Sprachenübergreifendes Lernen

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Mehrsprachigkeit und kulturelle Vielfalt in der Primarstufe
Das KOINOS-Projekt. Zum praktischen Umgang mit sprachlicher und kultureller Diversität an Grundschulen in Europa

Christian Helmchen

Abstract

Das Leben, Lernen und Arbeiten in einer sprachlich und kulturell vielfältigen Umgebung ist bereits jetzt Realität für eine Vielzahl von Menschen. Auch in Zukunft werden die Fähigkeiten, mit sprachlicher und kultureller Diversität umzugehen und Nutzen aus ihr zu ziehen, von stetig wachsender Bedeutung sein. Aus diesem Grund muss die Förderung multiliteraler Kompetenzen von SchülerInnen bereits in der Primarschulbildung ihren Platz finden. Das KOINOS-Projekt, das in Kooperation zwischen Universitäten und Schulen in Deutschland, Portugal und Spanien entstanden ist, hat didaktische Konzepte zur Förderung von Multiliteralität und interkulturellen Kompetenzen von SchülerInnen entwickelt, stellt sie der Öffentlichkeit zur Verfügung und lädt zur aktiven Partizipation vieler sozialer AkteurInnen ein. In diesem Beitrag werden das Projekt sowie daraus hervorgegangene Materialien und deren praktische Umsetzungen exemplarisch vorgestellt.

1. Einleitung

Sprache kommt in der post-industriellen Wissensgesellschaft (vgl. bspw. Bell, 1976) ein herausragender Stellenwert zu. Sie ist der Schlüssel zum Erwerb von Fähigkeiten und Kompetenzen. Der Grad ihrer Beherrschung entscheidet in bedeutendem Maße über den Bildungserfolg eines Individuums und mithin über dessen ökonomisches Potential und sozialen Status. Sie befähigt in Schule, Ausbildung und Arbeitspraxis zum Zugang, zur Verarbeitung, zur Nutzung und Weitergabe komplexer Informationen; der angemessene Umgang mit ihren verschiedenen Registern erlaubt situationsgerechtes Handeln in unterschiedlichen sozialen Kontexten.

Die Bedeutung, die der Grad der Sprachbeherrschung für den Kompetenzerwerb in allen Schulfächern hat, zeigt sich in den Ergebnissen der PISA-Studien sehr deutlich. In ihrer Analyse konstatiert Gogolin, „dass das Verfügen über ‚Sprache‘ eine notwendige Grundlage dafür ist, Kompetenz in der Sache zu erlangen“ und dass „den sprachlichen Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler […] eine überaus bedeutende, die Schule insgesamt durchdringende und Fächergrenzen kreuzende Rolle“ (Gogolin, 2006, S.37) zukommt. Dies zeige sich schon allein daran, dass für den Begriff der Grundbildung, der in der deutschen Fassung der PISA-Tests verwandt wurde, im Englischen die Bezeichnungen Mathematical bzw. Scientific Literacy gewählt wurden. Es könne deshalb kaum verwundern, so Gogolin, dass sich geringe Lesekompetenzen negativ auf die Leistungsfähigkeit in anderen Wissensdomänen auswirken (vgl. ebd.).

Gogolin bezieht sich hier auf (Lese-)Kompetenzen in der deutschen Sprache. Im Hinblick auf eine in hohem Maße globalisierte Welt, deren Verflechtungen stetig weitreichender und zugleich enger werden, in der der Umgang mit sprachlicher Vielfalt zum alltäglichen Normalfall geworden ist, muss diese Analyse erweitert werden. Schon heute ist eine monolinguale Literalität in vielen Bereichen des Lebens nicht mehr ausreichend. Kompetenzen in verschiedenen Sprachen erleichtern unter Umständen nicht nur das Verständnis einer schlecht übersetzten Bedienungsanleitung für ein Elektrogerät oder eines Tutorials auf einer Website. Sie sind häufig notwendig für den Zugang zu Wissen aus anderen Sprachregionen, beispielsweise in der schulischen und universitären Ausbildung, bei der Verwendung von Informationstechnologie, bei der Arbeit im Ausland oder in einem Hotel, im Umgang mit ArbeitskollegInnen oder MitbürgerInnen mit einem anderen sprachlichen Hintergrund. Zudem beschränkt sich Literalität heute nicht mehr auf die Rezeption mündlicher oder schriftlicher Texte. Die Formen der Informationsverbreitung haben sich gewandelt und sind vielfältiger geworden, ein Umstand, der zugleich wachsende Kompetenzen und Flexibilität von RezipientInnen und Handelnden fordert; eine Entwicklung, die sich zweifelsohne fortsetzen und Menschen vor immer neue Herausforderungen stellen wird. Klar ist, multilinguale und multimodale Literalität sind schon jetzt für viele keine Option mehr, sie sind Notwendigkeit und es ist Bildungsauftrag der Schule, SchülerInnen auf die vor ihnen liegenden Herausforderungen in diesem Bereich vorzubereiten.

