Leiterinnen arbeiten zusätzlich zu ihrer Leitungsfunktion über Mittag in der Betreuung, die Vergütung bleibt für diese beiden Funktionen dieselbe.

 

Viele administrative Aufgaben, wie zum Beispiel die Rechnungsstellung, Arbeitsverträge oder Buchhaltung, übernimmt die Geschäftsstelle der Trägerschaft.

Die Tagesstrukturen befinden sich im Untergeschoss eines Schulhauses. Ein grosser Raum mit diversen Bildungsnischen konnte eingerichtet werden. Die Nischen umfassen eine Theaterwerkstatt, die Kinder-Uni mit Lernangeboten, die Spieleinsel, das Bewegungshaus, den Bücher- und Wolle-Bereich (Abbildung 1) und das das Teenie-Haus (Abbildung 2). Eine grosse, offene Küche befindet sich ebenfalls in diesem Raum. Daneben gibt es, abgetrennt in einem Flur, eine Bauecke sowie einen separaten Kreativraum, in dem die Kindergartenkinder auch zu Mittag essen. Weiter steht den Mitarbeitenden ein Büro zur Verfügung, das zudem als Pausenraum genutzt wird. Für die Nutzung der Räumlichkeiten haben die Tagesstrukturen der Gemeinde Mietkosten zu entrichten.

Im Zentrum der Arbeit der Tagesstrukturen Untersiggenthal stehen Bildung, Betreuung und Erziehung. Ziel ist es, eine anregungsreiche, wertschätzende und sichere Lernumgebung anzubieten und soziale Kontakte zu fördern.

«Ich muss die Kinder nicht bespassen. Ich mache ein Spielangebot, und die Kinder können es wahrnehmen oder etwas anderes machen.»


Abbildung 1: Kinder-Uni in den Tagesstrukturen Untersiggenthal (Foto: Tagesstrukturen Untersiggenthal)

Das gemeinsame Essen als sinnliches Erlebnis nimmt eine zentrale Rolle ein. Seit 2019 sind die Tagesstrukturen Untersiggenthal von Fourchette verte zertifiziert. Fourchette verte ist ein Qualitäts- und Gesundheits-Label für Betriebe, die ausgewogene Mahlzeiten nach der Schweizer Lebensmittelpyramide anbieten.

Die Tagesstrukturen sind zwar auf der Schulanlage eingemietet, gehören organisatorisch jedoch nicht zur Schule. Dennoch stehen die Mitarbeitenden in engem Austausch mit den Lehrpersonen und sind mit der Schulleitung gut vernetzt. Bei personellen Ausfällen, zum Beispiel bei Weiterbildungen von Lehrpersonen, übernehmen die Tagesstrukturen nach Absprache die Betreuung der Kindergarten- und Schulkinder.

Im Kanton Aargau ist im Jahr 2016 das Kinderbetreuungsgesetz KiBeG (2016) in Kraft getreten. Es verpflichtet die Gemeinden, den Familien den Zugang zu einem bedarfsgerechten Angebot der familien- und schulergänzenden Betreuung zu ermöglichen und sie ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit entsprechend zu subventionieren. Ebenso sind die Gemeinden als Bewilligungs- und Aufsichtsbehörde für die Qualität in den Betreuungsinstitutionen verantwortlich. Konsequenzen für die Tagesstrukturen Untersiggenthal waren, dass gewisse Familien die Mindestanforderungen für Subventionen nicht mehr erfüllt haben und sich deshalb die Betreuung in den Tagesstrukturen nicht mehr leisten konnten. Ansonsten gab es kaum anderweitige Auswirkungen, weil die Tagesstrukturen bereits im Vorfeld die Qualitätsstandards der Gemeinde erfüllt und viele Familien schon finanzielle Unterstützung in Form von Subventionen erhalten haben.