Tatsächlich ist eine Vielzahl der SchülerInnen bereits von zuhause aus mehrsprachig; z.B. hatten in Hamburg im Schuljahr 2018 / 2019 ca. 50 % der SchülerInnen einen Migrationshintergrund (vgl. Schuljahresstatistik, 2018), bundesweit sind es ca. 33 % (vgl. Statistisches Bundesamt, 2018). Diese SchülerInnen sind in der Regel mehrsprachig und verfügen so bereits über ein erhebliches sprachliches und kulturelles Kapital. Trotz der im wissenschaftlichen Diskurs seit langer Zeit geforderten Berücksichtigung und Förderung sprachlicher und interkultureller Kompetenzen bei SchülerInnen mit Migrationshintergrund zeigt sich in der Praxis nach wie vor eine weitgehende Ignoranz, teilweise sogar eine negative bzw. defizitorientierte Sichtweise in Bezug auf herkunftsbedingte Mehrsprachigkeit (vgl. bspw. Hu, 2003; Roche, 2013). Dies liegt nicht zuletzt auch daran, dass LehrerInnen häufig nicht wissen, wie die im Klassenzimmer vorhandenen (Herkunfts-)Sprachen sinnstiftend in den Unterricht einbezogen werden können (vgl. Heyer & Schädlich, 2014). Es überrascht deshalb nicht, dass die das ERASMUS+ Projekt KOINOS – Europäisches Portfolio plurilingualer literaler Praxis begleitende Forschung zeigt, dass viele der am Projekt teilnehmenden lebensweltlich mehrsprachigen SchülerInnen bislang keinen Raum für ihre Herkunftssprachen in der Schule sehen und in sprachlicher Hinsicht eine klare Trennung zwischen intra- und extraschulischer Umgebung vornehmen. So beschreiben die SchülerInnen zwar, wie sie Deutsch bzw. institutionell erworbene Sprachen in der Schule nutzen, der Gebrauch der Herkunftssprachen bleibt jedoch dem häuslichen Umfeld oder Besuchen im Herkunftsland vorbehalten. Diese von den SchülerInnen wahrgenommene Trennung zwischen den sprachlichen Repertoires (sozial / lokal bzw. Familie, Freunde, Schule) zeigt sich in einer klaren visuellen Unterteilung ihrer sprachlichen Umgebungen. So schaffen die Kinder in den visuellen Narrativen durch von ihnen gezeichnete Linien voneinander getrennte Räume, denen jeweils deutlich nur eine Sprache zugeordnet wird. Überlappungen, zur Abbildung mehrsprachiger Räume, zeigen sich hingegen nicht (vgl. Melo-Pfeifer & Helmchen, 2018, S.10f., Abb.1).

Das KOINOS-Projekt,1 das zwischen 2015 und 2017 entwickelt und durchgeführt wurde, leistet einen Beitrag zum praktischen Einbezug von Mehrsprachigkeit und kultureller Vielfalt in den Schulalltag. Mit dem Wunsch, einen Beitrag zum gesellschaftlichen Miteinander zu leisten, wurde der Name KOINOS gewählt, der übersetzt „im Dienst der Gemeinschaft“ bedeutet. Das Projekt entstand als Kooperation zwischen Grundschulen und Universitäten in Deutschland (Hamburg), Portugal (Aveiro) und Spanien (Barcelona) und hat sich unter anderem die Förderung mehrsprachiger, multimodaler Literalität unter allen SchülerInnen zur Aufgabe gemacht. Die im Rahmen des Projektes von WissenschaftlerInnen und LehrerInnen gemeinsam entwickelten, erprobten und überarbeiteten Materialen sowie alle Ergebnisse des Projekts, Dokumentationen, Erfahrungsberichte und Unterrichtsvorschläge können unter www.plurilingual.eu in verschiedenen Sprachen eingesehen werden.

Dieser Artikel soll einen Einblick in das KOINOS-Projekt gewähren und anhand eines Beispiels die Förderung von Multiliteralität unter Einbezug der sprachlichen und kulturellen Diversität der Schülerschaft im Projekt exemplarisch veranschaulichen. Zu diesem Zweck wird zunächst der Begriff der Literalität um die Multiliteralität definitorisch erweitert. Nach einer kurzen Beschreibung des Projekts folgt die Vorstellung der lokalen und digitalen ‚Fliegenden Teppiche‘, einem im KOINOS-Projekt entstandenen und erprobten Instrument zur Förderung von Multiliteralität, bevor über Potenziale und Perspektiven, aber auch über Grenzen und Herausforderungen gesprochen wird.


Abbildung 1: Visual Narratives von zwei SchülerInnen, entstanden im KOINOS-Projekt

2. Von der Literalität zur Multiliteralität und deren Bedeutung für den Unterricht

Wie bereits in der Einleitung angedeutet, ist ein Wandel des Literalitätsbegriffs zu konstatieren (vgl. auch Chik, 2014). Diese Entwicklung und ihr immer noch mangelnder Widerhall in der schulischen Praxis war Motivation für die Entstehung von KOINOS. Während beispielsweise Cuq (2003) Literalität als die Lese- und Schreibkompetenzen von Individuen in einer bestimmten Sprachgemeinschaft definiert, präsentieren Kalantzis und Cope (2008) eine erheblich offenere Begriffsdeutung und bezeichnen Literalität als die Fähigkeit, sich mit einem unbekannten Text auseinanderzusetzen, nach Hinweisen auf dessen Bedeutung zu suchen, ohne ein Gefühl der Distanz oder Exklusion zu empfinden. Literalität bedeute ferner, die Funktionsweise eines Textes zu verstehen sowie dessen Kontext und Zweck zu erfassen. Schließlich sei es die Fähigkeit, in unbekannten Kontexten aktiv kommunizieren zu können und aus Erfolgen und Fehlern in der Kommunikation zu lernen. Was hier bereits in der höheren Abstraktheit anklingt, wird schließlich durch den Terminus Multiliteralität begrifflich und konzeptuell an die Realität lokaler und globaler Entwicklungen hin zu vielfältigen und dynamischen Sprachmilieus mit einer großen Fülle medialer Darbringungsformen in allen Bereichen des Lebens – beruflich, sozial und privat – angepasst (vgl. Cope & Kalantzis, 2009; Kalantzis & Cope, 2008; Melo-Pfeifer & Helmchen, 2018 für eine Zusammenfassung).

 

Diese Entwicklung darf allerdings nicht nur im wissenschaftlichen Diskurs definitorische Berücksichtigung erfahren, sie muss in der schulischen Ausbildung von Menschen auch ihren praktischen Niederschlag finden. In einer solchen Multiliteralitätspädagogik wird Wissen nicht länger als transferier- und reproduzierbares Produkt, sondern als Prozess sozialer Ko-Konstruktion wahrgenommen (vgl. Melo-Pfeifer & Helmchen, 2018). Sie unterliegt zudem der Annahme, dass sich Literalität nicht ausschließlich im Rahmen schulischer Aktivitäten und einem Bildungsplan folgend entwickelt, sondern in gleichem Maße von sozialen und kulturellen Faktoren beeinflusst wird (vgl. Chik, 2014). Zudem setzt sie „eine gewisse Relativierung von ‚Sprache‘ und geschriebenem Text als Informationselement und zu vermittelndes Objekt“ (Melo-Pfeifer & Helmchen, 2018, S.3) voraus, um dem hybriden und transsemiotischen Charakter kommunikativer Prozesse sowie der kollektiven Konstruktion von Sinn Rechnung zu tragen. Multiliteralitätspädagogische Konzeptionen, wie sie beispielsweise in den Pluralen Ansätzen zu Sprachen und Kulturen (Candelier et al., 2012; vgl. auch Melo-Pfeifer & Reimann, 2018), dem Translanguaging (Nutzung semiotischer Repertoires, García & Wei, 2014) oder der Visual Literacy (das visuelle Element in Texten, Chik, 2014) zu finden sind, unterstützen LehrerInnen dabei, SchülerInnen auf die Herausforderungen einer Welt mit hohen Anforderungen an Literalität vorzubereiten. Sie erlauben es zugleich, alle im Klassenzimmer vorhandenen sprachlichen und kulturellen Ressourcen produktiv zu nutzen und eine größere Anzahl von Lernenden in den Lernprozess einzubeziehen sowie ihnen Anerkennung und Wertschätzung zu vermitteln.

Der Einbezug sprachlicher und kultureller Vielfalt muss sich allerdings durch das gesamte Curriculum fortschreiben und darf nicht auf einzelne, sprachliche Fächer – wie es bisher zumeist aufgrund von scheinbar besonderer Eignung der Fall ist – limitiert bleiben. Die Vermittlung von Anerkennung und Wertschätzung ist für SchülerInnen und deren Eltern nur dann wirklich glaubhaft und kann nur dann nachhaltig positive Wirkung entfalten – und zwar sowohl auf schulischer als auch auf gesamtgesellschaftlicher Ebene –, wenn sie nicht zum gelegentlichen Anstrich des Unterrichts mit vermeintlicher kultureller Exotik verkommt oder, wie Melo-Pfeifer und Helmchen bemerken, auf „das typische ‚Wie sagt man das in deiner Sprache‘?“ (2018, S.4) reduziert bleibt. Ziel muss es deshalb sein, Multiliteralität systematisch und interdisziplinär in den Schulcurricula zu verankern und im Unterricht zu fördern.

3. Das KOINOS-Projekt

Der Fokus von KOINOS liegt auf der Förderung und Ausbildung von Literalität unter der Berücksichtigung der sprachlichen und kulturellen Vielfalt im Klassenzimmer und darüber hinaus. Neben mehrsprachigen Kompetenzen steht so die Stärkung des Bewusstseins für sprachliche und kulturelle Vielfalt in der unmittelbaren schulischen Umgebung der LehrerInnen und SchülerInnen sowie auf europäischer Ebene im Zentrum des Projekts (vgl. auch Helmchen & Melo-Pfeifer, 2018; Melo-Pfeifer & Helmchen, 2018). Auf diese Weise tritt KOINOS unter dem Leitbild von Lehren und Lernen als sozialem Prozess für gesellschaftlichen Zusammenhalt ein. Ziel ist es zudem nicht ausschließlich, Materialien und Unterrichtsvorschläge für Lehrende zu entwickeln, die im Projekt gewonnenen Erkenntnisse sollen sich zudem in der universitären Ausbildung von LehrerInnen widerspiegeln, um den immer noch weitreichend vorherrschenden „monolingualen Habitus“ (Gogolin, 1994) des Schulsystems aufzubrechen. Es muss auch Aufgabe der Universitäten sein, zukünftigen LehrerInnen das Bewusstsein und das Rüstzeug für den Umgang mit einer mehrsprachigen und kulturell vielfältigen Schülerschaft mit auf den Weg zu geben.

Das Projekt, für das gezielt Schulen mit einer sprachlich und kulturell vielfältigen Schülerschaft ausgesucht wurden, gliedert sich in die vier folgenden Bereiche:

 I Bewusstmachung. SchülerInnen und LehrerInnen befassen sich mit der eigenen und der sie umgebenden Mehrsprachigkeit bzw. kulturellen Vielfalt;

 II Multimodalität. Materialen und Aufgaben in verschiedenen Formaten bereiten SchülerInnen auf die Anforderungen der Informationsgesellschaft vor;

 III Einbindung der Eltern. Die teilnehmenden Schulen binden Eltern aktiv in den Unterricht und den Schulalltag ein, um das Zusammengehörigkeitsgefühl zu fördern sowie die Nachhaltigkeit der Projektmaßnahmen zu gewährleisten;

 IV Internationale Kooperation. Ziel des Projektes war es nicht nur, SchülerInnen für sprachliche und kulturelle Vielfalt in ihrem Klassenzimmer bzw. ihrer Schule zu sensibilisieren, sondern ein Bewusstsein für dieses Thema mit europäischer Dimension zu schaffen.

4. (E-)fliegende Teppiche. Ein praktischer Ansatz zur Förderung von Multiliteracy

Beispielhaft für das KOINOS-Projekt und seinen Anspruch, Multiliteralität zu fördern sowie der sprachlichen und kulturellen Vielfalt im Klassenzimmer und darüber hinaus Anerkennung und Wertschätzung entgegenzubringen, sind die ‚Fliegenden Teppiche‘. Es existieren zwei Formen dieser ‚Fliegenden Teppiche‘, die gemeinsam von den SchülerInnen erstellt werden: eine lokale, physische Form und eine länderübergreifende, digitale Form. Sie bilden die Basis von KOINOS und dienen der Sammlung und Rezeption von Dokumenten, die die sprachliche und kulturelle Vielfalt der SchülerInnen repräsentieren und für alle erfahrbar machen. KOINOS legt dabei keine bestimmten Themen fest. Die Inhalte der ‚Fliegenden Teppiche‘ können von den Schulen und Lehrkräften unter Berücksichtigung des Curriculums oder anderer Besonderheiten, Bedürfnisse und Anforderungen ausgewählt werden.

Gemäß der für das KOINOS-Projekt grundlegenden Auffassung vom Lernen (und Lesen) als interaktionistischen und soziokulturellen Prozess (vgl. bspw. Cassany, 2009; Cummins, 1996; Zavala, 2008), in dem Wissen gemeinsam, mehrsprachig und interkulturell konstruiert wird, ermöglichen, fördern und fordern die ‚Fliegenden Teppiche‘ den Austausch zwischen den LeserInnen und machen sie zugleich zu AutorInnen eines gemeinschaftlich entstehenden Projekts. Auf diese Weise unterstützen sie die Arbeit der Lehrkräfte bei der Entwicklung und Förderung von Lesegewohnheiten, fördern das Interesse an der Verwendung von Materialien in verschiedenen Formaten, animieren zu gemeinsamen Lernprozessen, regen Verbindungen zwischen der inner- und der außerschulischen Welt an, stärken das soziale Miteinander und ermuntern – nicht nur die SchülerInnen – zu Offenheit für kulturelle und sprachliche Vielfalt (vgl. Vallejo Rubinstein & Noguerol Rodrigo, 2018).

Beim lokalen ‚Fliegenden Teppich‘ handelt sich um einen Koffer, der mit verschiedenen Materialien gefüllt ist und eine detaillierte Anleitung für die Durchführung der damit verbundenen Aktivitäten enthält. Darüber hinaus befindet sich im Koffer ein Notizbuch, in dem die Familien Dinge festhalten können, die sie mit den anderen teilen möchten. Zusätzlich zu den Materialien, die von den Lehrkräften bereitgestellt werden, werden SchülerInnen und deren Eltern eingeladen, Beiträge in verschiedener Form (digital, audio, analog etc.) aus ihren Herkunftskulturen und -sprachen einzubringen; dies können zum Beispiel Bücher, Comics, Ton- und Videoaufnahmen, Links zu Websites, Zeichnungen, Fotos oder Gegenstände sein, sowohl in der Landessprache als auch in einer Herkunftssprache. Nach einem Workshop (Leitfaden s. Anhang), in dem über die Nutzung aufgeklärt wird, wandert der ‚Fliegende Teppich‘ von Kind zu Kind. Familien werden gebeten, sich einen ruhigen Moment zu nehmen, das Material zu lesen und sich darüber auszutauschen. Darüber hinaus werden die Familien gebeten aufzuschreiben, was während der Lektüre vor sich gegangen ist, welche Gedanken sie sich zu den Materialien gemacht haben und was ihnen am besten gefallen hat. Vorbereitete Fragen und Kommentare helfen den Kindern dabei, ihre Gedanken und Gefühle auszudrücken. Durch das gemeinsame Rezipieren der gesammelten Materialien können SchülerInnen in Begleitung ihrer Eltern Erfahrungen mit Multiliteralität (multimodal, mehrsprachig, interkulturell) machen und sich der sprachlichen und kulturellen Lebenswirklichkeiten ihres Umfelds bewusst werden. Durch die Einbindung der Eltern in den Entstehungs- und Verwendungsprozess der Materialien wird zudem eine Verbindung zwischen Schule und Elternhaus geschaffen, die den von KOINOS explizit gewünschten Beitrag zum gesellschaftlichen Miteinander leistet.

Die ‚E-fliegenden Teppiche‘ (vgl. exemplarisch Abbildung 2 & 3, http://plurilingual.eu/de/e-portfolio/fliegende-teppiche) dienen dem Austausch zwischen Schulen der verschiedenen Partnerländer. Auch hier soll die Förderung von Multiliteralität und der Kontakt mit sprachlicher und kultureller Vielfalt im Fokus stehen. Durch die Kommunikation und Kollaboration über Grenzen hinweg entsteht hier die Notwendigkeit für LehrerInnen und SchülerInnen, sich mit digitalen Medien auseinanderzusetzen und diese zu verwenden sowie Strategien zu entwickeln, sprachliche Barrieren zu überwinden. Das KOINOS-Portal dient dabei neben klassischen Emails als Plattform für die Kommunikation zwischen Lehrenden zur Planung, Durchführung und Reflexion der gemeinsam entwickelten Unterrichtsprojekte sowie zum Austausch für die SchülerInnen. Für diese ‚E-fliegenden Teppiche‘ können SchülerInnen beispielsweise Audio- und Videoaufnahmen oder Zeichnungen (visuelle Narrative, vgl. Melo-Pfeifer & Helmchen, 2018) herstellen, in denen die SchülerInnen sich und ihre Sprachen vorstellen, ihren AustauschpartnerInnen Lektürevorschläge unterbreiten, ihnen Tonaufnahmen ihrer Lieblingslieder bzw. Links dazu schicken oder die Durchführung bestimmter Aktivitäten empfehlen.


Abbildung 2: ‚E-fliegender Teppich‘ der Rudolf-Roß-Grundschule (Hamburg)

Durch den Austausch über diese Aktivitäten, Rückfragen und Bemerkungen entfaltet KOINOS sein interaktionales Potential. Eine solche Aktivität ist beispielsweise das Projekt ‚Alba‘, in dem ein Mädchen aus dem Jahr 3025 die SchülerInnen per Videobotschaft bittet, die Sprache zu retten, die in der Zukunft nur sehr reichen Menschen vorbehalten ist. Sie fordert die SchülerInnen deshalb auf, ihre Lieblingsworte zu sammeln, die um ein bestimmtes Thema kreisen, in diesem Fall das Thema ‚Mut‘. Im Anschluss wird das Ergebnis mit den SchülerInnen der anderen Schulen geteilt. Die Form der Präsentation wird den TeilnehmerInnen überlassen. In einem anderen Projekt, El còmic arreu del món (Das Comic rund um die Welt), erstellen SchülerInnen der verschiedenen teilnehmenden Schulen gemeinsam ein Comic in verschiedenen Sprachen. Beide Unterrichtsprojekte fördern die rezeptive und produktive Auseinandersetzung mit der bzw. den eigenen Sprache(n) und bieten zugleich die Erfahrung, dies auch mit unbekannten Sprachen zu tun. So wird die Neugier auf und das Bewusstsein für sprachliche (Bedeutungs-)Vielfalt angeregt und die Motivation für den Erwerb fremder Sprachen gesteigert.



Abbildung 3: ‚E-fliegender Teppich‘ der Grundschule Baró de Viver (Barcelona)

Gemäß der Zielsetzungen von KOINOS erfüllen diese Projekte die von Kalantzis und Cope (2008; sowie Cope & Kalantzis, 2009) definierten Anforderungen an eine zeitgemäße Form der (Multi-)Literalität und unterstützen SchülerInnen dabei, Kompetenzen zu entwickeln, die sie dazu befähigen, sich in vielfältigen und dynamischen sprachlichen Milieus mit unbekanntem Text auseinanderzusetzen, nach Hinweisen auf Bedeutung zu suchen, ohne dabei ein Gefühl der Distanz oder Exklusion zu empfinden. In einer weiteren Aktivität stellten SchülerInnen Weihnachtspostkarten für die SchülerInnen einer portugiesischen Partnerschule her und drehten einen Videoclip über das Making-of, den sie den anderen online zur Verfügung stellten. Die affektive Komponente, die dem Austausch persönlicher Nachrichten unter den SchülerInnen innewohnt, dient dabei einem der primären Projektziele, der Stärkung sozialer Kohäsion, in diesem Fall über die Grenzen der unmittelbaren Umgebung der SchülerInnen hinaus.

 

Von großer Bedeutung für eine erfolgreiche Durchführung der Projekte ist die Integration der von den Partnerklassen erstellten Materialen in den Unterricht. Dabei werden keine Sprachkenntnisse der LehrerInnen vorausgesetzt; sie sollen sich gemeinsam mit ihren SchülerInnen auf eine sprachliche und interkulturelle, kooperative Entdeckungsreise begeben. Zur Unterstützung der am Projekt beteiligten LehrerInnen finden sich auf dem KOINOS-Portal Hilfsmittel wie ein Aktivitätenraster, in dem Ziele, Themen, Materialien und Organisation gemeinsam festgelegt und festgehalten werden können.